Zementschlacht - Andreas Heßelmann - E-Book

Zementschlacht E-Book

Andreas Heßelmann

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Beschreibung

Acht tote Schwarzafrikaner. Mitten auf dem Prato della Valle in Padua. Zwei Bauunternehmer, die sich seit ihrer Kindheit im Krieg kennen. Spuren, die unglaublich erscheinen und Commissario Berlingui ein Rätsel sind, bis ihn die Ehefrau eines der Bauunternehmer zu einem Gespräch einlädt. Berlinguis härtester Fall birgt nicht nur unvermutete Schicksale der Beteiligten, sondern beeinflusst auch sein eigenes Leben. Ein ungewöhnlicher Krimi mit historischen Bezügen, die bis in die Zeit des faschistischen Italiens zurückreichen.

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In Italien ist es komplizierter: Die Feinde sind unentwirrbar, so mit sich und der Wirklichkeit befasst, dass sie sich untereinander verirren. (unbekannt)

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Östlich Mailand, 26. März, 4 Uhr 10

Padua, 17. März 1939

Padua, 26. März, 4 Uhr 55

Battaglia Terme, 7. August 1941

26. März, 5 Uhr 35

Albignasego, Anfang September 1943

26. März, 6 Uhr 05

Albignasego, 10. September 1943

26. März, 6 Uhr 15

Mestre, 27. März 1944

26. März, 7 Uhr 30

Treviso, 8. April 1944

26. März, 7 Uhr 45

Rovigo, 23. Mai 1944

26. März, 9 Uhr 15

Modena, 23. April 1945

26. März, 11 Uhr 45

Mestre, 9. Mai 1946

26. März, 12 Uhr 10

Mailand, 13. Mai 1946

26. März, 13 Uhr 20

Mestre, 12. September 1947

26. März, 14 Uhr 55

Mestre, 17. August 1948

27. März, 00 Uhr 35

Roverdicrè, 17. November 1951

27. März, 0 Uhr 45

Venedig, 16. Dezember 1954

28. März, 20 Uhr 15

Rom, 16. August 1955

29. März, 10 Uhr 15

Padua, 28. August 1958

2. April, 9 Uhr 25

Mestre, 13. April, 18 Uhr 35

Bologna, 19. Oktober 1994

3. April, 10 Uhr 10

Mestre, 21. Oktober 1978

3. April, 21 Uhr 50

Padua, 4. Mai 2001

4. April, 11 Uhr 30

4. April, 18 Uhr 20

4. April, 19 Uhr 55

5. April, 6 Uhr 20

5. April, 18 Uhr 45

Prolog

Dreharbeiten. Es sah aus wie Dreharbeiten. Mit freundlicher Unterstützung der städtischen Feuerwehr, die mit entsprechenden Gerätschaften kamerawirksam für die enormen und angemessenen Regenschauer sorgte. Für die Beleuchtung war ebenso gesorgt. Eine riesige Anzahl von Scheinwerfern war für das passende Licht- und Schattenspiel hochgezogen worden. Genügend Kameras und Fotografen waren dafür auch in Position. Er fuhr sich über die feuchte Stirn und nickte, als könne er sich dadurch selber Mut machen. Dann schüttelte er kurz den Kopf, zog die Augenbrauen hoch und murmelte: „Tatsächlich wie Dreharbeiten.“ Wie für eine Fernsehserie, die sich von Folge zu Folge immer mörderischer darstellen muss. Mit einem grauslich blutigen Reißer als Vorlage. Vollkommen hirnlos. Natürlich mit viel rotem Saft, rohen Fleischbrocken von irgendwelchen Schlachtabfällen, überzogen von hautfarbener Folie und geschminkten Verletzungen, Verstümmelungen und Wunden. Als Ergebnis unvorstellbarer Gewalt. Schauerliche Effekte, die Bilder eines Krieges vergessen machen können. Für ein Programm nach Mitternacht. Frei ab 16 – besser 18. Jedenfalls nichts für Kinder. Alles andere wäre ja auch langweilig. Ansonsten gingen die Quoten zurück und die Anteilseigner des Senders gerieten in schlechte Stimmung. So funktionierte heutzutage das Geschäft der Medien, mit Blick auf die Rendite schupste man mit solchen Produktionen alles immer blutiger werdend zur Seite, bis Fiktion und Wirklichkeit ineinander kollabierten.

Wie jetzt. Denn in dieser Aufführung stimmte etwas nicht, die Hektik um ihn herum war keine Schauspielerei. War nichts mit Regieanweisungen. Der Regen, der auf ihn niederprasselte, kam nicht von den Freunden der pompieri oder aus Duschköpfen, die man vor die Kameras hielt. Sondern war ein Wolkenbruch, der sich mit Grollen und Getöse schon seit Minuten über ihn ergoss. Auch der Arm vor ihm war kein zurechtgemachtes Teil eines Tieres. Schon gar nicht aus Kunststoff. Darüber hinaus war der Gestank, der Geruch des Todes zu real und fürchterlich. Und die zuckenden und flackernden Lichter, die zunächst wie eine feierliche, nach mittelalterlichem Vorbild gemachte Illumination der Loggia Amulea im Hintergrund wirkten und auch jedem lauten Open-Air-Rockkonzert gut zu Gesicht gestanden hätten, kamen nicht aus entsprechenden Batterien verschiedenfarbiger Scheinwerfer, sondern vom Widerschein aufschlagender Flammen.

