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"Liebe ist zweifellos der direkteste Zugang zum Leben. Aber wenn man keine zwanzig mehr ist, verlässt einen die Unbändigkeit des Lebens und man springt keine drei Stufen auf einmal hinunter. Dabei war ich mir sicher, nicht zu stürzen." - Ausgerechnet als er in seinem Leben ein wenig aufräumen möchte, lernt er an der türkischen Schwarzmeerküste eine junge Frau kennen, die es wert wäre, diese Stufen hinunterzuspringen. - Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Erst in der Türkei spielend, dann in Deutschland.
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Seitenzahl: 117
Veröffentlichungsjahr: 2020
Yüz dinle, bin düsün, bir konus(Hör hundertmal, denk tausendmal, sprich einmal)türkisches Sprichwort
I.
Kapitel
Türk mali – made in turkey
Ertesi gün – am nächsten Tag
Boş ver
Hadi! – Los jetzt!
Ereğli
Sence – deiner Meinung nach
Görüşürüz!
II.
Kapitel
Ansızın yok – plötzlich gibt es nicht
Ara değini – Zwischenbemerkung
Halletmek – in Ordnung bringen
Sonra belki – später vielleicht
Aile – Familie
Noksan – fehlt noch
Kahvaltı etmek – frühstücken
Memnuniyetle – sehr gerne
III.
Kapitel
Günaydın – Guten Morgen
Bitti
Ihr mintfarbener Bikini leuchtete gut sichtbar über der Bucht. Seit nunmehr drei Tagen jeden Nachmittag. Sie kam immer allein. Ohne Begleitung. Man hätte fast die Uhr danach stellen können. So waren wir dann für die kommenden zwei, drei Stunden nur zu zweit. Jedoch mit gehörigem Abstand zwischen uns. Sie dort unten, umgeben von halbhohen Büschen, und ich hier oben, im Schatten einer kleinen Pinie und eines nicht viel größeren Felsen. Die Bucht war somit keiner der üblichen überlaufenen Geheimtipps. Oder doch? Wenn sie heute in meine Nähe käme, würde ich mir etwas einfallen lassen müssen. Bildete ich mir zumindest ein. Gleichzeitig ärgerte ich mich wieder darüber, kein Fernglas mitgenommen zu haben. Auch für gute Augen sind fünfzig und mehr Meter kein Pappenstiel, wenn man eine unübersehbar gut aussehende und junge Frau für eine Weile mal näher betrachten will. Und für diese Entfernung sind meine Augen alles andere als gut genug und meine Brille rettet in solchen Momenten kaum noch was. Also blieb mir nur, die Augen zusammenzukneifen, weil ich dachte, dass es helfen würde, und ich starrte von meinem etwas erhöhten Platz zu ihr hinunter. Der Detektiv in dem Buch, das ich gerade fertig gelesen hatte, hätte das sicher besser und vor allem unauffälliger gekonnt. Obwohl er jenseits aller tolerierbaren Promillegrenzen agierte.
Doch fünfzig Meter reichen auch, um fürs Erste nicht gleich aufzufallen. Leider hatten wir nur schon den dritten Tag und mir war bisher nichts anderes eingefallen, als sie von hier oben anzugucken. Ich tat, als wenn ich lesen würde. Für andere Kindereien, wie heranrobben oder einen Ball – den ich ohnehin nicht hatte – vollkommen unabsichtlich in ihre Richtung zu werfen, war ich inzwischen zu alt. Und auf irgendeine blödsinnige Art ein Gespräch anzufangen, Schon schön hier oder Machen Sie etwa alleine Urlaub?, war wirklich platt. Zumal ich nicht sicher sein konnte, dass sie mich verstand. Wer weiß, woher sie kam? Ich war hier ja nicht auf Usedom oder am Chiemsee. Derweil kämmte sie sich, gelangweilt wirkend, mit den Fingern durch die dunkelbraune, fast schwarze Flut ihrer Haare und schüttelte die Mähne auf ihren Rücken. Dann ging ihr Blick wieder hinaus aufs Meer. Auf dem nichts anderes zu sehen war als genauso gelangweilte Wellen, die ein Dutzend Meter vor ihr träge und ohne Kraft ans Ufer platschten. Ziemlich weit hinten zwei, drei Segelschiffe, die so taten, als kämen sie mit dem bisschen Wind gut voran.
