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Die Jagd nach einem Vermissten durch Afrika führt zum wirklich Bösen
In einer luxuriösen privaten Safari-Lodge im Krüger-Nationalpark erlebt Detective Sergeant Tom Furey den schlimmsten Albtraum eines Bodyguards: Robert Greeves, der ihm anvertraute VIP, der stellvertretende britische Verteidigungsminister, ist verschwunden.
Furey weiss, dass seine Karriere auf dem Spiel steht, trotzdem schwört er, nicht aufzugeben, bis Greeves gefunden ist - tot oder lebendig. Er und seine südafrikanische Kollegin, Inspektorin Sannie van Rensburg, widersetzen sich den offiziellen Anweisungen. Sie machen sich über die Grenzen des Nationalparks und bis zu den Küstengewässern von Mosambik auf die Jagd nach einer mutmasslichen Terroristenbande. Sannie fühlt sich zunehmend zu Tom hingezogen und lässt sich mehr und mehr in seine gefährliche Mission hineinziehen. Um ihm zu helfen, riskiert sie sogar ihren Job.
Tom und Sannie wird bewusst, dass ihre Feinde genauso tödlich und schwierig zu fassen sind, wie die lautlosen Jäger des afrikanischen Buschs. Die Erkenntnis, dass es um ein Verbrechen geht, das die schlimmsten menschlichen Vorstellungen übersteigt, und der Moment, in dem sowohl ihr Leben wie auch das ihrer Liebsten in Gefahr gerät, zwingen sie, einen Kampf auf Leben und Tod auszufechten.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Epilog
Danksagung
Bücher von Tony Park
Über den Autor
Für Nicola
Tom Furey stöhnte.
Jeder Herzschlag hämmerte in seinem Kopf, als versuche sein Gehirn, den Schädelknochen zu durchbrechen. Seine Zunge war geschwollen und so trocken, dass sein erster Gedanke war, er ersticke. Schliesslich wurde er sich eines hellen Lichts bewusst, das auf seine geschlossenen Augenlider schien. Er öffnete die Augen und blinzelte, doch selbst diese kleine Bewegung entlockte ihm ein erneutes Stöhnen.
Er hörte eine Art mechanisches Geräusch neben sich, wie ein Motor mit einem defekten Auspuff. Schnarchen. Unter weiterem Schmerz drehte er den Kopf – und sah die auf dem Rücken liegende Frau. Sie schlief mit offenem Mund, ihre nackten Brüste hoben und senkten sich und das Laken lag als Wirrwarr über ihren Unterschenkeln. Sie war genauso nackt wie er und der Tag bereits hell.
»Scheisse!«
Er tastete nach seiner Uhr und seinem Mobiltelefon auf dem Nachttisch. Es war sechs Uhr morgens und durch die Glasschiebetüren strömte helles afrikanisches Sonnenlicht herein. »Scheisse!«, sagte er wieder laut. Er ignorierte den Schmerz hinter seinen Augen, schwang sich aus dem Doppelbett und kämpfte sich durch das von der Decke bis zum Boden reichende Moskitonetz. Er zog, auf einem Bein hüpfend, seine Shorts an, schnappte sich das Mobiltelefon und kontrollierte den Wecker. Er hatte nicht geklingelt, war aber auch gar nicht gestellt gewesen.
Tom schnallte seinen Gürtel um und steckte seine Neun-Millimeter-Glock 17 ins Holster über seiner rechten Hüfte. Er befestigte seine Uhr am Handgelenk und überprüfte noch einmal die Zeit. Zwei Minuten nach sechs. »Scheisse.«
Auf seiner linken Seite wurde das Gewicht seiner Pistole durch einen ausziehbaren Schlagstock, ein Reservemagazin mit Munition und eine Taschenlampe ausgeglichen, die alle in schwarzen Ledertaschen steckten. Die zwei zusätzlichen Ersatzmagazine stopfte er zusammen mit seinem Taschenmesser in seine Hosentasche. Trotz der Eile hätte er sich nackt gefühlt, wenn er den Raum ohne seine persönliche Ausrüstung verlassen hätte.
Er zog ein blaues Hemd an, liess es hängen, so dass es die Ausrüstung bedeckte und zwang seine Füsse schliesslich ohne Socken in Turnschuhe. Gott sei Dank stand lockere Kleidung auf der Tagesordnung.
Er schüttelte wütend den Kopf über die schlafende Frau, stürmte aus der Tür und über den Steg aus erhöhten, dunkel gebeizten Holzstämmen, der sich durch das dichte Dornengestrüpp hinter und zwischen den einzelnen Luxus-Häuser der Safari-Lodge schlängelte. Er hielt an und klopfte an die Tür des Häuschens neben seinem. »Bernard?«, rief er. Keine Antwort. Natürlich erhielt er verdammt noch mal keine Antwort. Der Berater war früher bei der Royal Navy und kam bestimmt nicht zu spät zum Dienst. Tom rannte weiter.
Obwohl die Morgenluft noch kühl war, brannte die Sonne schon heiss auf sein Gesicht, als er auf den Sabie-Fluss hinausschaute, dessen Granitfelsen in der Morgendämmerung rosa leuchteten. Ein Nilpferd grunzte und verspottete ihn mit seinem Lachen tief aus dem Bauch, als er endlich die Terrasse erreichte.
Um zu Atem zu kommen und wieder ein gewisses Mass an Würde zu erlangen, verlangsamte er seinen Schritt, bevor er den prächtigen Empfangsbereich betrat. Unter den hohen Balken des strohgedeckten Dachs standen auf einem langen Tisch frühmorgendlicher Tee und Kaffee, Zwieback und Obst bereit.
»Was ist los? Sie sind spät dran.« Inspektorin Sannie Van Rensburg sah auf die Uhr und runzelte die Stirn.
Der südafrikanische Minister sprach, eine leere Kaffeetasse in der Hand, mit einem Assistenten. Er sah Tom an und dann hinter ihm auf den Gang.
Tom zog die Inspektorin leicht mit einer Hand an ihrem Ellbogen zur Seite. Sie wich seiner Berührung aus. »Wo ist Greeves?«, flüsterte er.
»Das möchten wir auch gern wissen. Sie kommen zu spät und er ist auch nicht aufgetaucht. Und sein politischer Berater genauso wenig.«
Er sah nackte Missbilligung auf ihrem Gesicht, sowohl über sein Auftreten wie auch seine Verspätung. Sie schien zu ahnen, was in der Nacht geschehen war. Doch er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, was sie von ihm dachte. Er musste mit England telefonieren. »Ich gehe nachschauen.«
»Das habe ich bereits getan«, erwiderte sie. »Ich erhielt keine Antwort.«
»Warum sind Sie nicht zu mir gekommen?«, fragte er.
»Ach, ich bin für meinen eigenen Mann verantwortlich und kann nicht auch noch Ihnen hinterherlaufen, Tom.« Ihr Afrikaans-Akzent, den er anfangs als reizvoll exotisch empfunden hatte, schmerzte in seinen Ohren. Er schritt den Gang zurück und zur Suite des britischen Ministers für die Beschaffung von Verteidigungsmitteln. Tom betete, dass er Recht hatte und der ehrenwerte Robert Greeves sich verspätet hatte, weil er in einer dringenden Staatsangelegenheit mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten, dem Verteidigungsminister, oder einem hochrangigen Bürokraten telefonierte und deshalb nicht an die Tür gegangen war.
Er fühlte sich körperlich krank, wusste aber nicht, warum. Er hatte am Abend nur ein einziges Bier getrunken. Er erreichte das dritte Haus und holte tief Luft, um das Schwindelgefühl zu unterdrücken und sich zu beruhigen, bevor er klopfte. Keine Antwort.
»Sir? Ich bin's, Tom«, rief er.
Er wartete genau eine Minute, dann klopfte er erneut. Nichts. Er zückte sein Handy und wählte die Privatnummer des Ministers. Sie war nur für Notfälle bestimmt, aber Tom spürte, wie sein Pulsschlag sich beschleunigte. Der Anruf ging direkt auf die Sprachbox. Er versuchte es auf dem Handy des Politikberaters. Es klingelte, dann hörte er Bernard Joyces kultivierte Stimme in der automatischen Antwort.
Tom ging weiter zu Bernards Suite und klopfte dort an die Tür, obwohl er es schon einmal versucht hatte. »Bernard?« Wieder nichts. Er klopfte noch fester. »Bernard!«
Er rannte die Terrasse hinunter zu seiner eigenen Unterkunft, öffnete die Tür, ging hinein und rief von dort in Greeves' Suite an. Während er wartete, sah er durch den Schleier des Moskitonetzes, dass die Frau immer noch auf dem Bett lag. Falls sie wach war, verbarg sie es. Er verfluchte sich selbst – seine Schwäche. Das Festnetztelefon klingelte, aber niemand hob ab. »Scheisse«, sagte er. »Bleib cool.« Keine Antwort in Bernards Suite, aber sie sprachen gewöhnlich nicht über das Zimmertelefon.
Tom ging zur Rezeption zurück. Er ignorierte den fragenden Blick der südafrikanischen Polizistin und ging zum diensthabenden Manager der Lodge, einem jungen Weissen namens Piet. »Ich brauche den Schlüssel zu Greeves' Suite.«
»Aber, Tom, Mann, das ist gegen allen Bestimmungen, das können wir nicht einfach …«
»Sofort!«. Diesmal gehorchte der Mann ohne Widerrede.
Tom zwang sich, den südafrikanischen Verteidigungsminister Patrick Dule, dem es schwerfiel, seine Ungeduld zu verbergen, anzulächeln. Greeves war nicht der Typ, der mit Bernard einen spontanen Morgenspaziergang unternahm. Tom hatte in kürzester Zeit die Erfahrung gemacht, dass er sich an einen Zeitplan hielt und wehe dem, der auch nur eine Minute zu spät kam.
