Zwischen Barrikade und Bühne - Erich Weinert - E-Book

Zwischen Barrikade und Bühne E-Book

Erich Weinert

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Beschreibung

Widerstand in Reimform – Gedichte aus der Zeit des Umbruchs Zwischen Revolution und Repression, zwischen Hoffnung und Unterdrückung – Erich Weinerts Gedichte aus den Jahren 1920 bis 1933 geben einer bewegten Zeit eine Stimme. Mit scharfem Witz, satirischem Biss und kämpferischer Entschlossenheit stellt sich der Dichter den sozialen Verwerfungen der Weimarer Republik entgegen. Seine Verse sind mehr als politische Stellungnahmen – sie sind ein leidenschaftliches Plädoyer für Gerechtigkeit, Solidarität und Menschlichkeit. Dieses E-Book versammelt eine Auswahl von Gedichten, die heute aktueller wirken denn je: als literarische Zeugnisse eines Dichters im Kampf für eine bessere Welt.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Erich Weinert

Zwischen Barrikade und Bühne

Gedichte 1920 - 1933

ISBN 978-3-68912-529-5 (E–Book)

Die Gedichte erschienen 1950 in der Bibliothek fortschrittlicher deutscher Schriftsteller.

Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.

© 2025 EDITION digital®

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E–Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

Vorwort

Die Gedichte in diesem Band entstanden in einer Epoche tiefgreifender Umbrüche, Spannungen und Kämpfe. Nach dem Ersten Weltkrieg lag das Deutsche Reich politisch, wirtschaftlich und moralisch am Boden. Die junge Weimarer Republik wurde von links und rechts unter Druck gesetzt: Spartakusaufstand, Kapp-Putsch, Inflation, Massenarbeitslosigkeit, Streiks, Straßenkämpfe – der Alltag vieler Menschen war von Unsicherheit geprägt.

Erich Weinert, selbst engagierter Kommunist und wortgewaltiger Agitator, fand seine Stimme inmitten dieses gesellschaftlichen Bebens. Seine Gedichte sind keine bloße Literatur – sie sind Ausdruck gelebter Zeitgeschichte. Mit beißender Satire, scharfem Spott und unerschütterlicher Solidarität für die Unterdrückten griff er die politischen Verhältnisse an und machte sich zum Sprachrohr der Arbeiterklasse und aller Unterdrückten.

Die Jahre bis 1933 waren nicht nur ein Ringen um soziale Gerechtigkeit, sondern auch der schleichende Weg in die Barbarei: Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde auch die politische Literatur zum Verstummen – oder ins Exil gezwungen. Dieses Buch ist ein Zeugnis aus jener Zeit, in der Worte zu Waffen wurden – und Poesie zu Protest.

Der Akadem

1921

In Rothenburg ob der Tauber,

Da sitzt ein Akadem;

Und was er fühlt, ist sauber,

Und was er denkt, System.

Er singt in feuchtem Eifer

Vom deutschen Gaudio;

Es wackelt ihm der Kneifer

Bei jedem Tremolo.

Er singt das Lied der Fremde

Und Liebesleid und -lust.

Wie schlug im Turnerhemde

Die goldgelockte Brust!

Ein Hürlein auf der Brücke,

Das schaut ihn schmachtend an,

Doch er steht gen die Tücke

Des Lasters wie ein Mann.

Er schreibt im Wartesaale

Ein Distichon nach Haus,

Doch streicht das Carte postale

Er dick mit Tinte aus.

Er tunkt in seine Tasse

Ein ernstes Butterbrot.

Dann fährt er vierter Klasse

Ins teutsche Morgenrot.

Republikanischer Abend

1921

Im Parke schweift Frau Rechnungsrat

Mit einem Schwanz von Pensionetten;

Die Mädels wandeln wie auf Draht

Und träumen heimlich von Kadetten.

Und plötzlich singt der ganze Schwanz,

Dass man nicht ohne hohe Wönne

Der Abendsonne ihren Glanz

Und ohne Lust betrachten könne.

Ergriffen steht ein Protestant

Und schaut gedankenschwer gen Abend;

Ein Kontorist grinst arrogant,

Kein Herz in seinem Busen habend.

Am Wege sitzt ein halber Mann,

Der war einmal im Krieg gewesen;

Man schaut ihn mitbeleidigt an

Von wegen seiner Beinprothesen.

Mit einem Darlehnskassenschein

Bedenkt Frau Rat die brave Seele;

Die Jugend singt die Wacht am Rhein

In holder Quintenparallele.

