Lord der toten Seelen - Nalini Singh - E-Book

Lord der toten Seelen E-Book

Nalini Singh

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Beschreibung

Die Erben des Schattenreichs: Das Finale der märchenhaft sexy Saga! Seite an Seite lebten Gestaltwandler, Werwölfe und Vampire im magischen Elden. Bis der grausame Blutzauberer das Königspaar stürzte. Erst wenn eins der Königskinder das Erbe antritt, kann Elden wieder aufblühen. Die Zeit der Entscheidung ist da!
Er ist ein Monster, das die Seelen gnadenlos in das Reich der Toten verbannt - sagt man. Aber die schöne Liliana weiß, was geschehen ist und dass hinter seiner schwarzen Rüstung ein Herz aus Gold schlummert. Nach nichts sehnt sie sich mehr als nach Freiheit und der Liebe des dunklen Ritters. Und wenn sie ihn von seinem Fluch befreit, wird er mit seinen Geschwistern um Elden kämpfen - gegen den grausamen Blutzauberer, Lilianas Vater. Die Entscheidung fällt um Mitternacht.

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Seitenzahl: 375

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Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Nalini Singh wurde auf den Fidschi-Inseln geboren und wuchs in Neuseeland auf. Drei Jahre lebte und arbeitete sie auch in Japan und bereiste den Fernen Osten. Als Autorin von zeitgenössischen Romances hat sie sich ebenso einen Namen gemacht wie mit paranormalen Romanen, die den Leser in das Reich des Übersinnlichen entführen.

Nalini Singh

Royal House of Shadows: Lord der toten Seelen

Roman

Aus dem Amerikanischen von Justine Kapeller

MIRA® TASCHENBUCH Band 65069 1. Auflage: Januar 2013

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH, Valentinskamp 24, 20354 Hamburg Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2013 by MIRA Taschenbuch in der Harlequin Enterprises GmbH Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe: Lord Of The Abyss Copyright © 2011 by Nalini Singh erschienen bei: Harlequin Books, Toronto

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln Redaktion: Daniela Peter Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz Satz: GGP Media GmbH, Pößneck

EPUB-ISBN 978-3-86278-567-4

www.mira-taschenbuch.de

PROLOG

Als ich zum ersten Male Feder und Tinte zur Hand nahm, die Werkzeuge des Hofchronisten, legte ich dabei den Eid ab, nur die Wahrheit niederzuschreiben. Jetzt schmerzt in meinen alten Knochen das Wissen, dass ich die Wahrheit, die ich festhalten muss, am liebsten auslöschen würde. Aber das kann nicht sein. Ich weiß, dass niemand mehr dieses Archiv lesen wird, aber die Geschichte muss dennoch niedergeschrieben werden. Die Vergangenheit darf nicht in Vergessenheit geraten. Und so muss ich beginnen.

Viele Jahre lang hatte der Blutmagier begehrliche Blicke auf das Königreich Elden geworfen, ein stolzes altes Land mit Reichtümern und Macht im Überfluss. Sein langlebiges Volk wurde vom guten König Aelfric und seiner weisen Königin Alvina regiert. Doch auch wenn sie starke Regenten waren, brutal waren sie nie, und unter ihrer schützenden Hand gedieh das Volk von Elden.

Genau wie ihre Kinder.

Nicolai war der Älteste und, wie manch einer sagte, auch der mit dem schwärzesten Herzen.

Dayn war der Zweitgeborene, und seine Augen sahen alles.

Breena war sanft von Gemüt und geliebt von der Mutter, dem Vater und all ihren Brüdern.

Und Micah, der Jüngste, hatte noch ein unschuldiges Herz. Lange nach seinen Geschwistern geboren, war er gerade fünf Jahre alt geworden, als die schwärzesten aller Schatten sich über Elden legten. Es geschah am Morgen nach einer Nacht der Freude, um eben diesen Jahrestag zu feiern. Doch das Singen und Tanzen war lange zur Ruhe gekommen, und über der Burg hing noch dunkel der Schlaf, als der Blutmagier an ihren Toren erschien – an seiner Seite Monster, die in allen Königreichen ihresgleichen suchten.

Vielleicht waren sie einst Spinnen gewesen, doch jetzt waren sie schreckliche Kreaturen mit rasiermesserscharfen Klingen an ihren pelzigen Beinen und einem Hunger auf menschliches Fleisch. Ihre Augen flackerten rot.

