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Eva Blomquist tritt ihre neue Stellung auf dem imposanten Noltehof an. Hier soll sie als Gutssekretärin arbeiten. Fred Nolte, der impulsive Gutsherr, weckt in ihr ebenso Bewunderung wie Unbehagen. Ein Mann voller Widersprüche - herzlich und herrisch zugleich, angesehen und doch im Dorf von vielen gemieden. Während Eva versucht, sich in ihrem neuen Leben zurechtzufinden, zieht sie das dunkle Geheimnis des Hofes immer tiefer in seinen Bann. Als ein dramatisches Ereignis alles ins Chaos stürzt, muss Eva entscheiden: Bleibt sie - oder wird sie fliehen?
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Seitenzahl: 130
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Von allen verachtet
Vorschau
Impressum
Von allen verachtet
Eine Frau trifft eine schwere Entscheidung
Von Eva Berger
Eva Blomquist tritt ihre neue Stellung auf dem imposanten Noltehof an. Hier soll sie als Gutssekretärin arbeiten. Fred Nolte, der impulsive Gutsherr, weckt in ihr ebenso Bewunderung wie Unbehagen. Ein Mann voller Widersprüche – herzlich und herrisch zugleich, angesehen und doch im Dorf von vielen gemieden. Während Eva versucht, sich in ihrem neuen Leben zurechtzufinden, zieht sie das dunkle Geheimnis des Hofes immer tiefer in seinen Bann. Als ein dramatisches Ereignis alles ins Chaos stürzt, muss Eva entscheiden: Bleibt sie – oder wird sie fliehen?
Eva Blomquist stellte ihre beiden schweren Koffer auf die Straße.
Gewiss gab es auf dem kleinen Bahnhof keine Gepäckaufbewahrung. Was sollte sie bloß tun? Sie konnte die schweren Koffer doch unmöglich nach dem Dorf schleppen. Ob ihr Telegramm, das ihre Ankunft angekündigt hatte, nicht rechtzeitig angekommen war?
Unwillkürlich wandte sie sich um, als erwarte sie von irgendeiner Seite Hilfe, und sie schreckte leicht zusammen, als sie hinter sich einen jungen Herrn gewahrte, der sie wohl bereits eine Weile beobachtet haben musste. Um seinen Mund lag ein amüsiertes Lächeln. Er trug einen leichten Wollmantel über dem Arm. Neben ihm stand ein großer, eleganter, schweinslederner Koffer.
»Auch versetzt?«, fragte er munter.
»Ja«, musste Eva notgedrungen zugeben und lächelte ebenfalls.
Im nächsten Moment wurde eine große Staubwolke sichtbar. Und wenig später schon hielt ein schwerer Tourenwagen neben Eva und dem fremden Herrn. Heraus sprang ein Mensch, dem man ansah, dass er vor nicht langer Zeit noch auf dem Acker gearbeitet hatte.
»Herr Klasen, entschuldigen Sie vielmals, aber der Motor ...« Er stotterte die Worte in einem breiten ländlichen Dialekt hervor.
Ralf Klasen winkte gelassen ab.
»Schon gut, Fritz, ich bin ja während der kurzen Wartezeit nicht erfroren und habe mich auch nicht gelangweilt«, sagte er mit einem Blick auf Eva.
Weil sie dem Gespräch gefolgt war, färbte jetzt ein flüchtiges Rot ihre Wangen. Sie tat so, als interessiere sie sich nur für die Landstraße, die, von Apfelbäumen eingerahmt, verlassen dalag.
Während Fritz den eleganten Koffer in den Wagen lud, ging Ralf Klasen auf Eva zu.
»Gnädiges Fräulein, wenn Sie wollen, können Sie mitfahren«, forderte er herzlich auf.
»Das wäre – nett von Ihnen. Ich will nach Asseln.«
»Asseln?«, wiederholte der große Mensch und runzelte die Brauen. Aber bevor Eva noch eine Frage stellen konnte, hatte er bereits einen ihrer schweren Koffer ergriffen und zum Wagen getragen.
»Nach Asseln!«, bestimmte er dann.
Fritz glaubte, sich verhört zu haben.
