Kommt davon - Andreas Heßelmann - E-Book

Kommt davon E-Book

Andreas Heßelmann

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Beschreibung

"Kommt davon" ist eine (ganz andere) Geschichte rund um die Liebe. Offen, ehrlich, sensibel, erotisch, pikant und nachdenklich. Mitunter eine Reise durch vergangene Jahrzehnte und ein "Versuch" der männlichen Hauptperson mit Kinofilmen etwas über die Liebe zu erfahren, damit er endlich seine Angebetete erobern kann. Und dies verführerisch unbedarft und irgendwo vollkommen überfordert. Auch unschuldig ... und vor allem zärtlich und schüchtern.

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»Vier Jahre Idiotie kulminieren in diesem Abend.«

(Joey Goebel, Ich gegen Osborne)

Inhaltsverzeichnis

Eierlaufen

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Nachwort

I.

Eierlaufen

Lange Zeit bestand Katharinas einziger Makel darin, immer einen Freund gehabt zu haben, der durch sein bloßes Vorhandensein verhinderte, dass wir schon vor ungefähr einem halben Jahr miteinander schliefen. Dass er dies ohne sein Wissen über all die Jahre auch zuvor geschafft hatte, zu vereiteln, verdankte er meinem tiefen Respekt, denn vor langer Zeit verkaufte er mir einen kleinen Fernseher, der bis vorgestern Abend einwandfrei funktionierte. Doch dann löste sich kurz vor Mitternacht sowohl der Fernseher als auch meine Achtung buchstäblich in Rauch auf. Ausgerechnet in dem Moment als Baby zu Johnny sagte1: »Tja, wenn du gehen musst, musst du wohl gehen«. Ich prügelte auf den Kasten ein, schlug ihn und schrie ihn an. Nichts. Er hörte nicht auf mich. Meine Autorität versagte wieder einmal kläglich. Voller Missachtung lächelte mich das Ding mit seinem schwarzen Schirm völlig mitleidlos und kälter werdend an.

Nach den Debakeln meiner ganzen Liebschaften, bei denen ich von der letzten glaubte, sie würde ewig halten, weil man sich einig war, einen Ring zu tragen, war ich dazu übergegangen, die in Zukunft notwendigen Korrekturen mit dem Studieren verschiedenster Filmszenen anzugehen. Bezüglich Katharina hatte ich keine Lust, ein weiteres Mal zu scheitern. Diese sollte eine große Liebe werden. Alles sollte von Anfang an richtig laufen. Da spielte das Genre keine Rolle, Hauptsache der Film enthielt sehenswerte und beispielgebende Liebesszenen, die als Lehrmaterial taugten. Dabei spielte nicht so sehr der Sex eine Rolle, als die Dialoge. Zu den meisten war ich in meinen missglückten Beziehungen nicht fähig gewesen, weil ich viel zu häufig doofe Antworten oder Kommentare gab. Also suchte ich die verschiedensten Videotheken der Umgebung heim und deckte mich über viele Wochenenden mit „Filmchen“ ein. Natürlich auch mit den bekannten Klassikern: Casablanca, Ich seh dir in die Augen, Kleines!, Love Story, Liebe heißt, niemals um Verzeihung bitten zu müssen, Harry und Sally, Ein hinreißend romantischer Jux stand auf dem Plakat, was mich veranlasste, Meg Ryans vorgegaukelten Orgasmus ernster zu nehmen als alle anderen es wahrscheinlich getan haben, oder auch, weil sie umwerfend gut aussieht und dem Film mit Sophie Marceau, Und nebenbei das große Glück. Aber bis genau auf diesen Film sind die meisten in ihrer Wirkung auf einen berühmten Satz reduziert, den jeder kennt und nachplappert. Oder wer weiß noch, dass Humphrey Bogart auch Eines Tages wirst du verstehen und mir recht geben, gesagt hat. Ein Satz, der jedem Mann gut zu Gesicht stünde und von dem ich hoffte, ihn bei richtiger Gelegenheit sagen zu können.

Doch einen der besten Streifen für mich, wenn nicht sogar den besten, hatte ich mir nicht in einer dieser Videotheken ausgeliehen, sondern gekauft und vorhin zum soundsovielten Mal in den Recorder geschoben. Er war das optimale Lehrmaterial. Er hielt mich in all den Monaten über Wasser. Was auch daran lag, dass Baby zumindest aufgrund der Frisur Katharina wie aus dem Gesicht geschnitten war. Beziehungsweise umgekehrt. Das gespielte Alter der Hauptdarsteller, der Ort der Handlung und dass ich kaum einen Schritt tanzen kann, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Der Film war durch Babys Aussehen einfach bestens geeignet, für den Ernstfall zu trainieren.

Man kann mich ja für bescheuert oder einen Weichling halten, dass ich solche Filmchen liebe und immer wieder ansehe, aber gerade deswegen wusste ich auch ziemlich genau, dass Johnny dicht über Babys süßem Gesicht schon längst die Frage »Wie heißt du eigentlich wirklich?« gestellt hatte und damit nicht nur meine Lieblingsstelle in dem Film, sondern auch, was Liebe, Lust und Leben anbelangte, ein einfaches, aber für alle Zeiten gültiges Lehrstück für mich vorbei war, bei dem ich jedes Mal Tränen in die Augen bekam. Er, Johnny, wollte sich in Zukunft nicht nur an eine Liebe, an irgendeinem Nachmittag, sondern auch an ihren Namen erinnern. An jemanden, mit dem er diesen Tag in Verbindung bringen wollte. Alles andere wäre Schall und Rauch gewesen. Anonyme Quickies kamen für ihn nicht in Frage. Das machte uns nahezu zu Seelenverwandten.

Nebenbei bemerkt, habe ich nie kapiert, warum ich bei der Filmmusik einen hörbar alten Knacker ertragen musste, der zusammen mit einer jung und sexy klingenden Frauenstimme das Titellied sang. Und weshalb sich Jennifer Grey alias Baby alias Frances später genau dieses süße Gesicht, über dem Johnnys schwebte, operieren ließ, habe ich auch nicht verstanden. Ihren mindestens genauso süßen Hintern entdeckte ich danach auch in keinem weiteren Film mehr. Kein Wunder bei ihrer Einstellung zum Thema Aussehen. Möglicherweise hatte sie sich selbst nicht genug geliebt und gedacht, sie müsste dafür schöner sein. Ging halt daneben. Das hässliche Entlein, wie die Presse immer tat, war sie für mich nie gewesen. Immerhin schaut man einem Menschen in die Augen, wenn man ihn näher kennenlernen will und nicht auf die Nase. Zumindest in dieser Beziehung hatte Humphrey Bogart recht. Womit wir beim Thema wären. Aber gut. Sei’s drum. Diesen Film, Dirty Dancing, mit ihr, mit Jennifer Grey, alias Baby, alias Frances, mit dem Lächeln und dem Song, bei dem ich mir immer vorstelle, dass es ihre Stimme sei, habe ich auf jeden Fall gebunkert und guck ihn mir immer wieder an. Animation und Lehrstück. Ich hab eine Wassermelone getragen.

