Mein Pferd ... und ich - Martina Meier - E-Book

Mein Pferd ... und ich E-Book

Martina Meier

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Seelenverwandtschaft existiert Vor mir der Beweis. Dieses Pferd, mein bester Freund, So treu und loyal. Wir sind unzertrennlich Für immer und in alle Ewigkeit. (Beatrice Dosch) Ein Sprichwort besagt, dass das Glück der Erde auf dem Rücken der Pferde liegt. Doch ist das so? Wie steht es um die Freiheit auf vier Hufen? Wir haben Geschichten über Pferde und Ponys zusammengestellt – von Menschen, die wahre Pferdefreunde sind. Aber lesen Sie selbst, was Pferde ihnen bedeuten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



o

Mein Pferd ... und ich

Martina Meier (Hrsg.)

o

Impressum

Besuchen Sie uns im Internet: www.papierfresserchen.de

Herausgegeben von CAT creativ - www.cat-creativ.at

Lektorat und Gestaltung im Auftrag von

© 2022 – Papierfresserchens MTM-Verlag

Mühlstraße 10 – 88085 Langenargen

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Erstauflage 2022

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Coverbild: © EK_KO mehr Himmel – Adobe Stock lizenziert

ISBN: 978-3-99051-071-1 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-99051-084-1 - E-Book

*

Inhalt

Max und Moritz

Miss Ellie

Seelenpferde

Der Ausritt

Seelenverwandt

Der P.R.E. und der Fellwechsel

Wattfahrten

Wild und ungezähmt

Lenas dummes Schicksal

Tida und Tilly

Entzwillingt

Ein lebender Gott

Die diebische Elster

Protokoll eines Missverständnisses

Erinnerung an Maj

Herzensgalopp

Mafalda, der Engel auf vier Hufen

Sonnig mit Wehmut

Für Lisa – alles Gute

Wie eine Prinzessin

Ylva und Pegasus

Rettung in letzter Minute

Sternenstaub und Normtabellen

Als du kamst

Brief an mein kleines, ungestümes Pferdchen

Das Pony aus der Pferdezeitschrift

Glück im Huf

Aufregung um Jaro

Kaltblut, kraftvoll und schön

Klara und Liesa

Die Reise für Pferde

Angstteufel und Mutengel

Sturz

Joker of the game

Lehrmeisterin des Herzens

Sein wie du

Henry

Mein Freund, das Islandpferd

Ein Schwarzer mehr

Aus den Schatten

Olga, Holger und die Mondreiter

Gelbe Ungeheuer

Max’ Klassenfahrt zum Gruber-Ponyhof

Der letzte Ausritt

Peter Pony erzählt

Pferde-Momente

Eine Denkpause mit Pferd

Wie ich beinahe Besitzer eines Pegasus wurde

Smartie und das Glück der Erde ...

Freunde

Der Möhrenmopser

Ein Freund fürs Leben

Kein Traumpferd – Cashmaker

Die Tat mit der Pferdetarte

Was Pferde über die Liebe wissen

Galliera – Erinnerungen an ein Rennpferd

Ein Geburtstagswunsch

Ylva

Frei auf vier Hufen

Lilli und Lotti

Pferdefänger in Sicht!

Die Legende

Peanut, das Pferd

Mein Pferd und ich

Wild und frei

Maries größter Wunsch

Romina und ich

Fruchtzwergs Abenteuer

Ein Pony kommt unverhofft

Das verschwundene Pferd

Sunny, das Pony im Regen

Konrad, der Ritter, und sein Pferd

Stella

Dreamer

Pferdeliebe

Reiterferien mit Jesi

Wünsch dich in Wunder-Weihnachtsland

Buchtipp

*

Max und Moritz

Nein, gemeint sind nicht die Lausbuben von Wilhelm Busch ... Diese beiden Helden sind groß, kräftig und tollen mit Vorliebe im Freien herum. Ganz nebenbei: Sie lieben Hafer ...

Max und Moritz sind Kaltblutpferde auf unserem Forsthof in der Schwintzer Heide. Im Frühjahr wie im Herbst werden sie in der Forstarbeit eingesetzt, um nachhaltige Waldwirtschaft zu ermöglichen. In schwer zugänglichen Waldstücken, wo keine Sägemaschinen oder Trecker eingesetzt werden können, räumen sie auf die Kommandos des Holzrückers hin Wege und Schneisen frei. Durch ihre Ausbildung wissen die Tiere genau, was von ihnen erwartet wird. Mit Kraft und Geschick meistern sie selbst schwierige Aufgaben.

