Klonk! - Terry Pratchett - E-Book

Klonk! E-Book

Terry Pratchett

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Beschreibung

„Klonk!“ So klang es, als Zwergenaxt auf Trollkeule traf, damals, bei der historischen Schlacht von Koomtal. Und wenn Sam Mumm, Kommandeur der Stadtwache von Ankh-Morpork, nicht schleunigst den Mord an einem stadtbekannten Zwerg und Aufrührer aufklärt, droht sich die Geschichte zu wiederholen. Diesmal aber direkt vor seiner Haustür. Also geht Sam Mumm noch der winzigsten Spur nach und stellt sich tapfer der Dunkelheit entgegen, während allenthalben Fanatiker die Kriegstrommeln rühren …

• 2008 feiert die Scheibenwelt ihr 25-jähriges Jubiläum und Terry Pratchett seinen 60. Geburtstag mit einer Tour durch Europa.

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Seitenzahl: 543

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Terry Pratchett, geboren 1948, ist einer der erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. Von seinen Romanen wurden weltweit rund 65 Millionen Exemplare verkauft, seine Werke in 37 Sprachen übersetzt. Er lebt mit seiner Frau Lyn in der englischen Grafschaft Wiltshire.

Informationen zu Terry Pratchett auch unter www.pratchett-buecher.de und www.pratchett-fanclub.de.

Terry Pratchett bei Goldmann und Manhattan:

Die Romane von der bizarren Scheibenwelt:

Voll im Bilde · Alles Sense! · Total verhext · Einfach göttlich · Lords und Ladies Helle Barden · Rollende Steine · Echt zauberhaft · Mummenschanz · Hohle Köpfe Schweinsgalopp · Fliegende Fetzen · Heiße Hüpfer · Ruhig Blut! · Der fünfte Elefant Die volle Wahrheit · Der Zeitdieb · Die Nachtwächter · Weiberregiment · Ab die Post · Klonk! · Schöne Scheine · Der Club der unsichtbaren Gelehrten · Steife Prise

Märchen von der Scheibenwelt:

Maurice, der Kater · Kleine freie Männer · Ein Hut voller Sterne · Der Winterschmied · Das Mitternachtskleid

Zwei Scheibenwelt-Romane in einem Band:

Total verhext/Einfach göttlich · Lords und Ladies/Helle Barden · Rollende Steine/ Echt zauberhaft · Mummenschanz/Hohle Köpfe · Schweinsgalopp/Fliegende Fetzen

Von der Scheibenwelt außerdem erschienen:

Wahre Helden. Ein illustrierter Scheibenwelt-Roman · Die Kunst der Scheibenwelt Das Scheibenwelt-Album. Illustriert von Paul Kidby · Mort. Der Scheibenwelt-Comic. Illustriert von Graham Higgins · Wachen! Wachen! Der Scheibenwelt-Comic. Illustriert von Graham Higgins · Nanny Oggs Kochbuch. Mit Rezepten von Tina Hannan. Illustriert von Paul Kidby · Die Straßen von Ankh-Morpork. Eine Scheibenwelt-Karte · Die Scheibenwelt von A - Z · Mythen und Legenden der Scheibenwelt · Witz und Weisheit der Scheibenwelt · Narren, Diebe und Vampire. Die besten Geschichten aus zehn Jahren Scheibenwelt-Kalender

Dazu ist erschienen:

Die gemeine Hauskatze. Illustriert von Gray Jolliffe · Eine Insel. Roman

Außerdem sind Johnny-Maxwell-Romane von Terry Pratchett erschienen:

Nur du kannst die Menschheit retten/Nur du kannst sie verstehen/Nur du hast den Schlüssel. Drei Romane in einem Band

Weitere Bücher von Terry Pratchett sind in Vorbereitung.

Inhaltsverzeichnis

Copyright

Das Erste, was Tak tat, er schrieb sich selbst. Das Zweite, was Tak tat, er schrieb die Gesetze. Das Dritte, was Tak tat, er schrieb die Welt. Das Vierte, was Tak tat, er schrieb eine Höhle. Das Fünfte, was Tak tat, er schrieb eine Geode, ein Ei aus Stein.

Und im Zwielicht des Höhleneingangs öffnete sich die Geode, und die Brüder waren geboren.

Der erste Bruder ging zum Licht und stand unter dem offenen Himmel. So wurde er zu groß. Er war der erste Mensch. Er fand keine Gesetze und ward erleuchtet.

Der zweite Bruder ging zur Dunkelheit und stand unter einer Decke aus Stein. So bekam er die richtige Größe. Er war der erste Zwerg. Er fand die von Tak geschriebenen Gesetze und ward erdunkelt.

Aber etwas von Taks lebendigem Geist war im aufgebrochenen Steinei gefangen und wurde zum ersten Troll. Ein Wesen, das ungebeten und unerwünscht durch die Welt wandert, ohne Seele oder Zweck, ohne Begreifen oder Verstehen. Es fürchtet Licht und Dunkelheit und wankt für immer im Zwielicht; es weiß nichts, lernt nichts, erschafft nichts, ist nichts …

Aus »gd Tak ’gar« (Die Dinge, die Tak schrieb), übers. v. Prof. W. W. W. Wildblut, Verlag der Unsichtbaren Universität, 8 AM$. Im Original scheint der letzte Absatz des zitierten Textes später von einem anderen Autor hinzugefügt worden zu sein.

Er den kein Berg zerschmettert nicht Er den die Sonne aufhält nicht Er den kein Hammer bricht nicht Er der Feuer fürchtet nicht Er der hebt Kopf über sein Herz Er Diamant

Übersetzung von Troll-Piktogrammen in einer Basaltplatte, die man im tiefsten Stollen der Sirupminen von Ankh-Morpork fand, in einem schätzungsweise fünfhunderttausend Jahre alten Felsmelassenflöz.

Klonk!

So klang es, als die schwere Keule den Kopf traf. Der Körper zuckte und sackte in sich zusammen.

Und es war vollbracht, ungehört, ungesehen: das perfekte Ende, eine perfekte Lösung, eine perfekte Geschichte.

Aber, wie die Zwerge sagen: Wo es Ärger gibt, findet man immer einen Troll.

Der Troll sah.

Es war ein perfekter Morgen. Er wusste, dass es bald ein ganz und gar nicht perfekter Tag werden würde, aber für ein paar kurze Minuten konnte er sich etwas anderes vormachen.

Sam Mumm rasierte sich. Es war sein täglicher Akt des Trotzes, eine Bestätigung dafür, dass er der … nun ja, eben der einfache Sam Mumm war.

Zugegeben, er rasierte sich in einer Villa, und während er sich rasierte, las ihm sein Butler aus der Times vor, aber das waren nur die … Umstände. Der Mann, der ihn aus dem Spiegel ansah, blieb Sam Mumm. Es wäre ein wirklich schlechter Morgen, wenn er dort den Herzog von Ankh sähe. »Herzog« war nur eine Tätigkeitsbeschreibung.

»Die meisten Nachrichten betreffen die gegenwärtige … Zwergensituation, Herr«, sagte Willikins, als Mumm die schwierige Stelle unter der Nase in Angriff nahm. Er benutzte noch immer das offene Rasiermesser seines Großvaters. Auch das diente ihm als Realitätsanker. Außerdem war der Stahl viel besser als der, den man heutzutage bekam. Sybil, die sich durch eine seltsame Begeisterung für moderne technische Spielereien auszeichnete, schlug ihm immer wieder vor, sich einen dieser neuen Rasierapparate anzuschaffen, mit einem kleinen magischen Kobold drin, der mit einer Schere ganz schnell schnitt. Aber davon wollte Mumm nichts wissen. Niemand außer ihm selbst durfte eine scharfe Klinge auch nur in die Nähe seines Gesichts bringen.

»Koomtal, Koomtal«, brummte er sein Spiegelbild an. »Gibt es nichts Neues?«

»Nicht in dem Sinne, Herr«, sagte Willikins und blätterte zur ersten Seite zurück. »Es wird über die Rede von Grag Schinkenbrecher berichtet. Anschließend kam es zu Unruhen, heißt es. Mehrere Zwerge und Trolle wurden verletzt. Führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben zu Ruhe aufgefordert.«

Mumm schüttelte den Seifenschaum vom Rasiermesser. »Ha! Na klar haben sie das. Sag mir, Willikins: Warst du als Junge an vielen Raufereien beteiligt? Warst du Mitglied bei einer Bande oder so was?«

»Ich hatte die Ehre, zu den Unverschämten Jungs der Betrug-und-Schwindel-Straße zu gehören, Herr«, antwortete der Butler.

»Im Ernst?«, erwiderte Mumm beeindruckt. »Das waren ziemlich harte Kerle, wenn ich mich recht entsinne.«

»Danke, Herr«, sagte Willikins sanft. »Ich kann voller Stolz darauf hinweisen, dass ich mehr ausgeteilt als eingesteckt habe, wenn es nötig wurde, mit den jungen Männern von der Seilstraße die Frage umstrittener Revierbereiche zu diskutieren. Stauerhaken waren ihre Lieblingswaffen, soweit ich weiß.«

»Und deine?«, fragte Mumm gespannt.