Tom lief zu Greeves' Haus zurück. Instinktiv hob er sein Polohemd an, so dass der Griff seiner Glock frei lag und leichter zu ziehen war. »Mister Greeves, Sir?«, rief er erneut.
Er hörte Schritte und drehte sich um. Es war Sannie, die ihren eigenen Nachschlüssel hochhielt. Sehr geschickt, dachte er, ohne sich zu freuen. »Gehen Sie zu Nummer vier – der Suite von Bernard Joyce. Dort gab auch niemand Antwort. Öffnen Sie und gehen Sie hinein.«
Sie nickte. Für Diskussionen war keine Zeit.
Er öffnete das luxuriöse Haus des Ministers, das mit seiner Ausstattung und Opulenz im Safari-Chic identisch war wie sein eigenes. Er entdeckte die Zeichen sofort: Eine Ständerlampe war umgestürzt, die Laken zerwühlt, das Moskitonetz lag als Gewirr auf dem Boden und auf der offenen Schiebetür prangte ein blutiger Handabdruck. Er zog seine Pistole. Auf dem Schreibtisch lag ein aufgeklappter, aber nach unten gedrehter Laptop. Greeves' Brieftasche und sein ausgeschaltetes Handy lagen auf dem Nachttisch.
Tom ging schnell durch den Rest der Suite und überprüfte das Badezimmer und die Toilette. Ausser seinen Toilettenartikeln und einigen Kleidungsstücken im Badezimmer gab es keine Spur des Mannes. Er ging wieder nach draussen und sah Sannie, die den Weg zu ihm hin gelaufen kam.
»Joyce ist weg «, keuchte sie. »Es gibt Anzeichen für einen Kampf, aber es sieht nicht aus, als wäre er von einem Tier angegriffen worden.«
Tom schüttelte den Kopf. »Greeves ist auch weg. Die Brieftasche mit Bargeld und das Handy liegen neben dem Bett, also waren sie nicht auf Geld aus.«
»Oh, lieber Gott«, sagte sie, und es klang eher wie ein Gebet als eine Lästerung.
Und Tom Furey brauchte jede Fürbitte, denn er war gerade im schlimmsten Alptraum erwacht, den es für einen Personenschützer geben konnte.
»Ich muss mal pissen.«
Tom lächelte, obwohl es hinten im Transporter zu dunkel war, um das Gesicht des jungen Wachtmeisters zu erkennen. Er seufzte und flüsterte: »Du hättest bevor wir losfuhren gehen sollen.« Er hatte darauf gewartet – so wie der Junge seit einer Stunde herumzappelte.
»Ja, Papa.«
»Hey, Harry, schau hin!«, sagte Tom, der das Haus mit der Nummer vierzehn im Auge behielt und durch das Guckloch in der Seitenwand des Wagens dorthin starrte. Im vorderen Zimmer des unscheinbaren, mit Backsteinen verkleideten Doppelhauses in der ruhigen Enfield-Strasse brannte immer noch Licht. Er fragte sich, ob die Nachbarn eine Ahnung davon hatten, was hinter der grünen Tür vor sich ging. Er schätzte, dass hier hauptsächlich Pendler mit sicheren Jobs wohnten. Büroangestellte der mittleren Ebene, Sekretärinnen oder Handwerker – Leute, die einen Anfall bekämen, wenn sie wüssten, dass sie in derselben Strasse wie eine Bande von Menschenschmugglern wohnten. Aber irgendjemandem musste etwas aufgefallen sein, sonst wären sie nicht hier. Nach den Selbstmordattentaten in der U-Bahn und den Bussen waren die Londoner aus ihrer Apathie erwacht und gelegentlich zahlte sich das Spionieren von hinter den Vorhängen aus.
»Verdammt, Tom, es stimmt. Du bist alt genug, um mein Vater zu sein.«
»Vielleicht bin ich es. Ich war in den achtziger Jahren in Uniform in Islington. War deine Mutter jemals auf einem Bryan Ferry Konzert?«
»Jetzt machst du mich krank.«
Auf der anderen Seite des engen Raums blickte Steve, der zivile Informatikexperte, über den Rand seiner Zeitschrift. Im Gegensatz zu Harry blieb Steve bei einer Operation ruhig.
Tom Furey sass auf einem ausklappbaren Campinghocker aus Segeltuch und Metallrohr, den er zusammen mit einer Thermoskanne mit Tee, einem Schlafsack, Sandwiches, einem Kreuzworträtsel der Times und einem Taschenbuch mitgebracht hatte. Er deutete auf den letzten Gegenstand, den er mitgebracht hatte. »Was glaubst du, wofür das leere Erdnussglas in der Ecke ist? Oder dachtest du vielleicht, hier gäbe es eine chemische Toilette?« Tom schüttelte den Kopf, aber sein Blick blieb auf die Eingangstür von Nummer vierzehn gerichtet.
»Nichts ist so, wie ich es erwartet habe«, sagte Harry. »Es ist auch überhaupt nicht wie im Fernsehen, oder? Keine elektronische Überwachung, keine Reihe von Bildschirmen und keine Infrarot-Nachtsicht-Überwachungskamera. Und am allerwenigsten eine verdammte chemische Toilette. Nur ein schäbiger alter mit Schaumstoff und Sperrholz ausgekleideter Lieferwagen mit einem Guckloch. Gott bewahre uns, wenn das die Frontlinie im Hightech-Krieg gegen den Terrorismus ist. Und ich muss immer noch pissen.«
»Als ich 92 in Kilburn bei einer Überwachungsaktion in einem IRA-Unterschlupf mein Pissglas mit einem Kerl teilte, habe ich mir eine Blasenentzündung zugezogen und diesen Fehler mache ich nicht noch einmal. Es fühlte sich an, als würde ich Rasierklingen pissen.«
»Oh je ... die IRA. Erzähl, was du sonst noch so gemacht hast im Krieg, Dad.«
Die Mitglieder der alten Metropolitan Police Spezialeinheit – auch als SO12 bekannt – verfügten über ein breites Spektrum an Fähigkeiten, die im neuen Kampf gegen den Terrorismus gefragt waren. Sie sassen im Überwachungsfahrzeug, weil es hiess, die Zielpersonen in Haus Nummer vierzehn – pakistanische Herren – hätten möglicherweise Verbindungen zu Al-Qaida und unter ihren Kunden befänden sich neben Prostituierten und illegalen Arbeitern auch ein oder zwei Bombenbauer.
Tom war vor einundzwanzig Jahren, im Alter von zweiundzwanzig Jahren, zur Met gekommen. Nach seiner sechzehnwöchigen Ausbildung in Hendon hatte er seinen Abschluss als Polizist gemacht und seine Bewährungszeit in Brixton verbracht. Drei Jahre später, als die Bombenangriffe der IRA auf dem Festland in vollem Gange waren, bewarb er sich für die Spezialeinheit. Nachdem eine Bombe einen Armee-Anwerber vor seinem Laden in zwei Teile zerfetzt hatte, war Tom als Erster vor Ort. Das dort Erlebte bewog Tom dazu, dies als nächsten Schritt in seiner Karriere anzustreben. Er bestand die Aufnahmeprüfung und kehrte für eine elfwöchige Ausbildung zum Kriminalbeamten nach Hendon zurück. Er verbrachte sowohl einige Zeit als Detektiv im irischen Dezernat, wie auch bei der Überwachung. Er arbeitete verdeckt, oft in den übelriechenden Lumpen eines Landstreichers auf den kalten Strassen Londons, versteckte sich in verlassenen Gebäuden und kalten, dunklen Lieferwagen, wobei er seine Beobachtungsgabe schärfte und Geduld lernte.
»Bitte, gib mir das Erdnussglas«, sagte Harry.
»Sei still.«
Nach der bestandenen Prüfung zum Unteroffizier war Tom nur widerwillig zum Dienst in Uniform zurückgekehrt, die die Beförderung als Verpflichtung mit sich brachte. In seinem neuen Rang verbrachte er einige Zeit in Enfield – was ein weiterer Grund war, warum er sich wieder auf den Strassen der Stadt aufhielt. Er kannte die Gegend besser als die meisten anderen, die an dieser eilig zusammengeschusterten Operation beteiligt waren.
Schliesslich kehrte er zum Special Branch zurück, wo er seiner Meinung nach hingehörte und seine Karriere zu Ende zu bringen gedachte. Er absolvierte die Schusswaffenausbildung und liess sich zum Personenschützer ausbilden. Wie jeder andere in diesem Job, sträubte er sich gegen die Bezeichnung ›Leibwächter‹, obwohl ihn jeder Zivilist oder, noch schlimmer, jeder Zeitungsreporter als genau das bezeichnet hätte.
Die Spezialeinheit hatte unzählige Siege gegen die Iren errungen, aber es gab einige öffentlichkeitswirksame Fälle von angeblicher übertriebener Härte – darunter einen, der gefilmt wurde. Dies veranlasste die Politiker dazu, die Spezialeinheit zu zügeln und ihr Image aufzubessern. Nach dem 11. September und den Bombenanschlägen vom 7. Juli 2005 in London wurde bei Umstrukturierungen eine neue Einheit für die Terrorismusbekämpfung geschaffen. Gleichzeitig beseitigte man die Grundlage, die es den Ermittlern ermöglichte, unkompliziert von einer Einheit zur anderen zu wechseln und dort neue Fähigkeiten zu entwickeln und zu üben, obwohl sie unter demselben Kommando blieben.
