Magische Verführung - Engelspfand / Verführung / Verlockung - Nalini Singh - E-Book

Magische Verführung - Engelspfand / Verführung / Verlockung E-Book

Nalini Singh

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Beschreibung

und ein Interview mit Nalini Singh.



Das E-Book Magische Verführung - Engelspfand / Verführung / Verlockung wird angeboten von LYX.digital und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Engel;Gestaltwandler;Romantik;Anthologie;Bonus;eBook;Engelspfad;Fantasy;Frauenunterhaltung;Gefühle;Geschenk der Sterne;Gilde der Jäger;Interview;Katy Evans;Leidenschaft;Liebe;Liebesroman;Paranormal;Rock Kiss;Romantic Fantasy;Vampir;Verführung;Verlockung;Romantische Fantasy

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Inhalt

Titel

Engelspfad

1

2

3

4

5

6

7

8

Verführung

Glück

1

2

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7

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9

10

11

12

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14

Epilog

Verlockung

Wunschzettel

1

2

3

4

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10

Geschenk der Sterne

Ein Happy End ist Pflicht

Impressum

Nalini Singh

Ins Deutsche übertragen von Petra Knese

ENGELSPFAND

Gilde der Jäger

1

»Das ist aber eine Überraschung, Cher«, sagte Janvier mit seinem schleppenden Südstaaten-Akzent. Dabei stützte er sich mit der Hand gegen den Türpfosten seiner Wohnung in Louisiana. »Soviel ich weiß, ist auf meinen Kopf gerade keine Belohnung ausgesetzt.«

»Ich bin doch keine Auftragsmörderin!« Ashwini verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an die gegenüberliegende Wand. So halb angezogen und vom Schlaf zerzaust sah Janvier unglaublich sexy aus. Gleichzeitig war er auch ein zweihundertfünfundvierzig Jahre alter Vampir, der ihr spielend leicht die Kehle herausreißen konnte. »Obwohl es mir bei dir gut zupass käme.«

Ein feines Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Es war vielleicht ein wenig zu schmal und finster, um wirklich schön zu sein. Und dennoch … Mit seinem rauen Charme und den klugen Augen, die wie das Moos im Bayou in allen Grünschattierungen schillerten, würde sich in einer Bar jede Frau nach ihm umdrehen. »Du kränkst mich! Ich dachte, wir sind Freunde, non?«

»Non.« Sie hob eine Augenbraue. »Lässt du mich jetzt rein?«

Gleichmütig zuckte er mit den Schultern. Fasziniert beobachtete Ashwini dabei das Spiel seiner kräftigen Brustmuskeln; man würde sie ihm kaum zutrauen, so geschmeidig und anmutig, wie er sich bewegte. Doch Ashwini wusste nur allzu gut, wie schnell und stark er war – schließlich hatte sie ihn in den vergangenen zwei Jahren dreimal gejagt. Und er hatte sie jedes einzelne Mal ganz schön an der Nase herumgeführt.

»Kommt drauf an.« Langsam ließ er seinen Blick über ihren Körper gleiten. »Willst du mich wieder verprügeln?«

»Augen nach oben!«

Er lächelte verschlagen. »Du verstehst aber auch gar keinen Spaß, Süße!«

Seltsamerweise war sie in Janviers Gegenwart immer die Ernste und Vernünftige, dabei hielten sie ansonsten alle für komplett verrückt. »Das war eine Schnapsidee!« Ashwini machte auf dem Absatz kehrt und winkte ab. »Wir sehen uns wieder, wenn ich dich im Auftrag eines Engels jage.« Für gewöhnlich kümmerte sich die Gilde um entlaufene Vampire, die ihren hundertjährigen Vertrag mit den Engeln – den Preis für ihre Unsterblichkeit – nicht einhalten wollten. Und dann gab es da noch Janvier … »Aber bitte nicht diese Woche, ich habe nämlich anderweitig zu tun.«

Warm und ungewohnt zart schloss sich seine Hand um ihren Nacken. »Nun hab dich doch nicht so! Komm schon rein. Ich koche dir einen richtig guten Kaffee.«

Nun hätte sie sich eigentlich schleunigst aus dem Staub machen sollen, aber irgendwie ging ihr dieser Mann unter die Haut. Sie zögerte einen Moment zu lange, und da war die Wärme seiner Berührung schon in sie eingedrungen. »Ohne Anfassen.« Was ebenso für sie galt wie für ihn.

Ein sanfter Druck in ihrem Nacken. »Sonst bist du doch immer diejenige, die mich unbedingt in die Finger kriegen will.«

»Und es wird der Tag kommen, an dem du mir nicht wieder durchschlüpfst.« Mit schönster Regelmäßigkeit brachte Janvier Engel gegen sich auf und landete so pausenlos auf der Jagdliste der Gilde. Aber das Schlimmste daran war: Jedes Mal, wenn Ashwini ihn schon so gut wie geschnappt hatte, versöhnte er sich mit demjenigen, den er zuvor beleidigt hatte. Beim letzten Mal hätte Ashwini ihn fast schon aus Prinzip erschossen.

Janvier lachte schallend, strich ihr mit dem Daumen spielerisch über den Nacken. »Eigentlich solltest du mir dankbar sein! Allein meinetwegen verdienst du zweimal im Jahr ein hübsches Sümmchen.«

»Das Sümmchen bekomme ich, weil ich gut bin«, erwiderte sie und wand sich aus seinem Griff. »Bist du bereit, dich mit mir zu unterhalten?«

Mit einer ausladenden Geste bat er: »Tritt ein in meine Höhle, Gildenjägerin!«

Normalerweise kehrte Ashwini niemals einem Vampir den Rücken zu, aber nach drei Jagden bestand zwischen Janvier und ihr eine Art stillschweigendes Abkommen. Sollte es jemals zu einem Kampf kommen, dann würden sie einander Auge in Auge gegenübertreten. Ihre Mitstreiter aus der Gilde mochten sie für naiv halten, weil sie einem Vampir traute, auf den sie schon Jagd gemacht hatte, aber Ashwini gab nichts auf die Meinung anderer und bildete sich immer selbst ein Urteil. Hinsichtlich Janviers Charakter gab sie sich keinen Illusionen hin: Er war gefährlich wie eine nackte Klinge. Aber er stammte auch aus einer Zeit, in der das Wort eines Mannes oft alles war, was er besaß. Diesen Ehrenkodex hatte ihm die Unsterblichkeit bislang noch nicht abgerungen.

Nun quetschte sie sich an ihm vorbei, wohl wissend, dass er sich ihr mit Absicht in den Weg stellte. Eigentlich hätte es ihr etwas ausmachen sollen. Das tat es aber nicht, und genau darin lag ihr Problem: Vampire waren tabu. Zwar verbot die Gilde solche Beziehungen nicht, und eine ganze Reihe befreundeter Jäger waren mit Vampiren liiert, aber Ashwini teilte in dieser Hinsicht Elenas Meinung. Elena hatte einmal gesagt, dass Menschen für Vampire nichts weiter seien als Spielzeuge, ein flüchtiger Zeitvertreib, bald probiert und genauso bald wieder vergessen. Schließlich waren sie selbst doch nahezu unsterblich.