Begleitet wurden sie von Männern, die zu riesigen Monstern mit Fäusten wie Stahlhämmern mutiert waren, und von winzigen krabbelnden Insekten, die sich in den Boden gruben und ihn vergifteten.

An den Händen des Blutmagiers klebte der Lebenssaft seiner Opfer, und seine Macht war immens, finster und bösartig. Es schien, als könnte nichts ihm Einhalt gebieten, aber König und Königin wollten ihr Volk nicht solcher Dunkelheit ausliefern, auch wenn der Blutmagier sie mit dem Versprechen eines schnellen Todes zu locken suchte.

König Aelfric besaß selbst beträchtliche Macht und verwundete den Magier mit einem heftigen Stoß, doch der Feind starb nicht, so genährt war er von der fauligen Schlechtheit seiner bösartigen Kraft. Wieder und wieder griff der Blutmagier an, bis der König selbst aus den Augen zu bluten begann.

Die Königin, geschwächt von der Schlacht gegen die Kreaturen des Magiers, musste zusehen, wie der König unter den ständigen Angriffen des Bösen zu fallen drohte, und wusste den Kampf verloren. Mit ihrer letzten gemeinsamen Kraft, denn ihre Lebensgeister waren vereint, opferten sie ihr Leben, um einen großen Zauber zu wirken, einen, der seitdem nie wiederholt wurde und der vielleicht nie bekannt werden wird.

Es gibt eine Blutlinie, die Mutter und Kind verbindet, eine Linie, die nie gebrochen werden kann. Und diese Linie benutzte die Königin, um ihre Kinder aus Elden zu verbannen. Sie brachte ihre Kinder in Sicherheit, damit sie eines Tages zurückkehren und ihr Geburtsrecht einfordern konnten.

Es war die letzte Liebesgabe einer Mutter, doch der Blutmagier prahlt noch heute damit, dass Königin Alvina versagt hat und er ihre Magie am Ende fehlleiten konnte, sodass die Erben von Elden nicht in eine sichere Zuflucht, sondern in den Tod geschickt wurden. Es lebt niemand mehr, der ihm widersprechen könnte.

Aus den königlichen Chroniken von Elden, am dritten Tag der Regentschaft des Blutmagiers

1. KAPITEL

Er ist das schönste Monster, das ich je gesehen habe. Das war Lilianas erster Gedanke, als sie sich schwach und ausgelaugt auf dem schwarzen Marmorboden wiederfand. Ihr Gesicht spiegelte sich in der glatten Oberfläche. Während sie dalag, sah sie, wie sich am Ende des Raumes der, den sie den Lord der Schwarzen Burg nannten, von seinem Thron aus Ebenholz erhob und die zehn Stufen mit einer gelassenen Eleganz hinabschritt, die von Macht zeugte, von Kraft … und von Tod.

Sie versuchte verzweifelt, eine Hand zur Faust zu ballen, versuchte, sich auf die Knie zu erheben, um ihm nicht in einer so unterlegenen Stellung begegnen zu müssen. Doch ihr Körper war unerträglich geschwächt, weil sie für ihren Übertritt viel Blut hatte vergießen müssen. Es klebte noch an ihren Handgelenken, auch wenn ihre Magie die Wunden bereits geschlossen hatte. Ihr Vater hätte, ohne zu zögern, das Leben eines anderen geopfert und hätte sie einen Dummkopf genannt, weil sie ihr eigenes Blut benutzte.

„Schwach.“ Dieses Urteil hatte er ihr schon mehr als einmal an den Kopf geworfen. „Da nimmt man sich eine schöne Hexe zur Frau und bekommt dafür nichts als ein heulendes Balg mit dem Gesicht einer Vogelscheuche.“

Als sie spürte, wie die vibrierenden Schritte des Monsters langsam näher kamen, atmete sie tief ein und hörte, wie die Luft in ihrer Kehle rasselte. So sollte es nicht sein. Der Zauber hätte sie im Wald außerhalb seines Reiches absetzen sollen, nicht mitten in seiner Großen Halle, wo nur er allein zwischen ihr und den monströsen Gestalten in seinen Mauern stand. Sie konnte Blicke auf sich spüren, Hunderte Blicke. Und doch gab niemand einen Ton von sich.

