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Als Mitten in der Nacht radioaktiver Müll von Dschihadisten aus einem unbewachten New Yorker Krankenhaus gestohlen wird, bleibt der Polizei in ihrem Kampf gegen die Zeit nichts anderes übrig als das FBI zu verständigen. Luke Stone, der Kopf einer geheimen Eliteeinheit des FBIs wird dabei zu ihrem einzigen Hoffnungsträger. Luke ist schnell klar, dass es den Terroristen darum geht eine radioaktive Bombe zu bauen, um in den nächsten vierundzwanzig Stunden ein politisch brisantes Ziel anzugreifen. Die Folge ist ein Katz und Maus Spiel, das die weltbesten Regierungsbeamten gegen die ausgeklügelten Pläne der Terroristen ausspielt. Agent Stone trägt die einzelnen Puzzleteile zusammen und muss bald feststellen, dass er es mit einer umfassenden Verschwörung zu tun hat. Das Ziel ist dabei noch brisanter als er es sich hätte ausmalen können und führt ihn direkt zum Präsidenten der Vereinigten Staaten. Auch Luke persönlich wird in die Geschehnisse mit hineingerissen. Luke wird für Verbrechen angeklagt, die er nicht begangen hat, sein Team wird bedroht und seine Familie großer Gefahr ausgesetzt. Aber als ehemaliger Kommandant der Spezialeinheit hat Luke schon viele schwierige Situationen im Laufe seines Lebens gemeistert somit wir er nicht eher aufgeben bis er einen Weg gefunden hat sie aufzuhalten – koste es was es wolle. Zug um Zug sieht er sich mit unzähligen Hindernissen und Verschwörungskomplotten konfrontiert, während er selbst nicht nur an die Grenzen seiner physischen Verfassung gerät, sondern auch an die seiner Vorstellungskraft. Als Polit-Thriller mit atemberaubender Action, internationalen Schauplätzen und nicht endender Spannung markiert KOSTE ES WAS ES WOLLE das Debut einer aufregenden neuen Serie, die Sie in ihren Bann ziehen wird. Buch 2 der Luke Stone Serie ist schon bald verfügbar.
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Seitenzahl: 418
Veröffentlichungsjahr: 2012
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KOSTE ES WAS ES WOLLE
(EIN LUKE STONE THRILLER—BUCH 1)
J A C K M A R S
Jack Mars
Jack Mars ist ein begeisterter Leser und Zeit seines Lebens großer Anhänger des Thriller-Genres. KOSTE ES WAS ES WOLLE ist Jacks erster Thriller. Jack würde sich freuen von Ihnen zu hören. Dafür einfach auf www.Jackmarsauthor.com mit Ihrer Email-Adresse registrieren und ein kostenfreies Buch und Geschenk erwerben. Wir sind auch auf Facebook und Twitter zu finden.
INHALTSVERZEICHNIS
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
TEIL EINS
5. Juni, 1.15 Uhr
Fairfax County, Virginia – Vorort Washington DCs
Das Telefon klingelte.
Luke Stone befand sich in einem Zustand zwischen Schlafen und Wachen. Bilder kreuzten seine Gedanken. Es war Nacht auf einem leeren regennassen Highway. Das Wrack eines Autos. Aus der Ferne näherte sich in schnellem Tempo ein Krankenwagen. Die Sirene heulte.
Er öffnete die Augen. In der Dunkelheit seines Schlafzimmers klingelte neben ihm auf dem Nachttisch das Telefon. Eine Digitaluhr stand neben dem Telefon auf dem Tisch. Er schaute kurz auf die roten Ziffern.
“Verdammter Mist”, brummte er. Er war erst vor einer halben Stunde eingeschlafen. Die schlaftrunkene Stimme seiner Frau Rebecca murmelte: „Geh nicht ran.“ Einige Strähnen ihres blonden Haars schauten unter der Bettdecke hervor. Der schwache Schein des blauen Nachtlichts aus dem Badezimmer drang in den Raum. Er nahm den Hörer ab. „Luke“, sagte eine Stimme. Die Stimme war tief und rau, ihr Südstaatendialekt kaum wahrnehmbar. Luke kannte diese Stimme nur allzu gut. Es war Don Morris, sein einstiger Boss beim Spezialeinsatzkommando.
Luke fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ja?“ „Hab ich dich aufgeweckt?“, fragte Don. „Was glaubst du wohl?“ „Ich hätte dich nicht zu Hause angerufen, wenn dein Handy nicht ausgeschaltet wäre.“ Luke schnaubte. „Genau deshalb ist es aus.“
„Wir haben hier Ärger, Luke. Ich brauch dich hier.“ „Schieß los“, sagte Luke. Er lauschte der Stimme. Er hatte schnell wieder dieses Gefühl, dass er in solchen Momenten immer bekommen hatte – ein Gefühl, sein Magen würde in einem Fahrstuhl fünfzig Stockwerke nach oben rasen. Vielleicht war das der Grund, weshalb er den Job hingeschmissen hatte. Nicht wegen der Flut von Anrufen, nicht weil sein Sohn so schnell größer wurde, sondern weil er dieses Gefühl im Magen nicht ausstehen konnte.
Es war das Wissen um die Dinge, das ihm zu schaffen machte. Dieses Wissen erdrückte ihn. Er dachte an die vielen Millionen Menschen in der Welt, die ihr Leben glücklich lebten, voll glückseliger Unwissenheit über die Dinge, die in der Welt vor sich gingen. Luke beneidete ihre Ahnungslosigkeit.
„Wann ist das passiert?“, fragte er.
„Wir haben noch keine Ahnung. Vor einer, vielleicht zwei Stunden. Das Krankenhaus hat den Sicherheitsverstoß vor etwa fünfzehn Minuten entdeckt. Einige Mitarbeiter werden vermisst, es sieht also nach einem Insider Job aus. Das könnte sich allerdings ändern, wenn neue Geheimdienstinformationen reinkommen. Die New Yorker Polizeidirektion ist völlig aus dem Häuschen, aus offensichtlichen Gründen. Sie haben zwei tausend Extraleute aufgestellt und so wie ich das sehe, wird das nicht reichen. Die meisten von ihnen werden vor dem Schichtwechsel noch nicht einmal vor Ort sein können.“
„Wer hat die Direktion angerufen?“ fragte Luke. „Das Krankenhaus.“ „Wer hat uns angerufen?“ „Der Polizeichef.“
„Hat er sonst noch jemanden angerufen?“ „Nein. Damit ist es an uns.“
Luke nickte.
“Okay, gut. Dabei sollten wir es auch belassen. Die Polizisten müssen den Tatort absperren und sichern. Aber sie müssen dem direkten Umkreis fernbleiben. Sie dürfen da nicht rein. Sie müssen auch die Medien da raushalten. Wenn die Zeitungen das herausbekommen, dann wird das ein riesen Zirkus.“
„Schon getan.“
Luke seufzte. „Wir können von einem zwei Stunden Vorsprung ausgehen. Das ist alles andere als gut. Kaum wieder aufzuholen. Sie könnten überall sein.“
„Ich weiß. Die Direktion überwacht alle möglichen Brücken, Tunnel, U-Bahnen, den Pendlerverkehr. Sie überprüfen die Daten der Highway Mautstellen, aber es ist eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Wir haben nicht genug Leute.“
„Wann wirst du hochfahren?“ sagte Luke. Don antwortete ohne Zögern. „Jetzt. Und du kommst mit.“ Luke schaute erneut auf die Uhr, 1.23 Uhr. „Ich kann in einer halben Stunde am Helikopter sein.“ „Ich habe schon ein Auto geschickt“, sagte Don. „Der Fahrer hat gerade Bescheid gegeben. Er ist in zehn Minuten bei dir.“ Luke legte auf. Rebecca war nun halb wach, ihren Kopf auf einen Ellenbogen gestützt, schaute sie ihn eingehend an. Ihr langes Haar fiel über ihre Schultern. Dicke Wimpern rahmten ihre blauen Augen. Ihr hübsches Gesicht war schmaler als damals, als sie sich am College kennengelernt hatten. Sorgen hatten im Laufe der Jahre feine Linien in ihrem Gesicht hinterlassen.