»Wollen der Herr nicht selbst ...« Er deutete auf das Steuerrad. Er hatte bisher noch nie erlebt, dass sich der gnädige Herr neben ihn setzte, sich fahren ließ. Ralf gab das Steuer niemals unnötig aus den Händen.
»Nein, heute nicht«, wehrte Ralf kurz ab.
Eva ahnte nicht, dass Ralf zum ersten Male einen anderen den Wagen bedienen ließ, während er selbst darin saß.
Sie bogen von der Chaussee ab und rollten bald darauf über eine noch viel schlechter gepflasterte Straße. Kurz darauf hielten sie vor einem großen Gehöft, das sich als der Noltehof entpuppte.
Eva bedankte sich vielmals bei Ralf Klasen. Sie wollte ihre Koffer auf den Hof tragen, aber Fritz kam ihr zuvor. Ralf blieb unterdessen im Wagen sitzen.
»Wir sehen uns sicher bald wieder«, hatte er ihr zum Abschied gesagt.
Eva freute sich, dass sie ihm hier als Ersten begegnet war. Sollte sie das nicht als gutes Zeichen ansehen? Sie holte tief Luft; ihre Blicke schweiften über den großen Gutshof, die Stallungen und das Herrenhaus.
Ein warmer Schauer überlief Eva, in ihrem Herzen regte sich ein tiefes Glücksgefühl. Sie hatte das Empfinden, daheim zu sein.
Auch in der Heimat hatten sie diese vertrauten Laute umschmeichelt, wenn sie morgens aufstand, wenn sie sich ihr Pferd satteln ließ und davonpreschte über die Felder und durch Wälder.
Darum hatte sie auf eine Annonce geantwortet und sich um die Stellung einer Gutssekretärin bemüht. Eva war auch gleich angenommen worden.
Eben ging Fritz mit ihren Koffern auf das Haus zu. Eine junge dralle Deern kam ihm und Eva ganz erregt entgegen.
»Ach, Sie sind wohl die neue Gutssekretärin? Mein je, was wird der Herr sagen, dass man Sie nicht abgeholt hat – aber wir wussten ja nicht, wann Sie kommen!«
»Schon gut, nun bin ich ja hier«, meinte Eva begütigend. »Demnach ist mein Telegramm also noch nicht eingetroffen?«
Im gleichen Moment kam ein gemütlich aussehender älterer Briefträger daher geradelt. Er grüßte freundlich, kletterte von seinem Stahlross.
»Heda, Trinchen, ein Telegramm für den jungen Herrn!«, rief er.
Das Trinchen glich einem aufgescheuchten Huhn, lief auf den Briefträger zu.
»Da haben wir ja das Telegramm. Sehen Sie ...«
Eva sah und nickte freundlich.
Fritz stellte die beiden schweren Koffer in die Vorhalle des Gutshauses. Er wollte gerade wieder kehrtmachen, als ihm Eva ein Geldstück in die Hand drückte.
»Und vielen herzlichen Dank für Ihre Hilfe«, sagte sie freundlich.
Trina führte sie in ein schönes großes Zimmer, das auch nett eingerichtet war. Die Fenster zeigten zum Garten.
»Wie schön«, murmelte Eva und eilte sofort zu einem Fenster, aber sie starrte betroffen auf die kleine Wildnis, die sich ihr bot! Der Rasen musste dringendst geschnitten werden, die Büsche und Hecken konnten ebenfalls eine Schere vertragen. Die Beete waren mit Unkraut überwuchert.
Trinchen stand jetzt neben ihr und seufzte.
»Die Leute fehlen, niemand will mehr auf dem Land arbeiten«, erklärte sie. »Früher, als die alte Herrin noch lebte, glich der Garten einem Blumenparadies.«
Eva nickte schwer. Sie konnte sich vorstellen, dass der große Garten einmal sehr, sehr schön gewesen sein musste.
Sie war selbst auf einem Gutshof geboren, mit der Natur aufs innigste vertraut und verbunden. Die Sehnsucht nach ihr hatte niemals geschwiegen.
Immer noch stand sie am Fenster und schaute über das Stückchen Land, das künftighin ihre Heimat werden sollte. Würde es auch »Heimat« werden?
»Und hier ist das Bad, Fräulein ...« Trinchen suchte nach dem Namen.