Wir waren heute Nachmittag ungefähr zur selben Zeit angekommen. Mehr als eine Minute lag nicht dazwischen. Ihr Kleid, ihren Rock oder was auch immer sie angehabt hatte, hatte sie bereits ausgezogen. Sie war gerade dabei ihr Handtuch auszubreiten, als ich meinen Rucksack absetzte. Kaum lag der gestreifte Stoff in der kleinen Sandinsel inmitten der Büsche, betrachtete sie das Gelände zwischen sich und dem Meer. Eine Touristin, die sich, wie der Tourist schräg oberhalb von ihr, sicher mehr von dieser Küste versprochen hatte. Aber die, wie er, nicht wusste, wo es besser sein könnte. Und das, auch wie er, seit mindestens drei Tagen. Obwohl die Landschaft um uns herum recht reizvoll war. Aber für einen, der ausgiebig baden wollte, waren die felsigen Finger, die vor uns ins Meer ragten, weniger einladend.
Bestimmt hatte sie mich längst bemerkt. Von der ersten Sekunde an. Trotzdem kein Blick zu mir oder meiner Lagerstätte. Schon gar keine grüßende Hand. Meinen nickenden Kopf, Ah, Hallo!, übersah sie einfach dabei. Auch wie von der ersten Sekunde an. Sie wusste, ich war außerhalb jeglicher Reichweite. Also ziemlich harmlos. Unveränderte fünfzig Meter machten selbst aus einem gefährlichen Haifisch einen ollen Karpfen. Falls also irgendeine Gefahr von mir ausging, hätte sie Zeit genug, in das versteckte Holster neben sich zu greifen und mich anschließend über den Haufen zu schießen. Jedenfalls war ich ihr, wenn mein Wörterbuch nicht log, önemli değil, vollkommen egal. Und auch das seit drei Tagen.
Minuten später ertönte von dort unten leise eine Melodie. Längst saß sie auf dem Tuch und hatte einige Male lustlos in einer Illustrierten herumgeblättert. Sie griff neben sich und hielt ein Handy ans Ohr. Wie um sich besser zu konzentrieren, sank ihr Kopf nach vorne. Ihr Blick wahrscheinlich auf ihre Zehen, die Bilder der Zeitschrift, ein paar Grashalme oder ein Insekt geheftet, das zwischen dem Ganzen herumtollte. Von den krabbelnden Dingern hatte es nämlich genug. Im Gegensatz zu den letzten Tagen sprach sie diesmal viel lauter. Das andere Ende war demnach in Sibirien, in der Pampa oder auf dem Mond. So brandete ein Konglomerat letzter Reste unverständlicher und unvermutet bekannter Wörter zusammen mit dem Geräusch der Wellen zu mir:
„Merhaba Tante.“
„ – “
„Iyiyim – uçakla – Stuttgart.“
Mein Wörterbuch war sein Geld wert. Sie telefonierte also mit einer Tante, ihr ging es gut, sie war mit dem Flugzeug hier, und wenn ich richtig kombiniert hatte, kam sie unvermutet von oder aus Stuttgart. Der Anhänger an meinem Rucksack trug das Kürzel desselben Flughafens. In Gedanken schlug ich mir an die Stirn. Wenn das alles stimmte, sollte sie mich also verstehen können und ich hätte mit ihr schon längst reden können. Ich schüttelte den Kopf. Drei Tage hatte ich Fisch gespielt und nur mit mir selber gesprochen. Ich fluchte und lauschte.
„Evet – çok geç“, das klang wie ein Schokoriegel, „pazartesi günü …“
Ich konnte nicht schnell genug blättern. Nach dem Ja und sehr spät, das also doch nicht Schokolade hieß, fand ich in dem Büchlein nur noch am Montag. Von den Wörtern dazwischen hatte ich keine Ahnung, wie sie sich schreiben könnten, mehr als die Hälfte hatte ich vor lauter Suchen auch gar nicht mitbekommen. Dann war das Gespräch zu Ende. Sie warf ihren Kopf und damit die langen Haare wieder nach hinten. Pazartesi günü. Am Montag. Heute hatten wir Mittwoch. Ich hoffte, es hieß, dass sie ihre Tante am kommenden Montag besuchen würde oder mit ihr einkaufen wollte und nicht schon nächste Woche abfliegen musste. Allzu viel Zeit hatte ich womöglich nicht mehr, um sie anzusprechen. Dabei hätte ich es unerwartet leicht. Die Worte Tante und Stuttgart konnte ein Deutscher auch nicht besser aussprechen. Somit wäre eine Feststellung wie Schon schön hier vielleicht doch nicht so falsch gewesen.
