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Knochen lügen nicht Vor zehn Jahren wurde mein bester Freund wegen Mordes verurteilt. Zehn Jahre, in denen ich verzweifelt versucht habe, meinen Namen reinzuwaschen und die Welt davon zu überzeugen, dass ich nichts von seinen abscheulichen Taten wusste. Ich dachte, die Vergangenheit hätte mich endlich losgelassen – bis nach all der Zeit die Privatdetektivin Veronica »Ronnie« Fraser auftaucht und wortwörtlich beginnt, im Dreck zu wühlen. Ich habe keine andere Wahl, als mit ihr zusammenzuarbeiten. Nur so kann ich kontrollieren, welche Geheimnisse sie ans Tageslicht zerrt – und welche ich um jeden Preis verborgen halten muss … Dark Romance. Düstere Themen. Eindeutige Szenen. Deutliche Sprache. In sich abgeschlossen.
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Seitenzahl: 276
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Little Boxes Full Of Bones
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
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Über Mia Kingsley
Copyright: Mia Kingsley, 2025, Deutschland.
Covergestaltung: Mia Kingsley
Korrektorat: http://www.swkorrekturen.eu
ISBN: 978-3-911483-24-7
Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.
Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.
Black Umbrella Publishing
www.blackumbrellapublishing.com
Knochen lügen nicht
Vor zehn Jahren wurde mein bester Freund wegen Mordes verurteilt. Zehn Jahre, in denen ich verzweifelt versucht habe, meinen Namen reinzuwaschen und die Welt davon zu überzeugen, dass ich nichts von seinen abscheulichen Taten wusste.
Ich dachte, die Vergangenheit hätte mich endlich losgelassen – bis nach all der Zeit die Privatdetektivin Veronica »Ronnie« Fraser auftaucht und wortwörtlich beginnt, im Dreck zu wühlen.
Ich habe keine andere Wahl, als mit ihr zusammenzuarbeiten. Nur so kann ich kontrollieren, welche Geheimnisse sie ans Tageslicht zerrt – und welche ich um jeden Preis verborgen halten muss …
Dark Romance. Düstere Themen. Eindeutige Szenen. Deutliche Sprache. In sich abgeschlossen.
Da ich die Nummer im Display nicht kannte, zögerte ich erst, ob ich den Anruf annehmen sollte.
Ich gab mir einen Ruck. »Ja?«
Es klickte in der Leitung und als die Automatenstimme ihren Text abspulte, wusste ich, dass ich nicht hätte drangehen sollen.
»Dies ist ein R-Gespräch von Grayson Wolfe, momentan im Oak Park Heights Hochsicherheitsgefängnis in Minnesota inhaftiert. Alle Anrufe werden katalogisiert und aufgezeichnet und können jederzeit vom Gefängnispersonal abgehört werden. Wenn Sie dies nicht möchten, legen Sie jetzt bitte auf. Wenn Sie in der Leitung bleiben, akzeptieren Sie die Übernahme der Kosten dieses Anrufes.«
Leider war Auflegen keine Option mehr. Dazu war es bereits zu spät, versicherte mir mein Instinkt. Grayson würde nicht lockerlassen, bis ich mit ihm gesprochen hatte. Ich würde es einfach hinter mich bringen müssen – ob ich wollte oder nicht.
»Hallo, Quinn«, sagte Grayson und nach all der Zeit war es wie ein Schlag in die Magengrube, seine Stimme zu hören.
Obwohl ich nicht zum Kalender hätte sehen müssen, um zu wissen, dass es jetzt mehr als zehn Jahre her war, schaute ich trotzdem hin.
»Willst du nichts sagen?«, fragte mein ehemals bester Freund amüsiert.
Ich schluckte gegen den Kloß in meinem Hals an und hoffte, dass Grayson es nicht hören würde. »Was willst du?«, brachte ich schließlich hervor.
»Das ist alles?« Er lachte. »Wow. Fast elf Jahre ohne ein Wort von dir, ohne einen Brief oder gar einen Besuch – und dann hast du keine dringenderen Fragen?«
»Ich kann auch auflegen«, erwiderte ich und straffte den Rücken. Zwar konnte Grayson mich nicht sehen, doch ich brauchte die Geste als Erinnerung daran, dass ich in dem letzten Jahrzehnt weit gekommen war. Ich hatte wesentlich mehr Geld und Einfluss als früher, war ruhiger und gelassener geworden. Grayson konnte mir nichts. Er saß hinter Gittern, nicht ich.
»Das würdest du nicht tun. Dazu bist du viel zu neugierig, mein Lieber. Du vergisst, wie gut ich dich kenne.«
»Und du vergisst, dass zehn Jahre eine lange Zeit sind. Menschen ändern sich.«
Er schnalzte mit der Zunge. »Davon bin ich nicht überzeugt.«
»Ich wiederhole mich nur ungern, Grayson. Was willst du – abgesehen von meine Zeit verschwenden?« Mit jeder Sekunde trat der Schock über seinen unerwarteten Anruf weiter in den Hintergrund und ich gewann mehr und mehr meiner Selbstsicherheit zurück.
