Das Zwischenspiel - Erich Weinert - E-Book
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Das Zwischenspiel E-Book

Erich Weinert

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Beschreibung

Ein scharfer Blick auf die deutsche Zwischenkriegszeit – satirisch, poetisch, politisch. Das Zwischenspiel versammelt Erich Weinerts bissige, poetische Momentaufnahmen aus den Jahren 1918 bis 1933 – einer Zeit des Umbruchs, der Krisen, der ideologischen Kämpfe. Mit präzisem Sprachwitz, sarkastischer Beobachtungsgabe und unerschütterlicher Haltung entlarvt Weinert das politische und gesellschaftliche Treiben der Weimarer Republik: Von Spießern, Opportunisten, Militaristen und Mitläufern über die Träume und Desillusionen der Arbeiter bis hin zur bitteren Ironie des Alltags. Diese fast 400 Texte sind Kabarett in Versform – klug, scharf, oft komisch und zugleich erschütternd aktuell. Weinert war nicht nur ein Dichter, sondern ein Chronist seiner Zeit – kämpferisch, zornig, satirisch. Das Zwischenspiel ist ein literarisches Dokument des Widerstands gegen das Vergessen – und ein Mahnmal gegen Gleichgültigkeit.

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Seitenzahl: 422

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Erich Weinert

Das Zwischenspiel

Deutsche Revue von 1918 bis 1933

ISBN 978-3-68912-499-1 (E–Book)

Erschienen 1950 im Verlag Volk und Welt, Berlin.

Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.

© 2025 EDITION digital®

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E–Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

DER AKADEM

1921

In Rothenburg ob der Tauber,

Da sitzt ein Akadem;

Und was er fühlt, ist sauber,

Und was er denkt, System.

Er singt in feuchtem Eifer

Vom deutschen Gaudio;

Es wackelt ihm der Kneifer

Bei jedem Tremolo.

Er singt das Lied der Fremde

Und Liebesleid und -lust.

Wie schlug im Turnerhemde

Die goldgelockte Brust!

Ein Hürlein auf der Brücke,

Das schaut ihn schmachtend an,

Doch er steht gen die Tücke

Des Lasters wie ein Mann.

Er schreibt im Wartesaale

Ein Distichon nach Haus,

Doch streicht das Carte postale

Er dick mit Tinte aus.

Er tunkt in seine Tasse

Ein ernstes Butterbrot.

Dann fährt er vierter Klasse

Ins teutsche Morgenrot.

REPUBLIKANISCHER ABEND

1921

Im Parke schweift Frau Rechnungsrat

Mit einem Schwanz von Pensionetten;

Die Mädels wandeln wie auf Draht

Und träumen heimlich von Kadetten.

Und plötzlich singt der ganze Schwanz,

dass man nicht ohne hohe Wönne

Der Abendsonne ihren Glanz

Und ohne Lust betrachten könne.

Ergriffen steht ein Protestant

Und schaut gedankenschwer gen Abend;

Ein Kontorist grinst arrogant,

Kein Herz in seinem Busen habend.

Am Wege sitzt ein halber Mann,

Der war einmal im Krieg gewesen;

Man schaut ihn mitbeleidigt an

Von wegen seiner Beinprothesen.

Mit einem Darlehnskassenschein

Bedenkt Frau Rat die brave Seele;

Die Jugend singt die Wacht am Rhein

In holder Quintenparallele.

Ein Polizist der Republik

Gedenkt gerührt in diesem Falle:

Wie wohl tat solcherlei Musik!

Und fasst sich an die Ordensschnalle.

Frau Rätin kauft ein Abendblatt

Und faltet feierlich die Runzeln.

Der Schwanz verklingt. Die gute Stadt

Versinkt in abendlichem Schmunzeln.

Auf einer Schreberlaube grämt

Ein rotes Fähnchen sich mit Zittern;

Es hat sich schon ganz blass geschämt

Und wird bald ganz und gar verwittern.

VON ALLERHAND TIEREN

1921

Einst hatt’ ein Löwe sein Getier versammelt

Und hatte lange und ergrimmt

Im Gottesgnadenton gestammelt

Und schließlich feierlich bestimmt:

Man müsse sich zum heilgen Kriege rüsten,

Zur Rettung der Nation und Dynastie!

Da scholl bewegt aus Untertanenbrüsten

Ein Hoch dem Kriege und der Monarchie.

Da stiegen alle Esel von Kathedern

Und zeigten militärische Allüren.

Die Füchse spitzten ihre Gänsefedern

Und schrieben Leitartikel und Broschüren.

Der Löwe schrieb: „An meine braven Schafe!

Der König ruft! Erwacht aus eurem Schlafe!

Verkennt den Ernst der großen Stunde nicht!“

Da taten auch die Schafe ihre Pflicht.

Sie stürmten wild an ihre Landesgrenzen,

Dem Feind die Hörner in das Herz zu bohren.

Im Lande blieben die Intelligenzen

Als unabkömmliche Kulturfaktoren.

Die Esel stiegen wieder aufs Katheder

Und sprachen von heroischer Verklärung.

Die Schweine handelten mit Fett und Leder

Und garantierten so die Volksernährung.

Die Geier stürzten sich auf die Tribute

Und schufen mit den Wölfen Syndikate.

Die Schafe aber zahlten treu dem Staate

Mit ihrer Wolle und mit ihrem Blute.

Man schreit hurra. Es hagelt nur von Siegen.

Rein überschaflich sind der Schafe Kräfte.

Die Wälder füllen sich mit Beutezügen,

Und alle Welt macht glänzende Geschäfte.

Die Wölfe schmücken sich mit hohen Orden,

Die Schweine werden schier zum Platzen mollig.

Doch nur die Schafe scheinen nicht mehr wollig

Und sind erheblich magerer geworden.

Das ganze Hammelvolk kam auf den Hund.

Die Sache hatte einen tiefren Grund:

Das Schweinevolk in höhren Positionen,

Das fraß begeistert doppelte Rationen.

Doch so was war den Schafen selbst zu bunt.

Und eines Nachts ist plötzlich alles stumm,

Die satten Bäuche fahren aus dem Schlafe:

Die Hammelschaft dreht die Gewehre um

Und konstituiert die Republik der Schafe.

Da flohn die Heimathelden in die Wälder.

Der Löwe selbst verschwand im Siegerkranz.

Das Schweinevolk versteckte seine Gelder.

Man zitterte vor jedem Lämmerschwanz.

Nun fühlten sich, von Etsch bis Belt,

Die Schafe über alles in der Welt.

Dann gaben sie, als einzig Volk von Brüdern,

Für jedes Raubtier volle Amnestie.

Das kroch sogleich heran, sich anzubiedern,

Und predigte von Gleichheitsharmonie.

Es wandelte wie Schafe unter Schafen

Und huldigte Verfassungsparagrafen.

Gefallen waren die sozialen Hürden;

Und Wölfe, Esel, Geier, Schweine

Bekamen wieder Amt und Würden

Und gaben wieder jedem Schaf das Seine.

Der Oberhammel sprach zu seinen Heeren:

„Wir brauchen nichts als unsers Leibes Nahrung.

Die uns regieren, haben die Erfahrung.

Drum lasst euch nur verfassungsmäßig scheren!“

Da wurden gleich die Esel wieder keck,

Die Schweine wurden wieder fett und fetter,

Die Füchse schufen nationale Blätter,

Und selbst der Löwe kroch aus dem Versteck.

Die Wölfe trugen Orden auf den Lenden,

Die Geier schluckten hohe Dividenden.

Und eh man sich versehn, war weit und breit

Auf einmal wieder gute, alte Zeit.

Und auch die Wölfe hatten unterdessen,

Wo sie als Staatsanwälte figuriert,

So manchen armen Hammel aufgefressen,

Der einst für Hammelfreiheit agitiert.

Die Schafe lagen bei den Wiederkäuern

Und kauten Gras und zahlten ihre Steuern.

Und riss zuweilen eine Lammsgeduld,

Dann rief das Oberschaf: „Nur kein Tumult!

Ertragen wir mit Würde Gottes Strafe,

Denn wir sind auch nicht ohne Schuld.“

Das sahen denn die treuen Lämmer ein,

Die nichts verstehn und alles gern verzeihn,

Und kehrten heim zum großen Dauerschlafe.

Es waren eben veritable Schafe!

DAS GERETTETE SYMBOL

1921

Es thront im Kaiser-Wilhelm-Parke

Ein Bronzelöwe, stolz und kühl,

Symbolisierend ernst das starke

Und nationale Vollgefühl.

Obwohl er mit Cäsarenblicken

Den Kaiser-Wilhelm-Park regiert,

So krabbeln doch auf seinen Rücken

Proletenkinder, ungeniert.

Ein Studienrat, den dies ergrimmte,

Schrieb unter Sprechsaal, dieses sei

Empörend, und begeistert stimmte

Die Bürgerschaft der Ansicht bei.

Mit einer Stacheldrahtumzäunung

Bekränzt das Bild der Magistrat;

Worauf die öffentliche Meinung

Sich dieserhalb beruhigt hat.

Es werden, wo er blank gescheuert,

Dem Löwen Stacheln eingedreht,

Auch wird die Patina erneuert

Von einem Mann, der dies versteht.

Nun thront er in der Stachelhürde,

Zwar wie ein Biest fossiler Art; –

Doch hat man nationale Würde

Und auch Kultur und Kunst gewahrt.