Ein Polizist der Republik

Gedenkt gerührt in diesem Falle:

Wie wohl tat solcherlei Musik!

Und fasst sich an die Ordensschnalle.

Frau Rätin kauft ein Abendblatt

Und faltet feierlich die Runzeln.

Der Schwanz verklingt. Die gute Stadt

Versinkt in abendlichem Schmunzeln.

Auf einer Schreberlaube grämt

Ein rotes Fähnchen sich mit Zittern;

Es hat sich schon ganz blass geschämt

Und wird bald ganz und gar verwittern.

Von allerhand Tieren

1921

Einst hatt’ ein Löwe sein Getier versammelt

Und hatte lange und ergrimmt

Im Gottesgnadenton gestammelt

Und schließlich feierlich bestimmt:

Man müsse sich zum heilgen Kriege rüsten,

Zur Rettung der Nation und Dynastie!

Da scholl bewegt aus Untertanenbrüsten

Ein Hoch dem Kriege und der Monarchie.

Da stiegen alle Esel von Kathedern

Und zeigten militärische Allüren.

Die Füchse spitzten ihre Gänsefedern

Und schrieben Leitartikel und Broschüren.

Der Löwe schrieb: „An meine braven Schafe!

Der König ruft! Erwacht aus eurem Schlafe!

Verkennt den Ernst der großen Stunde nicht!“

Da taten auch die Schafe ihre Pflicht.

Sie stürmten wild an ihre Landesgrenzen,

Dem Feind die Hörner in das Herz zu bohren.

Im Lande blieben die Intelligenzen

Als unabkömmliche Kulturfaktoren.

Die Esel stiegen wieder aufs Katheder

Und sprachen von heroischer Verklärung.

Die Schweine handelten mit Fett und Leder

Und garantierten so die Volksernährung.

Die Geier stürzten sich auf die Tribute

Und schufen mit den Wölfen Syndikate.

Die Schafe aber zahlten treu dem Staate

Mit ihrer Wolle und mit ihrem Blute.

Man schreit hurra. Es hagelt nur von Siegen.

Rein überschaflich sind der Schafe Kräfte.

Die Wälder füllen sich mit Beutezügen,

Und alle Welt macht glänzende Geschäfte.

Die Wölfe schmücken sich mit hohen Orden,

Die Schweine werden schier zum Platzen mollig.

Doch nur die Schafe scheinen nicht mehr wollig

Und sind erheblich magerer geworden.

Das ganze Hammelvolk kam auf den Hund.

Die Sache hatte einen tiefren Grund:

Das Schweinevolk in höhren Positionen,

Das fraß begeistert doppelte Rationen.

Doch so was war den Schafen selbst zu bunt.

Und eines Nachts ist plötzlich alles stumm,

Die satten Bäuche fahren aus dem Schlafe:

Die Hammelschaft dreht die Gewehre um

Und konstituiert die Republik der Schafe.

Da flohn die Heimathelden in die Wälder.

Der Löwe selbst verschwand im Siegerkranz.

Das Schweinevolk versteckte seine Gelder.

Man zitterte vor jedem Lämmerschwanz.

Nun fühlten sich, von Etsch bis Belt,

Die Schafe über alles in der Welt.

Dann gaben sie, als einig Volk von Brüdern,

Für jedes Raubtier volle Amnestie.

Das kroch sogleich heran, sich anzubiedern,

Und predigte von Gleichheitsharmonie.

Es wandelte wie Schafe unter Schafen

Und huldigte Verfassungsparagrafen.

Gefallen waren die sozialen Hürden;

Und Wölfe, Esel, Geier, Schweine

Bekamen wieder Amt und Würden

Und gaben wieder jedem Schaf das Seine.

Der Oberhammel sprach zu seinen Heeren:

„Wir brauchen nichts als unsers Leibes Nahrung.

Die uns regieren, haben die Erfahrung.

Drum lasst euch nur verfassungsmäßig scheren!“

Da wurden gleich die Esel wieder keck,

Die Schweine wurden wieder fett und fetter,

Die Füchse schufen nationale Blätter,

Und selbst der Löwe kroch aus dem Versteck.

Die Wölfe trugen Orden auf den Lenden,

Die Geier schluckten hohe Dividenden.

Und eh man sich versehn, war weit und breit

Auf einmal wieder gute, alte Zeit.

Und auch die Wölfe hatten unterdessen,

Wo sie als Staatsanwälte figuriert,

So manchen armen Hammel aufgefressen,

Der einst für Hammelfreiheit agitiert.

Die Schafe lagen bei den Wiederkäuern

Und kauten Gras und zahlten ihre Steuern.

