Kaltes Verhängnis - Irene Rodrian - E-Book

Kaltes Verhängnis E-Book

Irene Rodrian

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Beschreibung

1000 Seiten spannungsgeladene Krimi-Unterhaltung: Der Sammelband »Kaltes Verhängnis« von Irene Rodrian jetzt als eBook bei dotbooks. Fünf aufregende Krimi-Klassiker – fünffacher Nervenkitzel! St. Pauli, in den 60er Jahren: Als Kleinganove Paul nach zwei Jahren im Knast endlich entlassen wird, hat er nur eines im Sinn: Rache an seinen ehemaligen Kumpanen, die ihn damals verraten haben … Der brave Angestellte Theo dagegen hat bisher eine weiße Weste – doch dann stößt er im Büro auf eine Leiche und wird auch noch vom Chef beauftragt, sie verschwinden zu lassen … Ob Intrigen in der Geschäftswelt, Mord im Urlaubsparadies oder schleichende Gefahren in der eigenen Familie: Auf immer neue Art geraten Halunken und Unschuldige unter Verdacht – doch werden sie den Spieß umdrehen können oder wird ihnen das Verbrechen zum Verhängnis? Als erste deutsche Autorin von Kriminalromanen hat Irene Rodrian Krimigeschichte geschrieben – lesen Sie jetzt ihre preisgekrönten Klassiker im Sammelband »Kaltes Verhängnis«! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Sammelband »Kaltes Verhängnis« von Irene Rodrian enthält die Krimis »Tod in St. Pauli«, »Bis morgen, Mörder«, »Wer barfuß über Scherben geht«, »Finderlohn«, »Küsschen für den Totengräber«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 1170

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Über dieses Buch:

Fünf aufregende Krimi-Klassiker – fünffacher Nervenkitzel! St. Pauli, in den 60er Jahren: Als Kleinganove Paul nach zwei Jahren im Knast endlich entlassen wird, hat er nur eines im Sinn: Rache an seinen ehemaligen Kumpanen, die ihn damals verraten haben … Der brave Angestellte Theo dagegen hat bisher eine weiße Weste – doch dann stößt er im Büro auf eine Leiche und wird auch noch vom Chef beauftragt, sie verschwinden zu lassen … Ob Intrigen in der Geschäftswelt, Mord im Urlaubsparadies oder schleichende Gefahren in der eigenen Familie: Auf immer neue Art geraten Halunken und Unschuldige unter Verdacht – doch werden sie den Spieß umdrehen können oder wird ihnen das Verbrechen zum Verhängnis?

Als erste deutsche Autorin von Kriminalromanen hat Irene Rodrian Krimigeschichte geschrieben – lesen Sie jetzt ihre preisgekrönten Klassiker im Sammelband »Kaltes Verhängnis«!

Über die Autorin:

Irene Rodrian, 1937 in Berlin geboren, wurde u. a. mit dem Edgar-Wallace-Preis für Kriminalliteratur ausgezeichnet. Seither hat sie sich mit zahlreichen Bestsellern in einer Gesamtauflage von über zwei Millionen und als Drehbuchautorin (»Tatort«, »Ein Fall für Zwei«) einen Namen gemacht. Irene Rodrian lebt heute in München.

Bei dotbooks erschienen bereits Irene Rodrians Barcelona-Krimis über das Ermittlerinnen-Team Llimona 5 »Schöner sterben in Barcelona«, »Das dunkle Netz von Barcelona«, »Lautlos morden in Barcelona« und »Die Schatten von Barcelona« sowie die Reihe »Krimi-Klassiker«, die folgende Bände umfasst: »Tod in St. Pauli«, »Bis morgen, Mörder«, »Wer barfuß über Scherben geht«, »Finderlohn«, »Küsschen für den Totengräber«, »Die netten Mörder von Schwabing«, »Ein bisschen Föhn und du bist tot«, »Du lebst auf Zeit am Zuckerhut«, »Der Tod hat hitzefrei«, »… trägt Anstaltskleidung und ist bewaffnet«, »Das Mädchen mit dem Engelsgesicht«, »Vielliebchen«, »Handgreiflich«, »Schlagschatten«, »Über die Klippen«, »Bei geschlossenen Vorhängen«, »Strandgrab« und »Friss, Vogel, oder stirb«.

Die Webseiten der Autorin:

www.llimona5.com

www.irenerodrian.de

Die Autorin im Internet: www.facebook.com/irene.rodrian

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Sammelband-Originalausgabe Februar 2022

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Vewendung von AdobeStock/mantvydasd

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96655-326-1

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Liebe Leserin, lieber Leser, in diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

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Irene Rodrian

Kaltes Verhängnis

Fünf Krimi-Klassiker in einem eBook

dotbooks.

Tod in St. Pauli

St. Pauli, Ende der 1960er-Jahre: Zwei Jahre Knast sind keine Kleinigkeit. Und wenn Paul bedenkt, dass er die nur absitzen musste, weil die anderen ihn reingelegt haben … Er hat trotzdem dichtgehalten. Er hat seine Bande nicht verpfiffen. Aber er hat Rache geschworen.

Heute ist er aus dem Gefängnis entlassen worden. Zusammen mit der schönen Susann will er das ganz große Ding drehen, doch er hat nicht nur die Polizei auf den Fersen, sondern auch seine ehemaligen Kumpane …

Die Hauptpersonen

PAUL PETERSENwill unbedingt etwas zurückzahlen.

SUSANN HONTARmuß am Ende draufzahlen.

FRANZ OTTmöchte, daß es sich endlich auszahlt.

ALFRED KODELLsollte dringend etwas einzahlen.

FRED, HARALD, WALTER, BERTIEbeginnen erst mal mit einer Anzahlung.

ERNST KULMHOFist vermutlich unterbezahlt.

Kapitel 1

Richtig bewußt wurde es ihm erst, als er stolperte und gestürzt wäre, wenn ihn der Fremde nicht gepackt und hochgerissen hätte. Er blieb steif und unbeweglich stehen, während der andere den Koffer aufhob, das ausgeleierte Schnappschloß wieder zudrückte und ihn ihm reichte.

Er war wütend. Wütend auf den Mann, der ihm seinen verdammten Pappkoffer aufheben mußte und ihn stützte, nur weil er selbst anscheinend nicht einmal mehr von der Straßenbahn abspringen konnte. Ohne ein Wort zu sagen, wandte er sich ab und ging die Reeperbahn hinauf, über der die Mittagshitze wie eine flimmernde Gallertmasse lag. Seine Hand umklammerte den Koffergriff. Er wunderte sich, daß er das kantige Metall zwischen seinen Fingern spürte und daß er plötzlich das Rumpeln der Straßenbahn hören konnte, die hinter ihm auf der Schleife umkehrte und zurückfuhr. Er atmete tief ein. Zwischen den Häusern hing ein Gemisch von Auspuffgasen, Staub und kaltem Bierdunst.

Obwohl ihm vor Hunger und Hitze schwindlig wurde, ging er nicht in den Schatten, sondern blieb in der grellen Sonne und starrte auf den Jungen, der in dem Schaufenster zu stehen schien und den gleichen Koffer aus Preßpappe in der Hand hielt wie er. Er hob den Arm etwas an, der Junge im Fenster machte es genauso. Der Jackenärmel rutschte zurück und zeigte die verknautschte Manschette eines gestreiften Hemdes. Blau, grün und grau; vor zwei Jahren hatte es ihm gefallen, jetzt fand er, daß es wie eine Pyjamajacke aussah. Er ließ den Arm wieder sinken und sah mißmutig zu, wie der Junge im Fenster ihm die Bewegung nachmachte.

Alles war gleich. Die verstaubten Schuhe mit den überspitzen Kappen, dieser lächerliche Fetzen von einem Kaufhausanzug, der Koffer und sicher auch die Sachen in dem Koffer: ein Pullover aus Schafwolle, Wäsche, zwei Bücher – das Strafgesetzbuch und ein Lehrbuch für Elektrotechnik – und das Geld. 178 Deutsche Mark und 50 Pfennig für zehn Monate Vorhanghakenzusammensetzen und elf Monate Arbeit in der Lehrwerkstatt.

Nur das Gesicht war nicht gleich. Wenn er tatsächlich eine so dürftige Visage mit eingefallenen Backen hatte, konnte er sich gleich einen Strick besorgen. Grau und kümmerlich und wie zu dem Anzug dazugekauft … Er wandte sich ab; der Junge im Fenster verschwand.

Zwei Mopeds knatterten an ihm vorbei und wurden vom Bus überholt. Eine Fahrradklingel schrillte, und vom Hafen kam das Tuten der Dampfer und das Kreischen der Dockkräne herauf.

An der nächsten Ecke blieb er stehen. Die Fehrstraße lag wie ausgestorben vor ihm. Eine Frau lehnte an der Fußgängerampel und stierte ausdruckslos vor sich hin. Die Schminke in ihrem Gesicht war verschwitzt und verwischt, die Haare hingen ihr wie graue, aufgetrennte Wollfäden ins Gesicht. Als er an ihr vorbeiging, hob sie müde den Kopf und sah durch ihn hindurch.