Luke bereute dies. Es trieb ihn um, dass seine Arbeit ihr so viel Schmerz bereitet hatte. Das war ein weiterer Grund gewesen, seinen Job aufzugeben.
Er erinnerte sich daran, wie sie war, als sie noch jung waren, so ausgelassen, immer ein Lachen auf den Lippen. Sie war so unbeschwert damals. Es war viel Zeit vergangen, seitdem er sie das letzte Mal so gesehen hatte. Er dachte, dass diese Becca vielleicht wieder zum Vorschein käme, wenn er seinen Job aufgäbe. Die Veränderung machte sich jedoch nur langsam bemerkbar. Es gab mit Sicherheit immer wieder Momente der wahren Becca, aber die waren schnell vorüber.
Er wusste genau, dass sie der Situation nicht traute. Sie traute ihm nicht. Sie wartete nur auf diesen Anruf mitten in der Nacht, den er entgegen nehmen musste. Derjenige, nachdem er auflegte, aufstünde und das Haus verließe.
Sie hatten heute einen schönen Abend gehabt. Für einige wenige Momente waren fast die alten Zeiten wieder eingekehrt. Und nun das. „Luke...“ begann sie. Ihr Blick verhieß nichts Gutes. Er sagte ihm, dass sie es ihm schwer machen würde.
Luke sprang aus dem Bett, teils weil es die Umstände so forderten, teils weil er aus dem Haus sein wollte, bevor Becca ihre Gedanken geordnet hatte. Er huschte ins Badezimmer, wusch sich das Gesicht und betrachtete sich flüchtig im Spiegel. Er fühlte sich wach, seine Augen jedoch waren müde. Sein drahtiger Körper war stark – ein Zeichen seines Trainings vier Tage die Woche. Neununddreißig Jahre, dachte er. Nicht schlecht.
Er zog eine lange stählerne Kassette von einem der oberen Regalplatten des begehbaren Kleiderschranks. Aus dem Gedächtnis tippte er die zehnstellige Zahlenkombination ein. Das Schloss ploppte auf. Er entnahm der Kassette seine Neun-Millimeter-Glock und steckte sie in ein ledernes Schulterholster. Er hockte sich hin und befestigte eine kleine 25 Kaliber Pistole an seiner rechten Wade sowie eine etwa 13 Zentimeter lange gezahnte Klinge, dessen Griff auch als Schlagring herhalten konnte, an seiner linken Wade.
“Ich dachte, du würdest keine Waffen mehr im Haus haben.”
Er blickte hoch, es war natürlich Becca, die ihm zusah. Sie trug einen Morgenmantel, den sie eng um ihren Körper geschlungen hatte. Ihre Haare hatte sie hinten zusammengenommen. Ihre Arme waren verschränkt. Ihr Gesicht war angespannt und ihre Augen auf der Hut. Die lustvolle Frau der frühen Abendstunden war verschwunden. Lange schon.
Luke schüttelte seinen Kopf. „Das habe ich nie gesagt.“
Er stand auf und begann sich anzuziehen. Er zog seine schwarze Cargo-Hose an und ließ einige Schussmagazine mehr in seiner Hosentasche verschwinden. Er streifte ein tailliertes Hemd über und steckte die Glock in den Bund darüber. Er schlüpfte in seine Stahlkappen-Stiefel, schloss die Waffenkiste wieder und verstaute sie an ihrem angestammten Platz im oberen Teil des Schranks.
„Was wäre, wenn Gunner die Kiste finden würde?“
„Sie steht so weit oben, dass er sie nicht sehen, geschweige denn erreichen könnte. Selbst wenn er sie irgendwie herunter bekäme, wüsste er noch immer den Zahlencode nicht. Nur ich kenne die Kombination.“
Ein Kleidersack mit Wechselkleidung genug für zwei Tage hing auf dem Kleiderständer. Er schnappte ihn. Eine kleine Tasche gefüllt mit Toilettenartikeln in Reisegröße, Lesebrille, einigen Energie-Riegeln, und einem halben Duzend Dexedrine Pillen stand auf einem der Regalbretter. Auch diese griff er.
„Stets bereit, nicht wahr Luke? Deine Kiste mit Waffen und deine Klamotten-Tasche und deine Pillen und du bist bereit in jedem Moment zu gehen, sobald dich dein Land braucht. Habe ich nicht recht?“
Er holte tief Luft. „Ich weiß nicht, was du von mir hören willst.“
„Warum sagst du nicht: Ich habe mich dafür entschieden, nicht zu gehen. Ich habe mich dafür entschieden, dass meine Frau und mein Sohn mir wichtiger sind als mein Job. Ich will, dass mein Sohn einen Vater hat. Ich will nicht, dass meine Frau Nacht um Nacht sich schlaflos fragt, ob ich noch am Leben bin oder ob ich jemals zurückkomme. Kannst du dich das bitte einmal fragen?“
In solchen Momenten spürte er die wachsende Distanz zwischen ihnen. Er konnte es fast sehen. Becca war ein winziger Schatten in einer unendlichen Wüste, der am Horizont zu verschwinden drohte. Er wollte sie zu sich zurückholen. Er wollte es so sehr, aber er wusste nicht wie. Die Arbeit rief.
„Geht Papa wieder weg?“ Beide erstarrten. Gunner stand auf dem Absatz der drei Stufen, die in sein Zimmer führten.
Luke verschlug es für eine Sekunde den Atem, als er ihn sah. Er sah aus wie Christopher Robin aus Winnie Pooh. Seine blonden Haare standen in Büscheln von seinem Kopf ab. Er trug eine blaue Schlafanzughose mit gelbem Mond und Sternen darauf sowie ein Walking Dead T-Shirt.
„Komm mal her du Monster.“ Luke stellte seine Taschen ab, ging zu seinem Sohn und hob ihn hoch. Der Junge umschlang seinen Hals. „Du bist das Monster Papa. Nicht ich. “Okay, ich bin das Monster.“ „Wohin gehst du?“ „Ich muss zur Arbeit für vielleicht ein oder zwei Tage. Aber ich werde so schnell wie möglich wieder zurück sein.“ „Wird Mama dich verlassen, so wie sie es gesagt hat?“ Luke hielt Gunner mit ausgestreckten Armen vor sich. Der Junge wuchs und Luke erkannte, dass er ihn bald so nicht mehr halten würde können. Aber dieser Tag war noch nicht gekommen. „Hör mir mal zu. Mama wird mich nicht verlassen und wir werden noch ganz lange alle zusammenbleiben. In Ordnung?“ „In Ordnung, Papa.“
Er stieg die Treppen herauf und verschwand in seinem Zimmer.
Nachdem er weg war, blickten sich die beiden an. Die Distanz erschien nun geringer. Gunner war wie eine Brücke zwischen ihnen.
„Luke...“
Er hob seine Hände. „Bevor du etwas sagst, will ich etwas sagen. Ich liebe dich und ich liebe Gunner, mehr als alles andere in der Welt. Ich will bei euch sein, jeden Tag, jetzt und immer. Ich gehe nicht, weil mir gerade danach ist. Mir ist ganz und gar nicht danach. Es ist mir zuwider. Aber dieser Anruf heute Nacht... das Leben von Menschen steht auf dem Spiel. Ich mache diesen Job nun schon so viele Jahre. In den Nächten, in denen ich so aufbrechen musste wie jetzt, lag Gefahrenstufe zwei vor, das war genauer gesagt zwei Mal. Meistens war es Stufe drei.“
Beccas Gesicht schien sich ein wenig zu entspannen. „Welche Gefahrenstufe ist es dieses Mal?“ fragte sie. „Stufe eins.“
1.57 Uhr
McLean, Virginia – Zentrale des Spezialeinsatzkommandos
„Verzeihen Sie?“, fragte jemand. „Verzeihen Sie, wir sind da.“
Luke fuhr hoch. Er richtete sich auf. Das Auto parkte bereits am Gate der Abflugstelle. Ein leichter Regen fiel. Er schaute zum Fahrer. Es war ein junger Mann mit kurz geschorenen Haaren, der wahrscheinlich gerade erst seinen Militärdienst abgeleistet hatte. Der Bursche lächelte.
