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Widerstand in Reimform – Gedichte aus der Zeit des Umbruchs Zwischen Revolution und Repression, zwischen Hoffnung und Unterdrückung – Erich Weinerts Gedichte aus den Jahren 1920 bis 1933 geben einer bewegten Zeit eine Stimme. Mit scharfem Witz, satirischem Biss und kämpferischer Entschlossenheit stellt sich der Dichter den sozialen Verwerfungen der Weimarer Republik entgegen. Seine Verse sind mehr als politische Stellungnahmen – sie sind ein leidenschaftliches Plädoyer für Gerechtigkeit, Solidarität und Menschlichkeit. Dieses E-Book versammelt eine Auswahl von Gedichten, die heute aktueller wirken denn je: als literarische Zeugnisse eines Dichters im Kampf für eine bessere Welt.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Erich Weinert
Zwischen Barrikade und Bühne
Gedichte 1920 - 1933
ISBN 978-3-68912-529-5 (E–Book)
Die Gedichte erschienen 1950 in der Bibliothek fortschrittlicher deutscher Schriftsteller.
Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.
© 2025 EDITION digital®
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Godern
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Die Gedichte in diesem Band entstanden in einer Epoche tiefgreifender Umbrüche, Spannungen und Kämpfe. Nach dem Ersten Weltkrieg lag das Deutsche Reich politisch, wirtschaftlich und moralisch am Boden. Die junge Weimarer Republik wurde von links und rechts unter Druck gesetzt: Spartakusaufstand, Kapp-Putsch, Inflation, Massenarbeitslosigkeit, Streiks, Straßenkämpfe – der Alltag vieler Menschen war von Unsicherheit geprägt.
Erich Weinert, selbst engagierter Kommunist und wortgewaltiger Agitator, fand seine Stimme inmitten dieses gesellschaftlichen Bebens. Seine Gedichte sind keine bloße Literatur – sie sind Ausdruck gelebter Zeitgeschichte. Mit beißender Satire, scharfem Spott und unerschütterlicher Solidarität für die Unterdrückten griff er die politischen Verhältnisse an und machte sich zum Sprachrohr der Arbeiterklasse und aller Unterdrückten.
Die Jahre bis 1933 waren nicht nur ein Ringen um soziale Gerechtigkeit, sondern auch der schleichende Weg in die Barbarei: Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde auch die politische Literatur zum Verstummen – oder ins Exil gezwungen. Dieses Buch ist ein Zeugnis aus jener Zeit, in der Worte zu Waffen wurden – und Poesie zu Protest.
1921
In Rothenburg ob der Tauber,
Da sitzt ein Akadem;
Und was er fühlt, ist sauber,
Und was er denkt, System.
Er singt in feuchtem Eifer
Vom deutschen Gaudio;
Es wackelt ihm der Kneifer
Bei jedem Tremolo.
Er singt das Lied der Fremde
Und Liebesleid und -lust.
Wie schlug im Turnerhemde
Die goldgelockte Brust!
Ein Hürlein auf der Brücke,
Das schaut ihn schmachtend an,
Doch er steht gen die Tücke
Des Lasters wie ein Mann.
Er schreibt im Wartesaale
Ein Distichon nach Haus,
Doch streicht das Carte postale
Er dick mit Tinte aus.
Er tunkt in seine Tasse
Ein ernstes Butterbrot.
Dann fährt er vierter Klasse
Ins teutsche Morgenrot.
1921
Im Parke schweift Frau Rechnungsrat
Mit einem Schwanz von Pensionetten;
Die Mädels wandeln wie auf Draht
Und träumen heimlich von Kadetten.
Und plötzlich singt der ganze Schwanz,
Dass man nicht ohne hohe Wönne
Der Abendsonne ihren Glanz
Und ohne Lust betrachten könne.
Ergriffen steht ein Protestant
Und schaut gedankenschwer gen Abend;
Ein Kontorist grinst arrogant,
Kein Herz in seinem Busen habend.
Am Wege sitzt ein halber Mann,
Der war einmal im Krieg gewesen;
Man schaut ihn mitbeleidigt an
Von wegen seiner Beinprothesen.
Mit einem Darlehnskassenschein
Bedenkt Frau Rat die brave Seele;
Die Jugend singt die Wacht am Rhein
In holder Quintenparallele.
Ein Polizist der Republik
Gedenkt gerührt in diesem Falle:
Wie wohl tat solcherlei Musik!
Und fasst sich an die Ordensschnalle.