»Blomquist«, murmelte Eva schnell.
»Richtig – also Blomquist! Ist ein bisschen schwer auszusprechen«, stotterte Trinchen. Sie öffnete wieder die Tür, ging ein Stück, um eine andere aufzuschließen. »Ich wollte es noch säubern lassen, konnte ja nicht erwarten, dass Sie jetzt schon da sind«, entschuldigte sie sich im gleichen Atemzug.
An den Wänden hingen Spinnengewebe, in der Badewanne krabbelte eine fette Spinne mit langen Beinen herum.
Anscheinend kümmerte sich hier die junge Herrin nicht sonderlich viel um den Haushalt.
»Ich werde Ihnen eine Tasse Kaffee kochen lassen«, meinte Trinchen, als sie ging. Kommen Sie, nun essen Sie erst einmal etwas, sonst schimpft der Herr noch auf mich, weil ich Sie verhungern lasse!«
Eva wunderte sich, dass Trinchen nur immer den Herrn erwähnte. Gab es hier denn keine Herrin? Aber sie mochte nicht danach fragen.
Der Kaffee war jedenfalls gut, und das Schinkenbrot erinnerte Eva erneut an die Heimat. Sie war jetzt auch ehrlich hungrig und hieb tüchtig hinein.
Sie saß noch im Frühstückszimmer, als die Tür geöffnet wurde. Nein, sie wurde stürmisch aufgerissen, und genauso stürmisch trat ein Mann in den Raum.
Im ersten Moment schockierte Eva seine Wildheit.
»Ich bin Fred Nolte, und es tut mir leid, dass Sie niemand von der Bahn abgeholt hat!«
Er streckte ihr impulsiv die Hände entgegen. Dunkle Augen blitzten dabei auf. Beim Lachen entblößte er eine Reihe schneeweißer Zähne.
Eva hätte nicht sagen können, warum sie ihr zukünftiger Herr anzog, und wieso sie sich gleichzeitig vor ihm fürchtete.
Er verbreitete Leben um sich herum, er sprühte vor Vitalität, ja Wildheit. Er war einer jener Typen, die man nicht übersehen kann.
»Ich hatte Glück, Herr Nolte, und bin mitgenommen worden.«
»So, das freut mich! Wer hat sich denn Ihrer erbarmt?« Er setzte sich einfach zu ihr.
»Ein Herr ... Klasen«, antwortete Eva wahrheitsgemäß. Sie wunderte sich, dass ihr zukünftiger Brotgeber jetzt auch die Stirn runzelte, genau wie es Ralf Klasen getan, als sie ihm ihr Endziel nannte.
Danach ließ er sie erst einmal in Ruhe zu Ende frühstücken, bat sie dann aber zu sich in sein Arbeitszimmer. Als er neben ihr herging, stellte Eva fest, dass er kaum größer als sie selbst war. Dabei wirkte er um vieles länger. Aber das täuschte.
Er bat sie, in einem Sessel Platz zu nehmen.
»Also, Sie sind an selbstständiges Arbeiten gewöhnt?«, fragte er. Er trug einen Reitanzug, schlug die Beine übereinander, lehnte sich bequem zurück. Dann griff er zu einer schönen silbernen Zigarettendose, reichte sie Eva an. »Rauchen Sie?«
Eva bediente sich, er gab ihr Feuer.
»Ja, ich habe selbstständig gearbeitet«, gab Eva wahrheitsgemäß zurück. Fred Nolte nickte. »In einer anderen Branche – aber ich hoffe, Sie werden sich schnell umstellen!«
»Dessen bin ich gewiss«, kam es selbstbewusst zurück.
Fred Nolte schnippte die Asche von der Zigarette. Dabei blickte Eva auf seine rechte Hand. An ihr saß kein Ring. Sie wusste nicht, warum ihr die Tatsache, für einen unverheirateten Chef arbeiten zu müssen, unangenehm war.
***
Nach dem Essen zeigte er Eva den Gutshof, die Stallungen und Scheunen. Ihm ging zum ersten Male auf, dass er so manches hätte ändern können. Er wunderte sich darüber. Versuchte er etwa, seinen Besitz mit den Augen dieses Mädchens zu sehen?