7

LIEBER GOTT SPIELEN

1921

Scheint die brühwarme Sonne

In die alte, geteerte Regentonne,

Dann hauche

Mal stark auf die warme Jauche!

Da siehst du’s quirlig nach unten kribbeln

Und wieder schlänglig nach oben wibbeln.

überall schwimmen drollige kleine Haken.

Haben die mal die Sache satt,

Dann werden sie richtige Schnaken.

Und das geht so: Erst werden sie matt;

Da kommen sie nämlich in die Wochen.

Irgendwo wird was aufgebrochen;

Dann findet die Entlarvung statt.

Und nun kommt ein Mücklein herausgekrochen

Und guckt sich um und lebt,

Wenn auch noch ein bisschen verklebt.

Meistens kann es gleich fliegen.

Manchmal aber bleibt's oben liegen,

Rutscht mit den Beinchen wieder ins Wasser

Und wird nass und immer nasser.

Und kaum hat es die Augen offen,

Ist es auch schon wieder versoffen.

Dann fasse mal mit dem Finger drunter!

Da bleibt es ganz munter

Mit feuchten Beinchen drauf sitzen

Und wärmt sich die Fingerspitzen.

Da kribbeln dann in ihrem Daseinspott

Die kleinen Lärvchen geschwind nach oben,

Die dich als ihren lieben Gott

Und deinen unerforschlichen Ratschluss loben.

DIE BERGEVERSETZER

1921

Dass der Glaube Berge versetze,

An diesem Faktum ist nicht zu rütteln.

Man korrigierte Naturgesetze

Schon immer mit transzendentalen Mitteln.

Wir möchten ja den Gotteskindern

Nicht gerne ihre Gefühle verletzen.

Aber schließlich muss man sich doch verbitten,

dass sie ihre Berge immer dahin versetzen,

Wo sie entweder den Verkehr behindern

Oder die schönsten Plantagen verschütten.

GESANG DER ALTEN SKLAVEN

1921

Ich litt am steilen Blicke des Archonten,

Der meine Niedrigkeit mich wissen machte,

Und spähte fiebernd nach den Horizonten,

Wenn ich in Nächten auf den Zinnen wachte,

Und spähte langend in die blasse Ferne,

Ob aus den Nebeln nicht die Fahne stäche,

Die rot entzündet alle toten Sterne,

Ob nicht der Aufstand aus den Tälern bräche,

Ob nicht Gesang, von Scheu und Qual noch zager,

In nächt'gen Bächen warm zusammenflösse,

Ein Kriegsgesang von Lager hin zu Lager,

Ein Waffenruf an alle Sklaventrösse!

Ich sah nur Auf- und Niedergang der Sterne,

Und Feuer, die um Mitternacht verglommen,

Und überm Tor die schwankende Laterne.

Doch weder Flamm’ noch Fahne sah ich kommen!

Und ich begriff nach langen Jahren Spähens:

Sie liegen noch gefesselt vor Altären.

Noch blind inmitten mahnenden Geschehens,

Als ob zum Stolz sie nie erweckbar wären.

Und doch, ich weiß: das Licht in meinem Hirne,

In meinem Sklavenhirne, bleibt am Brennen,

Bis dass es hinter jeder Sklavenstirne

Den Funken weckt, den sie nicht löschen können.

Mein Sohn hat nicht mehr den geduckten Nacken,

Nicht Hundeaugen mehr wie seine Ahnen.

Mein Sohn, Archont, wird auch die Lanze packen,

Doch nicht für deine mehr, für unsre Fahnen!

Das ist mein Sohn, Archont! Fühl seine Blicke,

Wenn er den Wanst dir walkt im Myrrhenbade:

Mein Unglück weicht dem vorgenossnen Glücke,

dass du einst leben musst von seiner Gnade!

DER SPATZ

1921

Ein Spatz, in einem Kaffeegarten hausend,

War an des Menschen Nähe bald gewöhnt,

Denn hier, behaglich seinen Kuchen schmausend,

War dieser mit der Welt und sich versöhnt.

Er nahte sich mit armer Leute Geste,

Sobald er sah, dass jemand Kuchen aß,

Und wartete bescheiden auf die Reste,

Die er bereits mit heißen Augen maß.

In diesem Punkte war er systematisch,

Weil solche Art den Menschen wohlgefällt.

Ein Mann, dem sein Benehmen unsympathisch,

Hat ihm den ganzen Kuchen hingestellt.

Der arme Spatz fiel beinah vom Geländer,

Weil dieser Mensch ihm nicht mehr menschlich schien.

Ob dieser Szene lächelte der Spender:

Es ist ein Spatz; und dies entschuldigt ihn.

NACHTGESPRÄCH IM INDUSTRIEMUSEUM

1921

Eine Wattsche Dampfmaschine,

Die im Industriemuseum stand,

Hielt einer modernen Turbine

An der gegenüberliegenden Wand

Ein Privatissimum,

Inwiefern und warum

Sie als automotorischer Prototyp

Das eigentliche maschinelle Prinzip;

Auch die Tatsache, dass sie außer Betrieb,

Wäre kein Argument dagegen.

Und daran anschließend, mit großem Schwung,

Erhob sie die ethische Forderung:

Man möge wieder der Einfachheit pflegen,

Begnüge sich mit zwei Atmosphären

Und sechzig Touren die Minute,

Dann käme das Wahre, Schöne und Gute

Und der göttliche Rhythmus wieder zu Ehren

Und überhaupt alles Paradiesische.

Aber das ginge schon ins Metaphysische

Und würde von ihr wohl schwerlich kapiert,

Denn dazu wär' sie schon zu differenziert.

So endete sie mit sonorem Finale.

Ein Teslainduktor im Nebensaale

Räusperte sich einige Male

Und sagte nur: Dummes Gequatsche!

Hierauf schwieg die Wattsche

In tiefer Verletztheit

Und seufzte: Ja, ja, die Jetztzeit!

DAS MENSCHOID

1921

Es fehlt in den Natursystemen;

Auch Haeckel hat's nicht registriert.

Das wär’ euch Anlass, anzunehmen,

Es habe niemals existiert.

Wenn ich das Menschoid beschriebe

(Verzeiht mir diesen Terminus,

Den ich, bei aller Nächstenliebe,

Gebrauche, weil ich eben muss),

So würden die Naturverständigen

Mit Lächeln zwar mich übergehn;

Es steht in ihren Fachkompendien

Noch nichts von diesem Phänomen.

Doch hat’s schon in gondwanaländschen

Epochen diese Welt beschwärmt

Und haust auch heut noch unter Menschen,

An deren Feuern es sich wärmt.

Nicht in versprengten Exemplaren,

Nein, herdenweise trifft man's an.

Es hat die Neigung, sich zu scharen,

Woran man es erkennen kann.

Den Menschen weiß es nachzuahmen;

Darin benimmt sich's affenhaft;

Es plagiiert des Menschen Namen

Und menschliche Errungenschaft.

Es selbst, wenn ihr es recht beachtet,

Betont den Wesensunterschied,

Nur: dass es sich als Mensch betrachtet,

Dich aber, Mensch, als Menschoid.

DER GOTTESGNADENHECHT

1921

Dem Hecht

Ging's einmal schlecht:

Er hing in der Reuse

In sichrem Gehäuse.

Da gab’s nichts zu prassen und nichts zu schlarpfen,

Weder Brassen noch Karpfen.

Die junge Karpfenbrut

Fand das gerecht und gut;

Denn nun hätte sie endlich Ruh und Genuss

In ihrem Loche;

Und das wäre der Schluss

Der feudalen Epoche.

Aber die Ältern

Befreiten den Hecht aus seinen Behältern.

Sie sagten: Wir hängen am alten.

Die eherne Tradition wird heiliggehalten!

Jedem Karpfengeschlecht

Gab Gott seinen Hecht.

Sein Privileg ist göttliches Recht.

Der Hecht, die Situation ausnutzend,

Fraß von den jüngeren Volksgenossen

Sogleich ein gehäuftes Dutzend

Nebst Flunsch und Flossen.

Die Alten wedelten mit dem Schwanz

Und sangen: Heil dir im Siegerkranz!

DER PHILOSOPHENKONGRESS

1922

Die Philosophen veranstalteten einen Kongress

Auf Beschluss des Philosophenbundes

Zwecks Eindringung in das Innre des

Noch unerschlossenen Daseinsgrundes.

Da trafen sich die delegierten Weisen

Mit Dietrichen, Schlüsseln und anderen Eisen

An der Tür mit dem großen Fragezeichen

Und bastelten da unverdrossen.

Aber die Tür wollte nicht weichen;

Sie blieb verschlossen.

Und schließlich kamen sie überein,

Es müsse eine ganz komplizierte Mechanik sein.

Soeben begannen sie einen tiefen Disput

über: als ob, an sich und dergleichen,

Da trat ein Mann ohne Doktorhut

Aus der Tür mit dem Fragezeichen.

Die Philosophen rümpften ihre Rüssel:

Woher haben denn Sie den richtigen Schlüssel?

Der Bestaunte aber sagte gelassen:

Man braucht nur auf die Klinke zu fassen!

Ich dachte beileibe noch nie daran,

dass man die Tür auch verschließen kann.