Loderndes Benzin und Öl, heißes Eisen, beißende Lacke, ein Gemisch aus schmelzenden Schaumstoffen und vor allem verbranntem und verkohltem Fleisch ließen drei Männer etwas abseits von ihm ihre übermüdeten Mägen auf die Wiesen des ovalen Platzes entleeren. Vorher hatten sie mit weiteren Helfern versucht, irgendwie an das Wrack heranzukommen. Aber durch die Hitze war es für die Einsatzkräfte kaum möglich, sich diesem zu nähern. Vor allem, weil sich die ölgefütterten Flammen auf den Pfützen schwimmend unter ihren Füßen regelrecht durchfraßen.

Ausgerechnet der Wagen mit dem Löschschaum hatte einen Defekt und stand, von einer Handvoll hektischer Männer umringt, nutzlos herum. Der ganze Platz war in das unwirkliche Gewitter aus lodernden Flammen und zuckenden Blaulichtern getaucht, begleitet von den Blitzen über ihm, die sich genau über dem Prato della Valle austobten und der skandierenden Blitze der schon wieder im Haufen herumrennenden Fotografen. Warum waren die immer so viel schneller da, als die meisten Rettungskräfte?

Obwohl der Regen sich nach wie vor wie aus Kübeln auf ihn entlud und die Feuerwehren die ganze Zeit kühles Wasser auf das Wrack gesprüht, und damit versucht hatten, den Brand einzudämmen, glühten sogar noch einzelne Metallteile und die Säulen der Karosserie, wie armdicke Wolframfäden in riesigen Glühbirnen. Die großen Platanen in der Mitte des Platzes, hatten auf dieser Seite verkohlte Äste. Aber die brennenden Reifen waren am schlimmsten. Kaum zu löschen.

Bis auf wenige hatten sich selbst die meisten der 78 steinernen Figuren im ovalen Rund auf ihren weißgrauen Sockeln abgewendet. Spielten seit jeher stoisch ausnahmslos die Unschuldslämmer; und waren logischerweise nicht zu Zeugenaussagen imstande. Lediglich Antonio Savonarola, der durch genügend Schlachten gestählt war, der Sieger über Ezzelino, unweit von hier, vor einigen hundertfünfzig Jahren, schaute mit verschränkten Armen und etwas süffisant von seinem Postament genau durch eine freie Lücke zwischen den Bäumen auf die flackernden Reste hinüber. Im Gegensatz zu Fortunio Liceti, dem viel jüngeren und trotzdem alten Mediziner, rechts von ihm. Der war eigentlich an Monster, Missbildungen und Verstümmelungen gewöhnt. Doch selbst der wendete seinen Blick mit einer zweifelnden Miene ab. Auch er würde nicht helfen können, für die Grausamkeiten vor ihnen kannte er keine Lösung. Über ihnen hektisch umeinander flatternde Taubenschwärme, heimatlos geworden, hofften sie, das, was sie sahen, nur zu träumen.

Als das Licht der Scheinwerfer es schaffte, durch den Rauch zu dringen, wurden die Fakten kaum nachvollziehbar deutlich: In einem Fiat Bravo, älteres Baujahr, waren der Tank mit vielleicht fünfzig Liter und ein leckender Zusatztank aus Kunststoff, mit fast zwanzig Liter, der unter das Heck des Wagens gelegt worden war, morgens um halb drei mit mehreren Sprengsätzen, vermutlich kleinen Molotowcocktails, zur Explosion gebracht worden. Allein diese Schläge mussten schon angesichts der nächtlichen Stunde ohrenbetäubend gewesen sein und den halben Bezirk aus dem Schlaf gerissen haben. Doch hatte es tatsächlich über zwanzig Minuten gedauert, bis endlich nach und nach über zwei Dutzend verschiedene Einsatzfahrzeuge eingetroffen waren, obwohl sich alles mitten in der Stadt abgespielt hatte. Selbst die Carabinieri in ihrem Gebäude fast an der Ecke Umberto I und Alberto Cavaletto brauchten einige Minuten, bis sie reagierten. Erst dann sahen sie, als sie durch den inzwischen strömenden und peitschenden Regen herbeigeeilt waren, in dem Wagen Körper sitzen, die in diesem Moment kaum noch als menschlich zu erkennen waren. Eher an schwarz verkohltes Geäst von Bäumen erinnerten, die von einem gewaltigen Blitz getroffen waren. Denn das glutheiße Benzin hatte sie schon fast gänzlich kremiert.

Nachdem die Pumpen dann endlich nach mehr als einer Stunde abgestellt worden waren und die Schläuche aufgehört hatten, das Wasser aus dem Kanal des Prato della Valle auf das vollkommen zerstörte Fahrzeug zu spritzen, wurden aus dem Inneren und dem aufgebrochenen Kofferraum acht fast bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Leichen herausgezogen und auf den mit Pfützen bedeckten Weg gelegt. Drei Männer der Spurensicherung und des medizinischen Dienstes beugten sich zu ihnen herunter. Jede wies am Hinterkopf eindeutig ein Einschussloch auf, und jeder waren die Arme fast bis zum Hals hinauf auf den Rücken gebogen und mit Draht zusammengeschnürt worden. Vermutlich, um den Toten selbst noch in diesem Moment die allerletzte Würde zu nehmen, hatte man ihre Körper zuvor auch noch entblößt.

Ispettore Collasso stand mit hochgeschlagenem Kragen, der schon längst jeglichen Schutz aufgegeben hatte, und daher vom Regen durchnässt, zitternd und mit einem zur Maske gewordenem Gesicht seit einer gefühlten Ewigkeit neben der Szenerie. Eine vollkommen durchnässte Zigarette hing kaum als solche erkennbar zwischen seinen Lippen. Auf das unbeschreibliche Inferno blickend, versuchte er, nunmehr dementsprechend fluchend, ebenfalls seit fast einer Stunde seinen Chef, Commissario Berlingui, auf dessen Mobiltelefon zu erreichen. Aber der erste Anblick eines Tatorts wurde wieder einmal ihm überlassen. Und wie immer unverhältnismäßig lang.