Im Sommer standen sie oft auf der weitläufigen Koppel, dabei genossen sie ihre Freiheiten. Manchmal liefen sie hinunter zum See oder naschten im Frühherbst Fallobst von der Streuobstwiese.

Ich kannte die Tiere, seitdem sie zu uns auf dem Forsthof kamen. Es war immer wieder erstaunlich, dass sie sofort am Zaun standen, sobald sie Witterung aufnahmen oder meine Stimme hörten. Außerdem kannte ich ihre Schwäche um Mohrrüben und Zuckerstückchen, die ich heimlich vom Frühstückstisch stibitzte. Beides stand weit oben in ihrer Gunst. Obwohl es Kaltblutpferde waren, die als ruhig und ausgeglichen galten, waren sie durchaus temperamentvoll.

Als sie noch in der Ausbildung zur Waldarbeit standen, scheuten sie überraschend. Zusammen gingen sie aus dem Stand heraus mit ihrem Kettengeschirr durch. Selbst die Zurufe des betreuenden Pferdeknechts hielten sie nicht mehr. Aufgeschreckt rannten die zwei, was das Zeug hielt. Vielleicht trieb sie ja auch das Rasseln ihrer Ketten an. Fatalerweise spielten wir als Kinder am Nachmittag gewöhnlich auf der ruhigen Dorfstraße.

Niemand ahnte etwas von der herannahenden Gefahr. Erst als zwei Waldarbeiter mit ihren Mopeds hupend durch den Ort fuhren, um lautstark Alarm zu schlagen. „Die Pferde sind durchgegangen! Bleibt von der Straße weg!“, schrien sie Danach fuhren sie weiter zum nächsten Ort, um auch dort vor den Junghengsten zu warnen. Fast alle Anwohner versammelten sich vor den Häusern. Warteten mit einem mulmigen Gefühl, ob die Ausreißer den Weg zum heimischen Stall nehmen würden. Ein Donnern und Rasseln in der Ferne kündigte die Pferde an. Jeden Moment konnten sie um die Ecke der großen Forstscheune gerannt kommen ...

In diesem Augenblick riss sich der vierjährige Ludger von der Hand seiner Schwester los. Sie kreischte laut auf, rührte sich jedoch nicht vom Fleck, da die Angst sie offensichtlich lähmte. Bleich, mit großen Augen sah sie, wie ihr Bruder loslief und um die Ecke sehen wollte ...

Fast alle hielten vor Entsetzen den Atem an. Geistesgegenwärtig packte einer der Erwachsenen Ludger und trug den ärgerlich strampelnden Kleinen zurück. Sekunden später rannten die Pferde mit hohem Tempo um die Scheune herum, weiter über den Hauptweg zum Nachbarort.

Erst eine Stunde später brachten Waldarbeiter die Pferde unverletzt zurück. Mensch wie Tier waren verschwitzt und am Ende ihrer Kräfte. Peter, der Pferdeknecht, führte sie gleich in den Stall, um sie abzureiben. Lautstark schimpfte er über die garstigen Biester, da besonders Max garstig wurde und mehrfach versuchte, ihn zu beißen. Er wollte nicht zurück in den Stall, der Ausflug schien ihm gefallen zu haben ...

Sicherheitshalber verbrachten beide Tiere die Nacht im Stall. Die zwei waren von ihrem kräftezehrenden Abenteuer völlig erschöpft und konnten am Folgetag nur bedingt für die Waldarbeit eingesetzt werden.

Was diese Tiere tatsächlich leisten können, habe ich Jahre später nach einem Sturm gesehen. Die Arbeiter mussten ein Gebiet alter Buchenbestände freiräumen, neben dem Stromleitungen beschädigt waren. Nur mit gezielten Anweisungen sowie hoher Konzentration bei Mensch und Tier gelang der Kraftakt mannshohe Buchenwurzeln oder Teilstücke der entwurzelten Bäume aus den Schneisen auf die Wege zu ziehen.

Max und Moritz arbeiteten viele Jahre im Dienst der Forstbetriebe. Im Alter erhielten sie ihr Gnadenbrot auf dem Forsthof. Noch immer laufen sie über ihre Koppel neben der Streuobstwiese bis hinunter an den See. Ihre Arbeit haben zwei neue Kaltblutpferde übernommen: Lene und Anton.