Ashwini würde sich jedenfalls von keinem Mann – weder Mensch, Vampir noch Engel – so einfach zwischendurch vernaschen lassen. Wobei sich Engel prinzipiell nicht zu einer Beziehung mit einem Menschen herablassen würden. Menschen waren für die Herrscher der Welt nebensächlich.

»So habe ich mir deine Wohnung nicht vorgestellt«, sagte sie, als sie in das ausgebaute Loft trat. Es war lichtdurchflutet. Überhaupt schienen Sonne und Licht die Hauptgestaltungsmerkmale zu sein: In den leuchtend bunten indianischen Decken, die über dem erdfarbenen Sofa lagen, fanden sich die Orange- und Rottöne der untergehenden Sonne wieder, ebenso in den Navajo-Teppichen. Und an die Wände waren Wüstenlandschaften gemalt.

»Ich liebe den Bayou«, murmelte Janvier und ging hinüber in den Küchenbereich, »aber um seine Schönheit wirklich schätzen zu können, muss man sich manchmal ans andere Extrem halten.«

Mit sicheren, anmutigen Bewegungen machte er sich in der Küche zu schaffen, und Ashwini genoss seinen Anblick. Janvier mochte ja eine unerträgliche Nervensäge sein, die ihr das Leben schwer machte, aber zugleich war er auch gebaut wie ihr Traummann: groß und muskulös und sehnig wie ein Schwimmer oder Läufer. Mit seinen eins neunzig überragte er sie um einen guten Kopf, und es war ihm anzumerken, wie wohl er sich in seiner Haut fühlte.

Anderseits hatte er ja auch über zweihundert Jahre Zeit gehabt, an seinem selbstsicheren Gehabe zu feilen. »Sonnenlicht scheint dich ja nicht zu stören«, stellte sie mit Blick auf ein Oberlicht in der Dachschräge fest. Sein Bett stand direkt darunter, und da es nach acht Uhr morgens war, tanzten schon die ersten Sonnenstrahlen auf den zerknitterten Laken.

Sofort legte ihre Fantasie ihr ein detailliertes Bild von Janvier bereit, wie er sich in den Laken räkelte. Blut schoss ihr in die Ohren; beinahe verstand sie seine nächsten Worte nicht.

»Suchst du nach Schwächen, Jägerin?« Er reichte ihr eine kleine Tasse mit einer cremigen Flüssigkeit, die einen gänzlich ungewohnten Kaffeegeruch verströmte.

»Was ist das?« Argwöhnisch roch sie daran, dann lief ihr das Wasser im Munde zusammen. »Ja, klar! Dann stoße ich dich einfach in die Sonne und sehe zu, wie du verschmorst.«

Seine Lippen zuckten; die Oberlippe war schmal, aber die Unterlippe – zum Reinbeißen. »Dann würdest du mich bestimmt vermissen.«

»Das Alter macht dich senil.«

»Das ist übrigens Café au Lait mit einer Mischung aus Kaffee und Zichorie.« Sie nahm einen Schluck, und er deutete aufs Bett. »Ich liebe die Sonne. Für mich hätte das Vampirdasein überhaupt keinen Reiz, wenn ich den Rest meines Lebens im Dunkeln verbringen müsste.«

»Bei all den Vampiren, die bei helllichtem Tag unterwegs sind, sollte man doch meinen, dieses Gerücht würde allmählich aussterben, aber nein – es hält sich nach wie vor.« Ashwini sog das Kaffeearoma ein. »Schmeckt mir.«

»Passt zu dir.«

»Bitter und seltsam?«

»Köstlich und exotisch.« Er fuhr mit dem Finger über ihren nackten Arm. »Du hast so schöne Haut, Cher. Wie der Wüstensand im Licht der untergehenden Sonne.«

Sie trat einen Schritt zurück. »Zieh dir endlich ein Hemd an, und reiß deine Gedanken vom Bett los.«

»In deiner Gegenwart nicht möglich.«

»Stell dir vor, ich hätte eine Knarre auf dich gerichtet.«

Seufzend rieb sich Janvier über die Kinnstoppeln. »Ich steh drauf, wenn du schmutzige Sachen sagst.«

»Na, dann wird deine Welt gleich kopfstehen«, sagte sie und zwang sich, nicht weiter darüber nachzudenken, wie sich diese Stoppeln wohl auf ihrer bloßen Haut anfühlen würden. »Blut, Fehde, Entführung, Geisel.«

Interessiert sah er sie aus seinen moosgrünen Augen an. »Erzähl mir mehr darüber!« Er bedeutete ihr auf dem Bett Platz zu nehmen. »Tut mir leid, aber ich habe nicht mit solch erlesenem Besuch gerechnet.«

Ashwini stellte ihren Kaffee auf dem Küchentresen ab und kletterte auf einen der Barhocker. Janvier grinste und machte es sich auf dem Bett bequem. Auf die Hände gestützt lehnte er sich nach hinten, schlug die Beine, die in einer Bluejeans steckten, lässig übereinander. Sonnenstrahlen tanzten auf seinem dunkelbraunen Haar und ließen es hier und da kupfern leuchten, was sich schön zum Goldton seiner Haut ausnahm.

Vampire, die so alt waren wie Janvier, sahen durchweg gut aus, doch mit seinem Cajun-Charme konnte sich keiner messen. Zudem war Ashwini noch nie jemandem begegnet, der so schnell Freundschaften schloss, und genau aus diesem Grund war sie jetzt hier.

»In Atlanta gibt es Probleme.«

»Atlanta?« Er stutzte kurz. »Das Gebiet gehört den Beaumonts.«

Bingo. »Wie gut kennst du die Familie?«

»Gut genug. Die Beaumonts sind ein sehr altes Vampirgeschlecht, von denen gibt es nicht mehr viele.«

Von dem köstlichen Duft verführt, nahm Ashwini noch einen Schluck von Janviers starkem Kaffeegebräu. »Das leuchtet mir ein. Schließlich nehmen Engel bei der Auswahl der Kandidaten keine Rücksicht auf Familienbande.« Von den abertausend Menschen, die sich jedes Jahr um Unsterblichkeit bewarben, gelangte nur ein kleiner Kreis in die engere Auswahl.

