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Die Schwestern Andrea und Lotta sind wie zwei Seiten einer Medaille: äußerlich zum Verwechseln ähnlich, doch innerlich trennen sie Welten. Lotta hat sich ein geordnetes Leben aufgebaut, während Andrea von Tagträumen und spontanen Entscheidungen getrieben wird. Doch als Lotta den charmanten und geheimnisvollen Christian kennenlernt, gerät ihre sonst so stabile Welt ins Wanken. Gleichzeitig quälen Andrea seltsame Symptome, die sie hartnäckig ignoriert - bis ein unerwarteter Arztbesuch düstere Vermutungen aufwirft. Als Andrea eines Abends zu ihrer Schwester eilen will, geschieht das Unvermeidliche: Ein Moment der Unachtsamkeit, ein schrilles Quietschen von Reifen - und plötzlich ist nichts mehr wie zuvor. Während Lotta im Krankenhaus um Andreas Schicksal bangt, kämpft sie selbst mit einem aufwühlenden Verdacht, der alles verändern könnte ...
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Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Andrea – eine Frau ohne Skrupel
Vorschau
Impressum
Andrea – eine Frau ohne Skrupel
Für sie ging ihre Schwester ins Gefängnis
Von Eva Berger
Die Schwestern Andrea und Lotta sind wie zwei Seiten einer Medaille: äußerlich zum Verwechseln ähnlich, doch innerlich trennen sie Welten. Lotta hat sich ein geordnetes Leben aufgebaut, während Andrea von Tagträumen und spontanen Entscheidungen getrieben wird. Doch als Lotta den charmanten und geheimnisvollen Christian kennenlernt, gerät ihre sonst so stabile Welt ins Wanken. Gleichzeitig quälen Andrea seltsame Symptome, die sie hartnäckig ignoriert – bis ein unerwarteter Arztbesuch düstere Vermutungen aufwirft.
Als Andrea eines Abends zu ihrer Schwester eilen will, geschieht das Unvermeidliche: Ein Moment der Unachtsamkeit, ein schrilles Quietschen von Reifen – und plötzlich ist nichts mehr wie zuvor. Lotta trifft eine folgenschwere Entscheidung ...
»Verzeihen Sie!«
Christian Hölzer stand erschrocken vor der jungen Dame, die er in aller Eile fast umgerannt hatte. Lotta stand dank ihrer Körperbeherrschung zwar noch immer auf den Beinen, aber ihr war eine Einkaufstasche aus den Händen geglitten. Äpfel und Tomaten kullerten über die Steinplatten vor dem Hauseingang.
Wie so oft war Lotta auch heute mit erheblicher Verspätung aus dem Büro gekommen und hatte den Wocheneinkauf in aller Eile kurz vor Geschäftsschluss erledigt.
Nach einigen Sekunden Ärger tat ihr der Mann leid, der das kleine Malheur heraufbeschworen hatte.
»Es ist ja nichts weiter passiert«, sagte sie und lächelte ihn freundlich an. Dann bückte sie sich, um den Inhalt ihrer Tasche wieder einzusammeln.
Das Gleiche hatte Christian vor. Ihre Köpfe stießen gegeneinander.
»Au«, rief Lotta unwillkürlich, ließ die übrigen beiden Taschen fallen und rieb sich die Stirn.
Christian verbiss seinen Schmerz.
»Ich muss mich noch einmal entschuldigen. Ich benehme mich wie ein tollpatschiger Bär, der nur Unheil anrichtet. Ich kann zu meiner Entlastung nur anbringen, dass ich in schrecklicher Eile bin. Tut es noch sehr weh?«, fragte er besorgt. »Mein Gott, jetzt sehe ich es«, rief er erschrocken. »Sie bekommen durch mich Trottel eine Beule.«
Er betastete zart Lottas lädierte Stirn, die gerötet war und auf der sich eine Verdickung zeigte.
»Ich werde es überleben.« Seltsamerweise verursachte die Berührung ein angenehmes Gefühl in ihr. Sie wünschte, seine Hände würden sie weiterhin so zart berühren. Gleichzeitig meinte sie instinktiv eine gewisse Gefahr auf sich zukommen zu sehen. Ihr Kopf ruckte zurück. »Lassen Sie sich durch mich nicht weiter aufhalten«, sagte sie herb.