»Eine Mützenkrempe mit scharf geschliffenen Münzen, Herr. Eine gute Hilfe, wenn es brenzlig wird.«

»Bei den Göttern, Mann! Mit so einem Ding zu hantieren kann schnell ins Auge gehen.«

»Wenn man es geschickt anstellt, ja«, sagte Willikins und faltete sorgfältig ein Handtuch zusammen.

Und hier stehst du jetzt, in deiner Nadelstreifenhose und der Butlerjacke, glänzend wie Schmalz und fett wie Butter, dachte Mumm, während er unter seinen Ohren alles in Ordnung brachte. Und ich bin Herzog. Das Leben ist voller Überraschungen.

»Und hast du jemals gehört, wie jemand zu Unruhe aufgefordert hat?«, fragte er.

»Nie, Herr.«

»Ich auch nicht. So was passiert nur in Zeitungen.« Mumm blickte auf den Verband an seinem Arm. Es war ziemlich unruhig gewesen.

»Steht in dem Artikel, dass ich persönlich eingegriffen habe?«, fragte er.

»Nein, Herr. Aber hier steht, dass rivalisierende Gruppen in den Straßen durch die wackeren Bemühungen der Wache auseinander gehalten wurden.«

»Haben sie wirklich das Wort ›wacker‹ benutzt?«, fragte Mumm.

»Das haben sie tatsächlich, Herr.«

»Gut«, brummte Mumm mit widerstrebender Zufriedenheit. »Wird auch erwähnt, dass zwei Wächter zum Gratishospital gebracht werden mussten und einer von ihnen recht schwer verletzt war?«

»Unerklärlicherweise nicht, Herr«, sagte der Butler.

»Hm. Typisch. Wie dem auch sei … Lies weiter.«

Willikins hüstelte höflich. »Vielleicht möchtest du das Rasiermesser senken, bevor du die nächste Nachricht hörst, Herr. Der kleine Schnitt letzte Woche hat mir Schwierigkeiten mit Ihrer Ladyschaft eingebracht.«

Mumm beobachtete, wie sein Spiegelbild seufzte und das Rasiermesser sinken ließ. »Also gut, Willikins. Ich bin auf das Schlimmste gefasst.«

Hinter ihm wurde professionell mit der Zeitung geraschelt. »Die Schlagzeile auf Seite drei lautet: ›Ein Vampir für die Wache? ‹, Herr«, sagte der Butler und wich einen vorsichtigen Schritt zurück.

»Verdammt! Wer hat ihnen davon erzählt?«

»Ich weiß es nicht, Herr. Hier steht, dass du nichts von Vampiren in der Wache hältst, heute aber mit einem Rekruten sprechen wirst. Es heißt, deswegen gebe es eine große Kontroverse.«

»Blättere bitte zur achten Seite«, sagte Mumm. Hinter ihm raschelte die Zeitung erneut.

»Nun?«, fragte er. »Dort bringen sie meistens ihre dumme politische Karikatur.«

»Hast du das Rasiermesser gesenkt, Herr?«, erkundigte sich Willikins.

»Ja!«

»Vielleicht solltest du außerdem einen Schritt vom Waschbecken zurücktreten, Herr.«

»Sie zeigt mich, nicht wahr?«, fragte Mumm grimmig.

»In der Tat, Herr. Die Karikatur präsentiert einen kleinen, nervösen Vampir und, wenn ich das sagen darf, eine überlebensgroße Darstellung von dir, die sich über den Schreibtisch beugt, mit einem Holzpflock in der rechten Hand. Die Bildunterschrift lautet: ›Hast du das Herz am rechten Fleck?‹ Das soll ein Scherz sein, Herr, denn der Pflock dient dazu …«

»Ja, ich kann den Versuch, humorvoll zu sein, unschwer erkennen«, sagte Mumm müde. »Besteht die Möglichkeit, dass du Sybil zuvorkommst und das Original kaufst? Jedes Mal, wenn die Zeitung eine Karikatur von mir bringt, besorgt sie sich das Original und hängt es in der Bibliothek auf!«

»Herr, äh, Fizz trifft dich sehr gut, Herr«, räumte der Butler ein. »Und leider muss ich sagen, dass Ihre Ladyschaft mich bereits angewiesen hat, für sie das Büro der Times aufzusuchen.«

Mumm stöhnte.

»Das ist noch nicht alles, Herr«, fuhr Willikins fort. »Ihre Ladyschaft hat mir aufgetragen, dich daran zu erinnern, dass sie und der junge Sam dich um Punkt elf im Atelier von Sir Joshua erwarten, Herr. Wie ich hörte, befindet sich das Gemälde in einer wichtigen Phase.«

»Aber ich …«

»Sie hat sich sehr klar ausgedrückt, Herr. Sie meinte, wenn sich der Kommandeur der Polizei nicht einmal freinehmen kann, wer dann?«

An diesem Tag im Jahr 1802 erwachte der Maler Methodia Schlingel in der Nacht, weil Kriegsgeräusche aus einer Schublade seines Nachtschränkchens drangen.

Schon wieder.

Ein einzelnes, schwaches Licht erhellte den Keller. Um genau zu sein, verlieh es der Dunkelheit unterschiedliche Qualität und trennte Schatten von tieferen Schatten.

Die Gestalten waren kaum zu sehen. Mit gewöhnlichen Augen ließ sich nicht feststellen, wer sprach.

»Hierüber wird nicht gesprochen, verstanden?«

»Es soll nicht darüber gesprochen werden? Er ist tot!«

»Dies ist eine Zwergenangelegenheit! Sie soll der Stadtwache nicht zu Ohren kommen! Die Wächter haben hier nichts zu suchen! Möchte jemand von uns, dass die hier herunterkommen?«

»Es gibt Zwerge in der Wache …«

»Ha. D’rkza. Zu viel Zeit in der Sonne. Sie sind zu kleinen Menschen geworden. Denken sie wie Zwerge? Und Mumm würde überall herumschnüffeln und mit den lächerlichen Lappen winken, die sie Gesetze nennen. Warum sollten wir solche Störungen zulassen? Außerdem liegt die Sache doch auf der Hand. Nur ein Troll kann das getan haben. Das meint ihr doch auch? Ich habe gesagt: Das meint ihr doch auch?«

»Genau das ist geschehen«, sagte eine Gestalt. Die Stimme war dünn und alt und eigentlich eher ungewiss.

»Ja, es war ein Troll«, ertönte eine andere Stimme. Sie klang fast genauso wie die erste, brachte aber einen Hauch mehr Gewissheit zum Ausdruck.

Es folgte eine Pause, während der das allgegenwärtige Geräusch der Pumpen anzuschwellen schien.

»Es kann nur ein Troll gewesen sein«, sagte die erste Gestalt. »Heißt es nicht, hinter jedem Verbrechen findet man den Troll?«

Vor der Wache am Pseudopolisplatz hatte sich eine kleine Menge eingefunden, als Kommandeur Mumm eintraf. Bis dahin war es ein netter, sonniger Morgen gewesen. Er blieb sonnig, wurde aber weniger nett.

Die Leute hielten Schilder und Transparente. »Blutsauger raus!!«, las Mumm – und: »Fangzähne weg!« Gesichter wandten sich ihm zu, mit verdrießlichem, leicht besorgtem Trotz.

Er murmelte einen Fluch, gerade leise genug.

Otto Chriek, der Ikonograph der Times, stand in der Nähe, hielt einen Sonnenschirm und wirkte deprimiert. Er bemerkte Mumms Blick und kam näher.

»Warum bist du hier, Otto?«, fragte Mumm. »Erhoffst du dir ein Bild von einem or dentlichen Durcheinander?«

»Es sind Nachrrichten, Kommandeurr«, sagte Otto und blickte auf seine sehr glänzenden Schuhe hinab.

»Wer hat dir den Tipp gegeben?«

»Ich mache nurr die Bilderr, Kommandeurr«, erwiderte Otto und sah verletzt auf. »Außerrdem könnte ich es dirr ohnehin nicht sagen, wegen derr Prressefrreiheit.«

»Du meinst wohl die Freiheit, Öl ins Feuer zu gießen«, bemerkte Mumm.

»So ist das eben mit derr Frreiheit«, sagte Otto. »Niemand hat gesagt, dass sie schön ist.«

»Aber … du bist ebenfalls ein Vampir!« Mumm deutete auf die Demonstranten. »Gefällt dir, was hier aufgehetzt worden ist?«

»Es sind trrotzdem Nachrrichten, Kommandeurr«, sagte Otto sanftmütig.

Mumm sah erneut zur Menge. Sie bestand zum größten Teil aus Menschen. Ein Troll war dabei, aber vermutlich hatte er sich den Demonstranten einfach deshalb hinzugesellt, weil etwas geschah. Ein Vampir brauchte einen Steinbohrer und viel Geduld, bevor er einen Troll in Schwierigkeiten bringen konnte. Aber diese Sache hatte auch etwas Positives, wenn man so wollte: Die kleine Nebenvorstellung lenkte die Leute vom Koomtal ab.

»Seltsam, dass die Leute offenbar nichts gegen dich haben, Otto«, sagte Mumm und beruhigte sich ein wenig.