Eva schaute sich interessiert um. Im Pferdestall fühlte sie sich so glücklich, dass sie nicht anders konnte: Sie musste einfach in die Box eines der edlen Tiere treten!
»Seien Sie vorsichtig!«
Aber Eva achtete nicht auf die Warnung. Sie streichelte den schlanken Hals des Tieres, sie sog tief den bekannten Geruch nach Ammoniak und Pferdeschweiß ein. Sie wusste, dass sie hier glücklich war, hier, auf dem Lande. Nein, sie bereute ihren Wechsel nicht.
Fred Nolte schlug die Arme untereinander.
»Ein wundervolles Tier!«, begeisterte Eva sich.
»Können Sie reiten?«
Eva hob den Kopf, schaute zurück. »Ja«, sagte sie schlicht.
»Nun, dann erlaube ich Ihnen, sich ein Tier auszusuchen und Ausritte zu unternehmen.«
»Vielen Dank«, murmelte Eva und legte ihren Kopf an den schlanken Hals des Tieres.
Sie war glücklich, und dieses Glück spiegelte sich in ihren Augen, in ihren Zügen wider.
Fred spürte, dass er bei einer Eva vorsichtig zu Werke gehen musste. Er teilte die Frauen in zwei Gruppen ein. Zu der ersten gehörten die, die man leicht erobern kann, die sich erobern lassen wollen, nur darauf warten, und in solche, bei denen man sich Zeit nehmen musste. Eva Blomquist gehörte anscheinend zu der zweiten Gruppe.
Wieder gingen sie weiter. Evas kundiges Auge schweifte hier und dort hin. Sie zog Vergleiche zur Heimat und wusste, dass das eigene Gut besser instand gewesen war.
»Es ist ein Jammer, dass man keine Leute bekommt«, sagte der Mensch neben ihr und fand so eine einleuchtende Erklärung für den Schlendrian, der an einigen Stellen herrschte.
»Ja«, bestätigte Eva. Sie hatte ja auch schon davon gehört, ohne sich jedoch jemals davon überzeugen zu können.
Als sie wieder dem Gutshaus zugingen, schlug es vom Kirchturm des Dorfes bereits viermal.
»Gerade die richtige Zeit, um Kaffee zu trinken!«, behauptete Fred sofort.
»Halte ich Sie auch nicht von der Arbeit ab?«, fragte Eva.
Fred zögerte mit der Antwort. Er wiegte seinen Kopf. »Nun, einmal macht es nichts«, meinte er dann.
Trinchen kam ihnen entgegen. Eva schaute sie genauer an, hatte das Gefühl, das füllige Mädchen habe geweint.
»Der Herr Oberförster hat angerufen!«
»Und?«, fragte Fred.
Trinchen holte tief Luft, um ihm Rede und Antwort zu stehen, um ihm zu sagen, dass er über seine Gutssekretärin eine Verabredung mit dem Förster vergessen habe. Aber sie schwieg im letzten Moment, weil der Herr so ganz nebenbei meinte:
»Ich weiß schon, es ist gut.«
»Übrigens, Fräulein Blomquist und ich möchten Kaffee trinken«, trug er anschließend dem Trinchen auf.
Die nickte, knickste und ging.
Eva freute sich über die herzliche Aufnahme von Seiten des Gutsherrn, das hatte sie niemals erwartet. Gottlob würde sie also hier im Haus mit zur Familie gehören, diese Stellung räumte ihr der Hausherr stillschweigend ein.
Eva freute sich auf die vor ihr liegende Arbeit. Wenn sie aufschaute, würde sie aus dem Fenster sehen, über weite Felder blicken können, würde einige Sekunden an den Feierabend denken dürfen, der ihr einen schönen Spaziergang durch die Natur oder gar einen Ausritt brachte.
Sie dachte plötzlich an Ralf Klasen. Anscheinend gab es hier nur nette, hilfsbereite Menschen. Sie stellte sich ihn wieder vor und lächelte.
***
Sie wusste nicht, dass Ralf zur gleichen Zeit mit seiner Mutter über sie sprach.
Frau Frieda saß in einem bequemen Sessel, ihr Kopf, der von schlichtem weißem Haar umrahmt war, beugte sich über einen Strickstrumpf. Sie strickte immer. Das hatte sie aus den Kriegsjahren beibehalten, da sie bergeweise dicke Wollstrümpfe für die Soldaten verfertigt hatte.
