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Gedichte im Exil – Worte gegen das Vergessen In seinen Exiljahren von 1933 bis 1943 schrieb Erich Weinert Gedichte voller Anklage, Hoffnung und Widerstand. Mit beißender Ironie, scharfem Blick und tiefem Mitgefühl prangert er Verbrechen der Nationalsozialisten an, verteidigt Opfer politischer Gewalt und gibt den Entrechteten eine Stimme. Ob als Ballade, Appell oder Spottgedicht – Weinerts Verse sind Zeitdokumente und Mahnrufe zugleich. Dieses E-Book versammelt seine kraftvollsten lyrischen Texte aus dem antifaschistischen Kampf – heute aktueller denn je.
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Seitenzahl: 105
Veröffentlichungsjahr: 2025
Erich Weinert
Stimmen aus dem Exil
Gedichte 1933 - 1943
ISBN 978-3-68912-531-8 (E–Book)
Die Gedichte erschienen 1950 in der Bibliothek fortschrittlicher deutscher Schriftsteller.
Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.
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Berlin 1933
Die Zellenwände bauchen sich und fliehn,
Als ob sie atmeten, als ob sie schwängen.
Das dünne Mondlicht spielt mit den Gestängen.
Und oben, wo die schwarzen Schatten hängen,
Sieht er die Augen der Verzweiflung glühn.
Er wirft sich hoch, starrt in die Dunkelheiten.
Da schwebt ein Riesenschädel, grau und fett,
Tief in die Stirn gezogen das Barett.
Und eine kalte Stimme hallt von weitem:
Ich will dir tausend Nächte Qual bereiten!
Er springt von seiner Pritsche, schlägt die Faust,
Die Stirn, das Ohr ans harte Fenstereisen.
Und wie der Nachtwind durch die Stäbe saust,
Fühlt er, wie die Gedanken nicht mehr kreisen,
Er packt mit voller Kraft das kalte Eisen.
Beruhigt schaut er in die Nacht und spricht:
Ich weiß, du lauerst, du Barettgesicht,
Dass ich in diesem Totenhause stürbe.
Du kannst mich martern, doch du zwingst mich nicht.
Auch tausend Nächte machen mich nicht mürbe!
Er lehnt sich an die Wand und lauscht und ruht.
In seiner Schläfe kühl verrauscht das Blut.
Und plötzlich – klopft es an die tauben Steine,
Ein Menschenwort: Genosse, geht dir s gut?
Ich bin bei dir, du bist ja nicht alleine!
Das weht wie warmer Wind in seine Zelle.
Das Klopfen fällt ins Herz wie heiße Tropfen.
Nun hört er’s wie durch tausend Wände klopfen:
Durch tausend Wände bricht’s wie eine Welle,
Wie eines Morgenhimmels rote Helle:
Genossen, unzerstört stehn unsre Rechte
Durch tausend und durch abertausend Nächte!
Und wenn man einst aus diesem Rattennest
Als ausgeblichne Schatten uns entlässt,
Dann sind wir Schatten, aber keine Knechte!
Und wie’s durch zehnmaltausend Wände spricht,
So klingt es in Millionen Herzen wider.
Der Herzschlag unsrer zehnmaltausend Brüder
Schlägt durch die Welt und schlägt den Kleinmut nieder
Und weckt den Morgenruf der Zuversicht!
Genossen, wenn der Nächte schwarzer Schauer
Durch eure Zellen kriecht, dann horcht hinaus!
Millionen Fäuste schlagen an die Mauer.
Einst schlagen sie das Tor zum Grab heraus.
Und helles Leben rauscht ins Totenhaus!
Paris 1933
Nicht weinen, mein Junge, es ist geschehn.
Du kannst deinen Vater nicht wiedersehn.
Sie haben ihn auf der Flucht erschossen.
Junge, einen unserer besten Genossen!
Auf der Flucht erschossen! Junge, du weißt!
Sie haben dir schon gesagt, was das heißt.
Zwei Kugeln von vorn, in die Stirn, in die Lunge.
Sie haben ihn hingerichtet, mein Junge!
Du siehst mich an so entsetzten Gesichts.
Sei tapfer, mein Kind, ich erspare dir nichts!
Sie haben ihn wie einen Hund geschunden;
Er hat den qualvollsten Tod gefunden.
Als sie ihn holten, da hast du geschrien.
Und als er dich streichelte, schlugen sie ihn.