„Sie sind eingedöst.“
„Wohl wahr“, sagte Luke. Das Gewicht seines Jobs machte sich bereits bemerkbar. Er wollte zurück nach Hause ins Bett mit Becca aber er war nun einmal hier. Er wollte in einer Welt leben, in der Schwerstverbrecher keine radioaktiven Materialien stahlen. Er wollte schlafen und von angenehmeren Dingen träumen. Gerade konnte er sich nicht einmal vorstellen, wie diese angenehmen Dinge aussehen könnten. Sein Schlaf war vergiftet, denn er wusste zu viel.
Er stieg mit seinen Taschen aus dem Auto, präsentierte dem Wächter seinen Ausweis und passierte den Scanner.
Der schwarz glänzende Bell 430 Helikopter stand auf der Startfläche, der Hauptrotor drehte sich bereits. Luke lief geduckt über den Asphalt auf den Helikopter zu, dessen Motor nun an Fahrt gewann. Sie waren zum Abflug bereit. Die Tür der Passagierkabine wurde aufgeschoben und Luke kletterte hinein.
Sechs Leute waren an Bord, vier in der Passagierkabine, zwei im Cockpit des Helikopters. Don Morris saß neben dem Fenster. Der Sitz gegenüber von ihm war leer. Don deutete auf ihn.
„Ich bin froh, dass du gekommen bist, Luke. Setz dich. Willkommen im Team.“
Luke schnallte sich an, während der Helikopter gen Himmel wankte. Er blickte zu Don. Don war alt geworden, sein Flattop Haarschnitt grau. Seine Bartstoppeln waren grau. Sogar seine Augenbrauen waren grau. Dennoch sah er immer noch wie der Delta Force Kommandeur aus, der er einst gewesen war. Sein fester Körper hatte an nichts eingebüßt und sein Gesicht wirkte wie eine Wand aus Granit, dessen felsige Vorsprünge scharf abfielen. Seine Augen waren wie zwei Laser. In einer seiner steinernen Hände hielt er eine noch unangezündete Zigarre. Zehn Jahre lang hatte er keine mehr geraucht.
Als der Helikopter an Höhe gewann, folgte eine kurze Vorstellung der Leute in der Passagierkabine. „Luke du hast hier das Nachsehen, alle anderen hier wissen, wer du bist, aber du kennst die anderen wahrscheinlich noch nicht. Trudy Wellington kennst du, Wissenschafts- und Geheimdienstbeamter.“
Luke nickte der hübschen jungen Frau mit den schwarzen Haaren und der großen runden Brille zu. Er hatte mit ihr viele Male zusammengearbeitet. „Hallo Trudy.“
„Hallo Luke.“
„Okay ihr Turteltauben, soviel dazu. Das hier ist Mark Swann Luke, unser Computerexperte. Zusammen mit Ed Newsam zuständig für Waffen und Taktik.“
Luke nickte den Männern zu. Swann war weiß, hatte blondes Haar und trug eine Brille, er war vielleicht fünfunddreißig oder vierzig. Luke hatte ihn zuvor ein oder zwei Mal getroffen. Newsam war schwarz und Luke kannte ihn nicht, wahrscheinlich Anfang dreißig, barhäuptig, kurz-geschorener Bart, Muskeln wie gemeißelt und eine breite Brust, eine sechzig Zentimeter Python prangte auf seinem weißen T-Shirt. Er sah so aus, als hätte er jede Menge Schießereien hinter sich oder schlimme Straßenkämpfe. Mit „Waffen und Taktik“ meinte Don offensichtlich „Muskelkraft“.
Der Helikopter hatte seine endgültige Flughöhe erreicht; Luke schätzte etwa 3000 Meter. Der Helikopter brauchte einen Moment um sich auszutarieren und bewegte sich dann mit 240 Kilometern pro Stunde weiter. Gute neunzig Minuten konnten sie bei diesem Tempo auf New York City schauen.
„Trudy“, sagte Don. „Was kannst du uns sagen?“
Das Tablet in ihrer Hand leuchtete in der Dunkelheit der Kabine auf. Sie fixierte es. Ihr Gesicht wirkte in diesem Licht unheimlich, wie das eines Dämons.
„Ich starte einfach mal von ganz vorne“, sagte sie. „In Ordnung.“ Sie begann. „Vor weniger als einer Stunde hat uns die Anti-Terrorismus-Einheit der New Yorker Polizeidirektion kontaktiert. Es ging um ein großes Krankenhaus – das Center Medical Center - gelegen auf der Upper East Side von Manhattan. Dort lagert in einem Sicherheitsgewölbe in sechs Stockwerken Tiefe jede Menge radioaktives Material. Größtenteils handelt es sich dabei um Abfälle von Chemotherapien, andere Materialien kommen beispielsweise aus dem Röntgenbereich. Zu einem nicht genau festzustellenden Zeitpunkt in den letzten Stunden haben Unbekannte das Sicherheitssystem überlistet und den erwähnten radioaktiven Müll entfernt.“
„Wissen wir, um welche Menge es sich handelt?“ fragte Luke.
Trudy konsultierte ihr Tablet. „Das Material wird alle vier Wochen von einem LKW abgeholt und in eine Endlagerstätte im Westen Pennsylvanias gebracht, wo es unter der gemeinsamen Aufsicht vom Ministerium für Innere Sicherheit und der Umweltbehörde Pennsylvanias steht. Die nächste Ladung hätte in zwei Tagen abgeholt werden sollen.“
„Das heißt, es handelt sich um den radioaktiven Müll von etwa sechsundzwanzig Tagen“, sagte Don. „Wie viel ist das genau?“ „Das weiß das Krankenhaus nicht“, sagte Trudy. „Das wissen sie nicht?“ „Sie führen mit Hilfe einer Datenbank Buch über die Menge an Müll, die dort lagert. Nun, jemand hat sich Zugang zu der Datenbank verschafft und sie gelöscht. Je nach Behandlungsplan variieren die Mengen jeden Monat. Sie sind in der Lage mit Hilfe der Behandlungspläne die Listen wiederherzustellen, aber das kann noch ein paar Stunden dauern.“
„Sie haben keine Backup-Kopie?“, fragte Swann, der für die Technologie zuständig war.
„Haben sie, aber auch die wurde unschädlich gemacht. Die Daten des letzten Jahren fehlen somit.“
„Da weiß jemand, was er tut“, sagte Swann.
Luke ergriff das Wort. „Wie können wir wissen, dass es sich hier um einen Notfall handelt, wenn wir nicht einmal genau wissen, was gestohlen wurde?“
„Es gibt verschiedene Gründe“, sagte Trudy. „Das war nicht nur ein Diebstahl. Es handelt sich um einen wohlorganisierten und geplanten Angriff. Die Videoüberwachung in strategisch wichtigen Teilen des Krankenhauses wurde ausgeschaltet. Das schließt einige Ein- und Ausgänge, Treppenhäuser und Lastenaufzüge, das Sicherheitsgewölbe und das Parkhaus mit ein.“
„Hat schon jemand mit der Security gesprochen?“ fragte Luke.