Und riss zuweilen eine Lammsgeduld,

Dann rief das Oberschaf: „Nur kein Tumult!

Ertragen wir mit Würde Gottes Strafe,

Denn wir sind auch nicht ohne Schuld.“

Das sahen denn die treuen Lämmer ein,

Die nichts verstehn und alles gern verzeihn,

Und kehrten heim zum großen Dauerschlafe.

Es waren eben veritable Schafe!

Der Gottesgnadenhecht

1921

Dem Hecht

Ging’s einmal schlecht:

Er hing in der Reuse

In sichrem Gehäuse.

Da gab’s nichts zu prassen und nichts zu schlarpfen

Weder Brassen noch Karpfen.

Die junge Karpfenbrut

Fand das gerecht und gut:

Denn nun hätte sie endlich Ruh und Genuss

In ihrem Loche;

Und das wäre der Schluss

Der feudalen Epoche.

Aber die Ältern

Befreiten den Hecht aus seinen Behältern.

Sie sagten: Wir hängen am Alten.

Die eherne Tradition wird heiliggehalten!

Jedem Karpfengeschlecht

Gab Gott seinen Hecht.

Sein Privileg ist göttliches Recht.

Der Hecht, die Situation ausnutzend,

Fraß von den jüngeren Volksgenossen

Sogleich ein gehäuftes Dutzend

Nebst Flunsch und Flossen.

Die Alten wedelten mit dem Schwanz

Und sangen: Heil dir im Siegerkranz!

Elegie eines Militäranwärters

1922

Ich bin ein ehemaliger Unteroffizier,

Zwangsweise zivilversorgt.

Man hat meine Seele zugekorkt.

Nun sitz’ ich von achte bis vier

Melancholisch an meinem Schalter

Und ruiniere Federhalter.

Wozu lehrte mich mein Kaiser

Was von Kimme und Korn?

Wozu kann ich die ganzen Fürstenhäuser

Von hinten bis vorn?

Abends, da sitz’ ich im Restaurant

Mit Kamerad Schramm;

Der kennt das ganze Exerzierreglement.

Und wenn ich komme, steht er stramm.

Denn er ist ja nicht meinesgleichen,

Er war bloß Gefreiter.

Und dann diskutieren wir über Gradabzeichen,

Gewehrreinigen und so weiter.

Und wenn ich nachts zu Bette geh’,

Dann ergreift mich ein unbeschreibliches Weh

Dann träum’ ich von besseren Tagen.

Wozu hab’ ich mein Portepee

Und darf’s doch nicht tragen!

Warum hat man mich zivilversorgt,

Und ausgerechnet nach Pasewalk?

Ich fühle mich so zugekorkt

Wie eine Flasche mit ungelöschtem Kalk.

Wär’ ich wenigstens im Polizeibüro

Und nicht bei der Postverwaltung!

Einjähriger Soundso!

Mensch, nehmen Sie Haltung!

Ich will Ihnen schon die Knochen –

Sie krummes Gewächs!

Ihnen hat wohl der Mond gestochen!

Postanweisungen – Schalter sechs!

Sozialdemokratisches Mailiedchen

1923

Stell auf den Tisch das Bild von Vater Bebel,

Den Vorwärts, Jahrgang 13, hol herbei,

Und klirre wieder mit dem Schutzmannssäbel

   Wie einst im Mai!

Lies mir noch mal die alten Manifeste,

Der ersten Jugend holde Schwärmerei,

Und reich mir wieder die gestrickte Weste

   Wie einst im Mai!

Noch einmal singt die Internationale,

Doch macht nicht wieder solchen Krach dabei,

Und nicht mit so pathetischem Finale

   Wie einst im Mai!

Noch einmal tragt die feierlichen Fackeln!

(Die Reichswehr mit Musik ist auch dabei.)

Wer weiß, ob uns nicht doch die Ärsche wackeln

   Dereinst im Mai!

Das Antisemeeting

1923

Nachts um zwölfe

Versammelten sich die blonden Wölfe

Mit großem Gebelfe.

Und einer hielt ein Referat:

Es dürften im Blonde-Wölfe-Staat

Die proletarischen Hammelherden

Auch nur von blonden Wölfen gefressen werden

Und deshalb könnte nur eines helfen:

Nieder mit den schwarzen Wölfen!

Und als man zu Tätlichkeiten schritt,

Da machten sogar die Hammel mit.

Die große Zeit

Bänkellied für ein Kabarett

1921

Kaiser Wilhelm fuhr ganz heiter

Nach Rominten und so weiter

Von der Etsch bis an den Belt.