Die Philosophen lächelten ob dieses Manns:

Ja, ja, die heilige Ignoranz!

Wollte man ein so wichtiges Problem

In so einfältiger Weise lösen,

Brauchte man doch kein wissenschaftliches System,

Und außerdem

Wäre ja auch der Kongress dann nicht nötig gewesen.

DER VERLIEBTE PYTHAGORAS

1922

Das Quadrat über der Hypotenuse

Liebte das eine Kathetenquadrat,

Was sich das andre sehr höflich verbat,

Denn dem widerstand das Geschmuse.

Die Liebe der beiden Quadrate war

Aber unbeirrt und elementar.

Doch war das Quadrätchen ein Hindernis

Bei jedem verliebten Gekose;

Und dadurch entstand ein kleiner Riss

In der pythagoreischen Symbiose.

In einem mathematischen Punkte zwar

War den beiden das Glück gestattet,

Doch liebten sie sich zu elementar,

Drum hätten sie lieber sich ganz und gar

Mit je einer Seite begattet.

Sie sagten zum kleinen Quadrätchen:

Du bist doch ein egoistisches Mädchen!

Wir wollen kein Glück auf deine Kosten.

Entferne doch nur die eine Seite!

Das Kleine rief: Meinen Daseinspfosten?

Dabei ging' ich doch selber pleite!

Auch verlören wir zu dem Behuf

Den spezifisch pythagoreischen Ruf.

Aber den beiden war das nicht klar;

Sie liebten eben zu elementar.

Sie pfiffen auf Ethos und Geometrie

Und fassten sich fest an dem Angelpunkt;

Vor lauter Leidenschaft machten sie

Das kleine Quadrat ideell defunkt.

Und nach vollzogener Begattung

War es zum Punkt zusammengeschüchtert.

Doch in der Liebesermattung

Entdeckten die beiden ernüchtert:

Auch die trianguläre Basis war

In Nichts dahingeschwommen:

Und das Hypotenusenquadrat sogar

Hatte moralisch abgenommen.

Sie schwankten bodenlos hin und her:

Wohin sind unsere Formate?

Wir sind ja gar kein Pythagoras mehr,

Nur noch zwei kongruente Quadrate.

Die Leidenschaft zerging wie Rauch.

Es wurde eine Ehe wie andere auch.

DIE STEHENGEBLIEBENE UHR

1922

Eine Turmuhr war einmal stehengeblieben

Auf fünf Minuten nach Viertel sieben.

Und da sie an Altersschwäche zu leiden schien,

Unterließ man, sie wieder aufzuziehn.

Doch dies war für eine rechtschaffene Uhr

Von Standesehre eine wahre Tortur.

Wollte einer sie um die Zeit befragen,

Wurde er wider ihren Willen belogen;

Und dabei konnte sie nicht einmal sagen:

Verzeihen Sie, ich bin nicht aufgezogen!

So von achte bis fünfe ungefähr

War dies ja allen augenscheinlich;

Aber dann wurde die Situation prekär,

Und jeden Blick empfand sie peinlich.

Doch zwischen fünfe und sechse – o Gott –,

Da fühlte sie sich schon moralisch bankrott.

Aber nach sechse, da war’s ihr, als kröche

Es eiskalt über die Vorderfläche.

Das war immer die moralische Krise.

Denn wer nicht wusste um ihre Schwäche,

Der meinte, sie ginge nicht mehr präzise.

Dass sie gelegentlich einmal stehe,

Ist ja für eine rechtschaffene Uhr

Kein Mangel an Präzision und Kultur;

Aber dass sie nicht mehr ganz richtig gehe,

Bringt eine Uhr mit zarten Gewissensregungen

Geradezu auf Selbstmorderwägungen.

Aber fünf Minuten nach Viertel sieben

Ging ein Leuchten über ihr Angesicht.

Da vergaß sie, dass sie stehengeblieben,

Und empfand den schrecklichen Makel nicht.

Und als jemand in solchem Augenblick

Einst seine Uhr nach ihr korrigierte,

Empfand sie ein so unaussprechliches Glück,

dass sie ihr Innres erschüttern spürte.

Es klirrte und knarrte in ihrem Geräder,

Das Gewichteseil riss mit dumpfem Knall,

Und durch ihr verrostetes Geäder

Ging ein erlösender Schlaganfall.

Die Zeiger fingen an zu taumeln

Und blieben auf halb sechs oder halb sieben baumeln.

Genauer gesagt, sie hingen jetzt beide

Auf sechs. Bei einer lebendigen Uhr

Ist das ja unmöglich und wider die Natur.

Nun war es vorbei mit ihrem Leide. –

Dass Gott ihr die ewige Ruh' bescheide,

Die sechs Uhr zwanzig zur Ewigkeit fuhr!

ZERSTÖRTES LIEBESGLÜCK

1922

Die Jungfrau Irene, mit vom Zahn der Zeit

Noch unangebohrter Weiblichkeit,

Hegte noch ganz die himmelwärtsen

Ideale nebst Sonne unterm Herzen

Und fühlte, an Hand von Romanbeilagen,

Sich durch den Kampf ums Dasein getragen.

Einem jungen Mann (er hieß angeblich Max)

Warf Irene sich eines Abends stracks

Ans abwaschbare Chemisett.

Max benahm sich als seriöser Verehrer

Und war nebenberuflich Erklärer

Im anatomischen Kabinett.

Als sich die zwei etwas nähertraten,

War Irenen die Liebe noch etwas Mystisches.

Doch Max, als Fachmann in Wachspräparaten

Nach neuesten Forschungsresultaten,

Hielt sie für etwas durchaus Realistisches.

Am nächsten Nachmittag um viere

Nahm er Irenen in das Museum mit.

Und da erklärte er ihr den ganzen Kitt

Vom ersten Kuss bis zum Kaiserschnitt,

Und wie das alles so funktioniere.

Irene wurde es übel dabei.

Sie sagte, es wär’ eine Schweinerei,

Und dass sie nun lieber alleine bliebe,

Denn sie hätte die Nase voll von der Liebe.

Max fand keinen Grund zum übergeben;

Ein moderner Mensch sei dagegen immun.

Und außerdem müsse auch das Liebesleben

Auf wissenschaftlicher Basis beruhn.

Seitdem war’s um Irene geschehn,

Das ganze süße Geheimnis – wie komisch! –,

Wo andre mit lyrischer Wonne sehn,

Erschien ihr jetzt grauenhaft anatomisch.

Und jedes Mal, wenn sie wieder bei Max

Am aufgeklärten Busen ruhte,

Dachte sie an den Aufklappmenschen aus Wachs;

Und dabei wurde ihr quaddrig zumute.

Moral: Man soll so was nicht auf die Spitze treiben!

Dem Volke muss die Religion erhalten bleiben.

DAS FELD-, WALD- UND WIESENKABARETT

1922

Gewöhnlich ist schon der äußere Eingang markant,

Mit Transparenten und Bockbiergirlanden bespannt.

Du drängst mit Todesverachtung zur Kasse,

Getragen vom Vertraun der Masse.

Es riecht nach Mottenpulver und Achselschweiß.

Den Kassentisch mit den Brüsten fegend,

Sitzt eine Dame, mit schöngewölbtem Steiß,

In der als Kasse bezeichneten Gegend.

Im Hintergrund, mit männermordendem Augenleuchten,

Eingehüllt in ein Gewölk von Divinia,

Siehst du die Prima Ballerinia

Sich die Kehle mit einem Hellen befeuchten.

Elegisch lehnt sie an einem Fässchen

Wie der „Lenz“ von Hildach im Freudengässchen.

Am Eingang warnt man dich bescheiden

Vor Taschendieben und andern Gesellen;

Auch wollest du füglich vermeiden,

Dich auf Tische und Stühle zu stellen.

Drinnen empfängt dich rhythmisches Getöse

Mit einem Aroma von Kaffeesatz.

Du findest noch einen bescheidenen Platz

Hinter einer nervösen Plöröse.

Ein Vorhang mit verwitterten Musen

Pendelt zwischen Trompetern aus Gips.

Eine Kellnerin mit hüpfendem Busen

Gießt dir zwei Zehntel Bier auf den Schlips.

Du hörst als erste Nummer das Waldhorn blasen:

„Das Gebet einer Jungfrau“ (mit Paraphrasen);

Und während des gefühlvoll-verstimmten Ländlers

Sitzt du versunken im Schatten des Würstchenhändlers.

Du siehst rosane Trikots durch den Dunst flitzen;

Dann duellieren sich zwei Kunstschützen;

Du siehst einen Mann auf dem Kopfe stehn

(Inzwischen plätschert ein Bier über deine Hosen);

Und dann erscheint das Verwandlungsphänomen

Und mimt Ludendorff, Ebert und Friedrich den Großen.

Die Musik spielt: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“;

Der Schlagzeuger lässt die Glocken läuten.

Am Schluss ist großes Kanonenknallen;

Das hat den Leuten am besten gefallen.

Dann wirst du ins Freie geschoben, ein bisschen zerzaust.

(Auch hat man dir deinen Hut gemaust.)

Am Ausgang, zwischen papiernem Flieder,

Mahnt dich ein Täfelchen, herzlich und bieder:

„Bitte beehren Sie mich bald mal wieder!“

DAS FAMILIENKABARETT

1922

Hier ist schon der Ort für erlauchtere Geister

Vom Oberpostdirektor bis zum Fleischermeister.