»Ich bin nicht offiziell«, erklärte Otto. »Ich habe wederr ein Schwerrt noch das Abzeichen. Ich bin keine Gefahrr und nurr ein Toterr bei derr Arrbeit. Und ich brringe die Leute zum Lachen.«

Mumm starrte ihn groß an. Daran hatte er noch nie gedacht. Aber ja … Der kleine, nervöse Otto in seinem rot abgesetzten Opernmantel voller Taschen für seine Ausrüstung, die glänzenden schwarzen Schuhe, der sorgfältig geschnittene spitze Haaransatz und nicht zuletzt der lächerliche Akzent, der abhängig von seinem Gesprächspartner stärker oder schwächer wurde. Er wirkte sicher nicht bedrohlich. Ganz im Gegenteil. Er sah komisch aus, wie ein Varietévampir. Er war ein Witz, und zum ersten Mal dachte Mumm daran, dass dieser Witz auf Kosten der anderen Leute ging. Bring sie zum Lachen, dann fürchten sie sich nicht.

Er nickte Otto zu, trat ein und sah Feldwebel Grinsi Kleinpo auf einer Kiste am Schreibtisch des wachhabenden Polizisten stehen, die neuen Rangabzeichen blitzblank an ihrem Ärmel. Mumm nahm sich vor, etwas bezüglich der Kiste zu unternehmen. Einigen Zwergen in der Wache gefiel es nicht, darauf stehen zu müssen.

»Ich glaube, wir sollten zwei Wächter draußen postieren, Grinsi«, sagte er. »Keine Provokation. Nur eine kleine Erinnerung daran, dass wir den Frieden bewahren.«

»Ich denke, das wird nicht nötig sein, Herr Mumm«, erwiderte die Zwergin.

»Ich möchte in der Times kein Bild sehen, das den ersten Vampirrekruten der Wache zeigt, wie er von Demonstranten angepöbelt wird, Korp… Feldwebel«, sagte Mumm streng.

»Das dachte ich mir, Herr«, erwiderte Grinsi. »Deshalb habe ich Feldwebel Angua gebeten, sie abzuholen. Sie sind vor einer halben Stunde durch den Hintereingang gekommen. Sie zeigt ihr das Gebäude. Ich glaube, sie sind unten im Umkleideraum.«

»Du hast Angua darum gebeten?«, fragte Mumm und fühlte, wie ihm das Herz in die Hose rutschte.

»Jaherr?«, entgegnete Grinsi und wirkte plötzlich besorgt. »Äh … gibt es da ein Problem?«

Mumm starrte sie groß an. Sie ist eine gute wachhabende Polizistin, dachte er. Ich wünschte, ich hätte mehr von ihrer Sorte. Und sie hat die Beförderung verdient, weiß der Himmel. Aber, erinnerte er sich, sie kommt aus Überwald. Sie hätte sich eigentlich an … die Sache zwischen Vampiren und Werwölfen erinnern müssen. Vielleicht ist es meine Schuld. Ich weise immer wieder darauf hin, dass alle Polizisten Polizisten sind.

»Was? Oh, nein«, sagte Mumm. »Wahrscheinlich nicht.«

Ein Vampir und ein Werwolf im gleichen Zimmer, dachte er, als er die Treppe hinaufging. Nun, sie müssen irgendwie damit fertig werden. Und das ist nur das erste unserer Probleme.

»Und ich habe Herrn Pessimal ins Verhörzimmer geführt!«, rief ihm Grinsi nach.

Mumm blieb abrupt stehen.

»Pessimal?«, wiederholte er.

»Der Regierungsinspektor, Herr?«, erwiderte Grinsi in fragendem Tonfall. »Von dem du mir erzählt hast?«

Oh, ja, dachte Mumm. Das zweite unserer Probleme.

Es war Politik. Mumm konnte sich einfach nicht an Politik gewöhnen, die für ehrliche Leute voller Fallen steckte. Diese war in der vergangenen Woche zugeschnappt, in Lord Vetinaris Büro, bei einer routinemäßigen täglichen Besprechung …

»Ah, Mumm«, sagte Seine Exzellenz, als Mumm eintrat. »Wie nett von dir, dass du gekommen bist. Ist es ein schöner Tag?«

Bis zu diesem Moment, dachte Mumm, als er die anderen beiden Personen im Zimmer bemerkte.

»Du wolltest mich sprechen, Herr?«, fragte er und wandte sich wieder an Vetinari. »Die Liga gegen die Diffamierung von Siliziumleben demonstriert in der Wasserstraße, und der Verkehr staut sich bis zum Geringsten Tor …«

»Das kann bestimmt warten, Kommandeur.«

»Ja, Herr. Das ist das Problem, Herr. Das Warten.«

Vetinari winkte lässig. »Volle Karren, die die Straßen verstopfen, sind ein Zeichen des Fortschritts, Mumm«, erklärte er.

»Nur im übertragenen Sinn, Herr«, sagte Mumm.

»Wie dem auch sei … Ich bin sicher, dass deine Leute damit fertig werden können.« Vetinari deutete auf einen freien Stuhl. »Du hast jetzt so viele. Sie kosten viel Geld. Bitte setz dich, Kommandeur. Kennst du Herrn John Smith?«

Der andere Mann am Tisch nahm die Pfeife aus dem Mund und schenkte Mumm ein Lächeln irrer Freundlichkeit.

»Ich glaube, wwwir hatten noch nicht das Vergnügen«, sagte er und streckte die Hand aus. Es war kaum möglich, ein W zu rollen, aber John Smith brachte es fertig.

Einem Vampir die Hand schütteln? Von wegen, dachte Mumm. Nicht einmal einem, der einen schlecht handgestrickten Pullover trug. Stattdessen salutierte er.

»Freut mich, dich kennen zu lernen, Herr«, sagte er schneidig und nahm Haltung an. Der Pullover war wirklich schrecklich. Er hatte ein Übelkeit erregendes Zickzackmuster in vielen verschiedenen, nicht zueinander passenden Farben. Das Ding sah aus wie etwas, das eine farbenblinde Tante als Geschenk gestrickt hatte. Man wagte nicht, so etwas wegzuwerfen, weil die Leute von der Müllabfuhr gelacht und die Mülltonnen umgestoßen hätten.

»Herr Smith ist …«, begann Vetinari.

»Präsident der überwaldischen Liga der Enthaltsamkeit in Ankh-Morpork«, sagte Mumm. »Und ich glaube, die Dame neben ihm ist Frau Doreen Winkings, Schatzmeisterin derselben. Es geht um einen Vampir in der Wache, nicht wahr, Herr? Schon wieder.«

»Ja, Mumm, das stimmt«, bestätigte Vetinari. »Und ja, schon wieder. Wie wär’s, wenn wir alle Platz nehmen? Mumm?«

Es gab kein Entkommen, begriff Mumm, als er voller Groll auf den Stuhl sank. Und diesmal würde er verlieren. Vetinari hatte ihn in die Enge getrieben.

Mumm kannte alle Argumente dafür, verschiedene Spezies in der Wache zu haben. Es waren gute Argumente. Einige Argumente dagegen waren schlechte Argumente. Es gab Trolle in der Wache, viele Zwerge, einen Werwolf, drei Golems, einen Igor und nicht zuletzt Korporal Nobbs1, warum also keinen Vampir? Und die Liga der Enthaltsamkeit war eine Tatsache. Ebenso Vampire, die das Schwarze Band der Liga trugen (»Nicht einen Tropfen!«). Zugegeben: Vampire, die dem Blut abgeschworen hatten, konnten ein wenig seltsam sein, aber sie waren intelligent und clever und somit ein möglicher Aktivposten der Gesellschaft. Und die Wache war der sichtbarste Arm der Regierung in der Stadt. Warum kein Beispiel geben?

Weil du die verdammten Vampire hasst, antwortete Mumms arg mitgenommene, aber immer noch funktionierende Seele. Kein Drumherumgerede, keine Ausflüchte in der Art von »Die Öffentlichkeit wird es nicht akzeptieren« oder »Die Zeit ist nicht reif«. Du hasst die verdammten Vampire, und es ist deine verdammte Wache.

Die anderen drei sahen ihn an.

»Herr Mumm«, sagte Frau Winkings, »vir müssen zur Kenntnis nehmen, dass du noch immer keins unserer Mitglieder in die Vache aufgenommen hast …«

Warum sagst du nicht »Wache«?, dachte Mumm. Ich weiß, dass du es kannst. Lass den dreiundzwanzigsten Buchstaben des Alphabets in dein Leben eintreten. Frag Herrn Smith nach dem einen oder anderen W, er hat genug davon. Und überhaupt, ich habe ein neues Argument, und es ist todsicher.

»Frau Winkings«, sagte er laut, »kein Vampir hat sich um einen Platz in der Wache beworben. Vampire sind geistig nicht für das Leben eines Polizisten geeignet. Und es heißt Kommandeur Mumm, herzlichen Dank.«

In Frau Winkings’ kleinen Augen glänzte rechtschaffene Bosheit.

»Oh, villst du etva sagen, dass Vampire … dumm sind?«, fragte sie.

