Johannisfeuer - Toni Waidacher - E-Book

Johannisfeuer E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Das darf doch net wahr sein! Jetzt hat das Schild schon wieder Schlagseite!« Hans Reiners trat ein Stück von seiner Leiter zurück und musterte mit kritischen Blicken das helle Oval aus Kiefernholz, auf dem in schön verschnörkelten roten Buchstaben die Worte »Herzlich willkommen auf dem Reiners-Hof« prangten. Ilse Reiners schüttelte mit einem nachsichtigen Lächeln den Kopf. »Es macht sich doch gut, das Taferl da droben über der Eingangs­tür«, stellte sie, das unmutige Brummen ihres Mannes geflissentlich überhörend, fest. »Und schief ist es kein bissel. Das müsste ich schließlich auch sehen. Ich bin doch net blind.« »Blind net«, gab der Reiners-Bauer zurück. »Aber du hast schon immer ein Augenmaß gehabt wie …« Er verschluckte den Rest seines Satzes und zuckte stattdessen die Schultern. »Na ja, wenn du meinst, dass es schön genug ist, können wir es ja lassen. So genau wird die Judith schon net hinschauen.« »Das denk ich auch«, pflichtete Ilse ihm bei. »Erstens haben jung verliebte Leute wie unsere Judith und ihr Scott sowieso nur Augen füreinander. Und zweitens kann ich mir net vorstellen, dass die Judith in ihrer Wiedersehensfreude mit der Wasserwaage nachmisst.

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Seitenzahl: 125

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Der Bergpfarrer – 237 –Johannisfeuer

Reich mir deine Hand!

Toni Waidacher

»Das darf doch net wahr sein! Jetzt hat das Schild schon wieder Schlagseite!«

Hans Reiners trat ein Stück von seiner Leiter zurück und musterte mit kritischen Blicken das helle Oval aus Kiefernholz, auf dem in schön verschnörkelten roten Buchstaben die Worte »Herzlich willkommen auf dem Reiners-Hof« prangten.

Ilse Reiners schüttelte mit einem nachsichtigen Lächeln den Kopf.

»Es macht sich doch gut, das Taferl da droben über der Eingangs­tür«, stellte sie, das unmutige Brummen ihres Mannes geflissentlich überhörend, fest. »Und schief ist es kein bissel. Das müsste ich schließlich auch sehen. Ich bin doch net blind.«

»Blind net«, gab der Reiners-Bauer zurück. »Aber du hast schon immer ein Augenmaß gehabt wie …« Er verschluckte den Rest seines Satzes und zuckte stattdessen die Schultern. »Na ja, wenn du meinst, dass es schön genug ist, können wir es ja lassen. So genau wird die Judith schon net hinschauen.«

»Das denk ich auch«, pflichtete Ilse ihm bei. »Erstens haben jung verliebte Leute wie unsere Judith und ihr Scott sowieso nur Augen füreinander. Und zweitens kann ich mir net vorstellen, dass die Judith in ihrer Wiedersehensfreude mit der Wasserwaage nachmisst. Ich glaube, wir sollten jetzt lieber die Girlande aufhängen, sonst werden wir am Ende net einmal mehr fertig, bis die beiden kommen. Zumal ich in der Küche auch noch nach dem Rechten sehen muss. Als Hausfrau und Bäuerin hab’ ich schließlich net so viel Zeit wie du.«

Der Reiners-Bauer machte ein entrüstetes Gesicht.

Diese Unterstellung wollte er nicht auf sich sitzen lassen. Er öffnete den Mund, um zu protestieren, doch Ilse kam ihm zuvor. Mit Schwung drückte sie ihm ein Ende des gewundenen Tannengrüns der Girlande in die Hände, sodass Hans wie auf ein Stichwort hin die Leiter wieder erklomm, um sein Ende hinter der Willkommenstafel und an den Türkanten zu befestigen.

An der einen Ecke der Tür ging alles glatt, doch auf der anderen wollte die Girlande einfach nicht auf dem Nagel bleiben. Immer weiter beugte Hans Reiners sich zur Seite, bis die Leiter kippte. Ein heftiger Schreck durchfuhr ihn, und das Blut schoss ihm siedend heiß in den Kopf, während er instinktiv mit beiden Händen nach dem Türrahmen griff.