Es gibt ja tatsächlich Menschen, die ziehen Erfahrungen aus dem gelebten Leben, also dem realen, damit dieses überhaupt oder beim nächsten Mal besser klappt, was aber bei mir gehörig danebengegangen ist oder zumindest überhaupt nicht funktioniert hat, worauf wir vielleicht noch zu reden kommen; auf jeden Fall hat alles dazu geführt, dass ich deshalb glaubte, meine Erfahrungen stattdessen durch das gespielte Leben in Filmen machen zu müssen, was mich allerdings letztendlich auch nicht besonders weiterbrachte, mich dafür aber an vielen Abenden gut unterhielt.

Das sollte auch zur Genüge meine Reaktion erklären können, warum ich minutenlang auf dem Teppich an mein Sofa gelehnt hocken blieb und vollkommen verständnislos die soeben verstorbene Flimmerkiste anstarrte. Denn wer sollte mich nun unterweisen? Wer würde mir den entscheidenden Tipp geben können? Sagen, was ich zu tun hätte? So blieb mir nichts weiter als die halbvolle und inzwischen lauwarme Dose Bier in meiner Hand. Ansonsten glich mein Kopf leeren Sprechblasen in einem Heft, das ein Comic hätte werden können. Mit Tonnen von „?“ gefüllt, die durch die letzte Seite der Betriebsanleitung nicht in „!“ verwandelt wurden. Die letzte Schulstunde war einfach vor der Zeit ausgegangen. Irgendwie wartete ich dennoch – vielleicht aus Trotz – darauf, dass Baby aus dem Fernseher zu mir gekrochen käme und mir ins Ohr flüstern würde: Wollte nur wissen, ob du mich auch wirklich vermisst.

Aber daraus wurde nichts. Aus dem als schön gedachten Single-Männer-Abend war so was wie eine Totenfeier geworden. Der zweite Wutausbruch von Babys Vater, von wegen »Wir reisen morgen ab«, blieb Frances zwar dadurch in meinem Wohnzimmer erspart, aber die den Exitus des Kastens erklärende Ausdünstung, die sich langsam im Zimmer verteilte, war lähmend genug. Im Nachhinein war ich froh, dass er nicht abfackelte. Wer weiß, ob ich in der Lage gewesen wäre, die Feuerwehr anzurufen. Wäre mir richtige die Nummer eingefallen? Und wie macht man das eigentlich? Minuten später griff ich dennoch zum Telefon, aber nur um Katharina anzurufen. Nachts um viertel nach eins. In der Hoffnung, dass sie abnehmen würde:

„Die blöde Glotze ist kaputt.“

„Ja und? Hier kannst du nicht gucken“, ihre Stimme klang nicht wie sonst. Ich meinte einen Schluchzer zu hören. Sofort machte ich mir Sorgen und lauschte ihrem seltsamen Seufzen.

„Was hast du?“, fragte ich daher.

„Meine Beziehung ist kaputt“, kam es zeitverzögert mit einem Schniefen zurück.

„Hä?“

„Gerd ist vor ‘ner Stunde mit seinem Koffer raus.“

„Ich komme“, antwortete ich sofort und hatte mich schon hochgerappelt.

Ich war ja nicht dieser Mister Houseman, Babys Vater, und ließ mein Liebstes im Stich, nur weil die Elektronik zu Hause versagte. So viel hatte ich inzwischen aus dem Film gelernt. Schon halb aufgestanden, hörte ich so etwas Ähnliches, wie:

„Du bleibst, wo du bist“, den kleinen Lautsprecher zurückquäken.

„Dann komm du!“

Ich ließ mich wieder gegen das Sofa fallen.

„Pfff ...“, Katharinas gepusteter Kommentar.

„Ich könnt dich trösten.“

„Wie soll das denn funktionieren?“

„Na, da wird uns wohl schon was einfallen ...“

„Oh, Mann! – Warum bist du manchmal nur so’n Arsch?“

Und damit war die nächste elektrisch verstärkte Tonquelle gestorben. Denn sie hatte den Hörer aus geschätzt zwei Meter Entfernung auf die Gabel geworfen. Beziehungsweise das Mobilteil quer durch ihr Wohnzimmer gepfeffert. Ich glaubte noch das Aufplatzen des Batteriefachs mitbekommen zu haben, bevor ich dem Verbindungstod erlag. Automatisch duckte ich mich und rieb mir den Kopf, als wenn ich mit voller Wucht und samt dem Ding bei Katharina an der Zimmerwand gelandet wäre. Ich glaube, mir entfuhr sogar ein kleiner Jammerlaut.

Ich sagte ja Erfahrungen. Andere haben gelernt, dass Herdplatten heiß, Glasscherben scharf und Beziehungen zerbrechlich sein können. Sie wissen, dass man sich verschlucken, verlieren und vergucken kann. Die Erfahrungen haben ihnen gesagt, geh mir aus dem Weg oder für alles gibt es einen Ausweg. Ich hingegen hatte Pflaster an den Händen, weil die Herdplatte heiß und die Glasscherben scharf waren, und dass Beziehungen zerbrechlich sein konnten, sollte ich eigentlich zur Genüge wissen, wie sich noch herausstellen wird, nur schien ich in all diesen Fällen wenig einsichtig zu sein – oder ganz besonders schwer erziehbar.

Somit hielt ich die schlechte Nachricht schlicht für eine gute. Davon ging ich einfach aus. Gleich von der ersten Sekunde an. Gerd war ausgezogen und von nun an musste Trost gespendet werden. Natürlich von mir. In gewisser Weise auf zwei Seiten. Das war doch was.

Ein kleiner Anfang. Kurz bildete ich mir ein, sogar daran schuld und dadurch Nutznießer geworden zu sein. Denn seit einem halben Jahr rief ich zumindest einmal in der Woche bei ihr an. Und nahezu täglich schrieb ich ihr mindestens eine SMS, die sie manchmal sogar beantwortete. Gerd war deshalb sicher not amused und hatte seine Kommentare gemacht. Was will’n der Kerl dauernd von dir? Sicher wären sie noch eindeutiger ausgefallen, wenn er den Inhalt ihrer ganzen SMS-Antworten gekannt hätte, die ich allesamt abspeicherte, auch wenn sie nicht besonders tiefsinnig waren: Klingt nicht komisch. Ist doch bei mir das gleiche. Find ich schön, dass wir uns so gut verstehen. Oder Ähnliches. Er wahrscheinlich nicht. Dabei war es gar nicht mein Anliegen ihn zu vertreiben, er konnte bleiben, wo er war. Allerdings nicht zusammen mit Katharina.

Ich mochte mich gar nicht damit beschäftigen, dass alles womöglich etwas einseitig war, angeblich schreibt man Dinge in dieses kleine Ding hinein, ohne sich Gedanken darüber zu machen, geschweige das Geschreibsel ernst zu meinen. Darüber kursieren sogar belegte Studien in einschlägigen Kreisen. Und in diesem Fall wäre man Katharina gewesen. Aber seit ein paar Wochen fand ich es dennoch mehr als schön, dass wir uns so gut verstanden. Ohne ihr davon erzählt zu haben, machte sie meinen Alltag aufgeräumter, freundlicher und damit ertragbarer und meine Empfindungen ihr gegenüber immer klarer. Ich kaufte nicht nur häufiger frische Sachen, um mir ein Essen zu machen, statt Tiefkühlpizzas, Fertiglasagne oder Dosenravioli in die Mikro zu schieben, sondern knabberte mit einem breiten Lächeln Äpfel, Birnen und anderes Obst. Schaute dabei alle naslang auf das Display meines Handys, um ja nicht den Eingang einer weiteren Nachricht von ihr zu verpassen und ging, ohne mich vorher zugedröhnt zu haben, wieder gerne früh ins Bett, weil ich mit nahezu somnambuler Sucht auf die Fortsetzung der wohligen Fantasien aus den Nächten davor hoffte. Und alles war so prima, dass ich zu stottern, beziehungsweise zu krächzen anfing oder durch plötzliche Schluckbeschwerden kein Wort mehr herausbekam, wenn ich mit ihr von Angesicht zu Angesicht sprach. Und wenn sich jemand anderes dazustellte, war es sogar ganz aus. Was spielte es da für eine Rolle, dass sie mich nun am Telefon einen Arsch genannt hatte. Wolke sieben war deshalb nicht weiter von mir entfernt als vorher. Im Gegenteil. Ich stand mitten auf ihr drauf und für alle Eventualitäten bereit. So war es immer schon bei mir, so habe ich es in zig Filmen gesehen, so habe ich es für mein Leben übernommen. Gut, manche meiner Dialogbeiträge waren noch verbesserungswürdig.