Auch hörst du viel von Prozent und Netto.

Hier empfängt dich kein Bierdeckeldunst.

Du hörst eine Arie aus „Rigoletto“.

(Man merkt, hier handelt es sich um Kunst!)

Du siehst Gesichter von Bankeleven

Und Damen mit volleren Achtersteven,

Mondän gefaltet, sich friedlich glätten,

In der Hoffnung auf zwei- und mehrdeutige Soubretten.

Die Kapelle spielt einen wackern Tusch.

Da erscheint, außerordentlich befrackt,

(Mit einem Zitat aus Wilhelm Busch)

Ein witzeschleudernder Katarakt.

Dann kommt die Stimmungsdame, die immer erkältet;

Dann siehst du Dessous ekstatisch flattern;

Und nachdem du dich angenehm entweltet,

Hörst du wieder den Katarakterkopf knattern.

Dann produzieren sich lebendige Nipps,

Direkt wie aus Terrakotta und Gips.

Und nun folgt ein Chanson von verhaltener Brunst;

Du hörst erotische Seufzer quetschen.

(Man merkt, hier handelt es sich um Kunst!)

Und im Wirbel der Zwischenmusiks-Arpeggien

Kommt der Mann mit dem Humorzylinder.

„Kinder!“, sagt er, „Kinder!“ und noch mal „Kinder!“,

Und in die durchlachsalvte Atmosphäre

Klirrt plötzlich der mondäne Sprecher

(Die Nummer handelt von deutscher Ehre).

Das P. P. Publikum bläht die Nasenlöcher.

Der Sprecher steht wie eine Gestalt

Aus der Schlacht im Teutoburger Wald,

Die Hände zu schrecklichen Fäusten geballt.

Sein Refrain hohl wie aus der Gießkanne hallt:

„Ihr habt es nicht anders haben gewollt!“

Und schrecklich leuchtet der Zähne Gold. –

Man sitzt wie zermalmt von der Wucht des Schmisses

Und schaut sich ins Antlitz: „Jaja, so isses!“

Die Musik intoniert den Schlussbolero.

Du begibst dich erschüttert ins „Trocadero“.

Dort siehst du, zwischen entweihten Gatten,

Die Chansonnette bei Schwedenplatten;

Auch entdeckst du im Gewühl

Den Hassgesangrezitator in Zivil.

Und unter neckischem Plombenblitzen

Unterhält er dich mit Garderobenwitzen

Und verscheucht deine letzten Sorgenwölkchen.

Ja, ja, das heitere Künstlervölkchen!

DAS HURRAKABARETT

1922

Du stehst noch zögernd auf der Schwelle.

Doch der Zauber der wohlgedämpften Geigen

Der Original-Fox-Canadian-Jazzband-Kapelle

lässt alle deine Bedenken schweigen.

Du wirst in die parfümierten Wogen

(Nach Deponierung erheblicher Beträge)

Gewissermaßen hineingesogen.

Drinnen macht man soeben Musik mit der Säge.

Du siehst an den Wänden Göttinnen segeln,

Beschäftigt mit dekorativen Vögeln,

Und unter lichtschwachen Ampeln

Irgendetwas Menschliches hampeln.

Das Publikum ist von erlesenem Gehalt,

Etwas durchsetzt mit sexueller Bedürfnisanstalt.

Auf dem frisierten Podium

Gespenstert grade ein Tanzpaar herum,

Sich merkwürdig ineinanderkniend,

Scheinbar eine kosmische Form der Begattung vollziehend.

Auf dem Podium wird jetzt ein Herr im lila Frack offenbar

Mit einem Original-Schlager-Repertoahr

Und rezitiert ein Poem

Von Freiherrn von Ompteda oder Walter Bloem.

Und dann, mit Pauke und Schnedderengteng,

Bringt er völkische Dichtungen mit Refräng.

Du siehst die Hintern von den Stühlen flitzen.

Du bleibst natürlich begeistert sitzen.

Und schon erscheint ein himmlischer Rächer

Und pudert dich mit dem Aschenbecher.

Deine Nachbarin gießt dir die Schokolade

Und den Schwedenpunsch in die Fassade;

Inzwischen kriegt dich ihr Gatte

Im furor teutonicus an der Krawatte.

Und eh' du den tieferen Sinn erfasst,

Liegst du draußen schon einem Schutzmann zur Last.

Und nur von ferne, in rhythmischen Pausen,

Hörst du die teutschen Eichen brausen.

DIE OKKULTISTEN

1922

Sie sitzen in schwarzer Nische

Eng aneinandergedrückt;

Da werden heimlich die Tische

Und dann sie selber verrückt.

Das Medium im kleinen Glastisch

Verursacht ein Nachttopfgeräusch:

Dann erscheint es, ideoplastisch,

In Badehosen und keusch.

Man macht mit den Gegenständen

Telekinetisch Radau.

Der Kosmos ruht in den Händen

Der medialen Rotundenfrau.

GEIST UND STOFF

1922

Die Eingeschriebene Frida Stumpf

Verließ eines Tages den Sündensumpf

An der Hand eines Philologen.

Er sagte: Fräulein, ich liebe Sie!

Worauf sie in sein Chambre garnie

Nach der Uhlandstraße gezogen.

Er las ihr vor aus der Odyssee.

Frida lag auf dem Kanapee.

Er nannte sie seine Hetäre.

Und abends, da saß sie auf seinem Knie,

Da sprach er von seelischer Harmonie,

Und ob sie zufrieden wäre.

Im Sexuellen verstand er keinen Spaß:

Er nahm es ernst und tat es mit Maß

An Hand einer kleinen Tabelle.

Selbst Fridas Technik verlockte ihn nicht.

Punkt zehn Uhr fünfzehn machte er Licht

Und verließ ihre Kammerschwelle.

Doch einmal, da folgte sie ihrer Natur

(Denn ihr Zimmer lag separat am Flur);

Und schon war sie wieder im Sumpfe.

Der Doktor kam früh um sieben ans Bett,

Da fand er bei ihr ein neues Korsett

Und einen Hundertmarkschein im Strumpfe.

Da nahm er das Mädchen Frida Stumpf

Und stieß es zurück in den Sündensumpf,

Sie sei ein verworfenes Mädchen!

Doch ging die Sache ihm sehr ans Herz.

Er schrieb Elegien im Stil von Properz

Und auch soziale Tragödchen.

Die Tabelle reichte noch bis zum April.

Und manchmal, des Abends, küsste er still

Ihr Strumpfband, das violette,

Und sprach, indem er sich langsam besoff:

Das ist der Konflikt zwischen Geist und Stoff!

Und ging mit sich selber zu Bette.

ELEGIE EINES MILITÄRANWARTERS

1922

Ich bin ein ehemaliger Unteroffizier,

Zwangsweise zivilversorgt.

Man hat meine Seele zugekorkt.

Nun sitz’ ich von achte bis vier

Melancholisch an meinem Schalter

Und ruiniere Federhalter.

Wozu lehrte mich mein Kaiser

Was von Kimme und Korn?

Wozu kann ich die ganzen Fürstenhäuser

Von hinten bis vorn?

Abends, da sitz' ich im Restaurant

Mit Kamerad Schramm;

Der kennt das ganze Exerzierreglement.

Und wenn ich komme, steht er stramm.

Denn er ist ja nicht meinesgleichen,

Er war bloß Gefreiter.

Und dann diskutieren wir über Gradabzeichen,

Gewehrreinigen und so weiter.

Und wenn ich nachts zu Bette geh’,

Dann ergreift mich ein unbeschreibliches Weh,

Dann träum’ ich von besseren Tagen.

Wozu hab' ich mein Portepee

Und darf's doch nicht tragen!

Warum hat man mich zivilversorgt,

Und ausgerechnet nach Pasewalk?

Ich fühle mich so zugekorkt

Wie eine Flasche mit ungelöschtem Kalk.

Wär’ ich wenigstens im Polizeibüro

Und nicht bei der Postverwaltung!

Einjähriger Soundso!

Mensch, nehmen Sie Haltung!

Ich will Ihnen schon die Knochen –

Sie krummes Gewächs!

Ihnen hat wohl der Mond gestochen!

Postanweisungen – Schalter sechs!

SOZIALDEMOKRATISCHES MAILIEDCHEN

1923

Stell auf den Tisch das Bild von Vater Bebel,

Den Vorwärts, Jahrgang 13, hol herbei,

Und klirre wieder mit dem Schutzmannssäbel

      Wie einst im Mai!

Lies mir noch mal die alten Manifeste,

Der ersten Jugend holde Schwärmerei,

Und reich mir wieder die gestrickte Weste

      Wie einst im Mai!

Noch einmal singt die Internationale,

Doch macht nicht wieder solchen Krach dabei,

Und nicht mit so pathetischem Finale

      Wie einst im Mai!

Noch einmal tragt die feierlichen Fackeln!

(Die Reichswehr mit Musik ist auch dabei.)

Wer weiß, ob uns nicht doch die Ärsche wackeln

      Dereinst im Mai!

SÄCHSISCHE SPERLINGS-MARSEILLAISE

1923

Wir Sperlinge haben ein Klassenbewusstsein,

Oho!

Uns schlägt ein Proletenherz unterm Brustbein.

Jojo!

