Leiche auf Urlaub - Pierre Boileau - E-Book

Leiche auf Urlaub E-Book

Pierre Boileau

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Beschreibung

Die kleine Anarchistengruppe – Wladi, Georges, Joël und Claude – hat das Landhaus des konservativen Pariser Zeitungsverlegers Gersaint mit einer Bombe verwüstet. Aber dabei ist etwas schiefgegangen: Claude ist verletzt und in die Hände der Polizei gefallen. Seine Freunde beschließen, ihn zu befreien. Sie wollen Gersaint entführen und ihn der Polizei im Austausch gegen Claude anbieten. In der Garage des Hôtel Bristol in Nizza scheint sich die Gelegenheit zu bieten; Gersaint steht über den Kofferraum eines weißen DS gebeugt, und sonst ist kein Mensch zu sehen … Aber dann passiert etwas Unvorhergesehenes: als Joël ihn mit der Pistole bedroht und zwingen will, zu dem draußen wartenden Wagen von Georges zu gehen, zieht Gersaint seinerseits eine Pistole. Vor Schreck drückt Joël ab … Georges stürzt in die Garage. Was sollen sie tun? Jede Sekunde kann jemand kommen. Da fällt Georges' Blick auf den DS und den noch immer offenen Kofferraum. Der Kofferraum ist groß genug, um … Hastig packen die beiden Verschwörer den Toten hinein. Später irgendwann wollen sie die Leiche holen und irgendwo vergraben. Aber jetzt müssen sie schleunigst fort – Schritte nähern sich …

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Seitenzahl: 248

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Pierre Boileau • Thomas Narcejac

Leiche auf Urlaub

Aus dem Französischen von Heinz Kausträter

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Die kleine Anarchistengruppe – Wladi, Georges, Joël und Claude – hat das Landhaus des konservativen Pariser Zeitungsverlegers Gersaint mit einer Bombe verwüstet. Aber dabei ist etwas schiefgegangen: Claude ist verletzt und in die Hände der Polizei gefallen. Seine Freunde beschließen, ihn zu befreien. Sie wollen Gersaint entführen und ihn der Polizei im Austausch gegen Claude anbieten.

In der Garage des Hôtel Bristol in Nizza scheint sich die Gelegenheit zu bieten; Gersaint steht über den Kofferraum eines weißen DS gebeugt, und sonst ist kein Mensch zu sehen … Aber dann passiert etwas Unvorhergesehenes: als Joël ihn mit der Pistole bedroht und zwingen will, zu dem draußen wartenden Wagen von Georges zu gehen, zieht Gersaint seinerseits eine Pistole. Vor Schreck drückt Joël ab …

Georges stürzt in die Garage. Was sollen sie tun? Jede Sekunde kann jemand kommen. Da fällt Georges’ Blick auf den DS und den noch immer offenen Kofferraum. Der Kofferraum ist groß genug, um …

Hastig packen die beiden Verschwörer den Toten hinein. Später irgendwann wollen sie die Leiche holen und irgendwo vergraben. Aber jetzt müssen sie schleunigst fort – Schritte nähern sich …

Über Pierre Boileau • Thomas Narcejac

Die beiden französischen Autoren Pierre Boileau (1906–1989) und Thomas Narcejac (1908–1998) haben zusammen zahlreiche Kriminalromane verfasst. Ihre nervenzerreißenden Psychothriller haben viele Regisseure zu spannenden Filmen inspiriert, am bekanntesten sind wohl «Die Teuflischen» und sein amerikanisches Remake «Diabolisch» und «Vertigo – Aus dem Reich der Toten», sicher einer der besten Filme von Alfred Hitchcock.

Inhaltsübersicht

Die HauptpersonenDies ist ein ...Leiche auf Urlaub [Teil 1]Leiche auf Urlaub [Teil 2]

Die Hauptpersonen

Paul Gersaint

betrachtet sich als Gewissen der Nation, wobei das eigene zu kurz kommt.

Florence Gersaint

kommt ebenfalls zu kurz und sinnt auf Abhilfe.

René Alliot

erweist sich zunächst als hilfreich, dann aber als Last.

schicken einen Toten auf die Reise.

Blèche

hat Angst um seinen Arbeitgeber.

Der Doktor

ahnt von nichts und erstattet Anzeige.

Dies ist ein Roman; die auftretenden Personen sind – gemäß den Erfordernissen der Handlung – frei erfunden.

«Hier», sagte Maurice. «Bei dem starken Verkehr wird uns keiner beachten.»

Claude bog in die Zufahrt ein. Die Tankstelle war beleuchtet wie ein Bahnhof, und an den Säulen standen mehrere Autos. Claude bremste den 2CV weich ab. Maurice sah auf die Uhr über dem Tankwartraum: Viertel vor zwei.

«Alles klar. Du siehst, Wladi hatte recht. Der Verkehr ist genauso stark wie sonntags.»

Der Tankwart winkte sie heran, und Claude stieg aus, um den 2CV vorzuschieben. Die Nacht war schwül. Insekten tanzten im Licht.