Christian spürte die Wand, die die schöne Fremde zwischen ihnen beiden errichtete. Erst jetzt, da er sie voll ansah und sich vor ihr korrekt verbeugte, wurde ihm bewusst, wie bezaubernd sie war.
Er blickte in tiefblaue Augen, die einen eigenartigen Kontrast zu dem schwarzen Haar bildeten. Es glänzte wie Seide und erinnerte ihn an Rabenschwingen.
Lotta spürte den Blick des Fremden. Er verstärkte ihre Unruhe, die durch ihn verursacht wurde.
»Ich habe es in der Tat sehr eilig, da ich jemanden vom Flugplatz abholen muss. Die Minuten erübrige ich jedoch noch, um Ihre verstreuten Lebensmittel wieder aufzusuchen. Bitte, bewegen Sie sich nicht, sonst erfolgt möglicherweise ein neues Malheur.«
Er las nun von der Erde auf, was aus den Taschen gefallen war.
»Bitte«, sagte er und reichte ihr dann die Taschen. Er blieb an Lottas Seite, als sie auf den Lift zuging.
»Nochmals, nichts für ungut, dass ich Sie so belästigt habe«, sagte er freundlich, bevor die Tür hinter Lotta zuschnappte.
Als der Lift nach oben schnellte, lehnte sich Lotta ganz fest gegen die Wand und schloss die Augen. Sie sah im Geiste den hochgewachsenen eleganten Man mit dem schmalen, sympathischen Gesicht. Sie hatte noch immer seine volle, sonore Stimme im Ohr, und schreckte auf, als der Fahrstuhl mit einem Ruck hielt.
Sie wohnte im dritten Stock des Hochhauses und hatte sich erst vor wenigen Monaten die kleine, aber sehr komfortable Wohnung gemietet. Sie hatte damals mit sich gekämpft, ob sie sich diesen Luxus leisten sollte und war zu dem Entschluss gekommen, lieber bei anderen Ausgaben zu kürzen.
Das Haus bestand aus Eigentumswohnungen verschiedener Größen und lag in einer guten Wohngegend unmittelbar an einem großen Park. Der Eigentümer von Lottas Wohnung hatte sich das Appartement einst für sich selbst gekauft und darum viele Extras einbauen lassen. Als er hätte einziehen sollen, heiratete er ziemlich plötzlich, und so kam Lotta in den Genuss des Wohnkomforts.
Jedes Mal, wenn Lotta ihre Wohnung aufschloss, freute sie sich darüber, hier eingezogen zu sein. Sie hatte ihr kleines Reich nach ihrem Geschmack eingerichtet und fühlte sich hier sehr wohl. In ihren eigenen vier Wänden konnte sie sich entspannen und tankte Kraft für ihre anstrengende Tätigkeit als Sekretärin.
Sie verstaute die gekauften Lebensmittel in den Schränken ihrer praktischen, kleinen Küche, erfrischte sich in dem komfortablen Bad und setzte sich erst einmal in einen der bequemen Sessel. Sie legte ihre Beine auf einen Hocker.
Nun hatte sie doch wahrhaftig wieder das Bild des Fremden vor Augen! Sie überlegte, dass er wahrscheinlich auch hier im Hause wohnte. Sie kannte nur wenige Bewohner. Zuweilen begegnete man sich im Fahrstuhl, grüßte höflich und ging wieder auseinander. Sie fragte sich, wen der Fremde wohl vom Flugzeug abholen wollte. Seine Frau, seine Braut oder seine Freundin?
Da klingelte das Telefon. Am Apparat war ihre Zwillingsschwester. Lotta war froh, dass sie sich endlich einmal meldete. Sie selbst konnte Andrea leider nicht telefonisch erreichen.
»Hallo, Andrea, ich freue mich, dass du endlich einmal etwas von dir hören lässt«, bekannte Lotta herzlich. »Deine Wirtin wird dir ja ausgerichtet haben, dass ich am letzten Sonntag bei dir gewesen bin.«
»Ja, das hat die alte Ziege.«
Lotta horchte überrascht auf. »Was gibt es? Hattest du wieder Krach mit ihr?«
Andrea schaffte es einfach nicht, zu einer eigenen, kleinen Wohnung zu kommen. Ihr rann das Geld immer durch die Hände. So war sie auf möblierte Zimmer angewiesen. Bisher hatte sie in der Beziehung wenig Glück und geriet, nach eigenen Aussagen, immer an wahre Drachen.