Dorothea Möller, freie Autorin, lebt und arbeitet in NRW.

*

Miss Ellie

Es ist ein Sonntagmorgen im Mai, kurz nach halb neun. Ich habe unruhig geschlafen, denn heute ist ein großer Tag: das alljährliche Dressurreitturnier hier bei uns auf dem Marienhof. Darauf habe ich mich schon seit langer Zeit vorbereitet und ich spüre eine freudige Aufgeregtheit wie immer vor solchen Veranstaltungen.

Ich wundere mich, dass meine Freundin Jana noch nicht da ist. Wir hatten uns für acht Uhr verabredet, um genug Zeit zu haben, zum Striegeln, Zöpfe flechten und was sonst noch alles vor dem Start zu tun ist. Jana ist elf Jahre alt – so alt wie ich auch, vielleicht verstehen wir uns deshalb so gut.

Aber wo sie jetzt wohl bleibt? Sie wird doch wohl nicht an so einem wichtigen Tag verschlafen haben?

Ich gehe nach draußen und schaue mich um. Es herrscht bereits ein geschäftiges Treiben – einige Pferde und Ponys werden von ihren Reitern gestriegelt, aber von Jana ist weit und breit nichts zu sehen. Ich werde langsam richtig unruhig.

Hier in unserem Reitverein gibt es noch viele andere Mädchen, auch ein paar Jungs und natürlich auch etliche Erwachsene. Viele von ihnen sind Einsteller mit eigenem Pferd, die halten sich, glaube ich, für etwas Besseres. Die Älteren lächeln manchmal, wenn sie die Ponys sehen – sie sollten sich lieber mal daran erinnern, dass sie auch mal klein angefangen haben. Aber ich schweife ab …

Ich kann von meinem Standort die große Uhr am Ende der Stallgasse sehen, es ist bereits Viertel vor neun. Herrje, wenn Jana nicht bald kommt, wird es ziemlich knapp! Leider habe ich kein Mobiltelefon, um sie zu erreichen.

Da, endlich, rollt der blaue Kombi von Janas Vater auf den Hof. Die hintere Tür wird aufgerissen, Jana schnappt sich ihren Rucksack, ruft: „Bis später“, zum Vater ins Auto und knallt die Wagentür zu. Sie rennt auf mich zu und hält einen halb angebissenen Apfel in der Hand.

„Hi Ellie. Tut mir echt leid, dass ich so spät dran bin. Es gab eine Umleitung auf dem Weg, die hat uns ’ne Menge Zeit gekostet.“

„Ja“, denke ich, „das kann immer mal passieren.“ Aber ich bin sehr erleichtert, dass Jana nun endlich da ist.

Sie kramt in ihrem Rucksack. „Hier, ich habe dir auch einen Apfel mitgebracht. Magst du?“ Ich nicke dankbar, denn ich habe vor lauter Nervosität bisher noch gar nicht gefrühstückt.

Wir gehen beide ins Stallgebäude, nun kann es losgehen mit den Vorbereitungen.

Jana und ich lieben das Striegeln. Es sieht immer toll aus, wenn das Fell hinterher so schön glänzt. Zur Feier des Tages tragen wir beide Zöpfe mit eingeflochtenen rosa Bändern. Fast könnte man uns für Zwillinge halten. Ich glaube, Jana ist genauso aufgeregt wie ich. Sie redet heute Morgen wie ein Wasserfall. Aber ich bin eine geduldige Zuhörerin.

Nach einer guten halben Stunde gehen wir beide nach draußen, um uns das Dressurviereck anzuschauen. Alles ist schön glatt geharkt. Ich schaue auf die Bahnmarkierungen, die festlegen, wo die Figuren zu absolvieren sind. Jana und ich gehen in Gedanken die Lektionen und Bahnfiguren der A-Dressur durch: Leichttraben, Kehrtwendung auf der Vorhand, Volte und Schlangenlinien. Es ist ziemlich kompliziert, sich alles zu merken. Besonders der Übergang vom Schritt zum Galopp bereitet uns beiden manchmal Schwierigkeiten. Hoffentlich klappt alles. Vier Minuten können ziemlich lang sein.