»Die Beaumonts bilden eine Ausnahme«, setzte Janvier hinzu. »Bislang ist es ihnen gelungen, in jeder Generation einen Vampir hervorzubringen, diesmal sogar zwei.«

»Monique und Frédéric. Geschwister.«

Er nickte. »Und durch diese Erfolgsquote sind sie zu einem Machtzentrum angewachsen. Mit Monique und Frédéric zählen die Beaumonts bereits zehn lebende Vampire. Der Älteste ist ein halbes Jahrtausend alt.«

»Antoine Beaumont.«

»Halsabschneider«, sagte Janvier beinahe liebevoll. »Der würde selbst seine eigenen Kinder in die Sklaverei verkaufen, wenn er daraus Profit schlagen könnte.«

»Ein Freund von dir?«

»Ich habe ihm einmal das Leben gerettet.« Janvier hielt das Gesicht genießerisch in die Sonne. »Er schickt mir jedes Jahr eine Flasche seines besten Bordeaux – samt Angebot, seine Tochter Jean zu heiraten.« Wie sinnlich der Name klang, wenn er ihn französisch aussprach.

Ashwinis Finger krampften sich um die handbemalte Kaffeetasse. »Das arme Mädchen.«

Der Schalk blitzte ihm aus den Augen, als er sie ansah. »Ganz im Gegenteil! Jean ist ganz versessen darauf, mich zu heiraten. Im Winter hatte sie mich nach Aspen eingeladen. Ich sollte sie in ihrer traumhaften Skihütte warm halten.«

Ashwini wusste, dass er sie nur hochnahm. Und sie traute ihm ohne Weiteres zu, dass er sich die Geschichte eigens dafür ausgedacht hatte. »Wetten, dass deine Jean jetzt nicht gerade an Aspen denkt? Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wird sie im Moment nur Mord im Kopf haben.«

»Was ist geschehen?« Und wieder zeigte sich, wie blitzgescheit er war. Aus diesem Grund zog es Ashwini, trotz gegenteiliger Schwüre, immer wieder zu ihm hin.

»Was ist mit Monique? Jeans Ururururururururenkelin?«

Janvier überlegte einen Moment. »Vielleicht kommt noch ein ›ur‹ dazu, aber das spielt keine Rolle. Jean liebt das Mädchen abgöttisch. Und für Antoine sind Frédéric und Monique so etwas wie Enkelkinder.«

»Monique ist mit sechsundzwanzig bestimmt kein Kind mehr, und ihr Bruder ist schon dreißig«, sagte Ashwini.

»Für mich ist jeder unter hundert ein Kind.«

»Seltsam.«

»Dich habe ich dabei aber nicht im Sinn, Chérie.« In sein Lächeln mischte sich ein dunkler Zug. »Die Weisheit steht dir in die Augen geschrieben. Wenn ich nicht wüsste, dass du ein Mensch bist, würde ich glauben, dass du schon ebenso lange auf der Welt bist wie ich.«

Manchmal hatte sie ganz ähnliche Gedanken und Befürchtungen – doch diese Dämonen hatten hier im Moment nichts verloren. Sie schaute verlegen weg und sagte: »Monique ist entführt worden.«

»Wer wagt es nur, sich gegen die Beaumonts aufzulehnen?« Janvier wirkte schockiert. »Sie sind für sich genommen schon äußerst mächtig, zudem sind sie Günstlinge des Engels, der über Atlanta herrscht.«

»Das waren sie«, sagte sie und sah ihn erneut an. Sie genoss den Anblick seines Körpers im Sonnenlicht, und über diesen Kitzel vergaß sie sogar ihre Dämonen. »Doch irgendwie hat es dein Kumpel Antoine geschafft, Nazarach zu verstimmen.«

Antoine erhob sich, auf seiner Stirn stand eine tiefe Falte. »Trotzdem – sich mit Antoine anzulegen kommt einem Todesurteil gleich.«

»Der Foxkuss scheint das anders zu sehen.«

»Ein Kuss?« Kopfschüttelnd kam Janvier auf sie zu und legte eine Hand auf den Tresen. »Du meinst es wortwörtlich? Eine Gruppe von Vampiren hat sich zu einem gemeinsamen Ziel zusammengeschlossen?«

»Ja.«

»Von einem förmlichen Kuss unter Vampiren habe ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr gehört.«

»Ein Typ namens Callan Fox hat sich offenbar vorgenommen, dieses Ritual wieder aufleben zu lassen.« Ashwini konnte es nicht lassen, mit dem Finger über eine Narbe an seiner Brust, direkt über der linken Brustwarze, zu fahren. »Von mir hast du die aber nicht.«

»Wenn es so wäre, dann würde ich sie mit Stolz tragen«, murmelte er spielerisch.

»Zu schade, dass bei euch Vampiren immer alles so schnell verheilt.« Irgendetwas an dieser Narbe kam ihr vertraut vor und so strich sie unentwegt darüber. Bei jedem anderen wäre sie durch ihre Gabe – durch ihren Fluch – in dessen Vergangenheit gezerrt und ihr Geist von unliebsamen Erinnerungen überschüttet worden. Doch bei Janvier war alles anders. Bei ihm sah und hörte sie keine Geheimnisse und keine Albträume, spürte nur seine warme seidige Haut, die mit ihren Makeln umso anziehender wirkte.

»Ein Messer«, vermutete sie. »Hat dir ein Messer diese Narbe beigebracht?«

»So ähnlich. Ein Schwert.« Er umschloss ihr Handgelenk und führte ihre Hand an seine Lippen, küsste ihre Knöchel. »Wie lange willst du mich noch quälen, Ashwini?«

2

»Nur noch ein paar Jahrzehnte.« Ihr Magen krampfte sich zusammen. »Dann wird ein neuer Jäger an meine Stelle treten.«

Ashwini hatte mit einer witzigen Entgegnung gerechnet, doch Janvier verzog keine Miene, seine Gesichtszüge blieben vollkommen unbewegt. »Sprich nicht so leichtfertig von deinem Tod.«

»Da ich keinen hundertjährigen Vertrag mit einem Engel unterzeichnen werde, steht mir der Tod unvermeidlich bevor«, sagte sie; dabei presste sie immer noch eine Hand gegen seine Brust, die andere hielt er umklammert.

»Nichts ist unvermeidlich.« Er ließ ihre Hand los und zog an einer Strähne ihres offenen Haars; dabei sah er sie liebevoll an. »Aber über dein Menschsein unterhalten wir uns ein anderes Mal. Im Moment interessiert mich der Foxkuss.«

Aus der Hosentasche zog sie ihren superkleinen Computer, den ihr Ransom, ein befreundeter Jäger, zu Weihnachten geschenkt hatte. »Das ist Callan Fox.« Ashwini zeigte ihm das Foto eines hochgewachsenen, muskelbepackten Blonden. »Soweit ich weiß, ist er dieses Jahr zweihundert geworden.«

»Das Gesicht kommt mir bekannt vor.« Janvier legte die Stirn in Falten, als müsste er sich durch ganze Erinnerungsberge kämpfen. »Jetzt fällt’s mir wieder ein! Ich bin ihm an Nazarachs Hof begegnet, wo er seinen Vertrag abgeleistet hat. Die anderen Vampire dort haben ihn unterschätzt, hielten ihn für einfältig.«

»Und du?«

Er strich ihr leicht über den Arm. »Auf mich hat er eher intelligent und grausam gewirkt, zudem war er sehr ehrgeizig. Wundert mich nicht, dass Callan in diesem Alter schon einen Kuss zuwege gebracht hat. Was ist mit den anderen Mitgliedern? Orientieren sie sich an ihm?«

»Scheint so. Witzigerweise sind die anderen wenigstens dreihundert Jahre alt, und einer reicht sogar schon an die vierhundert heran.«

»Nicht jeder Vampir wird im Alter mächtiger.« Mit einem Fuß gegen ihren Hocker gestützt, blätterte er die Fotos der anderen Vampire aus dem Kuss durch. »Sieh mich an – ich bin immer noch so schwach wie ein Baby.«

»Hat der Spruch schon jemals gezogen?« Als er anfing durch ihre persönlichen Fotos zu blättern, nahm sie ihm ihr geliebtes Spielzeug weg.