»Nun, Mutsch ...« Der lange Mensch kam gerade von draußen herein, brachte frische Luft und frohe Laune mit. Er war wieder einmal daheim!
Über das faltige Gesicht der alten Frau flog ein stolzes Lächeln. Es galt Ralf, ihrem Einzigen, demjenigen, den das Schicksal ihr genommen und doch wiedergegeben hatte.
Fünf Jahre war er in Gefangenschaft gewesen, ohne dass sie jemals ein Lebenszeichen von ihm bekommen hatte. Und eines Tages hatte er dann vor ihr gestanden ...
»Mutter ...!«
Nein, sie würde diese Minute niemals wieder vergessen. Sie hatte ihn weinend umarmt, ihren Ralf, ein zerlumptes Bündel Mensch. Er hatte sie trösten müssen, behutsam immer wieder über ihr weißes Haar gestreichelt.
Er war ihr wiedergegeben worden, er war daheim! Sie hatte freilich geglaubt, er bliebe für immer bei ihr – aber das war ein Irrtum.
»Mutter, ich will die Landwirtschaft erlernen!«
»Aber, Junge, du bist doch Landwirt – durch und durch! Du hast doch schon als kleiner Junge den Pflug geführt!«
»Damit ist es nicht getan, Mutter! Ich habe acht Jahre versäumt! In acht Jahren geschieht so manches, schreiten Technik und Wissenschaft weiter vor.« Er schaute sie fest an.
»Ich möchte gern ein guter, der beste Landwirt werden!«
Nein, ihr Sohn gab sich niemals mit Halbheiten ab, das wusste die alte Frau. Er wollte stets alles – oder nichts. Sie musste ihm recht geben.
Nun brauchte Ralf noch ein Semester, dann machte er sein Examen und blieb für immer auf dem Klasenhof.
»Keine zehn Pferde bringen mich dann noch einmal von hier weg!«, versicherte er ihr.
Ralf hatte auf der Schule anscheinend viel gelernt. Die neue Sorte Weizen, die im vorigen Herbst gesät worden war, stand ganz prima, besser als die alte auf dem Nebenfeld. Wie gut, dass der alte Bertold, wie in den langen Jahren zuvor, auch noch das Gut bewirtschaftete.
Aber er sehnte sich nach Ruhe, das wusste Frau Frieda, sehnte den Tag herbei, da der Herr das Zepter übernehmen würde. Er wollte abdanken, seine müden, alten Glieder schonen und ausruhen.
Er wollte zu seiner Tochter und zu den drei Enkeln ziehen, darauf wartete er und freute sich.
»Setz dich, mein Junge«, bat die alte Frau herzlich.
Er nahm Platz, der baumlange Kerl. Er machte es sich so recht gemütlich.
»Darf ich rauchen?«, fragte er.
»Aber ja doch! Deinem Vater ging die Zigarre niemals aus! Dann werden die Gardinen eben einmal öfter gewaschen.« Die alte Frau strickte weiter.
Ralf holte seine Pfeife aus der Tasche, stopfte sie mit Andacht und entzündete sie.
»So, Mutsch, nun schieß los – du hast doch etwas auf dem Herzen?«, meinte er gutmütig.
Die alte Frau zuckte leicht zusammen. »Woher weißt du ...?«
»Das sehe ich dir einfach von der Nasenspitze ab«, lachte Ralf vergnügt.
»Ich meine nur ... du hast doch heute Morgen ein Mädchen mitgenommen ...«
Einen Moment stutzte Ralf, lachte dann. »Hat Fritz, die Plaudertasche, wieder geschwätzt?«
Aber die alte Frau hörte mit feinem Ohr, dass seine Stimme ein bisschen verändert klang.
Sonst erzählte Ralf ihr stets alles. Wohl hatte er von der Reise berichtet, von den Monaten in der Stadt – doch das Mädchen nicht erwähnt. Das machte sie unruhig. Aber sie zeigte es nicht. Sie strickte unermüdlich.
»Nun ja – sie wollte nach Asseln.«
»Asseln?«, fragte Frau Frieda.