Deutsch im Dichten, deutsch im Trachten,

Sang an Ägir, malte Schlachten

Als ein Kaiser und ein Held.

Ein augustisch Alter blühte

Unter Wilhelms Messingtüte.

Dieses war die kleine Zeit.

Und auch Östreichs greiser Kaiser

Pflanzte nichts als Friedensreiser.

Das erweckte Feindbundneid.

Schon umkreisten, mit Geheulen,

Unsre ebenen Friedenssäulen

Russenbär und gälischer Hahn.

Wilhelm schwur’s dem Franz aufs Neue,

Denn die Nibelungentreue

Ist kein Oberlehrerwahn.

Ha, wie zog der Friedenskaiser

Gegen alle Deutscheinkreiser

Siegreich in den Heldentod.

Jeder, der sich redlich nährte,

Griff zur Leier und zum Schwerte,

Gegen sichres Höchstgebot.

Während man den Feind zerfetzte,

Brachte jedermann das letzte

Oberhemd, was nicht mehr ganz.

Und den opferwillgen Kreisen

Gab der Kaiser Gold für Eisen

Am Altar des Vaterlands.

Ludendorff, der edle Ritter,

Mähte als ein Kaiserschnitter

Ganze Divisionen ab,

Die das Feindland bis zum letzten

Hauch von Mann und Ross besetzten

Bis ins kühle Massengrab.

Und so wurden sechs bis sieben

Neue Feinde aufgetrieben,

Endlich auch Amerika.

Wilhelm dankte, Tirpitz lachte.

Der uns X für U-Boot machte,

Und der Sieg war schrecklich nah.

Doch so dicht vor dem Patentsieg,

Fünf Minuten vor dem Endsieg

Wurden, schon im Feindesherz,

Unsre unentwegten Stürmer

Durch entdeutschte Hinterwürmer

Angefault und rückenwärts.

Düster tragisch war das Ende.

Die erdolchten Schlachtverbände

Kehrten um und allerseits.

Wilhelm nur mit seinen Besten

Schlug sich siegreich durch gen Westen

Bis nach Holland und der Schweiz.

Kinder, so ist das gewesen!

Fragt die Leute mit Prothesen!

Wer was andres sagt, der lügt.

Deutschland steht in jeder Branche

Fest geschlossen zwecks Revanche,

Hinterdolcht, doch unbesiegt.

 „Deutsche Tage“

1924

Der Spaß hat uns wirklich noch gefehlt:

„Deutsche Tage“ mit Hurrakiamauken,

Wo einer seicht und der andre krakeelt

Bei festlich verstimmten Revanchepauken.

Von allen Seiten strömen herbei

Die Krieger- und Wiederaufbauvereine

Im Schutz der deutschen Staatspolizei.

Soll das die Freiheit sein, die ich meine?

Wo Veteranen in Blechgarnitur

Und staatlich abgestempelte Helden

Die Hälse recken zum eisernen Schwur,

Da hat die Republik nichts zu melden.

Der Ausnahmezustand gilt ja nicht

Für die wackeren Thron- und Altaresstützen;

Drum tut die Republik ihre Pflicht,

Die großen Reklameparaden zu schützen.

Der General duldet keinen Protest,

Held Ludendorff zeigt die gepanzerten Zähne;

Er klemmt die Gehirnprothese fest

Und redet bedrohliche Hobelspäne.

Und Heldengestalten ringsherum;

Die stehn wie in Erz und Marmor gegossen

Und präsentieren dem Publikum

Auf neu gefärbte Monarchensprossen.

In wallendem Gehrock und Umhängebart

Die Dichter- und Denkerdeputationen,

Dann die Hochschulringkämpfer deutscher Art

Als garantiert enthirnte Teutonen.

Dann kommt der Windjackenlandsturmtrupp,

Die männermordenden Pubertäter,

Der Heldentodaspirantenklub

Und die konzessionierten Landesverräter.

Wild branden über den Männern der Tat

Die dolch- und knochenbestickten Windeln.

Vor solch verheerendem Flaggensalat

Beginnt es sogar der Reichswehr zu schwindeln.

Im Wirbel männlicher Schlachtmusik

Erlegt man Proleten mit mächtigen Streichen.

Das Gesetz zum Schutze der Republik

Sorgt draußen inzwischen für Ordnung und Leichen.

In diesem Sinne so weiter, mit Gott!

So haben die proletarischen Stände

Jeden Sonntag ihr Leichenbegängnis im Pott

Und die anderen gesichertes Aufmarschgelände.