»Ist es neuerdings verboten, seine Freunde anzurufen und sich nett zu unterhalten?«
»Wir sind keine Freunde mehr und wenn das alles war, werde ich jetzt auflegen.«
Ich hatte den Hörer bereits vom Ohr genommen, als Grayson hervorstieß: »Ich habe gelogen.«
Mir war bewusst, dass es sich wahrscheinlich bloß um eines seiner Psychospielchen handelte, aber ich brachte es nicht über mich, das Gespräch zu beenden. Trotzdem wusste ich nicht, was ich sagen sollte, und schwieg für einen Moment.
Grayson hatte Stille nie gut ertragen können und auch jetzt funktionierte es. »Adrienne. Ich habe damals in Bezug auf Adrienne gelogen.«
Ich hatte unzählige Fragen, allerdings hörte ich immer noch die Bandansage in meinem Kopf. Dieses Gespräch wurde aufgezeichnet, weshalb ich meine Worte mit sehr, sehr viel Bedacht wählen musste.
Der Einfachheit halber entschied ich mich für eine glatte Lüge. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon du redest«, behauptete ich.
Grayson lachte auf. »Als ob du ausgerechnet Adrienne vergessen hast. Du weißt genau, was ich meine, Quinn. Und du weißt auch, wie schnell ich ungehalten werde, wenn man versucht, mich zu verarschen. Zwing mich nicht, etwas Dummes zu tun.«
Ich dachte an die Gerichtsverhandlung und die lange Auflistung von Graysons Taten. »Ich fürchte, den Punkt haben wir bereits hinter uns gelassen.«
Mein ehemals bester Freund ignorierte den Seitenhieb und fuhr ungerührt fort: »Sie ist nicht verschwunden.«
Mir wurde abwechselnd heiß und kalt und mein Magen schrumpfte auf die Größe eines Staubkornes zusammen. Als mein Blick auf meine linke Hand fiel, wurde mir bewusst, dass ich mich an der Tischkante festklammerte. »Du lügst.«
»Ich lüge nicht«, erwiderte er ruhig und mit vollkommener Gelassenheit.
Ich war froh, dass ich saß, denn mir wurde schlagartig klar, dass er in der Tat die Wahrheit sagte.
»Was willst du, Grayson?«, presste ich zwischen den Zähnen hervor. Meine Gedanken rasten und ich musste mich zwingen, meine Konzentration auf das Gespräch gerichtet zu halten, weil ich überlegte, welche Schritte nötig waren, sobald Grayson mich endlich wieder aus seinen Klauen gelassen hatte.
»Mir ist langweilig. Und um ehrlich zu sein, bin ich nachtragend. Ein schöner Freund bist du, dass du mich nie besucht hast. Ich gebe zu, dass es ein bisschen länger gedauert hat, bis ich meinen Plan gefasst hatte, und noch länger, bis sich eine Möglichkeit ergeben hat, ihn in die Tat umzusetzen. Doch jetzt ist es so weit und ich dachte mir, dass ich dir den ersten Anruf schuldig bin.« Grayson lachte vergnügt. »Ich habe mir damals eine Art kleines Sicherheitsnetz gesponnen und jetzt ist es Zeit, dass ich es nutze.«
»Du redest in Rätseln und dafür habe ich keine Geduld.« Ich zischte die Worte, weil ich hoffte, dass ich angepisst und keineswegs so aufgewühlt klang, wie ich mich tatsächlich fühlte.
»Ich habe eine hübsche kleine Kiste und der Inhalt könnte dir zum Verhängnis werden.«
Mit einem Seufzen legte ich die Finger auf die Nasenwurzel und massierte sie. Kryptischer hätte er sich kaum ausdrücken können. Aber so war Grayson und so war er auch schon immer gewesen. Er musste sich um jeden Preis intelligenter als alle anderen fühlen.
»Du sitzt im Knast. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass du längst etwas daran geändert hättest, wenn du könntest. Falls das alles war – ich habe zu tun.«
»Für den Moment war das tatsächlich alles.« Er machte eine Pause und ich wusste, dass es definitiv nicht alles gewesen war. »Wobei da noch eine Sache wäre.«
Ich sparte mir jegliche Antwort.
Aber Grayson brauchte keinen Anreiz, um weiterzusprechen: »Ich habe ein Geschenk für dich.«
»Nicht interessiert. Danke.«
»Und ob du interessiert bist. Sie wird dir gefallen.« Die Selbstzufriedenheit tropfte förmlich aus seiner Stimme und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als durch den Hörer greifen zu können und ihn zu erwürgen.
»Sie?«, wiederholte ich. »Hast du jetzt endgültig den Verstand verloren?«
Er schnaubte verächtlich. »Ich war von Anfang an dagegen, dass mein Anwalt auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren wollte, aber er hat es für die beste Strategie gehalten. Idiot.«
Wieder sagte ich nichts, doch mir lief ein Schauer über den Rücken, als Grayson fragte: »Hast du übrigens gehört, dass er tot ist? Mein Anwalt? Tragische Sache. Sein Haus muss wohl abgebrannt sein.«
Ich musste mich mit Nachdruck daran erinnern, dass dieses Gespräch aufgezeichnet wurde. »Wenn du nicht eingesperrt wärest, würde ich mich fragen, ob du vielleicht etwas mit dem Feuer zu tun hast. Du hast immer gern gezündelt.«
»Richtig, ich bin eingesperrt. Aber ich bin auch überaus intelligent und intelligente Leute finden Mittel und Wege.«
»Davon bin ich überzeugt.« Mir lag die Frage auf der Zunge, wen Grayson mit »sie« gemeint hatte, doch mir war klar, dass er mir nicht antworten und lieber seinen vermeintlichen Triumph würde auskosten wollen, weil er mich trotz allem neugierig gemacht hatte.