Er konnte kein Wort des Abschieds mehr sagen;
Sie hatten ihm schon den Mund zerschlagen.
Sie schlugen auf ihn drei Tage lang,
Bis dass ihm die Haut auseinandersprang.
Zittre nicht, Junge! Du musst es erfahren!
Ich will dir das Schrecklichste nicht ersparen.
Sie setzten ihm das Gewehr auf die Brust.
Aus blutendem Mund hat er singen gemusst.
Ihre Mordbrennerlieder musste er singen,
Auf blutenden Füßen musste er springen.
Und sähst du heute sein totes Gesicht,
Du würdest schreien, du kenntest ihn nicht.
Geschunden, zertreten, zerrissen, zerschossen!
Junge, einen unserer besten Genossen!
Wir trauern nicht, Junge, das ist nicht gut.
Jetzt nichts mehr fühlen als brennende Wut!
Und diese Glut darf nie mehr erkalten,
Für den Tag, Junge, wo wir Abrechnung halten!
Paris 1933
Am Freitag holten sie den Jungen weg.
Er griff noch schnell nach ihrer Hand: „Nicht weinen!“
Sie weinte nicht. Sie stand ganz weiß vor Schreck,
Ganz weiß vor Schreck. Sie hatte nur den einen.
Sie lag im Fenster bis um Mitternacht.
Dann rannte sie zum Polizeirevier.
„Um sieben ist er aus dem Haus gebracht.“
„Hans Fischer? Jakobstraße sechs? Nicht hier.“
Sie lief zum Polizeipräsidium.
„Hans Fischer? Ist hier gar nicht eingetragen.“
„Nicht eingetragen?“ Lange stand sie stumm,
Ganz weiß vor Schreck. „Wo kann man das erfragen?“
Die lachten nur. „Das ist so eine Sache.
Vielleicht in Tempelhof, Columbiahaus!“
Sie lief dorthin. Da stand ein Posten Wache.
„Hans Fischer, lieber Herr, ist der schon raus?“
„Das weiß ich nicht. Es sind so viele hier.“
Sie fasste seine Hand: „Es ist mein Sohn!“
„Dann fragen Sie beim Polizeirevier!“
Sie stand ganz weiß vor Schreck: „Da war ich schon.“
Der Posten sagte: „Bitte weitergehn!“
Sie lief zurück zum Polizeirevier.
Es war schon Morgen. „Ach, Sie suchten wen!
Hans Fischer, Jakobstraße – der ist hier.“
Die Tränen liefen über ihr Gesicht.
„Kann ich ihn sprechen? Kommt er nicht bald raus?“
Der Mann am Tische sagte: „Leider nicht.
Er ist gestorben. Sieht auch nicht gut aus.“
Ihr Mund stand offen. Doch es kam kein Wort.
Man führte sie behutsam vor die Tür.
Im kalten Morgen stand sie wie verdorrt
Und sank zusammen wie ein Stück Papier.
Vor tausend Türen lausend Mütter sterben.
Doch einmal wird ein wilder Wind aufstehn,
Die kalte Asche ihres Grams verwehn
Und wird die bleichen Mütterwangen färben.
Und tausend Mütter stehen auf im Land,
Der toten Söhne Fahne in der Hand1
Zürich 1933
Es ist der Speiermann, von dem ich spreche,
Zwar einer nur; doch dieser ist Legion.
Er wurzelt tief in jeder Oberfläche
Der zeitgebundnen Meinungskonfektion.
Einst stand er ratlos in Novemberwettern
Mit Friedrich-August-Band und EK zwei,
Ob vor dem Schloss die Carmagnole schmettern,
Ob Heimatdienst am Volk das Richt’ge sei.
Er wusste nicht, in welchen Hintern kriechen,
Weil alles noch im Ungewissen war.
Und schien’s im einen mehr nach Ruhm zu riechen,
So doch im andern mehr nach Honorar.
Dann kam der Tag für solcherlei Gestalten:
Die Republik. Sie hatte jedermann
Den Hintern wie ein Stadttor hingehalten.
Und Speiermann marschierte vornean.
Nun fehlte Speiermann auf keinem Podium,
Zertrat die Reaktion mit Haferlschuhn,
Umbrandet teils von Jakobinerodium,
Und teils von schwarz-rot goldnem Staatskattun.
Doch in der Folgezeit, wo selbst bei Mosse
Die Wetterfahne ultralinks tendiert,
War Speiermann als feuriger Genosse
Mit Rotgardistenstiefeln aufmarschiert.