Er schenkte ihr ein blitzendes Lächeln. »Du wärst überrascht, wie viele Frauen einen einsamen und traurigen Vampir trösten möchten. Wer ist der Junge auf dem Foto?«

Es zerriss ihr das Herz. Dieser Junge war mittlerweile ein Mann geworden und weigerte sich, in ihr mehr als ein Trugbild zu sehen. »Das geht dich nichts an.«

»Dein Schmerz sitzt tief.« Janvier legte ihr die Hand auf den Arm. »Wie kommst du damit nur klar, Cher?«

Schließlich war ihr ja nichts anderes übrig geblieben … selbst wenn sie es nie vergessen würde. »Willst du jetzt mehr über den Fall wissen oder nicht?«

»Eines Tages wirst du mir dein Geheimnis verraten.« Janvier kam ihr gefährlich nahe.

Liebend gerne hätte sie sich jetzt an ihn gelehnt und sich von ihm in die Arme nehmen lassen, doch diese Seite an ihr war so verschüttet, dass sie sie wohl nie zeigen würde. »Das würde dich nur langweilen.« Um ja nicht weiter in Versuchung zu geraten, schob sie ihn von sich und sprang vom Hocker. »Nazarach hat die Gilde eingeschaltet.«

Janviers Interesse war geweckt. »Normalerweise mischen sich Engel nicht in die Fehden höhergestellter Vampire.«

»Ich treffe ihn morgen früh.« Sie glitt an seinem Bein vorbei, das er gegen ihren Stuhl gestemmt hatte; selbst durch den dicken Jeansstoff waren die Muskeln in seinen Oberschenkeln deutlich auszumachen. »Spätestens dann werde ich wissen, warum.«

Aus Janviers Gesicht war nun jegliche Liebenswürdigkeit gewichen, stattdessen trat nun seine wahre wilde Natur zutage. »Du wirst dich nicht allein mit ihm treffen.« Das war ein Befehl.

Ashwini wurde neugierig. Janvier übte so gut wie nie Druck aus, wo er genauso gut mit Worten überzeugen konnte. »Sein Ruf eilt ihm voraus.« Nie würde sie sich unvorbereitet auf die Jagd begeben, denn das kam einem Todesurteil gleich. Besonders wenn man es mit einem Engel wie Nazarach zu tun hatte, von dem man sich hinter vorgehaltener Hand nur das Schrecklichste erzählte. »Ich bin nicht sein Typ.«

»Da täuschst du dich. Nazarach hat schon immer ein Auge auf die gehabt, die besonders und unerreichbar sind.« Sogleich machte er sich an seinem Schrank zu schaffen und bot ihr seinen geschmeidigen, muskulösen Rücken dar. »Ich ziehe mich nur rasch um und packe ein paar Sachen zusammen.«

»Ich brauche keinen Leibwächter.«

»Wenn du jetzt allein gehst, werde ich dich einfach verfolgen.« Unbarmherzig blickten seine moosgrünen Augen sie an. »Wenn du mich mitnimmst, ist es viel leichter.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Wenn du unbedingt deine Zeit verschwenden willst, bitte.«

Einen Moment lang betrachtete er sie, und sein Verstand gewann Oberhand über sein leidenschaftliches Temperament. »Du wolltest mich die ganze Zeit über mitnehmen«, sagte er endlich. »Jetzt spielst du mit mir. Du solltest dich schämen, Ashwini!«

Wie hatte er sie nur durchschaut? »Laut Gilde ist er leicht reizbar«, räumte sie ein. »Ich habe mir gedacht … da du doch alle Beteiligten kennst, könntest du mir unauffällig Zugang in ihre Welt verschaffen.«

»Also benutzt du mich einfach.« Er zog sich ein weißes T-Shirt über. Wie gerne hätte sie seinen Körper erkundet, ihn mit Händen und Lippen liebkost! Bei ihm wäre sie nicht auf Geister und Echos der Vergangenheit gestoßen, sondern nur auf den verstörend schönen Vampir selbst. »Vielleicht verlange ich eine Entschädigung.«

»Du bekommst die Hälfte von meinem Lohn.« Das war schließlich nur fair, denn mit Janviers Hilfe würde sie viel schneller an Callan Fox herankommen.

»Ich brauche kein Geld, Cher.« Er zog eine Reisetasche hervor und begann mit beinahe militärischer Präzision zu packen. »Wenn ich mitkomme, schuldest du mir einen Gefallen.«

»Dich nicht zu jagen?« Sogleich schüttelte sie den Kopf. »Das kann ich dir nicht versprechen. Dann nimmt mir die Gilde meine Marke weg.«

Er winkte ab, dabei sah er sie mit diesem sündigen Lächeln an, das er eigens für sie reserviert zu haben schien. »Non, das wird ein Gefallen sein, der nur Ashwini und Janvier angeht. Ein sehr persönlicher Gefallen.«

Vernünftige Menschen hätten spätestens jetzt das Weite gesucht, aber mit Vernunft war es noch nie gut um sie bestellt. »Abgemacht.«

Nazarach regierte Atlanta von einem eleganten Kolonialhaus aus, das für die Bedürfnisse von Engeln umgebaut worden war. »Typisch Südstaaten«, murmelte Ashwini, als sie in einer eleganten Limousine die Auffahrt entlangglitten. »Das hätte ich irgendwie nicht erwartet.«

Janvier streckte seine langen Beine so gut es ging aus. »Du bist den Erzengelturm gewöhnt.«

»Der lässt sich auch schwerlich ausblenden, immerhin bestimmt er das Stadtbild von Manhattan.« Raphaels Turm, von dem aus der Erzengel über ganz Nordamerika herrschte, war inzwischen zum Symbol für New York geworden. »Hast du ihn schon einmal bei Nacht gesehen? Wie ein Lichtschwert sticht er in den Himmel.« Schönheit und Grausamkeit in einem.