«Ist das ein Betrieb!» stöhnte der Tankwart. «Nichts als Urlauber jetzt im August. Und morgen erst und übermorgen! Wieviel tanken Sie?»

«Voll.»

«Seit gestern morgen keine ruhige Minute. Das reißt nicht ab. Die Leute haben glatt den Verstand verloren. Alles fährt zur gleichen Zeit los und zur gleichen Zeit wieder nach Hause. Ich kann Ihnen sagen, da muß ja was passieren auf den Straßen, wenn Sie mich fragen.»

Claude sah Maurice an. Er lachte lautlos. «Na, und ob! Sie haben völlig recht. Und was da alles passieren kann!»

Maurice lächelte ebenfalls, als erriete er die Hintergedanken dieser Bemerkung.

«15 Francs», sagte der Tankwart. «Noch eben kurz über die Windschutzscheibe. Sie hat’s nötig. Sie fahren wohl auch nach Deauville, was? Mich persönlich zieht es mehr in die Auvergne, wenn ich nur Zeit hätte. In Deauville tritt man sich ja tot. Aber in Ihrem Alter ist man wohl mehr aufs Vergnügen aus.»

«O ja, Vergnügen macht Spaß», antwortete Claude mit schallendem Lachen.

«Gute Fahrt!» wünschte der Tankwart.

Der 2CV fuhr an. An der Ausfahrt hielt Claude an und wartete. Die Autos zischten in voller Fahrt an ihnen vorbei, und der 2CV schaukelte im Luftstrom.

«Paß bloß auf!» warnte Maurice. «Das wär’s letzte, wenn du jetzt einen Unfall baust.»

Sie nutzten eine Lücke im Verkehr und fädelten sich in die Fahrspur ein.

***

Das Licht des Fahrstuhls schob sich in der Dunkelheit des verlassenen Hauses geheimnisvoll nach oben und warf seltsame Schatten auf Flure und Wände. Im vierten Stock stieß Gersaint die Gittertüren heftig zurück und trat vor seiner Frau hinaus. Mit einer Hand löste er den Knoten seiner Krawatte, mit der andern wühlte er in seiner Tasche.

«Das sind doch alles Idioten!» nahm er den Faden wieder auf. «Soviel Dummheit gehört einfach bestraft!»

Florence zuckte die Achseln. «Mit dir kann man ja nicht mehr diskutieren!»

Er fand den dünnen Yale-Schlüssel und tastete blindlings um das Türschloß herum. «Das Flurlicht, verflixt noch mal! Man sieht ja nichts.»

«Gib her!»

Sie schloß auf und machte Licht in der Wohnungsdiele.

«Die werden ihre Revolution schon noch kriegen!» fuhr er fort. «Ich habe sie genug gewarnt.»

Florence stieß ihre Schuhe von den Füßen und betrachtete sich unwillkürlich in dem großen, von Grünpflanzen eingerahmten Spiegel.

«Ich gehe nie wieder mit dir aus», sagte sie, indem sie sich mit der flachen Hand über die Frisur fuhr. «Es ist Schluß. Jedesmal mußt du die Politik ins Gespräch bringen. Dabei hat er dich gar nicht persönlich angegriffen. Géraud hat ganz allgemein gesprochen.»

Gersaint riß sich die Krawatte vom Hals. «Hätten sie ihn bloß nicht eingeladen, diesen komischen Kauz!»

Sie setzte sich und massierte ihre Füße. «Komischer Kauz? Du bist wirklich merkwürdig! Für dich ist jeder ein komischer Kauz.»

«O ja, ich weiß genug über ihn!»

Er ging in die Anrichte, und sie hörte ihn mit Gläsern und Flaschen hantieren.

«Du weißt über jedermann genug», murmelte sie verdrießlich.

«Was? Du glaubst mir wohl nicht», rief er vom Ende des Flurs her. «Ein Wichtigtuer ist er, der bei einem Provinzblatt in Saint-Étienne angefangen hat!» Seine Stimme kam näher, und er erschien mit einem Glas in der Hand. «Und seine Spezialität waren die Alten. Was glaubst du, wie er denen um den Bart gegangen ist! Mit dem Erfolg, daß er dann später Sekretär eines Verbandes für den Interessenschutz älterer Bürger geworden ist.»

«Ich habe auch Durst», sagte Florence. «Du hättest mir ruhig ein Glas mitbringen können.»

«Und dann hat er eine Zeitung gegründet und natürlich angefangen, mit den Wölfen zu heulen.»

Florence sprang so abrupt auf, daß sie ihren Stuhl umwarf.

«Genug! Jetzt reicht’s mir! Du fällst mir auf die Nerven.»

Sie hielt sich die Ohren zu und lief ins Schlafzimmer. Gersaint kam ihr nach.

«Warte doch! Ich muß dich schließlich über diesen Géraud aufklären, wenn du dich so sehr für ihn interessierst.»