Die Schritte hatten sie fast erreicht.

Grausamkeit war sie gewohnt, schließlich war sie als Tochter des Blutmagiers aufgewachsen. Doch von diesem Mann, diesem „Monster“, sagte man, er wäre vollkommen herzlos und hätte keine Seele. Seine Burg beinhaltete die Pforte zum Abgrund, den Ort, an den die Diener des Bösen nach ihrem Tod verbannt wurden, um im Reich der Basilisken und Schlangen ewige Qualen zu erleiden. Und er war der Wächter dieses schrecklichen Ortes. Man sagte, dass selbst die Unmenschlichsten unter den Toten zu zittern anfingen, wenn sie sein Antlitz erblicken mussten.

Doch als er sich neben sie hockte und seine schweren Stiefel in ihr Blickfeld kamen, wusste sie, dass es eine Lüge gewesen sein musste.

Er war überhaupt nicht hässlich.

Starke Hände packten sie an den Schultern und zerrten sie grob hoch auf die Knie.

Und dann starrte sie dem Monster ins Angesicht.

Von der Sonne gebleichtes Haar, wintergrüne Augen und eine Haut, die noch an diesem dunklen Ort ohne eine Spur von Wärme den goldenen Schimmer des Sommers bewahrte. Er könnte als Modell für den legendären Märchenprinzen herhalten, den sie aus ihren Kinderbüchern kannte. Nur dass der Märchenprinz nie eine Rüstung aus undurchdringlichem Schwarz trug und in seinen Augen keine Albträume lauerten.

„Wer ist das?“, fragte er leise, viel zu leise.

Ihr stellten sich die Nackenhaare auf. Sie versuchte, ihre Zunge zu einer Antwort zu zwingen, aber ihr Körper verweigerte jegliche Zusammenarbeit. Sie war immer noch wie betäubt von dem Sprung aus dem geraubten Königreich ihres Vaters an diesen Ort, die letzte düstere Bastion zwischen den Lebenden und den verkommensten aller Toten.

„Ein Eindringling.“ Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht, eine fast zärtliche Geste – wenn man ignorierte, dass er dabei Panzerstulpen trug, die seine Unterarme bis zu den Händen überzogen wie ein schwarzes Spinnennetz. Seine Knöchel waren mit winzigen Rasierklingen versehen und die Fingerspitzen mit scharfen Krallen besetzt, so schwarz wie seine Rüstung. „Niemand hat es je gewagt, ungeladen in die Schwarze Burg einzudringen …“ Seine grünen Augen flackerten. „Noch nie.“

Als sie in sein Gesicht sah, erkannte sie darin nur den Wächter. Er erinnert sich nicht, wurde ihr plötzlich klar. Es gab keine Spuren mehr von dem Jungen, der er einst gewesen sein musste. Keine. Und das konnte nur eines bedeuten – der Legende nach war es Königin Alvina gewesen, die den letzten verzweifelten Zauber gesprochen hatte, der ihre Kinder aus Elden verbannte, aber Lilianas Vater hatte seitdem immer damit geprahlt, dass es ihm gelungen war, die Magie der Königin mit seiner eigenen zu durchkreuzen.

Nur Liliana allein wusste, was der Blutmagier ihr einst in einem Anfall von Wut verraten hatte: Er glaubte, versagt zu haben. Vielleicht hatte er das bei den drei ältesten Kindern, aber nicht beim Jüngsten … nicht bei Micah. Der Blutzauber ihres Vaters hatte ihn fest im Griff gehabt, während das Kind zum Mann herangewachsen war – zum gefürchteten Lord der Schwarzen Burg.

Oh, das würde ihrem Vater gefallen. So sehr gefallen. Denn wenn er einen Zauber aussprach, gelang es den Verzauberten nur selten, falls überhaupt, den Schleier zu durchbrechen und sich selbst wiederzufinden. Lilianas Mutter war das nie gelungen – sie streifte bis zum heutigen Tag wie ein Geist durch die Gänge der Burg, eine schlanke Frau mit honigbrauner Haut, wie sie in Eldens südlichen Gefilden üblich war, und mit goldenen mandelförmigen Augen.