Frau Rätin kauft ein Abendblatt
Und faltet feierlich die Runzeln.
Der Schwanz verklingt. Die gute Stadt
Versinkt in abendlichem Schmunzeln.
Auf einer Schreberlaube grämt
Ein rotes Fähnchen sich mit Zittern;
Es hat sich schon ganz blass geschämt
Und wird bald ganz und gar verwittern.
1921
Einst hatt’ ein Löwe sein Getier versammelt
Und hatte lange und ergrimmt
Im Gottesgnadenton gestammelt
Und schließlich feierlich bestimmt:
Man müsse sich zum heilgen Kriege rüsten,
Zur Rettung der Nation und Dynastie!
Da scholl bewegt aus Untertanenbrüsten
Ein Hoch dem Kriege und der Monarchie.
Da stiegen alle Esel von Kathedern
Und zeigten militärische Allüren.
Die Füchse spitzten ihre Gänsefedern
Und schrieben Leitartikel und Broschüren.
Der Löwe schrieb: „An meine braven Schafe!
Der König ruft! Erwacht aus eurem Schlafe!
Verkennt den Ernst der großen Stunde nicht!“
Da taten auch die Schafe ihre Pflicht.
Sie stürmten wild an ihre Landesgrenzen,
Dem Feind die Hörner in das Herz zu bohren.
Im Lande blieben die Intelligenzen
Als unabkömmliche Kulturfaktoren.
Die Esel stiegen wieder aufs Katheder
Und sprachen von heroischer Verklärung.
Die Schweine handelten mit Fett und Leder
Und garantierten so die Volksernährung.
Die Geier stürzten sich auf die Tribute
Und schufen mit den Wölfen Syndikate.
Die Schafe aber zahlten treu dem Staate
Mit ihrer Wolle und mit ihrem Blute.
Man schreit hurra. Es hagelt nur von Siegen.
Rein überschaflich sind der Schafe Kräfte.
Die Wälder füllen sich mit Beutezügen,
Und alle Welt macht glänzende Geschäfte.
Die Wölfe schmücken sich mit hohen Orden,
Die Schweine werden schier zum Platzen mollig.
Doch nur die Schafe scheinen nicht mehr wollig
Und sind erheblich magerer geworden.
Das ganze Hammelvolk kam auf den Hund.
Die Sache hatte einen tiefren Grund:
Das Schweinevolk in höhren Positionen,
Das fraß begeistert doppelte Rationen.
Doch so was war den Schafen selbst zu bunt.
Und eines Nachts ist plötzlich alles stumm,
Die satten Bäuche fahren aus dem Schlafe:
Die Hammelschaft dreht die Gewehre um
Und konstituiert die Republik der Schafe.
Da flohn die Heimathelden in die Wälder.
Der Löwe selbst verschwand im Siegerkranz.
Das Schweinevolk versteckte seine Gelder.
Man zitterte vor jedem Lämmerschwanz.
Nun fühlten sich, von Etsch bis Belt,
Die Schafe über alles in der Welt.
Dann gaben sie, als einig Volk von Brüdern,
Für jedes Raubtier volle Amnestie.
Das kroch sogleich heran, sich anzubiedern,
Und predigte von Gleichheitsharmonie.
Es wandelte wie Schafe unter Schafen
Und huldigte Verfassungsparagrafen.
Gefallen waren die sozialen Hürden;
Und Wölfe, Esel, Geier, Schweine
Bekamen wieder Amt und Würden
Und gaben wieder jedem Schaf das Seine.
Der Oberhammel sprach zu seinen Heeren:
„Wir brauchen nichts als unsers Leibes Nahrung.
Die uns regieren, haben die Erfahrung.
Drum lasst euch nur verfassungsmäßig scheren!“
Da wurden gleich die Esel wieder keck,
Die Schweine wurden wieder fett und fetter,
Die Füchse schufen nationale Blätter,
Und selbst der Löwe kroch aus dem Versteck.
Die Wölfe trugen Orden auf den Lenden,
Die Geier schluckten hohe Dividenden.
Und eh man sich versehn, war weit und breit
Auf einmal wieder gute, alte Zeit.
Und auch die Wölfe hatten unterdessen,
Wo sie als Staatsanwälte figuriert,
So manchen armen Hammel aufgefressen,
Der einst für Hammelfreiheit agitiert.
Die Schafe lagen bei den Wiederkäuern
Und kauten Gras und zahlten ihre Steuern.