Tags drauf rief ich sie wieder an. Im Hinterkopf nun auch meine langjährige, nicht zu bejubelnde Vergangenheit – von der sie keine Ahnung hatte –, die Szene, während der sich mein Fernseher ins Jenseits verabschiedet hatte, die plötzlichen Gelüste, die mit dieser entstanden waren und mit denen ich nicht allein sein wollte und die Info der letzten Nacht: Meine Beziehung ist kaputt. Vermutlich durch diese Mischung angeregt, versuchte ich den Totalangriff, schon sicher darin, dass dieser danebengehen würde. Aber ohne Mut wird nichts gut. Ohne Singen kann kein Lied gelingen. Wird der Alltag grau, nimm dir eine Frau. Später könnte ich dann immer noch alles abstreiten und behaupten, in diesem Moment nicht ganz knäcke gewesen zu sein, weil ich mich partout nicht daran erinnern würde, jemals so etwas geäußert zu haben, aber all meine Empfindungen waren ja nun viel klarer:

„Hallo. – Ich bin’s.“

Ich strich meine Haare nach hinten.

„Du?!“

„Ja, warum nicht? Wen hast du erwartet?“

Sie ging nicht darauf ein, sondern:

„Ich dachte nur. – Ist nicht deine Zeit.“

„Zeit wofür?“

„Na, wenn überhaupt schreibste ja ‘ne SMS.“

„Mit einer SMS geht das aber grad nicht.“

„Das kenn ich ja gar nicht von dir.“

„Mag sein. Aber …“

Ich holte tief Luft:

„… ich habe grad Lust auf dich.“

„Was?“

„Ich – habe – Lust – auf – dich.“

„Ich glaub, ich versteh nicht.“

„Meine Hose ist ausgebeult.“

„Was? – Biste jetzt vollkommen plemplem?“

„Wenn du das so nennen willst?! – Ich nenn das anders.“

„Und wie stellst du dir das vor?“

„Du kommst hierher. Ich mach auf, reiß dir die Klamotten vom Leib und wir machen’s gleich hier im Flur.“

„Du bist vollkommen plemplem.“

„Nach dem Arsch von gestern nicht weiter schlimm, aber ich kann dir’n Foto schicken, damit du weißt, wie ernst es mir ist.“

Pause.

Ich hörte sie regelrecht rot werden.

Pause zwei.

Keine Ahnung, warum sie nicht ausflippte oder zumindest schimpfte oder nicht auflegte oder mich weiß Gott was nannte, sondern nur aufgehört hatte zu sprechen. Keine Ahnung, wie ich auf diesen ganzen Mist kam, weil kein Film bisher solche Tipps gab und auch keine Ahnung, was sie nun von mir erwartete.

„Oh Mann ...“

„Und?“, fragte ich deshalb. Pause.

Aller guten Dinge sind drei.

Am anderen Ende hörte ich ihr Atmen. Wenigstens das.

„Sonst noch was?“, war ihre Antwort nach einer Minute Pfff-tststs-pfff-Atmung.

„Und anschließend gehen wir zusammen ins Bett.“

Am anderen Ende Atemlosigkeit – und nach zwei, drei Sekunden:

„Wie stellst du dir das eigentlich immer vor?“

„Schön.“

„Im Flur auf‘m Teppich?“

„Nein mit dir.“

„Ich bin nicht so fürs Kuscheln.“

„Vielleicht weißt du es nur noch nicht.“

„Hä?“

„Na, das mit dem Kuscheln.“

„Alles zu seiner Zeit.“

„Sag ich ja.“

„Aber nicht um diese.“

„Sondern? Morgen? Oder übermorgen?“

„Also … ich weiß nicht … also …“

Sooo abgeneigt klang es nicht einmal, bildete ich mir ein. Doch die Leitung krachte, deshalb, vorsichtshalber:

„Ist schon gut. Vergiss es! War nur Spaß. Ehrlich!“, (gelogen, logischerweise), „aber ich habe einen Neuen“, (ungelogen, ehrlich), „magst du ihn mit mir einweihen?“

„Biste noch ganz gesund? ‘Nen Neuen? Was nun?“

„Einen neuen Fernseher.“

Zuerst hörte ich einen Seufzer. Leise und gar nicht entspannt, sondern nun hörbar genervt. Ich erwartete einen passenden Kommentar, das endgültige Auf Wiedersehen, vielmehr Adieu, oder stattdessen dieses Mal ein für alle Mal und final durch ihr Wohnzimmer zu fliegen und bereitete mich vor. Augen geschlossen und Kopf zwischen die Schultern. Doch dann fragte sie überraschenderweise:

„Soll ich was mitbringen?“

„Keinen Schlafanzug, ist ja immerhin jetzt Wochenende, da hätten wir schön Zeit“, meine ehrliche Antwort mit einem Grinsen im Gesicht, dass sie nicht sehen konnte. Du bist ja nun frei, hätte ich noch am liebsten hinzugefügt und auch nochmal das mit den Klamotten im Flur und so.

„Oh Mann!“

Wieder mit dem tatsächlich nicht kuschelig klingenden Ton. Ich zog ein zweites Mal den Kopf ein, versuchte mich an passende Filme zu erinnern, was misslang, weil es keine gab und von Dirty Dancing nichts anderes als Dirty übriggeblieben war – und ging in Deckung. Doch außer ein paar erbosten Schnaufern war nichts zu hören. Und das erwartete, aber nun dezente Klack des Hörers, als sie auflegte.

Zwanzig Minuten später klingelte es.

Sie.

Nichtsdestotrotz. Trotz. Allem. Ungeachtet.

Genau das Girl aus dem Hörer, hinter dem ich in den letzten Monaten, Wochen, vor allem Tagen und Stunden her war, ohne es ihr jedoch groß mitgeteilt zu haben. Die Krabbe, die ich vor einer halben Stunde auf dem Teppich im Flur anknabbern und vernaschen wollte. Das Girl, das gnädigerweise auf meinen Anfall nicht eingegangen war. Aber auch das Mädchen, das sonst vor jedem Schritt im Leben eine Frage stellte. Und nach jedem Zweifel bekam, den richtigen getan zu haben, um nicht unbedacht zu einer Krabbe zu werden.

Was ist, wenn es andersrum besser gewesen wäre? – Vielleicht hätte ich versuchen sollen, Gerd zum Hierbleiben zu bewegen und es dabei belassen sollen? – Mein Gott, wir waren über acht Jahre zusammen. Ich glaub nicht, dass ich das kann, dass das gut, anständig, clever, passend, gescheit, qualifiziert, geschickt, schlau, vernünftig, klug, richtig, sonderlich intelligent war.