»Wenn das alles war, Grayson – manche von uns haben Jobs und Termine.«
»Oh, ein netter Seitenhieb. Aber für heute sind wir fertig. Ich melde mich wieder.«
»Die Mühe kannst du dir sparen«, sagte ich und beendete den Anruf, damit ich mich wenigstens für einen Moment der Illusion hingeben konnte, ich hätte die Kontrolle über die Unterhaltung gehabt.
Als ich das Handy weglegte, wollte ich mir nicht eingestehen, dass meine Finger zitterten. Mehr als zehn Jahre lang hatte ich es vermieden, über Adrienne nachzudenken.
Grayson log. Eine andere Erklärung gab es nicht. Wenn er wirklich irgendwelche Beweise hätte, wäre er verrückt gewesen, sie nicht während seiner Verhandlung zu präsentieren.
Es klopfte knapp an meine Bürotür.
Obwohl ich nicht das geringste Verlangen nach Gesellschaft verspürte, war mir in dieser Sekunde jegliche Ablenkung willkommen.
»Ja?«
Teddy kam herein und bis zu meinem Schreibtisch, ehe er mir einen Briefumschlag reichte. »Ist gerade eben am Empfang abgegeben worden, Boss.«
Ich erkannte die Handschrift, in der mein Name geschrieben war, sofort. Das flaue Gefühl in meiner Magengegend verstärkte sich, während ich Graysons energisch geschwungene Buchstaben musterte. »Jetzt gerade?«
»Ja, vor einer Minute oder so.«
»Danke.«
Teddy nickte mir zu und verschwand wieder.
Ich betrachtete den Briefumschlag und rang mit mir. Er war flach und kaum größer als ein Standardbrief, auch wenn er nicht frankiert und eindeutig bloß abgegeben worden war.
Da es alles nichts brachte, drehte ich den Umschlag um und riss ihn auf. Bis auf das Foto einer attraktiven Frau war er leer.
Ich drehte, wendete und schüttelte den Umschlag mehrfach, doch da war wirklich sonst nichts zu finden.
»Viel Spaß mit meinem Geschenk«, hatte Grayson auf der Rückseite des Fotos notiert.
Einige lange Minuten starrte ich das Bild an, allerdings war ich mir absolut sicher, dass ich die Frau niemals zuvor in meinem Leben gesehen hatte. Da sie attraktiv und genau mein Typ war, würde ich mich an sie erinnern.
Ihre hellbraunen Haare hatten einen rötlichen Stich, die braunen Augen sprühten vor Intelligenz und die Handvoll Sommersprossen auf der Nase und ihren Wangen verliehen ihr die perfekte Mischung aus »süß« und »sexy«.
Ich legte das Bild weg und dachte nach. Im Grunde hatte ich nicht die geringste Lust auf Graysons Spielchen. Aber was, wenn er die Wahrheit sagte?
Ich hatte zu lang und hart gearbeitet, um mir alles, was ich mir aufgebaut hatte, von einem wegen Mordes eingesperrten Psychopathen wegnehmen zu lassen. Niemand würde ihm glauben, sollte er mit Anschuldigungen gegen mich um sich werfen – dazu war ich immer zu vorsichtig gewesen.
Allerdings bestand die verschwindend geringe Chance, dass er Beweise hatte. Richtige, handfeste Beweise, die mir zum Verhängnis werden konnten. Wollte ich das Risiko eingehen?
Mein Blick glitt durch mein Büro. Ich hatte auf so viel verzichtet und so viel erreicht.
Während ich eine Hand zur Faust ballte, griff ich mit der anderen nach meinem Handy. Nicht dem Smartphone, das auf dem Schreibtisch lag, sondern dem Prepaid-Klapphandy in der Schublade, dessen Nummer nicht viele Leute hatten.
»Ja, Boss?«, fragte die Stimme am anderen Ende.
»Ich muss jemanden finden.«
»Kein Problem.«
»Allerdings habe ich nur ein Foto.«
»Wirklich kein Problem, Boss.«
»Drei neue Sponsoren und ein kleiner Aufschwung nach oben – dreizehn Prozent mehr Hörer als im Vormonat«, verkündete Norman.