Und riss zuweilen eine Lammsgeduld,
Dann rief das Oberschaf: „Nur kein Tumult!
Ertragen wir mit Würde Gottes Strafe,
Denn wir sind auch nicht ohne Schuld.“
Das sahen denn die treuen Lämmer ein,
Die nichts verstehn und alles gern verzeihn,
Und kehrten heim zum großen Dauerschlafe.
Es waren eben veritable Schafe!
1921
Dem Hecht
Ging’s einmal schlecht:
Er hing in der Reuse
In sichrem Gehäuse.
Da gab’s nichts zu prassen und nichts zu schlarpfen
Weder Brassen noch Karpfen.
Die junge Karpfenbrut
Fand das gerecht und gut:
Denn nun hätte sie endlich Ruh und Genuss
In ihrem Loche;
Und das wäre der Schluss
Der feudalen Epoche.
Aber die Ältern
Befreiten den Hecht aus seinen Behältern.
Sie sagten: Wir hängen am Alten.
Die eherne Tradition wird heiliggehalten!
Jedem Karpfengeschlecht
Gab Gott seinen Hecht.
Sein Privileg ist göttliches Recht.
Der Hecht, die Situation ausnutzend,
Fraß von den jüngeren Volksgenossen
Sogleich ein gehäuftes Dutzend
Nebst Flunsch und Flossen.
Die Alten wedelten mit dem Schwanz
Und sangen: Heil dir im Siegerkranz!
1922
Ich bin ein ehemaliger Unteroffizier,
Zwangsweise zivilversorgt.
Man hat meine Seele zugekorkt.
Nun sitz’ ich von achte bis vier
Melancholisch an meinem Schalter
Und ruiniere Federhalter.
Wozu lehrte mich mein Kaiser
Was von Kimme und Korn?
Wozu kann ich die ganzen Fürstenhäuser
Von hinten bis vorn?
Abends, da sitz’ ich im Restaurant
Mit Kamerad Schramm;
Der kennt das ganze Exerzierreglement.
Und wenn ich komme, steht er stramm.
Denn er ist ja nicht meinesgleichen,
Er war bloß Gefreiter.
Und dann diskutieren wir über Gradabzeichen,
Gewehrreinigen und so weiter.
Und wenn ich nachts zu Bette geh’,
Dann ergreift mich ein unbeschreibliches Weh
Dann träum’ ich von besseren Tagen.
Wozu hab’ ich mein Portepee
Und darf’s doch nicht tragen!
Warum hat man mich zivilversorgt,
Und ausgerechnet nach Pasewalk?
Ich fühle mich so zugekorkt
Wie eine Flasche mit ungelöschtem Kalk.
Wär’ ich wenigstens im Polizeibüro
Und nicht bei der Postverwaltung!
Einjähriger Soundso!
Mensch, nehmen Sie Haltung!
Ich will Ihnen schon die Knochen –
Sie krummes Gewächs!
Ihnen hat wohl der Mond gestochen!
Postanweisungen – Schalter sechs!
1923
Stell auf den Tisch das Bild von Vater Bebel,
Den Vorwärts, Jahrgang 13, hol herbei,
Und klirre wieder mit dem Schutzmannssäbel
Wie einst im Mai!
Lies mir noch mal die alten Manifeste,
Der ersten Jugend holde Schwärmerei,
Und reich mir wieder die gestrickte Weste
Wie einst im Mai!
Noch einmal singt die Internationale,
Doch macht nicht wieder solchen Krach dabei,
Und nicht mit so pathetischem Finale
Wie einst im Mai!
Noch einmal tragt die feierlichen Fackeln!
(Die Reichswehr mit Musik ist auch dabei.)
Wer weiß, ob uns nicht doch die Ärsche wackeln
Dereinst im Mai!
1923
Nachts um zwölfe
Versammelten sich die blonden Wölfe
Mit großem Gebelfe.
Und einer hielt ein Referat:
Es dürften im Blonde-Wölfe-Staat
Die proletarischen Hammelherden
Auch nur von blonden Wölfen gefressen werden
Und deshalb könnte nur eines helfen:
Nieder mit den schwarzen Wölfen!
Und als man zu Tätlichkeiten schritt,
Da machten sogar die Hammel mit.
Bänkellied für ein Kabarett
1921
Kaiser Wilhelm fuhr ganz heiter
Nach Rominten und so weiter
Von der Etsch bis an den Belt.
Deutsch im Dichten, deutsch im Trachten,
Sang an Ägir, malte Schlachten
Als ein Kaiser und ein Held.