Haarmann*

1924

Wie bubbert doch die Volkesseele

Mit schaurig zugeschnürter Kehle

Bei jedem Polizeibericht,

Wenn man was Neues aus der Haarmannshöhle

Zu lesen kriegt.

Vom Nachttopf bis zum Küchenmesser,

Je detaillierter, desto besser!

Mit sanftem Graun betrachtest du

Inkriminierte Marmeladenfässer

Mit Hirnragout. –

Dass, der die Sünde widers Fleisch tat

Im sozialen Polizeistaat

Seit Jahren wirkte ungestört,

Hat jeden Untertan im deutschen Freistaat

Zutiefst empört.

Doch nein, das wäre Unterschätzung

Der Polizei und Volksverhetzung.

Er schlachtete nicht offiziell.

So was tat nur, in Zeiten der Besetzung,

Die O.H.L.**

Hier dämmert mir des Rätsels Lösung:

Ein Individuum der Verwesung

Erhebt, symbolisch, ins Quadrat,

Was man in großer Zeit zur Volksgenesung

Im Ganzen tat.

Nimmt man den Sünder ins Examen,

So fällt er gar nicht aus dem Rahmen,

Im Gegenteil, er ähnelt ganz

Den Helden, die uns massakriert im Namen

Des Vaterlands.

So mancher Champion im Morden

Ist damals ausgezeichnet worden,

So mancher Recke comme il faut

Erhielt den Haarmann-der-Cherusker-Orden

Für Mord en gros.

Was? Übereifer? Kriegspsychose?

Macht euch man bloß nicht in die Hose!

Ihr habt sechs Jahre Friedensmord!

Auch hierin schlagen wir, in Heldenpose,

Den Weltrekord.

Wenn heute, mit perverser Kälte,

Der höchste aller Staatsanwälte

Am liebsten, wie es früher Brauch,

Den Proletarier an die Mauer stellte,

Ist das nicht auch …?

Der sich in Bajonetten sonnte,

Der ungestraft tranchieren konnte,

Der deutsche Haarmann lebt. Gebt acht!

Er wittert schon am fernen Horizonte

Die Haarmannsschlacht.

* Der Massenmörder Haarmann, der zahlreiche Jünglinge zerstückelt hat, stand gleichzeitig im Dienst der Polizei.

** O.H.L. – Oberste Heeresleitung.

Der Sittenzensor

1924

Ein Zensor mit moralischem Gemüt,

Nicht wissend, was noch keusch, was schon gemein ist,

Ist unbrauchbar, weil er nur Reines sieht,

Wie ja dem Reinen eben alles rein ist.

Daraus erhellt, was von der Gabe

Des Zensors man zu halten habe:

Er muss im Grund ein größres Schwein

Als alle Zensurierten sein.

Liedchen für den Verfassungstag

1924

(Der Refrain darf öffentlich gesungen werden.)

Wenn du am Sonntag buntgarnierte Mannen

Mit umgestülpten Kinderbadewannen

Und Fahnen durch die Gegend schweifen siehst,

Die, durchgedrückt, wie sie’s vom Kaiser lernten,

Vorüberziehn an Voll-und-ganz-Besternten,

Als Volk in Waffen feierlich begrüßt,

Und wenn in Siegerkranzmusik

Geschlossen steht die Wacht am Rheine,

Dann fühlst du tief

Und sehr massiv,

Das ist die Freiheit, die ich meine!

Das Deutsche Reich ist eine Republik!

Und was für eine!

Wenn du im Kreis von Stammtischfeldmarschällen

Und an politischen Begeistrungsquellen

Den teutschen Mann das Feld behaupten siehst,

Und wenn die Barden, die hier dicht- und denkern,

Die Staatsverfassung unentwegt bestänkern,

Bis jede Kehle trunken überfließt,

Und kommt dann noch Kommentmusik

Im Geist: Alt-Heidelberg, du feine –

Da fühlst du ganz

Im Thronesglanz:

Das ist die Freiheit, die ich meine!

Das Deutsche Reich ist eine Republik.

Und was für eine!

Und wenn, als sonnigste Kulturerscheinung,

Der Produzent der öffentlichen Meinung

Der Republik eins vor die Türe kackt,

Und Jünglinge, die auf Minister schießen,

Die volle Achtung der Justiz genießen,

Indes der Pazifist die Sachen packt,

Und wenn Zensur und Geistkritik

In Händen biblischer Vereine –

Dann fühlst du hold,

Wie du’s gewollt:

Das ist die Freiheit, die ich meine!

Das Deutsche Reich ist eine Republik.