Ich erlaubte mir ein zufriedenes Grinsen. »Seht ihr? Ich habe gleich gesagt, dass es nicht schaden wird, die Folgen zu kürzen und lieber zwei pro Woche zu veröffentlichen. Die Leute haben immer weniger Zeit und immer mehr Auswahl, wie sie ihre Freizeit gestalten wollen. Der durchschnittliche Arbeitsweg in diesem Land ist sechsundzwanzig Minuten lang – es macht einfach mehr Sinn, die Folgen daran anzupassen.«
Frankie zuckte mit den Achseln. »Meinetwegen. Aber wir halten ein Auge darauf, ob das so bleibt.« Sein Blick glitt zwischen seinem Partner Norman und mir hin und her. »Wie sieht es mit der Planung für das übernächste Quartal aus?«
Norman warf einen Blick auf sein Tablet und wischte mit den Fingern übers Display. »Ich habe nicht die geringste Ahnung und würde mich da eher auf Ronnies Bauchgefühl verlassen. Oder hast du Anmerkungen, River?«
Unser Praktikant wuchs angesichts der Frage gleich um mehrere Zentimeter und wirkte sichtlich stolz, dass Norman ihn in die Unterhaltung miteinbezog, obwohl er erst seit knapp zwei Monaten im Team war. »Ich … Also ich habe die Akten alle gelesen, aber da ich nicht einmal wüsste, wo ich mit der Recherche anfangen sollte, ist mir auch nicht klar, nach welchem Gesichtspunkt ich den richtigen Fall auszusuchen habe. Sie klingen alle interessant und verschwundene Frauen sind ja immer gut für die Einschaltquoten.«
Sein letzter Satz brachte ihm einen bösen Blick von Frankie ein. »Wir bieten den Familien die Chance auf Antworten und ein bisschen Frieden – die Einschaltquoten sind zweitrangig.«
River zog prompt die Schultern hoch. »Sorry«, murmelte er mit feuerroten Wangen.
Er hatte vermutlich nicht vergessen, dass das Lösen der Cold Cases ein privates Anliegen für Frankie war, dessen Mutter spurlos verschwunden war, als Frankie kaum zwölf Jahre alt gewesen war, doch River war mit seinen zweiundzwanzig eben noch ein bisschen jung und manchmal unsensibel.
»Du darfst bei aller Professionalität, den Sponsoren, den Quoten und den begeisterten Fans, die viel zu lange E-Mails schreiben, nicht vergessen, dass unsere Toten alle zu irgendwem gehörten. Sie waren Töchter, Schwestern, Mütter und Cousinen, die schmerzlich vermisst werden«, erklärte ich. »Schmerzlich vermisst von Leuten, die nicht die geringste Ahnung haben, was mit ihnen geschehen ist. Deshalb klären wir die Familien ja auch Wochen vor Veröffentlichung der Folge auf. Um ihnen Zeit zu geben, sich damit zu arrangieren und hoffentlich ihren Frieden zu finden, weil sie wenigstens Gewissheit haben.«
River wirkte zerknirscht. »Sorry, Frankie. Echt.«
»Kein Ding.« Frankie winkte ab. Nicht nur, weil er ohnehin nicht nachtragend war, sondern auch, weil River ehrlich betroffen wirkte.
Um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, öffnete ich eine Akte auf meinem eigenen iPad. »Ich tendiere zu der Jane Doe mit den beiden Eheringen.«
Das Foto des Skeletts, das auf meinem Bildschirm prangte, brach mir beinahe das Herz. Laut Befund des untersuchenden Arztes war die Frau zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen dreißig und zweiunddreißig Jahre alt gewesen, hatte kein Kind geboren und war aufgrund von stumpfer Gewalteinwirkung gestorben. Der Schädel war auf der Rückseite eingeschlagen worden, und zwar mit so viel Wucht, dass sich die feinen Risse um die Wunde herum ziemlich weit ausgedehnt hatten.
Doch am meisten hatte mich der Anblick der zarten Goldkette um ihren Hals getroffen, an der zwei – leider ungravierte – Eheringe hingen.
»Sie könnte eine junge Witwe gewesen sein. Jemand hat sie umgebracht und die Verwandten und Nachbarn denken vielleicht, sie wäre einfach weggezogen, um woanders neu anzufangen.« Ich sah in die Runde.
Frankie musterte die Akte mit gerunzelter Stirn, Norman nickte und River starrte mich an.
»Wie … wie kommst du zu der These?«, fragte er.
»Ein Bauchgefühl.« Ich zuckte mit den Achseln. »Wenn du den Job so lange machst wie ich, entwickelst du ein Gespür für so etwas.«
Frankie schnaubte. »Jetzt tu mal nicht so, Ronnie. Du bist einfach verdammt gut.«
»Meine Trefferquote ist zufriedenstellend«, korrigierte ich sanft und versuchte nicht zu lang darüber nachzudenken, wie ungern ich über mich sprach. Aber ich stand ohnehin nicht gern im Mittelpunkt, weshalb ich zufrieden damit war, die Recherchen zu übernehmen, während Frankie und Norman die Gesichter – und natürlich die Stimmen – des Podcasts waren.
»Zufriedenstellend?« Frankie hob eine Augenbraue und deutete mit dem Daumen über seine Schulter. Hinter ihm befand sich unsere Wall-of-Fame – die Wand, die mit den Gesichtern der Frauen gepflastert war, deren Verschwinden wir hatten aufklären können.
Und ja, er hatte recht. Zweiundsiebzig gelöste Cold Cases in acht Jahren waren besser als »zufriedenstellend«. Ich lobte mich nur eben nicht gern selbst und es war eine Menge Teamwork nötig gewesen, um die Fälle zu lösen und die Mörder zu überführen.