„Die zwei Sicherheitsbeamten, die die Aufsicht für die Überwachung hatten, wurden beide tot in einem Ausrüstungsschrank aufgefunden. Sie hießen Nathan Gold, vierundfünfzig Jahre, männlich, weiß, geschieden, drei Kinder, keine bekannten Verbindungen zu organisierter Kriminalität oder Extremisten. Auch Kitty Faulkner, dreiunddreißig Jahre alt, weiblich, schwarz, unverheiratet hatte keine bekannten Verbindungen zu Extremismus oder organisierter Kriminalität. Faulkner hat acht Jahre dort gearbeitet. Beide Leichen wurden ohne Kleidung gefunden, von ihren Uniformen fehlt jede Spur. Beide wurden erwürgt, offenkundige Verfärbungen im Gesicht, Schwellungen, HWS Trauma, Würgemale von Strangulation oder Ähnlichem, die zum Tod geführt haben. Ich habe Fotos, falls ihr einen Blick darauf werfen wollt.“
Luke lehnte ab. „Ist okay. Lasst uns für den Moment annehmen, es handelt sich bei den Tätern um Männer. Tötet ein männlicher Täter eine Frau und zieht dann ihre Unform an?“
„Faulkner war für eine Frau recht groß“, sagte Trudy. „Sie war fast ein Meter achtzig und stämmig. Ein Mann hätte leicht in ihre Uniform gepasst.“
„Ist das alles, was wir haben?“
Trudy fuhr fort. „Nein. Ein Krankenhausmitarbeiter, der Schicht hatte, ist momentan nicht aufzufinden. Der Angestellte gehört zum Wachpersonal und heißt Ken Bryant. Er ist neunundzwanzig Jahre alt, schwarz, männlich und hat ein Jahr in Untersuchungshaft in Rikerts Islands gesessen und dann dreißig Monate in der Clinton JVA in Dannemora, New York. Er war wegen Diebstahl und einfacher Körperverletzung verurteilt. Nach seiner Entlassung hat er eine sechsmonatige Bewährungsstrafe und ein Jobtraining abgeleistet. Er arbeitet seit fast vier Jahren im Krankenhaus und hat eine saubere Akte. Zuverlässig, keine Verhaltensauffälligkeiten.
„Als Wächter hat er Zugang zum Sicherheitsgewölbe wo der gefährliche Müll aufbewahrt wird und kennt außerdem die Sicherheitsabläufe des Krankenhauses und Personals. Er hatte Verbindungen zu Drogendealern und zu einer afroamerikanischen Gefängnisgang, der Black Gangster Family. Bei den Drogenhändlern handelt es sich um Kleinkriminelle aus der Nachbarschaft, in der er aufwuchs. Er hat sich wahrscheinlich aus Angst um die eigene Sicherheit auf diese Gefängnisgang eingelassen.“
„Du glaubst eine Gefängnis- oder Straßengang steckt dahinter?“
Sie schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall. Ich erwähne Bryants Umgang nur, weil noch unklar ist, wo er steckt. Um eine Datenbank zu knacken und zu löschen und in ein Überwachungssystem einzudringen, das erfordert technisches Knowhow, das typischerweise nicht auf der Straße oder im Gefängnis erworben wird. Dieses Level an professioneller Herangehensweise und die Art der Beute lässt auf eine ruhende Terrorzelle schließen.“
„Was könnten sie mit den Chemikalien anfangen?“ fragte Don. „Die Warnhinweise auf den Materialien sind nicht zu übersehen“, sagte Trudy. „Eine schmutzige – eine radioaktive Bombe,“ sagte Luke. „Bingo. Welchen Grund könnte es sonst geben radioaktiven Müll zu stehlen? Das Krankenhaus hat keinen Schimmer, wie viel gestohlen wurde, aber sie wissen was es war. Iridium-192, Caesium-137, Tritium und Fluor sind unter den Chemikalien. Iridium ist höchst radioaktiv und in der Konzentration kommt es bei Kontakt zu Verbrennungen und Verstrahlungssymptomen innerhalb von Minuten oder Stunden. Experimente haben gezeigt, dass eine geringe Dosis Caesium-137 einen 20 Kilogramm schweren Hund innerhalb von drei Wochen töten kann. Fluor ist ein ätzendes Gas, das besonders für weiches Gewebe wie Augen, Haut und Lungen gefährlich werden kann. Geringe Dosen führen zu tränenden Augen. Eine hohe Konzentration schädigt die Lunge massiv und führt innerhalb von Minuten zum Tod durch Atemstillstand.“
„Na wunderbar”, sagte Don.
„Was für uns hier wichtig ist“, sagte Trudy „ist das Stichwort hohe Konzentrationen. Als Terrorist wirst du nicht versuchen, ein möglichst weitflächiges Gebiet zu finden. Das würde zu keinem wirksamen Kontakt mit den Stoffen führen. Du würdest eine Bombe mit dem radioaktiven Material bauen und sie mit konventionellen Sprengstoffen wie Dynamit kombinieren und du würdest sie in einem möglichst geschlossenen Gebiet detonieren lassen, mit vorzugsweise vielen Menschen. In einer überfüllten U-Bahn oder U-Bahn Station zur Hauptverkehrszeit. An Knotenpunkten des Pendlerverkehrs wie dem Grand Central Terminal oder der Penn Station. An einem großen Busbahnhof oder Flughafen. An einer Sehenswürdigkeit wie der Freiheitsstatue. Die Abgeschlossenheit wird die Strahlungskonzentration maximieren.“
Luke rief sich die enge Treppe, die zur Spitze der Freiheitsstatue führte, ins Gedächtnis. Jeden Tag war sie voller Menschen, meist Kinder auf Schulausflügen. Er sah Liberty Island vor seinem inneren Auge, wie die Insel mit tausenden Touristen gefüllt war, er sah die Fähren, die fast noch verstopfter waren als die Insel selbst, so wie Flüchtlingsboote aus Haiti.
Dann sah er die U-Bahnsteige des Grand Central Terminals morgens 7.30 Uhr, so voll von Pendlern, dass man kaum einen Platz zum Stehen fand. Ungefähr hundert Menschen würden auf den Treppen stehen und auf den nächsten Zug warten, der Menschen aufnehmen würde, um dem Bahnsteig Platz für die nächste Gruppe Menschen zu geben. Er stellte sich vor, wie eine Bombe in dieser Menge hochgehen würde.
Und dann die Lichter ausgingen.
Ein Welle Abscheu überrollte ihn. Es würden mehr Menschen in dem panischen Gedränge sterben, als durch die eigentliche Explosion.
Trudy fuhr fort. „Das Problem, mit dem wir es hier zu tun haben, ist, dass es zu viele potentielle Angriffsziele gibt. Außerdem muss die Attacke nicht notwendigerweise in New York stattfinden. Wenn der Diebstahl tatsächlich vor drei Stunden stattgefunden hat, dann haben wir bereits einen möglichen Operationsradius von wenigstens 240 Kilometern. Das schließt ganz New York City, seine Vororte, Philadelphia und alle größeren Städte in New Jersey, also Jersey City und Trenton mit ein. Wenn die Täter auch in der nächsten Stunde nicht gefasst werden, können wir den Radius bis Boston und Baltimore ausweiten. Die gesamte Region ist dich besiedelt. In einem Gebiet dieser Größenordnung können wir von Zehntausenden leicht verwundbaren Angriffszielen ausgehen. Selbst wenn sie sich an die bekanntesten Hausnummern halten würden, sprechen wir immer noch von mehreren Hundert.“
„Okay, Trudy“, sagte Luke. „Du hast die Faktenlage präsentiert. Was sagt euch jetzt euer Bauch?“
Trudy zuckte die Schultern. „Ich denke, dass wir davon ausgehen können, dass es sich um eine dreckige Bombe handelt, die im Zuge eines Anschlags zum Einsatz kommen soll und davon, dass dieser Anschlag mit Mitteln eines anderen Landes finanziert wird. Möglicherweise handelt es sich auch um eine unabhängige Terrororganisation wie ISIS oder Al-Qaida. Amerikaner und Kanadier mögen involviert sein, doch gesteuert wird die Sache von anderer Stelle. Es ist definitiv keine Gruppe, die ihre Wurzeln hier bei uns hat, wie im Falle von Umweltschützern oder weißen Rassisten.“
„Warum? Warum nicht von hier?“, fragte Luke. Er wusste bereits warum, aber es war wichtig, dass es auch ausgesprochen wurde, damit ein Schritt nach dem anderen gegangen werden konnte ohne etwas entscheidendes zu übersehen.
„Die Linken brennen Hummer Niederlassungen mitten in der Nacht nieder. Sie verhindern die Rodung von Wäldern und bemalen die Bäume, sodass niemand verletzt wird. Doch haben sie niemals auch nur den Versuch unternommen einen Anschlag auf eine dicht besiedelte Region zu verüben, geschweige denn jemanden umzubringen. Außerdem hassen sie alles, was mit Radioaktivität zu tun hat. Der rechte Flügel ist gewaltbereiter und Oklahoma City hat gezeigt, dass sie bereit sind die Zivilbevölkerung sowie Regierungswahrzeichen anzugreifen. Aber keine der Gruppen hätte das notwendige Training hierfür. Und es gibt einen anderen Grund, warum sie es wahrscheinlich nicht sind.“
„Und der wäre?“, fragte Luke.