Über der Kneipe war ein neues Neonschild. Der Schriftzug der Hamburger Schloßbrauerei, der Name: ZUM HELGOLÄNDER, und klein darunter: Inhaber Franz Ott.

Der Geruch von ranzigem Fett, kaltem Rauch und verschüttetem Bier drang intensiv aus der Tür, die durch einen schrägstehenden Hocker offengehalten wurde.

Langsam ging er hinein. Die Stühle hingen noch auf den Tischen; der Boden war feucht, und in einer Ecke stand ein halbvoller Eimer mit Zigarettenkippen.

Hinter der Theke stand Franz und wusch Gläser ab. Er war so fett wie eh und je.

»Wir haben erst ab vier Uhr offen!« sagte er, dann erkannte er ihn. »Paul, Junge! Du bist es wirklich … Du hast dich verändert!«

»Gib mir was zu essen.«

»Paul! Na so was, Paul … Ja, zwei Jahre sind eine Menge Zeit in deinem Alter. Aber ich finde, es steht dir gar nicht so schlecht – siehst männlicher aus, direkt erwachsen …« Franz brach unbeholfen ab und hielt ein Bierglas gegen das Licht.

Paul sah ihn an. »Brot«, sagte er und setzte den Pappkoffer ab, »viel Fleisch und eine Flasche – eine Flasche Bier!« Er atmete tief durch und empfand den abgestandenen Biermief plötzlich als angenehm. »Kleine Abmagerungskur könnte dir auch nichts schaden!« fügte er hinzu und grinste.

Franz lachte lautlos in sich hinein. »Willst du hier essen?«

Paul schüttelte den Kopf. »Ich muß mich waschen, diese stinkenden Klamotten loswerden … Pack mir die Sachen ein!«

Franz ging hinaus, und Paul wartete. Als Franz ihm das fettige Päckchen auf die Theke legte, nahm er eine Handvoll Münzen aus der Tasche.

»Steck das Geld weg!« sagte Franz. »Ist ein Geschenk des Hauses. Ich hab dir auch Zigaretten reingetan.«

»Ich rauche nicht.« Paul legte ein Fünfmarkstück auf das matte Metall. »Du sollst dein Geld behalten!« knurrte Franz und fuhr mit dem Wischlappen drum herum.

Paul schwieg.

Franz hatte sich nicht verändert. Es war nicht nur der Bauch, alles war gleich geblieben. Das rosige Mondgesicht, die buschigen Augenbrauen, die Augen, die so dunkel waren, daß sie fast schwarz wirkten, und das dünne, weißblonde Haar. Oder war es grau?

»Nein; ich bezahle, was ich bekomme!« sagte Paul knapp. »Bin das so gewohnt.« Er nahm das Päckchen und griff nach dem Koffer, um zu gehen.

»Paul, warte mal!« Franz räusperte sich.

Paul blieb stehen. »ja?«

»Was hast du denn jetzt vor, Paul?«

»Wie meinst du das?«

»Du bist jetzt raus. Natürlich, es war nicht leicht, aber willst du … Ich meine, was willst du jetzt anfangen?«

»Ich werde mir ein Zimmer suchen.« Paul lächelte schief.

Franz griff unter seine grüne Schürze und holte einen Schlüssel aus der Hosentasche. Er hielt ihn über die Theke. »Es ist dein altes Zimmer im Nachbarhaus. Ich habe die Miete für einen Monat bezahlt.«

Paul sah den Schlüssel an, dann Franz. Unmerklich schüttelte er den Kopf, aber seine Hand streckte sich wie ein selbständiges Wesen nach dem Schlüssel aus. »Ich habe etwas Geld; ich werd es dir zurückzahlen.«

»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Was willst du tun?«

»Die Rechnung begleichen.«

»Paul!«

»Die Rechnung für zwei Jahre begleichen. Dann sehen wir weiter.«

Er war schon an der Tür, als Franz sagte:

»Sie waren in der letzten Zeit dauernd hier und haben nach dir gefragt. Fred und Harald. Gestern sind sie nicht gekommen.«

Paul blieb stehen, ohne sich umzudrehen.

Die Stimme von Franz wurde zum Flüstern: »Paul, sie wissen, daß du heute kommst!«

Kapitel 2

Paul zwang sich weiterzugehen. Hinaus auf die helle, heiße Straße, die mit einem Mal etwas Drohendes bekommen hatte.

Es ist noch zu früh, dachte er. Ich brauche noch Zeit, ich will erst mal essen … Er wußte, daß er nicht das Essen meinte, aber er wollte sich nicht eingestehen, daß er Angst hatte.

Am Randstein stand der klapprige Lieferwagen von Franz. Dahinter parkte ein schwarzer VW. Sonst war die Straße leer.

Im Treppenhaus war es kühl und dunkel, und der Geruch von Bohnerwachs, Chlor, Zwiebeln und Kohl war der gleiche wie in den zwei Jahren.

Paul schaute auf den Schlüssel in seiner Hand. Das alte Zimmer … Morgen würde er sich ein anderes suchen. Nur heute war es gut, hier zu bleiben, als Anfang. Er schob den Schlüssel in das Schlüsselloch und versuchte ihn nach links zu drehen.

Die Tür war nicht abgeschlossen.

Noch hätte er Zeit gehabt, umzukehren und die Treppe hinunterzulaufen. Er blieb stehen, legte die Hand auf die Klinke und drückte die Tür auf. Sofort zog sich sein Magen zu einer kleinen Metallkugel zusammen.

Sie waren zu viert.

Harald, Fred und noch zwei, die er nicht kannte.

Paul ließ die Tür los und machte noch zwei Schritte in das Zimmer hinein. Wie eine automatische Kamera registrierte er alle Einzelheiten der Einrichtung. Den Schrank mit dem halbblinden Spiegel und den breiten Schubladen, den Waschtisch, das eiserne Bettgestell, den durchgetretenen Teppich, das schmale, grauverstaubte Fenster.

Kein großer Unterschied, auch wenn kein Gitter davor ist, dachte er und wurde ruhiger.

Die beiden Neuen standen im Hintergrund an der Wand und starrten ihn neugierig an. Sie waren nervös und sprungbereit. Fred und Harald dagegen schienen ihn gar nicht zu bemerken. Sie hatten sich auf das Bett geflegelt und rauchten. Der Boden war mit zertretenen Kippen bedeckt.

Paul legte das Paket mit dem Essen auf den Waschtisch und stellte den Koffer neben den Schrank.

»Mach doch die Tür zu, dann ist es gemütlicher«, sagte Harald.

Paul drehte sich nicht zu den beiden um. »Ihr könnt sie zumachen, wenn ihr geht!« Er wickelte das Pergamentpapier auf und sah unsicher auf die Bierbüchsen.

»Der Junge hat sogar was zu trinken!« sagte Fred leise. Die Bettfedern knirschten, als er aufstand und zur Tür hinüberging, um sie zu schließen.

Paul spürte, wie er zurückkam und dicht hinter ihm stehenblieb. Er hörte das Schnappen des aufspringenden Messers; das Geräusch war ihm immer noch vertraut, obwohl er es so lange nicht mehr gehört hatte. Er drehte sich um und sah auf die Klinge hinunter, die ein Stück von Freds Faust zu sein schien.

»Ich dachte mir, du brauchst vielleicht einen Büchsenöffner«, sagte Fred. Er hielt die Messerschneide nach oben, die Spitze auf Pauls Bauch gerichtet.

»Ich brauche keinen!« Pauls Stimme war heiser.

Fred lachte. »Hast du das gehört, Harald?«

Harald richtete sich grinsend auf und trat seine Zigarette aus. Paul sah, daß Harald inzwischen Fett angesetzt hatte. Seine enge Hose spannte sich um den Bauch, das schillernde Seidenhemd war verrutscht und sah aus wie eine schlecht genähte Fußballhülle. Außerdem hatte Harald jetzt ein Doppelkinn: zwei nach unten gewölbte Kissen; dicke Lippen, graue Porzellanaugen und schwarzes Haar, das wie Putzwolle abstand …

Der große Harald! Er sah wieder auf das Messer von Fred. Er wollte grinsen, aber seine Gesichtsmuskeln gehorchten ihm nicht.

Fred war noch nicht fett. Er würde nie fett werden. Er war auch nicht dürr. Er war groß, mit Muskeln bepackt, und er hatte ein Messer.

Plötzlich spürte Paul den Hunger wie einen stechenden Schmerz. Er riß mit einem hastigen Ruck das Papier auseinander. Franz hatte ihm ein großes Stück Kasseler Rippchen eingepackt; Paul nahm es heraus und öffnete den Mund, um hineinzubeißen.

Freds Hand fuhr hoch. Paul spürte nur einen leichten Schlag – das rosige Fleischstück saß auf der Messerspitze und wurde mit einer leicht kreisenden Bewegung zu Harald hinübergeschleudert. Harald fing es auf und riß mit den Zähnen das Fleisch vom Knochen wie ein Hund. Paul hörte das Schmatzen und sah das Fett auf Haralds Lippen.

Freds Hand mit dem Messer schoß wieder nach vorn, fuhr unter das Papier und kam mit einem Stück Käse zurück. Es war ein goldgelber Streifen Schweizerkäse, der nicht ganz fest auf der Messerspitze saß, aber gleich aus der Drehung heraus zu Harald flog und aufgefangen wurde.