»Ich richte mich ganz nach Ronnie«, sagte Norman mit einem Lächeln. »Ihr Gespür ist schlicht zu gut, um ihr zu widersprechen.«
Frankie nickte. »In Ordnung, dann die Jane Doe mit den beiden Eheringen.«
Ein letztes Mal musterte ich ihr Foto, ehe ich den Blick hob. »Sollte ich noch etwas wissen, bevor ich mich auf den Weg mache?«
Sobald ich mit der Recherche begann, war ich meistens viel unterwegs und schaute nicht oft im Studio vorbei, wo ich ohnehin nicht gebraucht wurde, wenn ich von unseren monatlichen Meetings absah.
Ich liebte meinen Job, weil er mir viel Freiheit erlaubte und ich gleichzeitig Gutes tun konnte.
»Wir wollten später noch essen gehen.« Frankie schob die Unterlippe vor. »Willst du nicht mitkommen?«
Ich schaute anstandshalber auf die Uhr, bevor ich den Kopf schüttelte. »Leider bin ich schon verabredet. Nächstes Mal bestimmt«, behauptete ich wie immer.
Frankie seufzte und Norman warf mir ein schiefes Lächeln zu, während River bereits aufstand und nach den leeren Tassen griff.
Ich packte meine Tasche, verabschiedete mich und versprach, dass ich mich regelmäßig melden würde. Dann verließ ich das Studio, schloss die Kette auf, mit der ich mein Fahrrad gesichert hatte, und machte mich auf den Heimweg.
Es herrschte nicht viel Verkehr, sodass ich kaum eine halbe Stunde brauchte, bis ich die Eingangstür aufsperrte und das Rad in den Keller trug.
Eigentlich hatte ich erst noch kurz in meine Wohnung gehen wollen, aber Jaimie lauerte mir bereits auf, als ich den Flur in unserem Stockwerk betrat.
»Hey«, sagte sie und nickte mir zu. Sie hielt Mr McPurr in den Armen und kraulte ihn hinter den Ohren. »Du hast perfektes Timing. Das Essen ist fast fertig.«
Da mir der Geruch ihrer göttlichen Miso-Mac’n’Cheese bereits in die Nase stieg, entschied ich, dass ich meine Tasche auch mit zu ihr nehmen konnte, statt sie erst bei mir, in der Wohnung direkt nebenan, abzustellen.
»Wie war das Meeting?«, wollte Jaimie wissen, nachdem sie die Tür hinter uns geschlossen und Mr McPurr abgesetzt hatte. Ihr Kater blieb allerdings mitten im Weg sitzen und starrte uns vorwurfsvoll an, da er offenbar der Meinung war, noch wesentlich mehr Streicheleinheiten verdient zu haben.
»Ganz gut, schätze ich. Wir haben uns auf den nächsten Fall geeinigt und ansonsten war es … eher langweilig. Sponsoren, Gast-Interviews, solche Dinge eben.« Ich folgte Jaimie in die Küche.
Sie hatte den Tisch gedeckt, meinen Lieblingswein bereitgestellt und sogar eine Kerze angezündet.
»Wartest du auf ein Date?«, fragte ich und runzelte die Stirn.
»Nein, aber …« Sie warf mir einen flehenden Blick aus ihren riesigen grünen Augen zu. »Aber vielleicht muss die Glühbirne im Bad gewechselt werden. Du bist so groß. Ich bin so klein …«
»Muss lediglich die Glühbirne gewechselt werden oder sitzt da zufällig auch eine Spinne, die ich für dich erlegen soll – wenn ich schon dabei bin?«
Jaimie wickelte eine ihrer roten Locken um ihren Finger und schob die Unterlippe vor. »Beides?«
»Oh Mann.« Ich rollte mit den Augen. »Und ich dachte, du würdest einfach nur Infos über den Podcast abstauben wollen.«
»Will ich auch«, gab sie schamlos zu. »Deshalb habe ich deinen Lieblingsnachtisch besorgt. Den gibt’s, sobald die Spinne tot ist. Ein riesiges Vieh. Richtig eklig.«
»Wo ist die neue Birne?«, fragte ich, weil Jaimie unverschämt genug war, mir das heiß ersehnte Essen vorzuenthalten, wenn ich ihr nicht vorher aushalf.
Glücklicherweise war die Spinne nicht halb so groß, wie Jaimie angekündigt hatte, und nachdem ich das arme Tier durch das Badezimmerfenster in die Freiheit entlassen hatte, wechselte ich die Glühbirne aus. Im Gegensatz zu Jaimie brauchte ich dazu nicht einmal einen Hocker oder eine Trittleiter.
Als ich wieder in die Küche kam, servierte Jaimie bereits das Essen und ich war prompt versöhnt.
»Und?«, fragte sie, als wir beide saßen. »Welcher Fall wird der nächste?«
»Die Jane Doe mit den beiden Eheringen.«
»Spannend.« Sie griff nach ihrem Weinglas und trank einen Schluck. »Weißt du schon, wo du anfangen wirst?«
»Massenspektrometer-Analyse, um herauszufinden, wo sie aufgewachsen ist und vielleicht länger gelebt hat. Gesichtsrekonstruktion, damit wir wissen, wie sie in etwa ausgesehen haben könnte. Dann: die Nadel im Heuhaufen suchen.«
»Ich stelle mir das wahnsinnig befriedigend vor.« Jaimie schob mehr Nudeln auf ihre Gabel.