Irina hielt sich für die Herrin einer großen Burg, kinderlos und mit nur einer Pflicht: sich um die Bedürfnisse ihres Herrn zu kümmern – auch wenn diese Bedürfnisse ihre Nächte mit Schreien erfüllten und fast jeden Tag einen Ring von blauen Flecken um ihren Hals hinterließen. Ihr Blick glitt über ihre eigene Tochter hinweg, selbst wenn Liliana direkt vor ihr stand und ihre Mutter anflehte, sich an sie zu erinnern, sie zu erkennen.

Ganz im Gegensatz zu den wintergrünen Augen, die ihr gerade ins Gesicht blickten und die sie sahen, auch wenn sie es nicht wollte. Sie hatte sich unbemerkt in seinen Haushalt einschleichen wollen, um erst so viel wie möglich über ihn in Erfahrung zu bringen, ehe sie versuchte, ihm die Wahrheit über seine Vergangenheit zu eröffnen. Auf einen Gedächtnisverlust war sie vorbereitet, denn als Elden gefallen war, war er gerade fünf Jahre alt gewesen. Doch wenn er in den hinterhältigen Klauen der Magie ihres Vaters gefangen war, dann machte das ihre Aufgabe tausendmal schwerer. Das Werk des Blutmagiers hatte es an sich, mit der Zeit zu mutieren, sie konnte also nicht wissen, welche Wirkung der Zauber noch gehabt hatte.

„Was mache ich bloß mit dir?“, fragte der Lord der Schwarzen Burg und der Wächter des Abgrundes mit kaum merklichem, bedrohlich amüsiertem Unterton. „Da ich noch nie einen Eindringling gehabt habe, macht mich deine Anwesenheit etwas ratlos.“

Ihr wurde klar, dass er mit ihr spielte, spielte wie eine Katze mit einer Maus, die sie fressen wollte – sobald sie ihren Spaß mit ihr gehabt hatte.

Wut verlieh ihr die Kraft, sein Starren zu erwidern. Ihr ganzes Leben hatte sie gegen ihren Vater angekämpft, der immer wieder versucht hatte, sie zu brechen, und das hatte sie hart werden lassen. Vielleicht nützte es nichts, aber sie konnte nicht anders, wie auch ein Tier in der Falle nicht anders konnte, als sich zu wehren.

Er blinzelte. „Interessant.“ Er fuhr mit den Stahlspitzen seiner Finger über ihre Wange, ehe er sie wieder mit beiden Händen an den Schultern packte und zerrte, bis sie aufrecht vor ihm stand.

Sie schwankte und wäre vornübergefallen, wenn er sie nicht gehalten hätte. So stützte sie sich nur mit einer Hand an seiner kalten schwarzen Rüstung ab. Sie fühlte sich an wie Stein. Das musste der Zauber ihres Vaters sein, der mit der Zeit gewachsen war und aus dem Gefängnis seiner Gedanken eine körperliche Wahrheit geformt hatte. Um den Zauber zu beenden, musste sie erst seine Rüstung entfernen.

Doch ehe sie daran auch nur denken konnte, musste sie erst einmal überleben.

„In den Kerker mit ihr“, sagte das Monster schließlich. „Bard!“

Schwere Tritte brachten den Boden zum Beben. Eine Sekunde später wurde Liliana von Armen, dick wie Baumstämme, hochgehoben, und das Monster sah dabei zu. „Bring sie in den Kerker“, sagte er. „Ich kümmere mich nach der Jagd um sie.“

Der Befehl hallte bedrohlich in Lilianas Kopf nach, während sie in unnachgiebigem Griff aus der Halle getragen wurde. In der seltsam flüsternden Stille, die in der aus nacktem Stein erbauten Burg herrschte, konnte sie sogar einen lauten gleichmäßigen Herzschlag unter ihrer Wange spüren, so langsam, dass er nicht mehr menschlich sein konnte. Es gelang ihr nicht, den Kopf zu drehen, sie konnte also nicht sehen, wer – oder was – sie so mühelos trug, bis sie einen Korridor voll schwarzer Spiegel betraten.

Das Gesicht sah aus, als wäre es von einem Kind aus Lehm geformt. Überall waren Knoten und Dellen, missgestaltet, ohne wirkliche Form. Er hatte Ohren, aber diese riesigen Ausstülpungen hingen viel zu hoch an seinem Kopf. Und seine Nase … Sie konnte sie nicht genau erkennen, aber vielleicht war sie der kleine Knubbel, der zwischen seinen missgebildeten Wangen und unter seiner vorstehenden Stirn verborgen lag.