Und was für eine!

Und wenn du siehst, wie man auf höchsten Posten

Der freien Republik auf deine Kosten

Dem Ausland in die offnen Hände spuckt;

Und wie nach der Verfassung Grundartikeln

Die Dinge sich im alten Geist entwickeln

Mit Achtung: Augen rechts! Und keiner muckt.

Und Schwarz-weiß-rot mit Schlachtmusik,

Und deine Farben siehst du keine –

Dann singe traut,

Doch nicht zu laut:

Das ist die Freiheit, die ich meine!

Das Deutsche Reich ist eine Republik.

Und was für eine!

Zeitgenossen

1924

Im Löwenbräustübl, in später Stunde,

Sitzt eine Anhäufung deutscher Gestalten,

Die nach jeder geleerten Runde

Sich immer heroischer unterhalten.

Ein Oberlehrer, mit Röllchen und Kneifer,

Vertritt den Liberalismus mit Eifer.

Er schwört auf Bismarck mit großer Gebärde,

Und dabei haut er ein Glas an die Erde.

Aus Gummikragen recken sich Macken,

Die Schnäpse schwabbern, die Sehnen knacken.

Es erhebt sich der alte Gesangvereinsbarde:

Ja, hätten wir noch die alte Garde!

Meine Herrn, Frankreich kriegte nicht eine Milliarde!

Dann wettert er gegen moderne Laster,

Womit er einem Herrn mit Karbunkelpflaster

Aus der Seele gesprochen zu haben schien:

Es war doch ein andrer Geist in Berlin,

Als wir noch unseren Kaiser hatten,

Wenn Sie gütigst gestatten!

Der Mann mit der Zivilversorgungsscheinphysiognomie

Ist auch durchaus für die Monarchie.

Und darauf wollte er sich bloß beschränken;

Und sie würden später mal an ihn denken.

Die Dame kriegt für den Geiger Gefühle

Von wegen seinem dezenten Spiele.

Ein Försterbart, der mit dem Spazierstock säbelt,

Gefährdet damit das ganze Gelände.

Man fühlt sich stimmungsvoll eingenebelt.

Der Oberlehrer sammelt für eine Denkmalsspende.

Dann funkelt er durch seine Fensterscheiben

Und versucht, einen Salamander zu reiben

Und brüllt: Ad exercitium Salamandris!

Der Militäranwärter denkt, das ist was andres,

Der hat was vom Exerzieren gehört

Und kommandiert nun: Stillgestanden! Ganze Abteilung kehrt!

Dabei wird er rot wie Zinnober.

Der Försterbart kriegt inzwischen Krach mit dem Ober.

Der Bismarckblick beschwert sich über Kellnermanieren;

Und früher konnte so was nicht passieren.

So benehmen könnte sich ja ein Strolch bloß,

Und das hätten wir nun von dem Dolchstoß!

Der Barde fragt den Erregten: Sagen Sie mal,

Wissen Sie nicht noch wo so ein intimes Lokal?

Sie kennen doch so stimmungsvolle Bordelle …

Der Oberlehrer brüllt: Ganz egal!

Eins steht hier fest auf alle Fälle:

Als Kulturvolk stehn wir an erster Stelle!

Der Kriegerverein feiert Denkmalsweihe

1924

Kaum erscheint der Vereinspräside

Am Exerzierplatzhorizont,

Formiert sich bereits die eherne Front

Und in Linie zu einem Gliede.

Ha, wie die Helme, Zylinder und Mützen

In heiligem Ernst durcheinanderspritzen,

Und wieder, ganz wie in großen Tagen,

Die alten Kommissknochen höherschlagen!

Ein geräuschvoller Mann, mit Christbaumschmuck

Auf der polierten Vorderfläche,

Gibt sich den sogenannten hörbaren Huck

Im Vollgefühl seiner Monarchenbleche.

Schon naht er, funkelnd wie einst im Mai,

Der Kommandeur und Hauptmann der Landwehr II.

Zur Rechten und Linken flankieren ihn,

Mit vorschriftsmäßig durchdrückten Knien,

Zwei üppig garnierte Veteranen

Mit feierlich umwickelten Fahnen

Im Schweiße eiserner Disziplin.

Der Feldwebel zittert an allen Orden

Und ist ein bisschen nervös geworden

In Erwartung des vorgesetzten Winks.

Und nun kommt: Achtung! Die Augen links!

Jedoch der Kommandeur, in milder Gesinnung,

Begrüßt die festlich versammelte Innung

In kurzem, doch nervig gebautem Ton.