Bei der letzten Umstrukturierung wurde der Spezialschutz – Toms Spezialgebiet – ausgegliedert und unter dem Dach der Spezialorganisationen in einer neuen Einheit weitergeführt, womit die polizeiliche Terrorismusbekämpfung von SO15 übernommen wurde.
Tom Furey hatte eine Vielzahl von Politikern beschützt, etwa einen ehemaligen Premierminister, einige europäische Monarchen, afrikanische Diktatoren und den einen oder anderen arabischen Prinzen. Die britischen Polizisten bewachten Würdenträger, die sich als offizielle Gäste im Vereinigten Königreich auf Besuch aufhielten. Tom hatte in diesen Tagen keinen ›eigenen Schützling‹ zu bewachen und stand auf der Liste von Schutzbeamten, die darauf warteten, von der Kugel getroffen zu werden, die eigentlich einem ausländischen VIP galt. Er mochte seine Arbeit, bei der er interessante Leute traf und gelegentlich ins Ausland reisen konnte. Aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er zugeben, dass es nicht eine hochherzige Berufung war, die ihn in diesem Job hielt, sondern schlicht und einfach das Geld. Mit Schichtzulagen verdiente er das Zwei- bis Dreifache dessen, was er als Detektiv in anderen Bereichen der Met, der London Metropolitan Police, verdient hätte. Der Nachteil war, dass Scheidungen in seiner Branche üblich waren. Weil Alex und er während ihrer gesamten Ehe ihre Arbeitszeiten nicht aufeinander abzustimmen versuchten, waren sie gut damit zurechtgekommen. Sie hatten es mit einigen wunderbar luxuriösen Überseeurlauben kompensiert, die sie sich mit ihren beiden ziemlich guten Gehältern leisten konnten.
Gelegentlich, wenn die SO15 – wie jetzt – überlastet war, wurde Tom gebeten, bei der Überwachung oder anderen Spezialaufgaben zu helfen, die eigentlich nicht in den Aufgabenbereich eines Schutzbeamten fallen. In letzter Zeit hatte sich die Bedrohungslage für Grossbritannien aufgrund der verstärkten Truppenpräsenz in Afghanistan verschärft und die Ressourcen waren knapp.
Harry war auch ein Schutzbeamter, doch anders als in der alten Struktur der Spezialeinheit, brachte er weder Erfahrung in der Überwachung mit, noch war er ein qualifizierter Detektiv. Er steckte erst seit sechs Monaten nicht mehr in Uniform. Das war ein Zeichen der Zeit.
»Erwartest du, dass ich mir in die Hose mache, Tom?«
»Halt die Klappe«, zischte Tom Harry zu. Dann sprach er leise, aber langsam und deutlich in sein Funkgerät: »An alle, zwei Ziele in Bewegung. Sie gehen nach links, in Richtung Hauptstrasse. Normale Kleidung. Ich habe sie im Blick. Vier-zwei, sie kommen in deine Richtung, over.« Tom wiederholte die Bewegungsrichtung, damit die anderen, die in der Gegend am Funk mithörten – eine Mischung aus Angehörigen der Polizei und MI5-Geheimdienstmitarbeitern – sicher sein konnten, wohin die beiden jungen pakistanischen Männer unterwegs waren. Vier-zwei war der Codename für einen verdeckten Polizisten auf einem Motorrad – in diesem Fall Detektiv Wachtmeister Paul Davis – der sich gerade am Ende der vorstädtischen Seitenstrasse befand, wo diese auf die Enfield Road traf.
Harry war jetzt still und Tom konnte den plötzlichen Adrenalinschub in der feuchten Enge des Überwachungswagens fast riechen.
Dreihundert Meter weiter, am Ende der Strasse, bei der Ecke mit einer Kneipe, befand sich ein Kebab-Laden. Die beiden Zielpersonen gingen jeden Abend zwischen 19.30 und 20.00 Uhr zu diesem Lokal, kauften ihr Abendessen und setzten sich in den gepolsterten Sitznischen an die mit Laminat überzogenen Tische. Gemäss den Angaben der anderen Beobachter dauerte die Mahlzeit mit Kebab, Cola, Tee und Zigaretten gewöhnlich zwei Stunden.
Tom sprach wieder ins Handfunkgerät. »Vier-zwei, ich habe den Augapfel verloren, haben Sie ihn?«
»Verstanden. Sie sind auf dem Weg zum Laden und zum Abendessen, over«, sagte Paul.
Tom funkte den Polizisten an, der den Lieferwagen auf das Grundstück – den Ort, wo die Operation stattfand – gefahren hatte und wies ihn an, zu kommen und sie abzuholen. Der Beamte, der mit einem älteren Ehepaar, das zehn Häuser weiter wohnte, ferngesehen und zahlreiche Tassen Tee getrunken hatte, schlenderte schliesslich die Strasse hinauf. Er trug die blaue Latzhose eines Handwerkers und hatte eine Werkzeugtasche dabei. Ohne die anderen im Fond zu beachten, kletterte er in den Lieferwagen, startete den Motor und fuhr um eine Kurve, von der Hauptstrasse weg und ausser Sichtweite von Hausnummer vierzehn.
»Gut, gehen wir«, sagte Tom, als der Fahrer den Motor abstellte.
Die Hintertür des Lieferwagens schwang auf und Tom, Steve und Harry, der seine platzende Blase vergessen zu haben schien, kletterten heraus.
»Nicht so schnell«, sagte Tom. Er sah die menschenleere Strasse auf und ab.
Tom trug Jeans, einen dicken schwarzen Rollkragenpullover und darüber eine Jacke. Es war ein kühler Novemberabend, aber die Jacke diente vor allem dazu, seine Waffe zu verbergen. Auch er hatte eine Werkzeugtasche bei sich, die allerdings, genau wie die des Fahrers, eher zur Schau diente. Sein Handwerkszeug für diesen Job – ein Satz Dietriche – befand sich in seiner Tasche.
Tom führte seine Männer zurück auf die Strasse und dann über einen Seitenweg zur Hintertür des Fahrzeugs. Innerhalb von drei Minuten waren sie wieder drinnen. Er brauchte den beiden anderen nicht zu sagen, dass sie schnell oder leise sein sollten, erinnerte Harry aber daran: »Du bleibst hier und passt hinten auf. Ich gehe mit unserem Freund.«
Das Haus roch muffig und vernachlässigt. Er kontrollierte die Küche. Teebeutel und ein Wasserkocher, keine Teller in der Spüle und keinerlei Anzeichen, dass hier gekocht wurde. Diese Jungs assen jeden Abend auswärts und diese Gewohnheit würde ihnen zum Verhängnis werden. Mit mehr Leuten und mehr Ressourcen hätten sie das Haus gründlich durchsuchen können, aber heute Abend hatten sie den IT-Experten dabei, für dessen Schutz Tom verantwortlich war, was bedeutete, dass der Computer oberste Priorität hatte.
Er stellte sich im vorderen Zimmer auf und spähte durch einen Spalt in den Vorhängen auf die Strasse, um jegliche auffällige Aktivität zu entdecken.
Der Computer befand sich ebenfalls im vorderen Zimmer, auf einem billigen Schreibtisch. Neben dem Rechner und dem gebrauchten Bürostuhl, in dem Steve sass, standen eine schäbige Samtcouch und ein unpassender Sessel.
Tom warf einen Blick über die Schulter und sah Steves pickeliges junges Gesicht, das in blaues Licht getaucht wurde, als er den Computer hochfuhr. Seine mit Latexhandschuhen umschlossenen Finger tippten eifrig auf der Tastatur herum. Tom hörte einen Hund bellen und in seinem Nacken sträubten sich die Haare. »Alles in Ordnung da hinten?«, funkte er Harry an.
»Ich weiss es nicht. Irgendetwas hat den Hund im Hof hinter uns aufgeschreckt. Soll ich mal nachsehen?«
»Nein, bleib, wo du bist, aber halt Wache.«
»Scheisse!«, sagte Steve. »Das musst du dir anschauen!«
»Was ist es?« fragte Tom, den Blick immer noch auf die Strasse gerichtet.
»Porno!«
Tom schüttelte den Kopf. »Verdammt. Mach einfach weiter, ja? Du weisst ja, worauf wir aus sind – E-Mails, Namen, Nachrichtenverkehr. Ich muss dir ja wohl nicht sagen, was dein Job ist.«
»Nein, aber du solltest es dir trotzdem ansehen. Das ist echt kranker Scheiss, Mann.«
Tom wollte gerade etwas sagen, als ihm die Stimme von Paul Davis ins Ohr zischte. »Hier ist Vier-Zwei. Die Zielpersonen kehren um. Sie sind in den Laden hineingegangen und gleich wieder herausgekommen. Es scheint, als wäre ein Streit im Gang. Einer von ihnen durchsucht seine Jacke und es sieht aus, als hätte er seine Brieftasche vergessen. Ich wiederhole, sie kehren um.«
»Scheisse«, sagte Tom. Er sah zu Steve hinüber, der starr in den Bildschirm schaute. Tom bemerkte zum ersten Mal die schwarze Ledergeldbörse auf dem Computertisch.
»Schalt ihn aus, wir müssen gehen!«
»Aber das ist Gold!«
»Lass die verdammten Pornos in Ruhe und fahr ihn runter. Sie sind auf dem Rückweg, also verziehen wir uns.«
»Auf keinen Fall, Mann, das können wir nicht einfach hierlassen. Ich nehme es mit. Das ist mehr als nur Porno.«
Tom schüttelte den Kopf. Das Ganze entwickelte sich zu einem monumentalen Schlamassel. »Du weisst so gut wie ich, dass wir den Computer nicht einfach klauen können. Kannst du das, was immer es ist, nicht auf einer Diskette oder so speichern?«
Steve kramte in der Tasche seines Mantels und fischte einen USB-Stick heraus.