»Hm«, machte ich und zuckte mit den Achseln. »Leider ist es die meiste Zeit eher frustrierend, weil sich neun von zehn Spuren in der Regel als Sackgassen entpuppen, aber wenn der Täter dann geschnappt wird, war es sämtliche Frustration wert.«
»Ich bin froh, dass du das immer wieder auf dich nimmst. Ihr leistet da echt einen wertvollen Beitrag.«
Ich rang mir ein schwaches Lächeln ab. »Danke. Daran versuche ich mich auch regelmäßig zu erinnern. Ist übrigens wirklich lecker. Habe ich mich überhaupt schon für die Einladung bedankt?«
Jaimie winkte ab. »Musst du nicht. Ich habe nicht gerade uneigennützig gehandelt.«
Als Jaimie vor acht Monaten in die leer stehende Wohnung neben meiner gezogen war, hatte ich nicht geplant, mehr als nötig mit ihr zu reden. Allerdings hatte meine neue Nachbarin andere Pläne gehabt und mich direkt mit ihrem Charme entwaffnet. Sie war außerdem ein großer Fan des Podcasts und hatte sofort gewusst, dass ich die »Schnüfflerin Ronnie« sein musste, nachdem wir ins Gespräch gekommen waren.
Da Jaimie mich regelmäßig mit selbst gekochten Mahlzeiten in ihre Wohnung lockte, hatte ich mich irgendwann in mein Schicksal gefügt und akzeptiert, dass sie jetzt offenbar meine Freundin war. Eine meiner wenigen Freundinnen. Mir fehlten die Zeit und die Ausdauer, um Freundschaften zu pflegen, wie sie es verdienten.
Mr McPurr strich um meine Beine und blieb beharrlich, bis ich ihn kraulte. Er passte perfekt zu seiner Besitzerin, die sich als ebenso hartnäckig entpuppt hatte.
Nach einem Stück Tiramisu, das mich beinahe orgiastisch hätte stöhnen lassen, verabschiedete ich mich mit dem Versprechen, jetzt nicht wieder wochenlang von der Erdoberfläche zu verschwinden und Bescheid zu sagen, sollte ich verreisen, damit sich Jaimie keine Sorgen machte.
Mit einem letzten Lächeln in ihre Richtung schloss ich schließlich meine Wohnungstür auf und schaltete das Licht an. Ich sperrte hinter mir ab und als ich die Tasche von meiner Schulter gleiten ließ, nahm ich einen Hauch eines holzig-ledrigen Duftes wahr.
Statt die Tasche wegzustellen, zog ich meine Pistole hervor. Ich hatte schon seit Wochen keinen Mann mehr in meiner Wohnung gehabt und konnte mir nicht erklären, wo der Geruch herkommen sollte – es sei denn, jemand war bei mir eingebrochen.
Ich schaltete das Licht wieder aus, weil mir der Grundriss vertraut genug war, und begann so leise wie möglich die Wohnung zu durchqueren, verließ mich dabei nur auf das spärliche Licht, das von draußen hereinfiel.
Insgesamt zwei Runden drehte ich, ehe ich die Deckenlampe erneut anschaltete. Ich war definitiv allein. Den Lauf meiner Waffe auf den Boden gerichtet, sah ich mich ein letztes Mal um. Obwohl ich mir den Geruch nicht eingebildet hatte, konnte ich sonst keinen Hinweis auf einen Eindringling finden. Es schien auch nichts zu fehlen oder umgeräumt worden zu sein.
Ich überprüfte trotzdem ein weiteres Mal die Fenster und die Wohnungstür, ehe ich die Waffe mit einem Kopfschütteln weglegte.
Wahrscheinlich brauchte ich einfach Urlaub. Doch der würde warten müssen, bis ich herausgefunden hatte, was mit meiner aktuellen Jane Doe passiert war. Für den Moment würde ein heißes Bad ausreichen müssen.
Ich ließ die Akte sinken und warf einen Blick durch die Windschutzscheibe, doch bisher war Veronica »Ronnie« Fraser nicht wieder aus dem Gebäude gekommen. Der Bericht über sie, den ich gestern bekommen hatte, las sich nicht halb so interessant, wie die Frau wirklich war. Wobei ich zugegebenermaßen voreingenommen war, weil Veronica Fraser exakt meinem Typ entsprach.
Ich blätterte eine Seite weiter, weil ich inzwischen dreimal gelesen hatte, dass sie von 2005 bis 2013 für die US Army als Militärpolizistin tätig gewesen war. Sie war das einzige Kind von James und Linda Fraser, einem ehemaligen Feuerwehrmann, der inzwischen verstorben war, und einer Grundschullehrerin in Rente, die in Ohio lebte. Ein- bis zweimal im Jahr besuchte Veronica ihre Mutter und ihren Onkel dort.
Nach ihrem Dienst in der Army hatte Veronica eine Lizenz beantragt, um als Privatdetektivin arbeiten zu können. Da sie keinerlei Probleme gehabt hatte, die notwendigen Voraussetzungen nachzuweisen, war sie seit 2015 offiziell zugelassen. Doch sie hatte nur kurz als selbstständige Privatdetektivin gearbeitet, bevor sie sich mit dem Ehepaar Norman und Frank Patton zusammengetan hatte. Die beiden Männer waren die Stimmen des Podcasts »Stille Spuren«, der sich in erster Linie mit Cold Cases beschäftigte, in denen es um verschwundene Frauen ging.