Wir protestieren mit viel Geschrei,

Oho!

Gegen die Raubvogeltyrannei.

Jojo!

Wir protestieren gegen die Parasiten,

Oho!

Denn das Protestieren kann uns niemand verbieten.

Jojo!

Wir protestieren von früh bis spät,

Oho!

Denn wir haben die Landtagsmajorität.

Jojo!

DAS BESEELTE THERMOMETER

1923

Ein Thermometer, vom Geschick berufen,

dass es in seinem Glasgedärme

Den Grad der Kälte oder Wärme

Auf vorgeschriebnen Skalastufen

Streng indiziere, ohne Fantasie,

Bekommt (wer weiß, aus welchem Anlass nur,

Auch rätselhaft erscheint das Wie),

Entgegen den Gesetzen der Natur,

Aus einer transzendenten Hexenküche,

Vielleicht nur eine kleine Spur,

Ein Quäntchen sogenannter Psyche

Und stolpert über seines Wesens Schnur.

Es ahnt der Elemente Hass und Liebe

Und folgt dem revolutionären Triebe,

Fängt an, ein Individuum zu spielen,

Erhitzt sich an Gedanken und Gefühlen,

Es meditiert und wird lebendig,

Wobei es schließlich und naturnotwendig

Nur noch die eignen Grade registriert

Und nun, nach der Erkenntnisse Erklimmung,

Sich stracks entzieht der göttlichen Bestimmung

Und den Besitzer an der Nase führt.

Der Mensch, den heiklen Vorgang nicht begreifend,

Auf seine Schülerweisheit sich versteifend,

Wirft das Geschöpfchen in den Küchenschutt

Und sagt: das Thermometer ist kaputt;

Seit vierzehn Tagen ist es nichts mehr wert.

Das Thermometer seufzte tief;

Man hatte was in ihm zerstört.

Und als der Weingeist in die Asche lief,

Da seufzte es zum letzten Mal und rief:

So wird durch physische Gewalt vernichtet.

Was sich zum seelischen Gefäß verdichtet.

Der Mensch jedoch, kaum eine Stunde später

Kauft er sich schon ein neues Thermometer.

DAS ANTISEMEETING

1923

Nachts um zwölfe

Versammelten sich die blonden Wölfe

Mit großem Gebelfe.

Und einer hielt ein Referat:

Es dürften im Blonde-Wölfe-Staat

Die proletarischen Hammelherden

Auch nur von blonden Wölfen gefressen werden.

Und deshalb könnte nur eines helfen:

Nieder mit den schwarzen Wölfen!

Und als man zu Tätlichkeiten schritt,

Da machten sogar die Hammel mit.

DAS ATOM

1923

Ein armes Atom,

Von einem Astronom

Durch die Welt gehetzt,

Floh zuletzt

Nach Rom

In den Petersdom,

Und da verschwand’s

In der Monstranz.

Wie antinom!

Sagte der Astronom.

Das Urgegebene

Verlässt die logische Ebene.

Das Rationelle

Auf der Schwelle

Der Transzendenzl

Hier fehlt mir die Kompetenz.

Und in solcher Betrachtung

Verließ, in Verachtung

Für das katholisierte Atom,

Der Astronom

Den Petersdom

In Rom.

GUSSEISERNES SONETT

(Muster für völkische Lyriker; DRGM angemeldet)

1923

Der deutsche Aar schwebt in die Lenzeswolke

Trotz gallischen und britschen Wutgeheules.

Schon reißt er an den Ketten von Versailles,

Freiheit verheißend dem germanschen Volke,

Vom Geier Israels noch geil umkrächzt,

Den es gar sehr nach ar'schem Mark gelüstet,

Der nach germanschen Eingeweiden lechzt,

Indem er frech in deutschen Eichen nistet.

Jedoch umsonst! Schon sprengen wir die Kette,

Schon klirrt das Schwert, schon zücken wir die Leier,

Schon legt das Volk die Axt an jenen Geier.

Die Dichter schmettern völkische Sonette.

Schon recken sich durchmuskelte Gestalten.

Das Streitross brüllt. Man kann es nicht mehr halten!

TRAGISCHE GESCHICHTE

1923

In der Heiligengeiststraße befand sich

Bis vor kurzem eine historische Fassade.

Im Portal stand: Anno Domini 1620.

Aus dem Hausflur roch’s immer ein bisschen ranzig

Nach Sauerkohl, Petroleum und Marmelade.

Denn rechts parterre und im ersten Stock

Befand sich das Viktualienlager von Nielebock.

Parterre links roch’s nach Kattun und so.

Da gab’s Papierkragen und Krawatten;

Das war der Laden von Breslauer & Co.,

Die dort ein Partiewarenlager hatten.

Herr Breslauer war dick, Herr Nielebock mager.

Zwar gehörte letzterem Haus und Viktualienlager,

Doch liebte er kostspielige Abenteuer;

Und deshalb rang er jetzt mit dem Pleitegeier.

Aber im Augenblick der höchsten Not

Machten ihm Breslauers ein günstiges Angebot.

Obwohl Herrn Nielebock ein Stich ins Herz drang,

Kam ihm doch Breslauers goldner Regen

Hinsichtlich seines Depots bei der Kommerzbank

In diesem Zeitpunkt nicht ungelegen.

Und Breslauers kauften den alten Kasten

Mit allem Inventar und allen Lasten.

Eines Morgens hing ein großes Firmenschild da,

Darauf stand in schönen, goldeingefassten

Buchstaben: WARENHAUS MERKURIA,

Unmittelbar über dem Mittelportal.

Doch verdeckte es nun die pittoresken

Plastiken, Putten und Arabesken

Und selbst die würdige Jahreszahl.

Doktor Muck, Vorsitzender im Geschichtsverein

Und Stadtverordneter, kam eines Tages grade

Von gewohnter Abendpromenade

Und gewahrte im Laternenschein

Die ach so schändlich entstellte Fassade.

Und in der nächsten Stadtverordnetensitzung

Brachte er die Gemüter zur Erhitzung:

Es wäre geradezu ein Kulturverbrechen,

dass Breslauer & Co. mit ihren prosaischen Blechen

Die kunsthistorisch wertvolle Supraporte

Mit den entzückenden Amoretten,

Mit einem Worte:

Pi - e - tätlos entheiligt hätten.

Und Breslauers kriegten ein behördliches Schreiben,

Das Schild könnte da nicht hängenbleiben.

Aber Breslauer, wie Breslauer eben sind,

Dachte gar nicht daran, sich zu weigern;

Er wolle sowieso das altertümliche Labyrinth

In nächster Zeit auf Abbruch versteigern,

Und den ganzen kunsthistorischen Stuck

Nebst den diversen Hausinschriften

Wolle er gerne Herrn Doktor Muck

Für den Geschichtsverein zum Andenken stiften.

Das konnte der Magistrat ihm nicht unterbinden,

Schon aus steuerpolitischen Gründen.

Und so geschah's. Als der Abbruch begann,

Rückte Doktor Muck nebst einem Handwerksmann,

Gefolgt vom ganzen Geschichtsverein, an.

Doch schon bei den ersten Rettungsversuchen

Bemerkte der Geschichtsvereins-Doktor:

Das ganze historische Barocktor

Fing an zu zerkrümeln wie alter Kuchen.

Doch Doktor Mucks Rührigkeit

überwand auch diese Schwierigkeit.

Er ließ die Reliquien fotografieren,

Nahm einen Bildhauer zur Hand,

Um seine eigne Giebelwand

Mit einer getreuen Imitation zu zieren.

Außerdem schenkte er jedem Oberlehrer

Einen Puttenkopf als Briefbeschwerer.

Und nun findet sich der Geschichtsverein

Jede Woche einmal

Vollzählig auf seinem Grundstück ein

Und betrachtet entblößten Haupts das Portal.

Doch, obschon die Imitation äußerst sauber,

Gesteht man sich, etwas peinlich berührt,

Es wäre nicht mehr der geheime Zauber,

Den man bei Betrachtung des Originals verspürt.

Man schleudert einen Bannstrahl des Boykotts

Gegen Breslauers neuen Warenhausklotz,

Der nun die altertümliche Straße verhunzt.

Und im Vereinsblatt konnten Breslauers lesen,

Sie hätten, als Fremdkörper im deutschen Wesen,

Auch keine Ehrfurcht vor deutscher Kunst.

DER JOURNALIST

1923

Ein Mann, der dies beruflich muss,

Genest von einem Leitartikel,

Denn der Creator Spiritus

Hat ihn beim Wickel.

Nichts Menschliches erscheint ihm fremd;

Er schwirrt durch alle Disziplinen,

Schaut allen Dingen unters Hemd,

Auch femininen.

Er macht in Objektivität

Und nimmt den lieben Gott zum Muster;

Jenseits von Gut und Böse steht

Der Meinungsschuster.

Was ihn Chaotisches erfüllt,

Wird oben zerebral entsäuert;

So wird ihm sein Gedankenbild

Verbiedermeiert.

Ideen entkleckern seinem Geist

Ganz wie von selbst und ziegenbohnig,

Jedoch sein Stil entströmt ihm meist

Wie Schleuderhonig.

Kein Urteil gibt es, dem er nicht

Sein Überurteil aufgepflastert;

Er wird, drum tut er's mit Gewicht,

Dafür bezastert.