Das Handy verschwand in der Tasche. Dafür zog sie einen kleinen Spiegel hervor und kontrollierte mit rollendem Kopf die Haare oder das Make-up in ihrem Gesicht. Ich stellte mir vor, wie sie mit dem kleinen Ding versuchte, mich heimlich in Augenschein zu nehmen und darüber brütete, welchen ersten Satz sie sagen könnte. Länger als ein paar Sekunden dauerte es allerdings nicht. Zu wenig für ein Taxieren. Anschließend tat sie wieder nichts anderes, als das Meer zu beobachten. Die Segler darauf waren ein paar Zentimeter weitergekommen. Dabei knüpfte sie sich einen dünnen Zopf in ihre Haarpracht. Machte ihn wieder auf und begann von Neuem. Das Ganze wiederholte sie zweimal. Minuten später schob sie ein Gummi um das Ende. Dieser Zopf war ihr demnach endlich gut genug gelungen. Dann ließ sie sich auf ihr Tuch zurückfallen und von der Sonne bescheinen. Nun nahezu vollständig für mich von den niedrigen und dornigen Büschen des eher hügeligen Küstenabschnitts verborgen.
Ich wartete noch etwas ab, widmete mich dann doch dem neuen Buch, das ich aus meinem Rucksack herausgekramt hatte, und litt Zeilen später mit einem Inspector in Alicante, weil er zwar seine Fälle wohl aufklären konnte, aber trotz aller Bemühungen über eine stille Schwärmerei bezüglich einer Angehimmelten nicht hinauskam. Ihm ging es wie mir. Er hatte schlichtweg nicht den blassesten Schimmer, wie er sich verhalten musste, um erfolgreich zu sein. In Anbetracht der Situation hier in unserer Bucht, kein gutes Vorbild für mich.
Als ich hochschaute, war sie gerade im Begriff hinter den Büschen der kleinen Kuppe rechts von uns zu verschwinden. Ich reckte mich etwas und sah ihr Handtuch noch liegen. Kein stiller Abgang also. Nur wenig später kehrte sie zurück. Gerade rechtzeitig für ein neues Telefongespräch. Sie stoppte die lauter werdende Melodie ihres Samsungs mit einem tippenden Finger auf das grüne Symbol.
„Evet – evet – hayır.“
Das verstand ich auch: ja, ja, nein. Grundwortschatz, Seite 7, quasi erste Seite im Wörterbuch. Und noch mal:
„Evet – hayır – evet – dört-beş gün için … bakalım! – galiba1.“
Dann schaute sie auf ihre Armbanduhr.
„Var, bir buçuk saat sonra?!“
Ja, in eineinhalb Stunden, hieß der letzte Satz in etwa. Seite 76, unter „Eine Verabredung treffen“. Der Rest stand nicht drin. Aber allein für diesen Satz hatte ich schon ziemlich lange gebraucht, ehe ich ihn überhaupt gefunden hatte. Und deswegen nicht mitbekommen, dass der Anruf bereits seit geraumer Zeit wieder beendet war. Denn sie hatte sich inzwischen schon einen beigefarbenen Rock und ein dunkelgrünes, ärmelloses DKNY-Shirt angezogen. Ich beschreib es nur deshalb so genau, weil ihre ohnehin gute Figur in den Sachen verflucht gut aussah, ich aber die Ankleide-Aktion verpasst hatte.
In eineinhalb Stunden wollte sie sich mit jemandem treffen, reimte ich mir, den Inspector aus dem Buch nachahmend, zusammen. Wenn es ein Typ war, würde er sich bei dieser Optik freuen. Unter Umständen hatte der sie sich sogar gewünscht. Das würde selbst hier in diesem Land nicht anders sein. Kurz überlegte ich, ob ich sie aus irgendeinem Grund noch abpassen sollte, um mich mit ihr für später zu verabreden. Nach dem Motto belebende Konkurrenz. Aber es war nur eine weitere dumme Idee von mir. Plump und durchschaubar. Vor allem weil mir einfach kein vernünftiger Satz dafür einfiel. Hallo du, seit drei Tagen hocken wir hier und reden nichts, hast du Lust das zu ändern und einen Kaffee mit mir zu trinken? Genial bekloppt! So schnappte ich nur schnell mein Handy und machte ein Foto. Dann schaute ich ihr hinterher und spekulierte auf morgen. Gleiche Zeit. Gleicher Ort. Meine Reiseplanung hatte ich ohnehin vorgestern Nachmittag aufgegeben, weil ich schon da für den nächsten Tag auf das Gleiche hoffte. Nämlich; sie hier zu treffen. Sie verschwand auf dem Weg zum Parkplatz, ohne sich umgedreht zu haben. Ohne ein Anzeichen dafür zu hinterlassen, nun den dümmsten Satz von mir zu erwarten. Und ohne dass ich mir etwas hatte einfallen lassen müssen.