Gleichzeitig umfasste Ilse geistesgegenwärtig die Leiter und drückte mit aller Kraft die schwankende Seitenstrebe auf den Boden zurück.

Hans Reiners stieß, als er das Gleichgewicht wieder erlangt hatte, keuchend den Atem aus und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Das war gerade noch einmal gut gegangen. Aber verdammt knapp war es trotzdem gewesen!

Ein leichter Schwindel befiel den Reiners-Bauer, als er nach unten auf das Pflaster des Hofeingangs sah.

Zwar fühlte er sich eine gute Woche vor seinem fünfzigsten Geburtstag immer noch wie ein Mann in den allerbesten Jahren, aber der kleine Zwischenfall hatte ihm wieder einmal bewusst gemacht, dass die Jahrzehnte doch nicht vollkommen spurlos an ihm vorübergegangen waren. Auch ein noch so strammer Fünfziger war eben leider keine zwanzig mehr!

»So pass doch auf, Hans!«, vernahm er in diesem Moment die ebenso erschrocken wie besorgt klingende Stimme seiner Frau von unten. »Es hätte net viel gefehlt, und du wärst von der Leiter gefallen. Zwei Meter fünfzig sind allemal hoch genug, um sich ein paar Rippen, oder wenn es dumm kommt, sogar das Genick zu brechen!«

Hans Reiners’ Herz begann beim Gedanken an die Gefahr, der er entronnen war, von Neuem heftig zu pochen, und wieder bildeten sich Schweißperlen auf der Stirn des Bauern.

»Ich und von der Leiter fallen. Dass ich net lache! So ein Blödsinn kommt auch bloß dir in den Sinn, Ilse«, rief er trotzig zurück. »Da hätte ich mich schon noch schnell an der Dachrinne festgehalten und wäre daran heruntergekraxelt. Ein alter Bergsteiger wie ich findet immer einen kleinen Vorsprung, an den er sich klammern kann.« Hans Reiners blinzelte seiner Frau zu. »Außerdem hätte sowieso nix passieren können, weil du schon gleich die Leiter festgehalten hast. Die Rolle des Schutzengels steht dir gar net schlecht. Fehlen bloß noch die Flügerln und die langen blonden Locken.«

Ilse Reiners verdrehte die Augen.

»Für deine Sprüche haben wir jetzt keine Zeit, Hans«, mahnte sie, als sie vom St. Johanner Kirchturm den Elf-Uhr-Schlag hörte. »In einer Stunde ist unser Madl da. Und alles muss fertig sein. Nach dem halben Jahr in Kanada wollen wir sie doch noch einmal richtig verwöhnen, ehe sie, wenn der Winter kommt, mit ihrem Scott ganz nach Toronto geht.«

»Daran, dass die Judith uns wieder allein lässt, und diesmal sogar für immer, mag ich gar net denken«, seufzte Hans Reiners.

Mit immer noch ein wenig wackligen Knien stieg er von der Leiter und begutachtete zusammen mit seiner Frau ein letztes Mal die Türdekoration.

»Ich glaub, so kann man es lassen«, sagte er.

Ilse nickte.

»Ich hab’ übrigens bei Pfarrer Trenker schon einmal vorgefühlt wegen einer richtig schönen Bauernhochzeit im Herbst«, schwärmte sie. »Er hat zwar gemeint, man müsste sich in erster Linie nach den Vorstellungen und Wünschen des jungen Paars richten, aber von Haus aus hätte er nix gegen eine Braut im Dirndl und einen Bräutigam im Trachtenanzug. Und auch nix gegen die musikalische Ausgestaltung des Gottesdiensts durch eine Volksmusikgruppe.«

»Unserer Judith würde eine Bauernhochzeit bestimmt auch gefallen«, pflichtete Hans Reiners seiner Frau bei. »Was diesen Scott Barrington betrifft, bin ich mir da allerdings weniger sicher. Wenn unsere Judith und der Wachtler-Florian zusammengefunden hätten, so wie ich mir das immer vorgestellt hab’ …«

»Lass gut sein, Hans«, winkte Ilse ab. »Mir wäre der Florian als Schwiegersohn zwar auch lieber gewesen, aber es hat halt net sollen sein. Die Liebe fällt meistens net da hin, wo man sie gerne haben möchte.« Sie wischte sich ihre Hände an ihrer roten Küchenschürze ab. »Was nützt es über Sachen zu reden, die man doch net ändern kann. Ich schau jetzt lieber nach meiner Schweinshaxen und den Ripperln, damit sie net hart und trocken werden.«

Hans schaute seiner Frau nach, wie sie mit flinken Schritten im Haus verschwand.