Lotta hatte jedoch allmählich den Verdacht, dass ihre Schwester an den Auseinandersetzungen mit ihrer jeweiligen Wirtin auch nicht unschuldig war.
»Ist es schon wieder so weit, dass du ausziehst?«, fragte sie besorgt.
»Nein, das nicht, aber die gute Frau geht mir auf die Nerven. Herrenbesuche sind grundsätzlich verboten. Kommt einmal eine Freundin zu mir, klopft sie um zehn Uhr an die Tür und behauptet, das Radio sei zu laut, wir unterhielten uns zu lebhaft. Aber was soll's, beenden wir das Thema«, meinte sie burschikos. »Gibt es etwas Besonderes?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Was macht die Arbeit?«
Andrea schickte einen Seufzer durch den Draht.
»Die Firma ist die reinste Knochenmühle. Mich muss der Teufel geritten haben, als ich einst ins Büro gegangen bin. Dabei gibt es so viele angenehmere Berufe!«
Über dieses Thema hatten die beiden Schwestern auch schon des Öfteren gesprochen. Während Lotta Freude an ihrer Tätigkeit hatte und sich im Laufe der Jahre bis zur Chefsekretärin heraufgearbeitet hatte, empfand Andrea ihren Beruf als einzige Last.
»Du musst nicht immer nach Unerreichbarem streben, Andrea«, mahnte Lotta. »Glaube mir, jede Arbeit hat ihre Licht- und Schattenseiten.«
»Du hast gut reden«, kam es sofort klagend zurück. »In deiner Position als Chefsekretärin hast du einen abwechslungsreichen, interessanten Beruf.«
Lotta schluckte eine Antwort herunter, die Andrea sicher nicht gefallen hätte. Wie viel Mühe und Anstrengungen es Lotta gekostet hatte, ihr Ziel zu erreichen, vergaß Andrea gern.
»Ich habe groß eingekauft. Wie wäre es, wenn du am Sonntag zu mir zum Essen kämst?«, schlug Lotta herzlich vor und wechselte so das Thema.
»Vielen Dank, aber ich habe schon etwas vor. Sabines Bruder hat sich auf dem Lande ein altes Bauernhaus umgebaut. Dort feiern wir Einweihung.«
»Wie schön«, sagte Lotta spontan. »Dann wünsche ich euch viel Vergnügen.«
Sie kannte Andreas Freundin Sabine Kerber als ein lebensbejahendes und tüchtiges Menschenkind.
So sehr sich die beiden Schwestern äußerlich glichen, charakterlich waren sie sehr verschieden. Andrea nahm das Leben leicht, trank es in vollen Zügen in sich hinein. Sie träumte von einem großen Lottogewinn, um endlich so leben zu können, wie es ihr vorschwebte. Sie wollte reisen, elegante Kleider kaufen und in einer Villa wohnen.
»Kindskopf«, sagte Lotta dann wohl nachsichtig, wenn Andrea über ihre Wünsche sprach. Sie hing solchen Träumen nicht nach, war vielmehr mit dem zufrieden, was sie besaß. Sie hatte ein ausgefülltes Leben. In stillen Stunden allerdings sehnte sie sich nach Liebe und Zärtlichkeit, nach einem Menschen, der zu ihr gehörte.
»Was machst du am Wochenende?«, erkundigte sich jetzt Andrea.
»Das übliche! Morgen bringe ich meine Wohnung auf Vordermann, ich werde gründlich ausschlafen, lesen, Musik hören. Wenn ich Glück habe, bekomme ich morgen noch eine Theaterkarte. Wann sehen wir uns in der nächsten Zeit einmal?«, wechselte sie das Thema.
»Wann?« Eine Weile war es in der Leitung still. »Entschuldige, ich musste überlegen, wann ich einmal nichts vorhabe. Wochentags ist es bei dir ja wohl immer ungünstig, da du nicht weißt, wann du Feierabend hast – oder?«
»Ja«, musste Lotta zugeben. »Der Weg von dir zu mir ist ohne Auto leider auch recht weit und zeitraubend.«
»Leider!« Andrea seufzte. »Ein eigenes Auto zählt auch zu meinen großen Wünschen. Den Führerschein habe ich bereits vor Jahren gemacht.«
»Ich hatte dir angeboten, dir meinen Wagen zu leihen, wenn du über das Wochenende etwas Besonderes vorhast«, erinnerte Lotta ihre Zwillingsschwester.
»Danke, ich weiß es und komme bestimmt darauf zurück. Du bist prima, Lotta«, sagte Andrea spontan.