Aber vielleicht willst du es? Genau so? Und du tust nur so. Nach acht Jahren kann man ein Hemd ruhig wechseln. Hätte eigentlich meine Antwort jedes Mal sein können. Die blieb aber unausgesprochen. Jedes Mal. Genau sie stand also vor der Tür, ohne das entsprechende Zaudern, Zögern, Zagen, doch mit – als seien damit alle Schutzwälle der Welt aufgebaut:

„Ich weiß nicht, ob das jetzt so eine gute Idee war, nach dem, was du vorhin alles verzapft hast“, öffnete sie ihre Tasche unter meiner Nase, verzog ihr Gesicht und ließ mich reinschauen. Der komplette Inhalt eines Kaufhauses war zu sehen, von Augencreme bis Zahnseide, von Aspirin bis Zwieback. Angeblich alles normal bei Frauen mit solchen Taschen. Was so groß gekauft wurde, musste auch gefüllt werden, sonst sah es armselig aus. Und wer weiß, was für Zeiten noch kamen. Ich schaute grinsend in ihr Gesicht und bekam zu meiner Überraschung im Vorbeigehen „Kein Schlafanzug!“, zu hören und die Gebrauchsanweisung:

„Aber nicht, dass du denkst! Ein Filmchen, ein Glas zum Trinken und Schluss. Will nur nicht allein sein und vielleicht ein bisschen quatschen. Oder auch nicht. Um spätestens zehn bin ich wieder weg. Da lieg ich nämlich normalerweise längst im Bett.“

Dann schaufelte sie ihre Mähne hinter den Kopf. Putzwolle, wie ein Kumpel meinte. Mopp, ihr Vater. Ihren beiläufigen Kommentar honorierend zog ich die Augenbrauen hoch und schielte auf ihren Po. Ausgiebig und ohne schlechtes Gewissen. Immerhin einen der feinsten von denen, die ich kannte. Kaum besser als durch diese zwei runden Buchstaben beschreibbar. Dazu ihre Figur. Keine für High Heels und einen Laufsteg. Gott sei Dank. Sondern zum Anfassen, was ich allerdings in dem Sinne bisher unterlassen hatte – mehr oder weniger – trotz meines ganzen Zaubers vorher am Telefon. Gleichzeitig ärgerte ich mich, ihr da gesagt zu haben: Vergiss es! War nur Spaß. Und über das Wo für den Standort des Bettes konnten wir ja immer noch reden, dachte ich.

Allein für all diese Gedanken würde mich Silke im Nachhinein wahrscheinlich noch killen, vor allem, wenn sie dann noch erführe, dass ich Katharina schon lange sogar verdammt erotisch fand. So einer schaust du hinterher? Die überblätterst du doch in Zeitschriften für gewöhnlich, sogar, wenn sie nackt wäre. Tja. Ich schaute ihr nicht nur hinterher, sondern auch oft in die Augen.

„Alles klar jetzt? Oder soll ich gleich wieder gehen?“

„Hab doch gesagt: Vergiss es! War nur Spaß.“

„Pfff!“, und schon war sie an mir vorbei.

„Was ist passiert?“, fragte ich relativ neugierig auf dem Weg zur Küche, inzwischen mit dem delirierten Blick eines Robert Crumb, der in seinen Comics nichts anderes tat, als Frauen auf ihr Hinterteil zu schauen, das allerdings mit dem Wort Po nicht mehr zu beschreiben und er deshalb kurz vor dem Durchdrehen war. Im Gegensatz zu ihm mochte ich dann doch die etwas kleineren Formate und genoss das längst kribbelnde Kribbeln in meinem Bauch. Kurz erinnerte mich Katharinas auch ein bisschen an früher, an ein paar beschwingte Wochen – über die ich vielleicht auch noch reden werde – lang bevor Silke eine Rolle zu spielen begann und denen kein längeres Happy End als ein paar Nächte vergönnt waren. Leider. Gott sei Dank. Wie auch immer.

„Ach, dreh deine Geschichte ein paar Mal um. Dann weißt du’s.“

Ich verzog das Gesicht und wollte weder daran denken, noch irgendwas umdrehen. Katharina konnte unmöglich die gleiche Sprachlosigkeit erlebt haben, wie sie als letztes zwischen Silke und mir geherrscht hatte, am Ende unserer Zeit. Denn Gerd und Katharina hatten bei mir nicht den Eindruck hinterlassen, sich ständig aus dem Weg gegangen zu sein. Sah ich die beiden, sah ich sprichwörtlich Friede, Freude, Eierkuchen.

„Kann ich kaum glauben. Bei euch war ich immer eifersüchtig, weil immer alles so schön stimmte.“

„Ja, genau. Es stimmte alles so schön. Wie bei Bruder und Schwester, bei Oma und Opa, bei Paul und Tina im Kindergarten und den doofen Bilderbüchern … ach, Scheiße! – Ist halt so.“

Sie ließ die Tasche hinter dem Sofa auf den Boden fallen. Dort klappte sie wie ein abgestürztes Buch auf und verteilte nicht lose Buchstaben, sondern ihren Inhalt um sich herum. Neben den Dingen von A bis Z landeten Haarbürste, weitere Täschchen, Schminkutensilien und anderer Weiberkram. Katharina warf ihre beiden Fäuste in die Luft, als wollte sie mit dieser Geste auch ihren Frust und Ärger weit von sich werfen.

„Ist halt so!“, wiederholte sie. Ihre Augen glänzten tränenfeucht. Ihre Jacke landete neben der Tasche. Was sie in ihr verborgen hatte, war genauso sehenswert. Quittungen, Schlüssel und vollgeschniefte Tempos zusammen mit ungebrauchten.

„Hat Gerd ‘ne Neue?“, fragte ich leicht abgelenkt und stierte in das Innere ihrer Tasche.

„Gerd? – Vielleicht wäre es nicht schlecht gewesen, dann hätten wir uns wenigstens richtig in die Wolle kriegen können. Eifersuchtsdrama und so. Mit Teller werfen und rumschreien – vielleicht noch ‘n bisschen prügeln wie in schlechten Filmen“, ihr Lachen klang bitter und sie wischte sich übers Gesicht, „nee, es war einfach Schluss. Atemstillstand. Luft raus. Stecker gezogen. Fertig! – Kommt für mich nicht völlig überraschend.“

„Ich könnte …“ Meine Bestandsaufnahme des Tascheninhalts war beendet, samt einer vorübergehenden Planung für eine Beschilderung in ihr. In so einem Kaufhaus könnten auch Rolltreppen funktionieren, lästerte ich in mich hinein. Ich hob meinen Kopf und meine Stimme hatte plötzlich wieder diesen merkwürdigen Klang. Katharina hatte keine Fragen gestellt, sondern Entscheidungen getroffen, es war einfach Schluss. Stecker gezogen. Fertig! Und nun stand sie hier. Ich räusperte mich und musterte stattdessen nun Katharina. Ehe ich irgendeinen Blödsinn sagen konnte, wedelte sie mit ihren Händen und bremste mich:

„Ok! Is gut. Alles klar. Schluss für heut. Keine Beileidskundgebungen. Jetzt geht’s wieder alleine. Hat die ersten vierzehn Jahre meines Lebens auch geklappt.“ Ich presste meine Lippen zusammen und hatte Mitleid. Mit einer Hand tätschelte ich Katharinas Seite und fühlte augenblicklich ihre Wärme. Aber hinter der Fassade ihres Gesichts sah ich, dass sie die letzten Tage gelitten hatte. So viel bekam ich dann doch noch mit. Egal, wie sie nun zu lachen versuchte. Da machte es auch nichts, ob es überraschend war oder nicht. Obgleich und andererseits sie immer, egal was passierte, die Ausgeglichene mimte. Bloß nichts anmerken lassen, war ihre verinnerlichte Anordnung an sich selber. Doch mir konnte sie nichts vormachen. Ihre Seele war angedellt. Um das zu wissen, musste ich die Geschichte mit Silke beim besten Willen nicht großartig umdrehen. Auch wenn sich bei uns das Ende, im Gegensatz zu meinen vorherigen Beziehungen, schon seit langer Zeit angekündigt, unsere Beziehung auf dem Mischpult des Lebens sich allmählich ausgeblendet hatte. Irgendwann kann man eine Birne halt nicht noch dunkler dimmen. Auch wird keine Dunkelkammer der Welt nur durch Worte, Gespräche oder Diskussionen heller.

Ich war, als es dann soweit war, trotzdem ziemlich neben der Kappe – und die erste Woche ohne Silke mit bekloppten Reaktionen von mir gespickt. Als erstes nahm ich ein paar Tage später mein kleines Telefonbuch und rief zunächst statt Katharina, sie war ja vergeben, die ein oder andere Verflossene an. Totale Idiotie. Und gottlob ein Unternehmen der Firma Danebengegangen. Drei der ehemaligen Mädels, inzwischen verheiratete Frauen, aber in meinem Kopf immer noch die unbeschwerten Twens, die mir einst den Kopf verdreht und die Sachen mit den Colaflaschen mitgemacht haben, fragten mich nämlich mehr oder weniger das Gleiche: Und warum genau rufst du mich jetzt an?

Mit einer Flasche Sekt unterm Arm und einem Tablett voller Brotwürfel, tapasähnlicher Fertigkost und kleingeschnittener Überreste aus dem Kühlschrank hockten wir uns aufs Sofa. Katharina machte es sich gemütlich, schlug ihr linkes Bein unter und richtete ihre Optik. Als hätten wir Logenplatz. Großes Schauspiel. Ich schaute zu ihr rüber. Mit ihren Fingern lockerte sie den Mop. Unter der unzähmbaren Löwenmähne gleicher Farbe ein blasses, stilles Pokerface, das die letzte und eigentliche Regung fantastisch versteckte. In ihrer Hand ein Lippenstift und ein Spiegel, nicht größer als eine Scherbe. Mit drei, höchstens vier Schwüngen waren zumindest die Lippen wieder mit Farbe versehen. Anziehend. Aber mit Sicherheit nicht so gedacht. Eher Abwehrmaßnahme, Mauerbau oder das Ergebnis eines weiblichen Automatismus. Trotzdem hätte ich uns nun damit am liebsten beide verschmiert. Und das nicht nur auf unseren Lippen. Obwohl der feuchte Schimmer in ihren Augen noch zu sehen war.

Seit ich sie kannte, war es trotz der ein oder anderen Nachricht per Handy leichter, mit einer Schaufel durch eine Betondecke zu stechen, als in Katharinas Gefühlswelt einzudringen. Obwohl sie ständig behauptete, ein offenes Buch zu sein. Aber sie war eben immer schon diejenige, die eher Fragen stellen konnte, statt welche zu beantworten. Und wie geht’s dir? – Gut! Warum fragst du?

Ok, meine Vorgehensweise war nicht sonderlich einfühlsam, aber… Ich seufzte leise vor mich hin und überlegte kurz eine andere Version, du siehst unglücklich aus, vielleicht sollten wir zwei einmal... doch darauf wäre höchstens ein Oh Mann, fang nich schon wieder an! zu hören gewesen. Mit ihr Pferde stehlen konnte ich jederzeit, auch um Mitternacht, aber als Herzensbrecher hatte ich keine Chance. In der plumpen Version sowieso nicht. Ich würde üben müssen. Schnell und flott.

Zusammen glotzten wir dann auf den nie mehr flimmernden Bildschirm des neuen Ungetüms und prosteten uns schweigend zu. Er war höflich und stellte sich vor. Das Firmenlogo flatterte aus einer Ecke in die Mitte und drehte eine Pirouette, nachdem ich den Knopf der Fernbedienung gedrückt hatte. Von nun an würde also die Unterhaltung aus aller Welt digitalen Einzug in mein Wohnzimmer halten. Riesig, in HD und best resolution, flach und dünn wie eine Butterstulle oder ein guter Schmöker. Mit neunzig Zentimetern in der Diagonalen. Zusammen mit Katharina wahrlich ein Grund zum Feiern. Endlich! war Katharinas einziger Kommentar nach dem ersten Schluck, als sie den Trumm musterte. Und das, obwohl sie noch nie zuvor bei mir gewesen war. Endlich!, auch meiner, als sie neben mir saß. Ich wartete auf Ergänzungen: Wurde auch Zeit, jetzt gehörst du auch zu den Normalen oder Was hast du abends eigentlich sonst gemacht? Vorsorglich fielen mir sofort einige Dinge ein, die ihren dauernden Fernsehhunger in Zukunft bremsen würden. Die Pirouette war abgeschlossen. Das Ding erwartete den nächsten Befehl.

Augenblicke später hatten wir den kleinen Tisch zur Seite gestellt und uns vor dem Sofa auf Kissen und Boden gehockt. War eh mein bevorzugter Platz. Denn nicht nur wie sonst Bier und Erdnüsse, sondern auch Sekt und Futter hatten, nebst uns, mehr Platz und die Hände waren für den Fall der Fälle auch frei. Unter Umständen würde der Fernseher ja anderen Hunger erzeugen. Und damit es uns dann nicht fror, lag ganz zufällig eine riesige Decke griffbereit. Jetzt, wo Gerd weg war.

Trotzdem waren Johnny und Baby sicher auch in dieser Situation nicht unbedingt Katharinas Fall und die ganzen historischen Schmachtfetzen, Kultur- und Reisefilmchen oder auch Fernsehserien, wie Starsky and Hutch, Die Zwei oder Die Straßen von Manhattan, aus uralten Zeiten übriggeblieben, ebenso nicht. Von den vielen Disneys ganz zu schweigen. An einem Kiosk hatte ich in eine Fernsehzeitung geschaut. Filme mit der perfekten Mischung aus Liebe und Gefecht gab es heute Abend nicht. Oder noch nicht um diese Uhrzeit. Keine weitere Folge der Fernsehserie Gladiator, keine Neuneinhalb Wochen, keine Emanuelle; die Zeiten waren ohnehin vorbei. Und die freizügige erste Staffel Games of Thrones stand noch nicht für eine Wiederholung bereit. Andere Serien kannte ich nicht. Auch die vor Jahren nach irgendeinem Alphabet sortierten DVDs gaben, bis auf höchstens zwei, drei Stück, nichts her. Entzückend! Irgendwie hatte ich in Erinnerung, Eyes Wide Shut, Black Swan und Henry and June mal gekauft zu haben. Waren wohl beim Umzug abhandengekommen.