Östlich Mailand, 26. März, 4 Uhr 10

Erst vor einer knappen halben Stunde waren Alessia, Alessandro und er wieder eingestiegen, um nach dem Konzert im Datch Forum in Assago südwestlich von Mailand nach Hause zu fahren. Sie waren allerdings wenige Kilometer später immer noch so aufgedreht, dass Berlingui jetzt mitten in der Nacht mit ihnen kurzerhand im Autobahnrasthof Muggiano Ovest eingekehrt war, weil er hoffte, sie würden sich nach einem Drink und kurzer Pause beruhigen.

Die Raststätte war ein langer schmaler Schlauch, in dem die Funzellampen sich vergeblich anstrengten, Licht zu verteilen. Der Bau ähnelte ohnehin eher einer Baracke mit Theke, die Berlingui an Alessandros alten Kaufmannsladen erinnerte, den er als Fünfjähriger zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. So provisorisch sah sie aus. Schmal und vollgestopft mit Schälchen voller Zuckertütchen, Pocket-Coffee-Packungen zum Sonderpreis und Raffaello und Mon-Chéri-Angeboten. An der Wand Kabel und Leitungen. Das Ganze war sicherlich seit Jahrhunderten nicht renoviert worden. Am liebsten wäre Berlingui umgedreht, aber die zwei jungen Leute waren schon an ihm vorbeigetänzelt. Der knubbelige Typ hinter der Theke musterte sie und verzog seinen Mund. Sie waren keine Fernlastfahrer, gehörten somit nicht der arbeitenden Bevölkerung an und schon gar nicht seiner Partei. Mit dem gleichen missbilligenden Blick köpfte er zwei Flaschen Bier und zauberte aus seiner La-Cimbali-Espressomaschine mit vier Brühköpfen ein sensationelles Gebräu. Während Berlingui gleich drei Espressos schlürfte, die besten, die er jemals außerhalb Filippos Bar getrunken hatte und den aufgeklebten Spruch auf der Maschine studierte: C’è sempre una storia di caffè da vivere lungo il tuo viaggio,tranken die beiden genüsslich ihre großen Forst-Biere und sangen dabei nicht besonders leise noch mal das halbe Konzert, samt der ganzen ollen Lieblingshits von Ligabue und Tiziano Ferro, in der Hoffnung, dass irgendjemand mit ihnen Buonanotte all’Italia oder Ti scatterò una foto mitgrölen würde.

Bis Berlingui nach einem Blick auf einige lange Gesichter vor der Theke und an den Tischen links vor dem Zeitungsständer mit betenden Händen um ein wenig mehr Ruhe bat und hoffte, für diese Reise würde seine storia di caffè, seine Kaffeegeschichte, noch ein gutes Ende nehmen.

„Menschenskinder! Leute! Ihr seid doch keine kleinen Kinder mehr!“

Alessia beugte sich zu ihm herüber, hielt seinen Kopf fest und gab ihm aufgedreht und mit glitzernden Augen einen schmatzenden Kuss auf die Wange. Berlingui lief rot an und Alessia gluckste mit einer Hand vor ihrem Mund, bis sie sich verschluckte. Der Rundling hinter dem Tresen warf die riesige Kimbo-Kaffeemühle an, ließ sie im Dauerbetrieb dagegen anlärmen und kommentierte murmelnd, durch den Lärm aber unverständlich, bestimmt nicht besonders freundlich die Szene. Vielleicht dachte er in diesem Moment, dass die Verbindungen unter den dreien ganz andere waren.

Einige Zeit später, gerade als er am Autobahndreieck Agrate Brianza der Autostrada della Serenissima vorbeifuhr, riss ihn das Azzurro seines Mobiltelefons viel zu laut aus dem seit Alessias Kuss noch andauernden, schwärmerischen Gefühl, das ihn die ganze Zeit grinsen ließ. Auch weil ihm das Bild von ihr einfiel, das sie ihm geboten hatte, als sie ihm im Flur begegnet war, nur mit einem knappen Slip bekleidet. Commissario Piero Berlingui bestrafte das Mobiltelefon deshalb mit einem verächtlichen Blick, zögerte kurz und nahm dann doch ab. Widerwillig. Bei 140 Stundenkilometer. Während er in den ersten Sekunden versuchte der durch Störungen verzerrten Stimme am anderen Ende konzentriert zuzuhören, wurde der Wagen langsamer. Mit einer Hand zu lenken, den Verkehr zu beobachten, den Wagen auch noch sicher zu manövrieren, während er versuchte, diesen einen Gedanken aus seinem Kopf zu verscheuchen und mit der anderen das Handy zu halten, war nicht nur theoretisch unmöglich.

Sofort hupte dicht hinter ihm ein riesiger Scania-Laster mit Kofferauflieger, zündete zusätzlich seine Fernscheinwerfer und drängelte anschließend an ihm vorbei. Berlingui fluchte, ließ das Lenkrad los und zeigte dem Fahrer über das Lenkrad gebeugt einen Vogel. Keine fünfhundert Meter weiter pflügte er zwischen den anderen Autos hindurch, drängelte genauso gewalttätig über die rechte Spur und hielt auf dem schmalen Standstreifen an. Die Tür halb geöffnet saß er, die Füße auf dem Asphalt, auf seinem Sitz und fuhr sich mit einer Hand über die Stirn. Nach einer Weile stand er auf und dann mit wächsernem Gesicht neben dem C5. Autos hupten und brausten dennoch kaum bremsend an ihm vorbei. Mit einer wedelnden Hand wehrte er die ungeduldigen Fragen der beiden jungen Leute ab, die auch ausgestiegen waren und um ihn herumtanzten, immer noch aufgedreht, immer noch high. Dann drehte er ihnen den Rücken zu und lehnte sich ein paar Schritte weiter ständig kopfschüttelnd an die Leitplanke. Der vorbeirauschende Verkehr war die passende, tosende Untermalung für das, was er aus dem Lautsprecher seines Handys hörte.