Paul schluckte, öffnete den Mund und schloß ihn wieder, ohne etwas zu sagen.

Die beiden Neuen hatten sich die ganze Zeit über nicht bewegt. Sie standen wie Marionetten an der Wand und beobachteten Fred und Harald. Der Größere hatte einen gekräuselten Bart, trug abgewetzte Bluejeans und einen schwarzen Rollkragenpullover. Der Kleinere mit den hellen Haaren hatte eine neue Westernkombination aus schwarzem Kunstleder mit Nickelnieten an. Einen Augenblick lang glaubte Paul, sich selbst dort stehen zu sehen – oder den, der er vor zwei Jahren gewesen war.

Freds Gesicht war völlig ausdruckslos, als er das Messer auf die Bierdose springen ließ und wieder herausriß. Er setzte die Büchse an den Mund und trank. Der Adamsapfel hüpfte auf und ab, die Hand mit dem Messer hing untätig herunter … Fred sah gut aus. Er hatte ein glattes, gleichmäßiges Gesicht, hellblaue Augen, dichte braune Haare und trug einen cremefarbenen Anzug, der mindestens vierhundert gekostet hatte. Die schwarzbraune Krawatte hatte einen Mittelstreifen genau in der Farbe des Anzugs.

Paul dachte an seinen eigenen Anzug, an das alberne Pyjamahemd. Er riß Fred die Bierdose plötzlich aus der Hand und schleuderte sie gegen die Wand; das Bier hinterließ eine Straße von gelben Spritzern auf der Tapete, bevor die Dose auf den Boden schepperte.

»Haut ab! Alle zusammen! Endgültig, kapiert? Ich habe die Nase voll!« Pauls Stimme wurde lauter, und er erkannte wütend, daß sie nahe dran war, sich zu überschlagen.

Fred sah ihn aufmerksam an. Harald schob sich auf die andere Seite; den abgenagten Knochen hielt er noch immer in der Hand.

»Macht, daß ihr wegkommt! Ich will allein sein!« schrie Paul; seine Stimme zitterte, und er brach ab.

»Er ist nicht sehr gastfreundlich«, sagte Harald leise und legte den Knochen sorgfältig auf die Kante des Waschtisches.

Fred ließ mit einer leichten Aufwärtsbewegung das Messer zurück in das Heft gleiten, und Paul dachte eine Sekunde lang, sie wollten wirklich gehen. Sogar als die Faust von Harald hochschnellte, glaubte er zuerst, Harald wollte ihm die Hand geben.

Der Schmerz traf ihn überraschend, und es schien ihm, als würde es Stunden dauern, bis er ihn als Schmerz erkannte. Dann bückte er sich, um dem zweiten Schlag zu entgehen, aber Fred packte ihn bei den Schultern, und Haralds Faust riß ihn wieder hoch.

Paul hob das rechte Bein und stieß zu. Harald taumelte zurück, und Paul trat noch einmal, aber Fred war zu schnell für ihn. Paul fühlte, wie etwas auf seinem Kopf explodierte, spürte auf der Zunge den Geschmack von Eisen und sah, wie der mit Zigarettenstummeln bedeckte Boden auf ihn zukam.

»Laß ihn jetzt!« sagte die Stimme von Fred. »Für den Anfang reicht es.«

Paul schloß die Augen. Aber er hörte nicht, daß sich ihre Schritte entfernten. Als er die Augen wieder aufmachte, standen sie über ihm. Er sah ihre Schuhe und die Hosenbeine deutlich vor sich; alles andere verschwamm im Nebel.

»Das war für die Rache«, sagte Harald, und Fred ergänzte: »Du wolltest dich doch an uns rächen, oder?«

Paul schluckte den Metallgeschmack hinunter. Freds Stimme war mit einem Mal sehr nah: »Hattest du dir schon einen Plan ausgedacht? Dann laß ihn fallen, aber schnell!«

Paul kämpfte gegen das leere Würgen in seinem Magen. Er stemmte sich auf die Ellbogen hoch und schob sich etwas von den vier Beinen weg.

Harald lachte. »Und du bekommst noch einmal die doppelte Portion, wenn du Mätzchen machst!«

»Haut ab!« wollte Paul sagen, aber er brachte nur ein Krächzen heraus. Fred beugte sich über ihn. »Mit Mätzchen meint Harald ‹singen›, verstanden?«

»Wieso?« Paul hustete etwas. »Wieso habt ihr plötzlich Angst, ich könnte singen?«

»Wir haben keine Angst. Es war ein Ratschlag unter Freunden.«

Paul versuchte, das Gesicht von Fred zu erkennen, aber es blieb verschwommen. Er sprach in die helle Fläche hinein: »Ich bin zwei Jahre im Bau gewesen. Für eine Sache, die ihr gemacht habt. Warum sollte ich jetzt singen?«

»Das will ich dir sagen.«

Fred richtete sich auf und wich etwas zurück, und plötzlich konnte Paul sein Gesicht deutlich sehen. Winzig klein und unendlich weit weg, aber sehr scharf, wie durch ein umgekehrtes Fernglas. Die Stimme war weich und einschmeichelnd.

»Weil du es anders nicht schaffst … Natürlich wirst du zuerst versuchen, uns so oder so zu schaden oder uns eins auszuwischen. Falls dann noch etwas von dir übrig sein sollte, würdest du garantiert zur Polizei rennen. Nicht, daß sie dir glauben würden, aber wir lieben nun mal Sänger nicht, und auch keine Nachtigallen. Wir denken daran, wie du damals, lange nach deiner Verhandlung, plötzlich gesungen hast und nicht mehr der einzige gewesen sein wolltest!«

Fred griff in die Tasche, holte ein flaches, goldglänzendes Zigarettenetui heraus und ließ es spielerisch von einer Hand in die andere gleiten. »Das hat dich wohl umgehauen, als du dein Urteil gehört hast, wie? Als sie sich nicht um deine siebzehn Jahre gekümmert haben. Totschlag. Du hast den starken Max so echt gespielt, daß dir später kein Mensch glauben wollte. Ich kann’s verstehen. Aber keine Angst, mein Junge. Diesmal wird es gar nicht soweit kommen!«

Paul schloß die Augen, doch Fred redete weiter.

»Wir werden dir beweisen, daß du heute noch dasselbe Würstchen bist wie vor zwei Jahren. Ein Nichts! Nächste Woche steigt ein Ding, und du machst mit. Du wirst mit dabeisein, und du wirst das Maul halten. Nun, schon neugierig?«

»Nein!« stieß Paul hervor.

Harald hob einen Fuß, aber Fred legte ihm eine Hand auf den Arm und ließ das Zigarettenetui wieder in die Tasche rutschen.

»Du hast einen Tag Zeit, Paul. Aber viele Möglichkeiten gibt es nicht. Mit uns oder gegen uns. Sonst nichts. Und gegen uns zu sein, bedeutet für dich nichts Gutes, das kannst du mir glauben.«

»Verschwindet!« brüllte Paul. Er erhob sich halb und stützte sich mit den Schultern gegen den Schrank.

Fred spreizte die Finger seiner rechten Hand. »Ich warne dich; wir sind ziemlich groß geworden. Größer, als du es dir vorstellen kannst!«

Paul spuckte vor Freds Füße und sah mit einer gewissen Befriedigung, daß es Blut war. »Nein, nicht mit euch. Ihr glaubt wohl, ich würde euch noch einmal trauen? Verlaß dich auf keinen, das habe ich gelernt!«

Harald lachte brüllend und ahmte ihn nach: »Verlaß dich auf keinen! Genau das sagen wir uns auch!«

Paul konnte nicht mehr ausweichen. Sie stürzten sich wieder auf ihn und arbeiteten unbeteiligt und systematisch wie ferngesteuerte Maschinen.

Kapitel 3

Als Paul wieder zu sich kam, war es dunkel. Er wälzte sich auf die Seite und starrte in die trübe Dämmerung seines Zimmers, das alle drei Sekunden durch ein aufflammendes Neonlicht von der Straße her in helles Rot getaucht wurde.

Er war allein.

Nach und nach zog er sich an der Schrankwand hoch und wankte zum Waschtisch. Er beugte sich über die Waschschüssel mit lauwarmem Wasser und legte sein Gesicht hinein.

Wenigstens bin ich wieder hier, dachte er und richtete sich auf. Er ging zur Tür, knipste das Deckenlicht an und wartete, bis seine Augen nicht mehr brannten. Im Spiegel der linken Schranktür sah er ein Gesicht, das er nicht kannte. Lang und schmal, mit umränderten Augen, staubigem schwarzem Haar, einem Riß an der Stirn und einem geschwollenen Kinn, das sich schon leicht verfärbte. Er ging ganz nah an den Spiegel hin, aber das Gesicht blieb ihm fremd.

Er begann sich auszuziehen und die Schrammen und Platzwunden an seinem Körper zu untersuchen. Er vermied es, noch einmal in den Spiegel zu schauen und zog die Schubladen auf. Er fand Handtücher, Verbandzeug, Rasier- und Waschkram und etwas frische Wäsche. Franz hatte an alles gedacht.