«Was? Ich soll mich für ihn interessieren?» Sie ließ sich aufs Bett fallen. «Also gut, wenn du es gern hören willst. Ich interessiere mich für Géraud.»

Die Beine gespreizt, den Kopf leicht gesenkt, betrachtete er sie mit grausamer Gier.

«Für ihn waren die Ereignisse im Mai ’68 natürlich ein gefundenes Fressen. Protestresolutionen, Demonstrationen, Versammlungen … keine Hochzeit, auf der er nicht getanzt hätte! Und immerhin hat es ihn ja dahin gebracht, wo er jetzt ist: Abgeordneter. Linke Mitte, versteht sich.»

«Na und? Ist das vielleicht etwas Unehrenhaftes?»

«Natürlich nicht.» Er leerte sein Glas und stellte es auf seinen Nachttisch neben dem großen Doppelbett. «Natürlich nicht», wiederholte er. «So sind eben die Spielregeln. Aber rein zufällig steigt er dann bald darauf in den Weinhandel ein, und der Wein wird in den Ostblock exportiert. Merkwürdiges Zusammentreffen, findest du nicht?» Wie ein verschmitzter kleiner Junge zuckte er beim Lachen mit den Schultern. «Ich besitze eine Aufstellung aller seiner Reisen. Sehr aufschlußreich. Nach Moskau ist er, wohlgemerkt, nie gefahren. So dumm ist er nun auch nicht!»

Er zog sein Jackett aus, leerte systematisch die Taschen und ordnete seine Sachen fein säuberlich auf dem Kaminsims: Brieftasche, Scheckbuch, Brille, Zigaretten, Feuerzeug, Taschentuch. Florence verfolgte seine Bewegungen mit eisigem Desinteresse.

«Und alles nur, weil er ein paar freundliche Worte mit mir gewechselt hat!»

Er setzte sich mit dem Rücken zu ihr, um seine Schnürsenkel zu lösen. «Ich werde einen Artikel über ihn schreiben. Nichts großes, nur einen ganz klein eingerückten Blickfang: ‹Auch im Osten wird unser heimischer Champagner gern getrunken …› In dem Ton etwa.» Er stieg aus seiner Hose, faltete sie und machte sich dann wütend an seinen Manschettenknöpfen zu schaffen. «Daß die Taverniers in die gleiche Richtung neigen, habe ich schon immer geahnt … Dieses Misthemd, ich schmeiße es zum Fenster raus … Nie hätte ich ihre Wohnung betreten, wenn ich nicht unbedingt Gasnière hätte treffen müssen … Das nächste Mal, das verspreche ich dir, werde ich …»

«Es wird kein nächstes Mal geben», sagte Florence. «Du gehst deine Wege, ich meine.»

Gersaint drehte sich langsam um. Ohne Eile knöpfte er sein Hemd auf. «Ist das die Möglichkeit? Da sieh mal einer an!»

«Es ist mein voller Ernst.» Sie nahm eine Zigarette aus ihrer Handtasche und zündete sie an.

«Na, das ist mal was ganz Neues, ja?» Er schälte sich aus dem Hemd, rollte es zusammen, schleuderte es in einen Sessel und stand da mit nacktem Oberkörper, die schwarzen Augen mit dem seidigen Blick traurig und sanft, gefährlich wie Henry Fonda sah er aus. «Kenne ich ihn?» fragte er.

Fast wäre sie aufgesprungen; sie stieß eine dichte Rauchwolke aus und mußte husten. «Ich bitte dich», sagte sie. «Weißt du, wie spät es ist? Zwei Uhr. Meinst du nicht, wir sollten lieber schlafen?»

«Oh, ich habe Zeit. Und ich möchte gern von dir erklärt haben, was das heißt: Du gehst deine Wege, ich meine. Das ist doch keine zufällige, launische Bemerkung. Also, ich frage nochmals: Wer ist es? Wer hat dir diese Idee in den Kopf gesetzt?» Er streifte seine Unterhose herunter. Seine Nacktheit genierte ihn in keiner Weise. Er fühlte sich wie ein Patient bei seinem Arzt, nur war er Arzt und Patient in einer Person. Er faltete seinen Pyjama auseinander. «Der Gedanke ist mir schon oft gekommen», fuhr er fort, «daß man sich deiner bedienen könnte, um mich anzugreifen. Denen ist doch jedes Mittel recht. Beleidigungen, Prozesse, Drohungen … Und wenn man jetzt sagen könnte: Gersaint trägt Hörner … na, das würde seine Wirkung bestimmt nicht verfehlen.»

«Du tust mir leid», murmelte sie.

Er knotete seinen Pyjamagürtel und ging ins Badezimmer.