»Bewegung!« Tom hörte das Wort in seinem Kopfhörer und zog mit geübter Leichtigkeit die Glock aus dem Holster. Er bewahrte in der rechten Jackentasche ein Reservemagazin auf und das zusätzliche Gewicht half beim Griff nach der Pistole, das Rückenteil der Jacke aus dem Weg zu schwingen.
»Was ist los?«
»Ich dachte, den Kopf eines Mannes zu sehen, der auf der anderen Seite des Zauns von Nummer zwölf entlanglief«, antwortete Harry.
»Die Ziele sind auf dem Rückweg. Behalt sie im Auge und haltet euch bereit.«
»Scheisse.« Harry zog seine Waffe.
Ein Hund bellte und Tom nahm im peripheren Blickfeld wahr, dass in den Nachbarhäusern das Licht eingeschaltet wurde. Vom Haus nebenan hörte man hinter der Wand ein Baby schreien. Das war eine gute Mahnung daran, dass es überall um sie herum unschuldige Zivilisten gab.
»Wir gehen.« Tom streckte die Hand aus und packte Steve am Kragen seines Mantels, aber der IT-Experte schlug seine Hand mit unerwarteter Kraft weg. »Lass mich in Ruhe, Furey! Das ist verdammt wichtig.«
»Scheisse, da bewegt sich definitiv jemand auf der anderen Seite des hinteren Zauns«, flüsterte Harry und Tom konnte seine Stimme im Kopfhörer kaum hören. »Ich sehe ihn durch die Zaunpfähle. Was soll ich tun?«
»Geh jetzt sofort durch die Vordertür hinaus. Keine Widerrede!«, befahl Tom dem Mann hinter dem Computer, dann wiederholte er die Anweisungen für Harry.
»Ich brauche nur zwei Minuten«, bettelte Steve.
Tom fluchte. Er schaute aus dem Fenster, die Strasse hinunter und sah die beiden Zielpersonen in hundert Metern Entfernung auf sie zukommen.
Harry kam durch die Hintertür herein. »Ich habe den Kerl aus den Augen verloren.«
»Sag mir, dass es das wert ist, die ganze Operation zu gefährden«, sagte Tom zu Steve.
Steves sonnenentwöhntes Gesicht sah im Licht der Beleuchtung geisterhaft aus, als er zu ihm aufblickte. Der Computermann schluckte und Tom beobachtete, wie sein übermässig grosser Adamsapfel wippte. »Ja.«
Tom öffnete die Haustür und trat auf den Bürgersteig, wo er seine Glock hob und die Schusshand mit der linken Hand abstützte. » Polizei, wir sind bewaffnet! Auf den Boden runter, sofort!« Harry stand neben ihm und ahmte seine Haltung nach.
Der Mann auf der rechten Seite griff in die Tasche seiner Lackbomberjacke und Tom drückte den Abzug. Doch schon bevor er den Abzug ganz durchdrücken konnte, fiel der Mann zu Boden, als würde er von einem unsichtbaren Vorschlaghammer zur Seite geschleudert. Es war kein Knall zu hören, also konnte es nicht ein Schuss Harrys sein, der ihn umfallen liess. Es musste ein Schalldämpfer sein.
Tom drehte sich um und registrierte einen dunklen Schatten, der sich um die Hausecke bewegte. Der fallende Mann hatte keine Waffe, sondern einen Schlüsselbund aus seiner Tasche gezogen. Tom sah, dass er eine kleine schwarze Plastikfernbedienung, wie man sie zum Aktivieren einer Autoalarmanlage verwendet, in der Hand hielt. Er vermutete, dass er während er stürzte den Knopf drückte. Bevor er auf dem Boden aufschlug, fiel auch sein Begleiter um. Tom sank auf ein Knie und sah nach links. Er registrierte einen schwarz gekleideten Mann, der eine Pistole in der Hand hielt und wegrannte. Harry folgte dem Flüchtigen und öffnete den Mund, um ihm etwas zuzurufen.
Bevor einer von ihnen dem Fremden befehlen konnte, stehenzubleiben, explodierte das Haus.
Nachdem das Feuer gelöscht war, fand ein Feuerwehrmann die Leiche von Steve. Harry sass mit den Füssen in der Gosse und dem Kopf in den Händen am Boden. In seiner Nähe roch es nach frischem Erbrochenem.
Tom lehnte sich, die Hände um einen Styroporbecher mit Tee geschlungen, gegen die Motorhaube eines Polizeifahrzeugs. Die Anwohner hatten ihre Fernsehgeräte längst abgeschaltet – einige von ihnen waren jetzt sogar selbst im Fernsehen zu sehen. Sie waren Futter für die Reporter, die auf der Suche nach dem Nachbarn, der die Feuersbrunst in allen Einzelheiten beschreiben konnte, von einem zum andern zogen. Er betastete sanft die Wunde über seinem linken Auge. Eine Glasscherbe, die aus dem Fenster von Hausnummer vierzehn geschleudert worden war, hatte eine Furche parallel zu seiner Augenbraue geschnitten, aber die Sanitäter hatten die Wunde mit selbstklebenden Wundstreifen verschliessen können. Trotz des verkrusteten Blutes auf seiner Wange ging es ihm gut.
»Von unserem Computergenie ist nicht mehr viel übrig«, sagte Hauptkommissar David Shuttleworth, dessen Atem, als er hinüberging, in Form einer Wolke sichtbar wurde. »Es sieht aus, als wäre die Bombe irgendwo in der Mitte des Vorderzimmers platziert gewesen – vielleicht sogar unter dem Computertisch selbst.«
»Ich weiss nicht, was ausser ein paar Pornos auf diesem Gerät war. Aber er ist dafür gestorben.«
»Aye, nun, das können wir jetzt nicht mehr herausfinden«, sagte Shuttleworth. Er fischte ein Päckchen Dunhill aus seiner Barbour-Jacke und bot Tom eine Zigarette an.
Tom schüttelte den Kopf. »Ich habe wieder einmal aufgehört.«
»Wie du willst.« Shuttleworth machte eine Pause und zündete sich eine an. »Das ist eine ziemlich verworrene Geschichte, Tom. Was denkst du über die Anwesenheit des Schützen und der Pakistaner?«
Tom zuckte mit den Schultern. »Ich vermute, er hat das Haus, genau wie wir, beobachtet und wollte sich hineinschleichen, um einen Hinterhalt zu legen. Aber ich habe keine Ahnung, warum.«
»Wir wissen, dass es sich bei den beiden Erschossenen um Menschenschmuggler handelt. Angeblich leisteten sie ihren Beitrag zum weltweiten Dschihad, indem sie dem einen oder anderen Terroristen mit Papieren, Geld und ähnlichem aushalfen. Aber warum streckte unser Mann in Schwarz sie nieder?«
»Weil sie zu viel wussten und er nicht riskieren konnte, dass sie erwischt werden?« Tom nippte an seinem Tee.
Shuttleworth nickte und inhalierte einen langen Zug seiner Zigarette. Der Rauch und der gefrierende Atem hüllten seinen Kopf und seine Schultern in eine schimmernde Aura, die von rot und blau blinkenden Lichtern beleuchtet wurde. »Sie werden immer besser darin, ihre Spuren zu verwischen.«
»Der IT-Techniker hat sich bei dem, was auf dem Rechner war, fast in die Hose gemacht.«
»Warum habt ihr nicht einfach den Computer oder die Festplatte mitgenommen?«
Tom sah zu seinem Vorgesetzten hinüber und runzelte die Stirn. Sie kannten beide die Antwort auf diese Frage. Grossbritannien befand sich zwar im Krieg mit islamisch-fundamentalistischen Terrorgruppen, aber sie mussten sich immer noch an die Rechtsstaatlichkeit halten.
Shuttleworth sah wieder in seinem Notizbuch nach. »Du sagtest, er habe nicht mehr zu dem gesagt, was er auf der Festplatte gefunden hatte, als ...«
»›Porno‹. Wie ich dir gesagt habe. ›Irgendein kranker Scheiss‹, war alles, was er sagte. Aber ich wette, er ist nicht nur geblieben, um sich ein paar Fickbilder anzusehen.«
»Nun, wir haben zwei tote Verdächtige, drei verletzte Zivilisten von nebenan, keinen Computer, keinen Computerexperten und einen maskierten Attentäter, der frei herumläuft. Ganz zu schweigen von einem vermissten Schutzbeamten.«
Tom leerte seinen Tee und zerdrückte den Pappbecher, als der Rest von Shuttleworths Kommentar das Pfeifen, das von der Bombenexplosion in seinen Ohren zurückgeblieben war, durchdrang. »Vermisst? Wer wird vermisst?«
»Nick.«
»Was ist passiert?«
»Er sollte heute Abend in der Stadt mit Robert Greeves an einem politischen Spenden-Nachtessen teilnehmen, ist aber nicht erschienen. Verursachte höllischen Stunk. Er setzte Greeves um fünf zu Hause ab, kam aber nicht wie vereinbart um sieben zurück, um ihn abzuholen. Wir haben es bei ihm zu Hause und auf dem Handy versucht, aber er geht nicht ran. Deidre hat auch nichts von ihm gehört.«
Tom runzelte die Stirn. Nick Roberts war einmal ein Freund gewesen – sie waren etwa im gleichen Alter zur Met gekommen und schlugen den gleichen Berufsweg ein. Nicks Ex-Frau, Deidre, hatte als Krankenpflegerin im selben Krankenhaus wie Toms Frau, Alexandra, gearbeitet und die beiden Frauen waren wirklich eng befreundet gewesen. Nach Nick und Deidres Scheidung und Alex' Tod hatten er und Nick sich ausserhalb der Arbeit nur noch selten gesehen. Als Personenschützer waren beide viel von zu Hause weg. Während diese Abwesenheit Nick seine Ehe gekostet hatte, war sie für Tom eher eine segensreiche Erleichterung. Der Job hatte ihm ein wenig geholfen, indem er ihn regelmässig aus seinem einsamen Haus voller Erinnerungen herausholte.