Veronica – wobei sie »Ronnie« bevorzugte – war neununddreißig und seit knapp drei Jahren geschieden, Kinder hatte sie keine. Obwohl sie ein nettes Appartement im Warehouse District hatte, war sie beruflich viel unterwegs und dementsprechend nicht oft zu Hause. Wenn ich den Fotos glauben durfte, hatte Ronnie weder Haustiere noch Pflanzen, aber dafür immer eine gepackte Reisetasche neben der Wohnungstür stehen.
Abgesehen davon, dass Ronnie manchmal ein Problem mit Autoritätsfiguren hatte, war sie glatt durch ihre Militärkarriere gekommen – wobei viele Passagen ihrer Akte geschwärzt waren. Ronnie war furchtlos und hatte irgendwann freiwillig die internen Ermittlungen übernommen, was die Schwärzungen vermutlich erklärte. Ronnie hatte sich mit den Dingen beschäftigt, von denen die Army nicht wollte, dass sie ans Licht kamen. Im Laufe ihrer Karriere war sie in Afghanistan, im Senegal, kurz in Deutschland und schließlich an einem Stützpunkt in Anchorage, Alaska, stationiert gewesen.
Was genau sie nach Minnesota verschlagen hatte, wusste ich nicht, aber hier hatte sie auch ihren Mann 2014 kennengelernt. Offiziell waren sie wegen unüberbrückbarer Differenzen geschieden worden, aber mein kompetentes und fähiges Vögelchen hatte mir gezwitschert, dass ihr Ex fremdgegangen war.
Viel mehr als das hatte ich nicht, denn obwohl ihr beruflicher Werdegang detailliert dokumentiert war, ließ sich das nicht über ihr Privatleben sagen.
Sie hatte keine Schulden, aber solide Rücklagen fürs Alter gebildet, schien nicht viel Geld auszugeben und sich nichts aus Luxusartikeln zu machen. Statt eines Autos besaß sie ein altes Rennrad, mit dem sie sich durch die Stadt bewegte, wenn sie nicht den Bus nahm.
Sie schien den Großteil ihrer Zeit zu arbeiten und benutzte Social Media privat offenbar gar nicht.
Jeder, der regelmäßig mit ihr zu tun hatte, betonte, wie nett, zuverlässig und respektvoll Ronnie war. Alle arbeiteten gern mit ihr zusammen und das »Schlimmste«, was sie zu sagen hatten, war gewesen, dass Ronnie Workaholic-Tendenzen hatte. Sobald sie an einem Fall dran war, ließ sie nicht mehr locker.
Mit einem Seufzen klappte ich die Akte zu, warf sie auf den Beifahrersitz und rieb mir über die Augen. Das war, was ich gebraucht hatte: eine fähige, kompetente Ermittlerin, die nicht mehr lockerließ, sobald sie Blut gerochen hatte.
Dass sie genau mein Typ war und ich sie viel lieber ficken wollte, als über die Alternative nachzudenken, half nicht.
Am liebsten hätte ich auf mein Lenkrad eingeschlagen, doch ich hatte mich unter Kontrolle. Außerdem würde mir ein Wutanfall jetzt nicht helfen. Ich musste herausfinden, was zum Teufel Grayson plante, ob er damals wirklich in Bezug auf Adrienne gelogen hatte und wie genau Ronnie ins Bild passte.
Bisher sah es nicht aus, als hätte sie sich schon mal mit dem Crimson Killer, also mit Grayson, beschäftigt, und thematisch passte er auch nicht ins Programm von »Stille Spuren«, doch ich traute der Sache nicht.
Vielleicht hatte sich Grayson einen Scherz mit mir erlaubt, einfach nur, um mich zu ärgern und meine Zeit zu verschwenden. Aber wenn er mehr wusste als ich und Ronnie Fraser sich bald mit dem Crimson Killer beschäftigte, war ich unter Umständen geliefert. Das konnte und würde ich nicht zulassen.
Ronnie kam mit einer weißen Tüte aus dem Deli und ich fragte mich, ob sie jetzt nach Hause fahren würde, nachdem sie sich ganz offensichtlich etwas zum Essen gekauft hatte.
Zu meiner Überraschung trat sie an den Straßenrand und hob die Hand. Es dauerte keine dreißig Sekunden, bis ein Taxi anhielt und sie einstieg.
Ich startete den Motor und freute mich, weil es leichter war, einem Taxi zu folgen als einem Rennrad. Die Frage, warum ich ihr überhaupt selbst folgte, wenn ich eigentlich meine Leute dafür hatte, drängte ich wieder zurück in die hinterste Ecke meines Bewusstseins.
Die Fahrt war nicht lang und als Ronnie vor dem Polizeipräsidium ausstieg, suchte ich mir einen Parkplatz am Straßenrand. Die Sicht war nicht optimal, nachdem ich geparkt hatte, doch das senkte im Gegenzug auch das Risiko, von jemandem entdeckt zu werden.
Ronnie blieb nicht lange in dem Gebäude und als sie wieder rauskam, wirkte sie angepisst. Wut sprühte aus ihren schönen Augen, die vollen Lippen waren kaum mehr als ein schmaler Strich und ihre kurzen Haare standen um ihren Kopf, als wäre sie etliche Male erbost mit der Hand hindurchgefahren.