Pünktlich um zehn Uhr hören wir das leichte Knarzen und Rauschen der Lautsprecher am Dressurplatz und die sonore Stimme des Gutsbesitzers begrüßt die Zuschauer: „Herzlich willkommen an diesem sonnigen Sonntag zu unserer jährlichen Dressurprüfung um den Marien-Pokal. Ich freue mich auf viele gute Darbietungen und wünsche allen Teilnehmern viel Freude und Erfolg!“

Jetzt geht es also los. Bevor wir an der Reihe sind, gehen die Teilnehmer der E-Dressur an den Start. Jana und ich schauen den ersten beiden jungen Reiterinnen zu. Sie machen ihre Sache sehr gut, nur einmal misslingt eine Volte. Der Kreis gleicht eher einem großen Ei. Hoffentlich passiert uns das nicht.

Nun müssen wir uns aber bereithalten, es sind nur noch wenige Minuten bis zum Start unserer Abteilung. Vor uns startet nur ein Mädchen, dann sind wir auch schon an der Reihe. Jana hat vor Aufregung rote Wangen und auch ich spüre einen schnelleren Herzschlag. „Atme ruhig“, zwinge ich mich, „und konzentriere dich!“

Wir gehen zum Startbereich und warten auf unseren Aufruf. Und dann ist es endlich so weit, der Sprecher kündigt uns an: „Als Nächstes starten Jana und ihre elfjährige Haflingerstute Miss Ellie. Bitte sehr!“

Mir schießt kurz durch den Kopf, dass ich mich euch gar nicht vorgestellt hatte: Ja, ich bin Miss Ellie oder – wie Jana mich nennt – einfach nur Ellie. Jana und ich sind wirklich die besten Freunde. Aber nun muss ich mich auf die Darbietung konzentrieren.

Ich senke den Kopf, Jana sitzt kerzengerade im Sattel, ihre neuen schwarzen Stiefel sind blank geputzt. Die Musik ertönt und wir reiten los. Alles, was wir in den letzten Wochen so fleißig geübt hatten, spulen wir nun mühelos ab. Alles klappt, sogar der Wechsel vom Schritt zum Galopp – es fühlt sich einfach nur wunderbar an.

Nach knapp vier Minuten ist alles vorbei. Wir reiten aus dem Dressurviereck heraus – begleitet vom Applaus der Zuschauer.

Alle Anspannung ist wie weggeflogen. Jana springt ab und fällt mir um den Hals: „Super, Ellie! Das hast du toll gemacht!“

Das sehe ich auch so und nicke zustimmend.

Am nächsten Tag steht im Lokalteil der Tageszeitung:

Sieger in der A-Dressur: Jana auf Miss Ellie mit einer überzeugenden Leistung.

Ich freue mich jetzt schon auf unsere nächsten Turniere. Ihr werdet sicher noch von uns lesen!

Dagmar Oberländer, Jahrgang 1965, bisher noch ohne Pferd, sitzt aber ansonsten fest im Sattel.

*

Seelenpferde

Verloren in einer düsteren Welt,

verzweifelt, ziellos, nichts, was noch hält.

Zu viel zerstört, zu viel kaputt,

das Dasein nur noch Trümmer und Schutt.

Die Seele zerbrochen, zerlöchert, zerteilt,

nichts, was sie jemals wieder heilt.

Nichts, außer einem Seelenpferd,

das plötzlich in Dein Leben kehrt.

Du merkst es nicht, wenn es passiert,

Du denkst, es hat sich nur verirrt.

Ganz sanft und zaghaft tritt es ein,

doch Du denkst, es kann nicht sein.

Bist nicht von hier, zu falsch, zu schlecht,

irgendwann gibt es Dir recht.

Doch Seelenpferde, vergiss das nie,

haben unendliche Magie.

Wenn sie Dich finden, ist alles echt,

für sie bist Du niemals zu schlecht.

Sie holen Dich in diese Welt,

während Dich hier schon lang nichts mehr hält.

Mit Eigenschaften und Gaben,

die wir Menschen niemals haben.

Sie öffnen eine Zwischenwelt,

die Deine Seele für unmöglich hält.

Dort gibt es Dinge, die passieren,

die wir niemals ganz kapieren.

Gefühle, fremd und doch so nah,

ein Beben, wie’s noch niemals war.

Weihnachten in Deinem Herz,

trotz so viel Kummer, Leid und Schmerz.

Regenbogen in den Augen,

niemals konntest Du das glauben.

Farben riechen, Düfte schmecken,

brauchst Dich nicht länger zu verstecken.