Hässlich, dachte sie, er ist wirklich hässlich.

Das machte ihr ein wenig Mut. Vielleicht hätte ein solches Wesen ja etwas Mitleid mit ihr. „Bitte“, gelang es ihr, durch eine trockene und schmerzende Kehle zu flüstern.

Eines der Ohren schien zu zucken, aber das Wesen blieb nicht einmal stehen auf seinem unbeirrbaren Weg in den Kerker. Sie versuchte es noch einmal, mit demselben Ergebnis. Ihr wurde klar, dass er nicht stehen bleiben würde, egal, was passierte. Denn das Monster würde ihn sonst bestrafen. Sie wusste nur zu gut, was für einen Käfig diese Art Angst schaffen konnte, also schwieg sie und sparte sich ihre Kraft.

Und das war gut so, denn Bards große langsame Schritte trugen sie schon bald in einen dunklen Gang mit bröckelnden Mauern. Das einzige Licht kam von einer flackernden Fackel. Dann entdeckte sie die Treppe. Der Abstieg den bedrohlichen Schlund der Burg hinab war so schmal und eng, dass Bard mehrmals mit dem Kopf an der Decke entlangschleifte und seine Schultern kaum hindurchpassten. Sie spürte, wie auch ihre Füße die Steine streiften, aber Bard drückte sie einfach noch enger an sich, sodass sie sich nicht verletzen konnte.

Nicht um ihretwillen, da machte sie sich nichts vor. Nein, er wollte sich einfach nur nicht rechtfertigen müssen, falls die Gefangene auf eine Art Schaden nahm, die nicht vom Lord der Dunklen Burg befohlen worden war.

Die Treppe schien sich unendlich lang hinabzuwinden, bis Liliana sich fragte, ob man sie vielleicht in die Eingeweide des Abgrundes selbst trug. Doch der Kerker, in den man sie schließlich brachte, war auf grausame Weise echt und von dieser Welt. Der Gang war von einer Fackel beleuchtet, die gerade genug Licht spendete, um erkennen zu können, dass jede Zelle ein schwarzer Block war – die einzige Öffnung ein kleines vergittertes Fenster. Sie lauschte, hörte aber nur Stille. Entweder gab es keine anderen Gefangenen … oder sie waren schon lange tot.

Bard öffnete die Tür der ersten Zelle und legte sie auf ein Lager aus Stroh in der Ecke. Er sah ihr in die Augen, und sie atmete scharf ein. Seine großen Augen voller Traurigkeit schienen eher zu einem Gelehrten oder einem Arzt zu passen, und in ihnen schimmerte Mitleid. Aber er schüttelte nur den Kopf, als sie den Mund öffnete.

Sie konnte keine Gnade von ihm erwarten, nicht an diesem Ort.

Bevor er die Zelle verließ, grunzte er und rüttelte an einem Gegenstand in der gegenüberliegenden Ecke. Dann knallte er die Tür zu und ließ sie in so tiefer Dunkelheit allein, dass sie ihr vollkommen schien. Doch da flackerte ein trüber Lichtschein von der Fackel auf dem Gang hinein, gerade genug, um sich in der Zelle zu bewegen.

Sie nahm all ihre Kraft zusammen und kroch in die andere Ecke. Das, womit Bard gerasselt hatte, hatte wie ein Metalleimer geklungen. Es schien ihr Stunden zu dauern, bis ihre Hände dagegenstießen, und sie tastete sich vorsichtig an den Seiten hinauf, bis sie die Finger hineintauchen konnte.

Wasser.

Ihre Kehle fühlte sich auf einmal an, als wäre sie mit Glasscherben ausgekleidet. Allein der Durst gab ihr die Kraft, sich auf die Knie zu erheben, mit ihren Händen eine Schale zu formen und zu trinken. Das Wasser war kühl und frisch und süß. Kleine Tropfen perlten ihre Handgelenke hinab. Die Versuchung, gierig so viel wie möglich auf einmal zu schlürfen, war groß. Aber sie gestattete sich nur einige Mundvoll, weil sie wusste, dass ihr leerer Magen rebellieren würde, wenn sie zu viel trank.