»Ein oder zwei Mal«, erwiderte Janvier. »Mit Raphael hatte ich noch nie zu tun. Du etwa?«

Sie schüttelte den Kopf. »Er soll ein Furcht einflößender Kotzbrocken sein.«

Im Rückspiegel fingen sie den Blick des Vampirs auf, der sie fuhr. »Das ist noch geschmeichelt.«

Interessiert lehnte sich Janvier vor. »Sind Sie ihm schon persönlich begegnet?«

»Vor sechs Monaten kam er nach Atlanta, um sich mit meinem Meister zu beraten.« Über die Arme des Vampirs wanderte eine Gänsehaut. »Ich habe immer geglaubt, ich wüsste, wie sich Macht anfühlt. Von wegen.«

Und das aus dem Mund eines Vampirs, der nicht erst seit gestern auf der Welt war! Zum Glück hatte Ashwini »nur« mit einem Engel der mittleren Führungsriege zu tun. »Was für riesige Fenster!«, sagte sie. Der Anblick des zeitlos eleganten Kolonialhauses zog sie ganz in den Bann. »Da kann man aber leicht herausfallen.«

Janvier legte seinen Arm auf ihre Rückenlehne. »Engel können fliegen.«

»Janvier!«

Er grinste. »Würdest du gerne einmal fliegen?«

Sie dachte an ihre Albträume, an das Gefühl, unaufhaltsam in die Tiefe zu stürzen. »Nein. Ich habe lieber festen Boden unter den Füßen.«

»Du überraschst mich, Cher! Ich weiß doch, wie gerne du von Brücken springst.«

»Da bin ich ja auch mit einem Bungee-Seil gesichert.«

»Das ist natürlich etwas ganz anderes.«

Bevor sie etwas entgegnen konnte, hielten sie auch schon und stiegen aus. »Und was ist mit dir?«, fragte sie und sah ihn von der Seite an, wie er lässig und sexy neben ihr auf den großzügigen Eingang zuschritt. »Würdest du gerne fliegen?«

»Ich bin im Bayou geboren. Gehöre zur ersten Generation, die hier in Louisiana zur Welt kam.« Er steckte die Hände in die Taschen und fuhr im Singsang seiner Heimat fort: »Mir ist das Wasser in die Wiege gelegt, nicht die Luft.«

»Die geborenen Jäger verabscheuen das Wasser.« Das war kein Geheimnis, jedenfalls nicht für Vampire von Janviers Kaliber.

»Aber du gehörst doch gar nicht zu diesen Bluthunden«, gab er zu bedenken. »Du verlässt dich als Spurenleser doch auf deine Augen.«

»Aber wir hassen das Wasser ebenso.« Nun fauchte sie ihn geradezu an. »Wasser zerstört nämlich die Fährte.«

»Nun mal halblang«, grinste er gelassen. »Ich habe dich durch den Bayou gelockt, Süße. Überall feuchter Boden – viele Spuren für einen Fährtenleser.«

»Am Ende hatte ich schon Schimmelpilze zwischen den Zehen.«

»Nun bin ich schon eifersüchtig auf Schimmelpilze! Siehst du denn nicht, was du mir antust?« Er neckte sie, dabei brannte sein Blick wie Feuer auf ihrer Haut.

Ihr Unterleib krampfte sich zusammen. Er sah sie an, als gehörte sie ihm bereits. »Wenn du mich noch einmal in diesem Feuchtbiotop auf die Jagd schickst«, entgegnete sie mit rauer Stimme, »dann wirst du den verdammten Schimmel schlucken!«

Janvier lachte noch immer, als sie die letzten Stufen zum Haus erklommen, wo ihnen eine kleine, runzelige Frau öffnete. Dass sie ein Mensch war, war unbestreitbar, denn die Engel akzeptierten nur Kandidaten zwischen fünfundzwanzig und vierzig. Und wer einmal geschaffen war, der alterte nicht mehr – wurde mit den Jahren nur noch schöner.

Doch im Gesicht dieser Frau spiegelte sich eine Schönheit ganz anderer Art: Das Leben hatte seine Spuren darin hinterlassen, und ihr war anzusehen, dass sie es in vollen Zügen genossen hatte. Es immer noch tat, dachte Ashwini, als sie die strahlend blauen Augen der Alten bei Janviers Anblick aufleuchten sah. »Der Meister erwartet Sie im Wohnzimmer.«

»Würden Sie uns bitte dorthin geleiten, Liebes?«

Die alte Frau errötete. »Aber gerne doch. Bitte folgen Sie mir.«

Auf dem Weg stieß Ashwini Janvier den Ellbogen in die Seite. »Hast du denn gar kein Schamgefühl?«

»Überhaupt keins.«

Im nächsten Augenblick traten sie auch schon durch breite Türen, durch die selbst Engelsflügel hindurchpassten. Im Augenwinkel registrierte Ashwini, wie sich die alte Dame entfernte, ihr Hauptaugenmerk aber galt nun Nazarach.

Wenn er nur als Engel der mittleren Führungsetage galt, dann war sie heilfroh, bislang noch nie einem Erzengel begegnet zu sein.

Der Engel von Atlanta war ungefähr genauso groß wie Janvier. Seine Haut war von einem glänzenden Schwarz, und seine bernsteinfarbenen Augen stachen so deutlich hervor, als wären sie von innen erleuchtet. Natürlich war das nur eine Illusion, der Lichteffekt verdankte sich seiner Macht, der Macht eines Unsterblichen. Wie ein schillernder Film schien diese unglaubliche Kraft seine Augen, seine Haut und vor allem seine prächtigen Flügel zu überziehen.

»Meine Flügel gefallen Ihnen«, sagte der Engel, und in seiner tiefen Bassstimme schwang gleich ein ganzer Chor von Stimmen mit, von denen sie nichts wissen und die sie auch nicht hören wollte.

»Man kann nicht umhin, sie zu bewundern.« Mit eiserner Willenskraft hielt sie den Chor der Geisterstimmen auf Abstand. »Sie sind atemberaubend.« Nazarachs Flügel hatten die Farbe von poliertem Bernstein und waren ausnehmend schön geformt, jede einzelne Feder war ein Kunstwerk an sich. Ashwini fiel es schwer, nicht an eine Sinnestäuschung zu glauben. Im Flug sah er wahrscheinlich aus wie ein glitzernder Splitter der Sonne selbst.

Nazarach schenkte ihr ein Lächeln, das womöglich herzlich gemeint war, doch entbehrte es jeder Menschlichkeit. »Genauso wenig kann man umhin, Ihre Schönheit zu bewundern, Gildenjägerin.«

Die winzigen Härchen in ihrem Nacken stellten sich warnend auf. »Ich bin hier, um meine Arbeit zu erledigen. Wenn Sie Spielchen spielen wollen, dann haben Sie die Falsche ausgesucht.«

Noch ehe Nazarach auf diese unverschämte Erwiderung reagieren konnte, trat Janvier vor. »Ashblade«, sagte er schnell und verwendete den Spitznamen, den er ihr verpasst hatte, »ist eine der besten Jägerinnen. Allerdings hält sie sich nicht gerne an Regeln.«

»So, so!« Nazarach wandte sich nun Janvier zu. »Du lebst also immer noch, Cajun?«

»Ja, trotz Ashs gegenteiliger Bemühungen.«

Das schreckliche Lachen des Engels hallte von den Wänden wider, kroch ihr unter die Haut. Alter und Tod, Erregung und Schmerz lagen darin, ließen Vergangenes aufsteigen. Die Erinnerungen zerschmetterten Ashwini beinahe, schnürten ihr die Kehle zu; die furchtbare Hölle ihrer Kindheit, vor der sie schon ein Leben lang davonlief, drohte, sie ein für alle Mal zu verschlingen.