Dein Seelenpferd hat Dich gefunden,

und bleibt für immer mit Dir verbunden.

Manchmal erkennt man erst (zu) spät,

was da wirklich vor sich geht.

Du ahnst, was zwischen Euch geschieht,

Du ahnst, dass es Dich wirklich gibt.

Wirst eins mit Deinem Seelenpferd,

es hat Dich völlig umgekehrt.

Als ich anfing, zu begreifen,

blieb nur noch kurze Zeit zu reifen.

Mein Seelenpferd, es musste geh’n,

als hätt ich all das nicht geseh’n.

Doch uns’re Seelen werden nie vergessen,

sich an der Regenbogenbrücke wiedertreffen;

um dann zu fliegen durch die Zeit,

hinweg durch die Unendlichkeit.

Für meinen allerbesten Freund Godi

Bettina Kremp: 2013 ist ihr allerbester Freund Godi, ein Isländer-Wallach, gestorben. Sie hat damals ein Gedicht für ihn geschrieben und träumt seitdem davon, dieses für ihn zu veröffentlichen. „Das Gedicht entspricht meiner wahren Geschichte … Durch Godi habe ich zu meinem wahren Ich gefunden … Er wäre sicherlich sehr stolz, dieses veröffentlich zu sehen …“

*

Der Ausritt

Mein Name ist Chanel. Diesen Namen habe ich mir nicht ausgesucht – die Menschen haben ihn mir gegeben. Ich habe viele Menschen kennengelernt, seit ich auf die Welt gekommen bin.

Sie waren da, als ich zum ersten Mal aufgestanden bin. Als ich das erste Mal die Box verlassen und die großen Weiden besucht habe. Als ich von meiner Mama getrennt und in ein neues Zuhause gebracht wurde. Irgendwann haben die Menschen dann einen Sattel auf mich gelegt und mir Zaumzeug über den Kopf gezogen. Sie haben sich auf mich gesetzt und mir gezeigt, dass sie und ich ein Team sein können.

Vor ein paar Jahren habe ich dann Hanna kennengelernt. Wir verstehen uns sehr gut. Sie ist jetzt meine Besitzerin und kommt jeden, wirklich JEDEN Tag zu mir. Wir gehen gemeinsam spazieren, reiten in der Reithalle, kuscheln in meiner Box oder albern auf der Weide herum.

Was mir bei alledem aber am besten gefällt, ist das Ausreiten. Wenn wir gemeinsam durch die Natur streifen, springt mein Herz vor Freude in meiner Brust. Hanna und ich sind dann nicht mehr nur Reiter und Pferd, wir sind EINS. Das ist wirklich etwas ganz Besonderes.

An einem schönen Tag im Sommer kommt Hanna wieder einmal zu mir. Sie lacht, als sie mich sieht, und ruft: „Chanel! Komm her, meine Große!“

Freudig trabe ich auf sie zu, weg von meiner Herde, direkt auf ihre offenen Arme zu.

„Hallo du!“, flüstert sie und legt ihre Arme um meinen Hals, als würde sie mich umarmen. Es gefällt mir, mit ihr zu kuscheln, und ich lege meinen Kopf auf ihre Schulter.

Hanna zieht mir dann ein Halfter über, bringt mich in den Stall und bereitet mich für einen Ritt vor. Dafür putzt sie mich lange und gründlich – auch so eine Sache, die mir wirklich gut gefällt. Als Nächstes legt sie mir den Sattel auf und schnallt das Zaumzeug an meinem Kopf fest. Als sie fertig ist, streichelt sie ganz sanft meinen Hals und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. „Na, wollen wir ausreiten?“, fragt sie mich und zupft leicht am Zügel.

Ich folge ihr und sie führt mich hinaus auf den Reiterhof. Dort zieht sie den Sattelgurt vorsichtig nach und lobt mich noch einmal, weil ich brav stehen geblieben bin.

„Na, dann los“, murmelt sie, setzt den Fuß in den Steigbügel und sitzt auf. Oben sortiert sie die Zügel und drückt mir ganz leicht die Waden an meinen Bauch. Sofort setze ich mich in Bewegung. Hanna steuert mich weg vom Reiterhof, direkt auf den nahe liegenden Wald, zu. Als wir die ersten Bäume unterlaufen und in den Schatten eintauchen, schnaube ich zufrieden. Die Sonne heute ist wahnsinnig warm und ihr zu entfliehen, tut gut.