„… am Prato della Valle? Mitten in der Stadt? Gottes willen …“

Padua, 17. März 1939

Der Schlag traf ihn ohne jede Vorbereitung am Hinterkopf. Sein Kopf schien zu explodieren, wie die Spitze des abnehmenden Mondes über ihm, auf der in diesem Moment irgendein gleißend heller Stern aufgespießt war, und den er noch kurz wahrnahm, bevor eine Faust ihn mitten im Gesicht traf. Sofort spürte er seine platzende Unterlippe auf den knacksenden Zähnen und schmeckte Blut. Nach hinten taumelnd versuchte er Halt zu finden, doch seine Beine gaben nach und knickten um. Genau in dem Moment, als der dritte Schlag seine Kniekehlen traf. Mit voller Wucht fiel er der Länge nach auf den Rücken und rang nach Luft, sah dabei wieder in den nächtlichen Himmel und nahm statt des Mondes nur drei dunkle Schatten über sich wahr. Zeit für einen Widerspruch ließen sie ihm nicht.

„Du Scheiß-Faschistenschwein! Du und deine großmäuligen Freunde, ihr seid schuld! Jetzt werdet ihr dafür büßen. Alle nacheinander!“

Der folgende Tritt gegen seinen Kopf drohte ihn bewusstlos werden zu lassen. Kurz wurde ihm schwarz vor Augen, doch reflexartig versuchte er sich aufzurappeln, aber schon schmerzten seine Rippen beim nächsten Stoß.

„Komm, lass gut sein! Der Idiot kann doch auch nichts dafür. Hitler holt sich alle Staaten. Die Tschechei ist nur der Anfang, sag ich dir.“

„Und der da? – Der da ist doch genauso ein Vollidiot! Schon immer gewesen. Schon in der Schule hatte er rumgetönt, wie gut dieser Hitler und die Freundschaft zu Mussolini sei und diese Scheißlieder gegrölt!“

„Er hat jetzt seine Abreibung bekommen. Das kann er den anderen erzählen. Dann wissen die, was ihnen demnächst blüht.“

Einer von denen schlug ihm noch mit der flachen Hand ins Gesicht, dass sein Kopf ein weiteres Mal zur Seite flog. Dann hörte er nur noch das leiser werdende Klackern der Sohlen der drei auf dem Asphalt. Er richtete sich auf, musste husten und rang gleich darauf nach Luft, spuckte dabei einen Mund voll Blut neben sich aus und hörte es auf den Asphalt klatschen. Ein Zahn war nicht dabei. Der da ist ein Vollidiot! Schon immer gewesen! Die Stimme glaubte er zu kennen. Die kam ihm bekannt vor. Woher nur? Aus der Schule vielleicht? Oder Nachbarschaft? Oder war es einer aus dieser fußballkickenden Truppe von der Piazza della Vittoria in Montegrotto, bei denen er nicht mitspielen durfte und deshalb manchmal nur zuschaute, oder aus dem Café in der Viale della Stazione? Kannte er sie tatsächlich?

Vor ein paar Tagen hatten ihm schon einmal ein paar Kerle aufgelauert, ihn angegriffen und weiß Gott was genannt. Alles Schwachsinnige, die keine Ahnung davon hatten, wie sich in solchen Zeiten eine Nation, Italien darstellen musste. Vielleicht waren es sogar die gleichen gewesen. Da konnte er denen noch ein paar Steine hinterherwerfen und sich freuen, weil er einen von ihnen am Kopf getroffen hatte. Aber hier, mitten im Ort, lag ja so was nicht herum. Sein Vater sollte ihm lieber die kleine Pistole geben, statt ihn jedes Mal anzuschnauzen. Die Zeiten erforderten es einfach, dass er sich mit fast 16 wie ein Mann verteidigen konnte.

Er schüttelte den Kopf, ließ ihn anschließend langsam auf seiner Schulter kreisen, versuchte sich zu orientieren und schaute auf seine Uhr. Sofort zuckte er vor Schreck zusammen. Das Glas der vergoldeten Cortebert war zersprungen und der große Zeiger fehlte. Es würde schwer werden, seinem Vater alles zu erklären, ohne die nächsten Prügel einzustecken. Schon hörte er ihn dröhnen:

„Bist du nicht Kerl genug, dich gegen dieses Lumpenpack zu stellen? Habe ich dir nicht beigebracht, dich zu wehren? Diesen Kommunisten werden wir ihr Hirn ausblasen, wie einem rohen Ei das Innere. Erinnere dich, aus welchem Haus du kommst! Maledizione!“

Gib mir endlich die Pistole, wollte er ihm da noch sagen und: Sonst kannst du deine Worte nach dem nächsten Mal zu einem Sarg sagen. Aber er war still geblieben. Die Zeit in der er seine Größe und Stärke zeigen könnte, würde sicher noch kommen. Wenn er dann Chef des väterlichen Geschäfts wäre, würde er einen nach dem anderen umhauen und verdrängen. Noch hatte er nicht die richtigen Ideen dafür, aber die Zeit war auf seiner Seite. Politisch hatte er sich doch schon für die Richtigen entschieden. Man musste einfach darauf schauen, dass von den Gleichgesinnten genug an der Macht waren, dann konnte man alles unter sich ausmachen.