«Für sie», rief er, «bist und bleibst du das Ex-Mannequin mit Vergangenheit. Du kannst dir doch denken, daß sie, genau wie ich, eine Kartei angelegt haben und genauestens über dich im Bilde sind.» Das Reiben der Zahnbürste unterbrach für einen Moment seinen Monolog. Mit vollem Mund fuhr er fort: «Daß sie also einen Playboy mobilisiert haben, der dir den Hof macht, das ist ihr gutes Kriegsrecht. Du bist nämlich mein einziger schwacher Punkt.» Er erschien auf der Schwelle des Badezimmers und trocknete sich mit einem Handtuch den Mund ab. «Habe ich nicht recht?»

«Du hättest mich ja nicht zu heiraten brauchen», sagte Florence.

«Vielleicht. Aber ich habe dich nun mal und ich behalte dich auch. Und deinem kleinen Süßholzraspler … dem breche ich das Genick.»

Florence drückte ihre Zigarette in einem Aschenbecher aus. Sie stand auf, glättete ihr Kleid und nahm ihre Handtasche.

«Noch ein Wort und ich gehe ins Hotel.»

«Das ist doch Unsinn. Ich warne dich ja nur in deinem eigenen Interesse. Geh ins Bett! Wir besprechen das alles später.» Er zog seinen kleinen Reisewecker auf und stellte ihn auf den Nachttisch. «Ich werde bestimmt wach sein, aber besser ist besser. Weiß der Himmel, wie lange ich bis Orly brauche. Gute Nacht!»

Er knipste seine Nachttischlampe aus. Florence begann sich auszuziehen.

***

«Da ist es», sagte Maurice. «Die letzte Villa am Ende der Straße. Soll ich wirklich nicht mitkommen?»

«Kommt nicht in Frage!»

«Geh von hinten heran. Von der Strandseite her läßt sich die Mauer leichter übersteigen. Der Zeitzünder ist auf vier Uhr eingestellt. Du hast also eine gute Stunde Zeit. Kein Grund zur Eile. Ich wende inzwischen und warte an der Kreuzung auf dich. Und vor allen Dingen: nicht laufen!»

«Ach, Scheiße! Ich bin doch kein Kind mehr!»

Claude stieg aus, und Maurice gab ihm das Paket. Die Dämmerung war noch fern. Man hörte das Meer am Strand rauschen. Die Luft war lau und duftete nach Heu.

Claude entfernte sich geräuschlos auf seinen Bastsohlen. Das Paket hielt er vor die Brust gepreßt. Unwillkürlich kam ihm der Gedanke, daß er sich in einen Sprühregen aus Blut verwandeln würde, wenn die Bombe jetzt explodierte. Aber in eben dieser Minute gab es auf der Welt sicher andere junge Männer wie er, die sich anschickten, ein Haus, ein Parteibüro, eine Polizeiwache, ein Hotel, ein Flugzeug in die Luft zu sprengen. Wie sie alle tat er es freiwillig. Wie sie war er bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Vielleicht hatte er sich nie zuvor so lebendig, so geschmeidig, so wohl in seiner Haut gefühlt wie in diesem Augenblick. Seine Beweggründe hatte er vergessen. Er war wieder der kleine Junge von früher, der mit seinem Großvater auf die Jagd ging, und der Hauch des Abenteuers durchströmte ihn wie ein frischer Quellbach.

Er stapfte durch den Sand. Die Villa lag zu seiner Linken. Das Establishment schlief noch. Nicht lange mehr und sämtliche Fensterscheiben würden zersplittern. Das Leben war herrlich! «Wir sind ja so allein!» pflegte Wladi zu sagen. Aber das stimmte gar nicht! Ebensowenig wie die Wildschweine, die Füchse, all die gehetzten Tiere, die sich mehr als alle anderen eins fühlen mit dem Wald, der Stille, der Freude, die die Erde zu spenden vermag. Vorsichtig näherte er sich im Schutz der Dunkelheit der vorbezeichneten Stelle. Der letzte Sturm hatte eine Kiefer gefällt, und man hatte ihren Stamm an den Wegrand zurückgeschoben. Die halb eingestürzte Mauer war noch nicht repariert worden. Claude stieg über die Bresche hinweg. Er schwitzte unter seiner Windjacke. Er schob seine langen Haare, die ihm über die Augen fielen, zurück und schaute auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr. 3 Uhr 05. Wenn die Bombe hochgeht, sind sie schon weit weg! Auf dem dichten, feuchten Rasen geriet er beinahe ins Rutschen. Nur nicht leichtsinnig werden!

Dann stand er auf dem Weg, vor ihm die Villa. Verdammt prächtiger Schuppen! Millionen und aber Millionen wert! Die Schweine! Alles zusammengestohlen, natürlich. Schade, daß man nicht alles mit einem Schlag zum Einsturz bringen konnte, in einem Vulkan von Flammen, Gestein und Trümmern. Jetzt war er an der Fassade. Laut Wladi lag das Wohnzimmer links von der Tür. Er zerschnitt die Verschnürung des Pakets und zog die Plastikbombe heraus. Er hatte alle Handgriffe im Kopf: Bombe in der Fensterecke befestigen, Zünder eindrücken, Kontakt einschalten. Die Explosion würde wahrscheinlich keinen großen Schaden anrichten, aber es war ja auch nur als Warnung gedacht. Schade! Er klebte die Bombe, so gut es ging, an. Jetzt der Zünder. Er hörte das Uhrwerk. Lief wie geschmiert. Er stellte den Kontakt her, und sein letzter Eindruck war, daß er wie ein Feuerball explodierte, der unter Donner und Schmerzen im Raum zerbarst.