»Das ist seltsam. Ich habe noch nie gehört, dass er einen Termin verpasst.«
»Weisst du von irgendwelchen Problemen?« Hauptkommissar Shuttleworth, ein Schotte, war im Zuge einer Beförderung neu in ihr Team versetzt worden und kannte noch nicht alle Eigenheiten seiner Mitarbeitenden.
»Mit Nick? Nicht, dass ich wüsste. Er trinkt gern – wer in unserem Beruf tut das nicht. Aber er hat sich bestimmt noch nie wegen eines Katers krankgemeldet, wenn Sie das meinen. Scheint alle paar Wochen ein anderes Vögelchen zu haben.«
Tom fühlte sich nicht wohl dabei, noch mehr Lobgesang auf Nick zu singen. Als sie beide im selben Team waren, um einen afrikanischen Staatschef zu beschützen, gab es einmal einen Vorfall. Ein Dutzend ausländische Dissidenten hatte dabei vor dem Londoner Restaurant, in dem der Präsident speiste, protestiert. Als sich einer der Demonstranten dem Präsidenten zu sehr näherte, hatte Nick ihn gewarnt und aufgefordert, sich zurückzuhalten. Der offenbar betrunkene Mann sagte Nick, er solle sich verpissen. Nick hatte den Mann hart, schnell und so kraftvoll in den Magen geschlagen, dass er zu Boden ging. Ein Teammitglied, aber nicht Tom, hatte den Vorfall gemeldet. Tom hatte erwartet, dass der Demonstrant eine formelle Beschwerde einreiche und beschlossen, die Wahrheit über seine Beobachtung zu sagen, falls er aufgefordert würde, eine Erklärung abzugeben. Nick hatte unnötige Gewalt angewendet. Der damalige Hauptkommissar der Einheit erfuhr davon und beorderte Nick in sein Büro, um seine Version der Ereignisse zu erläutern. Zum Glück für Nick meldete sich der Beschwerdeführer nie. Im Büro gab es daraufhin Spekulationen, Mitarbeitende des Präsidenten hätten den Zeugen unter Druck gesetzt. Tom bemerkte, dass sich sein Verhältnis zu Nick danach deutlich abkühlte und er vermutete, dass Nick, obwohl er ihm dies nie ins Gesicht sagte, dachte, Tom sei hinter seinem Rücken zum Vorgesetzten gegangen.
»Deidre schien nicht allzu besorgt zu sein, als ich mit ihr sprach. Ich weiss, dass eine Scheidung nie schön ist, aber es schien mir, als es hätte es sie auch nicht interessiert, wenn er gestorben wäre.«
Tom zuckte mit den Schultern. »Ich kann bei ihm zu Hause vorbeischauen, wenn du willst. Wir haben – ich meine, ich habe – noch einen Schlüssel. Wenn die einen von uns im Urlaub waren, haben Alex und Deidre einander immer nach dem Haus gesehen. Die Pflanzen gegossen und so. Nick ist im Haus geblieben und Deidre ist umgezogen.«
Shuttleworth nickte. »Aye, okay. Wenn du ihn mit einer Nutte oder einem Kater im Bett findest, erschiesst du ihn bitte, bevor der Minister für Rüstungsbeschaffung ihn erwischt. Dann wäre das für alle das Beste.«
Shuttleworth hatte ihm vorgeschlagen, am Morgen den hausinternen Psychiater aufzusuchen und eine Stressberatung in Anspruch zu nehmen, aber Tom hielt ein Nickerchen für die bessere therapeutische Lösung. Es würde eine lange Nacht werden.
Er winkte dem Polizisten, der ihn zu seinem Haus in Highgate gefahren hatte, dankend zu und ging die Stufen zu seinem Reihenhaus hinauf. Mittlerweile war Southwood Lane ziemlich nobel – die Wohngegend von Bankern, Anwälten, Ärzten und dergleichen. Obwohl er keine Uniform trug, war er sich ziemlich sicher, dass die meisten Leute in der Strasse wussten, dass er ein Polizist war. Wahrscheinlich hielten sie deshalb Abstand von ihm. Er war in diesem Haus aufgewachsen und hatte, abgesehen von ungefähr sechs Jahren, als er etwas über zwanzig und frisch der Met beigetreten war, die meiste Zeit seines Lebens dort gelebt. Tom war ein Einzelkind, dessen Eltern ihn spät bekommen hatten und als er achtundzwanzig war, waren sie innerhalb eines Jahres gestorben. Zu diesem Zeitpunkt war er seit vier Jahren mit Alex zusammen und es erschien ihm auf eine seltsame Weise logisch, dass der Tod seiner Eltern der Auslöser für ihn war, um ihre Hand anzuhalten.
Tom betastete die schwache Narbe über seiner rechten Augenbraue. Sie war kaum noch zu sehen, aber er betrachtete und berührte sie jeden Morgen, wenn er sich rasierte. Als er Alex vor neunzehn Jahren kennengelernt hatte, war das weisse Hemd seiner Sommeruniform blutgetränkt vom Schnitt, den ihm ein Betrunkener mit einer zerbrochenen Bierflasche zugefügt hatte. Sie war damals noch Praktikantin und so schön, dass er nicht anders konnte, als sie, während sie ihn wieder zusammennähte, um eine Verabredung zu bitten. Sie hatte gelacht und gesagt, ihres Wissens gäbe es Regeln gegen so etwas. Er war hartnäckig geblieben und schliesslich willigte sie ein. Sie war ein wunderbares Mädchen aus Essex und er war sich sicher, dass sie zusammen alt werden würden. Ihre Schichtarbeit und seine ungewöhnlichen Arbeitszeiten zu Hause und im Ausland bedeuteten, dass sie nie wirklich wie ein normales Paar lebten. Sie scherzten vor Freunden, sie sähen sich nur an Geburtstagen, dafür an Weihnachten nie, weil sie dann beide arbeiteten. Sie planten beide, früher in den Ruhestand zu gehen, um all die verlorenen Nächte nachzuholen.
Hier war er nun. Seit mehr als einem Jahr allein. Um sein Leben und um seine Frau betrogen. Er versuchte, nicht daran zu denken, aber in diesem Haus erinnerte ihn alles an sie. Wie sollte es auch anders sein? Als er in die Küche ging, zündete er das Licht im Flur nicht an. Vielleicht verblassten die Erinnerungen, wenn er im Dunkeln blieb. Der Schlüssel hing am Haken neben der kleinen Tafel, an der sie ihre Einkaufslisten zu schreiben pflegte, genau dort, wo sie ihn hingehängt hatte. Alex war die letzte Person, die den Schlüssel zu Nicks Haus angefasst hatte. Er stand in der verdunkelten Küche, schloss die Augen und hielt den Schlüssel in der Faust. Er schloss sie so fest, bis er den Schmerz der gezackten Metallkanten in seiner Handfläche spürte. Dann öffnete er die Augen und ging wieder hinaus, ohne die vier oder fünf Briefe zu beachten, die im Flur auf dem Boden lagen.
Toms alter Jaguar mit festem Verdeck sprang auf Anhieb an und der V12 schnurrte wie eine riesige Katze, die ihren Besitzer mit Schmeicheln begrüsst. Alex hatte sich ein neues Auto gewünscht, aber Tom mochte alte Dinge – alte britische Dinge – und mit Überstunden konnte er es sich sogar leisten, den Tank gelegentlich zu füllen. Er konnte sich nicht vorstellen, einen Renault oder erst recht einen Japaner zu fahren.
Während er fuhr und sich in die langsamere Fahrspur einordnete, tauchte in seinem Kopf die Erinnerung an Alex' abgemagerten Körper auf und ihre Augen, die so tief in den Höhlen lagen, dass sie fast herausquellend aussahen. Er kniff seine Augen für eine Sekunde zu. Neben ihm ertönte ein Hupen und er merkte, dass er für einen Moment weit aussen auf seiner Fahrspur fuhr. Er zwang sich, sich zu konzentrieren und ignorierte die Beschimpfungen eines jungen Mannes, den er überholte. »Reiss dich zusammen«, sagte er laut vor sich hin. Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte neun Uhr abends und ihm war nach einem Drink zumute.
Tom folgte den Verkehrsschildern auf die A406 und reihte sich in den stockenden Verkehr ein. Die Strecke führte ihn um die westliche Seite Londons herum nach Kingston im Südwesten, wo Nick, nicht weit vom Hampton Court Palast Heinrichs des Achten, lebte. Er wurde sich eines Autos neben ihm bewusst, das weder beschleunigte noch verlangsamte. Er schaute hinüber und sah eine blonde Frau in einem BMW Z4 Cabrio. Hübsch, Ende dreissig oder gut erhaltene Anfang vierzig. Sie trug eine schlichte weisse Bluse – eine Geschäftsfrau, vermutete er, die vielleicht spät von der Arbeit nach Hause fuhr. Sie schaute zu ihm herüber und lächelte ihn an. Er lächelte zurück, was ihm aber wohl nicht besonders gut gelang, denn sie setzte ihren Fuss aufs Gas und raste an ihm vorbei. Vor zwanzig Jahren hätte er vielleicht dasselbe getan und sie durch den Verkehr verfolgt, aber jetzt fühlte er sich einfach nur schuldig, denn Alex lächelte ihn trotz der Schläuche, die in ihren vergifteten Körper drangen, tapfer an. Er schüttelte den Kopf. Sie hatten – er hatte – gerade den einjährigen Jahrestag ihres Todes hinter sich gebracht. Es war eine harte Nacht gewesen und er ziemlich betrunken.