»Nein, Frau Winkings, ich sage, dass sie intelligent sind. Und genau dort liegt das Problem. Warum sollte eine intelligente Person ihre Eie… Kopf und Kragen riskieren, und zwar täglich, für nur achtunddreißig Dollar plus Zulagen im Monat? Vampire haben Klasse, Kultur und ein ›von‹ im Namen. Für sie gibt es hundert bessere Dinge zu tun, als Polizist zu sein und auf Streife zu gehen. Soll ich vielleicht einen Vampir zwingen, den Dienst in der Wache anzutreten?«

»Böte man ihnen nicht den Rang eines Offiziers an?«, fragte John Smith. Schweiß glänzte in seinem Gesicht, und sein permanentes Lächeln wirkte manisch. Gerüchten zufolge fiel es ihm sehr schwer, enthaltsam zu bleiben.

»Nein, jeder beginnt auf der Straße«, sagte Mumm. Das stimmte nicht ganz, aber die Frage hatte ihn beleidigt. »Und in der Nachtwache. Eine gute Ausbildung. Die beste, die es gibt. Eine Woche verregnete Nächte mit Nebel und Wasser, das einem über den Nacken rinnt, und mit seltsamen Geräuschen in den Schatten … Dann erkennen wir, ob wir einen richtigen Polizisten haben …«

Er wusste es in dem Augenblick, als die Worte seinen Mund verließen. Die Falle war zugeschnappt. Offenbar hatten sie einen Kandidaten.

»Nun, das klingt virklich gut!«, sagte Frau Winkings und lehnte sich zurück.

Mumm wollte sie schütteln und rufen: Du bist kein Vampir, Doreen! Du hast einen geheiratet, ja, aber der wurde erst zu einem Vampir, als es jenseits der menschlichen Vorstellungskraft lag, dass er jemanden beißen könnte. Die echten Schwarzbandler versuchen, sich normal und unauffällig zu verhalten. Keine weiten Umhänge, keine Blutsaugerei und erst recht keine Nachthemden, die jungen Damen vom Leib gerissen werden. Alle wissen, dass John Überhaupt-kein-Vampir Smith früher Graf Vargo St. Grimmig von Grimmelsburg war. Aber jetzt raucht er Pfeife, trägt grässliche Pullover, sammelt Bananen und baut aus Streichhölzern Modelle menschlicher Organe, weil er glaubt, dass ihn ein Hobby mehr zu einem Menschen macht. Und du, Doreen? Du bist in der Unbesonnenheitsstraße geboren. Deine Mutter war Wäscherin. Niemand könnte dir ein Nachthemd vom Leib reißen, nicht ohne einen Kran. Aber du hast dich so in diese Sache hineinverbissen. Du versuchst, vampirischer zu sein als Vampire. Übrigens klappern deine falschen spitzen Zähne beim Sprechen.

»Mumm?«

»Mhm?« Mumm begriff, dass Leute gesprochen hatten.

»Herr Smith hat gute Neuigkeiten«, sagte Vetinari.

»In der Tat, ja«, sagte John Smith und lächelte wie ein Wahnsinniger. »Wwwir haben einen Rekruten für dich, Kommandeur. Einen Vampir, der in der Wwwache dienen möchte!«

»Und die Nacht vird natürlich kein Problem sein«, fügte Doreen triumphierend hinzu. »Vir sind die Nacht!«

»Soll das heißen, ich bin gezwungen …«, begann Mumm.

Vetinari unterbrach ihn schnell. »O nein, Kommandeur. Wir respektieren deine Autonomie als Kommandeur der Wache. Die Entscheidung darüber, wer in der Wache Dienst leistet, liegt natürlich bei dir. Ich bitte dich nur, ein Gespräch mit dem Kandidaten zu führen, um der Fairness willen.«

Ja, natürlich, dachte Mumm. Und die Beziehungen zu Überwald werden ein wenig leichter, wenn du auf einen Schwarzbandler in der Wache hinweisen kannst. Und wenn ich diesen Mann ablehne, so muss ich einen Grund dafür nennen. Und der Hinweis »Ich kann Vampire nicht ausstehen!« genügt vermutlich nicht.

»Natürlich«, brummte er. »Schick ihn zu mir.«

»Er ist eine Sie«, sagte Vetinari und blickte auf seine Unterlagen. »Salacia Deloresista Amanita Trigestatra Zeldana Malifee  …« Er zögerte, blätterte einige Seiten weiter und sagte: »Ich glaube, wir können einen Teil davon überspringen. Der Name endet mit ›von Humpeding‹. Sie ist einundfünfzig, aber«, fügte Vetinari hinzu, bevor Mumm an diesem Punkt ansetzen konnte, »das ist überhaupt kein Alter für einen Vampir. Oh, und sie möchte einfach nur Sally sein.«

Der Umkleideraum war nicht groß genug. Nicht annähernd groß genug. Feldwebel Angua versuchte, nicht zu atmen.

Ein großer Saal wäre gut gewesen. Oder noch besser: draußen, an der frischen Luft. Sie brauchte Platz zum Atmen. Genauer gesagt: Sie brauchte Platz, um keinen Vampirgeruch einzuatmen.

Verdammte Grinsi! Aber Angua hatte nicht ablehnen können, das hätte einen schlechten Eindruck gemacht. Sie konnte nur lächeln, es ertragen und das dringende Verlangen niederringen, dem Mädchen mit den Zähnen die Kehle zu zerfleischen.

Sie muss davon wissen, dachte Angua. Sie alle wussten, dass sie eine Aura von müheloser Zwanglosigkeit umgab, von Selbstsicherheit in jeder Gesellschaft und davon, überall zu Hause zu sein – in allen anderen weckten sie das Gefühl, zweitklassig und unbeholfen zu sein. Nenn mich Sally. Du lieber Himmel!

»Entschuldige bitte«, sagte Angua und versuchte, ihre Nackenhaare daran zu hindern, sich aufzurichten. »Es ist ein wenig eng hier drin.« Sie hüstelte. »Wie dem auch sei … Dies ist der Umkleideraum. Keine Sorge, hier riecht es immer so. Und mach dir nicht die Mühe, deinen Spind abzuschließen. Alle Schlüssel sind gleich, und außerdem springen die meisten Türen auf, wenn man an die richtige Stelle klopft. Bewahre keine Wertsachen darin auf, es gibt hier zu viele Polizisten. Und reg dich nicht zu sehr auf, wenn jemand Weihwasser oder einen Holzpflock hineinstellt.«

»Könnte das passieren?«, fragte Sally.

»Es könnte nicht passieren, es wird passieren«, sagte Angua. »Ich habe in meinem Spind ein Hundehalsband und knochenförmige Kekse gefunden.«

»Hast du dich nicht beschwert?«

»Was? Nein! Man beschwert sich nicht«, schnappte Angua und wünschte, sie könnte mit dem Einatmen aufhören. Sie glaubte bereits, dass ihr Haar völlig durcheinander war.

»Aber ich dachte, die Wache …«

»Es hat nichts damit zu tun, was du … was wir sind, klar?«, sagte Angua. »Wenn du ein Zwerg wärst, würdest du Schuhe mit Plateausohlen oder eine Trittleiter oder etwas in der Art finden, obwohl so was heute nicht mehr sehr oft passiert. Sie versuchen es bei allen. Es ist eine Polizistensache. Und dann beobachten sie, wie du darauf reagierst, verstehst du? Niemand schert sich darum, ob du ein Gnom, Zombie oder Vampir bist.« Zumindest nicht sehr, fügte Angua in Gedanken hinzu. »Aber lass die anderen bloß nicht glauben, dass du ein Jammerlappen oder eine Petze bist. Und die Kekse waren eigentlich nicht schlecht, um ganz ehrlich zu sein … Oh, bist du schon Igor begegnet?«

»Sehr oft«, sagte Sally. Angua rang sich ein Lächeln ab. In Überwald sah man viele Igors. Insbesondere als Vampir.

»Und diesem?«, fragte sie.

»Ich glaube nicht.«

Ah, das war eine Erleichterung. Normalerweise mied Angua Igors Laboratorium, denn der davon ausgehende Geruch war entweder schrecklich chemisch oder grässlich verlockend organisch, aber jetzt hätte sie ihn liebend gern eingeatmet. Sie ging zur Tür, etwas schneller, als es die Höflichkeit erforderte, und klopfte an.

Sie öffnete sich knarrend. Jede von einem Igor geöffnete Tür knarrte. Es gehörte einfach dazu.

»Hallo, Igor«, sagte Sally freundlich. »Lass dir die Hand mit den sechs Fingern schütteln.«

Angua überließ sie sich selbst. Igors waren von Natur aus servil und Vampire nicht, daher passten sie gut zusammen. Endlich bekam Angua Gelegenheit, frische Luft zu schnappen.

Die Tür öffnete sich.

»Herr Pessimal, Herr«, sagte Grinsi und führte einen Mann in Mumms Büro, der nicht viel größer war als sie. »Und hier ist die fürs Büro bestimmte Ausgabe der Times …«

Herr Pessimal war ordentlich, sogar mehr als das. Er war der Typ Unterhosen-Bügler. Sein Anzug war billig, aber sehr sauber, und seine Schuhe funkelten. Auch sein Haar glänzte, noch mehr als die Schuhe. Es war in einen Mittelscheitel gekämmt und klebte so am Kopf, dass es wie aufgemalt wirkte.

Alle Dienststellen der Stadt wurden gelegentlich inspiziert, hatte Vetinari gesagt. Es gab keinen Grund, warum die Wache eine Ausnahme darstellen sollte. Immerhin vergeudete sie einen nicht unbeträchtlichen Teil der städtischen Gelder.