***

Die Druckwelle bog Sträucher und Büsche zurück, und gleich darauf folgten langanhaltende Kaskaden von zersplitterndem Glas. Dann kurze Grabesstille.

Was macht er da bloß? dachte Maurice. Sollte er …

Er sprang mit einem Satz aus dem Wagen. Überall hinter den geschlossenen Fensterläden gingen die Lichter an. Hunde bellten. Fenster wurden aufgerissen, Köpfe herausgestreckt. Ein scharfer Brandgeruch verbreitete sich, und eine Rauchwolke stieg über den Gärten auf.

«Blöder Hund!» stieß Maurice hervor und stampfte wütend mit dem Fuß auf.

Er beugte sich in den Wagen hinein, um das Standlicht auszuschalten, und ging dann bis zur Kreuzung, von wo aus er den Weg éinsehen konnte, auf dem Claude vielleicht auftauchen würde. Aber er war sich schon fast sicher. Ein Nachbar erkundigte sich beim nächsten Nachbar. Die Stimmen trugen weit. Jemand rief: «Eine Gasexplosion!» Maurice ging noch ein paar Schritte, hin und her gerissen zwischen Angst und dem Drang, es genau zu wissen. Menschen überholten ihn auf dem Weg zur Villa. Er hielt sich nur mühsam auf den Beinen. Er sah das Blut vor sich. Claude! Guter alter Claude! Was soll nur aus uns werden?

Drüben entstand ein Auflauf. Hinter einem Vorhang aus Bäumen hellte sich der Himmel leicht auf. Von der Stadt her ertönte das Zweiklanghorn eines Polizeifahrzeugs. Oder war es ein Krankenwagen? Zum Glück trug Claude keine Papiere bei sich. Wladi mußte benachrichtigt werden! «Nun mach schon, Menschenskind! Mach zu!» sagte Maurice zu sich selbst. Aber anstatt zu seinem Auto zurückzugehen, bewegte er sich langsam auf die Explosionsstelle zu, um noch ein wenig bei seinem gefallenen Kameraden zu verweilen.

Die Menge wuchs an. Männer in Schlafanzügen, Frauen mit hastig übergeworfenen Morgenröcken, die Nachtcreme noch im Gesicht. Am Ende des mit Schutt und abgebrochenen Zweigen übersäten Weges erhob sich die Villa. Man sah sie nur verschwommen durch die Staubschicht hindurch. Die Bresche in der Wand, etwas schwärzer als das übrige Mauerwerk, ließ sich nur erahnen. Das Gartentor lag, von der Wucht der Explosion herausgerissen und verbogen, am Boden. Die Neugierigen trauten sich nicht in den Garten hinein und verrenkten sich aufgeregt die Hälse.

«Nie hat man seine Ruhe mit diesem Butangas», sagte eine Frau, nicht weit von Maurice.

Das Polizeifahrzeug bahnte sich im Schrittempo einen Weg durch die Menge, und mit einemmal verstummte alles. Maurice zitterte am ganzen Körper, ein völlig unerklärliches Zittern, denn er hatte seine kaltblütige Gelassenheit wiedergewonnen. Während die schattenhaften Gestalten der Polizisten, ihnen voran die Lichtkegel ihrer Taschenlampen, auf die Eingangstreppe der Villa zugingen, überdachte er die Situation. Und gleichzeitig klemmte er seine Hände unter den Achseln ein, um das Zittern zu unterbinden. Claude also, höchstwahrscheinlich tot. In gewissem Sinne war es sogar besser so. Verletzt könnte er vielleicht reden, wer weiß? Wenn er auch eigentlich nicht zu den ängstlichen Typen gehörte. Wladi benachrichtigen, das war das Wichtigste. Es mußten Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden. Aber vor allen Dingen: nichts überstürzen, trotz allem. Bei den Tausenden von Urlaubern, den verstopften Straßen, den überfüllten Bahnhöfen, Hotels, Postämtern und sonstigen öffentlichen Einrichtungen hatte die Polizei ohnehin keine volle Bewegungsfreiheit.

Ein Polizist kam aus dem Haus gelaufen, und die Menge umringte ihn, sobald er aus dem Tor heraus war.

«Was ist passiert?»

«Lassen Sie mich durch! Bitte, treten Sie zurück! Es war eine Bombe. Wir haben einen Verletzten …»

Der Polizist stieg in das Fahrzeug, und man sah ihn aufgeregt telefonieren.

***

Commissaire Divisionnaire Marest wurde von dem Klingeln geweckt. Er sah auf die Uhr und fluchte.