Ihn wunderte nur, dass sein Vater nie richtig Gebrauch davon machte, sondern immer nur meinte, er wäre zu übermütig und noch zu jung. Sich zu wehren bedeutet nicht, sich zu prügeln. Wie das aber funktionieren sollte, hatte er ihm nicht gesagt. Was sollten also diese dummen Sprüche?

Er wischte sich mit einem Taschentuch über den Mund und richtete im spiegelnden Glas eines Fensters seine Kleider. Wenigstens diese waren so gut wie unversehrt und kaum verschmutzt. Dann spuckte er in die Hände und fuhr sich durch die Haare. Gott sei Dank waren die Zeiten dabei sich zu ändern. Endlich wurde alles geregelt und die Verhältnisse geändert. Diese starke Hand brauchte das Land. Und wenn ihm wieder einfiele, wer diese Idioten waren, dann würden die schon noch was erleben!

Padua, 26. März, 4 Uhr 55

Collasso mochte nicht länger hinsehen, schon gar nicht bei Regen. Alles schien auf ihn zuzufließen: die Scherben, Teile des Fahrzeugs, die Reste des brennenden, im Wasser schwimmenden Unrats. Er zog den Kragen, so gut es ging, hoch, warf die nasse Zigarette fort und wendete sich ab, ging zu einem der Carabinieri, der sich wohl durch nichts erschüttern ließ, sondern vielmehr neugierig, vielleicht aber auch stoisch auf den Wirrwarr vor ihnen schaute, in eine Stulle biss und voller Genuss kaute. Wie konnte man in einer solchen Situation Hunger haben?

„Gibt’s hier in der Nähe irgendwas zu trinken? Das macht einen ja total fertig! Und dann noch dieses Sch…wetter!“, sagte Collasso zu ihm.

Ohne ihn anzuschauen oder ein Wort zu sagen, zog der Appuntato, der Oberstabsgefreite, ein kleines Fläschchen aus seiner Jacke und reichte es Collasso.

„Nehmen Sie einen tüchtigen Schluck, ich halte so was auch nicht anders aus“, und, als sei es etwas Dienstliches, hob er die Brothand salutierend an das dunkelblaue Barett. Collasso zog die Augenbrauen in die Stirn, schob den Kopf noch mehr zwischen die Schulterblätter und zögerte. Dann öffnete er doch das flache, metallene Fläschchen.

„Ein Grappa von meinem Onkel in Bassano, der lagert ihn ein paar Jahre in Kastanienfässer, daher die Farbe. Wenn er Ihnen schmeckt, könnte ich Ihnen was besorgen. Sicher kein Problem. Von mir aus einen ganzen Karton. – Ohne zu übertreiben, der hilft auch bei Unfällen. Ich hab’ Sachen gesehen, sag ich Ihnen … Fürchterlich!“

Der Ispettore schnupperte und verzog anerkennend das Gesicht, dann trank er einen kräftigen Schluck. Warm rann dieser seine Kehle hinunter – und stark. Er räusperte sich ein paar Mal. Gerade noch konnte er ein Husten verhindern.

„Hat fast 55 Prozent“, erklärte der Carabiniere trocken.

Collasso räusperte sich ein weiteres Mal und nickte stumm. Der Grappa würde sicher auch manchem Unfallopfer helfen, sie wiederbeleben oder zumindest ihre Wunden desinfizieren, hier war allerdings schon alles zu spät. Er zog das Handy hervor und tippte Berlinguis Nummer ein. Es war der dritte Versuch. Jetzt hatte der wirklich lang genug geschlafen.

„Buondi, Chef! – Tut mir leid. – Wo? Auf der Autobahn? – Ach ja, das Konzert. – Es wäre besser, wenn sie kämen. – Si! Subito!“

Battaglia Terme, 7. August 1941

„Lass dir Zeit! Nicht so schnell! Das Geruckel kann den Schlitten auf der Pritsche verrutschen lassen. Und dann Gnade uns Gott, wenn etwas auf die spoletta, die Spitze schlägt.“

Der schmächtige, vielleicht zwölfjährige Junge rutschte zappelig auf der Vorderkante des Sitzes herum, nahm den Fuß vom Gaspedal und streckte den Kopf hoch. Durch den kleinen Rückspiegel konnte er hinter sich unter der Plane der Ladefläche des Ceirano-Lasters ein Stück der zwar bonbonblauen und doch hochexplosiven Fracht sehen. Sofort schaute er wieder auf die Straße, denn im gleichen Moment hatte Alberto ihm ins Steuerrad gegriffen und die Fahrt ein wenig korrigiert.

„Du musst schon aufpassen, wohin du fährst. Sonst fliegen wir in die Luft, ohne dass das Ding da überhaupt vorher an einem Flieger durch die Luft geflogen ist.“

Alberto lachte über seinen eigenen Witz. In ein paar Kilometern würden sie den Flughafen erreicht haben und die gefährliche Fracht zusammen mit den Kameraden unter einen der dort wartenden Stukas montieren. Am Morgen hatten sie die hochexplosive Ladung am Bahnhof von Abano Terme aufgeladen bekommen. Das allein hatte schon viel länger als geplant gedauert, da es für das Militär nur ein Gleis gab und zuvor Verletzte, Medikamente und Lebensmittel versorgt und verladen werden mussten.