Die Fahrt führte ihn am Richmond Park vorbei, dem einstigen Jagdrevier der Könige und heutigen öffentlichen Park. Er bog von der A307 ab, umrundete das Stadtzentrum von Kingston und fand die ruhige Strasse, in der Nick wohnte. Er war oft genug mit Alex dort gewesen, um sich den Weg zu merken und hielt vor Nicks Doppelhaushälfte an. Er klopfte an die Tür und wartete. Niemand meldete sich. Er versuchte es erneut.
Er steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn um, öffnete die Tür und lauschte auf Pieptöne. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass es im Haus eine Alarmanlage gab und hoffte, dass Nick seit seinem letzten Besuch vor fast zwei Jahren keine installiert hatte.
Das Haus war nur ein paar Grad wärmer als die kühle Nachtluft, also musste die Zentralheizung ausgeschaltet sein. »Nick?«, rief er. Er ging auf dem dicken weissen Teppich den Flur entlang. Er erinnerte sich vage an einen dunkleren Farbton. Deidre hatte Nicks Kinder zu sich und ihrem Chef, einem orthopädischen Chirurgen, geholt. Tom erinnerte sich daran, dass sich Nick mehr über die Wahl ihres Partners zu ärgern schien als über die Tatsache, dass sie ihn verlassen hatte. Sowohl er als auch Alex hatten gespürt, dass die Ehe schon seit einigen Jahren auf wackligen Beinen stand.
Was Tom jedoch überraschte, war das neue Aussehen des Hauses. Die antiken Buffets und die überfüllten Chintzsofas waren wohl Deidre zu verdanken, denn Tom staunte, als er die minimalistische, fast ganz in Weiss gehaltene Einrichtung sah, die das ehemals überfüllte Wohnzimmer nun belebten. Weisse, lederne und verchromte retro-moderne Loungesessel umgaben einen Couchtisch mit Glasplatte. An der Wand hingen ein Breitbildplasmabildschirm und Surround-Sound-Lautsprecher und nahmen den Platz billiger Drucke von Constable-Gemälden und schlecht ausgeführten Landschaftsbildern eines Verwandten von Deidre ein.
Die einzige Farbe im Raum kam von einem Leopardenfell in der Mitte des Bodens, das grell und deplatziert aussah. Auch die Küche hatte sich gemausert. Anstelle von Holzbänken im Landhausstil und Türpaneelen aus gemasertem Laminat war ein elegantes Prunkstück aus glänzendem Edelstahl und schwarzem Granit entstanden. »Nick?«, rief Tom wieder, diesmal lauter.
Er ging die Treppe hinauf und kam an einem der Kinderzimmer vorbei, das in ein Büro umgewandelt worden war. Auf einem antiken Schreibtisch mit Lederbezug – dem einzigen Zugeständnis ans Leben vor dem einundzwanzigsten Jahrhundert, das Tom bisher gesehen hatte, stand ein Flachbildschirm. Im zweiten Schlafzimmer befand sich eine Reihe neuartiger Fitnessgeräte – Laufband, Heimtrainer und ein Multifunktionsgerät, das eher wie ein futuristisches Folterinstrument aussah. Tom joggte jeden zweiten Tag in der Woche, egal wie das Wetter war, fünfzehn Kilometer und machte anschliessend hundert Klappmesser und sechzig Liegestütze. Er hielt Fitnessstudios für schicke, aber stinkende Orte, an denen sich die Leute gegenseitig übertreffen wollten.
Das Hauptschlafzimmer war das absolute Gegenstück zum weissen Wohnzimmer. Ein dunkelblauer Teppich umrandete ein riesiges Bett mit schwarzen umgeschlagenen Satinlaken und einer dunkelgrauen Bettdecke, auf der schwarze chinesische Kalligraphiezeichen prangten. Die Wand dahinter hatte eine Farbe, die Alex wohl als Aubergine bezeichnet hätte und die anderen drei Wänden waren in tiefen, dunklen Rottönen gemalt. Tom schaltete das Licht ein und bemerkte den Dimmschalter. Er drehte daran und lächelte, als er in die neue Einbauleuchte blickte. An der Hauptwand hing ein impressionistisches Gemälde, das trotz der unscharfen Linien eindeutig eine nackte Frau zeigte, deren Hände zwischen ihren Beinen lagen. Scheinbar hatte sich Nick komplett dem Junggesellenleben verschrieben und diese Lustgrotte war eindeutig sein operatives Hauptquartier. Die Kommode aus einer Art schwarzen Holzes, die als Nachttisch diente, enthielt zwei Schachteln mit Kondomen und einige Porno-DVDs. Tom sah, dass es Hetero- und Hardcore-Filme waren, aber nichts Perverses. Tom schob die Türen eines deckenhohen Spiegelschranks auf, der neben Regalen mit ordentlich gefalteten Kleidern und einem Anzugständer einen weiteren Grossbildfernseher und ein Abspielgerät für die Disketten enthielt. Ausserdem stand eine digitale Videokamera auf einem Stativ darin. »Du Schwein«, sagte Tom.
Es war klar, dass Nick nicht zu Hause war und es machte auch nicht den Eindruck, dass er eben erst im Haus gewesen war. Tom ging wieder nach unten in die Küche, wo sich das Telefon befand. Er hatte das blinkende rote Licht auf dem Anrufbeantworter bemerkt, es aber vermieden, weiter ins Privatleben seines Kollegen einzudringen, solange es nicht wirklich nötig war. Jetzt war es notwendig und er drückte den Knopf.
Der Anrufbeantworter piepte und eine Frauenstimme sagte: »Ich bin's. Ich weiss nicht, woher du meine Nummer hast, aber ich warte auf dich. Heute Abend. Ich habe von sechs bis zwei Dienst im Club.« Zum Abschluss ertönte ein Piepton und danach gab es keine weiteren Nachrichten.
Ihre Stimme klang jung, war aber ziemlich tief und die Aussprache präzis, als sei die Sprache erlernt, aber nicht die Muttersprache. Tom hörte einen klaren Akzent – möglicherweise irgendetwas schwarzafrikanisches und fragte sich, ob es sich möglicherweise um eine Freundin handle. Ein ›Club‹ konnte eine ganze Reihe von Dingen bedeuten und im Dienst zu sein konnte alles Mögliche umschreiben, von der Arbeit hinter einer Bar bis hin zu irgendeiner Art von Auftritt. Er hörte sich die Nachricht noch einmal an. Der Tonfall des Mädchens war leicht verärgert. Vielleicht hatte Nick sie getroffen und wollte sie näher kennen lernen – daher ihre Sorge, dass er sie aufgespürt hatte. Tom hoffte, Nick habe keine polizeilichen Mittel eingesetzt, um die Telefonnummer einer Frau zu bekommen, aber er wäre nicht der Erste.
Um ein besseres Gefühl dafür zu bekommen, wann Nick zuletzt zu Hause war, ging Tom zum Kühlschrank und prüfte, wie viele Lebensmittel sich darin befanden und welches Verfallsdatum sie hatten. Bevor er ihn öffnete, fiel ihm eine Visitenkarte ins Auge, die mit einem ›I love Ibiza‹-Magneten angehängt war. Er hob die Karte an und hielt sie an den Rändern fest, denn sie war glänzend und würde wahrscheinlich einen Fingerabdruck gut halten. Die Karte zeigte das Bild einer Blondine in knappen Dessous und Stöckelschuhen, die sich an einer Messingstange festhielt und sich zur Seite hinüberlehnte. Darunter stand ›Club Minx‹ und auf der Rückseite war mit Kugelschreiber ein Name geschrieben: Ebony. Vielleicht der Künstlername einer Stripperin? Das passte auch zum afrikanischen Akzent auf dem Anrufbeantworter.
Toms Handy klingelte und er fischte es aus der Jackentasche. »Hallo, hier ist Tom.«
»Hattest du Glück? Bist du in Nicks Wohnung?«
Es war Shuttleworth. »Nein und ja. Es gibt kein Zeichen von ihm, Chef. Sieht so aus, als wäre er nicht mehr hier gewesen seit ...« Tom öffnete die Kühlschranktür und schaute hinein. Die Regale waren kahl. In der Tür stand eine Packung Milch mit dem gestrigen Datum als Verfallsdatum. »... seit geraumer Zeit. Der Kühlschrank ist bis auf etwas abgestandene Milch leer und die Heizung ist ausgeschaltet. War er in Übersee?«
»Nein, aber bis er heute zu Greeves zurückkehrte, war er vier Tage lang im Urlaub. Wegen der jüngsten Al-Qaida-Drohungen im In- und Ausland stehen der Verteidigungsminister und untergeordnete Minister wie Greeves jetzt unter strengem Personenschutz. Nick muss vom Ort, an dem er seine freien Tage verbrachte, direkt zur Arbeit gegangen sein. Dann ist er heute Abend verschwunden. Gibt es Anzeichen dafür, dass er nach Hause gekommen sein könnte?«
Tom hielt die Karte des Pole-Dancing-Clubs hoch und wunderte sich. Obwohl sie einst über ihre Frauen befreundet gewesen waren, schuldete er Nick nicht mehr Loyalität als die, die er gegenüber jedem anderen Mitglied des Teams empfinden würde. Aber es ging nicht an, einem Detektiv, der unter Schutz steht, zu unterstellen, dass er mit Prostituierten verkehrt. »Nein, aber ich kann in einem Lokal, in dem er scheinbar verkehrt, vorbeischauen und sehen, ob jemand dort etwas von ihm gesehen oder gehört hat.«
»Ja, das ist gut. Aber bleib nicht bis in die Morgenstunden im Ausgang. Ich will dich morgens um halb neun in meinem Büro sehen.«
»Und was ist mit meinem Termin beim Psychiater?« und meinem Schlaf, dachte Tom.