Wir gehen einen Trampelpfad entlang. Die Vögel in der Luft und auf den Ästen über uns zwitschern laut und ich höre Hanna vor sich hin summen. Sie hat die Zügel locker in der Hand. Überhaupt ist sie eine sehr sanfte Reiterin, sie hat mir noch nie wehgetan!

Immer tiefer rücken wir in den Wald vor. Schon bald höre ich das Plätschern eines Baches und wieder hüpft mein Herz vor Freude. Wenn Hanna mich zum Bach bringt, dann kann das nur eines bedeuten: planschen! Bei dem Gedanken daran beschleunige ich meinen Schritt, woraufhin Hanna laut lacht und mir über den Hals streichelt. „Du weißt ganz genau, was wir vorhaben, oder?“, höre ich sie sagen.

Schon biegen wir um die Ecke und ich sehe den glasklaren Pechbach vor mir. An den meisten Stellen ist er nur schmal, aber dort, wo Hanna mich hinbringt, ist er zwar nicht tief, dafür sehr breit. Schnurstracks laufe ich direkt in das Wasser und halte in der Mitte des Pechbaches an. Unruhig stehe ich nun da und warte auf das Signal von Hanna.

Schließlich spüre ich, wie sie die Zügel loslässt – sie hängen einfach rechts und links an meinem Hals herunter – und dann ruft sie: „Leg los!“ Langsam hebe ich einen Vorderhuf in die Luft, warte kurz – und lasse ihn schnell und kraftvoll nach unten sausen.

Plitsch! macht das Wasser und spritzt mir gegen die Brust und den Bauch. Dann hebe ich das andere Vorderbein und mache genau dasselbe.

Platsch!

Von da an gibt es kein Halten mehr. Freudig verteile ich das Wasser um mich herum so lange, bis ich am Hals, am Bauch und an den Beinen komplett durchnässt bin. Hanna, die immer noch auf mir sitzt, lacht und quiekt die ganze Zeit. Ich kann richtig fühlen, wie glücklich sie ist, und das beflügelt mich, weiterzumachen. Plitsch, platsch, plitsch, platsch, plitsch, platsch!

Irgendwann spüre ich schließlich doch ein leichtes Ziehen am Zügel und über das laute Geräusch des umherspritzenden Wassers höre ich Hannas Stimme: „Okay, okay, Chanel! Ich weiß, du hast Spaß – den habe ich auch – aber ich glaube, wir müssen jetzt weiter!“

Zweimal lässt meine Besitzerin mich noch aufstampfen, dann lenkt sie mich aus dem Wasser heraus. Kaum, dass meine vier Beine wieder auf trockenem Untergrund stehen, schüttel ich mich und bringe Hanna abermals zum Lachen. Als ich dies das erste Mal gemacht habe, habe ich sie fast abgeworfen, weil sie damit nicht gerechnet hatte. Mittlerweile kennt Hanna dieses Spiel jedoch und kann sich gut auf meinem Rücken halten.

Das Mädchen drückt mir nun wieder auffordernd die Beine in den Bauch und dirigiert mich auf den Waldweg zurück. Auch jetzt weiß ich, was sie vorhat, und freue mich darauf.

Wir verlassen den Wald und biegen auf ein Feld ein. Vor einiger Zeit haben hier noch viele Pflanzen gestanden, doch dann kam ein Traktor und sie waren fort. Stattdessen ist da nun eine riesige Fläche – ein Stoppelfeld. Ich spüre die Aufregung in mir und als Hanna die Zügel nach vorne wirft und sich auf meinem Rücken ganz leicht macht, ist das der Startschuss für mich.

Wir sausen über das Feld. Der Wind peitscht in mein Gesicht und trocknet, zusammen mit der warmen Sommersonne, mein vom Pechbach durchnässtes Fell. Es fühlt sich wunderbar an. Hanna und ich, wir sind in diesem Moment wieder eine Einheit, ein Team. Es ist ein großer Spaß.