Ihre Augen hatten sich langsam an die Dunkelheit gewöhnt, und sie entdeckte neben dem Schlaflager einen Behälter aus Stahl. Darin fand sie einen kleinen Laib Brot. Der Hunger grollte in ihrem Magen wie ein wildes Tier, nachdem sie tagelang nichts gegessen hatte, also riss sie ein Stück ab und kaute daran. Das Brot war nicht schimmelig oder altbacken, aber es war klumpig und hart – als wäre es der Auftrag des Bäckers gewesen, es so ungenießbar wie möglich zu machen.

Rechts von ihr raschelte etwas, und sie hörte kleine Pfoten über den Stein kratzen.

Sie drehte sich nach dem Geräusch um und entdeckte zwei glänzende Augen in der Dunkelheit. Der Anblick flößte manchen Frauen Furcht ein, wie Liliana wusste, aber sie hatte sich diese Kreaturen schon in der Burg ihres Vaters zu Freunden gemacht. Trotzdem betrachtete sie ihren Mitbewohner kritisch. Es war ein kleines zitterndes Ding, so mager, dass sich die Knochen durch die Haut abzeichneten. Kaum eine Bedrohung. Sie riss ein kleines Stück Brot ab und streckte es dem Wesen hin. „Komm, kleiner Freund.“

Die Maus erstarrte.

Liliana hielt das Brot weiter ausgestreckt und konnte fast sehen, wie die kleine Kreatur hin-und hergerissen war zwischen Hunger und Fluchtinstinkt. Hunger gewann, und die Maus schoss hervor, um ihr das Brot aus der Hand zu schnappen. Einen Augenblick später war sie schon verschwunden. Aber wenn ihr Bauch sie zwingt, dachte Liliana, wird sie schon wiederkommen.

Sie legte das restliche Brot zurück in den Behälter und verschloss ihn. Dann stellte sie ihn neben den Wassereimer und legte sich aufs Stroh. Für einen Kerker ist es gar nicht so schlecht, dachte sie benommen, als ihr Körper begann, sich zu entspannen. Das Monster brauchte dringend von ihrem Vater ein paar Lektionen, wie man aus seinem Kerker ein dreckiges Loch voller Schreie und Verzweiflung machte.

Der Traum fing immer gleich an.

„Nein, Bitty. Nicht so.“ Sie war noch klein, vielleicht fünf, kniete auf dem Boden und ermahnte mit erhobenem Zeigefinger ein langhaariges weißes Kaninchen, das ihr bester Freund war. „Du musst ihn holen.“

Da Bitty viel lieber fraß und sich sonnte, zuckte er nur, wenn sie ihm den Ball zuwarf. Seufzend stand sie auf und holte den Ball selbst, aber sie war nicht wirklich verärgert. Bitty war ein gutes Haustier. Sie durfte ihm die langen seidigen Ohren streicheln, soviel sie wollte, und manchmal raffte er sich sogar dazu auf, ihr durchs Zimmer zu folgen.

„Komm schon, Faulpelz“, sagte sie und zog ihn sich auf den Schoß. „Uff, bist du schwer. Kein Salat mehr für dich.“

Unter ihren Händen spürte sie seinen raschen Herzschlag und seinen warmen flauschigen Körper. Sie rappelte sich mit dem schweren Gewicht im Arm auf. „Gehen wir in den Garten. Wenn du ganz brav bist, stehle ich dir ein paar Erdbeeren.“

An dieser Stelle öffnete sich die Tür.

Und der Traum veränderte sich.

Der Mann im Türrahmen, mit schwarzem Haar, das er streng aus der Stirn gekämmt hatte, mit kalten schiefergrauen Augen und leichendürrem Körper, war ihr Vater. Einen Augenblick lang erstarrte sie und befürchtete, er hätte das mit den Erdbeeren gehört, doch dann lächelte er, und ihre Angst wurde ein wenig kleiner. Nur ein wenig. Denn selbst mit ihren fünf Jahren wusste sie, dass es nie etwas Gutes bedeutete, wenn er sie aufsuchte. „Vater?“

Er schlenderte in ihr Zimmer und hielt den Blick auf Bitty gerichtet. „Du hast dich gut um ihn gekümmert.“

Sie nickte. „Ich habe ihn richtig gut umsorgt.“ Bitty war das einzig Nette, was ihr Vater je für sie getan hatte.