Ein augustisch Alter blühte
Unter Wilhelms Messingtüte.
Dieses war die kleine Zeit.
Und auch Östreichs greiser Kaiser
Pflanzte nichts als Friedensreiser.
Das erweckte Feindbundneid.
Schon umkreisten, mit Geheulen,
Unsre ebenen Friedenssäulen
Russenbär und gälischer Hahn.
Wilhelm schwur’s dem Franz aufs Neue,
Denn die Nibelungentreue
Ist kein Oberlehrerwahn.
Ha, wie zog der Friedenskaiser
Gegen alle Deutscheinkreiser
Siegreich in den Heldentod.
Jeder, der sich redlich nährte,
Griff zur Leier und zum Schwerte,
Gegen sichres Höchstgebot.
Während man den Feind zerfetzte,
Brachte jedermann das letzte
Oberhemd, was nicht mehr ganz.
Und den opferwillgen Kreisen
Gab der Kaiser Gold für Eisen
Am Altar des Vaterlands.
Ludendorff, der edle Ritter,
Mähte als ein Kaiserschnitter
Ganze Divisionen ab,
Die das Feindland bis zum letzten
Hauch von Mann und Ross besetzten
Bis ins kühle Massengrab.
Und so wurden sechs bis sieben
Neue Feinde aufgetrieben,
Endlich auch Amerika.
Wilhelm dankte, Tirpitz lachte.
Der uns X für U-Boot machte,
Und der Sieg war schrecklich nah.
Doch so dicht vor dem Patentsieg,
Fünf Minuten vor dem Endsieg
Wurden, schon im Feindesherz,
Unsre unentwegten Stürmer
Durch entdeutschte Hinterwürmer
Angefault und rückenwärts.
Düster tragisch war das Ende.
Die erdolchten Schlachtverbände
Kehrten um und allerseits.
Wilhelm nur mit seinen Besten
Schlug sich siegreich durch gen Westen
Bis nach Holland und der Schweiz.
Kinder, so ist das gewesen!
Fragt die Leute mit Prothesen!
Wer was andres sagt, der lügt.
Deutschland steht in jeder Branche
Fest geschlossen zwecks Revanche,
Hinterdolcht, doch unbesiegt.
1924
Der Spaß hat uns wirklich noch gefehlt:
„Deutsche Tage“ mit Hurrakiamauken,
Wo einer seicht und der andre krakeelt
Bei festlich verstimmten Revanchepauken.
Von allen Seiten strömen herbei
Die Krieger- und Wiederaufbauvereine
Im Schutz der deutschen Staatspolizei.
Soll das die Freiheit sein, die ich meine?
Wo Veteranen in Blechgarnitur
Und staatlich abgestempelte Helden
Die Hälse recken zum eisernen Schwur,
Da hat die Republik nichts zu melden.
Der Ausnahmezustand gilt ja nicht
Für die wackeren Thron- und Altaresstützen;
Drum tut die Republik ihre Pflicht,
Die großen Reklameparaden zu schützen.
Der General duldet keinen Protest,
Held Ludendorff zeigt die gepanzerten Zähne;
Er klemmt die Gehirnprothese fest
Und redet bedrohliche Hobelspäne.
Und Heldengestalten ringsherum;
Die stehn wie in Erz und Marmor gegossen
Und präsentieren dem Publikum
Auf neu gefärbte Monarchensprossen.
In wallendem Gehrock und Umhängebart
Die Dichter- und Denkerdeputationen,
Dann die Hochschulringkämpfer deutscher Art
Als garantiert enthirnte Teutonen.
Dann kommt der Windjackenlandsturmtrupp,
Die männermordenden Pubertäter,
Der Heldentodaspirantenklub
Und die konzessionierten Landesverräter.
Wild branden über den Männern der Tat
Die dolch- und knochenbestickten Windeln.
Vor solch verheerendem Flaggensalat
Beginnt es sogar der Reichswehr zu schwindeln.
Im Wirbel männlicher Schlachtmusik
Erlegt man Proleten mit mächtigen Streichen.
Das Gesetz zum Schutze der Republik
Sorgt draußen inzwischen für Ordnung und Leichen.
In diesem Sinne so weiter, mit Gott!
So haben die proletarischen Stände
Jeden Sonntag ihr Leichenbegängnis im Pott
Und die anderen gesichertes Aufmarschgelände.