Als wir am Ende des Feldes ankommen, verlangsame ich und halte schließlich ganz an. Hanna atmet schnell und legt sich mit ihrem Oberkörper auf meinen Hals. Ihre Arme baumeln rechts und links an mir herunter und sie flüstert: „Es macht so einen Spaß mit dir, Chanel. Selbst wenn wir zum tausendsten Mal im Gelände planschen und über das Feld galoppieren. Manche Dinge verlieren niemals ihre Besonderheit!“

Dann krault sie mich am Hals. Ich schließe kurz die Augen und lausche dem Vogelgezwitscher, dem Atem von Hanna und wie der laue Sommerwind durch die Blätter der Bäume streicht. Es ist ein wunderbarer Moment, obwohl er für die meisten Menschen wohl ganz normal aussieht. Aber nicht für uns. Denn Hanna und ich wissen genau, wie selten das ist, was wir haben. Eine echte Freundschaft.

Manchmal vergessen wir, wie schön unser Leben ist. Dabei sollten wir jeden einzelnen Moment auskosten und uns daran erfreuen.

Marie-Therese Goldmann wurde 1994 in Dresden geboren. Schon als Kind verschlang sie mit Begeisterung ein Buch nach dem anderen. Ihren persönlichen Wunsch, ein eigenes Buch zu veröffentlichen, erfüllte sie sich schließlich im Juni 2015.

*

*

Seelenverwandt

Dunkle, schwarze Augen

Starren mir entgegen,

Spiegeln meine Angst.

Glänzend schwarzes Fell

Im schwachen Stalllicht.

Die Mähne wallend,

Der Schweif voll Stroh.

Angelegte Ohren

Warnen vor dem Sturm.

Meine Augen, fest am Boden

Geh ich auf ihn zu.

Langsam, ganz langsam.

Das Weiß der Augen tritt hervor,

Er weicht zurück.

„Ruhig, Großer“

Nur ein Flüstern.

Geblähte Nüstern,

Panisch rollende Augen.

Erkennt er mich denn nicht?

Bleibe ruhig stehen,

Die Hand am Boxengitter.

Die Flanke hebt und senkt sich schnell.

Das Weiß der Augen tritt zurück.

Ein vorsichtiger Schritt.

Weiht geblähte Nüstern

Schnuppern an meiner Hand.

Mein Herz macht einen Freudensprung.

Mein Freund. Ja, das bin ich.

Seelenverwandtschaft existiert

Vor mir der Beweis.

Dieses Pferd, mein bester Freund

So treu und loyal.

Wir sind unzertrennlich

Für immer und in alle Ewigkeit.

Er brachte mir das Fliegen bei

An jenem einen Tag.

Galoppierten über Wiesen,

Durch den grünen Wald.

So frei war ich noch nie.

Eine Einheit mit dem Pferd.

Der Moment:

Eine kleine Ewigkeit.

Wir sind eine Herde!

Du schützt mich,

Ich schütze dich.

Wir flüchten zusammen

Vor den Gefahren dieser Welt.

Halten abwechselnd Wache

Bei Tag und auch bei Nacht

Ich liebe ihn so sehr

Seit er als kleines Fohlen

Im Stroh stand

Zitternd und nass.

Seine Mutter direkt daneben

Leckte ihn vorsichtig ab.

Jetzt ist er erwachsen,

Die Weidejahre Vergangenheit.

Freude spricht sein Körper,

Wenn die Wiese ruft.

Brauchen keine Worte.

Ein Wink, ein Zeichen

Wir verstehen uns.

Unsere Gedanken vereint,

Ich weiß was er braucht.

Der Mongole nennt es Schläfer,

Der Amerikaner Horseman,

Die Deutschen Pferdeflüsterei.

Alle diese Begriffe

Lose Hüllen

Wenn man die Wahrheit kennt.

Eine angeborene Gabe?

Pferde, einfacher als Menschen

Nehmen mich wie ich bin.

Stellen keine Fragen,

Besitzen keine Vorurteile,

Auf sie ist Verlass.

Fühle mich natürlich

Mit Stallduft in der Nase.

Das Meiste, nur Träume.

Der Rappe Illusion.

Doch die Gefühle bleiben

Geheim und gut behütet.

Der Wunsch oft belächelt,

Verschwendetes Geld,

Ein Nichts in meiner Welt.

Jede Woche einmal,

Bin ich meinem Traum ganz nah!

Das alte, schwarze Schulpferd

Wird zum wahren Freund,

Zu meinem edlen Rappen,

Der irgendwo da draußen

Auf meine Rettung harrt.

Vielleicht wird Traum zur Wirklichkeit.

Die Grenze ist verwischt.

Eines Tages find ich ihn,

den ich so vermiss.