„Iridium hat eine sehr kurze Halbwertszeit“, sagte Trudy. „Der Großteil wird in wenigen Tagen nutzlos sein. Wer auch immer diese Chemikalien gestohlen hat, muss schnell handeln, bevor sie selbst Opfer der Verstrahlung werden. Für die Muslime beginnt heute bei Sonnenuntergang der heilige Monat Ramadan. Ich denke, wir haben es hier mit einem Anschlag zu tun, der absichtlich so gelegt ist, dass er mit dem Beginn des Ramadans zusammenfällt.“
Luke atmete schon fast erleichtert aus. Er kannte Trudy seit einigen Jahren und hatte mit ihr zusammengearbeitet. Ihre Informationen waren immer gut und ihre Fähigkeit in Zusammenhängen zu denken war außergewöhnlich. Sie hatte viel öfter Recht, als dass sie daneben lag.
Er sah auf seine Uhr. Es war 3.15 Uhr. Die Sonne würde heute wahrscheinlich gegen 20 Uhr untergehen. Er stellte eine schnelle Berechnung an. „Du denkst also, wir haben mehr als sechzehn Stunden zur Verfügung, um diese Leute aufzuspüren?“
Sechzehn Stunden. Nach der Nadel im Heuhaufen zu suchen war die eine Sache. Aber sechzehn Stunden dafür zur Verfügung zu haben samt der allerbesten Leute und Technologie war eine andere. Es war fast zu viel zu hoffen.
Trudy schüttelte ihren Kopf. „Nein. Das Problem ist, dass Ramadan mit Sonnenuntergang beginnt, aber mit welchem? In Teheran wird die Sonne heute um 20.24 untergehen, 10.54 Uhr unserer Zeit. Aber was wäre, wenn sie sich auf den Beginn des Ramadan anderswo beziehen würden, zum Beispiel den in Malaysia oder Indonesien? Das hieße für uns 7.24 Uhr morgens, was nicht völlig abwegig wäre, denn das ist der Beginn der Hauptverkehrszeit.“
Luke schnaubte. Er stierte durch das Fenster auf die weite Lichterflut der grenzenlosen Stadt unter ihm. Er warf erneut einen Blick auf seine Uhr. 3.20 Uhr. Vor ihm am Horizont konnte er die hohen Gebäude Lower Manhattans sehen und dort die zwei blauen Lichtstrahle, die anstelle des einstigen World Trade Center hoch in die Luft ragten. In drei Stunden würden die U-Bahnen und Zugstationen sich mit Pendlern zu füllen beginnen.
3.35 Uhr
Manhattans East Side
„Sieht aus wie ein Haufen Ratten“, sagte Ed Newsam.
Der Helikopter flog dicht über dem East River. Das dunkle Wasser war unter ihnen, es floss eilig, kleine Wellen ritten darauf. Luke konnte sehen, was Ed meinte. Das Wasser sah aus wie eine riesige Ansammlung Ratten, die unter einer schimmernden Decke davonrannten.
Der Helikopter landete behutsam auf der vierunddreißigsten Straße. Luke erkannte die Lichter der Gebäude zu seiner Linken, ein Juwelenmeer in der Nacht. Jetzt da sie hier waren, durchdrang ihn ein Gefühl von Dringlichkeit. Sein Herz stolperte. Er war während des langen Fluges still gewesen, was sonst hätte er tun können? Doch die Uhr tickte und sie mussten sich an die Arbeit machen. Er wartete ungeduldig auf die Landung des Helikopters.
Er landete mit einem Poltern, im selben Moment lösten die Insassen ihre Gurte. Don riss die Tür auf. „Auf geht es“, sagte er. Der Absperrschieber zur Straße befand sich etwa achtzehn Meter vom Landungsort entfernt. Drei Geländewagen warteten bereits vor den Betonbarrieren. Eine Spezialeinheit der New Yorker Polizei rannte zum Helikopter und entlud das Equipment. Ein Mann nahm auch Lukes zwei Taschen aus dem Helikopter.
„Vorsicht mit den zwei Taschen,“ sagte Luke. „Als ich das letzte Mal hier war, habt ihr meine Taschen verbummelt. Ich werde keine Zeit für eine Einkaufstour haben.“
Luke und Don kletterten in den ersten Geländewagen, Trudy schlüpfte ebenfalls hinein. Der Geländewagen war recht breit, sodass ein Innenraum mit gegenüberliegenden Sitzen entstand. Luke und Don blickten nach vorne, Trudy nach hinten. Der Geländewagen bewegte sich Richtung Ausgang noch bevor sie Platznehmen konnten. Es verging keine Minute und sie rasten durch die enge Schlucht des FDR Drive gen Norden. Gelbe Taxis brausten wie ein Schwarm Bienen aus allen Richtungen an ihnen vorbei.
Niemand sprach ein Wort. Der Geländewagen preschte voran, schmiegte sich in die Kurven, fuhr unter bröckelnden Bauten durch Tunnelschächte und schepperte über Schlaglöcher. Luke konnte das Herz in seiner Brust schlagen fühlen. Aber nicht die Fahrt trieb seinen Puls in die Höhe. Es war die Erwartung.
„Es wäre nett, hier einmal zum Spaß herzukommen,“ sagte Don. „In einem schönen Hotel übernachten und vielleicht eine Broadway Show sehen.“
„Nächstes Mal,“ sagte Luke.
Er konnte sehen, dass der Wagen bereits den Highway verließ. Es war die Abfahrt zur sechsundneunzigsten Straße. Der Fahrer bremste nachlässig an einer roten Ampel, bog links ab und steuerte auf einen leeren Boulevard zu.
Luke sah wie der Wagen in den kleinen Kreisverkehr vor dem Krankenhaus donnerte. Sie kamen direkt vor den hellen Lichtern der Notaufnahme zum stehen. Ein Mann in einem Dreiteiler wartete bereits auf sie.
„Elegante Erscheinung,“ sagte Luke.
4.11 Uhr
Untergeschoss Center Medical Center, Upper East Side
„Nicht so fest,“ sagte Luke, aus dessen Mund ein Plastikthermometer ragte.
Trudy hatte die Manschette eines tragbaren Blutdruckmessgeräts um sein Handgelenk geschlungen. Sie umschloss sein Handgelenk immer fester bis der Druck mit einem zischenden Geräusch langsam wieder nachließ. Trudy öffnete den Klettverschluss der Manschette und zog ihm im selben Atemzug das Thermometer aus dem Mund.
„Wie sieht es aus?“ fragte er.
Sie blickte auf die Anzeige. „Hoher Blutdruck,“ sagte sie. „138 über 85. Ruhepuls 97. Körpertemperatur 38 Grad. Ich werde dir nichts vormachen Luke. Die Werte könnten besser sein.“
„Ich hatte ziemlich viel Stress in der letzten Zeit,“ sagte Luke. Trudy zuckte mit den Schultern. „Dons Werte sind besser als deine.“ „Ja gut, aber er nimmt auch Cholesterinpillen.“ Luke und Don saßen in Boxershorts und T-Shirt zusammen auf einer Holzbank. Sie befanden sich in einer unterirdischen Lagerräumlichkeit unter dem Krankenhaus. Schwere Vinylvorhänge schlossen den Bereich ab und umschlossen die Beiden. Es war kalt und feucht hier unten und ein kalter Schauder fuhr Luke den Rücken herunter. Das betroffene Sicherheitsgewölbe befand sich noch zwei weitere Stockwerke tiefer.
Menschen liefen durch die Gegend. Ein paar Beamte der Spezialeinheit aus dem New Yorker Büro waren unter ihnen. Sie hatten zwei Klapptische für einige Laptops und Monitore aufgestellt. Der Typ im Dreiteiler stand auch dort. Es hatte sich herausgestellt, dass er ein Geheimdienstmitarbeiter der New Yorker Anti-Terrorismus Einheit war.