1924
Wie bubbert doch die Volkesseele
Mit schaurig zugeschnürter Kehle
Bei jedem Polizeibericht,
Wenn man was Neues aus der Haarmannshöhle
Zu lesen kriegt.
Vom Nachttopf bis zum Küchenmesser,
Je detaillierter, desto besser!
Mit sanftem Graun betrachtest du
Inkriminierte Marmeladenfässer
Mit Hirnragout. –
Dass, der die Sünde widers Fleisch tat
Im sozialen Polizeistaat
Seit Jahren wirkte ungestört,
Hat jeden Untertan im deutschen Freistaat
Zutiefst empört.
Doch nein, das wäre Unterschätzung
Der Polizei und Volksverhetzung.
Er schlachtete nicht offiziell.
So was tat nur, in Zeiten der Besetzung,
Die O.H.L.**
Hier dämmert mir des Rätsels Lösung:
Ein Individuum der Verwesung
Erhebt, symbolisch, ins Quadrat,
Was man in großer Zeit zur Volksgenesung
Im Ganzen tat.
Nimmt man den Sünder ins Examen,
So fällt er gar nicht aus dem Rahmen,
Im Gegenteil, er ähnelt ganz
Den Helden, die uns massakriert im Namen
Des Vaterlands.
So mancher Champion im Morden
Ist damals ausgezeichnet worden,
So mancher Recke comme il faut
Erhielt den Haarmann-der-Cherusker-Orden
Für Mord en gros.
Was? Übereifer? Kriegspsychose?
Macht euch man bloß nicht in die Hose!
Ihr habt sechs Jahre Friedensmord!
Auch hierin schlagen wir, in Heldenpose,
Den Weltrekord.
Wenn heute, mit perverser Kälte,
Der höchste aller Staatsanwälte
Am liebsten, wie es früher Brauch,
Den Proletarier an die Mauer stellte,
Ist das nicht auch …?
Der sich in Bajonetten sonnte,
Der ungestraft tranchieren konnte,
Der deutsche Haarmann lebt. Gebt acht!
Er wittert schon am fernen Horizonte
Die Haarmannsschlacht.
* Der Massenmörder Haarmann, der zahlreiche Jünglinge zerstückelt hat, stand gleichzeitig im Dienst der Polizei.
** O.H.L. – Oberste Heeresleitung.
1924
Ein Zensor mit moralischem Gemüt,
Nicht wissend, was noch keusch, was schon gemein ist,
Ist unbrauchbar, weil er nur Reines sieht,
Wie ja dem Reinen eben alles rein ist.
Daraus erhellt, was von der Gabe
Des Zensors man zu halten habe:
Er muss im Grund ein größres Schwein
Als alle Zensurierten sein.
1924
(Der Refrain darf öffentlich gesungen werden.)
Wenn du am Sonntag buntgarnierte Mannen
Mit umgestülpten Kinderbadewannen
Und Fahnen durch die Gegend schweifen siehst,
Die, durchgedrückt, wie sie’s vom Kaiser lernten,
Vorüberziehn an Voll-und-ganz-Besternten,
Als Volk in Waffen feierlich begrüßt,
Und wenn in Siegerkranzmusik
Geschlossen steht die Wacht am Rheine,
Dann fühlst du tief
Und sehr massiv,
Das ist die Freiheit, die ich meine!
Das Deutsche Reich ist eine Republik!
Und was für eine!
Wenn du im Kreis von Stammtischfeldmarschällen
Und an politischen Begeistrungsquellen
Den teutschen Mann das Feld behaupten siehst,
Und wenn die Barden, die hier dicht- und denkern,
Die Staatsverfassung unentwegt bestänkern,
Bis jede Kehle trunken überfließt,
Und kommt dann noch Kommentmusik
Im Geist: Alt-Heidelberg, du feine –
Da fühlst du ganz
Im Thronesglanz:
Das ist die Freiheit, die ich meine!
Das Deutsche Reich ist eine Republik.
Und was für eine!
Und wenn, als sonnigste Kulturerscheinung,
Der Produzent der öffentlichen Meinung
Der Republik eins vor die Türe kackt,
Und Jünglinge, die auf Minister schießen,
Die volle Achtung der Justiz genießen,
Indes der Pazifist die Sachen packt,
Und wenn Zensur und Geistkritik
In Händen biblischer Vereine –
Dann fühlst du hold,
Wie du’s gewollt:
Das ist die Freiheit, die ich meine!
Das Deutsche Reich ist eine Republik.
Und was für eine!