Mumm hatte darauf hingewiesen, dass von Vergeudung nicht die Rede sein konnte.

Trotzdem, hatte Vetinari gesagt. Einfach trotzdem. Trotzdem-Argumenten konnte man nichts entgegensetzen.

Und das Ergebnis war Herr Pessimal, der nun Mumm entgegentrat.

Er glitzerte beim Gehen. Mumm konnte es nicht anders beschreiben. Jede Bewegung war … ordentlich. Bestimmt hat er eine Geldbörse mit Rutschfach und eine Brille an einem Band, dachte Mumm.

Herr Pessimal faltete sich vor Mumms Schreibtisch auf den Stuhl und öffnete die beiden Schnallen seiner Aktentasche mit einem doppelten Klacken des Unheils.

Feierlich setzte er eine Brille auf. Ein schwarzes Band war daran befestigt.

»Mein Akkreditierungsschreiben von Lord Vetinari, Euer Gnaden«, sagte er und reichte Mumm ein Blatt Papier.

»Danke, Herr … A. E. Pessimal«, sagte Mumm, warf einen Blick darauf und legte es beiseite. »Und wie können wir dir helfen? Übrigens heißt es Kommandeur Mumm, wenn ich im Dienst bin.«

»Ich brauche ein Büro, Euer Gnaden. Und Zugang zu allen euren Unterlagen. Wie du weißt, besteht meine Aufgabe darin, Seiner Lordschaft eine komplette Übersicht und eine Kosten-Nutzen-Analyse der Wache zu geben, mit Verbesserungsvorschlägen zu allen Aspekten ihrer Aktivitäten. Deine Kooperation wäre willkommen, ist aber nicht erforderlich.«

»Verbesserungsvorschläge?«, fragte Mumm munter, während Feldwebel Kleinpo hinter A. E. Pessimals Stuhl in Erwartung des Schlimmsten die Augen schloss. »Na wunderbar. Ich bin für meine Kooperationsbereitschaft bekannt. Die Sache mit dem Herzog habe ich doch erwähnt?«

»Ja, Euer Gnaden«, sagte A. E. Pessimal formell. »Trotzdem, du bist der Herzog von Ankh, und es wäre unangemessen, dich anders anzusprechen. Es würde sich respektlos anfühlen.«

»Ich verstehe. Und wie soll ich dich ansprechen, Herr Pessimal?« , fragte Mumm. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich auf der anderen Seite des Zimmers ein Dielenbrett kaum merklich hob.

»A. E. Pessimal genügt, Euer Gnaden«, antwortete der Inspektor.

»Und das A steht für …?«, fragte Mumm und wandte den Blick kurz von dem Dielenbrett ab.

»Es ist einfach nur ein A, Euer Gnaden«, erwiderte A. E. Pessimal geduldig. »A. E. Pessimal.«

»Soll das heißen, du hast keinen Namen bekommen, sondern Initialen?«

»Ganz recht, Euer Gnaden«, sagte der kleine Mann.

»Wie nennen dich deine Freunde?«

A. E. Pessimal sah aus, als enthielte der Satz eine wichtige Annahme, die er nicht verstand, und deshalb hatte Mumm ein wenig Mitleid mit ihm. »Feldwebel Kleinpo wird sich um dich kümmern«, sagte er mit falscher Jovialität. »Besorg ihm irgendwo ein Büro, Feldwebel, und stell ihm alle Unterlagen zur Verfügung, die er anfordert.« Überhäuf ihn mit Papieren, dachte Mumm. Begrab ihn darunter, wenn es ihn von mir fern hält.

»Danke, Euer Gnaden«, sagte A. E. Pessimal. »Ich muss auch mit einigen Angehörigen der Wache sprechen.«

»Warum?«, fragte Mumm.

»Um die Vollständigkeit meines Berichts zu gewährleisten, Euer Gnaden.«

»Ich kann dir alles sagen, was du wissen musst«, entgegnete Mumm.

»Ja, Euer Gnaden, aber so geht man nicht vor bei einer Ermittlung. Ich muss vollkommen unabhängig sein. Quis custodiet ipsos custodes?, Euer Gnaden.«

»Den Spruch kenne ich«, sagte Mumm. »Wer bewacht die Wächter? Ich, Herr Pessimal.«

»Ja, aber wer bewacht dich, Euer Gnaden?«, erwiderte der Inspektor mit einem kurzen Lächeln.

»Das mache ich ebenfalls, die ganze Zeit über«, sagte Mumm. »Glaub mir.«

»In der Tat, Euer Gnaden. Trotzdem muss ich hier das öffentliche Interesse repräsentieren. Ich werde versuchen, nicht aufdringlich zu sein.«

»Sehr freundlich von dir, Herr Pessimal«, sagte Mumm und gab auf. Ihm war nicht klar gewesen, wie sehr er Vetinari in letzter Zeit verärgert hatte. Dies fühlte sich nach einem seiner Spielchen an. »Na schön. Genieß deinen hoffentlich kurzen Aufenthalt bei uns. Bitte entschuldige mich, wir haben heute Morgen viel zu tun, wegen der Sache mit dem Koomtal und all den anderen Dingen. Herein, Fred!«

Das war ein Trick, den er von Vetinari gelernt hatte. Es fiel einem Besucher schwer, zu bleiben, wenn sein Ersatz zugegen war. Außerdem schwitzte Fred sehr, wenn es warm wurde; er war ein Meisterschwitzer. Und in all den Jahren hatte er es nicht herausgefunden: Wenn man vor dem Büro stand, schaukelte das lange Dielenbrett ein wenig am Querbalken und hob sich dort nach oben, wo Mumm es sehen konnte.

Das Dielenbrett kehrte nach unten zurück, und die Tür öffnete sich.

»Ich weiß nicht, wie du es anstellst, Herr Mumm!«, sagte Feldwebel Colon fröhlich. »Ich wollte gerade anklopfen!«

Nachdem du lange genug gelauscht hast, dachte Mumm. Zufrieden stellte er fest, dass A. E. Pessimal die Nase rümpfte.

»Was ist los, Fred?«, fragte er. »Oh, keine Sorge, Herr Pessimal wollte gerade gehen. Weitermachen, Feldwebel Kleinpo. Guten Morgen, Herr Pessimal.«

Als Grinsi den Inspektor weggeführt hatte, nahm Fred Colon den Helm ab und wischte sich Schweiß von der Stirn.

»Draußen wird’s wieder heiß«, sagte er. »Ich schätze, es gibt bald ein Gewitter.«

»Ja, Fred. Und weshalb genau bist du hier?«, fragte Mumm. Er brachte es fertig, Fred darauf hinzuweisen, dass er immer willkommen war, nur nicht gerade jetzt.

»Äh … etwas Großes bahnt sich in den Straßen an, Herr«, sagte Fred ernst und wie jemand, der sich den Satz eingeprägt hatte.

Mumm seufzte. »Soll das heißen, dass etwas passiert, Fred?«

»Ja, Herr. Es sind die Zwerge, Herr. Ich meine, die Jungs hier. Es wird schlimmer. Sie stecken die Köpfe zusammen, Herr. Wohin man auch sieht, Herr, überall werden Köpfe zusammengesteckt. Aber sie hören damit auf, wenn man sich nähert. Selbst die Feldwebel. Sie hören auf, die Köpfe zusammenzustecken, und sehen einen seltsam an, Herr. Und das macht die Trolle nervös, ganz klar.«

»Wir lassen hier bei uns keine Wiederholung des Koomtals zu, Fred«, sagte Mumm. »Ich weiß, die Stadt ist derzeit voll davon, weil der Jahrestag bevorsteht, aber ich mache jeden Polizisten zur Minna, der sich im Umkleideraum an einer historischen Nachstellung versucht. Die Betreffenden werden sich auf der Straße wiederfinden. Mach das allen klar.«

»Jaherr«, bestätigte Fred Colon. »Aber diese Dinge meine ich nicht. Darüber wissen wir alle Bescheid. Die heutige Sache ist anders. Sie fühlt sich schlimm an; mir richten sich dabei die Nackenhaare auf. Die Zwerge wissen was. Etwas, das sie verschweigen.«

Mumm zögerte. Fred Colon konnte nicht unbedingt als das größte Polizeitalent bezeichnet werden. Er war langsam, stur und nicht sehr einfallsreich. Aber er war so lange durch die Straßen von Ankh-Morpork gestapft, dass er Furchen in ihnen hinterlassen hatte. Irgendwo im Innern des dummen, dicken Kopfes steckte etwas Kluges, das im Wind schnupperte, die Stimmen hörte und die Zeichen an der Wand las, auch wenn sich seine Lippen dabei bewegten.

»Vermutlich hat der verdammte Schinkenbrecher erneut für Unruhe gesorgt, Fred«, sagte Mumm.

»Ich habe gehört, wie sie in ihrer Sprache seinen Namen erwähnten, ja, aber ich bin sicher, dass mehr dahinter steckt. Ich meine, die Burschen wirken ziemlich nervös, Herr. Es ist etwas Wichtiges, Herr, das habe ich im Urin.«

Mumm dachte an die Zulässigkeit von Fred Colons Urin als Beweisstück A. Es war nicht unbedingt etwas, das man in einem Gerichtssaal vorlegen wollte, aber der Instinkt eines alten Straßenmonstrums wie Fred bedeutete viel, unter Polizisten.