„Das sehe ich.“ Er lächelte wieder, aber diese Augen … Sie waren auf eine Art falsch, die ihr im Bauch wehtat. „Komm mit mir, Liliana. Nein“, sagte er, als sie Bitty auf den Boden setzen wollte, „nimm dein Haustier mit. Ich brauche ihn.“

Die Worte machten ihr Angst, aber sie war erst fünf. Bitty eng an ihre Brust gepresst, stolperte sie ihrem Vater nach, und dann hinauf … hinauf … immer weiter hinauf.

„Wie gedankenlos von mir“, sagte er, als sie auf halber Strecke waren. „Die ganzen Stufen müssen schwierig für dich sein. Lass mich das Tier nehmen.“

Liliana war sich sicher, dass das Kaninchen zuckte, und hielt es fester. „Nein, es geht schon“, sagte sie und versuchte, nicht zu schnaufen.

Aus Augen wie schmutziges Eis starrte ihr Vater sie einen langen Augenblick an, ehe er sich umdrehte und weiter die enge Wendeltreppe hinaufstieg, die in das Turmzimmer führte. Das Magiezimmer. Wo sie niemals, auf keinen Fall, hindurfte.

Heute jedoch öffnete er die Tür und sagte: „Es wird Zeit, dass du lernst, woher du kommst.“

Sie konnte nirgendwo anders hin, er würde sie überall finden. Also betrat sie diesen Raum voller seltsamer Düfte und Bücher. Er war nicht so düster, wie sie befürchtet hatte, und nirgends war Blut. Vor Erleichterung lächelte sie hoffnungsvoll. Alle sagten immer, dass ihr Vater ein Blutmagier war, aber hier war kein Blut, also mussten sie sich irren.

Sie sah auf und begegnete seinem Blick, als er sich über sie beugte, um ihr Bitty aus den widerstrebenden Armen zu nehmen. Ihr Lächeln verblasste, und sie schmeckte den metallischen Geschmack der Angst auf ihrer Zunge.

„So ein gesundes Tier“, murmelte er und trug den Hasen zu einer Art Vogelbad aus Stein, das in die Mitte des runden Zimmers eingelassen war. Er ergriff Bitty bei den seidigen Ohren.

„Nein!“, protestierte Liliana, als Bitty vor Angst quietschte. „Das tut ihm weh.“

„Nicht lange.“ Und dann zog ihr Vater ein langes scharfes Messer aus seinem Mantel.

Bittys Blut färbte das Silber der Klinge dunkelrot, ehe es hinab in die flache Schüssel floss, die kein Vogelbad war.

„Komm her, Liliana.“

Sie schüttelte den Kopf, schluchzte und wich zurück.

„Komm her“, sagte er wieder, im gleichen ruhigen Tonfall.

Ihre Füße bewegten sich trotz ihrer Angst und gegen ihren Willen vorwärts, bis ihr Vater sie am Kragen ihres Kleides packen und ihr Gesicht dicht an die Oberfläche von Bittys erkaltendem Blut herabziehen konnte. Ihre lähmende Angst spiegelte sich in der roten Lache. „Sieh hin“, sagte er. „Sieh, was du bist.“

2. KAPITEL

Liliana erwachte mit einem stummen Schrei auf den Lippen. Ihr Mund fühlte sich an wie mit Watte ausgestopft, und in ihrem Kopf empfand sie nichts als die kalte Endgültigkeit des Todes. Sie brauchte einige Zeit, um zu merken, dass die Tür zu ihrer Zelle offen stand. Bard sah sie mit seinen großen, traurigen schwarzen Augen an.

„Hallo“, sagte sie, und ihre Stimme klang angespannt durch die Nachwirkungen ihres Albtraums.

Er winkte sie zu sich.

Sie stand auf und bereitete sich darauf vor, ein Schwindelgefühl niederzukämpfen, aber ihr Körper blieb aufrecht. Erleichtert trat sie hinaus und folgte Bards behäbigen Schritten durch den schwach beleuchteten Gang, bis er vor einer weiteren schmalen Tür stehen blieb. Als er nichts weiter tat, öffnete sie die Tür und merkte, wie ihre Wangen sich röteten. „Ich brauche nur einen Augenblick.“

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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