Lotta überging das Lob. »Nun haben wir noch keinen Termin festgelegt. Wie wäre es, wenn ich dich vielleicht am Mittwochabend zum Essen einladen würde? Wir könnten uns in der Stadt treffen. Wenn wir uns nicht zu früh verabreden, kann ich es sicher einrichten, pünktlich zu sein.«
»Das ist die beste Idee!« Andrea war sofort begeistert. »Du, ich kenne ein tolles Schlemmerlokal – allerdings ist es recht teuer«, setzte sie einschränkend hinzu.
»Mein Geldbeutel wird es aushalten.«
»Wunderbar, dann hungere ich schon vom Morgen an, damit ich abends richtig essen kann!«
»Tu das.« Lotta lachte.
Sie wünschte ihrer Schwester nochmals ein schönes Wochenende. Sie besprachen noch, wo sie sich treffen wollten und verabschiedeten sich dann voneinander.
***
»Was ist eigentlich mit dir los?« Die blonde Sabine sah die Freundin besorgt an.
Andrea stürzte sich doch sonst immer mit Feuereifer ins Vergnügen. Sie waren beide bei Sabines Bruder und Schwägerin, die die Einweihung ihres umgebauten Bauernhauses feierten. Die Stimmung unter den zahlreichen Gästen war großartig, dennoch verkroch sich Andrea in eine Ecke.
Die Freundin lächelte etwas kläglich. »Ich weiß es auch nicht. Ich bin irgendwie lustlos und habe Kopfschmerzen.«
»Meine Schwägerin hat sicher irgendeine Schmerztablette. Ich besorge dir eine. Es wäre ja ein Jammer, wenn du von dieser Party nichts hättest.«
Andrea nickte dankbar. »Du bist ein Schatz.«
Sie sah der Freundin nach. Sie fühlte sich in der Tat wie gerädert, ihr Kopf drohte zu platzen, und eigentlich sehnte sie sich nur nach ihrem Bett. Es war wie verhext, dass sie sich gerade heute so mies fühlte.
Sabine brachte ihr kurz darauf zwei Tabletten.
»Meine Schwägerin meint, die helfen garantiert. Du sollst sie aber mit Wasser einnehmen, und dich in der nächsten Stunde mit Alkohol zurückhalten.«
»Danke, du bist lieb.« Andrea verschwand und trank in der Küche ein Glas Wasser, mit dem sie die Tabletten hinunterspülte. Die Wirkung setzte in der Tat bald ein. Die Schmerzen ließen nach, sie fühlte sich merklich frischer.
Sabine beobachtete die Freundin im Laufe des Abends besorgt. Sonst war Andrea eine wahre Stimmungskanone. Sie war auf Partys immer eine der ausgelassensten und tanzte jeden Tanz, heute jedoch fehlte ihr das Sprühende, Lebendige.
»Was ist eigentlich mit Andrea los?«, wurde sie jetzt von einem der jungen Männer gefragt. Er hielt ein Glas in der Hand und steuerte auf Sabine zu. »Die kann doch sonst vom Tanzen nicht genug bekommen, heute hat sie mir doch tatsächlich einen Korb gegeben.«
»Vielleicht steckt ihr eine Erkältung in den Knochen«, vermutete Sabine.
»Hm ... Recht hast du natürlich, nur bei Andrea ...«
Er sah zur Seite, aber jetzt stand Andrea inmitten einer Gruppe junger Menschen, hielt ein Glas in den Händen und lachte.
Der Morgen graute bereits, als die letzten Gäste gingen. Sabines Schwägerin hatte den beiden Freundinnen angeboten, dazubleiben und bei ihnen zu schlafen.
»Jetzt sind die letzten Gäste abgefahren, aber Andrea ist nirgends zu sehen.«
»Dann liegt sie bereits im Bett, sie hat sich ja den ganzen Abend nicht gut gefühlt.«
»Sie sah auch elend aus. Vielleicht sollte sie einmal zum Arzt gehen«, riet die junge Frau.
Sabine half Bruder und Schwägerin noch, in den übrigen Räumen einigermaßen Ordnung zu schaffen, dann suchte sie das Gästezimmer auf, das sie mit Andrea teilte.
Andrea lag tatsächlich schon im Bett und schlief. Es war inzwischen Tag geworden. Die Sonne schickte ihre ersten Strahlen durch das Fenster.