Ed Newsam, der für schwere Waffen und Taktik zuständig war und den Luke im Helikopter getroffen hatte, kam durch die Vinylvorhänge mit zwei Beamten der Spezialeinheit im Schlepptau. Beide trugen jeweils ein durchsichtiges verschlossenes Packet mit hellgelbem Inhalt.
„Achtung!“ rief Newsam und unterbrach das Stimmengewirr. Er zeigte mit zwei Fingern auf seine eigenen Augen. „Don, Luke Augen bitte hierher.“
Newsam hielt in jeder Hand eine Wasserflasche. „Ich weiß, dass ihr beide das schon kennt, aber wir werden so tun, als wäre es das erste Mal für euch, so können wir sicher gehen, dass keine Fehler gemacht werden. Diese Männer hinter mir werden eure Anzüge inspizieren und euch dann helfen, sie anzulegen. Es handelt sich um Schutzanzüge der Stufe A aus solidem Vinyl. Ihr werdet ordentlich ins Schwitzen kommen, wenn ihr sie tragt. Bevor wir anfangen, bitte ich euch deshalb diese Wasserflaschen auszutrinken. Ihr werdet später froh darüber sein.“
„Ist schon irgendjemand vor uns dort unten gewesen?“ fragte Luke.
„Zwei Wächter waren unten, nachdem der Sicherheitsverstoß bemerkt worden war. Das Licht funktioniert nicht. Swann hat versucht es zu reparieren, hatte aber kein Glück damit. Es wird also dunkel sein. Die Wächter hatten Taschenlampen dabei, allerdings haben sie schnell wieder kehrt gemacht, als sie das Gewölbe offen und Kanister und Behälter verstreut vorfanden.“
„Haben sie was abbekommen?“
Newsam lächelte. „Ein bisschen. Meine Töchter werden sie für ein paar Tage als Nachtlicht nutzen. Sie trugen keine Anzüge, waren aber nur für einen kurzen Moment dort. Ihr werdet wesentlich länger dort unten bleiben.“
„Werdet ihr sehen können, was wir sehen?“
„An euren Kappen sind Videokameras und LED Lichter befestigt. Ich werde sehen, was ihr seht und ich werde es aufnehmen.“
Es dauerte zwanzig Minuten, die Anzüge anzulegen. Luke war frustriert. Es war schwierig, sich in dem Anzug zu bewegen. Er war von Kopf bis Fuß in Vinyl gekleidet und die Temperatur im Anzug fing bereits an zu steigen. Sein Gesichtsschutz beschlug. Die Zeit schien nur so davonzufliegen. Die Diebe mussten längst weit weg sein.
Er und Don nahmen gemeinsam den Lastenaufzug. Er fuhr langsam und knarrend nach unten. Don trug den Geiger-Müller-Zähler. Der sah aus wie eine kleine Autobatterie mit Handgriff.
„Könnt ihr mich gut hören?“ fragte Newsam. Es klang für Luke wie eine Stimme in seinem Kopf. Die Kappen hatten eingebaute Lautsprecher und Mikrophone.
„Ja,“ sagte Luke. „Ich kann dich hören,“ sagte Don. „Gut. Ich höre euch beide klar und deutlich. Wir sind auf geschlossener Frequenz unterwegs. Die einzigen die Zugang haben seid ihr, ich und Swann oben im Kontrollraum. Swann hat Zugang zu einer digitalen Karte der Einrichtung und eure Anzüge haben eine Tracking-Vorrichtung. Swann kann euch also auf seiner Karte sehen und er wird euch anweisen, wie ihr vom Fahrstuhl zum Gewölbe kommt. Bist du da Swann?“
„Bin hier,“ sagte Swann. Der Fahrstuhl kam ruckartig zum Stehen. „Wenn die Türen sich öffnen, geht raus und biegt nach links ab.“ Die zwei Männer bewegten sich unter den Anweisungen Swanns ungelenk in Richtung eines breiten Flurs. Das Spiel ihrer Helmlichter an der Wand ließ Schatten in der Dunkelheit entstehen. Luke erinnerten sie an Schiffswracks, die er bei einigen Tauchausflügen vor Jahren gesehen hatte. Nach wenigen Sekunden fing der Geiger-Zähler an zu klicken. Zunächst waren die Pausen zwischen den Klicken recht groß, wie ein langsamer Herzschlag.
„Wir haben Strahlung,“ sagte Don. „Das sehen wir. Keine Sorge. Es ist nicht schlimm. Es ist ein sensibles Instrument, das ihr da habt.“ Das Klicken wurde schneller und lauter. Swanns Stimme sagte: „In ein paar Metern biegt ihr rechts ab, dann folgt ihr dem Flur noch etwa zehn Meter. Dann kommt ein großer quadratischer Raum. Das Sicherheitsgewölbe ist auf der anderen Seite dieses Raums.“ Sie bogen rechts ab und der Geiger-Zähler legte an Lautstärke und Geschwindigkeit weiter zu. Das Klicken schwoll an und die einzelnen Schläge waren kaum noch voneinander zu unterscheiden. „Newsam?“
„Nur zu. Wir sollten versuchen das in fünf Minuten oder weniger hinter uns zu bringen.“
Sie betraten den Raum. Er sah wüst aus. Auf dem Boden lagen umgeworfene Kanister, Boxen und große Metallbehälter. Einige waren offen. Luke richtete sein Licht auf das Gewölbe auf der anderen Seite des Raums. Die schwere Tür stand offen.
„Siehst du das?“ fragte Luke. „Godzilla muss hier gewütet haben.“
Newsams Stimme meldete sich wieder. „Don! Don! Leuchte mit deinem Licht mal auf den Boden, anderthalb Meter vor dir. Dort. Ein bisschen weiter noch. Was ist da auf dem Boden?“
Luke trat neben Don und richtete seine Lampe auf dieselbe Stelle. Etwa drei Meter vor ihnen, inmitten der Verwüstung, lag etwas verstreut, das aussah wie ein Haufen von Fetzen.
„Das ist ein Körper,“ sagte Don. „Scheiße.“
Luke stellte sich dazu und richtete sein Lampe auf die Überbleibsel. Die Person war groß und trug etwas, das wie eine Wächteruniform aussah. Luke kniete sich neben den Körper. Er entdeckte einen dunklen Fleck, der leckendem Motoröl unter einem Auto glich. Der Kopf war zur Seite gedreht und schaute zu ihm. Alles oberhalb der Augen war nicht mehr, was einst seine Stirn gewesen war, bildete nun einen Krater. Luke umfasste den Hinterkopf und taste dort nach einem viel kleineren Loch. Trotz seiner dicken Handschuhe fand er es.
„Was hast du gefunden Luke?“
„Einen großen Mann, zwischen achtzehn und dreißig Jahre alt, arabischer, persischer oder südländischer Abstammung. Hier ist jede Menge Blut. Er hat Ein- und Austrittswunden, die mit einem Nackenschuss konsistent sind. Sieht wie eine Hinrichtung aus. Es könnte eine weitere Person des Wachpersonals sein oder jemand, der einen Streit mit seinen Freunden hatte.“
„Luke,“ sagte Newsam. „In deinem Gürtel befindet sich ein kleiner digitaler Scanner für Fingerabdrücke. Schau mal, ob du den findest und damit einen Fingerabdruck von dem Typen nehmen kannst.“
„Ich glaube nicht, dass das möglich ist,“ sagte Luke.
„Komm schon. Die Handschuhe sind nervig aber ich weiß, wo der Scanner ist. Ich werde es dir beschreiben.“
Luke richtete seine Kamera auf die rechte Hand des Mannes. Alle Finger waren unterhalb des ersten Knöchels verstümmelt worden. Er warf einen Blick auf die andere Hand. Die sah nicht besser aus.
Wieder in ihrer Straßenkleidung liefen Luke und Don zusammen mit einem Beamten der New Yorker Anti-Terrorismus-Einheit im Eiltempo den Flur des Krankenhauses entlang. Luke hatte nicht einmal den Namen des Beamten aufgeschnappt. Für ihn war er einfach Dreiteiler. Luke war dabei dem Beamten Anordnungen zu geben. Dinge mussten ins Rollen gebracht werden und dafür benötigten sie die Unterstützung der Stadt.