«Hallo? … Marest am Apparat … Was? … Die Villa Gersaint? Verdammt! Muß das ausgerechnet uns treffen! Und das zu diesem Zeitpunkt! … Wie groß ist der Schaden? … Was? Ja, ja … Ich übernehme das … Ich fahre beim Krankenhaus vorbei. Und gut aufpassen, ja? Die Presseleute werden nicht lockerlassen … Keine Kommentare! … Und halten Sie die Neugierigen zurück! … Richtig, das Straßenstück absperren! Wir sind in einer halben Stunde da.»

***

Maître Gaston Serres war gerade mit Rasieren fertig. Seine Frau stand im Negligé in der Badezimmertür und trank eine Tasse Kaffee.

«Zeiten sind das!» seufzte sie.

«Ich werde den ganzen Vormittag zu tun haben», sagte er. «Der Schaden ist beträchtlich, wie ich höre. Die Fassade soll von oben bis unten Risse haben, ganz zu schweigen von den verwüsteten Zimmern im Erdgeschoß …»

«Das mußte ja so kommen.»

«Solange sie nicht alle hinter Gittern sitzen, wird das so weitergehen. Die Regierung unternimmt ja nichts. Gersaint ist immerhin einer, der es ehrlich meint. Er hat den Mut, zu sagen, was alle denken. Und da läßt man ihn eben hochgehen.»

«Aber du wirst zugeben müssen, daß er manchmal ein bißchen übertreibt.»

«Vielleicht. Aber was willst du machen, das ist nun mal sein Temperament.»

«Und dieser arme Junge, was hat er denn nun abbekommen?»

«Weiß ich nicht. Man hat noch keine Zeit gehabt, mich über alle Einzelheiten zu informieren. Ein Hand abgerissen, glaube ich. Das ist wohl nicht zu teuer bezahlt.»

«Gaston!»

«Was denn, Gaston! Ist doch wahr, oder? Und hoffentlich lassen sie ihn nicht so bald wieder laufen. Wofür haben wir schließlich Gesetze, zum Teufel!»

***

Der 2CV wollte nicht mehr so recht. Er hatte zu vielen Herren gedient, er war zu alt, er klapperte und schepperte. Vor acht Uhr würde Maurice nicht in Paris sein. Wladi anzurufen, war zu gefährlich. Keine Möglichkeit, zu erklären, ins Detail zu gehen. Maurice wurde von Motorrädern überholt, deren Fahrer wie Froschmänner gekleidet waren und ihm höhnisch zuwinkten. So sehr er auch bergab aufholte, in der Ebene verlor er alles gewonnene Terrain wieder. Die Wahrheit war, daß sie einfach zu arm waren, um an der etablierten Macht zu rütteln. Die Bombe zum Beispiel. Von Hand zusammengebastelt, eine billige Kaufhausuhr für den Zeitzünder. Und so war es bei allem. Nicht einmal das Geld, um Flugblätter und Plakate drucken zu lassen. Die einzige Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen, war, die Mauern zu bepinseln. Ein Spaß, wie sich ihn kleine Jungen machen, wenn sie Krieg spielen. Wladi war daran nicht ganz schuldlos. Er bestand darauf, seinen Kampf auf seine Weise zu führen, ganz allein. Dabei gab es noch andere Gruppen, viel wichtigere, mit viel besserer Ausstattung und mit solider Organisation. Aber sie hielten sich zurück, um erst bei Ereignissen größerer Tragweite einzugreifen, die natürlich nie kamen. «Die punktuelle Aktion», pflegte Wladi zu sagen, «das ist was für uns.» Und wohin sie führte, die punktuelle Aktion, das sah man ja. Claude im Krankenhaus. Möglicherweise eine Hand ab. Mit 22 Jahren! Und dann die Bullen am Hals, pausenlos, tagelang. Selbst wenn er den Mund hielt, würden sie bald herausbekommen, woher er stammt; die Nachbarn ausfragen, seine Vergangenheit rekonstruieren, Stück für Stück, Steinchen für Steinchen. Da genügt oft schon die kleinste Nebensächlichkeit … Nun ja, das würde Wladis Sorge sein …