Paul seifte sich ab, rieb sich flüchtig trocken und klebte sich Pflaster auf, ohne recht hinzuschauen. Dann zog er ein frisches Hemd an und die verdrückten Anzughosen.

Einen Augenblick lang blieb er unschlüssig stehen, hockte sich dann vor den Koffer und ließ den Deckel zurückklappen. Er holte den dicken Pullover heraus und zog ihn trotz der Hitze über.

Das braune Geldkuvert sah mit einer Ecke aus der Seitentasche heraus. Er nahm es und fuhr mit dem Zeigefinger unter die Klappe.

Das Geld war fort.

Langsam und sehr sorgfältig riß er das Papier in kleine Fetzen. Er hätte gern geweint. Oder wäre gern wütend gewesen.

Nichts. Nur Hunger, Müdigkeit und das dumpfe Pochen in seiner linken Kinnseite.

Er stand auf, faßte nach den paar Münzen in seiner Hosentasche und ließ sie durch die Finger klimpern, ohne sie herauszuholen. Mit der Fußspitze schlug er den Deckel zu, stieg über den Koffer und ging hinaus.

Im Treppenhaus schlug ihm der donnernde Lärm eines Fußballspiels entgegen. Er blieb im Parterre vor der letzten Tür stehen und drückte auf den Klingelknopf über dem Kupferschildchen Heinrich Martens – Hausmeister.

Das einzige Geräusch, das ihm antwortete, war die erregte Stimme des Sportreporters und das hysterische Aufschreien der Zuschauermenge. Paul läutete ein zweites Mal. Diesmal lang und anhaltend.

Die Tür wurde so heftig aufgerissen, daß er erschrak. Zusammen mit der Lärmwelle kam eine Männerstimme:

»Verdammt, was ist denn jetzt schon wieder?«

»Guten Abend, Martens«, sagte Paul.

Der andere beugte sich weiter vor, machte den Mund auf und wich dann plötzlich zurück.

»Paul!« flüsterte er.

Paul nickte schweigend. Martens sah ihn an. Hinter ihm, in der hellerleuchteten Wohnung, brüllte eine Menschenmenge aus dem Fernsehapparat.

»Komm rein«, sagte Martens und ging in seine Wohnung. Er blieb vor dem flimmernden Kasten stehen, zögerte kurz und schaltete dann den Ton ab.

»Tut mir leid, daß ich Sie bei der Fußballübertragung störe!« sagte Paul und schloß die Tür hinter sich.

Martens lachte nervös und schlurfte durch das Zimmer, ohne dabei die blaue Mattscheibe aus den Augen zu lassen, auf der die bleistiftgroßen Fußballer jetzt wie lautlose Phantome über den Platz jagten. Vor der zweiten Tür blieb Martens stehen.

»Willst du ein Bier?«

Paul schwieg. Martens war nicht der alte Mann aus seiner Erinnerung. Sie hatten ihn Opa Martens genannt, aber er war höchstens sechzig. Kahlköpfig und gebeugt, aber muskulös und zäh, und mit einem gebrochenen Nasenbein aus seiner Zeit als Berufsboxer. Martens wiederholte die Frage.

Paul schüttelte den Kopf. »Ich möchte nur eine Auskunft.«

»Mein Gott, Junge, du bist gewachsen!« stotterte Martens unbeholfen und kam in den Wohnraum zurück. »Ich muß fast Sie zu dir sagen, wie Herr Petersen?«

»Mich interessiert nur, wer so genau wußte, daß ich heute komme und daß ich wieder hier wohnen werde!« Paul preßte die Kiefer zusammen, um nichts mehr zu sagen.

»Wer es wußte?« Martens ließ sich schwer in einen mit geblümtem Stoff bezogenen Sessel sinken. »Ich wußte es.« Er sah gebannt auf den Bildschirm.

»Von wem?«

»Nun, Franz hat dein Zimmer bezahlt und dir ein paar Kleinigkeiten raufgelegt …«

»Ich weiß. Ich mußte einen Namen angeben, sonst hätte mir der Bewährungshelfer ein Zimmer besorgt. Franz meine ich nicht. Wer wußte es noch?«

Martens schaute an Paul vorbei und ruckte plötzlich nach vorn, auf den Fernsehapparat zu. Er blinzelte und streckte die Hand aus, um den Tonknopf zu erreichen. »Sah eben aus wie ein Tor!« murmelte er.

Paul machte einen langen Schritt und bückte sich. Er drehte zuerst nach der falschen Seite, der Lärm jaulte auf und starb dann mit einem dünnen Surren. Das Bild zog sich zu einem silbernen Strich zusammen und verschwand. Paul lehnte sich gegen den Apparat und sah Martens an.

Martens fixierte die blinde Glasscheibe weiter. Seine wuchtigen Schultern waren nach vorn gesunken. »In den letzten zwei Jahren hat sich einiges hier verändert«, sagte er leise.

Paul lachte auf, aber es klang, als würde er husten. »Ich habe es gesehen. Ein gutes Dutzend neuer Kneipen, ziemlich dicke Läden zum Teil.«

»Das mein ich jetzt nicht. Die Jungen. Sie sind groß geworden. Sie haben sich zusammengeschlossen.«

Martens kahler Kopf schimmerte im Licht der Wandlampe. Paul hätte sich gern in den zweiten Sessel gesetzt und den Fernseher wieder eingeschaltet.

»Das verstehe ich nicht.«

»Ich verstehe es selber nicht«, sagte Martens müde. »Ich hätte nicht gedacht, daß so etwas hier möglich ist, aber irgendwie haben sie es geschafft. Sie haben Geld und sind nach außen hin ruhiger geworden. Aber das täuscht. Sie sind rücksichtslos und schrecken vor nichts zurück. Irgend jemand hält sie zusammen, und sie haben das ganze Viertel in der Hand … Jedenfalls läuft es darauf hinaus.«

»Ein richtiges kleines Syndikat?« Paul zog grinsend die Augenbrauen hoch.

»Es ist kein Witz. Sie kontrollieren die Bars und Nachtlokale. Du kennst dich ja aus. Du weißt über die Geschäfte Bescheid, die nebenbei blühen. Wenn du mitmachen willst, mußt du sie beteiligen – oder sie machen dich fertig. Organisierte Schlägereien, anonyme Anrufe bei der Polizei und noch einiges mehr.«

»Keiner wehrt sich dagegen?«

»Jetzt nicht mehr. Es hat sich eingependelt. Sie setzen schon die richtigen Leute unter Druck. Diejenigen, die es sich nicht leisten können, zur Polizei zu gehen.«

Paul sah ihn nachdenklich an. »Sie auch?«

Martens schwieg.

»Also Sie auch! Bringen denn die vier schäbigen Stundenzimmer im ersten Stock genug ein, um die Beteiligung zu zahlen?« Paul hatte es bissig sagen wollen, aber es klang wie eine teilnahmsvolle Frage.

Martens löste den Blick von der Mattscheibe und sah Paul an.

»Hör zu, Junge, du mußt dich raushalten. Verschwinde von hier! Franz wird dir helfen. Oder ich … Brauchst du Geld?« Martens sprang eifrig auf.

Paul winkte ab: »Nein, bemühen Sie sich nicht. Ich möchte nur eine Antwort auf meine Frage.«

»Ja, Paul, sie waren hier. Sie haben mich gefragt, ob dein Zimmer frei ist, oder wer die Miete dafür bezahlt und ab wann. Paul, ich konnte doch nicht …« Martens hob hilflos die Schultern.

Paul war schon an der Tür. Als er sie hinter sich schloß, brandete wieder der Lärm des Fußballplatzes auf.

Kapitel 4

Die Kneipe von Franz war jetzt ziemlich voll. Sie hockten wie die Hühner an der Bar oder an den Tischen, alles Leute aus der Straße, und tranken ihr Bier und ihren Klaren.

Paul blieb unschlüssig an der Tür stehen. Niemand sah zu ihm hin; zwischen den Tischen hindurch ging er nach hinten zur Bartheke. Vielleicht erkannten sie ihn nicht, vielleicht hatten sie ihn überhaupt schon vergessen. Vielleicht wollten sie auch nichts mit ihm zu tun haben.

Paul schob sich auf einen freien Hocker und lehnte sich auf die Messingkante. Franz stand am Bierhahn. Als er Paul sah, schäumte das Bier über seine Hand. Franz stellte das nasse Glas vor einen Gast hin und kam zu Paul. Fragend hob er die Augenbrauen.

»Etwas zu essen«, sagte Paul, »und Bier. Wenn es geht, aus der Flasche.«

Franz musterte ihn schweigend. Sein Blick blieb an dem geschwollenen Kinn hängen.

»Sie haben dich schon … Ich meine, du hast sie schon getroffen?«

Paul machte eine unbestimmte Handbewegung. Er brachte es nicht fertig, Franz zu sagen, wo sie ihn gefunden hatten. Franz hatte ihnen ja selbst den Weg gezeigt, indem er das Zimmer vorbereitet hatte.

Franz ging in die Küche und brachte ihm einen Teller mit Bratkartoffeln und Speck. Paul machte sich darüber her und entspannte sich etwas beim Essen. Er trank ein zweites Bier und wartete, bis Franz wieder zu ihm kam.

