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Widerstand mit der Schreibmaschine – Geschichten gegen das Vergessen Mit schonungsloser Klarheit, bissigem Humor und menschlicher Tiefe erzählt Erich Weinert in diesen kurzen Geschichten vom alltäglichen Irrsinn des Krieges, von Opportunisten und Aufrechten, von Mut, Zweifel und Empörung. Inmitten von Bombenhagel, Propagandalügen und blindem Gehorsam geben diese Texte der Wahrheit eine Stimme – aufrüttelnd, erschütternd und erstaunlich aktuell. Ob Satire oder Zeitzeugnis: Weinerts Erzählungen sind ein literarischer Aufstand gegen die Gleichgültigkeit – und ein leidenschaftliches Plädoyer für Menschlichkeit im Angesicht der Barbarei.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 26
Veröffentlichungsjahr: 2025
Erich Weinert
Kurze Geschichten aus dem verfluchten Krieg
ISBN 978-3-68912-517-2 (E–Book)
Die Geschichten wurden dem Sammelband „Prosa – Szenen – Kleinigkeiten“, erschienen 1955 im Verlag Volk und Welt Berlin, entnommen.
Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.
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In unserm Hause wohnt ein kleiner Druckereibesitzer, dem sie jetzt auch die Bude zugemacht haben. Er druckte Visitenkarten, Formulare und auch Gelegenheitssachen für Parteistellen. Da der Kerl ein wilder Nazi ist, ist die Schadenfreude bei uns natürlich groß. Der war immer ein großer Angeber. Nun hat er seine Papierabfälle immer dazu benutzt, um Klebezettel zu drucken. Zu jedem Ereignis hat er Siegheil-Verse verfasst und die da draufgedruckt. In der Ecke immer klein seine Firma, damit auch die Bonzen sehen sollten, wie er Propaganda macht. Die Zettel hat er dann jedem Kunden in die Hand gedrückt, damit sie sie überall anklebten. Da waren z. B. solche wie
Frankreich ist in unsrer Hand.
Morgen gehts nach Engelland!
Oder als England jeden Tag bombardiert wurde, hatte er eins verfasst:
Je mehr Bomben geschmissen werden,
Desto eher ist Frieden auf Erden.
Oder als Hitler im Herbst 41 ankündigte, der Krieg wäre in ein paar Wochen zu Ende, schrieb er:
Russland ist schon verloren;
Wir stehen vor Moskaus Toren.
Und im letzten Sommer, als Rommel auf Ägypten marschierte:
Churchill, wie wird es dir ergehn,
Wenn Rommel erst wird in Indien stehn!
Überall klebten diese albernen Zettel. Er war natürlich mächtig stolz darauf, besonders als ihm in einer Blockversammlung mal der Dank der Partei ausgesprochen wurde. Die ganze Straße hat sich über ihn lustig gemacht.
Aber nun kommt noch ein lustigeres Nachspiel. Als der neulich seine Druckerei einpackte, hat er eine Schachtel mit solchen alten Zetteln auf den Müll geworfen. Unsere Jungens haben sie gefunden und haben nun auf einmal angefangen, Türen, Fenster und Hausflure zu bekleben. Auf einmal stand jetzt überall der Vers:
Russland ist schon verloren;
Wir stehen vor Moskaus Toren.
Das hat schon große Heiterkeit ausgelöst. Und dann klebte plötzlich überall:
Churchill, wie wird es dir ergehn,
Wenn Rommel erst wird in Indien stehn!
Das hat aber bei den Parteibonzen doch böses Blut gemacht. Der alte Trottel kam dabei sogar in Verdacht, dass er die alten Zettel aus Ärger angeklebt hätte, weil sie ihn aus seinem Laden gesetzt hatten. Der hat schön geflucht. Wo er sich sehen ließ, wurde gefeixt. Aber das Schönste kommt erst noch. Als vorige Woche der große Fliegerangriff war und wir alle Hals über Kopf in den Luftschutzkeller liefen, da kleben da unten an allen Wänden und Brettern wieder dem seine Zettel, diesmal der mit der Inschrift:
Je mehr Bomben geschmissen werden,
Desto eher ist Frieden auf Erden.
Und nun fingen draußen die Bomben wirklich an zu rappeln, dass einem mulmig wurde. Da konnte sich einer doch nicht verkneifen und sagte ganz laut: „Jaja, je mehr Bomben geschmissen werden …“ Uns war ja nicht zum Lachen zumut, aber da konnten wir uns doch nicht mehr halten. Alle guckten den Autor an, der vor Wut und Angst ganz blass war. Plötzlich fing er an, die ganzen Klebezettel mit dem Taschenmesser abzukratzen.