Nun fuhren sie über die Ponte di Chiodare. Anschließend links nach Carrara San Giorgo, auf einer durchweg ziemlich schmalen und holprigen Strecke. Die einzige Strecke, wenn man nicht noch mehr enge Kurven und Kreuzungen durchfahren wollte. Wenigstens die Schlaglöcher hätten die Verantwortlichen instand setzen lassen können. So waren diese Transporte jedes Mal auch ein bisschen wie ein Himmelfahrtskommando. Auch wenn bisher noch nichts Schlimmes passiert war. Trotzdem meinte Alberto:

„Du bist ja nicht Tazio Nuvolari, unser Mantovano volante.“ Wieder lachte er herzerfrischend auf, schüttelte amüsiert den Kopf und fuhr mit unverhohlenem Stolz fort: „Schade, dass du unseren fliegenden Mantuaner nicht gesehen hast, wie er auf der Fahrt Bologna– Padua an unserem Flughafen vorbeigesaust ist. – Wruuumm!“ Er beugte sich hin und her, als müsse er den Fliehkräften von Kurven standhalten. „Mann, dem sein Alfa war so was von schnell und superschön. Dein Alter hat extra befohlen, den Himmel zu kontrollieren und notfalls mit der Flak für Sicherheit zu sorgen, wenn irgendwelche Deppen einen Angriff von oben versuchen sollten. – Wenn du um die Kurve bist, tauschen wir wieder. Stell dir vor jemand sieht uns vom Palazzo Talpo aus oder dieser Neue, dieser Gibellato, dieser Großkotz und Weltverbesserer, dann kannst du deinen Flug vergessen und ich meine Beförderung. Und so ein Monarchist wie der ist, will ich schon gar nicht werden. Also, langsam weiter jetzt!“

„Papa kann ihn auch nicht leiden. Angeblich hat sein Vater ihn zu uns geschickt, damit er schnell Karriere machen kann. Der hat wohl ein Baugeschäft und sein Sohn soll für gute Verbindungen sorgen.“

„Was will der im Krieg für Geschäfte machen? Wenn er Glück hat, wird sein Laden nicht kaputtgebombt. – Pass auf! Da sind tiefe Schlaglöcher. Fahr langsam! Gleich tauschen wir!“

Flaviano nickte Alberto zu. Er schien für die Entscheidung dankbar zu sein. Traktor zu fahren war doch etwas anderes, als dieses schwere und unübersichtliche Ding. Da hätte er schon die Kraft eines Pferdes oder eines anderen Viehs haben müssen, um den Lkw leichter lenken zu können. Trotzdem hatte er vorhin nicht Nein sagen können, als Alberto ihn kurz hinter den Case Cavallini fragte, ob er nicht mal ein paar Meter mit so einem Gefährt fahren wolle. Flaviano hatte ihn verwundert angeschaut, aber wenn es um Mutproben ging, war er ohnehin nie ganz feige. Etwas ausprobieren tat er gerne, solange er glaubte, dass das, was er machen sollte, gelingen konnte und dies nichts mit Kaputtmachen oder Schmerzen zu tun hatte. Also hatten sie hinter einer Kurve schnell den Platz gewechselt und er war ganz vorne auf die Kante des Sitzes gerutscht, um an die Pedale zu kommen.

Hätte sein Vater von mancher Mutprobe erfahren, hätte er ihn sicher nicht so sorglos durch die Welt springen lassen. Hätte er ihn nicht nur ermahnt, vorsichtiger zu sein, sondern scharfe Verbote ausgesprochen. So war Flaviano nicht nur auf den Fahrersitz geklettert, sondern in den letzten Wochen, wenn er nicht zur Schule musste oder es auf dem Landeplatz etwas zu tun gab, mit seinem Freund Mauro in den kleinen Panzerkampfwagen, einen M11/39, geklettert, der statt nach Afrika verschifft, der Verteidigung des Flugplatzes in Albignasego zur Verfügung gestellt wurde, und hatte in ihm hockend an den Hebeln herumgespielt und gleich mehrere Schlachten gewonnen oder war mit Mauro, von der Ponte Chiodare, über die sie gerade gefahren waren, in den Canale gesprungen, der in den Sommern dafür eigentlich viel zu wenig Wasser führte. Jedoch hielt sich Flaviano in letzter Zeit mit solchen Dingen zurück, vor allem seit dieser Gibellato aufgekreuzt war und ihn anschaute, als sei er ein Schwerverbrecher oder so etwas Ähnliches.

Ausgerechnet jetzt rumpelte das Gefährt durch eines der Schlaglöcher und die Konstruktion auf der Pritsche hinter ihnen ächzte. Flaviano drehte sich erschrocken um und schaute durch das kleine Fenster. Aber das Gestell hatte gehalten und der Zünder war weit entfernt von irgendeinem gefährlichen Teil der hölzernen Konstruktion, die ihn hätte berühren können.

Diesen Gibellato konnte also keiner am Flughafen leiden. Der war ein Wichtigtuer, kommandierte jeden herum, obwohl er nur ein ganz normaler Soldat war und erst in ein paar Wochen Gefreiter werden würde. Aber Gefreiter, was ist das schon? Doch der alte Gibellato hatte inzwischen überall ein Wörtchen mitzureden und deshalb traute sich keiner von den anderen Soldaten seinem Sohn zu widersprechen und Flaviano schon gar nicht. Am besten ging man dem Typen zur Hand und dann aus dem Weg, ignorierte seine ständig miese Laune und suchte sich anderswo eine Tätigkeit, damit man seine Ruhe hatte. Flaviano war jedes Mal froh, wenn Mauro ihn zum Fußballspielen oder Lernen abholte oder sein Vater eine Aufgabe für ihn hatte.