Dann klemmte er sich die Leiter unter den Arm und marschierte in Richtung Scheune.

»Wenn das mit dem Anderl net passiert wäre, würde die Welt für uns alle hier auf dem Reiners-Hof vollkommen anders ausschauen«, brummte er in seinen Bart. »Dann bräuchte ich mir keine Sorgen zu machen, wie es einmal auf dem Hof weitergehen soll, wenn ich alt bin und nimmer kann. Ich könnte den Hof meinem Buben, meinem eigenen Fleisch und Blut übergeben. Und alles wär geritzt.«

*

»Geschafft. Der Großstadtdschungel liegt hinter uns. Jetzt ist es nimmer weit bis zum Wachnertal«, verkündete Judith Reiners fröhlich, als sie und Scott Barrington München hinter sich ließen und die Richtung zur Autobahn einschlugen. »Ich bin schon gespannt, ob es daheim immer noch so ausschaut wie vor einem halben Jahr. Oder ob sich net doch einiges verändert hat.«

Scott Barrington musterte seine Verlobte mit einem leicht spöttischen Seitenblick.

»Hast du Angst, dass die Berge nicht mehr am selben Platz stehen?«, feixte er.

Judith überhörte seinen Einwurf.

»Ich hab’ übrigens, während du dich am Münchner Flughafen um unser Gepäck und um den Mietwagen gekümmert hast, auf meinem Handy die Mama angerufen«, erzählte sie unbeirrt weiter. »Damit sie wenigstens ungefähr weiß, wann wir kommen. Und sich net unnütz Sorgen macht.«

Scott Barrington gab keine Antwort, weil er vollauf damit beschäftigt war, in der ihm unbekannten Umgebung nach den richtigen Autobahn-Wegweisern zu suchen.

»Da«, rief Judith plötzlich aus. »Da steht’s. ›Wachnertal‹. Und drunter ›St. Johann‹. Hast du gesehen, Scott?«

Der junge Kanadier nickte kaum merklich. Judiths fieberhafte Aufregung kam ihm seltsam vor.

»So aufgekratzt wie heute warst du während unseres halben Jahrs in Kanada nicht ein einziges Mal«, stellte er fest.

Auf Judiths Züge trat spontan ein leiser Ausdruck schlechten Gewissens, der jedoch schneller wieder verflog, als er gekommen war.

Auf der Suche nach einem Sender mit Volksmusik, begann sie, am Radio herumzudrehen, allerdings zunächst mit wenig Erfolg.

»Bei den Tanzabenden im ›Löwen‹ haben immer die ›Wachnertaler Buam‹ aufgespielt«, erzählte sie, während sie die Sender durchkurbelte. »Das war jedes Mal eine Mordsgaudi. Der Florian und ich haben getanzt bis zum Umfallen. Du musst mich in diesem Sommer unbedingt ein paarmal zum samstäglichen Tanz begleiten. Versprichst du mir das?«

»Aber ja doch«, gab Scott, dem bei dem Namen Florian seltsam eng ums Herz geworden war, zurück. »Ich wüsste nicht, was ich lieber täte, als eine ganze Nacht lang eng umschlungen mit dir zu tanzen.«

Judith lachte.

»Das ist ja eine Überraschung«, hielt sie ihm entgegen. »Ich kann mich jedenfalls net erinnern, bei dir jemals eine besondere Begeisterung fürs Tanzen festgestellt zu haben.«

»Was nicht ist, kann noch werden, sagt man bei euch in Deutschland«, gab er zurück. »Ich werde dich jedenfalls nicht einen ganzen Sommer lang deinen alten Freunden überlassen. Und schon gar nicht diesem Florian. Sonst sterbe ich vor Eifersucht.«

Judith winkte ab, musste sich aber eingestehen, dass sie sich geschmeichelt fühlte. »Und übers Johannisfeuer springen wir auch zusammen, gelt?«, fügte sie hinzu.