»Wo ist Karotte?«, fragte Mumm.

»Er hat dienstfrei, Herr. Er hat die Spätschicht und die Morgenschicht übernommen, unten in der Sirupminenstraße. Alle schieben doppelte Schichten«, fügte Fred Colon vorwurfsvoll hinzu.

»Tut mir Leid, Fred, du weißt, wie es ist. Ich setze ihn darauf an, wenn er zurückkehrt. Er ist ein Zwerg und hört die Gerüchte.«

»Ich fürchte, er ist ein wenig zu groß, um die Gerüchte zu hören, Herr«, sagte Colon, und dabei klang seine Stimme seltsam.

Mumm neigte den Kopf zur Seite.

»Wie kommst du darauf, Fred?«

Fred Colon schüttelte den Kopf. »Es ist nur ein Gefühl, Herr«, sagte er. Erinnerungen und Verzweiflung vibrierten in seiner Stimme, als er hinzufügte: »Es war besser, als die Wache nur aus dir, mir, Nobby und dem jungen Karotte bestand. Damals kannten wir uns alle gut. Jeder von uns wusste, was der andere dachte …«

»Ja, wir dachten: ›Ich wünschte, wir wären wenigstens dieses eine Mal im Vorteil‹, Fred«, sagte Mumm. »Hör mal, dies betrübt uns alle. Aber ihr Führungsoffiziere müsst es durchstehen, klar? Wie gefällt dir dein neues Büro?«

Colons Miene erhellte sich. »Sehr hübsch, Herr. Nur das mit der Tür ist schade.«

Es war ein Problem gewesen, einen Platz für Colon zu finden. Wer ihn zum ersten Mal sah, konnte ihn für jemanden halten, der beim Sturz von einer Klippe unterwegs nach dem Weg fragen musste. Den richtigen Fred Colon sah nur, wer ihn kannte, und die Neuen bei der Wache kannten ihn nicht. Sie sahen einen dummen Dicken, womit sie der Realität sehr nahe kamen. Aber das war nicht die ganze Geschichte.

Fred hatte dem Ruhestand ins Gesicht gesehen und sich dann von ihm abgewendet. Mumm war dem Problem aus dem Weg gegangen, indem er ihn zur großen Erheiterung aller anderen zum Sonderaufseher2 ernannt und ihm ein Büro im Ausbildungszentrum der Wache auf der anderen Straßenseite gegeben hatte, besser bekannt als die alte Limonadenfabrik. Mumm hatte ihm auch noch die Aufgaben eines Verbindungsoffiziers der Wache übertragen, weil es gut klang und niemand wusste, was es bedeutete. Außerdem hatte er ihm Korporal Nobbs zur Seite gestellt, einen weiteren peinlichen Dinosaurier in der modernen Wache.

Es funktionierte. Nobby und Colon kannten die Stadt fast so gut wie Mumm. Sie schlenderten umher, offenbar ziellos und völlig ungefährlich, und beobachteten und lauschten dem urbanen Äquivalent von Urwaldtrommeln. Und manchmal kamen die Trommeln zu ihnen. Freds verschwitztes kleines Büro war einmal der Ort gewesen, wo Frauen mit nackten Armen große Mengen Sarsaparille, Himbeersaft und Ingwerlimo gemixt hatten. Jetzt gab es dort immer Tee, und alte Kumpel, ehemalige Wächter und Exganoven waren jederzeit willkommen – wobei es sich manchmal um ein und dieselbe Person handelte. Mumm kam gern für die Krapfen auf, wenn diese Besucher eintrafen, um für einige Zeit der Fuchtel ihrer Ehefrauen zu entgehen. Es war die Investition wert. Alte Polizisten hielten die Augen offen und tratschten wie Waschfrauen.

Rein theoretisch war das einzige Problem in Freds Leben die Tür.

»Die Gilde der Historiker meint, wir sollten so viel wie möglich von dem alten Kram bewahren, Fred«, sagte Mumm.

»Ich weiß, Herr, aber … ›Quasselzimmer‹, Herr? Ich muss schon sagen!«

»Aber das Messingschild ist hübsch, Fred«, wandte Mumm ein. »Quassel. So nannte man den Sirup, der zur Herstellung der verschiedenen Limonaden diente. Eine wichtige historische Tatsache. Du könntest das Schild mit einem Stück Papier überkleben.«

»Das habe ich gemacht, Herr, aber die Jungs ziehen es immer wieder ab und kichern.«

Mumm seufzte. »Finde eine Lösung, Fred. Wenn ein alter Feldwebel keine Lösung für so etwas finden kann, ist die Welt zu einem sehr sonderbaren Ort geworden. Ist das alles?«

»Äh, eigentlich schon. Aber …«

»Komm schon, Fred. Es liegt ein arbeitsreicher Tag vor mir.«

»Hast du von Herrn Schein gehört?«

»Benutzt man ihn, um verschmutzte Oberflächen zu reinigen?«

»Äh … wie bitte, Herr?«, erwiderte Fred. Niemand war besser verwirrt als Fred Colon. Mumm schämte sich.

»Entschuldige, Fred. Nein, ich habe nicht von Herrn Schein gehört. Wieso fragst du?«

»Oh, nur so. ›Herr Schein, er Diamant!‹ Das habe ich in letzter Zeit mehrmals an Mauern gesehen. Trollgraffiti, tief ins Gestein gekratzt. Scheint bei den Trollen für Aufregung zu sorgen. Vielleicht ist es wichtig.«

Mumm nickte. Das Gekritzel an den Mauern ignorierte man auf eigene Gefahr. Manchmal teilte einem die Stadt auf diese Weise mit, was sie nicht unbedingt in ihrem viel beschäftigten Sinn hatte, aber doch in ihrem knarrenden Herzen.

»Halte weiterhin die Ohren offen, Fred. Ich verlasse mich auf dich, damit aus Gerüchten keine bittere Realität wird«, sagte Mumm mit zusätzlicher Fröhlichkeit, um den Mann ein wenig aufzumuntern. »Und ich spreche jetzt mit unserem Vampir.«

»Viel Glück, Sam. Ich glaube, es wird ein langer Tag.«

Sam, dachte Mumm, als der alte Feldwebel ging. Die Götter wissen, dass er es verdient hat, aber er nennt mich nur dann Sam, wenn er sich wirklich Sorgen macht. Nun, wir sind alle besorgt.

Wir warten auf den ersten Knall.

Mumm entfaltete die Times, die Grinsi auf seinem Schreibtisch zurückgelassen hatte. Er las die Zeitung immer im Büro, und dabei galt sein Interesse den Neuigkeiten, die Willikins beim Rasieren für zu gefährlich gehalten hatte.

Koomtal, Koomtal. Wohin Mumms Blick in der Zeitung auch fiel, überall sah er das Koomtal. Das verdammte Koomtal. Sollten die Götter diesen Ort verfluchen, was offenbar bereits geschehen war – sie hatten das Koomtal verflucht und dann vergessen. Eigentlich war es nur irgendein Tal in den Bergen. Rein theoretisch war es weit entfernt, aber in letzter Zeit schien es viel näher zu kommen. Aus dem Koomtal wurde weniger ein Ort, mehr ein geistiger Zustand.

Wenn man die nackten Tatsachen betrachtete, war es der Schauplatz einer historischen Schlacht. An einem unglücklichen Tag unter verhängnisvollen Sternen hatten dort die Zwerge den Trollen aufgelauert, beziehungsweise umgekehrt. Sie hatten seit der Schöpfung gegeneinander gekämpft, soweit Mumm wusste, aber bei der Schlacht im Koomtal war der gegenseitige Hass in gewisser Weise offiziell geworden und hatte eine Art mobile Geographie entwickelt. Wo irgendein Zwerg gegen einen Troll kämpfte, dort befand sich das Koomtal. Selbst bei einer Schlägerei in einer Kneipe war das Koomtal zugegen. Es gehörte zur Mythologie beider Völker und war ein Schlachtruf, der Grund, warum man den kleinen, bärtigen respektive großen, felsigen Mistkerlen nicht trauen konnte.

Seit dem ursprünglichen Koomtal hatte es viele Koomtäler gegeben. Der Krieg zwischen Zwergen und Trollen war eine Auseinandersetzung zwischen Naturkräften, wie der Krieg zwischen dem Wind und den Wellen. Er hatte ein eigenes Bewegungsmoment.

Samstag war Koomtaltag, und in Ankh-Morpork lebten jede Menge Trolle und Zwerge. Und je mehr Trolle und Zwerge aus den Bergen kamen, desto wichtiger wurde das verdammte Koomtal. Die Paraden stellten kein Problem dar. Die Wache hielt die Teilnehmer voneinander fern, und außerdem fanden sie am Morgen statt, wenn die meisten Leute nüchtern waren. Aber wenn sich am Abend die Kneipen der Zwerge und Trolle leerten, brach die Hölle mit hochgerollten Ärmeln zu einem Bummel auf.

In der schlechten alten Zeit hätte sich die Wache mit anderen Dingen beschäftigt, um erst dann einzugreifen, wenn sich die erhitzten und vom Alkohol umnebelten Gemüter abgekühlt hatten. Dann waren die Wächter mit dem Gefangenenwagen losgezogen und hatten all die Trolle und Zwerge verhaftet, die zu betrunken, benommen oder tot gewesen waren, um sich zu bewegen. Ganz einfach.