Doch dies ist nicht allein als Grund

Für seine Triebe ausschlaggebend.

Er ist zu voll des Geistes, und

So muss er ebend.

DIE HELLSEHSITZUNG

1923

46

Bei Kohlrauschs im Salon sind heute

Die Fenster verhangen mit dickem Tuch.

Im Halbdunkeln sitzen einige Leute;

Die erwarten heute Geisterbesuch.

Frau Krebs, approbierte Hellseherin,

Flüstert: „Ruhe, jetzt kommt mein sechster Sinn!“

Auf einem Etagerenbrette

Thront das Nachtlämpchen aus der Toilette,

Mit rosa Seidenpapier drapiert,

Das heut als Geisterlampe fungiert.

Im Dunkeln sitzen Frau Nischke nebst Schwager

Von unten aus dem Produktenlager.

Dann sind noch einige Hausbewohner:

Herr Hille, Aftermieter vom selben Flur,

Ein Herr mit Kamelhaarsocken und Kragenschoner

Und Fräulein Petz mit der vegetarischen Frisur.

Nun sollen sie alle die Fingerspitzen

Ganz sachte auf die Tischplatte legen,

Und sonst aber ganz ruhig sitzen

Und nicht die Beine und das Gesäß bewegen.

Der Tisch bewegt sich, der Tisch gibt nach.

Die Portiere fängt schon an, sich zu beulen,

Die Beleuchtung wird plötzlich unheimlich schwach.

Man hört ein schauriges Geisterheulen.

Frau Krebs lallt in übersinnlichem Ton,

Jetzt käme die vierte Dimension!

Der Tisch bewegt sich, der Tisch geht los.

Die einen stehen, die andern hocken.

Der Herr mit den Kamelhaarsocken

Sitzt schon bei Fräulein Petz auf dem Schoß.

Es tönt ein Geräusch wie aus weiter Ferne.

Und unheimlich blakt die Klosettlaterne.

Frau Kohlrausch flüstert, ein himmlischer Gast

Hätte sie soeben direkt an den Busen gefasst.

Frau Nischke meint, ihr wär's auch bald so.

Und die Tassen klirren auf dem Vertiko.

Jetzt wird die Klosettlampe ausgedreht.

Und keiner weiß mehr, was vor sich geht.

Die Menschen fallen, die Stühle kippen.

Frau Krebs beschwört Johannes den Säufer.

Einer kriegt einen harten Gegenstand in die Rippen.

Frau Nischkes Schwager vermisst seinen Kneifer.

Fräulein Petz verlangt energisch nach Licht;

Es hätte sie einer von hinten gepackt.

Herr Hille protestiert, das ginge jetzt nicht,

Er stände jetzt grade mit einem Geist in Kontakt.

Frau Krebs springt plötzlich mit Geistergewalt

Auf den Tisch und verliert den seelischen Halt.

Der Tisch kippt um, es klirrt und kracht.

In aller Eile wird Licht gemacht.

Da sitzt die Geisterrunde im Nassen

Zwischen Palmenkübeln und Kaffeetassen,

Familienbildern und Aschenbechern

Mit total verblakten Nasenlöchern …

Die Folge war eine Prügelei.

Und schließlich endete nachts um zwei

Die Hellseherei bei der Polizei.

DIE DEUTSCHE REPUBLIK

Bürgerliches Schauerspiel in 5 Akten

1923

Prolog

(gesprochen von W. II., Monarch)

Bevor der Vorhang in die Höhe rutscht,

Zwee Worte, kurz und sachlich hinjeschmettert:

Hier wird im deutschen Jeist jeknallt, jeputscht,

Ein bürgerliches Schauspiel uffjeblättert.

Wir machen böses Spiel zur juten Miene,

So jut es jeht, auf schwarz-weiß-roter Bühne;

Die is jewissermaßen noch im Rohguss.

Das Spiel bejinnt. Ich scheide als Prologus.

(Ab.)

Erster Akt

(Ein ministeriales Schlafzimmer. Exzellenz Scheidemann im Bett, träumend. W. II. auf einer Wolke an sein Lager schwebend.)

Exzellenz Scheidemann:

Ich reiche Eurer Majestät die schwielige Hand.

W. II.: Mit Gott für König und Vaterland!

Exzellenz Scheidemann:

Und wenn die Welt voll Teufel wär’!

Ich bin ja Kaiserlicher Staatssekretär.

W. II: Auf Wiedersehn im Massenjrab!

Ich danke für Obst und hiermit ab.

(Er wird von einer Wolke nach Westen getragen.)

Ebert (tritt ein):

Wir müssen gleich auf dem Boden der Tatsachen stehn.

Exzellenz Scheidemann:

Ich hab’ sein Bild im Traum gesehn.

(Der Zwischenvorhang hebt sich: Die Volksvertreter werden sichtbar.)

Die Volksvertreter: Die Monarchie ist tot.

Es lebe Rot!

Es lebe Schwarzrotgold.

Exzellenz Scheidemann (zusammenbrechend):

Das hab’ ich nicht gewollt!

Zweiter Akt

(Am Brandenburger Tor. Dämmerung.)

Ludendorff (allein): Lindströmt* der erste Märzenduft

durch alle meine Sinnen.

Kapp, Kapp**, ich wittre Morgenluft,

Kapp, tummle dich von hinnen!

Die Brigade Ehrhardt (durch das Tor marschierend, singt):

Wir lassen uns,

Wir lassen uns,

Wir lassen uns nicht verhaften.

Ludendorff: Ei, wer kommt denn da?

Kapp (aus der Versenkung): Kanonendonner und Doria!

Pro gloria

et patrial

(Ein rotes Fähnlein kommt von links.)

Ehrhardt: Wir sind gestört.

Ganze Abteilung – kehrt!

(Die Brigade marschiert ab. Kapp verschwindet in der Versenkung.)

Das rote Fähnlein: Nicht schießen!

Nur kein Blut vergießen!

Immer gentlemanlike!

Wir machen bloß ein bisschen Streik.

Der Reichswehrminister (zu Ludendorff):

Was machen Sie denn hier?

Sie wollen sich als verhaftet betrachten!

Ludendorff (lindströmend): Weshalb verwehrt man mir,

am Brandenburger Tor zu übernachten?

Ich bin ein Freund der kühlen Morgenbrise.

Ich werde gehn.

Der Reichswehrminister: Auf Wiedersehn!

Ludendorff: Ein Augenblick, gelebt im Paradiese! (Ab.)

* Lindström – Ludendorffs Deckname auf seiner Flucht im Jahre 1918.

** Kapp – Generallandschaftsdirektor von Ostpreußen, Hauptakteur des Kapp-Putsches.

Dritter Akt

(Die schwarz-weiß-rote Jahrmarktsbude.)

Ausrufer: Immer rin ins Jeschäft!

Es trefft, wen's trefft!

Blut muss fließen!

Immer rin in die Volksbelustigung!

Das fröhliche Ministerschießen

für alt und jung!

Hier sind noch zwei Prämien zu vergeben:

Erzberger und Rathenau sind noch am Leben!

(Es knallt.)

Hurra, Erzberger ist erledigt!

Scheidemann ist nur leicht beschädigt.

(Es knallt wieder.)

Rathenau liegt!

Die O.C.* hat gesiegt.

Immer runter mit dem Zylinder!

Stimme aus der Tiefe (verhallend): Kinder, Kinder!

* O.C. – Abkürzung für die präfaschistische Organisation Consul, die für zahlreiche Mordtaten verantwortlich war.

Vierter Akt

(Platz vor dem Reichstag. Herren im Gehrock, um eine Kanzel versammelt.)

Ebert: Nur immer heran!

Jetzt kommt der kommende Mann!

Cuno** (besteigt die Kanzel):

Ich betrete würdig die Reichskanzlei

als stinnesischer Hapagei.

Auf der schwarz-weiß-rot-goldenen Schanze

geh ich aufs Ganze.

Die Herren im Gehrock:

Ha, wie er die Inflation bewältigt!

Die Mark ist schon vertausendfältigt.

Cuno: Meine Herren Kollegen,

ich führe Sie herrlichen Zeiten entgegen.

Die Herren im Gehrock: Dem Verdienste seine Kronen!

Es geht schon alles in die Millionen.

Cuno: Wir brauchen Orden, Kokarden

und Milliarden!

Die Herren im Gehrock: Er ist ein Genie

der Ökonomie.

O herrlicher Zustand!

Stimme aus dem Westen:

Ave Cuno, moratoria te valutant!

Cuno: Es lebe der heilige Devisius!

Stimme aus den Hinterhäusern: Schluss!

Cuno (besteigt einen Hapag-Dampfer im Hintergrund):

Dass Gott euch weiterhin beschirme!

Ich türme.

(Die Herren im Gehrock schauen ihm schweigend nach.)

** Cuno – Reichskanzler zur Zeit der Ruhrbesetzung, Generaldirektor der Hapag.

Fünfter Akt

(Eine bayrische Höhe.)

Hitler: Beim heiligen Mussolini!

Wir brauchen an Kini.

Die Volksvertreter: Ha, schon naht er,

der Diktater!

Die Hakenkreuzritter (tumultuarisch):

Wir liegen am Ufer des Mains

und trinken immer noch eins!

Hitler: Germanen!

Hisst die Hakenkreuzfahnen.

Ihr Herren von der völkischen Branche:

Revanche! Revanche!