Die Erklärung dafür bekam ich relativ schnell geliefert, weil ihr ein Mann folgte.
Da ich sein Foto in der Akte gesehen hatte, griff ich danach, blätterte hindurch und schlug die Seite mit den »regelmäßigen Kontakten« auf.
Sergeant Sydney Barnes war sein Name. Seit einundzwanzig Jahren Cop.
Es war offensichtlich, dass sie sich stritten – oder zumindest harsch diskutierten – und meine Neugier brachte mich beinahe um.
Letztlich wandte sich Ronnie ab und ging davon. Sergeant Barnes starrte ihr hinterher – die Sehnsucht in seinen Augen sagte alles.
Ich hatte die Finger bereits wieder auf der Motor-Start-Taste, um Ronnie zu folgen, als ich mich fragte, was ich hier eigentlich tat. So sexy und verführerisch sie auch war, hatte ich jetzt genug Zeit gehabt, mich davon zu überzeugen, dass sie gerade einfach nur ihrer normalen Routine nachging und nicht an einem grandiosen Masterplan arbeitete, um mich in den Ruin zu treiben.
Wahrscheinlich sollte ich ebenfalls zu meiner Arbeit zurückkehren und es jemand anderem überlassen, sie für mich zu beschatten, bis ich wusste, ob sie tatsächlich ein Problem für mich werden würde.
Ich hatte inzwischen eine ziemlich gute Methode für den ersten Recherche-Durchgang entwickelt, um sicherzustellen, dass ich so schnell wie möglich so viele Ergebnisse wie möglich bekam.
Mit zwei Kaffeebechern und einer Tüte Donuts bewaffnet stieß ich die Tür zur Bibliothek auf.
»Guten Morgen, Janet«, flötete ich und hielt der Bibliothekarin hinter dem Tresen direkt einen der beiden Kaffeebecher hin.
Ihre Miene hellte sich auf und ihr Blick glitt zu der Tüte in meiner anderen Hand. »Guten Morgen, Ronnie.«
»Möchtest du auch einen Donut?«, fragte ich, als würde ich die Antwort nicht längst kennen.
Anstandshalber gab Janet vor, über die Frage nachdenken zu müssen. »Ach, was soll’s. Gern.« Sie strahlte mich an.
Ich reichte ihr prompt die ganze Tüte. »Wie geht’s Tony?«
»Gut, gut. Die Nachtschichten sagen ihm mehr zu, als er gedacht hätte. Er sagt, dass er die ganze Nacht ungestört lesen kann. Und mit ›lesen‹ meint er bestimmt, Spielchen auf seinem Handy spielen.«
Ich schüttelte mit einem Grinsen den Kopf und wartete geduldig, bis sie sich verstohlen umsah.
Janet holte einen Schlüssel aus ihrer Schreibtischschublade und reichte ihn mir. »Du hast heute leider nur zwei Stunden. Meine Chefin kommt nachher mit ein paar Lehrern, um den Schulen unsere Bücher-Tour schmackhaft zu machen. Ich weiß nicht, ob sie ins Archiv gehen werden, aber da dort ohnehin niemand reindarf, wäre es besser, wenn du bis dahin weg bist.«
»Kein Problem.« Ich warf einen Blick auf meine Uhr. »Mehr als eine Stunde sollte ich sowieso nicht brauchen. Den Schlüssel bringe ich dir dann wieder.«
»Du bist ein Schatz«, sagte sie und warf einen Blick in die Tüte mit den Donuts. »Oh, mit Marmelade?«
»Klar, einer für dich und einer für Tony.« Ich nickte ihr zu und machte mich mit dem Schlüssel in der Hand auf den Weg ins Archiv.
Insgesamt brauchte ich eine Dreiviertelstunde, aber das war nicht verwunderlich, weil ich immerhin noch nicht genau wusste, wonach ich suchte. In erster Linie hatte ich einen Zeitraum von sechs Monaten um den vermeintlichen Todeszeitpunkt unserer Jane Doe durchgesehen, weil ich auf Hinweise hoffte. Vielleicht war dem Mord an ihr ein anderes Ereignis vorausgegangen – ein verschwundener Ehemann, ein Raubüberfall, eine Serie von Einbrüchen.
Ich kopierte eine Handvoll Artikel, um die Spuren weiterzuverfolgen, doch bisher hatte mein Bauchgefühl nicht richtig angeschlagen.
Ich brachte Janet den Schlüssel zurück, bedankte mich für ihre Hilfe und machte mich zu Fuß auf den Weg zu dem kleinen Delikatessengeschäft, das bloß ein Stück die Straße runter lag.
Zwar kostete das Pastrami-Sandwich ein halbes Vermögen, doch ich wusste, dass sich die Investition lohnen würde.
»Danke«, sagte ich und nahm mir nach dem Bezahlen die weiße Tüte, ehe ich den Laden wieder verließ.
Ich musste nicht lange auf ein Taxi warten. »Zum Polizeipräsidium, bitte«, bat ich und glitt auf die Rückbank.
»Fourth Street?«, fragte der Fahrer.
»Genau.« Ich zog mein Notizbuch aus der Tasche und nutzte die Fahrt dazu, mir anzusehen, wonach ich gleich fragen würde und was ich priorisieren wollte.
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