Der war auch der Einzige, der diesem Kerl Befehle geben und ihn in Schranken weisen konnte. Immerhin war Vater ja auch der Chef vom Flughafen und schaute mit Argusaugen darauf, dass der Betrieb anständig und reibungslos lief. Manchmal erlaubte er Flaviano sich in eine Kanzel zu setzen oder sogar mal die ein oder andere Maschine zu starten. Danach hatte er natürlich seine Finger still zu halten und einem echten Piloten Platz zu machen. Papa kannte sie alle gut, war mit Manchem sogar ein wenig befreundet, wie zum Beispiel mit Adriano Visconti, Franco Lucchini oder Franco Bordoni-Bisleri. Jener war sogar schon von diesem Flugplatz hier aus gestartet, bevor er mit seinem alten Doppeldecker Fiat CR-42 in Nordafrika vier Bristol-Bomber abgeschossen hatte. Flaviano hatte in seinem Schulheft eine Unterschrift von ihm mit einem Spruch darunter: D’un male nasce spesso un bene. Aus einem Übel erwächst oft etwas Gutes. Anschließend hatte er ihm auf die Schulter geklopft und gemeint:

„Weißt du, dieser dumme Krieg ist eines Tages auch zu Ende, und dann bin ich entweder tot oder vergessen.“

„Niemals!“, hatte Flaviano geantwortet: „Für mich und all die anderen sind Sie jetzt schon ein Held. So einer würde ich auch werden wollen.“

Jetzt atmete er tief durch und schaute noch mal in den Spiegel nach hinten, aber ein Held zu werden, war wirklich gar nicht so einfach.

Sein Bruder Stefano hatte die Sache mit dem Zum-Held-Werden auch nicht geschafft. Er war am 6. Januar im kargen und kalten, nördlichen Teil der kleinen libyschen Hafenstadt Bardia, kurz hinter der ägyptischen Grenze – in der eigentlich eine Übermacht von zigtausenden italienischen Soldaten war –, schnell unter Beschuss und anschließend in britische Gefangenschaft geraten. Gott sei Dank unverletzt, meinte Vater. Aber er sagte es mit einer gewissen Enttäuschung, die Flaviano wundern ließ, da er nicht sofort wusste, auf was sein Vater anspielte. Unverletzt war doch was und die Briten waren angeblich keine, die prügelten. Lieber in Gefangenschaft als an der Front, hatte er seinem Vater daher geantwortet und dafür ein seltsames Schulterzucken und „Manchmal ist es besser, du bist der loyale Soldat, und manchmal ist es besser, wenn du auf dich achtest“ als Reaktion erhalten.

Endlich kam die Kurve und wenige Meter später stoppte er den Transporter. Etwas zu früh ließ er die Bremse los, als er den Gang herausnahm und das Gefährt machte einen Hopser nach vorne. Wieder drehte er sich erschrocken um. Schweiß glitzerte auf seiner Stirn und Flaviano fluchte:

„Vaffan cul!“

„So schnell macht es nun auch wieder nicht Bumms.“ Alberto strich dem Kleinen gelassen über den Kopf. „Sonst wären schon viele von uns draufgegangen“, versuchte er ihn zu beruhigen. Trotzdem bleich geworden, sprang Flaviano vom Sitz auf den Schotter herunter und rannte die drei Schritte zum Straßenrand. Zappelig öffnete er den Hosenlatz.

„Ich muss ma’!“, rief er Alberto zu.

Genau in dem Moment, als er zu pinkeln begann, schauten sie beide in den Himmel. Über ihnen ein Brummen. Langsam schien es lauter zu werden. Mit schnellen Kopfbewegungen suchten sie den leicht bedeckten Himmel ab. Dann, zwischen ein paar Wolken, schräg über ihnen, konnte man sie sehen. Fünf größere Maschinen, höchstens ein, zwei Kilometer westlich von ihnen, offenbar Richtung Bologna oder Modena unterwegs. Somit an Padua, Venedig und in wenigen Augenblicken auch ihnen vorbei.

„Deutsche, vielleicht in Graz gestartet“, meinte Alberto, der plötzlich einen Schritt hinter ihm stand und mit einer Hand die Augen abschattete, „sind Junkers, glaub ich. Komisch! Was machen die denn hier? Da ist doch nichts, wo die hinfliegen.“

„Von uns wollen die sicher nix. Da hängen keine Bomben unten dran und für die haben wir auch keine auf der Pritsche“, bemerkte Flaviano und schloss wieder seine Hose.

„Was wollen die uns auch bombardieren. Diese Idioten. Angeblich sind wir doch dicke Freunde. Wenn du mit diesem Fabrizio Gibellato redest, hörst du nur Lobeshymnen über unsere Verbündete. Das sind die Weltenretter. Da versteht er keinen Spaß, so verzückt ist der von denen.“ Er machte ein paar mädchenhafte Bewegungen und Heitatei. Dann drehte er sich lachend zu Flaviano und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Was soll’s?! Wahrscheinlich verlegen die nur eine Staffel. Vielleicht geht’s für die von Civitavecchia nach Sizilien. Die Deutschen haben die Insel erobert und brauchen sie dringend als Brückenkopf, denn in Afrika muss es gerade fürchterlich abgehen für die. Hat mir Sebastiano neulich in der Bar erzählt. Jede Menge Verluste und Tobruk haben die auch nicht erobern können, jetzt reiben sie sich auf. Die brauchen Nachschub ohne Ende. Also ziehen sie Teile ihrer Truppen von hier ab. – Biste fertig? Dai vieni! Andiamo! Weiter geht’s!“

„Sì, subito! Der Gibellato hat auch davon gesprochen und wie feige wir alle wären. – Mein Gott kann der Typ nerven, ich weiß gar nicht, was der sich einbildet?“

„Er wird sicher mal der größte Feldmarschall“, lachte Alberto und schlug die Tür zu, „der allergrößte natürlich! – Einssiebenundachtzig.“

26. März, 5 Uhr 35

„Ich wüsste nicht, was Sie davon haben?!“

„Das kann ich Ihnen jetzt auch noch nicht sagen. Es ist lediglich – nun ja, Gefühl ist vielleicht der falsche Ausdruck, aber … ich bitte Sie ja nur darum.“

„Mein Gott!“ Er gähnte laut, damit der andere wusste, worin er ihn unterbrochen hatte, setzte sich etwas umständlich auf und stopfte sich dabei das Kissen hinter den Rücken. „Morgens, zu einer Zeit, wenn andere Leute sich noch mindestens zweimal in ihrem warmen Bett umdrehen?“ Seine Stimme klang nun weniger erbost als beunruhigt, denn im Grunde genommen hatte er seit Jahren einen solchen Anruf erwartet und war darüber erstaunt, dass dieser erst jetzt erfolgte. Zwar zu einer skandalösen Zeit, aber erst jetzt. Seltsamerweise war sein Gegenüber auch nicht wie sonst, bestimmend, herrisch und nahezu despotisch, sondern sogar alles andere als souverän, nein im Gegenteil, geradezu kleinlaut und hochgradig nervös.