Er versuchte einen schweren Lastzug zu überholen, gab es aber bald auf. Er stellte sich Gersaints dummes Gesicht vor, den Leitartikel, den er todsicher verfassen würde, für sein Hausblatt La Conscience: ‹Die Linke hat zugeschlagen …› Wenn es Claude nicht so gemein erwischt hätte, hätte man darüber lachen können. Leider jedoch war Claude in den Händen der Polizei, und Gersaint würde die ganze Macht seines Blattes einsetzen, um ihn moralisch zu vernichten. Es war bekannt, daß man Gersaint höhern Orts nicht schätzte, ihn sogar haßte wie die Pest, aber was nützte das? Um einer Pressekampagne aus dem Weg zu gehen, würde man Claude die Höchststrafe aufbrummen. Nicht die Villa hätte man in die Luft jagen sollen, sondern Gersaint selbst. Oft genug hatten sie das Problem des politischen Mordes diskutiert. Wladi war nicht dagegen. Joël war rundweg dafür. Die anderen verhielten sich zurückhaltender. Sie waren wie gelähmt von den stundenlangen nächtlichen Debatten. Wenn sie bis zum frühen Morgen diskutiert hatten und nach Hause gingen, dann waren sie berauscht von all den Worten und überzeugt, daß die Welt auf ihren Schultern ruhte und daß es an der Zeit war, etwas zu schlafen. Diese Sprengstoffanschläge zum Beispiel, wie oft hatte man sie erörtert, nach allen Seiten abgewogen und kritisiert! Im Grundsätzlichen waren sie sich alle einig. Aber sobald sie zur «Analyse der Umstände und Gegebenheiten» – wie Georges es nannte – schritten, traten sofort wieder Meinungsverschiedenheiten zutage. Es wäre besser gewesen, sie hätten weniger theoretisiert und dafür mehr und besser vorausgeplant. Zuviel Improvisation! Maurice nahm sich vor, bei der nächsten Versammlung einmal ordentlich auf den Tisch zu hauen.

Er zog eine zerknitterte Packung Gauloises aus seiner Hosentasche und ließ das Lenkrad los, um eine Zigarette herauszufischen, die er mit einem Flammenwerfer von Feuerzeug anzündete. Man kommt sich direkt wie ein alter Kämpfer vor, dachte er. Er sah in den Rückspiegel, der nur seine fiebrig glänzenden Augen erkennen ließ. Vor ihm, am Horizont, ging die Sonne auf und blendete ihn. Mit Gepäck hoch beladene Autos auf dem Weg zur Küste begegneten ihm. Hinter der Ausfahrt Gaillon sah er zwei Motorradstreifen bei einem angehaltenen Lieferwagen. Im Vorbeifahren wandte er den Kopf ab.

***

«Nun? Ist es schlimm?» fragte der Commissaire.

Der Stationsarzt zog ihn in ein nahes Bürozimmer.

«Er wird’s überstehen. Es ist ein Wunder. Die rechte Hand ist futsch. Ein Bein steckt voller Splitter, und Verbrennungen ungefähr am ganzen Körper, aber nur oberflächlich. Natürlich wirkt auch der Schock noch nach, aber er ist ein äußerst robuster junger Mann. In vierzehn Tagen ist er wieder auf den Beinen. Ich hoffe, daß ihm dies eine Lehre gewesen ist.»

«Sie kennen diese Burschen nicht», sagte der Commissaire. «Kann ich mit ihm sprechen?»

«Es wäre besser, man ließe ihn in Ruhe.»

«Ich werde ihn schonend behandeln. Übrigens, kommen Sie doch mit!»

«Ich habe ihn isoliert.»

«Völlig richtig.»

Sie gingen hinaus. Die aufgehende Sonne strahlte durchs Flurfenster. Der Commissaire wischte sich die Stirn.

«Sie werden allerhand Arbeit bekommen», sagte er.

«Besonders morgen. Wir müssen mit einem guten Dutzend Unfällen rechnen. Wenn nicht mehr! Letztes Jahr, am 31. Juli, hatten wir siebzehn … Hier ist es.»

Er öffnete leise eine Tür, und der Commissaire sah den Verletzten, dessen rechter Arm unter einem dicken Verband verschwand. Claude starrte an die Decke. Der Commissaire trat an sein Bett. Claude wandte ihm den Kopf zu.

«Weit hast du’s gebracht!» sagte der Commissaire. «Böse Sache! Du kommst natürlich aus Paris. Wie heißt du?»

Claude schloß die Augen.

«Wer war bei dir? Los! Wer war bei dir?»

«Ich war allein», murmelte Claude.

«Im Auto.»

«Nein, mit dem Zug.»

«Mit welchem Zug? … Siehst du, du weißt keine Antwort, aber wir wissen alles. Am Ende kriegen wir immer alles heraus … Hast du Monsieur Gersaint persönlich gekannt?»

«Nein.»

«Rache?»

Claudes Lippen verzogen sich zu einem seltsam müden Lächeln.

«Ich schwöre dir, da gibt’s nichts zu lachen. Das wirst du schon noch merken.»

Der Arzt nahm den Commissaire beim Arm. «Sie haben es mir versprochen. Ich glaube, es ist genug für heute. So robust ist er nun auch wieder nicht.»

«Er kann nicht laufen?»

«Unmöglich. Das versichere ich Ihnen.»

«Trotzdem. Ich werde jemanden herschicken. Besser, wir bewachen ihn. Vor allen Dingen keine Journalisten! Niemand! Vollkommene Nachrichtensperre! Wir wollen in Ruhe arbeiten können.» Er beugte sich über den Gefangenen. «Und du, mein Sohn, überleg dir’s gut! Deine abgerissene Hand wird dich nicht retten. Ich will die anderen, alle anderen!»