3

Doch diesmal war die Angst ihre Rettung. Die Furcht, für immer in ihrem eigenen Kopf eingesperrt zu sein, gab ihr die Kraft, gegen den Sog der Vergangenheit zu kämpfen und in die Gegenwart zurückzukehren. Als sich das Rauschen in ihren Ohren wieder gelegt hatte, hörte sie Nazarach sagen: »Vielleicht bitte ich dich zurück an meinen Hof, Janvier.«

Janvier verneigte sich würdevoll, und einen Augenblick lang sah Ashwini ihn in Kleidern aus längst vergangenen Tagen vor sich, ein Fremder, der bei politischen Ränken ebenso virtuos mitmischte wie beim Kartenspiel. Sie ballte die Fäuste, doch im nächsten Moment ließ er schon wieder sein vertrautes Lachen erklingen. »Als Höfling habe ich nie richtig getaugt.«

»Dafür konnte man mit dir immer die interessantesten Gespräche führen.« Der Engel trat an einen glänzenden Mahagonitisch, die Flügel nah am Körper gefaltet. »Du bist der Jägerin behilflich?«

Ashwini überließ das Reden lieber Janvier. Derweil beobachtete sie Nazarach, spürte seine Macht wie Peitschenhiebe – eine Peitsche gespickt mit Glassplittern.

»Die Geschichte mit dem Kuss fasziniert mich.« Janvier zögerte. »Aber mit Verlaub gesagt – irgendwie scheint mir der Streit zwischen Antoine und Callan deiner nicht würdig.«

Nazarachs Mienenspiel erstarb. In seinem Gesicht stand mit einem Mal jene Ausdruckslosigkeit, wie man sie nur bei den wahrhaft Alten sah. »Antoine ist zu weit gegangen! Mit seinem Verhalten stellt er meine Autorität in Frage.«

»Dann hat er sich verändert«, erwiderte Janvier kopfschüttelnd. »Der Antoine, den ich kenne, ist zwar ehrgeizig, aber er weiß um seine Grenzen. Und vor allem hängt er am Leben.«

»Daran ist diese Frau schuld. Simone.« Der Engel reichte Ashwini eine Fotografie, dabei verweilten seine bernsteinfarbenen Augen einen Tick zu lange auf ihr. »Sie ist kaum drei Jahrhunderte alt und wickelt Antoine schon um den kleinen Finger.«

»Warum ist sie dann noch am Leben?«, fragte Ashwini unverblümt. Als Engel war Nazarach selbst das Gesetz, und kein Gericht der Welt würde ihn zur Rechenschaft ziehen, wenn er einen seiner geschaffenen Vampire eliminierte.

Nazarach stellte seine Flügel leicht aus, klappte sie dann wieder zusammen. »Offenbar liebt Antoine sie.«

Ashwini nickte. »Wenn Sie Simone töten, dann wendet er sich gegen Sie.« Und dann würde auch Antoine dran glauben müssen. Engel waren nicht gerade für ihre Mildtätigkeit bekannt.

»Nach siebenhundert Jahren verliere ich nur äußerst ungern einen der wenigen, die ich aufrichtig schätze – seine jüngsten Verfehlungen ausgenommen.«

Ashwini gab ihm das Foto der glutvollen Brünetten zurück und zwang sich, seinen Blick zu erwidern. In den bernsteinfarbenen Augen des Engels ballten sich die Schreie Unzähliger. »Wie hängt das mit der Entführung zusammen?«, fragte sie und kämpfte mit aller Macht gegen die Albträume an.

»Ich habe ein Interesse an Callan Fox, und möchte ihn nicht so schnell tot sehen. Antoine aber würde den Jungen umbringen, um seine Enkeltochter zu befreien. Holt mir Monique da raus und bringt sie mir.«

»Wir sollen Ihnen eine Geisel bringen, damit Sie sie dann gegen Antoine einsetzen können?« Ashwini schüttelte den Kopf und empfand Erleichterung. »Die Gilde mischt sich nicht in politische Zwistigkeiten.«

»Unter Engeln«, korrigierte Nazarach. »Dies ist aber ein Streit zwischen einem Engel und seinen untergebenen Vampiren.«

Ashwini konnte den Blick nicht von seinen strahlend bernsteinfarbenen Flügeln lassen. Ihr wollte es irgendwie nicht in den Kopf, wie solche Schönheit Seite an Seite mit der unmenschlichen Dunkelheit in Nazarachs Seele existieren konnte. »Selbst dann«, sagte sie. »Wenn Sie Monique haben wollen, brauchen Sie doch bloß zu fragen. Callan wird sie Ihnen ohne Weiteres aushändigen.« Der Anführer des Kusses mochte es vielleicht mit Antoine Beaumont aufnehmen, aber nur ein sehr dummer Vampir würde sich gegen einen Engel stellen. Und dumm war dieser Callan Fox beileibe nicht. »Sie brauchen mich gar nicht.«

Nazarach schenkte ihr ein unergründliches Lächeln. »Sie werden meinen Namen Callan gegenüber nicht erwähnen! Und was den Rest angeht, so hat die Gilde den Bedingungen bereits zugestimmt.«

Ashwini fragte sich, ob er auch noch so unglaublich gut aussah, wenn er einem die Luft abschnürte. »Nichts für ungut«, sagte sie, »aber ich muss mich bei meiner Direktorin rückversichern.«

»Nur zu, Gildenjägerin!« Obgleich er ihr die Erlaubnis erteilte, las sie in seinen Augen keine Gnade, nur den Tod.

Sie zog sich für den Anruf fast bis in den Flur zurück, dennoch konnte sie hören, wie Janvier und Nazarach sich leise über längst vergangene Zeiten unterhielten. Die Schatten der Vergangenheit klebten an Nazarach, Janvier hingegen war frei davon.

Engel und Vampir. Beide waren unsterblich, und beide waren sie anziehend, wenngleich auf sehr unterschiedliche Weise. Nazarach hatte die Zeit geradezu vollkommen gemacht, er war perfekt, tödlich und jenseits aller Menschlichkeit. Bei Janvier hingegen traf Erde auf Blut. Er war wild und mordsgefährlich … und gehörte trotz allem immer noch in diese Welt.