Ludendorff: Weckt die Monarchen,

die im Kyffhäuser schnarchen!

Der Wieringer* (erscheint): Ich bin auch schon da.

Schöne Empfehlung von Papa!

Verfassen wir eine Proklamation!

Hitler: Hat ihm schon!

Ludendorff: Das deutsche Volk wird jetzt regiert –

Stimme aus der Tiefe: Schon abmarschiert!

Hitler: Schade!

Ludendorff: Antreten zur Parade!

(Die Truppen marschieren ganz nach rechts ab; Hitler, Ludendorff und der Wieringer bilden die Nachhut.)

* Der Wieringer – der Kronprinz, Sohn Wilhelms II.

Unvorhergesehener Zwischenfall

Der Direktor (tritt an die Rampe und spricht):

Meine Damen und Herren! Der Vorhang kann nicht fallen, da die Vorhangzieher soeben in Streik getreten sind. Es ist jedoch bereits ein Gesetz in Vorbereitung, welches Vorhängen verbietet, im gegebenen Augenblick nicht zu fallen. Der vorgesehene Epilog wird nicht gesprochen, da das Stück als durchgefallen betrachtet werden muss. Die Umarbeitung des fünften Aktes ist bereits im Gange. Er wird in ein paar Tagen wiederholt werden. Karten behalten Gültigkeit.

DIE GROSSE ZEIT

Bänkellied für ein Kabarett

1924

Kaiser Wilhelm fuhr ganz heiter

Nach Rominten und so weiter

Von der Etsch bis an den Belt.

Deutsch im Dichten, deutsch im Trachten,

Sang an Ägir, malte Schlachten

Als ein Kaiser und ein Held.

Ein augustisch Alter blühte

Unter Wilhelms Messingtüte.

Dieses war die kleine Zeit.

Und auch Östreichs greiser Kaiser

Pflanzte nichts als Friedensreiser.

Das erweckte Feindbundneid.

Schon umkreisten, mit Geheulen,

Unsre ehrnen Friedenssäulen

Russenbär und gallischer Hahn.

Wilhelm schwur's dem Franz aufs Neue,

Denn die Nibelungentreue

Ist kein Oberlehrerwahn.

Ha, wie zog der Friedenskaiser

Gegen alle Deutscheinkreiser

Siegreich in den Heldentod.

Jeder, der sich redlich nährte,

Griff zur Leier und zum Schwerte,

Gegen sichres Höchstgebot.

Während man den Feind zerfetzte,

Brachte jedermann das letzte

Oberhemd, was nicht mehr ganz.

Und den opferwillgen Kreisen

Gab der Kaiser Gold für Eisen

Am Altar des Vaterlands.

Ludendorff, der edle Ritter,

Mähte als ein Kaiserschnitter

Ganze Divisionen ab,

Die das Feindland bis zum letzten

Hauch von Mann und Ross besetzten

Bis ins kühle Massengrab.

Und so wurden sechs bis sieben

Neue Feinde aufgetrieben,

Endlich auch Amerika.

Wilhelm dankte, Tirpitz lachte.

Der uns X für U-Boot machte,

Und der Sieg war schrecklich nah.

Doch so dicht vor dem Patentsieg,

Fünf Minuten vor dem Endsieg

Wurden, schon im Feindesherz,

Unsre unentwegten Stürmer

Durch entdeutschte Hinterwürmer

Angefault und rückenwärts.

Düster tragisch war das Ende.

Die erdolchten Schlachtverbände

Kehrten um und allerseits.

Wilhelm nur mit seinen Besten

Schlug sich siegreich durch gen Westen

Bis nach Holland und der Schweiz.

Kinder, so ist das gewesen!

Fragt die Leute mit Prothesen!

Wer was andres sagt, der lügt.

Deutschland steht in jeder Branche

Fest geschlossen zwecks Revanche,

Hinterdolcht, doch unbesiegt.

„DEUTSCHE TAGE“

1924

Der Spaß hat uns wirklich noch gefehlt:

„Deutsche Tage“ mit Hurrakiamauken,

Wo einer seicht und der andre krakeelt

Bei festlich verstimmten Revanchepauken.

Von allen Seiten strömen herbei

Die Krieger- und Wiederaufbauvereine

Im Schutz der deutschen Staatspolizei.

Soll das die Freiheit sein, die ich meine?

Wo Veteranen in Blechgarnitur

Und staatlich abgestempelte Helden

Die Hälse recken zum eisernen Schwur,

Da hat die Republik nichts zu melden.

Der Ausnahmezustand gilt ja nicht

Für die wackeren Thron- und Altaresstützen;

Drum tut die Republik ihre Pflicht,

Die großen Reklameparaden zu schützen.

Der General duldet keinen Protest,

Held Ludendorff zeigt die gepanzerten Zähne;

Er klemmt die Gehirnprothese fest

Und redet bedrohliche Hobelspäne.

Und Heldengestalten ringsherum;

Die stehn wie in Erz und Marmor gegossen

Und präsentieren dem Publikum

Auf neu gefärbte Monarchensprossen.

In wallendem Gehrock und Umhängebart

Die Dichter- und Denkerdeputationen,

Dann die Hochschulringkämpfer deutscher Art

Als garantiert enthirnte Teutonen.

Dann kommt der Windjackenlandsturmtrupp,

Die männermordenden Pubertäter,

Der Heldentodaspirantenklub

Und die konzessionierten Landesverräter.

Wild branden über den Männern der Tat

Die dolch- und knochenbestickten Windeln.

Vor solch verheerendem Flaggensalat

Beginnt es sogar der Reichswehr zu schwindeln.

Im Wirbel männlicher Schlachtmusik

Erlegt man Proleten mit mächtigen Streichen.

Das Gesetz zum Schutze der Republik

Sorgt draußen inzwischen für Ordnung und Leichen.

In diesem Sinne so weiter, mit Gott!

So haben die proletarischen Stände

Jeden Sonntag ihr Leichenbegängnis im Pott

Und die anderen gesichertes Aufmarschgelände.

HAARMANN*

1924

Wie bubbert doch die Volkesseele

Mit schaurig zugeschnürter Kehle

Bei jedem Polizeibericht,

Wenn man was Neues aus der Haarmannshöhle

Zu lesen kriegt.

Vom Nachttopf bis zum Küchenmesser,

Je detaillierter, desto besser!

Mit sanftem Graun betrachtest du

Inkriminierte Marmeladenfässer

Mit Hirnragout. –

Dass, der die Sünde widers Fleisch tat

Im sozialen Polizeistaat

Seit Jahren wirkte ungestört,

Hat jeden Untertan im deutschen Freistaat

Zutiefst empört.

Doch nein, das wäre Unterschätzung

Der Polizei und Volksverhetzung.

Er schlachtete nicht offiziell.

So was tat nur, in Zeiten der Besetzung,

Die O.H.L.**

Hier dämmert mir des Rätsels Lösung:

Ein Individuum der Verwesung

Erhebt, symbolisch, ins Quadrat,

Was man in großer Zeit zur Volksgenesung

Im ganzen tat.

Nimmt man den Sünder ins Examen,

So fällt er gar nicht aus dem Rahmen,

Im Gegenteil, er ähnelt ganz

Den Helden, die uns massakriert im Namen

Des Vaterlands.

So mancher Champion im Morden

Ist damals ausgezeichnet worden,

So mancher Recke comme il faut

Erhielt den Haarmann-der-Cherusker-Orden

Für Mord en gros.

Was? Übereifer? Kriegspsychose?

Macht euch man bloß nicht in die Hose!

Ihr habt sechs Jahre Friedensmord!

Auch hierin schlagen wir, in Heldenpose,

Den Weltrekord.

Wenn heute, mit perverser Kälte,

Der höchste aller Staatsanwälte

Am liebsten, wie es früher Brauch,

Den Proletarier an die Mauer stellte,

Ist das nicht auch …?

Der sich in Bajonetten sonnte,

Der ungestraft tranchieren konnte,

Der deutsche Haarmann lebt. Gebt acht!

Er wittert schon am fernen Horizonte

Die Haarmannsschlacht.

* Der Massenmörder Haarmann, der zahlreiche Jünglinge zerstückelt hat, stand gleichzeitig im Dienst der Polizei.

** O.H.L. – Oberste Heeresleitung.

LIEDCHEN FÜR DEN VERFASSUNGSTAG

1924

(Der Refrain darf öffentlich gesungen werden.)

Wenn du am Sonntag buntgarnierte Mannen

Mit umgestülpten Kinderbadewannen

Und Fahnen durch die Gegend schweifen siehst,

Die, durchgedrückt, wie sie's vom Kaiser lernten,

Vorüberziehn an Voll-und-ganz-Besternten,

Als Volk in Waffen feierlich begrüßt,

Und wenn in Siegerkranzmusik

Geschlossen steht die Wacht am Rheine,

Dann fühlst du tief

Und sehr massiv,

Das ist die Freiheit, die ich meine!

Das Deutsche Reich ist eine Republik!

Und was für eine!

Wenn du im Kreis von Stammtischfeldmarschällen

Und an politischen Begeistrungsquellen

Den teutschen Mann das Feld behaupten siehst,

Und wenn die Barden, die hier dicht- und denkern,

Die Staatsverfassung unentwegt bestänkern,

Bis jede Kehle trunken überfließt,

Und kommt dann noch Kommentmusik

Im Geist: Alt Heidelberg, du feine –

Da fühlst du ganz

Im Thronesglanz:

Das ist die Freiheit, die ich meine!