***

Gersaint hielt es zunächst für das Klingeln des Weckers. Nein, es war das Telefon. Er stand auf. Sechs Uhr. Wer wollte ihn da wieder verulken? Florence schlief, oder tat so als ob. Er ging rasch in sein Arbeitszimmer und nahm gereizt ab.

«Gersaint am Apparat! … Sprechen Sie lauter! … Was? … Meine Villa! … Ah, diese Schweine! … Wie groß ist der Schaden? … Können sie’s nicht etwas genauer sagen? … Ja, ich notiere: Maître Serres … Nein, ich habe keine Drohungen erhalten … Das heißt, nichts Besonderes … die üblichen Drohungen, ja, wenn Sie so wollen … anonyme Briefe bekomme ich tagtäglich, ich beachte sie kaum noch … Was wissen Sie über ihn? … Ein Linker, vermutlich … Ja, allerdings muß ich um halb zehn in London sein. Ich bin morgen abend wieder zurück. Aber ich kann meine Frau schicken. Sie kann das ebensogut erledigen wie ich … Das Unglück ist ja nun geschehen, da kommt es auf einen Tag früher oder später nicht an … Wie? … Wenn es regnet? Ja, da haben Sie recht. Man müßte abdichten, wenigstens notdürftig … Danke, Commissaire. Ich verlasse mich auf Sie. Vielen Dank.»

Er legte eilig auf und ging ins Schlafzimmer zurück.

«Florence! Wach auf!» Er schaltete die Deckenleuchte an. «Zum Schlafen ist jetzt keine Zeit! Weißt du, was sie mit uns angestellt haben?»

Florence blinzelte ins grelle Licht. «Ich bitte dich, schrei doch nicht so! Ich habe Kopfschmerzen.»

«Sie haben unsere Villa gesprengt.»

Er setzte sich auf das Fußende des Bettes und wiederholte langsam, als müsse er sich über den Sinn eines schwierigen Problems klarwerden: «Sie haben unsere Villa gesprengt.» Dann sprang er plötzlich auf und schlug mit der rechten Faust in die linke Handfläche. «Nur keine Zurückhaltung, meine Herren! Gersaint gehört euch. Er ist Freiwild. Nur immer feste drauf! Er ist der Feind, nicht ihr.»

Florence hatte sich im Bett aufgerichtet. «Die Villa? Man hat sie …»

«Ich sag’s doch! Das Wohnzimmer ist verwüstet, die Zwischenwände eingestürzt. Der Schaden läßt sich noch nicht beziffern. Versteh doch endlich! Zum Glück haben sie einen erwischt.» Er lachte schallend auf und trat mit dem Fuß nach einer Falte im Bettvorleger. «Die Regierung wird sich grün und blau ärgern, denn diesmal werden sie nicht umhin kommen, einen zu verurteilen. Ich habe zweihunderttausend Leser hinter mir. Die werden sie kaum überhören können … Zieh dich an! Du mußt für mich hinfahren. Ich darf mein Flugzeug nicht verpassen … Ruf Maria! Sie soll schnell Kaffee machen.»

«Maria hat seit gestern Urlaub.»

Gersaint, der unruhig im Zimmer auf und ab ging, blieb stehen und ließ entmutigt die Arme sinken. «Das hatte ich ganz vergessen. Die Urlaubszeit, natürlich! Warum hätten sie wohl sonst diesen Zeitpunkt gewählt?! Die Polizei hat auf den Straßen zu tun, während man auf ehrlich arbeitende Leute Sprengstoffanschläge verübt. Nun gut, verzichte ich eben auf meinen Kaffee. Nun zieh dich schon an! Du mußt hinfahren.»

«Nein, Paul. Versuch doch endlich einmal, mich zu verstehen. Es ist dein Ferienhaus. Du hast es gekauft, ohne mich zu fragen. Du hast es nach deinem Geschmack eingerichtet. Du weißt, daß ich Deauville hasse. Aber ich zähle ja nicht. Du hast deinen Kreuzzug zu führen. Aber ich will damit nichts zu tun haben, verstehst du? Ich sehe genau, welche Wendung die Dinge nehmen. Ich habe nicht die Absicht, mich in etwas hineinziehen zu lassen.»

«Aber das ist doch absurd!»

«Vielleicht. Es tut mir leid um dich. Aber ich sehe keinen Grund für mich, nach Deauville zu fahren. Was soll ich da? Was kann ich allein schon entscheiden? Und dann möchte ich dir noch eines sagen: Ich fühle mich nicht mitbetroffen, und ich will nicht, daß man uns beide in einen Sack steckt. Ich bin nicht deine Verbündete. Ich unterschreibe deine Artikel nicht mit.»

«Du läßt mich im Stich!»

«Aber nein, Paul.»

«Aber ja.»

Sie glitt tiefer unter die Decke und kuschelte sich in ihr Kissen, als beabsichtigte sie weiterzuschlafen.

Gersaint lief unschlüssig durchs Zimmer, sah sich um, als suche er einen Zeugen. «Sie läßt mich im Stich! Sie macht mit ihnen gemeinsame Sache!»