»Ashwini?«, drang Saras vertraute Stimme an ihr Ohr. »Was gibt’s?«

Sie legte Sara Nazarachs Anweisungen dar. »Ist das von der Gilde abgesegnet?«

»Ja«, seufzte die Direktorin der Gilde. »Ich wünschte, wir hätten uns aus diesem Zwist heraushalten können, aber da war nichts zu machen.«

»Er treibt sein Spiel mit uns.«

»Nazarach ist ein Engel«, sagte Sara, und damit erübrigten sich alle weiteren Fragen. »Offiziell verletzt Monique ihren Vertrag, also hat Nazarach das Recht, alles und jeden auszusenden, um sie zurückzuholen, auch wenn er das Verfahren mit einem einzigen Anruf abkürzen könnte.«

»Verdammt!« Ashwini liebte die Gefahr, aber wenn Engel im Spiel waren, war der Grat sehr schmal – und nur allzu oft äußerst blutig. »Gibst du mir Rückendeckung?«

»Jederzeit!« Sara klang entschlossen. »Kenji und Baden sind in Bereitschaft – in weniger als einer Stunde haben wir dich da rausgeholt. Gib uns ein Zeichen.«

»Danke, Sara.«

»Hey, ohne dich hätten wir doch sonst bei der Arbeit nichts mehr zu lachen.« Ihr Schmunzeln war durch die Leitung zu hören. »Für den Cajun ist kein neuer Jagdauftrag hereingekommen. Dachte, das interessiert dich vielleicht.«

»Ja.« Ashwini verabschiedete sich schnell und war froh, dass Sara nicht wusste, in wessen Gesellschaft sie sich gerade befand.

Genau in diesem Moment drehte sich Janvier um, als würde er spüren, dass es um ihn ging. Ashwini verscheuchte alle unliebsamen Gedanken und ging zurück. »Haben Sie eine Vermutung, wo Callan Monique gefangen halten könnte?«

Nazarachs Blick wanderte zu ihrem Mund. Am liebsten hätte sie jetzt die Beine in die Hand genommen. Denn trotz seiner Schönheit hatte sie das ungute Gefühl, seine Vorstellung von Lust würde unerträgliches Leid für sie bedeuten.

»Nein«, sagte er schließlich und sah ihr wieder in die Augen. »Aber morgen Abend wird er bei der Fisherman’s Daughter sein.« In seinen Augen glomm die Macht. »Heute Abend sind Sie meine Gäste.«

Ihr gefror das Blut in den Adern, und nicht einmal die Hitze Georgias vermochte, sie zu wärmen.

Ashwini verbrachte die Nacht schlaflos auf dem Balkon ihrer Gäste-Suite. Ein Zelt im Garten oder ein Obdachlosenheim wären ihr lieber gewesen als dieses prunkvolle Heim, in dessen schrecklichen Gemäuern sie kein Auge zutat. »Wie viele Menschen hat Nazarach wohl auf dem Gewissen, was meinst du?« Normalerweise spürte sie diese Dinge durch bloßes Anfassen, aber dieser Ort war so durchsetzt von blutigen Erinnerungen, dass durch ihren Kopf nur ein endloses Echo hallte.

»Tausende.« Janvier lehnte an der Wand neben der Chaiselongue, auf der sie saß. »Als Herrscher können es sich die Engel nicht erlauben, barmherzig zu sein.«

Ashwini hielt ihr Gesicht in die nächtliche Brise. »Und trotzdem sehen einige in ihnen Götterboten.«

»So sind sie eben. Niemand kann gegen seine Natur. Auch ich nicht.« Er wandte sich ihr zu und stützte sich mit den Händen auf den polierten Holzarm der Couch. »Ich brauche Blut, Cher.«

Sie verspürte einen unerwarteten Stich in ihrer Brust, doch sie riss sich zusammen. »Ich vermute mal, dass du hier mit der Versorgung keine Probleme haben wirst.«

»Ich kann mit meinem Biss Lust bescheren. Und es gibt genügend, die darauf stehen.« Mit dem Finger fuhr er über eine Narbe an ihrer Halsschlagader. »Wer hat dich hier markiert?«, fragte er mit rauer Stimme.

»Ist auf meiner ersten Jagd passiert. Ich war jung und unerfahren. Der Vampir war mir so nahe, er hätte mir die Kehle rausreißen können.« Unerwähnt ließ Ashwini allerdings, dass sie ihn hatte so nahe herankommen lassen, den Tod spüren wollte. Bis zu jenem Moment, in dem ihr Blut die Luft schwängerte, hatte sie geglaubt, sie wollte sterben, um die Stimmen für immer zum Schweigen zu bringen. »Er hat mich gelehrt, das Leben zu schätzen.«

»Ich werde Nazarach bitten«, sagte Janvier nach einer ganzen Weile, »auf die Blutreserven zurückgreifen zu dürfen, die er für seine Vampire bereithält.«

Sie spürte, dass er etwas zurückhielt. »Warum sagst du mir nicht, was los ist?«

»Nazarach will, dass ich dich allein lasse.« Janviers Atem strich ihr zärtlich über die Haut. »Ansonsten hätte er mir schon längst etwas gebracht. Ich soll auf die Jagd gehen.«

Bei dem Gedanken, was Nazarach mit ihr vorhaben könnte, lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter. »Du ziehst seinen Zorn auf dich?«

»Er hat mich zu gern, um mich wegen solch einer geringfügigen Verfehlung zu töten.« Noch immer verharrte er reglos. »Was haben all diese Schatten in deinen Augen zu bedeuten, Ashwini?«

Sie erschreckte jedes Mal, wenn er sie mit ihrem richtigen Namen ansprach, als würde das ein unsichtbares Band zwischen ihnen knüpfen. »Und warum sehe ich so viele Geheimnisse in deinen?«

»Schließlich habe ich schon über zweihundert Jahre gelebt«, flüsterte er mit einer Stimme, die so berauschend war wie die nach Magnolien duftende Nacht. »Ich bin nicht immer stolz auf das, was ich getan habe.«

»Irgendwie überrascht mich das nicht.«

Stille. Kein Lächeln kam über seine Lippen, er hatte sogar aufgehört zu atmen. »Sprich mit mir!«

»Nein.« Noch nicht.

»Ich bin sehr geduldig.«

»Das wird sich zeigen.« Noch bevor sie den Satz vollendet hatte, wurde ihr klar, dass sie ihn damit herausforderte.

Er beugte sich so nah zu ihr, dass ihre Lippen sich fast berührten. Sein Atem brannte heiß, seine Augen funkelten. »Ja, das wird es.«

Ashwini duschte eiskalt. »Brrr!« Nachdem sie ihr Verlangen mit dem kalten Wasser zur Genüge gedämpft hatte, stellte sie auf heiß.

Zischend traf das kochend heiße Wasser auf ihre Haut; sie sollte endlich einmal ernsthaft darüber nachdenken, warum sie mit einem Vampir flirtete, der ungeachtet seines Charmes so tödlich war wie ein Stilett. Aber die meisten ihrer Freundinnen hielten sie ohnehin für ein verrücktes Huhn. Wozu die Erwartungen enttäuschen? Sie gab nichts auf eine wohlgeordnete Existenz – schließlich hatte sie es neunzehn Jahre lang damit versucht und beinahe mit dem Leben dafür bezahlt, von ihrem Seelenzustand ganz zu schweigen.