»Johannisfeuer? Was ist denn das?«, erkundigte sich Scott neugierig.

»Das Johannisfeuer ist ein alter Brauch bei uns in Bayern«, erklärte Judith ihm. »Es wird, wie der Name schon sagt, am Johannistag, also am 24. Juni, entzündet. In St. Johann wird an diesem Tag ganz besonders ausgelassen gefeiert. Weil ja obendrein noch Kirchweih und, wenn man so will, auch der Namenstag unserer Ortschaft ist.«

Scott nickte.

»Es gibt also eine große Party für das ganze Dorf. Eine Art Mittsommernachtsfeier«, fasste er zusammen. »Und dabei springt man über ein Feuer.«

»Ja«, stimmte Judith zu. »Aber natürlich net alle Einwohner von St. Johann. Sondern vor allem die jungen Leute, die heiraten wollen, hüpfen über die Flammen. Hand in Hand. Und wenn sie es geschafft haben, kann nix und niemand mehr ihrer Liebe etwas anhaben. Dann werden sie glücklich und bleiben zusammen für ein ganzes Leben.«

»Ein schöner Brauch«, fand Scott spontan. »Wir könnten ihn, wenn wir wieder in Toronto sind, dorthin importieren. Und nächstes Jahr im Juni im Garten unseres Hauses ein Johannisfeuer anzünden. Und jede Menge Leute dazu einladen.«

»Warum eigentlich net?«, meinte Judith leichthin, obwohl ihr Scotts Idee weniger gefiel als sie zugeben mochte.

Kanada und ein Brauch aus ihrer Heimat wollten in ihren Augen einfach nicht zusammenpassen.

Sie schwieg eine Weile und betrachtete die Bergwelt, die an den Scheiben des Mietautos vorüberzog.

»Schau, Scott, schau!«, rief sie plötzlich. »Von hier aus sieht man bereits die Zwillingsgipfel von St. Johann. Die Himmelsspitz und die Wintermaid.«

Scott Barrington wandte seinen Blick für einen Moment vom grauen Band der Straße ab.

»Welche von den Gipfeln sind es denn?«, wollte er wissen.

»Es sind die beiden Spitzen, die alle anderen Berge überragen«, erklärte Judith. »Die Zwillingsgipfel sind die höchsten Erhebungen vom ganzen Wachnertal. Und von seiner Umgebung. Bis hinein ins Salzburgische.«

»Sind sie schon einmal bestiegen worden?«, fragte Scott.

Judith nickte.

»Freilich. Aber eine leichte Tour sind die Wahrzeichen von St. Johann net«, gab sie zurück. »Man muss schon ganz schön sportlich und

bergerfahren sein, wenn man sie ohne Gefahr für Leib und Leben bezwingen will. Sebastian Trenker, der Pfarrer von St. Johann, ist bereits ein paar Mal droben gewesen. Und er hat auch schon andere Bergsteiger hinaufgeführt.«

Scott zog die Augenbrauen hoch.

»Euer berühmter Bergpfarrer?«, fragte er nicht ohne einen Hauch von Spott. »Dann kann die Tour allerdings so schwierig auch wieder net sein. Wenn ein Geistlicher da hinaufkommt …«

»Der Bergpfarrer ist net irgendein Geistlicher«, wehrte sich Judith. »So einen wie den Sebastian Trenker gibt es kein zweites Mal weit und breit. Das wirst du schon merken, wenn du ihn erst persönlich kennenlernst.«

Scott sagte nichts mehr.

Aber er nahm sich im Stillen vor, während seines Aufenthalts in St. Johann die Zwillingsgipfel zu besteigen. Wenn Judiths Bergpfarrer wirklich ein derartiges Alpinisten-As war wie sie behauptete, konnte er sich durchaus seiner Führung anvertrauen. Und wenn nicht, gab es in diesem St. Johann und seinen Nachbarorten bestimmt einige Bergführer, die gerne ihn gegen gutes Geld mit nach oben nehmen würden.