„Nach was steht dir denn der Sinn?“, fragte ich deshalb skeptisch geworden in dem Regal suchend, in dem auch noch die viel älteren Video-Kassetten standen.

„Mann, das hab‘ ich gern, groß Einladungen machen und das war’s dann schon. Hätte wohl doch was mitbringen sollen?!“

„Du kennst mich doch, nach deinen blutrünstigen Filmen, die du mir ausleihst, kann ich nie schlafen.“

„Mein Gott! Hab dich nicht so! Ich guck ja nicht immer so was. Irgendwas, was einen auf andere Gedanken bringt, wirste doch wohl haben, oder?“

Ich zupfte eine unscheinbare Plastikschachtel aus dem Regal. Zufrieden mit meiner Wahl, Besseres war wirklich nicht da, nickte ich mit dem Kopf. Das Cover versprach Wärme und Nähe. Körpernähe. Nicht auf die platte Art. Eine meiner Lieblingsschauspielerinnen lag zwar nicht alleine, weil von dem in diesem Film unsäglichen Michel Piccoli, der einen Maler mimte, im Nacken gehalten, aber nackt auf einer gesteppten Matratze. Emmanuelle Béart, Die schöne Querulantin, daraus ließe sich eventuell was machen. Bis die entscheidenden Stellen kämen, wäre die Flasche zur Genüge leergetrunken, die Nähe zueinander selbstverständlich und dadurch Platz für Romantik. So mein plötzlich entstandener Plan.

Gerd war ja weg und Katharina vertrug nicht viel. Schon sah ich meine Hände ihren Bauch freilegen und meinen Kopf auf ihn sinken. Während meine Hände flugs die nächste Barriere beseitigten, küsste ich den Weg nach oben und unten frei. Das kribbelig kribbelnde Kribbeln wurde stärker, kurz schloss ich die Augen. Auf stimmungsvolle Verführungen stand ich nämlich auch. Schade also, dass ich nicht noch mehr solche Filme hatte. Vor allem eindeutigere. Wenn die nicht ablenken würden?!

Ich hatte also versäumt, mir einen größeren Vorrat mit passendem Material zuzulegen, denn mit Silke war es absolut nicht möglich, solche Videos anzusehen. Und das trotz unseres vielversprechenden Anfangs. Selbst im Kino wurde sie schon bei der Liebesszene im Vorspann von Betty Blue – 37,2°C am Morgen richtiggehend nervös – Das ist doch nicht der richtige Film, oder? Jemine, wir sind sicher im falschen Kinosaal, komm! – weil diese in ihren Augen übertrieben lang war. Doch die sensationelle Béatrice Dalle in der Rolle der etwas durchgeknallten Betty ließ sich nicht abhalten und stöhnte trotz Silkes Kommentar Du lieber Himmel! ihre Lust heraus.

Den Film hätte ich mir auch kaufen sollen, denn im Gegensatz zu dieser für mich verwirrend schön gedrehten Szene, ließ sich die Querulantin selbst nach meinem Geschmack ausgerechnet heute etwas zu viel Zeit, und ich schaute daher auf meine Armbanduhr. Irgendwie glaubte ich die Handlung anders zu kennen. So war ich bemüht, Katharina mit Schnittchen und Nachgießen bei Laune zu halten. Vor allem, weil ich ihr in diesen Sekunden besonders auf die Pelle rücken konnte.

„‘N bisschen arg intellektuell“, meinte sie dann.

„Warte! Warte! – Nicht nervös werden! Die scharfen Stellen kommen ja noch.“

„In dem Streifen da?“

„Wenn ich mich recht erinnere“, gab ich mit einem halben Fragezeichen zurück, „und die Béart finde ich einfach gut. Ist doch ‘ne tolle Frau?!“

„Oh Mann, du stehst immer auf so fürchterlich komplizierte Frauen.“

„Bist du etwa kompliziert?“

Sie schnitt eine Grimasse, rutschte ein wenig auf ihrem Kissen herunter und trank ihr Glas leer. Ihre langen Haare lagen wie eine Aureole auf der Sitzfläche des Sofas. Gab’s Katharina als Heilige? Zumindest als Große, soweit ich wusste.

„Nächste Woche muss ich schon wieder zum Arzt. Echt ein Scheißjahr.“

Wieder einmal ging sie nicht auf eine letzte Bemerkung ein. Statt unkompliziert zu sein war sie nun lieber unpässlich. Fragend schaute ich meine eben noch Angehimmelte an und warf gleichzeitig einen Blick auf ihren Busen, von nicht viel mehr als einem dunkelgrünen Shirt und ein bisschen BH verborgen. Erster Teil meiner vorbereitenden Gefechtsfelderforschung. Katharina brauchte unbedingt jemanden, der sie aus ihren Tälern rausholte und ihr neue Höhepunkte bot, dachte ich. Die Béart war bereits weiter und dabei, ihr Oberteil auszuziehen. Katharina nahm davon keine Notiz. Vielleicht sollte ich …?

„Irgendeine verschleppte Entzündung im Magen, wenn ich Glück hab. Braucht man echt nicht. – Und die Überschwemmung unterm Dach mit Blitzschlag. Überall ‘n Kurzschluss. Weißt du ja. Alles war kaputt ...“

Ich wusste es. Was elektronische Todeserfahrungen anging, konnten wir uns in letzter Zeit die Hand geben. Ich nun durch meinen Fernseher, sie durch ihre vom Blitz getroffene Stereoanlage und den Computer, der sich gleich mit verabschiedete. Dessen Festplatte mit einer Speicherkapazität ausgestattet war, die meine gigantischsten Vorstellungen übertraf und einen Wust von diversen Filmchen, Spielen und Musikstücken enthielt, die mich allesamt in diesem Jahrhundert nie wieder schlafen lassen, sondern selbstmörderisch in den Tod treiben würden. Während der Rechner hochfuhr und die Festplatte startete, waren schon mindestens fünfzig Leute abgeschlachtet und genauso viel Liter Blut vergossen. Von der passenden, immer wummernden Musik begleitet.

Nach dem Unwetter hatte ich das Ding auf die Schnelle gerettet. Zu schnell. Sozusagen im Handumdrehen. Nur weil ich zufällig einen Trick für unkooperative Festplatten kannte. Hätte ich eine Sekunde länger nachgedacht, wäre die Sache naturgemäß viel komplizierter gewesen. Komm mit dem Ding am besten mal vorbei. Zwei, drei Stunden sind nix. Und wenn ich Dateien finden sollte, weißt du vielleicht, was sich hinter denen verbirgt, und dann gucken wir mal, was zu machen ist. Natürlich um die Sache schön zu dehnen und langsam zu machen. Sie neben mir, mit einem Blick über meine Schulter, und meine Hand krabbelt derweil hin und wieder an ihren Beinen eher hinauf als hinab.

„... dann noch der ganze Mist mit Gerd und jetzt ‘ne nackte Schauspielerin, die mich weichkochen soll. Mann, du hast Vorstellungen?!“

„Oder dich nach dem ganzen Mist auf andere Gedanken bringt. Wie du es wolltest.“

„Da reichst du vollkommen. Du und deine Sprüche am Telefon. Da brauch ich die Alte da nicht.“

„Na, dann lass ich mich als Medizin für dich verschreiben.“

„Ich glaub, ich ahne bereits, in welchen Darreichungsformen du dich für mich verordnen lassen würdest.“

„Wenn du dabei für dich an die Gleichen denkst, tät’s ja passen“, lächelte ich sie so willenlos machend wie möglich an und war schon fast mit einer Hand unterwegs zu ihr. Aber das Gucken hatte ich wohl verlernt. Denn sie verdrehte wieder nur die Augen und stoppte meine Bewegung, indem sie sich von mir abwendete und nach ihrem frisch gefüllten Glas griff. Dabei hatte ich erst neulich durch ein junges Mädchen in einer S-Bahn entsprechenden Unterricht erhalten und gedacht, es kapiert zu haben.

Vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt schaute sie mich von ihrem Sitz gegenüber an, und ich beantwortete ihren Blick mit einem Dauerlächeln. Einerseits froh darüber, nicht wie sie rückwärtsfahren zu müssen, weil mir sonst sofort schlecht geworden wäre, andererseits, weil ich selten genug ein so schönes Ding mich anlächeln sah. Kurz bevor sie ausstieg, blieb sie vor mir stehen und beugte sich zu mir runter. Mit einer schelmischen Miene flüsterte sie dicht an meinem Ohr: Du hast so süße Augen und scheinst auch ‘n ganz netter Kerl zu sein, aber insgesamt guckst du echt vollscheiße. Guck mal, so geht das. Dabei guckte sie mich aus höchstens zwanzig Zentimetern mit einem ziemlich gefährlich schmachtenden Blick an. Große Augen, glänzende Lippen und eine balletttanzende Zungenspitze auf diesen. Ich wurde rot und schaute mit einem entsprechenden Blick zurück. Sie kniff ihre Augen etwas zusammen, stülpte ihre Lippen nach vorne, nickte dann und klopfte mir leicht auf die Schulter. Genau! meinte sie noch und stieg aus.

„Jetzt ist erst mal dein komischer Film dran“, sagte aber Katharina.

„Komisch? Ich find den gut. Die Zankerei da ist doch wie im wahren Leben.“

„Ach, du stehst auf so ein Gezerre? – Warum hast du dann deines mit Silke nicht klar bekommen? Muss doch der Himmel auf Erden gewesen sein.“

Inzwischen stand die Béart vollkommen entblößt vor Piccoli, und er goutierte es auch diesmal nicht, wie ich es jedes Mal an seiner Stelle täte. Sondern versuchte sie minutenlang zu verbiegen. Linker Arm nach hinten, Schulter vor, verdrehter Oberkörper, bis er ein passendes Motiv für ein Gemälde hatte oder sie einen Bandscheibenvorfall. Dabei war sie genau in dem Moment betörend schön, als ihre Bluse nach hinten über ihre Schultern glitt. So simpel kann Erotik sein, aber dem Maler dort war es wohl zu einfach. Kurz stellte ich mir Katharina anstatt der Béart vor. Hinreißend. Doch da waren ihre Worte: Warum hast du dann deines mit Silke nicht klar bekommen? Knock-out-Frage. Gar nicht ihr üblicher Stil. Mist!

„Streiten ist nicht mein Ding“, meine klägliche Antwort.

„Aber mir dafür Tipps geben.“

„Der Unterschied ist, dass ich mit dir von Anfang an über alles reden konnte. Das ging mit Silke nicht. Egal welches Problem oder so da war“, ich machte eine Pause und schaute sie von der Seite an, keine Regung, reines Abwarten, „selbst wenn du den letzten Satz deiner Empfindungen, Eindrücke und Gefühle immer für dich behältst, denn auf die letzte Frage oder Anspielung antwortest du ja nie. – Wenn’s ernst wird kneifst du oder hast Angst, sentimental zu werden.“

Ich Idiot! Ich hätte sie küssen, in den Arm nehmen oder sonst was mit ihr machen sollen, statt auf der Suche nach einer Ausrede einen solch moralsauren Quatsch von mir zu geben. Die Ohrfeige folgte prompt:

„Das ist ja eine tolle Feststellung nach den ganzen letzten Tagen. Hilft mir jetzt echt weiter. Hast du etwa danebengestanden? – Oh Mann!“

„Sorry, so hab ich’s nicht gemeint. Aber wenn ich dir zum Beispiel wie neulich eine entsprechende SMS schreibe, kommt von dir keine mehr.“

Was plapperte ich denn da? Reinen Schwachsinn. Ungebremst kam er aus mir heraus. Für derlei Beschwerden war jetzt wirklich keine Zeit.

„Ich schreib immer zurück.“

„Aber nicht, als ich dir auf dein Was machst du? – Lieg grad auf dem Sofa und stell mir vor, wie ich dir dein Shirt ausziehe, damit ich dich besser streicheln kann, zurückgeschrieben hab.“

Mein Gott! Halt doch endlich das Maul, Alter, dachte ich noch und versuchte es mit einem herausfordernden Grinsen.

„Sehr witzig! Hast du auch mal was anderes in deinem Kopf als so was? An dem Abend hab‘ ich versucht mit Gerd zu reden, um vielleicht noch was zu retten. Man schmeißt eine Freundschaft ja nicht so einfach weg wie einen alten Spüllumpen. Da hatte ich echt keinen Sinn für deine doppeldeutigen Spielchen.“

Mein Grinsen erstarb und Katharina fügte noch hinzu:

„Du kannst im Übrigen ganz ruhig sein. Von dir hört man auch nicht alles. Wenn man dich fragt, geht’s dir dauernd gut, selbst wenn man dir ein Bein gestellt hat, dich zusammenstaucht oder gar anscheißt. Man kann dich die Treppe runterwerfen, du fällst in die schönste Kacke und freust dich dann noch wie’n kleines Kind. Deshalb frag ich schon manchmal nicht mehr. Und wütend werden ist für dich wohl ‘n Verbrechen. Entschuldigst dich immer schon im Vorhinein. Wie gerade eben: Sorry, hab’s nicht so gemeint! – Bist du nicht auch mal sauer? Mensch, du musst deine Wut doch auch mal rauslassen. Wenn ihr zwei das von Anfang an gekonnt hättet, wäre vielleicht nichts passiert.“

„Passiert ist ja auch so nix.“

„Das hättest du ihr mal sagen müssen!“

„Ich glaub nicht, dass es geholfen hätte.“

„Glauben heißt nicht wissen.“

„Aber fast.“

„Feigling! – Wie war das? Wenn’s ernst wird, kneifst du“, konterte sie.

„Stimmt nicht. Ich habe dich angerufen und eingeladen. Und in den letzten Wochen warst du doch quasi live dabei.“

„Ja sicher! Ganz dicht! Bei jedem Wort. Und weil’s so laut war, hab ich vor lauter Lärm nix mitbekommen.“

„Aber angerufen habe ich.“

„Ja. Haste Lust einen Kaffee mit mir zu trinken? – Und was noch? Dass du keine Lust hast auf dieses Meeting. Und gestern die Sache mit dem Flur. Eine echt tolle Mischung!“

Am liebsten hätte ich jetzt gesagt, dass ich mir das Sortieren von Gefühlen nach dem ganzen Theater mit Silke auch einfacher vorgestellt hatte, nachdem der erste Schritt für mich klar war: So geht’s nicht weiter.