„Ich versuche Sie seit Tagen zu erreichen.“

„Ist ganz einfach, wenn man mich anrufen würde. Geht sogar tagsüber. Sie haben meine Nummer.“

„Dann weiß ich aber nicht, wer neben Ihnen stehen wird.“

„In der Regel pflege ich meine geschäftlichen Telefonate alleine zu führen. Auch zu normalen Zeiten. – Meine Frau ist an diesen nicht interessiert, falls Sie das meinten. Und wenn ich nicht abnehmen kann, darf man den Anrufbeantworter gerne benutzen. Ab und zu rufe ich sogar zurück.“

„Es könnte ja sein, dass …“

„Sie wissen genau, dass Ihre Geschäfte bisher nur von ganz bestimmten, von für uns wichtigen Stellen inszeniert und wahrgenommen wurden. Selbst die Presse, ihr ganz spezieller Freund, wenn ich mich recht erinnere, ist bislang auf Ihrer Seite. Also, reden wir nicht lange um den heißen Brei! Ich weiß, wo bei Ihnen der Schuh drückt. Und ich weiß, wie sehr die Zeit und die lieben Banken bei Ihnen drängen. Sie kennen unsere Spielregeln. – Regeln Sie das mit dem Geld, es geht nun mal nicht anders und wir werden uns einig. Dann haben auch die ganz oben nichts einzuwenden.“

„Geben Sie mir ein, zwei Tage Zeit. Es ist ja einiges davon abhängig.“

Es klang resigniert. Langsam dämmerte ihm, dass alles, was er in den letzten Tagen angeleiert hatte, bald nichts mehr wert sein würde, dass der kleine Vorteil, den er glaubte durch seine Manöver und die aktuellen Geschehnisse zu erlangen, doch verspielt war. Die Größe seines Unternehmens spielte von nun an keine Rolle mehr. Die andere Seite hatte ihn längst in der Hand. Irgendwann waren die Projekte zu groß geworden, als dass er sie auf seine Art stemmen konnte. Er brauchte jetzt erst recht Zeit und Geld und dachte an seinen Vater. An das, was dieser immer wieder zu ihm gesagt hatte und verzog nahezu angewidert das Gesicht. Auch von seinem neuen Partner wollte er nicht allzu viel erwarten. Ausgerechnet jetzt befürchtete er, sich einem Dampfplauderer anvertraut zu haben. Nur konnte er das niemanden gegenüber zugeben.

Schon von Anfang an hatte die Chemie zwischen ihnen nicht so gestimmt, wie er erhofft hatte. Nur dieses Vorhaben und die Strategie, wie alles umgesetzt werden sollte, hatten ihn bei der Stange gehalten. Und natürlich das Geld, das sein Partner in das Projekt hineinbringen wollte. Von diesem war er leider sogar zu abhängig geworden. Die modernen Zeiten funktionierten leider nicht mehr so, wie damals, als sein Vater noch die Geschäfte bestimmte. Heutzutage bestimmte ein ungleich härterer Preiskampf das Ganze und den Wert eines Unternehmens. Diesen immer hochzuhalten, bedeutete durchweg steigende Ausgaben. Was früher mit großzügigen Geschenken klappte, bedeutete nun, nicht nur eine Person zu korrumpieren und bei Laune zu halten. Der am anderen Ende war da keine Ausnahme. Der hatte für sich schon einige Dinge zurechtgelegt, mit denen er sich noch besser darstellen konnte, das lag nicht nur an seinem Namen, der nach Fertigstellung des Baus über einem Abschnitt prangen sollte.

„Höchstens diesen einen. Nämlich den heutigen. Nicht, dass Sie sich noch mit irgendjemand absprechen. Gerade mit Ihrem Freund von der Presse zum Beispiel.“

„Wie soll das jetzt noch funktionieren? Glauben Sie, das könnte ich ohne – wie soll ich sagen? – Schaden zu nehmen? Meine Reputation …“

„… Ihre Reputation, mein Gott, was reden Sie da? Die wird nicht nur unangetastet bleiben, sondern wachsen. Dafür werde ich sorgen. Vertrauen Sie mir! Ich habe ja noch eigene Interessen. Aber auch das sind die ganz normalen Spielregeln in unserem Geschäft. Die sollten Ihnen eigentlich längst bekannt sein. Haben Sie diese nicht jahrelang versucht zu bestimmen? Sie hätten sich viel früher um Kooperationen bemühen müssen. Das ist Ihr Problem. Ich hatte es Ihnen schon einmal gesagt, Ihre Art ist vielleicht nicht immer zielführend. Sie sollten das wenigstens mal überdenken.“

„Ich möchte trotzdem …“

„… nur heute!“

„Und wenn nicht?“

„Im Moment fallen mir nur schändliche Sachen ein. Äußerst schändliche“, er unterbrach sich, schüttelte den Kopf und lachte leise, „wenn Sie verstehen, was ich meine. Oder glauben Sie, ich kenne nicht all Ihre Wege,