Erinnerungen stiegen in ihr auf. Auf einmal befand sie sich wieder in diesem ganz in Weiß gehaltenen Zimmer, die Gurte schnitten ins Fleisch. Der Geruch von Desinfektionsmittel, das leise Knarzen der gummibesohlten Schuhe … und vor allem die Schreie; Schreie, die nur sie allein hörte. Später beratschlagten sie über ihren Zustand, als wären sie Götter.

»Die Medikamente halten sie bei klarem Verstand.«

»Aber wird sie die Tabletten auch weiter nehmen, wenn wir sie entlassen?«

»Ihr Bruder, Dr. Taj, bürgt für sie. Er ist ein angesehener Arzt.«

»Ashwini, hörst du uns? Wir müssen dir ein paar Fragen stellen.«

Damals hatte sie alle Fragen beantwortet – wunschgemäß beantwortet. Also hatte man sie gehen lassen. Seitdem hatte sie nie wieder versucht, »normal« zu wirken. »Nie wieder«, flüsterte sie.

Und das Beste daran war, das es trotzdem Menschen gab, die sie mochten.

Sie ballte die Fäuste. Ihr Bruder hatte nur die Schwester zurückhaben wollen, die er bis dato gekannt hatte, den leuchtenden Stern am Firmament, der ebenso hell strahlte wie er selbst. Wen kümmerte es schon, dass dieser Stern sich nur verzweifelt oben hielt und jeden Tag ein kleines bisschen mehr starb?

Das heiße Wasser holte sie in die Wirklichkeit zurück. Seufzend stellte sie die Dusche ab und rubbelte sich mit dem pfirsichfarbenen Handtuch trocken, das perfekt auf die übrige Badezimmereinrichtung abgestimmt war. Jeder andere hätte nun wahrscheinlich nach dem farblich passenden Bademantel an der Tür gegriffen, doch Ashwini war eine Jägerin. Und in der Gilde tolerierte man Paranoia nicht nur, man förderte sie.

Das war auch gut so. Denn als sie barfuß, aber ansonsten bekleidet und mit einer verdeckten Pistole im Kreuz, aus dem Badezimmer trat, wartete bereits das gefährlichste Wesen Atlantas auf sie.

»Nazarach.« Sie blieb in der Tür stehen. »Mit Ihnen habe ich ja nun gar nicht gerechnet.«

Der Engel trat auf den Balkon hinaus. »Kommen Sie!«

Sich ihm zu widersetzen käme einem Selbstmord gleich, also folgte sie ihm in die sommerliche Nachtluft, die schwer war von den Blumendüften ringsum. »Janvier?«

»Ich kenne seine Vorlieben.«

Ashwinis Hände krampften sich um die Brüstung, die einzig als Geste der Höflichkeit gegenüber Besuchern gedacht war. »Warum bin ich hier?« Und warum zum Teufel sind Sie hier?

Nazarach stützte sich mit den Ellenbogen auf die Brüstung; seine Flügel waren auch zusammengefaltet wunderschön. »Ich habe extra Sie für diese Jagd angefordert. Können Sie sich vorstellen, warum?«

»Ich habe bereits mehrfach Geiseln aufgespürt.« Zumeist hatte es sich um Vampirhasser gehandelt, die den Unsterblichen die Sünde mittels Folter austreiben wollten. »Ich wollte mich jetzt eigentlich noch ein wenig um Moniques Vorgeschichte kümmern.«

»Das brauchen Sie nicht. Monique wird am Leben bleiben, bis Callan bekommt, was er will.«

»Sie scheinen sich ja sehr sicher zu sein.«

Nazarach lächelte. Es war ein altes Lächeln, und die Schatten der Toten, die darin lagen, quälten Ashwinis Sinne mit rasiermesserscharfen Dornen.

»Callan ist nicht auf den Kopf gefallen«, bemerkte er. »Er weiß genau, dass Antoine ihn umbringt, wenn Monique etwas geschieht. Solange Antoine am Leben ist, wird also auch Monique in Sicherheit sein.«

»Sie könnten dieser Fehde ein Ende bereiten.« Ashwini konzentrierte sich auf ihren Atem. »Sie bräuchten bloß für einen der beiden Partei ergreifen.«

»Jeder muss sich entwickeln. Antoine ist zu mächtig geworden. Vielleicht ist es an der Zeit, dass er das Zepter an Callan weiterreicht.«

»Ich dachte, Sie hätten Antoine gern?«

»Ich bin ein Engel. Wenn wir jemanden gernhaben, ist das nur die eine Seite der Medaille.« Als er sich zu ihr umdrehte, las sie in seiner Ausdruckslosigkeit den Tod. »Ich habe nach Ihnen verlangt, weil Sie vor einem Jahr das Blut eines Engels vergossen haben, der Sie zu seiner Gespielin machen wollte.«

4

Ihre Kehle war wie zugeschnürt. »Er war jung und dumm – es war nicht weiter schwer, ihn für eine Weile außer Gefecht zu setzen.«

»Sie haben ihn mit sieben Armbrustbolzen durch die Flügel an eine Wand gepinnt.«

Nun war ihr alles egal. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und fragte: »War er ein Verwandter von Ihnen?«

»Und wenn schon! Ich ertrage Dummheit nicht. Und Egan ist für seine ordentlich bestraft worden.«

Ashwini wollte lieber nicht so genau wissen, was Nazarach mit dem schmächtigen Engel angestellt hatte, der sie zu seiner Mätresse auserkoren hatte. Doch schließlich konnte sie sich eine Frage nicht verkneifen: »Warum haben Sie ihn bestraft? Weil er hinter einer Jägerin her war … oder weil er versagt hat?«

Wieder lächelte er sie kalt an. »Fragen Sie Egan doch selbst! Seine Zunge sollte inzwischen nachgewachsen sein.« Er straffte sich und hielt ihr seine Hand hin. »Fliegen Sie mit mir, Ashwini.«

Obgleich er noch einen halben Meter entfernt von ihr stand, fühlte es sich an, als würde er sie mit tausenden von Seilen strangulieren. »Ich kann Sie nicht berühren.«

In seinen Augen stand ihr Tod. »Bin ich Ihnen so zuwider?«

»In Ihnen steckt zu viel«, flüsterte sie und rang nach Luft. »Zu viele Lebensjahre, zu viele Erinnerungen, zu viele Geister.«

Er ließ die Hand sinken und sah sie interessiert an. »Sie haben die Gabe der Kassandra.«

Wie altertümlich er sich ausdrückte! Andererseits hatte Nazarach ja auch Reiche auferstehen und Könige stürzen sehen. »So könnte man es nennen.« Sie trat einen Schritt zurück, bekam kaum noch Luft.