»Diesmal aber wirklich auf meine Rechnung!« Franz stellte ein Glas Korn auf die Theke.

Paul schob das Glas zurück. »Ich trinke keine scharfen Sachen. Aber heute zahle ich auch nicht.« Er nahm sein Bierglas.

Franz nickte und trank den Korn selbst. »Wer war es – Harald und Fred?«

»Ja, und noch zwei, die ich nicht kenne. So ein schmaler Blonder mit Pickeln im Gesicht und ein Kleiderschrank mit einer Matratze am Kinn.«

»Das sind Bertie und Walter, ziemlich üble Typen.«

Franz hatte leise gesprochen und dabei über Pauls Schulter in den Gastraum geschaut. Paul fuhr mit dem Zeigefinger über den feuchten Rand seines Glases und sagte ebenso leise:

»Ich habe da so etwas von neuen amerikanischen Methoden läuten hören. Hängst du auch irgendwie mit drin?«

»Amerikanische Methoden? Na ja, viel fehlt nicht mehr. Aber ich bin zu alt für die neuen Figuren. Meine Kneipe ist auch nicht interessant genug. Nur eine Bierpinte. Sie haben es mehr auf die feinen Nachtlokale abgesehen.«

»Vor zwei Jahren hast du anders geredet!«

»So, findest du?« Franz lächelte, sein rundes Gesicht glänzte.

»Du wolltest aus der Fehrstraße eine zweite ‹Große Freiheit› machen. Ein Super-Vergnügungszentrum – mit all deinen Schmugglerfreunden auf einem Haufen!«

Franz lachte jetzt laut. »Stimmt, das waren noch Pläne … Aber irgendwie ist die Fehrstraße vergessen worden. Die Kumpels von früher haben sich zerstreut und über die ganze Reeperbahn verteilt. Hier ist jetzt nichts mehr los.«

»Und du hast keine Angst?«

Das Gelächter von Franz wurde noch lauter, und sein Bauch schwappte fast aus der Hose. »Nein, nicht vor diesen grünen Jungen. Ich bin nicht mehr im Geschäft, aber verschaukeln lasse ich mich deshalb noch lange nicht.«

Paul lachte leise mit, aber Franz war schon wieder ernst geworden. »Was hast du vor?«

»Dasselbe wie vorher.«

»Paul, schlag dir das aus dem Kopf! Ich kann dir nicht helfen. Und selbst wenn ich es könnte – ich will es nicht. Ich halte mich raus, solange sie mich in Ruhe lassen. Das ist kein Spiel mehr nach meinem Geschmack.«

»Du brauchst mir nicht zu helfen.«

»Das ist Selbstmord!« Franz flüsterte fast.

Paul versuchte zu grinsen. Plötzlich brannten seine Wunden; sein Gesicht schmerzte und in seinem Bauch tobte ein glühendes Messer. Er preßte die Hand gegen den Magen, bis er sich etwas beruhigt hatte, und fragte dann: »Kennst du Hontar?«

»Soviel ich gehört habe, sitzt er wegen eines Einbruchs«, sagte Franz vorsichtig.

Paul nickte. »Wir waren zusammen. Er hat mir viel geholfen.«

»Auf seinem Gebiet ist Hontar ein Könner, aber ein Einzelgänger.«

»Er kommt bald zurück.«

»Auch er wird dir nicht helfen können. Zu der Bande hat er keinen Kontakt. Und selbst wenn er mitmachen würde – was hast du vor? Willst du dir Harald vornehmen, der damals der Chef war? Er ist heute nur noch eine vollgefressene Puppe!«

»Wer ist heute der Chef – Fred?«

Franz sah auf. An zwei Tischen riefen die Gäste, aber er reagierte nicht. »Kann sein; ich weiß es selbst nicht. Und ich will es auch nicht wissen. Ich kann dir nur einen einzigen Rat geben: Verschwinde von hier. Möglichst heute noch. Sofort!«.

»Ach, weißt du, mir gefällt’s hier.«

»Paul, du bist doch ein heller Kopf. Du mußt das doch einsehen: die meinen es ernst! Vor zwei Jahren war das alles halb so wild, aber jetzt haben sie viel zu verlieren. Es hängt mehr dran, als du dir vorstellst, und du bist eine Gefahr für sie. Solange sie fürchten müssen, daß du den Mund aufmachst, werden sie dich jagen … Versprich mir, daß du abhaust?«

»Kannst du mir sagen, wo ich Susann Hontar finde?«

»Paul …«

»Ja oder nein?«

»Verdammt noch mal …«

»Hontar hat mir gesagt, sie würde mir helfen!«

Franz beugte sich vor. »Laß die Finger von ihr! Hontar ist in Ordnung, aber seine Schwester … Das steht auf einem ganz anderen Blatt!« Franz wandte sich ab und bediente ein paar Leute.

Paul wartete, bis er zurückkam. »Nun?«

»Also schön, renn in dein Verderben … Kennst du das Appartementhaus bei der dänischen Kirche?«

Paul nickte.

Franz fuhr fort: »Dort wohnt sie, mit Blick über die Elbe.« Er machte eine Pause, aber Paul sagte nichts. »Um diese Zeit findest du sie am sichersten in der Pik Dame.«

»Pik Dame?« Paul rutschte vom Barhocker.

Franz schob ihm einen zusammengefalteten Geldschein über die Theke zu. »Als Darlehen.«

Paul grinste schwach und schob den Schein in die Tasche, ohne ihn näher anzusehen. Er drehte sich um und ging hinaus auf die Straße.

Kapitel 5

Der Wind war kühl, und Paul blieb aufatmend stehen.

Die Autos schoben sich jetzt dicht auf dicht durch die schmale Straße, aber die Nacht war klar und frisch, und das Viertel hatte seine Schäbigkeit verloren. Die roten, blauen und grünen Lichtreklamen flammten zu riesigen Sternen, gezackten Schriftzügen oder wandernden Figuren auf. Die Leuchtröhren spiegelten sich in den Fensterscheiben und den Schaukästen.

Und Menschen … Massenhaft Menschen! Provinztouristen und Vertreter, Familienväter und Matrosen, Geschäftsleute und Zuhälter, Gauner, Ganoven und Mädchen, Mädchen und Mädchen – stundenweise jung und schön. Eine Musikbox plärrte, im Spielsalon klingelten die Automaten, ein Matrose grölte laut und falsch ein Lied, eine Frau kicherte.

Ich bin wieder hier, dachte Paul. Es ist meine Straße! Er lehnte sich an eine Mauer und beobachtete das Gewimmel. Ein Mädchen strich mit wippendem Hintern vorbei, und er starrte ihr nach. Sein Pullover wurde ihm zu heiß, und er wollte ihn gerade ausziehen, als er sie sah.

Fred, und neben ihm Harald.

Sie standen am Straßenrand, dunkel gegen die hellen Lichter der Kneipen auf der anderen Seite. Sie warteten breitbeinig, die Daumen lässig in die Hosentaschen gehakt.

Paul schluckte krampfhaft und drehte sich um.

Bertie und Walter standen auf dem Fußgängerstreifen. Dicht an der Mauer, wie er. Keine zehn Schritte entfernt.

Die vielen hundert Menschen rund um Paul schienen sich plötzlich in Luft aufzulösen. Er war allein. Allein mit den vier anderen. Mechanisch setzte er sich in Bewegung. Er schob sich an den Hauswänden entlang, in die einzige Richtung, die noch frei zu sein schien. Er versuchte, ruhig zu atmen, aber die Luft kam zischend aus seinem offenen Mund wie aus einem Blasebalg. Er kniff die Augen zusammen und riß sie wieder auf. Die Lichter über ihm tanzten und verschwammen zu wirren Mustern. Sein Magen schmerzte so, daß er kaum aufrecht gehen konnte.

Ohne sich umzusehen wußte er, daß sie ihm folgten. Als er die Straßenkreuzung fast erreicht hatte, versperrte ihm plötzlich eine dichte Menschentraube den Weg. Ein Aufreißer machte seine Sprüche, erzählte Zweideutigkeiten von der Show drinnen und prahlte mit den tollsten Frauen von ganz Hamburg.

Paul drängte sich zwischen die Leute, und einen Augenblick lang fühlte er sich sicher. Aber er blieb nicht stehen; er arbeitete sich an dem hellerleuchteten Eingang vorbei, bog nach rechts ab, rannte ein Stück und erreichte wieder eine Nebenstraße, eng und dunkel wie ein Ofenrohr.

Paul begann zu laufen. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und jagte über das holprige Pflaster des Gehwegs an den hohen Häusern entlang.

In einem Hausgang stand eine Frau. Sie lachte, als sie ihn sah und rief ihm etwas nach. Paul lief schneller. Seine Knie begannen zu zittern und von Zeit zu Zeit einzuknicken. Er war es nicht mehr gewohnt zu laufen. Als er die nächste Ecke erreichte, übertrafen die Stiche in seiner Seite die Schmerzen im Magen.

Er blieb stehen und beugte sich vor, um etwas mehr Luft zu bekommen. Das Geräusch von quietschenden Reifen riß ihn wieder hoch.

Ein schwarzer VW bremste direkt vor ihm. Am Steuer saß Fred. Harald stieß die Tür auf und stürzte sich aus dem Wagen, noch bevor er richtig hielt.