Inzwischen erfolgt die Fahnenentfaltung.

Wie steht in solcher Situation

Jedes Soldatenauge in grader Haltung!

Und nun marschiert, mit gezücktem Degen,

An der Spitze des Medaillenvereins

Der Kommandeur dem Ereignis des Tages entgegen

Am Fuße des Heldengedächtnissteins.

Hier, zwischen Worten aus großer Zeit und Girlanden,

Wird wieder unentwegt stillgestanden,

Indem die bereits versammelten Frauen

Mit Stullenpaketen und Gottvertrauen

Sich nach Dienstgraden militärisch formieren,

Um die deutsche Zucht zu repräsentieren.

Des Pastors Rede handelt belangreich

Vom Gott, der Eisen wachsen ließ,

Blick nach Russland, Gott strafe Frankreich,

Gedenken an den Marsch auf Paris,

Deutsche Technik in der Welt voran,

Und Aug in Auge, Zahn in Zahn.

Nun werden die Kopfbedeckungen gehoben;

Es folgt ein stilles Gebet der Gemeinde,

Die rächende Faust an der Gurgel vom Feinde,

Den unbesiegbaren Blick nach oben.

Dann folgt die Rede des mutig schwitzenden

Kommandeurs und Vereinsvorsitzenden.

Der Hauptmann der Landwehr zweiten Aufgebots

Schildert die hohe Wonne des Heldentods

Und fordert mit stark erhobenem Organ

Zwei Augen und zwei Zähne um einen Zahn.

Und einmal, da käme der große Tag,

Da zöge auch er wieder stolz an die Grenze.

Und hierbei führt er einen markanten Schlag

In die aufgespeicherten Heldenkränze.

Hierauf wird vom Frauengesangverein

Ein schlichtes Volkslied vorgetragen,

Wie rheinische Mädchen beim rheinischen Wein

Siegreich Franzosen zu Boden schlagen.

Nach stummem Blick auf die Denksteinfassade

Betritt der Hauptmann der Landwehr den Sockel.

Mit starrem Feldherrnblick hinterm Monokel

Kommandiert er Antreten zur Parade.

Wieder sieht man Helme, Zylinder und Mützen

In heiligem Ernst durcheinanderspritzen.

Die Chargen bewegen sich stolz vor der Front.

Zwar bleiben die Reihen nicht völlig grade

(Früher hat man’s doch besser gekonnt),

Aber die vornereingelegte Fassade

Zeigt wenigstens den guten Willen zur Parade.

Und wie die Zylinder und Pickelhauben

Immer mal wieder mit Paukendröhnen

Und eisernem Tritt durch die Gegend stauben,

Gibt es manche herzzerreißenden Szenen.

Dann geht es in Gleichschritt und Gruppenkolonne,

Vorne die Krieger und hinten das Personal,

Nach dem kriegerisch drapierten Vereinslokal

In Gedanken an die hochherzig gestiftete Tonne.

Hier sitzt, getrennt durch Papiergebüsche,

Jeder Dienstgrad an seinem besonderen Tische.

Man sucht sich einen Platz an der Sonne,

Das heißt mit Aussicht auf vorgesetzte Plätze.

Aber im weiteren Verlauf der Tonne

Überbrücken sich bald die härteren Gegensätze.

Selbst der Kommandeur ist emsig bemüht.

Die sozialen Hürden einzuebnen,

Indem er die entlegensten Untergebnen

In leutselige Unterhaltung zieht.

Die stehn, mit zusammengerissenen Knien

In vorschriftsmäßigem Abstand um ihn,

Wobei sie, nicht ohne leise zu schwanken,

Ihm für die freundliche Anrede danken.

Und nun hört man nur noch weit und breit

Erinnerungen aus großer Zeit,

Geräuschvoll durchschossen mit massiven

Eisernen Zukunftsperspektiven,

Irgendwo gibt es einen Krakeel;

Jemand erteilt einen direkten Befehl.

Ein Bier gibt das andre. Man ist sich klar,

Dass der Fall die Disziplin unterhöhle;

Und im weiteren Hinblick auf diese Gefahr

Erteilt man nur noch direkte Befehle.

Der Kommandeur warnt die Treugesinnten

Vor einem erneuten Dolchstoß von hinten,

Worauf er zum Antreten kommandiert

Und mit Gemeinen und Unteroffizieren

Auf der Tanzfläche exerziert

Mit Gruppenschwenken und Aufmarschieren.