Sabine betrachtete die Schlafende. Andrea hatte sich vor dem Zubettgehen noch abgeschminkt. Ihre Haut war gelbgrau, unter ihren Augen lagen tiefe, dunkle Schatten, die Sabine beunruhigten.
Selbstverständlich schliefen die beiden Freundinnen und das junge Ehepaar bis zum Mittag. Dabei lockte draußen ein herrlicher Frühlingstag.
Sabine wachte noch vor Andrea auf. Sie hatte eine Weile Zeit, sie zu betrachten.
Sie sieht krank aus, dachte sie.
Allerdings schien der Schlaf Andrea erquickt zu haben, sie wirkte wieder frisch und munter. Sabine fiel jedoch auf, wie wenig die Freundin aß.
Die vier jungen Leute kochten heute nicht, sondern verzehrten die Reste des kalten Büfetts.
»Ich habe keinen rechten Appetit«, gestand Andrea, als Sabines Schwägerin sie ermunterte, doch zuzulangen. »Ich habe wohl zu viel Alkohol getrunken und mir dabei den Magen verdorben.«
Später machten die beiden Freundinnen auf Sabines Drängen hin noch einen Spaziergang, bevor Andrea wieder heim in die Stadt fuhr.
***
Lotta kam gottlob heute pünktlich aus dem Büro. Wie meistens verspätete sich Andrea, so dass Lotta bei strömendem Regen frierend am vereinbarten Treffpunkt wartete und alle paar Minuten auf ihre Uhr sah.
Dann kam Andrea angehetzt.
»Entschuldige!«, rief sie schon von Weitem. Sie war ganz atemlos. »Die blöde Straßenbahn ist mir natürlich vor der Nase davongefahren.«
Lotta kannte das Lied. Pünktlichkeit war nicht Andreas Stärke. Sie unterdrückte eine ärgerliche Bemerkung.
»Lass uns zusehen, dass wir ins Trockene kommen.«
»Das ist eine gute Idee, das Wetter ist wirklich ganz scheußlich.«
Beide Frauen strebten dem in der Nähe liegenden Schlemmerlokal zu.
Wie immer erregten sie auch heute Aufsehen. Sie kleideten sich zwar nicht gleich, wie es einst ihre Mutter getan hatte, als sie noch Kinder gewesen waren, doch ihre Ähnlichkeit war frappierend.
»Wie gesagt, die Preise sind gepfeffert, wir bestellen am besten nur Kleinigkeiten«, raunte Andrea ihrer Schwester zu.
»Ich gehe an dem Essen schon nicht pleite.«
Über Andreas Gesicht huschte ein dunkler Schatten, im nächsten Moment hellte es sich jedoch wieder auf.
»Prima, dann brauche ich also keine Gewissensbisse zu haben, dich hierher geführt zu haben.«
Der Ober kam an den Tisch und legte nach kurzem Zögern Lotta zuerst die Speise- und Weinkarte vor.
»Seltsam, das war schon immer so«, sagte Andrea. »Sieht man mir eigentlich an, dass ich nicht so betucht bin wie du?«
Lotta lachte. »Ganz bestimmt nicht. Du bist immer viel eleganter und modischer gekleidet als ich.«
Andrea betrachtete ihre Schwester einen Moment eingehend.
Dann las sie lange und mit Bedacht die Speisekarte.
Lotta beobachtete ihre Schwester und lächelte versteckt. Sie freute sich, dass Andrea dieses gemeinsame Essen so sehr genoss.
Später betrachtete sie jedoch, wie viel Mühe ihre Schwester hatte, die delikaten Speisen zu essen.
»Wenn du nicht mehr magst, lass es stehen«, sagte Lotta. Seltsamerweise hatte sie sich schon immer für Andrea irgendwie verantwortlich gefühlt.
»Entschuldige, aber ich hatte geglaubt, mehr Hunger zu haben. Lieber jedoch den Magen verrenken, als dem Wirt etwas schenken«, fügte sie humorvoll hinzu und löffelte das letzte Restchen Dessert auch noch in sich hinein.
Zwei Herren betraten das Lokal. Sie schienen hier gut bekannt zu sein. Der Geschäftsführer begrüßte sie.
»Ihr Tisch ist reserviert, Herr Hölzer«, sagte er. »Darf ich Sie hinführen?«
Christian winkte lachend ab. »Bitte, bemühen Sie sich nicht, den Weg finde ich allein.«