Heute sah die Sache anders aus. Heute gab es viel mehr Zwerge und Trolle. Geistige Korrektur: Wachsende dynamische Gemeinschaften aus Zwergen und Trollen hatten die Stadt bereichert … und die Atmosphäre enthielt mehr … Gift. Zu viel alte Politik, zu viel alter Groll, der von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Und zu viele Saufereien.

Und dann, als Mumm schon glaubte, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte, erschienen Grag Schinkenbrecher und seine Kumpel. »Tiefener« nannte man sie, Zwerge so fundamental wie Grundgestein. Vor einem Monat waren sie gekommen, hatten ein Haus in der Sirupstraße bezogen und einige Ortsansässige beauftragt, die Keller zu öffnen. Es waren »Grags«. Mumm kannte genug Zwergisch, um zu wissen, dass »Grag« so viel bedeutete wie »namhafter Meister des überlieferten Zwergenwissens«. Aber Schinkenbrecher war ein Meister ganz besonderer Art. Er predigte die Überlegenheit der Zwerge über die Trolle und behauptete, alle Zwerge seien verpflichtet, in die Fußstapfen ihrer Vorfahren zu treten und die Trolle vom Angesicht der Welt zu tilgen. Offenbar stand es in irgendeinem heiligen Buch geschrieben, und deshalb war es in Ordnung und vermutlich auch obligatorisch.

Junge Zwerge hörten ihm zu, denn er sprach von Geschichte und Schicksal und benutzte all die anderen Worte, mit denen man Gemetzel glanzvoll erscheinen ließ. Es war berauschendes Zeug, obwohl Gehirne überhaupt nicht involviert waren. Bösartige Idioten wie Schinkenbrecher waren der Grund, aus dem man jetzt Zwerge sah, die nicht nur mit der »kulturellen« Streitaxt herumliefen, sondern mit schweren Kettenhemden, Morgensternen und Breitschwertern … mit dummem, provokantem Schwadronieren und lautem Waffengeklirr.

Auch Trolle hörten Schinkenbrechers Worte. Man sah mehr Flechten, mehr Clangraffiti, mehr Körpermeißelungen. Und die Trolle schleppten viel größere Keulen mit sich herum.

So war es nicht immer gewesen. Während der letzten zehn Jahre hatten sich die Dinge gelockert. Zwischen den Völkern der Zwerge und Trolle würde es nie Freundschaft geben, aber die Stadt hatte sie zusammengeworfen, und Mumm glaubte, dass sie mit nicht mehr als Hautabschürfungen davongekommen waren.

Jetzt steckte der Schmelztiegel wieder voller Brocken.

Sollten die Götter Schinkenbrecher verfluchen. Mumm hätte ihn gern verhaftet. Eigentlich hatte er sich nichts zuschulden kommen lassen, aber das war kein Hindernis für einen erfahrenen Polizisten. Er hätte ihn wegen »Verhalten, das vielleicht den Frieden gefährdet« hinter Gitter bringen können, aber Vetinari war dagegen gewesen. Er hatte gesagt, dies würde Öl ins Feuer gießen, doch wie viel schlimmer konnte es noch werden?

Mumm schloss die Augen und dachte an die kleine Gestalt, die einen dicken Umhang aus schwarzem Leder mit Kapuze trug, damit sie nicht das Verbrechen begehen konnte, das Tageslicht zu sehen. Eine kleine Gestalt, doch mit großen Worten. Er erinnerte sich:

»Hütet euch vor dem Troll. Vertraut ihm nicht. Weist ihn an eurer Tür ab. Er ist nichts, nur ein Zufall der Kräfte, ungeschrieben und unsauber, das blasse, neidische Echo lebender, denkender Geschöpfe in der Mineralwelt. In seinem Kopf ein Felsen, in seinem Herzen ein Stein. Er baut nicht, er ergründet nicht, er pflanzt und erntet nicht. Seine Entstehung war ein Akt des Stehlens, und er stiehlt überall dort, wohin er seine Keule mitnimmt. Wenn er nicht stiehlt, so plant er zu stehlen. Der einzige Zweck seines erbärmlichen Lebens ist sein Ende, denn der Tod befreit den armseligen Felsen von der zu schweren Last des Denkens. Ich sage dies voller Kummer. Es ist kein Mord, den Troll zu töten. Schlimmstenfalls ist es ein Akt der Nächstenliebe.«

Etwa zu jenem Zeitpunkt war der Mob in den Saal gekommen.

So schlimm konnte es werden. Mumm blinzelte, sah wieder in die Zeitung und suchte diesmal nach etwas, das zu behaupten wagte, dass die Bewohner von Ankh-Morpork noch in der realen Welt lebten …

»Oh, verdammt!« Er stand auf und eilte die Treppe hinunter. Unten duckte sich Grinsi, als sie seine donnernden Schritte hörte.

»Haben wir davon gewusst?«, fragte Mumm und klatschte die Zeitung auf das Ereignisbuch.

»Wovon, Herr?«, fragte Grinsi.

Mumm deutete auf einen kurzen, illustrierten Artikel auf der vierten Seite. Sein Finger klopfte darauf. »Siehst du das?«, knurrte er. »Der schwachsinnige Narr vom Postamt hat eine Koomtal-Briefmarke herausgegeben!«

Die Zwergin blickte nervös auf den Artikel. »Äh … zwei Briefmarken, Herr«, sagte sie.

Mumm sah genauer hin. Er hatte nur wenige Details zur Kenntnis genommen, bevor der rote Nebel des Zorns entstanden war. O ja, zwei Briefmarken. Sie waren fast identisch. Beide zeigten das Koomtal, einen von Bergen umgebenen, felsigen Bereich. Beide zeigten die Schlacht. Aber auf der einen jagten kleine Trolle Zwerge von rechts nach links, und auf der anderen jagten Zwerge Trolle von links nach rechts. Das Koomtal, wo die Trolle den Zwergen auflauerten und die Zwerge den Trollen. Mumm stöhnte. Wähle deine eigene dumme Geschichte für nur zehn Cent, mit hohem Sammlerwert.

»Die Koomtal-Gedenkmarken«, las er. »Aber wir wollen doch gar nicht, dass sich die Zwerge und Trolle daran erinnern! Sie sollen es vergessen!«

»Es sind nur Briefmarken, Herr«, sagte Grinsi. »Ich meine, Briefmarken sind nicht verboten …«

»Es sollte ein Gesetz geben, das schwachsinnige Narren verbietet!«

»Wenn es eins gäbe, müssten wir jeden Tag Überstunden machen!« , sagte Grinsi und lächelte.

Mumm entspannte sich ein wenig. »Ja, und niemand könnte schnell genug Zellen bauen. Erinnerst du dich an die Kohlgeruch-Briefmarken im letzten Monat? ›Schickt euren ausgewanderten Söhnen und Töchtern den Geruch der Heimat‹? Sie gingen sogar in Flammen auf, wenn man zu viele von ihnen zusammenpappte!«

»Ich kriege den Geruch noch immer nicht aus meiner Kleidung raus, Herr.«

»Ich schätze, es gibt Leute, die hundert Meilen entfernt wohnen und das gleiche Problem haben. Was haben wir letztendlich mit den verdammten Dingern gemacht?«

»Ich habe sie in den Beweismittelschrank Nummer vier gelegt und den Schlüssel im Schloss gelassen«, sagte Grinsi.

»Aber Nobby Nobbs stiehlt doch alles, was …«, begann Mumm.

»Genau, Herr!«, sagte Grinsi munter. »Ich habe sie seit Wochen nicht mehr gesehen.«

Ein Krachen kam von der Kantine, gefolgt von Geschrei. Etwas in Mumm – vielleicht der Teil, der auf den ersten Knall gewartet hatte – trieb ihn durch das Büro, durch den Flur und zur Tür der Kantine, so schnell, dass der Staub Spiralen auf dem Boden bildete.

Dort bot sich seinen Blicken eine dramatische Szene mit verschiedenen Schattierungen von Schuld dar. Einer der Tische war umgestürzt. Essen und billiges Besteck lagen auf dem Boden verstreut. Auf der einen Seite der Kantine stand der Troll Obergefreiter Muskovit, derzeit festgehalten von zwei anderen Trollen, den Obergefreiten Flussspat und Schiefer. Auf der anderen Seite stand der Zwerg Obergefreiter Brackenschild, derzeit über dem Boden gehalten von dem wahrscheinlich menschlichen Korporal Nobbs und dem ganz sicher menschlichen Obergefreiten Haddock.

Die Wächter an den anderen Tischen hatten gerade aufstehen wollen. In der Stille konnten empfindliche Ohren, die danach lauschten, das Geräusch von Händen hören, die einen Zentimeter von den Waffen ihrer Wahl entfernt verharrten und dann ganz langsam gesenkt wurden.