Seine Eltern, Verwandten und Freunde in Toronto würden staunen, wenn er bei seiner Heimkehr mit eindrucksvollen Fotos aufwarten konnte, die ihn vor einem Gipfelkreuz zeigten. Oder vor einer steilen, glatten Felswand an einem Seil zwischen Himmel und Erde schwebend.

Auch Judith würde stolz auf ihn sein, dessen war er sich sicher.

Die höchsten Gipfel des Wachnertals zu erklimmen war immerhin etwas ganz anderes als nur auf dem Tanzboden eine gute Figur zu machen wie ihr Jugendfreund Florian.

Gut gelaunt pfiff Scott vor sich hin.

Er staunte nicht schlecht, als er auf einem Richtungsanzeiger am Straßenrand plötzlich »St. Johann, 5 Kilometer« las. Nie und nimmer hätte er gedacht, dass der schon etwas ältlich aussehende Mietwagen so ein flotter Flitzer war.

»Wir sind gleich da. Haben wir das nicht schnell geschafft?«, wandte er sich wieder an Judith. »Allerdings fürchte ich, dass ich von selber nicht mehr auf euren Hof finde. Schließlich war ich erst ein paar Mal ganz kurz euer Gast. Und selbst das ist nun schon wieder eine kleine Ewigkeit her.«

Judith setzte sich im Beifahrersitz zurecht.

»Nach der Ortstafel von St. Johann geht es erst einmal ein Stück geradeaus bis zur Kirche. Und von da …«

Sie verstummte mitten im Satz.

»Und von da?«, hakte Scott nach.

Judith zögerte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf.

»Grad hab’ ich mir überlegt, dass wir eigentlich noch ein bissel Zeit haben«, meinte sie. »Wenn du magst, halten wir bei der Kirche. Du hast sie bei deinen bisherigen Kurzbesuchen noch gar net richtig angeschaut. Und dabei wollen wir doch im Herbst hier in der St. Johannis-Kirche Hochzeit halten.«

Scott nickte Judith zu.

»Das stimmt«, pflichtete er ihr bei. »Eine kleine Besichtigung des Schauplatzes vorab könnte wirklich nicht schaden. Vielleicht treffen wir bei dieser Gelegenheit gleich deinen Bergpfarrer. Auf den bin ich langsam aber sicher richtig gespannt.«

*

Als Judith aus dem Mietwagen kletterte, dehnte und reckte sie sich erst einmal ausgiebig, dann wies sie mit einem leichten Kopfnicken auf die St. Johanner Pfarrkirche.

»Ist sie net schon von außen ein wahres Kleinod?«, fragte sie Scott schwärmerisch.

Doch der ging gar nicht darauf ein, vielmehr richtete er sich plötzlich hoch und gerade auf und machte ein übertrieben feierliches Gesicht.

»Ra-ta ta-tam, ta-ra ta-tam”, brummte er mehr schlecht als recht die Melodie von Mendelssohns Hochzeitsmarsch vor sich hin, während er Judiths Arm nahm und gemessenen Schrittes auf das Kirchenportal zusteuerte.

Judith folgte ihm verblüfft ein paar Meter weit, dann blieb sie stehen und lachte übermütig.

»Du bist doch ein richtiger Kindskopf, Scott«, sagte sie, als sie wieder zu Atem gekommen war und sah sich verstohlen um. »Wenn uns Pfarrer Trenker vom Fenster seines Arbeitszimmers aus zugeschaut hat, muss er denken, dass wir übergeschnappt sind. Irgendwie finde ich das schon ein bissel peinlich.«

Scott blinzelte Judith zu.

»Dein Bergpfarrer hat uns bestimmt nicht gesehen«, beruhigte er sie. »Schon weil er um diese Zeit sicher nicht mehr in seinem Arbeitszimmer sitzt, sondern im Esszimmer vor dem gedeckten Mittagstisch.« Er grinste. »Und außerdem hast du doch immer behauptet, dass er jede Menge Humor hat. Was kann es ihm also ausmachen, wenn wir schon einmal ein wenig üben für unseren großen Tag?«