Das Deutsche Reich ist eine Republik.

Und was für eine!

Und wenn, als sonnigste Kulturerscheinung,

Der Produzent der öffentlichen Meinung

Der Republik eins vor die Türe kackt,

Und Jünglinge, die auf Minister schießen,

Die volle Achtung der Justiz genießen,

Indes der Pazifist die Sachen packt,

Und wenn Zensur und Geistkritik

In Händen biblischer Vereine –

Dann fühlst du hold,

Wie du’s gewollt:

Das ist die Freiheit, die ich meine!

Das Deutsche Reich ist eine Republik.

Und was für eine!

Und wenn du siehst, wie man auf höchsten Posten

Der freien Republik auf deine Kosten

Dem Ausland in die offnen Hände spuckt;

Und wie nach der Verfassung Grundartikeln

Die Dinge sich im alten Geist entwickeln

Mit Achtung: Augen rechts! Und keiner muckt.

Und Schwarz-weiß-rot mit Schlachtmusik,

Und deine Farben siehst du keine –

Dann singe traut,

Doch nicht zu laut:

Das ist die Freiheit, die ich meine!

Das Deutsche Reich ist eine Republik.

Und was für eine!

DER GEIST VON POTSDAM

1924

In Potsdam ein Franzose sprach

Als Völkerfriedensbote;

Das galt als unerhörte Schmach

Für alles Schwarz-weiß-rote.

Wie krampfte da sich Herz bei Herz

Bis zu den Throneserben.

Die Fäuste schwuren himmelwärts:

Wir siegen oder sterben!

Es war ja ohne Risiko.

Was kann uns ein Franzose?

Man haut ihm eins auf den Schapoh

Und tritt ihm in die Hose.

Schon stand man, hakenkreuzbeflaggt,

Dem Feind eins auszuwischen.

Doch eh’ man richtig zugepackt,

Kam wieder was dazwischen.

Schon stand die Jugend wehrbereit

Aus Sexten und aus Quinten;

Da kam der aus gewaltiger Zeit

Bekannte Dolch von hinten.

Das Auge rollt in deutschem Zorn;

Man schnaubt verheerend Rache

Und telegrammt in Richtung Doorn

Zum Sieg der deutschen Sache. –

So dürfte heut wohl kein Voltaire

In Sanssouci lustwandeln.

Man würde ihn mit deutscher Wehr

Und Gasgestank misshandeln.

BERLIN MUSS SEINEN STIERKAMPF HABEN

1924

Wir wissen jetzt und laut Prospekt:

Es fehlt uns an Kulturaufgaben.

Ein deutscher Mann hat's ausgeheckt:

Berlin muss seinen Stierkampf haben!

Schon fängt die deutsche Seele an

Humanitätlich aufzuweichen.

Auf in den Kampf! Und feste ran!

Wir brauchen Sensation mit Leichen.

Hier sieht man nicht, wie zwei sich mild

Und friedlich in die Fresse boxen;

Hier zeigen sich, gefährlich wild,

Die importierten span’schen Ochsen.

Hier bleibt es nicht bei Schädelbruch

Und sanftem Kitzel in der Weiche.

Hier gibt es doch mal Blutgeruch

Und sachlich aufgeschlitzte Bäuche.

Als man den Magistrat beschwor,

Die Attraktion zu unterstützen,

Ließ der die span’schen Ochsen sitzen.

Die Sache kam ihm spanisch vor.

Und das mit Recht! – Das Vaterland

Hat noch genug an deutschen Viechern,

Die auf Kommando wutentbrannt

Vor schwarz-rot-gold und roten Tüchern.

Drum freie Bahn den wütgen Wullen*!

Da rennt zusammen ganz Berlin,

Wenn solche starkgehörnten Bullen

Bekränzt in die Arena ziehn.

So etwas hat man nicht in Spanien.

Wozu auch wieder schwarze Schmach?

Die großen Ochsen aus Germanien,

Die macht so leicht uns keiner nach!

* Wulle – antisemitischer Abgeordneter der Deutschnationalen bzw. Völkischen.

DIE DEUTSCHE SCHMACH

1924

Wo sie heute Kant und Nietzsche

Oder Doktor Dinter* feiern,

Wo mit klassischem Gequietsche

Alte Leierkasten leiern,

Hier und dort und überall:

Jedem Ruf wie Donnerhall

Klingt ein hohles Echo nach:

      Fechenbach!**

Wo die Konjunkturrebellen

Sich bekleckern mit Ekstasen,

Wo umbannerte Kapellen

Neugefärbte Märsche blasen,

Wo ihr, leise angewest,

über der Verfassung döst,

Ruft euch diese Stimme wach:

      Fechenbach!

Knattert in die Trommelfelle!

Blast die Heldenmarschalmeien!

Diese Stimme aus der Hölle

Wird euch ewig überschreien!

Schwört zu Recht und Einigkeit! –

Jedem noch so heil'gen Eid

Heult das hohle Echo nach:

      Fechenbach I

* Dinter – völkischer, rassenhetzerischer Schriftsteller.

** Felix Fechenbach – sozialistischer Schriftsteller, der 1922 in Mönchen auf Grund reaktionärer Machenschaften durch eine korrupte Justiz wegen angeblichen Landesverrats zu elf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Nach 1933 wurde Fechenbach von den Nationalsozialisten ermordet.

DER ÜBERUNKE

1924

Ein junger Unke unkte

In zwei verschiedenen Lagen,

Er war in diesem Punkte

Ganz aus der Art geschlagen.

Denn es galt als Norm bei den Unken,

Nur einen Ton zu quaken.

Man meinte, mit dem Halunken

Hat’s sicher einen Haken.

Und als er, die Weisen zu lästern,

Einst die Behauptung aufstellte,

dass ihre Wahrheit von gestern

Und heute nicht mehr gelte,

Dass er der Entwicklungsfunke

Für künftige Unkenform wär',

Und dass er als Überunke

Vielleicht erst die unkische Norm wär’,

Da haben die Weisen peinlich

Den seltenen Fall beraten:

Es handle sich wahrscheinlich

Um einen Psychopathen.

Da meinten die Experten,

Er sei ein Gift für das Volk.

Sie fingen ihn ein und sperrten

Ihn in den verlassenen Kolk.

Doch bald nach seinem Tode

Da wurde, man weiß nicht wie,

Das überunkische Mode,

Der Überunk Dernier Cri.

Auf einmal wurde derselbe

Ein unkisches Phänomen.

Man schrieb an sein Grabgewölbe:

Der Unke kat'exochen!

Beim Glanz der Irrelichter

Wallfahrtet in Prozession

Zu ihrem Denker und Dichter

Die ganze Unkennation.

DER NOVIZE

1924

Im Affenhaus,

Auf einem Treppchen,

Saß ein braunes Häppchen

Und sah melancholisch aus.

Es dachte an seinen Kokoswald;

Denn hier war es kalt.

Da hüpfte auf seine Leiter

Ein Affe, älter und gescheiter.

Der sagte sehr kategorisch:

„Dieser Käfig ist nur illusorisch!“

Denn er vertrat die These

Von der innern Befreiung;

Auf die komme es an,

Und die erreiche man

Nur durch Askese

Und Selbstkasteiung.

Man müsse sie üben

Von früh bis spät.

Und dabei fraß er die Rüben,

Die der andre verschmäht.

EINHEITSVOLKSLIED

1924

Stimmt an mit hellem hohen Klang!

Nun muss sich alles wenden.

Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang

Mit Herzen, Mund und Händen.

Das Wandern ist des Müllers Lust.

Was blasen die Trompeten?

Wir treten mutig Brust an Brust

Zum Beten, ja zum Beten.

Stolz weht die Flagge schwarz-weiß-rot

An uns und allen Dingen.

Wir sterben gern den Heldentod.

Es muss uns doch gelingen.

Ich schieß’ den Hirsch im wilden Furst.

Wie brennt mein Eingeweide!

Ein frischer Trunk, ein deutscher Durst

Im Wald und auf der Heide.

Ich steh’ allein auf weiter Flur.

O Täler weit, o Höhen!

Drum Brüder, reicht die Hand zum Schwur!

Sie blieb von selber stehen.

Ein freies Leben führen wir.

Ich trage, wo ich gehe,

Ein treues, deutsches Herz bei mir.

Was kommt dort von der Höhe?

Die Lerche schmettert himmelan.

Es geht von Mund zu Munde.

Der Kaiser ist ein lieber Mann

In einem kühlen Grunde.

DIE WINTERFLIEGE

1924

Mag sein, dass sie in meinem Hospiz

Schon länger heimatberechtigt war.

Ich nahm von ihr zuerst Notiz

Am Abend des fünften Januar.

Erst kreiste sie um meine Lampenglocke

Wie ein verrücktes Planetchen;

Dann verfing sie sich in meiner Locke

Mit allen Extremitätchen,

Setzte mir ins Manuskript

Einen ungrammatikalischen Punkt,

Kam mir vergnügt auf die Feder gehippt,

Die ich grade frisch eingetunkt,

Und begann, in zykloiden Schnörkeln

Auf meinem Papier herumzuferkeln.