»Na schön«, sagte Mumm in der schallenden Leere. »Wer will mir als Erster eine faustdicke Lüge auftischen? Korporal Nobbs?«

»Nun, Herr Mumm …«, sagte Nobby Nobbs und ließ den stummen Brackenschild auf den Boden hinab, »… äh … Brackenschild hier … nahm Muskovits … ja, er nahm Muskovits Becher, natürlich aus Versehen … und … das haben wir alle bemerkt und sind aufgesprungen, ja …« Nobby sprach schneller, als die wirklich steilen Schwindeleien überwunden waren. »… und dadurch kippte der Tisch um … weil …« Bei diesen Worten zeigte Nobbys Gesicht einen grässlich anzusehenden Ausdruck rechtschaffener Idiotie. »… es ihm sehr schlecht ergangen wäre, wenn er einen Schluck Trollkaffee getrunken hätte, Herr.«

Mumm seufzte innerlich. Was dumme faule Ausreden betraf, war diese nicht einmal so schlecht. Sie hatte zum Beispiel den Vorteil, völlig unglaubwürdig zu sein. Kein Zwerg würde es wagen, einen Becher mit Troll-Espresso zu nehmen, einem geschmolzenen chemischen Eintopf mit Rost darauf. Das wussten alle. Außerdem konnten alle sehen, dass Brackenschild eine Axt über den Kopf gehoben hatte, während Obergefreiter Flussspat bei dem Versuch erstarrt war, Muskovit die Keule abzuringen. Und alle wussten, dass Mumm den ersten verdammten Idioten rausschmeißen würde, der eine falsche Bewegung machte oder auch nur in dessen Nähe stand.

»So hat es sich also zugetragen?«, bemerkte Mumm. »Es hat also niemand eine böse Bemerkung über einen Wächterkollegen und andere Angehörige seines Volkes gemacht? Es kam nicht zu einer kleinen Dummheit, die man den großen Dummheiten draußen in den Straßen hinzufügen könnte?«

»Oh, nein, nichts dergleichen, Herr«, sagte Nobby. »Es war nur … so eine Sache.«

»Sie hätte nur fast zu einem scheußlichen Zwischenfall geführt, nicht wahr?«, fragte Mumm.

»Jaherr!«

»Und wir wollen keine scheußlichen Zwischenfälle, oder, Nobby?«

»Neinherr!«

»Niemand von uns wünscht sich scheußliche Zwischenfälle, denke ich«, sagte Mumm und sah sich im Raum um. Mit grimmiger Zufriedenheit stellte er fest, dass einige der Obergefreiten infolge der Anstrengung, sich nicht zu bewegen, ins Schwitzen kamen. »Und es kann so leicht dazu kommen, wenn man sich nicht ganz auf die Arbeit konzentriert. Verstanden?«

Stimmen brummten leise.

»Ich höre euch nicht!«

Diesmal erklang ein Chor aus »Jaherr!«.

»Gut!«, sagte Mumm scharf. »Geht jetzt raus, und bewahrt den Frieden, denn hier drin tut ihr das nicht, so viel steht fest!« Er richtete einen besonders durchdringenden Blick auf die Obergefreiten Brackenschild und Muskovit, bevor er ins Hauptbüro zurückkehrte und dort fast gegen Feldwebel Angua gestoßen wäre.

»Entschuldigung, Herr, ich wollte gerade …«, begann sie.

»Ich hab’s in Ordnung gebracht, keine Sorge«, sagte Mumm. »Aber es war sehr knapp.«

»Einige der Zwerge sind ziemlich nervös, Herr«, erwiderte Angua. »Ich kann es riechen.«

»Du und Fred Colon«, sagte Mumm.

»Ich glaube nicht, dass es nur um Schinkenbrecher geht, Herr. Es ist etwas … Zwergisches.«

»Nun, ich kann es nicht aus ihnen rausprügeln. Und obwohl der Tag eigentlich nicht mehr schlimmer werden könnte, muss ich jetzt mit einem verdammten Vampir reden.«

Zu spät bemerkte Mumm Anguas warnenden Blick.

»Äh … ich glaube, damit bin ich gemeint«, piepste es hinter ihm.

Fred Colon und Nobby Nobbs hatten ihre lange Kaffeepause beenden müssen, schlenderten langsam über den Breiten Weg und lüfteten ihre alten Uniformen. Unter den gegenwärtigen Umständen hielten sie es für besser, sich eine Zeit lang vom Wachhaus fern zu halten.

Sie gingen wie Männer, die den ganzen Tag Zeit hatten. Sie hatten den ganzen Tag Zeit. Ihre Wahl war auf diese Straße gefallen, weil sie viel Platz und Verkehr bot und weil man in diesem Teil der Stadt nicht vielen Trollen und Zwergen begegnete. Ihre Schlussfolgerungen waren fehlerlos: In vielen Teilen der Stadt gab es Gruppen von Zwergen und Trollen, die umhergingen oder still an einem Ort standen, für den Fall, dass die umhergehenden Mistkerle in diesem Viertel Ärger machen wollten. Seit Wochen kam es immer wieder zu Streitereien. Nobby und Fred gingen davon aus, dass es in den betreffenden Vierteln nicht sehr friedlich war, deshalb vergeudete man seine Kraft, wenn man versuchte, den wenigen Frieden zu bewahren. Schließlich versuchte man nicht, Schafe an Orten zu halten, wo sie von Wölfen gefressen wurden. Ganz klar. So was wäre dumm. Andererseits gab es auf großen Straßen wie dem Breiten Weg jede Menge Frieden, der ganz offensichtlich bewahrt werden musste. Der gesunde Menschenverstand sagte ihnen, dass das stimmte. Es war klar wie Kloßbrühe.

»Üble Sache«, sagte Colon, während sie schlenderten. »Ich habe die Zwerge nie so erlebt.«

»Vor dem Koomtaltag wird’s immer brenzlig, Feldwebel«, meinte Nobby.

»Ja, aber Schinkenbrecher hat sie richtig in Wallung gebracht, und ob.« Colon nahm den Helm ab und wischte sich Schweiß von der Stirn. »Ich habe Sam von meinem Wasser erzählt, und er war beeindruckt.«

»Na klar«, pflichtete ihm Nobby bei. »Es würde jeden beeindrucken.«

Colon klopfte sich an die Nase. »Ein Sturm zieht auf, Nobby.«

»Der Himmel ist völlig wolkenlos, Feldwebel«, erwiderte Nobby.

»Im übertragenen Sinne, Nobby, im übertragenen Sinne.« Colon seufzte und sah seinen Freund von der Seite an. Als er fortfuhr, sprach er im zögernden Tonfall eines Mannes, der an etwas anderes dachte. »Übrigens, Nobby, es gibt da eine Sache, über die ich mit dir reden wollte, sozusagen von Mann zu …« Er zögerte nur kurz. »… Mann.«

»Ja, Feldwebel?«

»Wie du weißt, Nobby, liegt mir dein moralisches Wohlergehen immer sehr am Herzen. Immerhin hast du keinen Vater, der deine Schritte auf den richtigen Weg lenkt …«

»Das stimmt, Feldwebel. Ohne dich wäre ich dauernd umhergeirrt«, sagte Nobby tugendhaft.

»Du hast mir da von der jungen Frau erzählt, mit der du ausgehst, wie lautet noch ihr Name …«

»Bronzaleh, Feldwebel?«

»Genau die meine ich. Sie arbeitet in einem Klub, nicht wahr?«

»Ja. Gibt es da ein Problem, Feldwebel?«, fragte Nobby besorgt.

»Nicht in dem Sinne. Aber als du letzte Woche deinen freien Tag hattest, wurde Obergefreiter Jolson in den Rosaroten Kätzchenklub gerufen, Nobby. Du weißt schon. Dort wird an Stangen getanzt und auf Tischen und so. Und kennst du die alte Frau Spudding aus dem Neuen Flickschusterweg?«

»Die alte Frau Spudding mit den Holzzähnen, Feldwebel?«

»Ja, Nobby«, sagte Colon würdevoll. »Sie macht dort sauber. Und als sie um acht Uhr morgens eintraf und niemanden vorfand, Nobby … Tja, ich sage es nicht gern, aber offenbar versuchte sie sich an der Stange.«

Sie teilten einen Moment des Schweigens, als Nobby dieses Bild im Kino seiner Fantasie betrachtete und hastig einen großen Teil davon auf den Boden des Schneideraums fallen ließ.

»Aber sie muss mindestens fünfundsiebzig sein, Feldwebel!« , sagte er und starrte mit fasziniertem Entsetzen ins Leere.

»Ein Mädchen kann träumen, Nobby. Natürlich vergaß sie,

Die Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Thud!« bei Doubleday, a division of Transworld Publishers, London

3. Auflage

Copyright © der Originalausgabe 2005 by Terry und Lyn Pratchett Discworld ® is a trademark registered by Terry Pratchett This edition is published by arrangement with Transworld Publishers, a division of The Random House Group Ltd. All rights reserved Copyright © deutschsprachigen Ausgabe 2006 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

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eISBN 978-3-641-09734-9

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Leseprobe

1

Dies lief auf eine Verunglimpfung von Nobby hinaus, musste Mumm zugeben. Nobby war ein Mensch, wie viele andere Angehörige der Wache. Allerdings war er der Einzige, der ein Zertifikat bei sich tragen musste, um es zu beweisen.

2

Wie in: »Der alte Fred hält sich für was Besonderes, deshalb hat er sich freiwillig gemeldet!« Da dies ein Beispiel für Bürohumor ist, muss es nicht unbedingt lustig sein.