»Das kann warten. Du scheinst mir recht normal zu sein.«
Tom trat die Kühlschranktür zu, wobei der Ibiza-Magnet auf den Boden rutschte. Als er sich hinkniete, um ihn aufzuheben, sah er die Ecke einer kleinen weissen Karte, die unter dem Kühlschrank hervorlugte. Er zog sie hervor, hob sie auf und stellte fest, dass es eine weitere Visitenkarte war. Sie enthielt den Namen und die Handynummer eines freiberuflichen Journalisten, dessen Namen Tom nicht kannte. Er schrieb sich die Daten in sein Notizbuch und legte die Karte auf den Kühlschrank.
Der Club ›Minx‹ lag in Soho, einem Teil Londons, den Tom nicht mochte. Er war nicht prüde und hatte schon viele Strip-, oder Table-Dance-Clubs, wie sich diese Lokale nannten, besucht, aber das überfüllte, schäbige Zentrum deprimierte ihn.
Die betrunkenen Bürohengste in ihren Anzügen und gelockerten Krawatten sahen nur das Lächeln und das Fleisch. Als Bobby, Strassenpolizist, hatte Tom auch die andere Seite erlebt: Er fand in Toiletten Teenager mit einer Überdosis, sah Huren, die von ihren Zuhältern oder sadistischen Kunden verprügelt worden waren oder Kinder aus misshandelnden Familien, die nirgendwo hinkonnten und keine andere Verdienstmöglichkeit hatten als ihren Körper, sowie Mädchen aus dem Fernen Osten und den ehemaligen Sowjetrepubliken, die in die moderne Sklaverei verkauft worden waren. Nichts von alledem war besonders sexy.
Als er den Jaguar zurück nach Highgate fuhr und die U-Bahn in die Stadt nahm, war es fast Mitternacht. Er hatte die Jacke abgelegt und ein Sakko angezogen, so dass er nicht mehr wie ein Bauarbeiter, sondern eher wie ein Geschäftsmann ausser Dienst aussah.
Tom fuhr mit der Northern Line der U-Bahn bis zur Station Tottenham Court Road, wo er ausstieg. Als er die Strassen im Schein der Laternen glitzern sah, wünschte er sich, eine wasserdichte Jacke mitgenommen zu haben. Unter einer aufgestauten Dachrinne hatte sich eine schlammige Pfütze gebildet, in die Regentropfen prasselten. Er ging die Oxford Street hinunter, die immer noch von Touristen und Nachtschwärmern bevölkert war, die zu den Pubs und Clubs kamen und gingen. Dieser Teil der Stadt erwachte gerade erst zum Leben.
Soho haftete immer noch der Ruf an, sündig und schäbig zu sein, obwohl die Striplokale, Bordelle und Sexshops mittlerweile immer mehr Bistros, Restaurants, trendigen Bars und Cafés hatten weichen müssen. Auch in der Old Crompton Street hatten sich wellenartig neue Geschäfte niedergelassen, die grösstenteils durch das ›rosa Geld‹ angeheizt wurden. Das, was von der anzüglichen Vergangenheit Sohos übriggeblieben – oder zumindest für die Passanten noch sichtbar war –, war in einem Gürtel aus Berwick, Walker und Peter Street eingezwängt. In der Berwick Street kam er an einem Geschäft mit Lederkorsetts und Fesseln im Schaufenster vorbei und ignorierte das Drängen eines Anwerbers, der ihn aufforderte, hineinzukommen und sich seine völlig nackten Mädchen anzusehen.
Ein grauhaariger Mann im Anzug duckte sich aus einem Buchladen mit Büchern ›nur für Erwachsene‹ und schaute schuldbewusst in beide Richtungen, bevor er sich in die vorbeiziehende Menschenmenge stürzte. Eine Gruppe von einem Dutzend Jungs im späten Teenageralter und den frühen Zwanzigern sang den Refrain eines alten Rolling-Stones-Songs – ziemlich schlecht –, während sie sich durch die schmale Durchgangsstrasse schlängelten. Ein Touristenpaar hielt vor ihm an und blockierte den Fussweg, um in ihrer Londoner A-Z Broschüre etwas nachzusehen. Tom hielt seine Ungeduld im Zaum.
»Warst du in eine Schlägerei verwickelt?«, fragte ihn der Türsteher, als er die Treppe bei der Peter Street herunterkam.
»Ich bin gegen eine Schranktür gelaufen«, sagte Tom und fingerte unbewusst an der Wunde des Glasschnitts über seinem Auge, die er bereits vergessen hatte.
Der Türsteher musterte ihn von oben bis unten, stellte fest, dass er nicht betrunken war und sagte: »In Ordnung. Ich glaube, du musst mir deinen Ausweis nicht zeigen, damit ich kontrollieren kann, ob du minderjährig bist.«
Nachdem er am Pförtner vorbeigegangen war, spürte er den Rhythmus der Musik, die er hörte, in der Brust. Sie klang langsam und schleifend, perfekt, um sich zu entkleiden.
»Zehn Pfund, bitte«, sagte das Mädchen hinter dem Empfangstresen.
Tom wünschte jetzt, er hätte Shuttleworth von seiner informellen Untersuchung erzählt. Wenn er nicht offiziell arbeitete, konnte er den Eintritt in einen Strip-Club auf keinen Fall auf die Spesen setzen. Er wollte dem Mädchen seinen Ausweis nicht zeigen, denn das hätte unter den Angestellten und Gästen des Clubs Panik ausgelöst, so dass sie alle verschwänden. Er hätte darauf gewettet, dass einige der Mädchen illegal eingewandert waren.
»Danke«, sagte das Mädchen, als er ihm sein Geld reichte. Es trug ein tief ausgeschnittenes Minikleid, das wenig der Fantasie überliess.
Auf einer Seite des Schalters stand ein Mann in den Fünfzigern, korpulent und mit Glatze. Eine zusätzliche Sicherheitskraft, nahm Tom an. Ein dünnes, rothaariges Mädchen in einem lindgrünen Lycra-Rock in der Breite eines Haarbands und einem dazu passenden winzigen Oberteil wankte auf schwarzen Plateau-Schuhen mit zehn Zentimeter hohem Absatz vorbei. Es führte einen übergewichtigen Mann im Anzug an der Hand und das Paar ging an der Rezeption vorbei und verschwand durch eine Tür. Tom beobachtete sie und schaute dann zum Mädchen hinter der Kasse.
»Waren Sie schon einmal hier?«
»Nein.«
»Private Shows finden hinten statt. Sprechen Sie einfach eins der Mädchen an – es ist Ihnen gern behilflich.«
Er nickte und betrat den Club. Die Luft war von einem süsslichen Nebel aus Desinfektionsmittel, Zigarettenrauch und Schweiss geschwängert, der von billigem Parfüm überdeckt wurde. Ein Mädchen in weissen, halterlosen Strümpfen und mit passendem BH und Höschen ging mit einem Tablett voller Getränke an ihm vorbei und lächelte ihm zu.
In der Mitte des Raumes befand sich ein quadratisches Podium, das durch zwei Messingstangen mit der schwarzen Decke verbunden war. Um die Bühne herum gab es Sitzplätze für vielleicht zwanzig Leute, von denen aber nur vier besetzt waren. Die Männer betrachteten aus nächster Nähe eine bis auf einen knappen G-String, schwarze Lackstöckelschuhe, Nippelringe und ein mit Scheinen gefülltes Strumpfband nackte Brünette. Sie lächelte ihn an, als er auf einem Stuhl gegenüber von den anderen Männern Platz nahm.
Das Mädchen drehte Tom den Rücken zu und kniete vor den Männern nieder. »Zeig uns alles«, sagte einer von ihnen, laut genug, dass Tom es trotz der dröhnenden Musik hörte. Sie schüttelte den Kopf und sagte etwas, das Tom nicht verstand, aber der Mann, der gesprochen hatte, stand auf und ging zu seinem Tisch zurück. Sein Kollege stand kurz darauf ebenfalls auf und gesellte sich zu ihm, so dass nur noch zwei Zuschauer übrig waren. Tom beobachtete sie über den makellosen Rücken des Mädchens hinweg. Sie hatten rasierte Köpfe, Football-Shirts und zu viel Klunker. Falls sie Verbrecher waren – und dem Spinnennetz-Tattoo an seinem Hals nach zu urteilen, hatte mindestens einer von ihnen gesessen –, waren sie Kleinkriminelle.
Die in Brautweiss gekleidete Kellnerin kam zu Tom und er bestellte ein Becks. Ausserdem zahlte er dreissig Pfund für etwas Plastikgeld, das er ins Strumpfband des Mädchens steckte. Sie kniete sich hin und beugte sich nach hinten, bis ihr Haar die Bühne berührte. Sie musterte Tom von oben bis unten und er lächelte sie an.
Da die beiden anderen Männer keine Freude daran hatten, zog sich das Mädchen mit Hilfe der Stange auf die Beine und kroch, nachdem sie aufgestiegen und schwungvoll wieder heruntergerutscht war, auf allen Vieren auf Toms Seite des Podiums. Sie grinste und zwinkerte, als Tom einen Geldschein hochhielt. Sie drehte sich auf die Seite, so dass er das Geld zwischen ihr Strumpfband und ihren nackten Oberschenkel schieben konnte. Als die Transaktion abgeschlossen war, beugte sie sich über ihn und liess ihr langes Haar um sein Gesicht fallen. Ihre Nase war nur wenige Zentimeter von seiner entfernt. Sie bewegte ihren Mund zu seinem Ohr und blies hinein.