Paul wandte sich um. Er konnte nicht mehr schnell laufen, sondern taumelte wie betrunken zurück in die dunkle Gasse. Die schweren Schritte von Harald kamen näher, dann klappte zum zweitenmal die Autotür, und Fred folgte ihm. Seine Schritte waren leicht und fast unhörbar.

Paul lief schneller. Er stolperte, aber irgendwie bekam er die Beine wieder auseinander; die Füße trugen ihn noch ein Stück weiter.

Die anderen waren knapp hinter ihm. Paul wunderte sich, daß sie ihn noch nicht erreicht hatten, und schaute hoch, um zu sehen, wie weit es noch bis zur belebten Straße war. Die lag noch gute fünfhundert Meter vor ihm. Ein strahlend helles Rechteck.

Und in seinem Rahmen standen die schwarzen Umrisse von Bertie und Walter. Geduldig und unbeweglich.

Paul blieb stehen. Es war aus. Seine Beine machten noch ein paar müde Schritte, ohne daß er es wollte, er hatte aufgegeben.

»Hallo, Sportsfreund!« sagte neben ihm eine Frau. Sie lehnte im Hausflur und lächelte ihn gelangweilt an.

Paul hörte hinter sich den keuchenden Atem von Harald und die singenden Gummisohlen von Fred. Er fiel auf die Frau zu, drängte sich an ihr vorbei und packte den Türgriff von innen.

»Na, hör mal!« Sie kam hinter ihm her und umklammerte seinen Arm, aber er riß sich los, knallte die Tür zu und lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Seine Finger tasteten über die rissige Holzfläche, um den Riegel zu finden.

Draußen machten die Schritte halt. Paul hörte die flüsternden Stimmen, während er immer noch nach dem Riegel suchte.

Es war stockdunkel.

Die Frau stand regungslos hinter Paul. Plötzlich spürte er Druck von der anderen Seite und fand im gleichen Augenblick den Riegel. Aber sein Gewicht reichte nicht aus, er wurde zurückgedrängt, so stark er sich auch gegen die Tür stemmte.

»So helfen Sie mir doch, verdammt noch mal!« zischte er.

Über ihnen im Treppenhaus ging das Licht an. Die Frau preßte sich gegen die Tür, Paul hörte einen Schlüssel knirschen und sah ihre Hand, die den Riegel vorschob.

Die Tür war verschlossen.

Draußen hämmerten sie gegen die Holzfüllung. Von oben kamen Schritte die Treppe herunter. Paul sah sich nach der Frau um.

Unter der dunklen Schminke musterten ihn harte Augen. »Los!« kommandierte sie und zerrte ihn über den Treppenabsatz zu einer Tür, schob ihn hinein und verschloß die Tür von innen. Im Treppenhaus hörten sie Schritte, lautes Poltern, eine dritte, fremde Stimme und einen erregten Wortwechsel.

Dann wurde es wieder ruhig.

Paul wankte in das Zimmer hinein. Aus der offenen Küchentür kam ein schwacher Lichtschimmer; Paul entdeckte die Umrisse eines Ohrensessels und ließ sich hineinfallen. Über ihm leuchteten die acht Birnen einer spinnenförmigen Deckenlampe auf.

»Willst du hier einschlafen?« fragte die Frau von der Tür her. »Denkst du vielleicht, du könntest dich hier häuslich einnisten?«

Paul wandte müde den Kopf.

Sie stand hoch aufgerichtet hinter ihm; er sah, daß sie fertig zum Ausgehen geschminkt und angezogen war. Es war schwer, ihr Alter zu schätzen, aber sie hätte leicht seine Mutter sein können. Sie winkte mit dem Kopf. »Los, steh auf. Denkst du, ich bin die Fürsorge?«

»So was Ähnliches!« grinste er.

Das Gesicht der Frau blieb unbeweglich. »Hier ist meine Privatwohnung, hier kann ich mir keinen Stunk leisten. Verschwinde!«

Paul verkroch sich tiefer in den Sessel. »Sie müssen mir helfen!« stieß er hervor.

Sie lachte trocken. »Ich muß? Ach! Du hast wohl mal was vom goldenen Hurenherz gehört? Aber ohne mich, Freundchen! Macht ihr eure Schwierigkeiten unter euch ab; ich habe an meinen eigenen grade genug. Und jetzt hau ab – ich muß weg.«

»Vorhin waren Sie doch ganz freundlich!« versuchte es Paul noch einmal.

Doch sie blieb unbeeindruckt. »Das ist mein Geschäft.«

»Wieviel wollen Sie haben?« Paul faßte in seine Hosentasche nach dem zusammengerollten Geldschein von Franz.

»Behalt dein lächerliches Geld! Ich will nur meine Ruhe. Dort ist die Tür!«

»Wenn ich jetzt rausgehe, dann werden sie wissen, daß ich bei Ihnen war!« warnte Paul leise.

Sie lachte. »Wenn sie nicht von der Polizei sind, habe ich keine Angst!«

»Dann sind Sie zu beneiden.« Pauls Hände zitterten, als er sich aus dem Sessel stemmte. Ohne die Frau noch einmal anzusehen, ging er zur Wohnungstür und öffnete sie.

Das Treppenhaus war still und dunkel.

Als er dicht an der Haustür stand, hörte er, wie auf der anderen Seite ein Streichholz angerissen wurde.

»He!«

Plötzlich war sie wieder hinter ihm. Er hörte das Knacken des Lichtschalters, es wurde hell.

»Geh dort hinten runter, die halbe Treppe, dann durch die Hintertür, nach links über den Hof und über die Mauer.«

Er sah sie an. Ihr Gesicht war ausdruckslos.

Paul erreichte die Hintertür und drückte sie auf. Der Hof war ein winziges Dreieck, das zwischen den Häusern ausgespart war. Das einzige Licht kam aus den Fenstern. Paul machte ein paar Schritte und zuckte zusammen. Direkt vor ihm hatte sich etwas bewegt. Ein schwarzer Schatten huschte vorbei, etwas rutschte klappernd über den Boden.

Eine Katze und ein hölzernes Kinderauto.

Paul ging weiter und erreichte das handtuchbreite Mauerstück, das den Hof mit der Parallelstraße verband. Es stank nach verfaultem Fisch, Asche und Küchenresten. Vorsichtig schob Paul eine der drei Abfalltonnen gegen die Mauer und legte den Deckel zurecht. Dann versuchte er, auf den Seitengriff zu steigen, aber sein Gewicht ließ die Tonne kippen. Paul packte die zweite Tonne und zog sie so dicht neben die erste, daß die Griffe sich berührten. Er versuchte es ein zweites Mal.

Die Tonne schwankte etwas, aber sie trug ihn. Er richtete sich auf und faßte nach dem oberen Rand der Mauer.

In einem der Häuser wurde ein Fenster geöffnet.

Paul drückte sich flach gegen die Steine und wartete. Eine Männerstimme fragte etwas, eine Frau antwortete. Paul spürte, wie sein Schuh langsam von dem Griff abglitt, und krallte sich verzweifelt mit den Händen fest. Ein zweites Fenster wurde geöffnet. Paul stieß sich endgültig ab und hing halb über der Mauer. Unter ihm fiel die Tonne mit blechernem Dröhnen um.

Paul wartete nicht länger. Er rollte sich über die Mauer und ließ sich auf der anderen Seite in die Dunkelheit fallen. Er stürzte, sprang sofort wieder auf und lief weiter.

Erst als er den ganzen Straßenblock hinter sich gelassen hatte, blieb er stehen und wartete, bis sein Atem ruhiger ging.

Niemand war ihm gefolgt.

Kapitel 6

Die Pik Dame war nur zwei Straßen weiter, aber Paul machte einen Umweg, um nicht noch einmal Fred und seinen Leuten zu begegnen. Auch als er beim Trichter ankam, sah er sich zuerst nach dem schwarzen Volkswagen um, aber er konnte ihn nicht entdecken.

Hier war es ruhiger, und Paul fühlte sich einigermaßen sicher. Er staubte seine Hose ab und zupfte an dem Hemdkragen über seinem Pullover. Dann ging er auf den rot angestrahlten Eingang der Bar zu. Unter dem gewölbten Baldachin stand ein uniformierter Portier, der ihn zwar eingehend musterte, aber schwieg.

Paul atmete auf. Er ging an den goldgelb gestrichenen Wänden vorbei und stieg die mit dicken Teppichen belegten Stufen in den Keller hinunter. Eine Klimaanlage brachte von irgendwoher frische Luft und wölbte die grünen Vorhänge am Ende der Treppe wie pralle Segel.

Paul teilte sie und stand im Vorraum.

Der Ober trug einen Frack. Er stand neben der Garderobe und taxierte Paul mit einem Röntgenblick, der die staubigen Schuhe, die ausgebeulte Hose, den verfilzten Pullover und das geschwollene Kinn ebenso erfaßte wie das Geld in seiner Hosentasche.

»Nummer 57338 meldet sich von der Werkstatt zurück, Zelle 72 B«, murmelte Paul unhörbar und ging weiter in den niedrigen Raum, der in einzelne Nischen aufgeteilt war.