Luke übernahm diesen Job, das lag in seiner Natur. Er blickte zu Don und Don nickte ihm zustimmend zu. Genau deshalb hatte Don Luke mit ins Boot geholt, damit er die Richtung vorgab. Don sagte immer, dass Luke der geborene Quarterback sei.
„Ich will Geiger-Zähler auf allen Etagen,“ sagte Luke. „Aber so, dass niemand sie sieht. Wir sind erst im sechsten Untergeschoss auf Strahlung gestoßen, aber sie beginnt sich nach oben auszubreiten und das ziemlich schnell.“
„Das Krankenhaus hat Patienten mit lebenserhaltenden Maßnahmen,“ sagte Dreiteiler. „Die sind also nur bedingt verlegbar.“ „Genau. Also fang an, die Logistikhebel in Gang zu setzen.“ „Okay.“ Luke fuhr fort. „Wir brauchen ein ganzes Team in Sicherheitsanzügen dort unten. Wir müssen die Leiche hier hochholen, egal wie kontaminiert sie ist und wir müssen uns beeilen. Das Aufräumteam kann warten, bis wir die Leiche haben.“
„Alles klar,“ sagte Dreiteiler. „Wir werden sie in einem mit Blei ausgekleideten Sarg transportieren, der dann in einem strahlungssicheren Transporter zur Gerichtsmedizin gebracht wird.“
„Kann das bitte ohne großes Aufsehen vonstatten gehen?“ „Sicher.“ „Wir brauchen einen Gebissabdruck für einen Datenbankabgleich, DNA, Narben, Tattoos, Implantate, was auch immer ihr findet. Wenn ihr alles zusammen habt, schickt Trudy Wellington aus unserem Team alles rüber. Sie hat Zugang zu Datenbanken, zu denen eure Leute keinen haben.“
Luke zog sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer. Sie nahm beim ersten Klingeln ab. „Trudy, wo bist du?“ „Ich bin mit Swann auf der Fifth Avenue, auf der Rückbank einer unserer Wagen, auf dem Weg zur Kommandozentrale.“ „Hör zu, ich bin hier mit...“ Er blickte Dreiteiler an. „Wie heißen Sie?“ „Kurt. Kurt Myerson.“ „Ich bin hier mit Kurt Myerson von der New Yorker Polizeibehörde. Er ist von der Anti-Terrorismus-Einheit. Sie werden die Leiche hochholen. Ich will, dass du mit ihm für die Überprüfung von Gebiss, DNA und anderen potentiellen Identifizierungsmerkmalen in Kontakt stehst. Wenn du die Informationen von ihm hast, will ich Namen, Alter, Herkunftsland, Verbindungen und so weiter von dem Typen haben. Ich muss wissen, wo er gewesen ist und was er in den letzten sechs Monaten getrieben hat. Und ich brauche das alles quasi gestern.“
„Geht klar, Luke.“ „Sehr gut. Danke. Hier ist Kurt, er wird dir seine Durchwahl geben.“ Luke reichte Kurt das Handy. Die drei Männer drangen durch die Doppeltür, sie verloren dabei kaum an Tempo. Einen Moment später gab Kurt ihm das Handy zurück. „Trudy? Bist du noch dran?“ „Wo sollte ich sonst sein?“ Luke nickte. „Gut. Eines noch. Die Überwachungskameras hier im Krankenhaus sind zwar aus, aber in der näheren Umgebung muss es noch andere Kameras geben. Wenn du in der Kommandozentrale bist, nimm dir ein paar unserer Leute. Sie sollen alles im fünf Block Radius des Krankenhauses durchkämmen und das Videomaterial von sagen wir 8 Uhr bis 13 Uhr durchgehen. Ich will genau wissen, welche Lieferfahrzeuge in diesem Zeitraum in der Nähe des Krankenhauses waren. Der Fokus sollte auf kleinen Lastwagen, Transportern von Backwaren, Hot Dog Buden und ähnlich Geartetem liegen. Alles, was klein und praktisch ist und verpackte Waren transportiert. Geringere Priorität haben Sattelschlepper, Busse oder Baufahrzeuge, trotzdem auch die überprüfen. Geringe Priorität haben Wohnwagen, Pickup-Trucks und Geländewagen. Ich will einen Abzug der Nummernschilder und die Namen der Besitzer der Fahrzeuge. Wenn irgendetwas seltsam erscheint, sucht nach mehr Kameras und erweitert den Radius, um herauszufinden, wohin der Wagen gefahren ist.“
„Luke,“ sagte sie, „ich werde mehr Leute brauchen.“
Luke dachte zwei Sekunden nach. „Okay. Mach ein paar Leute wach, bring sie in die Zentrale des Spezialeinsatzkommandos und schick ihnen die Nummernschilder. Sie werden die Fahrzeughalter ermitteln.“
„Alles klar.“
Sie legten auf. Luke besann sich und ein neuer Gedanke erschien ihm. Er blickte zu Kurt Myerson hinüber.
„In Ordnung, Kurt. Nun das Allerwichtigste. Wir müssen das Krankenhaus zumachen. Alle Angestellten, die heute Abend Schicht hatten, sollen zusammenkommen und müssen überprüft werden. Die Leute werden reden, das verstehe ich, aber wir müssen das aus den Medien raushalten so lange wir können. Wenn das rauskommt, wird Panik ausbrechen, zehntausende falsche Hinweise werden bei der Polizei eingehen und die bösen Jungs werden vor dem Fernseher sitzen und alle Entwicklungen mitverfolgen. Das können wir nicht geschehen lassen.“
Sie drangen durch eine weitere Doppeltür in die Hauptlobby des Krankenhauses. Die gesamte Front der Lobby war aus Glas. Mehrere Sicherheitsbeamte standen in der Nähe des abgeschlossenen Haupteingangs.
Draußen war eine Menschentraube zu erkennen. Ein Haufen Reporter versuchte, die Polizeibarrieren aufzubrechen. Fotografen pressten sich gegen die Fenster und schossen Innenaufnahmen der Lobby. Unzählige Nachrichtensender parkten auf der Straße. Luke sah drei verschiedene Fernsehreporter Teile ihrer Berichterstattung direkt vor dem Eingang des Krankenhauses filmen.
„Was haben Sie gerade gesagt?“
5.10 Uhr
In einem Lieferwagen
Er saß auf der Rückbank des Lieferwagens, umklammerte seine Beine und fragte sich, worauf er sich da eingelassen hatte. Er hatte im Knast ein paar extreme Sachen gesehen, aber nichts dieser Kategorie.
Vor ihm saß Ezatullah, er telefonierte lautstark mit jemandem auf Farsi. Ezatullah war jetzt schon seit mehreren Stunden am Telefon. Für Eldrick ergaben die Worte keinen Sinn. Alles klang nach Kauderwelsch. Was er wusste war, dass Ezatullah in London eine Ausbildung zum Chemotechniker gemacht hatte, doch anstatt danach einen Job zu suchen, war er in den Krieg gezogen. Er war Anfang dreißig, eine breite Narbe prangte auf seiner Wange, er sagte von sich selbst, dass er den Jihad in ein halbes Dutzend Länder gebracht hatte und nun nach Amerika gekommen war, um das gleiche hier zu tun.
Er brüllte immer wieder in den Hörer, bevor er durchkam. Als er endlich jemanden erreichte, stimmte er gleich das Erste mehrerer Wortgefechte an. Nach einigen Minuten wurde er ruhiger und lauschte. Dann legte er auf.
Eldricks Gesicht war gerötet. Er hatte Fieber. Er fühlte das Brennen in seinem Körper. Sein Herz raste. Er hatte sich noch nicht übergeben, aber er fühlte, dass er es bald würde. Sie hatten bereits zwei Stunden am Treffpunkt im Hafengebiet der Süd-Bronx gewartet. Es sollte eine einfache Sache sein. Das Material klauen, den Lieferwagen zehn Minuten fahren, die Kontaktpersonen treffen und sich verziehen. Aber die Kontaktpersonen tauchten nicht auf.