Und wenn du siehst, wie man auf höchsten Posten
Der freien Republik auf deine Kosten
Dem Ausland in die offnen Hände spuckt;
Und wie nach der Verfassung Grundartikeln
Die Dinge sich im alten Geist entwickeln
Mit Achtung: Augen rechts! Und keiner muckt.
Und Schwarz-weiß-rot mit Schlachtmusik,
Und deine Farben siehst du keine –
Dann singe traut,
Doch nicht zu laut:
Das ist die Freiheit, die ich meine!
Das Deutsche Reich ist eine Republik.
Und was für eine!
1924
Im Löwenbräustübl, in später Stunde,
Sitzt eine Anhäufung deutscher Gestalten,
Die nach jeder geleerten Runde
Sich immer heroischer unterhalten.
Ein Oberlehrer, mit Röllchen und Kneifer,
Vertritt den Liberalismus mit Eifer.
Er schwört auf Bismarck mit großer Gebärde,
Und dabei haut er ein Glas an die Erde.
Aus Gummikragen recken sich Macken,
Die Schnäpse schwabbern, die Sehnen knacken.
Es erhebt sich der alte Gesangvereinsbarde:
Ja, hätten wir noch die alte Garde!
Meine Herrn, Frankreich kriegte nicht eine Milliarde!
Dann wettert er gegen moderne Laster,
Womit er einem Herrn mit Karbunkelpflaster
Aus der Seele gesprochen zu haben schien:
Es war doch ein andrer Geist in Berlin,
Als wir noch unseren Kaiser hatten,
Wenn Sie gütigst gestatten!
Der Mann mit der Zivilversorgungsscheinphysiognomie
Ist auch durchaus für die Monarchie.
Und darauf wollte er sich bloß beschränken;
Und sie würden später mal an ihn denken.
Die Dame kriegt für den Geiger Gefühle
Von wegen seinem dezenten Spiele.
Ein Försterbart, der mit dem Spazierstock säbelt,
Gefährdet damit das ganze Gelände.
Man fühlt sich stimmungsvoll eingenebelt.
Der Oberlehrer sammelt für eine Denkmalsspende.
Dann funkelt er durch seine Fensterscheiben
Und versucht, einen Salamander zu reiben
Und brüllt: Ad exercitium Salamandris!
Der Militäranwärter denkt, das ist was andres,
Der hat was vom Exerzieren gehört
Und kommandiert nun: Stillgestanden! Ganze Abteilung kehrt!
Dabei wird er rot wie Zinnober.
Der Försterbart kriegt inzwischen Krach mit dem Ober.
Der Bismarckblick beschwert sich über Kellnermanieren;
Und früher konnte so was nicht passieren.
So benehmen könnte sich ja ein Strolch bloß,
Und das hätten wir nun von dem Dolchstoß!
Der Barde fragt den Erregten: Sagen Sie mal,
Wissen Sie nicht noch wo so ein intimes Lokal?
Sie kennen doch so stimmungsvolle Bordelle …
Der Oberlehrer brüllt: Ganz egal!
Eins steht hier fest auf alle Fälle:
Als Kulturvolk stehn wir an erster Stelle!
1924
Kaum erscheint der Vereinspräside
Am Exerzierplatzhorizont,
Formiert sich bereits die eherne Front
Und in Linie zu einem Gliede.
Ha, wie die Helme, Zylinder und Mützen
In heiligem Ernst durcheinanderspritzen,
Und wieder, ganz wie in großen Tagen,
Die alten Kommissknochen höherschlagen!
Ein geräuschvoller Mann, mit Christbaumschmuck
Auf der polierten Vorderfläche,
Gibt sich den sogenannten hörbaren Huck
Im Vollgefühl seiner Monarchenbleche.
Schon naht er, funkelnd wie einst im Mai,
Der Kommandeur und Hauptmann der Landwehr II.
Zur Rechten und Linken flankieren ihn,
Mit vorschriftsmäßig durchdrückten Knien,
Zwei üppig garnierte Veteranen
Mit feierlich umwickelten Fahnen
Im Schweiße eiserner Disziplin.
Der Feldwebel zittert an allen Orden
Und ist ein bisschen nervös geworden
In Erwartung des vorgesetzten Winks.
Und nun kommt: Achtung! Die Augen links!
Jedoch der Kommandeur, in milder Gesinnung,
Begrüßt die festlich versammelte Innung
In kurzem, doch nervig gebautem Ton.
Inzwischen erfolgt die Fahnenentfaltung.