Die Wände waren auch hier gelb gestrichen; in den Ecken hingen Lämpchen mit honigfarbenen Schirmen, und auf schmalen Holzborden standen Zinnkrüge und bemalte Teller. Auf den Tischen lagen dunkelgrüne Leinentücher, darauf Keramikständer mit dicken Wachskerzen. Aus vier Stereolautsprechern kam sentimentale Musik.

Paul sah über die Tische hinweg in die einzelnen Nischen hinein. Er wußte nicht, wie er Susann Hontar erkennen sollte und ging an der kleinen Tanzfläche vorbei in die Bar. Neben ihm schossen ständig weißgekleidete Kellner aus dem Boden wie Pilze. Aber keiner hielt ihn auf.

Der Barraum war halbrund; buntes Licht aus unsichtbaren Quellen brach sich in einer bernsteingelben Spiegelwand und Hunderten von Flaschen, die davor Parade standen.

Paul schob sich auf einen der lederbezogenen Barhocker und stützte sich auf den Kupfertresen. Er war der erste Gast.

Der Barkeeper unterbrach sein Gläserpolieren nur für den Bruchteil einer Sekunde und arbeitete dann weiter, als würde er im Akkord bezahlt. Paul nahm den Schein von Franz aus der Tasche und faltete ihn auseinander.

Es waren fünfzig Mark.

Der Barkeeper ließ seine Gläser im Stich und kam herüber.

»Ein Bier«, sagte Paul.

Der Barkeeper blieb stehen, sah auf den Geldschein und antwortete nicht.

»Gibt es kein Bier?«

Der Keeper sah auf, schüttelte den Kopf und fragte: »Cola mit Schuß?«

Paul nickte und sah zu, wie der Barkeeper ein kleines Cognacglas, eine Colaflasche und ein Wasserglas mit zwei Eiswürfeln vor ihn hinstellte.

Er hatte schon drei volle Cognacschwenker und drei leere Colaflaschen an seinem Platz stehen, als sie hereinkam.

Er erkannte sie sofort, obwohl er sie noch nie gesehen hatte. Sie hatte das gleiche strohblonde Haar wie Hontar und die gleichen grünen Augen. Aber im Gegensatz zu ihm war sie nicht untersetzt und schwer, sondern groß und schlank.

Wie in einem Film sah er sich selbst dasitzen: verknittert, mager, hilflos und lächerlich jung.

Sie trug einen engen schwarzen Rock, einen zitronengelben Pullover und ein schwarzes Wollding, das aussah wie ein gehäkeltes Bettjäckchen und einen seltsam braven Eindruck machte, der ganz und gar nicht zu ihr paßte.

»Na, Pete, nicht viel los hier, wie?« begrüßte sie den Barkeeper, der zurückgrinste.

Paul räusperte sich. »Hallo«, flüsterte er.

Sie hörte ihn nicht. Sie sprach mit Pete: »Wird Zeit, daß ich wieder herkomme und Schwung in den Laden bringe. Euch fehlt ein guter Schlepper – und ich natürlich.« Sie lachten beide.

Paul holte tief Luft. »Susann …«

Sie drehte sich um und sah ihn erstaunt an.

Erst jetzt bemerkte er, daß sie nicht allein war. Der Mann war etwa Ende fünfzig, klein, zierlich und fett, mit einem rosaroten Kindergesicht und spärlichen Haaren, die sorgfältig über den Schädel verteilt waren. Hinter einer hellen Schildpattbrille fixierten Paul wasserhelle, weitgeöffnete Augen.

Aber schon im nächsten Moment glitt sein Blick über Paul hinweg, als wäre er ein Möbelstück. Der Mann zerrte den übernächsten Barhocker aus der Reihe und sah sich nach Susann um. Sie wartete immer noch auf Pauls Erklärung.

Er rutschte von seinem Hocker und stellte sich neben sie, um zu sehen, ob er größer war als sie.

»Ja?« fragte sie leise.

Sie reichte ihm bis an die Stirn. »Ich bin –«, begann er und wollte sagen: ein Freund von Hontar, aber das Wort gefiel ihm nicht. »Hontar hat mir gesagt, wo ich Sie treffen kann.«

»Hontar?« Sie lächelte und musterte ihn neugierig.

»Joss, Ihr Bruder. Wir haben zusammen … Ich meine, wir haben uns kennengelernt.« Er brach ab, weil er merkte, daß er seine Sätze nicht mehr so herausbrachte, wie er sie geplant hatte.

Sie lachte belustigt auf und sah auf die drei Cognacgläser. Er schob ein Glas über die Theke, bis es vor ihr stand. Sie nickte und trank es schnell aus. Er schob ihr schweigend das zweite Glas hin. Sie nahm es und hielt es wie einen kleinen Vogel in der gewölbten Hand.

Der Mann, der mit ihr gekommen war, beobachtete jede ihrer Bewegungen mit angespanntem Gesicht. Auf seiner Stirn glitzerten Schweißtröpfchen. Ohne sie aus den Augen zu lassen, bestellte er bei Pete zwei Cocktails, deren Namen Paul noch nie gehört hatte.

Susann trank den zweiten Cognac aus und setzte sich auf den Hocker neben Paul. Er schwang sich auch hinauf und schob das dritte Glas zu ihr hinüber.

Petes Gesicht war nichtssagend, als er dem Dicken die beiden hohen Cocktailgläser reichte. Der nahm die Kelche unbeholfen in die Hand und stapfte damit auf die andere Seite von Susann. Er stellte sie vor ihr ab und kletterte umständlich auf den Hocker neben ihr.

Paul sah fasziniert auf die beiden beschlagenen Gläser, die Zuckerkruste am Rand und die Orangenscheiben, die wie Wagenräder auf der Kante saßen. Susann trank den dritten Cognac, ohne sich nach ihrem milchighellen Cocktailglas umzusehen.

»Susie, bitte!« sagte der Mann und legte eine Hand auf ihren Arm. Sie ließ die Hand dort liegen, wie man ein Handtuch über dem Arm hängen läßt, und sah unverwandt Paul an.

Die Stimme des Mannes störte Paul. Nicht, weil sie laut oder unangenehm war, sondern weil aus ihr genau die Art von Verzweiflung herausklang, die er bis obenhin hatte. Er bestellte sich eine neue Cola und trank sie mit gierigen Schlucken. Den Cognac schob er wieder Susann hin.

»Was läßt Joss mir ausrichten?« fragte sie, ohne das neue Glas zu berühren.

»Schöne Grüße.«

»Sonst nichts?« Sie streckte den Zeigefinger aus und zog einen schmalen Streifen in die kalten Wasserperlen auf ihrem Cocktailglas.

»Doch.« Paul sah zweifelnd zu dem Mann hinüber, der an Susann vorbei zurückstarrte. »Aber nicht hier!«

Der Mann preßte plötzlich seine Hand über Susanns Ärmel zusammen. »Bitte, Susie, wir wollten doch …«

Sie sprach über seine Stimme hinweg; als hätte sie ihn nicht gehört: »Muß ich etwas erfahren? Ist es wichtig?«

»Ja, es ist wichtig.«

Der Mann versuchte, sie zu sich herumzudrehen. »Susie, bitte, du kannst doch jetzt nicht einfach …«

Sie drehte sich zu ihm um, nahm seine Hand, legte sie auf die Theke und sagte lächelnd: »Du weißt doch, daß ich es nicht mag, wenn du mich Susie nennst!« Dann nickte sie Paul kurz zu und rutschte von ihrem Barhocker.

»Susie!« rief der Mann und holte hastig seine Brieftasche heraus, um Pete zu bezahlen. »Susie, warte doch!«

Paul hörte seine Stimme, als er ihr an den Kellnern vorbei durch den Gang und die Treppe hinauf folgte. Draußen blieb sie stehen und sagte atemlos:

»Komm, wir laufen!«

Sie rannten die ganze Straße hinunter, bogen um die Ecke, liefen an dem Kino, dem Automatenladen und den Bars vorbei bis zu den Bänken der Grünanlage.

»Ich wohne dort drüben, in dem Neubaublock.« Sie deutete auf die dunklen Bäume, hinter denen die Vierecke der Fenster leuchteten.

»Ich weiß.«

Sie gingen nebeneinander über den knirschenden Kiesweg an den Bänken vorbei, auf denen dicht nebeneinander die Schatten der Liebespaare zu erkennen waren.

Paul spürte das Mädchen neben sich, aber ein anderes Gefühl war stärker. Unsicher sah er sich um.

Jemand beobachtete ihn … Ringsherum waren die dichten Büsche und Bäume, dahinter der nächtliche Verkehrslärm, die Geräusche des nahen Hafens und ab und zu ein Flüstern von den Bänken. Kein Mensch hatte hier Interesse für zwei, die durch den Park gingen … War es Einbildung?

Paul blieb stehen.

»Was ist?« fragte Susann leise.

»Nichts«, flüsterte Paul. Rechts von ihnen raschelte etwas, aber es war nichts zu erkennen.

»Wir müssen uns beeilen«, sagte Susann, »vielleicht nimmt er ein Taxi und ist dann vor uns da.« Sie begann wieder zu laufen.

Paul rannte erleichtert noch etwas schneller. Sie kamen aus dem Park heraus und blieben kurz stehen, um sich umzusehen.