„Du bist ja nicht zu übersehen.“
Die ganze Nacht hatte ich für diesen Satz gebraucht.
„Meinst du?“
Ihr Blick fiel aus gut eineinhalb Metern auf mich herunter. Ohne den Kopf dabei zu senken. Gleichzeitig zog sie sich das Shirt über, das sie in Händen gehalten hatte. Schlussvorstellung für den mintfarbenen Bikini und die Haut dazwischen. Diese unvermutet hell, in der Sonne matt schimmernd. Nicht ein Pölsterchen. Der Rest der Frauenwelt würde neidisch werden. Maximal eine Handvoll Sekunden hatte sie mir diesen Anblick gegönnt. Schon war sie drei Schritte weitergelaufen. Wieder schaute ich ihr nur nach, in der gleichen Haltung wie gestern Nachmittag. Für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, seitdem unverändert hier zu sitzen. Angewurzelt seit gestern. Eigentlich seit Tagen. Seit vier, um genau zu sein. Aber immerhin. Jetzt blieben mir ihre Beine. Aus nächster Nähe. Leider eher fünfzehn Meter. Ich nestelte in meinem Rucksack herum und holte nun die kleine Kamera heraus.
„Kommst du hier aus der Gegend?“, rief ich ihr hinterher. Plötzlich mutig geworden und in der Hoffnung; sie würde stehen bleiben, aber mir gleichzeitig vollkommen im Klaren darüber, dass die Frage nicht besonders intelligent war. Doch blieb sie nicht stehen und so war sie, als die Kamera endlich einsatzbereit war, im Display nicht größer als ein Fleck. Auch als Erinnerungsfoto zwecklos.
„Was geht dich das an?“, hörte ich sie, „Willste ’n Buch über mich schreiben oder was?“
Weitere fünf Schritte. Die perfekten Beine – Steffi Graf belegte in dieser Kategorie bis vor ein paar Tagen den ersten Platz – längst von Gestrüpp und Büschen verdeckt.
„Könnte sein“, erwiderte ich belustigt in ihre Richtung und mehr zu mir selbst. Im Grunde genommen also nicht laut genug.
„Dann kannst du ja loslegen, jetzt weißt du ja alles.“
Demnach Ohren wie ein Luchs. Mein Spruch war nicht leise genug gewesen. Sie hatte mich doch gehört. Weg war sie. Ich richtete mich grinsend auf und versuchte herauszufinden, wohin sie lief. Doch war sie ein weiteres Mal wie vom Erdboden verschwunden. Dabei war das Buschwerk hier wirklich nicht allzu hoch. Okay, verloren, dachte ich. Anfängerfehler. Ich schaute mich noch einmal um, geknipst hatte ich nicht, ließ mich dann aber auf meine Decke zurücksinken und griff wieder nach dem Buch neben mir. Der Inspector hatte jetzt einen Typen eines Sozialamts in der Mangel. Ich hoffte, er würde dem arroganten Idioten gehörig in den Hintern treten. Nach nicht einmal drei Seiten tat er mir den Gefallen.
Minuten später sah ich sie gute vierzig Meter von mir entfernt über das hintere Ende in die Bucht zurücklaufen. Aus dieser Entfernung nicht am Mintgrün erkannt, sondern an den langen Haaren. Der Bikini war unter dem übergroßen Shirt ohnehin kaum noch zu sehen. Höchstens als Ahnung. Wieder keine Chance für ein vernünftiges Foto. In ihren Händen eine Tüte. Dass ich vorhin hier oben gesessen hatte und wir sogar dreieinhalb Sätze gewechselt hatten, spielte keine Rolle mehr. Sie würdigte meinen Platz auch jetzt mit keinem Blick. Setzte sich und zog erst dann das Shirt wieder aus. Wusste also, dass ich nicht viel von ihr sehen konnte, wenn sie sich hinlegte und ich hier oben blieb. Außer, ich würde wie ein Leuchtturmwärter nach ihr Ausschau halten.