Nicht lange zwar. Die braunen Bataillone
Vermehrten sich. Und Speiermann bezog
Die Quarantäne der neutralen Zone
Und lernte still den fälligen Prolog.
Das braune Hemd begann ihm wohlzuriechen.
O Blutbannsweihe, die er jetzt empfing!
Er hatte wieder wo hineinzukriechen,
Hier war es etwas enger, doch es ging.
Doch seine Überlaufbahn ist zu Ende.
Es findet keine Wiederholung statt.
Herr Speiermann, es geht schon die Legende
Von einer Zeit, die keinen Hintern hat!
Zürich 1933
Der Kaiser Nero saß an voller Tafel,
Doch ohne Appetit und sorgenvoll.
Er klingelte nach seiner Leibschutzstaffel
Und sprach: „Ich weiß nicht, was das werden soll!
Gefährlich agitieren diese Christen.
Doch jetzt ist Schluss mit diesen Kommunisten!
In dieser Nacht wird Rom in Brand gesteckt.
Nun was versprecht ihr euch von dem Effekt?“
Da brüllten die Soldaten:
„Die woll’n wir lustig braten!
Wo ist der Kien? Wo ist Benzin?
Wir kriechen gleich durch den Kamin.
O triumphator saeculorum!
Um 9 Uhr 15 brennt das Forum!
Und morgen ist es jedem klar,
Dass das die Untermenschheit war.“
Um 9 Uhr 15, als das Forum brannte,
War Kaiser Nero schon am Ort der Tat.
Als ein Subjekt ihm in die Arme rannte.
„Was treibst du hier?“ – „Ich treibe Hochverrat!“
„Ach, du bist einer aus den Katakomben!
Du fabrizierst hier illegale Bomben!“
Und er rief an beim Römischen Kurier:
„Der Täter ist ein Christ. Den haben wir.“
Da liefen die Soldaten
Mit Fackeln und Plakaten:
„Ihr Römer, hört in Stadt und Land!
Die Christen steckten Rom in Brand!
Hebt eure Hand zum Schwur der Rache!
Jetzt heißt die Losung: Rom erwache!
Schon heute ist es jedem klar,
Dass das ein Werk der Christen war.“
Und Nero redigierte ein Gesetzblatt:
Das Christentum kommt hinter Stacheldraht!
Fünf Jahre Zuchthaus gibt’s für jedes Hetzblatt!
Wie funktionierte da der Apparat!
Damit sie keine Spuren hinterließen,
Ließ er sie meistens auf der Flucht erschießen,
Auch warf er sie den wilden Bestien vor.
Doch einmal drang ein Spottlied an sein Ohr.
Da sagten die Soldaten:
„Das Ding war schlecht beraten.
O Nero, das geht nicht gut aus,
Denn schließlich kommt es doch mal raus!
Trotz Schutzhaft und Zensurbehörden
Kann’s doch nicht mehr verheimlicht werden.
Man flüstert schon in jeder Bar:
Ob das nicht Nero selber war?“
Die Spatzen pfiffen es von allen Sträuchern.
Vieltausend Christen wurden arretiert.
Doch diese Bande war nicht auszuräuchern.
Ach, Nero hatte sich verspekuliert.
Denn selbst der Bürger roch die faule Sache.
Verstummt war die Parole: Rom erwache!
Das war erwacht, doch nicht wie er gedacht.
Und nächste Nacht ward Nero umgebracht.
Da sangen die Soldaten:
„Da haben wir nun den Braten!
Die ganze Welt hat’s festgestellt.
Wie sich die Sache hier verhält.
Die Christen gingen nicht zunichte.
Doch nun steht in der Weltgeschichte,
Dass Nero weiter gar nichts war,
Paris 1933
Früh sechs Uhr dreißig sollte die Hinrichtung sein.
Nachts um elf fing der Delinquent an zu schrein.
Der Arzt kam. Das sei ein Abszess, das wisse er schon,
Und er befürchte nun sehr eine Perforation.
Dann kam der Professor, sehr ernst und Kapazität.
Der sagte, hoffentlich sei es noch nicht zu spät.
Der Kranke schrie. Der Professor lächelte breit:
„Nur nicht den Kopf verlieren! Das hat ja noch Zeit.“
Der Herr Professor legte die Därme bloß.
Er meinte, der Fall wäre ziemlich hoffnungslos.