Wie steht in solcher Situation
Jedes Soldatenauge in grader Haltung!
Und nun marschiert, mit gezücktem Degen,
An der Spitze des Medaillenvereins
Der Kommandeur dem Ereignis des Tages entgegen
Am Fuße des Heldengedächtnissteins.
Hier, zwischen Worten aus großer Zeit und Girlanden,
Wird wieder unentwegt stillgestanden,
Indem die bereits versammelten Frauen
Mit Stullenpaketen und Gottvertrauen
Sich nach Dienstgraden militärisch formieren,
Um die deutsche Zucht zu repräsentieren.
Des Pastors Rede handelt belangreich
Vom Gott, der Eisen wachsen ließ,
Blick nach Russland, Gott strafe Frankreich,
Gedenken an den Marsch auf Paris,
Deutsche Technik in der Welt voran,
Und Aug in Auge, Zahn in Zahn.
Nun werden die Kopfbedeckungen gehoben;
Es folgt ein stilles Gebet der Gemeinde,
Die rächende Faust an der Gurgel vom Feinde,
Den unbesiegbaren Blick nach oben.
Dann folgt die Rede des mutig schwitzenden
Kommandeurs und Vereinsvorsitzenden.
Der Hauptmann der Landwehr zweiten Aufgebots
Schildert die hohe Wonne des Heldentods
Und fordert mit stark erhobenem Organ
Zwei Augen und zwei Zähne um einen Zahn.
Und einmal, da käme der große Tag,
Da zöge auch er wieder stolz an die Grenze.
Und hierbei führt er einen markanten Schlag
In die aufgespeicherten Heldenkränze.
Hierauf wird vom Frauengesangverein
Ein schlichtes Volkslied vorgetragen,
Wie rheinische Mädchen beim rheinischen Wein
Siegreich Franzosen zu Boden schlagen.
Nach stummem Blick auf die Denksteinfassade
Betritt der Hauptmann der Landwehr den Sockel.
Mit starrem Feldherrnblick hinterm Monokel
Kommandiert er Antreten zur Parade.
Wieder sieht man Helme, Zylinder und Mützen
In heiligem Ernst durcheinanderspritzen.
Die Chargen bewegen sich stolz vor der Front.
Zwar bleiben die Reihen nicht völlig grade
(Früher hat man’s doch besser gekonnt),
Aber die vornereingelegte Fassade
Zeigt wenigstens den guten Willen zur Parade.
Und wie die Zylinder und Pickelhauben
Immer mal wieder mit Paukendröhnen
Und eisernem Tritt durch die Gegend stauben,
Gibt es manche herzzerreißenden Szenen.
Dann geht es in Gleichschritt und Gruppenkolonne,
Vorne die Krieger und hinten das Personal,
Nach dem kriegerisch drapierten Vereinslokal
In Gedanken an die hochherzig gestiftete Tonne.
Hier sitzt, getrennt durch Papiergebüsche,
Jeder Dienstgrad an seinem besonderen Tische.
Man sucht sich einen Platz an der Sonne,
Das heißt mit Aussicht auf vorgesetzte Plätze.
Aber im weiteren Verlauf der Tonne
Überbrücken sich bald die härteren Gegensätze.
Selbst der Kommandeur ist emsig bemüht.
Die sozialen Hürden einzuebnen,
Indem er die entlegensten Untergebnen
In leutselige Unterhaltung zieht.
Die stehn, mit zusammengerissenen Knien
In vorschriftsmäßigem Abstand um ihn,
Wobei sie, nicht ohne leise zu schwanken,
Ihm für die freundliche Anrede danken.
Und nun hört man nur noch weit und breit
Erinnerungen aus großer Zeit,
Geräuschvoll durchschossen mit massiven
Eisernen Zukunftsperspektiven,
Irgendwo gibt es einen Krakeel;
Jemand erteilt einen direkten Befehl.
Ein Bier gibt das andre. Man ist sich klar,
Dass der Fall die Disziplin unterhöhle;
Und im weiteren Hinblick auf diese Gefahr
Erteilt man nur noch direkte Befehle.
Der Kommandeur warnt die Treugesinnten
Vor einem erneuten Dolchstoß von hinten,
Worauf er zum Antreten kommandiert
Und mit Gemeinen und Unteroffizieren
Auf der Tanzfläche exerziert
Mit Gruppenschwenken und Aufmarschieren.