Sie waren jetzt... irgendwo. Eldrick wusste es nicht. Er hatte für eine Weile nichts mitbekommen. Jetzt war er wieder wach, aber alles schien nur wie ein undeutlicher Traum. Sie waren auf dem Highway. Momo fuhr, er musste also wissen, wohin es ging. Dürr ohne eine sich abzeichnende Muskelpartie entsprach Momo dem, was man sich unter einem Computerexperten vorstellte. Er war so jung, dass seine Haut kein einziges Fältchen aufzeigte. Er sah so aus als würde ihm niemals ein Bart wachsen, auch wenn Allah selbst davon abhinge.
„Wir haben neue Anweisungen,“ sagte Ezatullah. Eldrick ächzte und wünschte sich seinen Tod herbei. Er hatte nicht gewusst, dass es möglich war, sich so krank zu fühlen. „Ich muss mal hier raus,“ sagte Eldrick. „Halts Maul, Abdul!“ Eldrick hatte vergessen, dass sein Name nun Adbul Malik war. Es war seltsam, so genannt zu werden, Abdul, er, Eldrick, stolzer schwarzer Mann und stolzer Amerikaner die größte Zeit seines Lebens. So krank wie er sich jetzt fühlte, wünschte er sich, dass es zu all diesen Veränderungen nie gekommen wäre. Im Knast zu konvertieren, war die dümmste Idee, die er jemals gehabt hatte.
Der ganze Mist war hinten drinnen. Es gab reichlich, in allmöglichen Arten von Kanistern und Behältern. Einige waren ausgelaufen und nun brachte es sie um. Es hatte Bibi bereits getötet. Der Dummkopf hatte einen Kanister geöffnet, als sie noch unten im Gewölbe gewesen waren. Er war stark und konnte den Deckel öffnen. Warum hat er das getan? Eldrick sah ihn noch vor sich, wie er den Kanister hochhielt. „Da ist nichts drinnen,“ hatte er gesagt. Dann hatte er seine Nase reingesteckt.
Nach einer Minute finge er an zu husten. Er fiel regelrecht auf seine Knie. Dann auf alle viere, immer noch hustend. „Ich hab was in meinen Lungen,“ sagte er. „Es geht nicht weg.“ Er fing an nach Luft zu japsen. Das Geräusch war furchterregend.
Ezatullah ging zu ihm und schoss ihm in den Hintekopf. „Glaubt mir, ich habe ihm einen Gefallen getan,“ sagte er. Der Lieferwagen fuhr nun durch einen Tunnel. Der Tunnel war lang und eng und dunkel, orange Lichter schwirrten an der Decke vorbei. Die Lichter erregten ein Schwindelgefühl bei Eldrick.
„Ich muss hier raus!“ rief er. „Ich muss hier raus! Ich muss...“ Ezatullah drehte sich zu ihm um. Er hatte seine Waffe. Er richtete sie auf Eldricks Kopf. „Ruhe jetzt! Ich telefoniere.“ Ezatullahs geschlitztes Gesicht war rot. Er schwitzte.
„Wirst du mich genauso umbringen, wie du Bibi umgebracht hast?“
„Ibrahim war mein Freund,“ sagte Ezatullah. „Ich habe ihn aus Gnade umgebracht. Dich werde ich umbringen, nur damit du die Klappe hältst.“ Er presste die Mündung der Waffe gegen Eldricks Stirn.
„Erschieß mich. Es ist mir egal.“ Eldrick schloss seine Augen.
Als er sie wieder öffnete, hatte sich Ezatullah wieder nach vorne gedreht. Sie waren noch immer im Tunnel. Die Lichter waren zu viel. Eine Welle Übelkeit überkam Eldrick, und sein Körper wurde von heftigen Zuckungen geschüttelt. Sein Magen zog sich zusammen und er schmeckte die Säure in seinem Hals. Er beugte sich vornüber und übergab sich auf den Boden zwischen seinen Schuhen.
Ein paar Sekunden vergingen. Der Geruch schlug ihm ins Gesicht und er würgte. Oh Gott, bat er stillschweigend.
5.33 Uhr
East Harlem, Bezirk Manhattan
Luke hielt den Atem an. Laute Geräusche waren nicht sein Ding und er wusste, dass es gleich sehr laut würde.
Er stand bewegungslos im schwachen Licht eines Mietshauses in Harlem. Er hatte seine Waffe gezogen, seinen Rücken an die Wand gepresst. Hinter ihm stand Ed Newsam in fast der gleichen Pose. Vor ihnen stand auf jeder Seite der Wohnungstür ein halbes Dutzend SWAT Teammitglieder in Helmen und Schutzwesten.
Das Gebäude war totenstill. Staubpartikel hingen in der Luft. Kurz zuvor hatte ein kleiner Roboter eine winzige Kamera unter der Tür durchgeschoben, um eventuelle Sprengsätzen auf der anderen Seite auszumachen. Negativ. Der Roboter war gerade zurückgekommen.
Zwei Männer des SWAT-Teams traten nun mit einem schweren Rammbock heran. Es war einer dieser schwingenden Böcke, jeweils ein Beamter hielt ihn an einem Griff auf jeder Seite. Sie machten keinerlei Geräusche. Der Leiter des SWAT-Teams hob seine Faust in die Höhe. Sein Zeigefinder schnellte nach oben. Das war eins. Mittelfinger. Zwei. Ringfinger... Die zwei Männer holten Schwung und stießen zu. BUMM! Die Tür zersplitterte und die Männer duckten sich. Die vier anderen schwärmten hinein. Plötzlich schrie jemand, „Runter! Runter! Duckt euch!“ Irgendwo weiter unten im Gang fing ein Kind an zu weinen. Türen öffneten sich, Köpfe lugten heraus und wurden wieder zurückgezogen. Es war eines dieser Dinge hier. Manchmal kam die Polizei und brach in die Wohnung des Nachbarn ein.
Luke und Ed warteten etwa dreißig Sekunden bis das SWAT Team die Wohnung gesichert hatte. Die Leiche lag auf dem Boden im Wohnzimmer, genauso wie Luke es vermutet hatte. Er schaute kaum hin. „Alles klar?“ sagte er zum Leiter des SWAT-Teams. Er schaute Luke ein wenig finster an. Es hatte zuvor eine kurze Auseinandersetzung gegeben, als Luke dem Team Anweisungen geben wollte. Die Jungs waren von der New Yorker Polizeibehörde. Sie waren keine Schachfiguren, die sich von anderen FBI-Agenten einfach so herumkommandieren ließen. Das wollten sie Luke wissen lassen. Das war kein Problem für Luke, aber eine Terrorattacke war keine Situation, in der jemand irgendetwas einfach so tat.
„Alles klar,“ sagte der Leiter. „Das ist dann wohl Ihr Fachgebiet hier.“ „Danke,“ sagte Luke. Er zuckte mit den Schultern und wendete seinen Blick ab. Ed kniete neben der Leiche. Er hatte einen Scanner für Fingerabdrücke dabei. Er nahm Abdrücke von drei Fingern. „Was denkst du, Ed?“ Er hob die Schultern. „Ich habe Ken Byrants Abdrücke aus der Polizeidatenbank dabei. Wir sollten in ein paar Sekunden wissen, ob er es ist. So weit haben wir offenkundige Würgemale und Schwellungen. Der Körper ist noch ein wenig warm. Die Totenstarre hat eingesetzt, hat sich aber noch nicht vollständig ausgebreitet. Die Finger werden langsam blau. Ich würde sagen, dass er auf die gleiche Weise wie die Wächter im Krankenhaus gestorben ist, durch Erwürgen, vor ungefähr acht bis zwölf Stunden.“
Er sah zu Luke hoch. Er hatte ein Flackern in seinen Augen. „Wenn du seine Hose runterziehst, kann ich die Temperatur nehmen und die Tatzeit ein bisschen weiter eingrenzen.“
Luke lächelte und schüttelte seinen Kopf. „Nein danke. Acht bis zwölf Stunden ist ausreichend. Sag mir nur, ist er es?“
Ed warf einen Blick auf den Scanner. „Byrant? Jap. Er ist es.“