Zwar fehlt es hier nicht an gutem Willen,

Nach bestem Wissen seine Pflicht zu erfüllen,

Aber die belebende Wirkung der Tonne

Zerstört die Ordnung der Gruppenkolonne,

Und selbst der Hauptmann der Landwehr II

Bringt kein System in die Drängelei.

Bald lichten sich die geschlossenen Verbände.

Die Gegend wirkt wie ein Schlachtgelände.

Nach diesem kriegerischen Tumult,

Unter dem Wirbel von Trommeln und Pfeifen,

Besteigt der Hauptmann das Rednerpult,

Um das vorgesehene Schlusswort zu ergreifen.

Leider fällt ihm das Thema nicht ein;

Man hört noch etwas von: Wacht am Rhein,

Schwarze Schmach und was sich der Feindbund erfreche.

Dann kommt noch ein Hoch auf den Kriegerverein

Und dann die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnisschwäche.

Nach diesen erhebenden Dolchstoßgebeten

Wird der nächtliche Abmarsch angetreten.

Man zieht, in gelockerten Verbänden,

Mit schwankenden Fahnen die Straße lang

Und betont in unaufhörlichem Schlachtgesang,

Dass deutsche Männer fest wie Eichen ständen.

Der Herr Oberlehrer

1924

Die Polizisten

Fanden ihn draußen im Wald,

Den kleinen Vermissten;

Er war schon entstellt und kalt.

Man brachte dem Vater die Mütze,

Pistole und Uhr,

Notizbuch, Zigarettenspitze,

Eine Locke und die letzte Zensur

   Vom Herrn Oberlehrer.

Der Herr Studienrat

Schüttelte lange das Haupt,

Dann sagte er: „In der Tat,

Das hätte ich nicht geglaubt!

Hätte er bessere Aufsätze geschrieben

Und nicht fantasiert,

Er wäre nicht sitzengeblieben!“

So sprach, immerhin nicht ungerührt,

   Der Herr Oberlehrer.

Nach dem Begängnis

Machte er seinen Schülern klar,

Dass dies Verhängnis

Von nichts andrem die Folge war

Als von Mangel an sittlicher Stärke.

Er schloss mit einem Appell

Und einem ernsten Vermerke.

Dann wurde er offiziell,

   Der Herr Oberlehrer.

Rassenchemie

1924

Peinlich ist, wenn Menschen mit Fluiden

Beieinandersitzen, die verschieden.

Zweiter Klasse, zwischen Polsterlehnen,

Fährt Herr Modrigkeit aus Stallupönen,

Neben ihm Herr Feuerstein aus Graudenz.

Publikum fungiert als Tertius gaudens.

Und schon reagiert die Rassenpsyche.

Modrigkeit entsteigen Erdgerüche,

Ungeduldig rückt er mit dem Hintern

Und beginnt mit Temp’rament zu dintern.

Feuerstein, der kein geborner Streiter,

Nimmt den Hut und geht ein Abteil weiter.

Modrigkeit bereinigt nun die Gegend.

Sieghaft arisches Arom erregend.

Lange nach vollzogener Entjudung

Roch das Abteil noch nach frischem Kuhdung.

Ein neuer Verein

1924

Von Leuten verschiedener Gesellschaftsstufen

Wurde ein Verein ins Leben gerufen

Gegen das Tragen von Vereinsabzeichen,

Parteiemblemen und sonst dergleichen.

Als die Vereinsmitglieder zusammentraten,

Wurde zuerst das Wichtigste beraten:

Es seien Vorschläge einzureichen

Für ein geschmackvolles Vereinsabzeichen.

Fürstenaufwertung

1925

Die abgetakelten Dynastien,

Die dunnemals auf Grund von vergilbten

Familienpapieren und großem Spleen

Dahergeschwenkert im Hermelin

Und Kronen über die Ohren stülpten.

In deren komplettem Ahnensaal

Gepanzerte Spitzbuben rumgespenstern,

Die fürstlich versoffen das Kapital,

Das man mit Gott zusammenstahl,

Mit Huren und untertänigen Wänstern,

Die dann von Detmold bis nach Berlin

Sich aufgetakelt in Denkmalsposen,

Die schauerlich große Bogen spien,

Solange die Sache nicht brenzlig schien,

Doch dann verduftet mit vollen Hosen,

Dieselben, die wir rührend human,

Leider damals nicht in den Kasten steckten,

Die fühlen sich wieder als Obertan

Und schnarzen herum mit Größenwahn

Und sämtlichen Militäreffekten.

Dieselben, die damals Gebete gelallt,

Dass wir ihnen nicht den Hintern verdroschen,

Die brüllen heut nach dem Staatsanwalt