Doch würde es ihm mit seinem Verfahren gelingen,
Den Delinquenten wieder auf die Beine zu bringen.
Nach einigen Tagen fragte der Staatsanwalt an,
Wann er den Mann nun endlich bekommen kann.
Der Professor schrieb, er gäbe nicht eher zum Klotze
Den Mann, bevor er nicht vor Gesundheit strotze.
Der Patient blühte auf, gedieh und bildete Fett.
Der Professor kam mehrere Male täglich ans Bett,
Freute sich über des Mannes gesunde Farbe,
Über sein Werk und die prächtig verheilte Narbe.
Da sagte der Mann: „Ich bin nur ein armer Tropf.
Doch will es mir nicht – ich hab ihn ja noch – in den Kopf:
Sie haben mit Kunst hier etwas zusammengebaut,
Damit es die andere Fakultät mit dem Hackbeil zerhaut.“
Da sprach der Professor mit ziemlich entrüstetem Ton:
„Wir leben in einer zivilisierten Nation!
Wie hätte sich das mit der Humanität vertragen,
Ihnen so kurz vor dem Tode den Kopf abzuschlagen!“
Drei Tage später dachte der Kopf nicht mehr;
Denn ein abgehackter Kopf ist gedankenleer.
Der Professor bekam den Kadaver zur weitren Zerteilung,
Und demonstrierte den Hörern das Wunder der Heilung.
„Wahrscheinlich“, dozierte er, „war bei dieser Person
Der Mordtrieb nur Folge verdorbener Sekretion.
Denn nach dem Eingriff und meiner Spezialbehandlung
Erwies sich auch eine totale psychische Wandlung.“
Einer der Hörer bemerkte so nebenbei,
Dass man eben zu spät an die Heilung gegangen sei.
Wäre er ein paar Jahre früher behandelt worden,
Dann hätten er und der Staat nicht brauchen zu morden.
Der Professor meinte, es wäre natürlich bequem,
Mit einem materialistischen Theorem
An das Mystisch-Schicksalhafte heranzugehen:
Übrigens kenne er den Ursprung solcher Ideen.
Er fragte lächelnd, der Herr Studiosus sei
Wohl auch ein Prophet der Humanilätsduselei.
Da lachte der ganze Hörsaal; es dröhnten die Wände.
Und hiermit wäre wohl auch die Ballade zu Ende!
Paris 1933
„Der Scharfrichter wirkt bei der Ausübung desjenigen Hoheitsaktes des Staates hervorragend mit, der nach außen hin den nachhaltigsten Eindruck macht. Der Scharfrichter soll durch die Geldleistungen des Staates in einer Weise abgegolten werden, die eine würdige Vergütung für höchstpersönliche Dienste darstellt, damit er das Bewusstsein hat, dass seine Tätigkeit entsprechend anerkannt wird, und damit auch die Öffentlichkeit seine Sonder- und Vertrauensstellung im Staate als solche erkennt.“
Beschluss des Landgerichts Magdeburg vom 27. November 1933, 6. T. 399/33
Es war bis dato so gewesen,
Dass man mit diesem düstren Wesen
Nicht gerne in Berührung kam,
Das seinem Mitmensch gegen ein paar Spesen
Den Kopf abnahm.
Es rissen vor ihm aus die Kinder.
Und selbst der ausgespienste Sünder,
Der nur auf Mord und Totschlag sann,
War gegen diesen inferioren Schinder
Ein Ehrenmann.
Den Standpunkt scheint man jetzt begraben
Und gründlich revidiert zu haben
Im Geist des neuen Hermannslands;
Denn dort verleiht man jetzt dem saubren Knaben
Repräsentanz.
Dort haut man kräftig in die Seile
Die liberalen Vorurteile;
Dort wird das öffentliche Wohl
Vertreten von dem Blockwart mit dem Beile,
Als Staatssymbol.
Was pazifistische Verzüchtung
Verwarf als schmutzige Verrichtung
Und überlebten Hoheitsakt,
Wird jetzt, in kultisch-mystischer Belichtung
Zum Hoheitsakt.
Dass bei den Herrn an höchster Stelle
Der heldgewordne Schächtgeselle
In ganz besondrer Achtung steht,
Erklärt sich wollt durch eine ideelle
Affinität.
Ob’s Herrn Enthauptmann, ruhmgebrüstet,
Nicht noch nach Führerschaft gelüstet?
Warum nicht? Bei der Prominenz!