Zwar fehlt es hier nicht an gutem Willen,
Nach bestem Wissen seine Pflicht zu erfüllen,
Aber die belebende Wirkung der Tonne
Zerstört die Ordnung der Gruppenkolonne,
Und selbst der Hauptmann der Landwehr II
Bringt kein System in die Drängelei.
Bald lichten sich die geschlossenen Verbände.
Die Gegend wirkt wie ein Schlachtgelände.
Nach diesem kriegerischen Tumult,
Unter dem Wirbel von Trommeln und Pfeifen,
Besteigt der Hauptmann das Rednerpult,
Um das vorgesehene Schlusswort zu ergreifen.
Leider fällt ihm das Thema nicht ein;
Man hört noch etwas von: Wacht am Rhein,
Schwarze Schmach und was sich der Feindbund erfreche.
Dann kommt noch ein Hoch auf den Kriegerverein
Und dann die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnisschwäche.
Nach diesen erhebenden Dolchstoßgebeten
Wird der nächtliche Abmarsch angetreten.
Man zieht, in gelockerten Verbänden,
Mit schwankenden Fahnen die Straße lang
Und betont in unaufhörlichem Schlachtgesang,
Dass deutsche Männer fest wie Eichen ständen.
1924
Die Polizisten
Fanden ihn draußen im Wald,
Den kleinen Vermissten;
Er war schon entstellt und kalt.
Man brachte dem Vater die Mütze,
Pistole und Uhr,
Notizbuch, Zigarettenspitze,
Eine Locke und die letzte Zensur
Vom Herrn Oberlehrer.
Der Herr Studienrat
Schüttelte lange das Haupt,
Dann sagte er: „In der Tat,
Das hätte ich nicht geglaubt!
Hätte er bessere Aufsätze geschrieben
Und nicht fantasiert,
Er wäre nicht sitzengeblieben!“
So sprach, immerhin nicht ungerührt,
Der Herr Oberlehrer.
Nach dem Begängnis
Machte er seinen Schülern klar,
Dass dies Verhängnis
Von nichts andrem die Folge war
Als von Mangel an sittlicher Stärke.
Er schloss mit einem Appell
Und einem ernsten Vermerke.
Dann wurde er offiziell,
Der Herr Oberlehrer.
1924
Peinlich ist, wenn Menschen mit Fluiden
Beieinandersitzen, die verschieden.
Zweiter Klasse, zwischen Polsterlehnen,
Fährt Herr Modrigkeit aus Stallupönen,
Neben ihm Herr Feuerstein aus Graudenz.
Publikum fungiert als Tertius gaudens.
Und schon reagiert die Rassenpsyche.
Modrigkeit entsteigen Erdgerüche,
Ungeduldig rückt er mit dem Hintern
Und beginnt mit Temp’rament zu dintern.
Feuerstein, der kein geborner Streiter,
Nimmt den Hut und geht ein Abteil weiter.
Modrigkeit bereinigt nun die Gegend.
Sieghaft arisches Arom erregend.
Lange nach vollzogener Entjudung
Roch das Abteil noch nach frischem Kuhdung.
1924
Von Leuten verschiedener Gesellschaftsstufen
Wurde ein Verein ins Leben gerufen
Gegen das Tragen von Vereinsabzeichen,
Parteiemblemen und sonst dergleichen.
Als die Vereinsmitglieder zusammentraten,
Wurde zuerst das Wichtigste beraten:
Es seien Vorschläge einzureichen
Für ein geschmackvolles Vereinsabzeichen.
1925
Die abgetakelten Dynastien,
Die dunnemals auf Grund von vergilbten
Familienpapieren und großem Spleen
Dahergeschwenkert im Hermelin
Und Kronen über die Ohren stülpten.
In deren komplettem Ahnensaal
Gepanzerte Spitzbuben rumgespenstern,
Die fürstlich versoffen das Kapital,
Das man mit Gott zusammenstahl,
Mit Huren und untertänigen Wänstern,
Die dann von Detmold bis nach Berlin
Sich aufgetakelt in Denkmalsposen,
Die schauerlich große Bogen spien,
Solange die Sache nicht brenzlig schien,
Doch dann verduftet mit vollen Hosen,
Dieselben, die wir rührend human,
Leider damals nicht in den Kasten steckten,
Die fühlen sich wieder als Obertan
Und schnarzen herum mit Größenwahn
Und sämtlichen Militäreffekten.
Dieselben, die damals Gebete gelallt,
Dass wir ihnen nicht den Hintern verdroschen,
Die brüllen heut nach dem Staatsanwalt