»Hallo, mein Name ist Ivana«, flüsterte sie.
»Hallo, mein Name ist Detektiv Fahnder.«
Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Mädchens, als es sich zurückfallen liess. Eine Russin vielleicht, oder Ukrainerin, oder Lettin, oder Litauerin. Es spielte keine Rolle. Er hätte hundert Pfund darauf gewettet, dass sie eine illegale Einwanderin war. Sie blickte über die Schulter zum fernen Empfangstresen.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Ivana, die Geschäftsleitung weiss nicht, dass ich ein Bulle bin.« Die Kellnerin stellte Toms Bier vor ihn hin.
Sie schloss die Beine. »Was wollen Sie?«
»Weltfrieden, Arbeitszufriedenheit und eine dauerhafte Beziehung.«
Sie sah ihn verwirrt an. »Ich habe der Polizei nichts zu sagen.«
»Gut, dann können wir uns an der nächsten Ecke unterhalten, wenn Sie das möchten. Wir können aber auch bei Ihnen zu Hause vorbeikommen und Sie können Ihren Pass holen. Wir müssen Ihre Identität und Ihren Aufenthaltsstatus überprüfen.«
»Ich bin nicht illegal und das kann ich beweisen.«
Tom nippte an seinem Bier und zuckte dann mit den Schultern. »Das sagen Sie. Ich kann in einer halben Stunde mit ein paar uniformierten Polizisten zurück sein. Das sollte das Geschäft ankurbeln.«
Sie schaute wieder über die Schulter. »Ich bin in ein paar Minuten mit dem Tanzen fertig. Dann können wir reden. Aber ich sage Ihnen jetzt, Polizist oder nicht: Kein Sex.«
Tom nickte. Ivana kehrte auf die andere Seite der Bühne zurück, wo sie aus den Fussball-Hooligans noch ein paar Pfund herauszuholen versuchte, während Tom sich an einen Tisch in einer dunklen Ecke des Clubs setzte.
Ivana beendete ihren Tanz und verliess unter dem spärlichen Beifall der anderen Gäste, die an mit Kerzen beleuchteten Tischen sassen, die Bühne. Sie schlüpfte in eine Art verkürzte Krankenschwesternuniform aus Vinyl und kam zu Tom. Die Kellnerin kehrte zurück und Ivana schaute erst zum anderen Mädchen und dann wieder zu Tom.
»Oh, na gut. Was darf's sein?«
»Doppelter Wodka mit Tonic.«
Tom bestellte ein zweites Bier und zuckte zusammen, als das Mädchen ihm den Preis nannte. Er zückte ein paar Scheine und wünschte, er hätte sich an die Regeln gehalten. Die Kellnerin liess sie liegen.
»Wenn Sie von der Polizei sind, zeigen Sie mir Ihren Ausweis.«
Tom zog seine Brieftasche heraus und zeigte seine Ausweiskarte.
»Furey? Bedeutet das nicht Wahnsinn?«
»Manchmal.«
»Warum sagen Sie dem Besitzer nicht, wer Sie sind?«, fragte sie ihn.
»Wo ist Ebony heute Abend?«
Die junge Frau lehnte sich im Stuhl zurück und nippte an ihrem Getränk. Als sie das Glas absetzte, fragte sie: »Was sind Sie, noch ein Stalker oder so?«
»Was heisst hier ›noch einer‹?«
Ivana sagte nichts.
»Arbeitet sie heute Abend?«
»Dies ist keine offizielle Angelegenheit, denke ich.«
Tom schaute auf seine Uhr. »Wie ich schon sagte, es kann sehr einfach sein.«
Ivana seufzte und strich sich eine lange, geglättete Strähne ihres tiefschwarzen Haares aus dem Gesicht. »Sie hat sich krankgemeldet.«
»Wann hat sie das letzte Mal gearbeitet?«
»Letzte Nacht. Wollen Sie die ganze Nacht hierbleiben und das Geld ausgeben, das Sie gekauft haben?«
Tom sah auf das laminierte Spielgeld auf dem Tisch. »Sie sagten, ›noch ein Stalker‹. Hat ein Mann sie belästigt?«
Ivana lachte und Tom dachte, sie sei wirklich hübsch. »Wir werden in jeder einzelnen Nacht von Männern belästigt, Herr Polizist.«
»Sie wissen genau, was ich meine.«
»Es gab einen Stammkunden. Einen Mann, der in den letzten zwei Wochen vielleicht fünf oder sechs Mal kam und immer private Shows buchte.«
»Wie sah er aus?«
Ivana trank ihren Wodka aus und schlürfte, als sie den Rest durch den Strohhalm aufsaugte. Sie lächelte süsslich, sagte aber nichts.
Tom schob ihr das Plastikgeld hinüber und sie legte es auf den Tisch.
»Brille, rote Haare, Sommersprossen. Mitte zwanzig. Klein – wohl unter eins siebzig. Sieht aus wie ein Akademiker oder vielleicht ein IT-Fachmann.«
Also definitiv nicht Nick, dachte Tom und beschrieb ihr den anderen Detektiv.
»Das könnte eigentlich jeder Mann sein, der hier reinkommt«, sagte Ivana achselzuckend.
Sie hatte recht und Tom wusste es. Jemand musste ein Foto mitbringen. Er wollte mehr über das Mädchen wissen. »Ist das Mädchen, Ebony, schwarz?«
»Jetzt weiss ich, warum Sie Detektiv wurden.«
»Ha, ha. Woher kommt sie? Von den Westindischen Inseln?«
»Aus Südafrika.«
Das war ein bisschen ungewöhnlich. »Ist sie eine illegale Einwanderin?«
»Hinter wem sind Sie her, hinter ihr oder diesem grossen Kerl mit den schwarzen Haaren?«
»Hat sie sich in letzter Zeit anders verhalten?«
»Gestern Abend ist sie früh nach Hause gegangen. Ich nehme an, es war die Krankheit, die sie heute Abend ferngehalten hat. Aber als sie ging, gab ich eine Privatvorführung, deshalb habe ich nicht mit ihr gesprochen.«
»Hat gestern Abend eines der anderen Mädchen gearbeitet?«
Ivana sah sich im Club um. »Nein.«
Aufgrund ihrer einstudierten Nonchalance vermutete Tom, dass sie, vielleicht, um ihre Kolleginnen zu schützen, log. Das gefiel ihm. Würde bei den Stripperinnen. »Gab es keine anderen Stammgäste, von denen Sie wissen?«
Ivana schüttelte den Kopf und sah auf die Uhr. »Ich habe bald Feierabend. Möchten Sie eine Privatvorstellung?«
Tom lächelte sie an. »Nein, danke. Wie lange ist Ebony schon in England?«
»Ungefähr ein Jahr, glaube ich.«
»Wie alt ist sie?«
»Jung – aber nicht minderjährig, falls Sie das meinen. Ungefähr neunzehn, denke ich. Der Boss hier ist in manchen Dingen sehr streng. Keine Drogen, keine Kinder.«
Tom fragte sich, ob Nick Ebony gesehen hatte und ob er der Grund dafür war, dass sie die Arbeit am Vorabend so früh verlassen hatte. Er wollte die Empfangsdame nicht fragen, um ihre Aufmerksamkeit nicht auf sich zu ziehen.
»Haben Sie eine Frau, Herr Polizist?«, fragte Ivana und störte damit den Fluss seiner Gedanken.
»Nein.«
»Eine Freundin?«
»Das geht Sie nichts an.« Er leerte sein Bier.
»Ich glaube nicht. Polizisten sind schlecht in Beziehungen. Mein Freund in Russland war Polizist. Er hat mich geschlagen, also habe ich ihn erstochen.«
»In der Tat eine schlechte Beziehung. Rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch etwas in den Sinn kommt.« Er gab ihr seine Karte und verliess den Club.
Es war fast zwei Uhr morgens, als er die Tür zu seinem warmen, aber leeren Haus öffnete. Sein Gesicht brannte noch immer von der Schnittwunde und er dachte wieder an die Explosion und den Tod von Steve, dem Computerfachmann. Er zog sich aus und kletterte zwischen die kühlen Laken des Betts. Er schaute auf das Bild von Alex und lächelte sie an. Er wusste, dass es genauso gut er hätte sein können, der bei der Explosion getötet wurde.
Ein Teil von ihm wünschte, es wäre so.
»Südafrika.«
Als Shuttleworth das Wort sagte, beunruhigte dies Tom nicht. Weder das Reiseziel noch die fehlende Ankündigung. Er war schon mit einem Aussenminister im Sudan und mit einem ehemaligen Premierminister in Marokko gewesen, aber noch nie im südlichen Afrika. Er blickte hinaus, über die Themse und auf den Palast von Westminster. Der Himmel war schmutzig grau und etwas Sonnenschein wäre nicht schlecht.
»Da Nick vermisst wird, brauche ich dich, um vor dem Besuch von Robert Greeves eine Erkundung durchzuführen. Dein Flug geht heute Abend von Heathrow nach Johannesburg«, sagte der Schotte. »Greeves ist sowohl aus geschäftlichen wie auch aus privaten Gründen ein häufiger Afrikabesucher und auf dieser Reise macht er ein bisschen von beidem. Er mag Tiere und liebt Wildtierparks. Er wohnt in einer Luxuslodge, in der er schon früher oft war. Während seines Aufenthalts wird er sich mit seinem südafrikanischen Amtskollegen, einem Minister namens Dule, treffen, um mit ihm über den Kauf von Trainingsflugzeugen bei einem britischen Rüstungsunternehmen zu sprechen.«
»Ich habe etwas darüber gelesen.«