Gescheitert war ich allerdings schon am nächsten, dem zweiten Schritt. Denn ich hatte keine Idee, was ich nun machen wollte, wie es weitergehen könnte. Außer erst die Mädels und dann Katharina nach kurzer Zeit mit einer abstrusen Hoffnung im Kopf anzurufen, da sie, trotz Gerd, nach einer Woche, in dem ganzen Wirrwarr meiner rudimentären Gedankenspiele, begonnen hatte, die Hauptrolle zu spielen und somit meine Gefühle herumeierten. Mehr als ihr recht sein konnte. Der Anruf dauerte sowieso keine halbe Minute und war somit zu kurz für ungelenke Liebesbezeugungen. Sie hatte nur abgenommen, weil ich nach dem sechsten oder siebten Klingeln nicht auflegte. Es blieb also bei einem dümmlichen Geschwafel von mir und sie kehrte unter ihre Dusche zurück.

„Hab gemerkt, dass ich störte.“

„Wenn ich mich grad halbnackt im Bad herumtreibe und mich fertig mach, kann ich ja wohl keine Reden schwingen, außer ich will den Teppich mit Duschwasser gießen“, wendete sie ein, „und später im Café hättest du ja loslegen können, aber was kam von dir? Nix!“

„Wie bei dir“, ich schaltete wieder auf Angriff um.

„Gegen dich bin ich doch ein offenes Buch.“

Wieder mal. Deshalb ich:

„Mit weißen Seiten.“

„Blödmann!“

Als Antwort prostete ich ihr zu und fragte:

„Willste noch was?“

Ich hob die Flasche hoch. Bevor der Abend zu einem Fiasko wurde, war ich auf der Suche nach einem Notausgang. Katharina nickte und deutete auf den Bildschirm.

„Anders ist das ja kaum auszuhalten. – Ich geb den zweien noch zehn Minuten, dann möchte ich mehr sehen oder wenigstens kapieren, warum die sich dauernd zanken.“

„Er hat Probleme mit seiner Frau. – Guck sie dir an, sie ist eifersüchtig hoch drei.“

„Der macht doch gar nix außer sie malen.“

„Stimmt eigentlich. Vielleicht sollte er.“

„Vielleicht will er nicht. Er ist ja ein Maler. Oder er denkt, es ist Betrug oder so.“

„Wäre es das für dich? – Jetzt noch?“

„Wie kommst du denn jetzt da drauf?“

Ich überlegte, wie umständlich ich mich über sie beugen könnte, um einerseits etwas nachzuschenken und andererseits etwas zärtlich zu werden, damit ich auf diese Frage eine Art Antwort erhielt. Aber mit einer Flasche in der Hand, während ich mich mit der anderen abstützte, war dies, wenn es nicht bloß ein platter Kuss werden sollte, kaum möglich. Somit reichte ich ihr die Flasche nur rüber und änderte meine Taktik: Ich eierte einfach anders herum.

„Lass einfach los! Das wäre nicht schlecht.“

„Hä? – Loslassen?“, in ihrem Gesicht ein Fragezeichen. „Rat mal wie Gerd sonst zur Tür raus wäre! Wenn ich ihn nicht losgelassen hätte.“

Der Konter saß. Was Silke anging, konnte ich das nämlich nicht sagen. An jenem Tag war ich nicht zu Hause. Ich hatte keine Lust, beim Aushöhlen der Wohnung zuzusehen und es mir lieber später von Nachbarn erzählen lassen. Vor dem Hausstand ein Lieferwagen und ein Kollege – komisch, bis heute kam die Variante ihr neuer Freund in meinem Kopf nicht vor. Zusammen luden sie die Karre voll. Am nächsten Tag fehlten die abgesprochenen Möbel und Haushaltsgegenstände und, nachdem ich alles kontrolliert hatte, mindestens ein Dutzend Dinge, von denen sie wusste, dass deren Verlust mir weh tun würde. Vielleicht auch mehr. Vielleicht waren die vermissten DVDs darunter. Als ich dann die kränkende Inventur abgeschlossen hatte, stand ich mindestens eine Stunde an einem Fenster und schaute hinaus. Mit einer kuriosen Mischung aus Selbstmitleid, Einsamkeit, Ernüchterung und sinnlos gewordener Freiheit. Teile dieser Mischung wuchsen gerade in mir wieder an.

„Ich mein ja nur.“

„Du meinst ja nur? Was soll das mit dem Loslassen?“

„Es tut dann weniger weh.“

„Weh? – Weh hat es schon die ganze Zeit vorher getan. Weil nichts mehr war, wie es mal gewesen ist. Da ist dein Loslassen der kleinste Eingriff. Und das am offenen Herzen. Sozusagen. – Oh Mann!“

Ich zog die Augenbrauen hoch und seufzte. Pause. Ich war bei der Aufzählung innerhalb der Mischung bei Ernüchterung angekommen und versuchte zu retten, was zu retten war.

„Wie lange kennen wir uns schon?“, gab ich leise von mir und schlingerte mit meinem Rettungsring in den Händen wunderbar weiter. Katharina schien nichts davon zu merken und verfolgte wieder das gerade langweilige Geschehen im Film. Die zwei Frauen standen im Garten und versuchten ein Gespräch. Tatsächlich etwas arg intellektuell.

„Na ja, so richtig erst seit ein paar Jahren. Paar wenigen Jahren. Und was heißt schon kennen? So oft sind wir ja nun auch wieder nicht zusammen.“

„Aber ich finde, wir haben schon über verdammt viel gequatscht, oder? Allein heute Abend.“ Ich deutete auf den Fernseher, als gäbe es zwischen den Geschehnissen dort und hier eine Verbindung.

„Ja, ja, wir sind so richtige alte Waschweiber“, erwiderte sie schmunzelnd, fast lachend, „siehe neulich im Café.“

„Also sagen wir drei oder vier.“

„Das bedeutet?“

„Dass wir echt viel voneinander wissen.“

„Oder auch nicht. – Was meinst du genau? – Worauf willst du hinaus. Du sprichst dauernd in Rätseln.“

Ihr Schmunzeln nun in einem schief gelegten und gleichzeitig forschenden Gesicht, „oder kriegst du jetzt den letzten Satz nicht raus?“

„Doch, aber ich will dich nicht immer mit meiner Gefühlsduselei belämmern.“

„Du weißt genau, dass du mich nicht belämmerst.“

Immerhin. Ich hypnotisierte den Fernseher und spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss.

„Es wäre doch eine Basis.“

„Basis wofür?“

„Ich mag dich – ziemlich sehr sogar – schon lange.“ Verstohlen schaute ich zu ihr rüber. Jetzt schluckte sie doch und schaute mich aus zusammengekniffenen Augen an:

„Danke für das Angebot! Ich bin kurz davor, jetzt schon weich zu werden. Aber es klingt nicht ultimativ genug.“

„Dann stürz ich mich jetzt auf dich“, ich machte so eine Art Andeutung.

„Das lässt du schön bleiben.“

Die Béart war wieder ins Studio zurückgekehrt und Piccoli inzwischen um Emmanuelle, die sich auf eine Chaiselongue drapieren musste, herumgegangen und strich über ihre Schulter. Zärtlich sah aber anders aus. Sein Gesichtsausdruck glich eher einem unzufriedenen Dirigenten, der gleich sein Orchester anpflaumen würde, als dem eines Malers auf der Suche nach dem perfekten Motiv. Trotzdem machte mich diese Szene immer neidisch. Weil sie sicher nicht schon nach dem ersten Mal im Kasten war. Ich an seiner Stelle hätte sie auch mehrmals verhunzt und genauso komisch geguckt, nur um Emmanuelles Schulter wieder und wieder zu liebkosen oder zumindest zu berühren.