Kein Taxi!

Susann ging über die Straße und auf den Eingang des modernen Hochhauses zu. Die meisten Fenster waren hell erleuchtet. Susann holte einen Schlüssel aus ihrer Handtasche und schloß auf. Paul fühlte sich nackt und ungedeckt im Rücken, als er sich hinter ihr ins Treppenhaus schob, aber nichts geschah.

Sie fuhren mit dem Lift in den vierten Stock hinauf, gingen einen Korridor entlang, und Susann schloß wieder eine Tür auf. Sie ging vor, knipste innen Licht an, überquerte einen schmalen Flur, und kurz darauf brannte im nächsten Zimmer eine Stehlampe. Paul blieb an der Tür stehen und sah zu den großen Fenstern hinüber.

Sie nahmen fast eine ganze Wandbreite des rechteckigen Wohnraums ein.

Der Boden war mit einem roten Spannteppich ausgelegt; darauf standen eine schwarze Couch, schwarz-weiße Fellsessel, ein niedriger Tisch aus Glas, ein kleines Büchergestell, vollgepackt mit Plattenhüllen, ein Fernsehgerät und ein Plattenspieler. Die Vorhänge waren auch rot. Sie waren nicht zugezogen. Paul sah auf die flimmernden Lichter der Schiffe und Docks.

»Gefällt es dir?« fragte Susann.

Paul antwortete nicht. Er stand immer noch an der Tür. Sie wandte sich nach ihm um.

»Ob es dir gefällt, Stockfisch?«

»Sehr«, sagte Paul zerstreut und ging langsam in den Wohnraum hinein. Er schob sich an der Wand entlang bis zum Fenster und beugte sich vorsichtig vor.

Unten, im Licht einer Straßenlaterne, parkte der schwarze Volkswagen.

Kapitel 7

Paul versuchte, die Vorhänge zu schließen, und riß verzweifelt an den roten Stoffbahnen.

»Was machst du da?« rief Susann ärgerlich.

Er wich zurück. »Licht aus, Vorhänge zu, schnell!« Seine Stimme klang hoch und hysterisch.

Aber Susann reagierte sofort. Sie zog die Vorhänge mit zwei Griffen zu und kam zu ihm herüber. »Du bist ja grün wie ein Gespenst! Hast du Angst vor so einem alten Knacker?«

Paul schluckte und strich sich mit einer Hand die Haare aus der Stirn. Sie beugte sich über den Glastisch und nahm eine Zigarette aus einer aufgerissenen Packung.

»Los, steh nicht rum wie ein Ölgötze! Was hat Joss dir aufgetragen?«

Paul fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Er brachte kein Wort heraus. Sie waren ihm gefolgt, na und? Was konnten sie ihm schon anhaben, hier war er sicher. Bei dieser Frau … Er lächelte sanft und glücklich.

Susann runzelte die Stirn. »Was grinst du so albern? Sag, was du mir zu sagen hast; ich hab nicht ewig Zeit!« Sie sah sich nach Streichhölzern um und fand eine Schachtel auf einem Sessel.

»Es ist eine lange Geschichte«, sagte er.

Sie zuckte mit den Achseln und zog ein Streichholz heraus. Mit einem Satz war er bei ihr, nahm ihr das Hölzchen aus der Hand und riß es ein paarmal hastig an, bis es brannte.

Sie sog den Rauch tief ein und murmelte: »Danke!« Dann ließ sie sich in einen Sessel fallen und schlug die Beine übereinander.

Er hustete. »Kann ich bitte etwas zu trinken haben?«

Sie hob ungeduldig den Kopf. »Hinter dir ist die Küche. Im Kühlschrank ist alles, was ich habe.«

Er hatte die Tür fast erreicht, als plötzlich ein schrilles Klingeln die Stille zerriß. Er blieb stehen. Susann hatte sich halb aus dem Sessel erhoben. Schweigend warteten sie.

Es läutete kurz darauf zum zweitenmal. Unendlich lang und aufdringlich.

Paul war unfähig, sich zu bewegen oder zu sprechen. Er sah zur Wohnungstür hinüber, die hinter der offenen Zimmertür in dem kleinen Flur die einzige Trennwand zwischen ihm und dem anderen bildete, der draußen stand.

Es läutete wieder, dann war es still.

Paul gab sich einen Ruck. Lautlos setzte er einen Fuß vor den anderen. Er spürte den weichen Teppich unter den Sohlen. Als er den Flur erreichte, hörte er hinter sich Susanns Atem.

Er war jetzt an der Tür und lauschte.

Es klingelte wieder; er fuhr zurück und starrte nach oben auf die Glocke und den vibrierenden Klöppel. »Haben Sie etwas Papier?« flüsterte er.

Susann ging in das Zimmer und kam mit einer Modezeitschrift zurück. Paul riß die Titelseite ab und faltete sie zusammen. Die Glocke über ihm schrillte und schwieg in regelmäßigen Abständen.

Als Paul ein kleines Papierröllchen fertig hatte, reckte er sich, kam aber nicht bis zu der Glocke hinauf. Susann schob ihm einen Stuhl hin, er kletterte hinauf und schob das Papierröllchen zwischen Glocke und Klöppel.

Es läutete wieder, und er zuckte vor dem schwingenden Metall zurück, aber das einzige Geräusch war ein unterdrücktes Knurren.

Paul stieg von dem Stuhl. Susann wich nicht aus. Er stand plötzlich dicht neben ihr. Es war dunkel; sie hielt den Kopf zurückgelegt. Er beugte sich über sie und hob eine Hand, aber sie glitt im gleichen Moment zurück und sagte gleichmütig: »Gut, jetzt kann er uns wenigstens nicht mit seinem Läuten verrückt machen. Komm!«

Paul trottete hinter ihr ins Wohnzimmer und schlug die Tür mit einem Fußtritt zu. »Wer ist er?«

»Bitte?« Susann hob fragend die Augenbrauen und setzte sich auf die Kante der Couch.

Paul prägte sich jede Einzelheit ihres Gesichtes ein: die Nase, den Mund, die grünen Augen und das helle Haar. Er fand sie schön. Für sie bin ich ein Baby, dachte er erbittert. Dann fiel ihm der Dicke wieder ein. Geld also … »Wer der Kerl ist!« fragte er grob.

Sie verzog den Mund. »Alfred Kodell. Verhör beendet?«

»Hat er eben geläutet?«

»Vermutlich. Ich kann auch nicht durch Holz sehen.«

»Was will er von Ihnen?«

»Bitte?« fragte sie ein zweites Mal, dann lachte sie laut. »Und was geht dich das an, wenn ich fragen darf?«

Er atmete tief durch. »Nichts«, sagte er leise, »es geht mich nichts an.«

»Schon gut. Komm, setz dich her!«

Widerwillig hockte er sich ans andere Ende der Couch.

»Kodell ist ein alter Freund von mir. Er hat das meiste von dieser Wohnung bezahlt. Zufrieden?«

»Der Bursche sah aber nicht nach einem Haufen Geld aus«, brummte er.

Susann drückte ihre Zigarette aus.

»Viel oder wenig, das ist relativ. Immerhin hat er für mich einen Haufen locker gemacht. Allerdings ist jetzt Schluß, er hat nichts mehr zu bieten.«

»Er ist ganz schön verrückt nach Ihnen.«

»Und du?«

»Ich?« fragte er gepreßt.

»Was hast du mir zu berichten? Was hat Joss dir aufgetragen?«

»Nichts …« Paul räusperte sich und wiederholte: »Nichts. Er hat nur gesagt, daß Sie mir helfen würden, wenn ich in einer Klemme stecke.«

»Du liebe Zeit!« Sie sank zurück. »Und du bist in einer Klemme, du brauchst gar nichts weiter zu sagen. Ich seh es dir an, du steckst mittendrin!«

Er erzählte ihr alles.

Er fing ganz von vorn an, vor zwei Jahren, als er noch ein Neuling gewesen war und ihm das laute Gehabe von Harald und seiner Mopedbande imponiert hatte. Monatelang hatte er alles mögliche angestellt, um zu ihnen zu kommen, und eines Tages hatten sie ihn endlich mitmachen lassen. Als Wache bei einem kleinen Überfall. Als Mutprobe. Alles sollte ganz harmlos sein – ein leerer Laden, eine volle Kasse.

Aber der Laden war nicht leer. Nur Paul sah nichts davon; er stand auf der Straße und paßte auf. Dann hörte er von drinnen plötzlich laute Stimmen, einen dumpfen Fall, und lief hinein, um zu sehen, was es gab.

Es war dunkel, Paul sah zuerst nicht viel, aber dann erkannte er Harald, der einen Schlagring in der Hand hielt. Hinter ihm stand Fred. Und vor ihnen lag ein Mann, bewegungslos.

Sie rannten weg, aber Paul schaltete nicht so schnell. Er kapierte überhaupt nicht, was los war. Er starrte auf die aufgesprungene Ladenkasse und die Bündel von Papiergeld, die herausquollen. Er bückte sich, um dem Mann aufzuhelfen, aber er war zu schwer. Dann sah er den Schlagring, der am Boden lag. Harald mußte ihn verloren haben.

Und so erwischte ihn die Polizei.