Beatrice Dosch wurde 1999 geboren und wohnt in Leipzig. Sie studiert im 7. Semester Tiermedizin und hat schon zwei Bücher veröffentlicht „Charlotta und Wolkenflug - Magisches Abenteuer“ und „Zwischen Sommer, Heu und Weihnachten“.

*

Der P.R.E. und der Fellwechsel

Letzte Woche hat der P.R.E. beschlossen, bekleidungstechnisch zur Übergangsjacke zu greifen. Also ist Hilfe beim Ausziehen angesagt.

Pony macht mich, während weiße Härchen in der Luft um ihn herum tanzen, sobald er sich bewegt, auf gewisse Stellen aufmerksam, die er gerne zuerst enthaart hätte. Ich denke unvermittelt an Linus. Den von den Peanuts ...

Ich bekomme loses Unterfell in Nase und Mund und huste mir die Seele aus dem Leib, während der P.R.E. unbeeindruckt die Haare auf dem Boden einschnüffelt. Eine Miteinstellerin bekommt mit, wie ich mit dem Erstickungstod ringe, und ihr Gesicht entgleist ein wenig. Corona???!!

„Alles prima!“, hechle ich ihr beruhigend zwischen zwei Attacken zu. Aus meiner Nase ragen weiße Fellbüschel. Ich habe einen weißen Schnäuzer und sehe sie zwischen den Tränenschleiern an, die sich aus meinen blutunterlaufenen, juckenden Augen ergießen.

Irgendwie habe ich das Gefühl, sie wird mich die nächsten Tage meiden …

Ich habe so geniale Handschuhe gekauft, an deren Noppen das Fell hängen bleibt. In der Werbung waren Hund und Pferd innerhalb von 30 Sekunden glatt, glänzend und frei von Winterfell. Das nette Putzpersonal in weißer Hose wohl frisiert, staub- sowie schmutzfrei und ebenfalls unbehaart.

Die Realität sieht ja oft anders aus. Einmal über das Tier streichen und an ihm haftende Fellplatten aus dem Handschuh zupfen. Nach gefühlten 500 Strichen freuen, dass es langsam was wird, nochmals ganz vorsichtig und sachte mit dem Striegel drüber und nochmals freuen.

NIEMALS pusten!!!!

Währenddessen weht das überschüssige Resthaar durch die Luft und sucht sich einen unzugänglichen, abgelegenen Platz auf dem Hofboden, sodass man es mit der Hand aufsammeln muss, weil man mit dem Besen nicht hin kommt. Der Rest klebt sich einzeln und großflächig verteilt an den Grund, damit sich das Harken auch lohnt.

Ich frage mich, wie ich an den kalten Tagen jemals die Idee haben konnte, das Tier könne vielleicht frieren. Dieser Hightech-Endloshaar-Zaubermantel ist schon faszinierend ... Man zupft ein totes Haar raus, das an derselben Stelle sofort wieder nachwächst.

Während ich also darüber nachdenke, ob bereits ausgefallene Haare sich so respektlos vermehren, weil man sie berührt, bläst der P.R.E. mir liebevoll Härchenrotz aus den vorab vom Boden eingeschnüffelten Keratinfäden in den Nacken.

Fellwechsel definiert ja den Austausch des Haarkleids. Vom Pony aufs Putzpersonal.

Aber ich bleibe dran – es muss doch mal weniger werden! Erst als jemand durch mein cremefarben-matschgraues Haarkleid ruft: „Sabine, bist du es da drunter?“, halte ich ein. Meine Freundin ist gekommen, wir wollen noch einkaufen fürs Essen morgen.

Ach ja, der Reiter im Frühjahr. Im Supermarkt. Separate Story ...

Sabine Ertz

*

Wattfahrten

Um das mal vorwegzusagen: Ich mache meine Arbeit gern, sehr gern. Täglich bin ich an der frischen Luft und täglich habe ich auch mit immer anderen, meist sehr freundlichen Leuten zu tun. Aber neulich, neulich ist mir fast der Kragen geplatzt. Da ist nämlich Folgendes passiert:

Ich schlafe in einem Stall. Da wohne ich nicht allein, sondern drei weitere Kameraden sind dort mit mir zusammen untergebracht. Sie heißen Peter, Jens und Hinnerk. Und ich heiße Ole. Wir sind Pferde und ziehen abwechselnd Kutschwagen. Unsere Tour ist immer vom Strand an der Nordseeküste zur kleinen Hallig.

Unser Kutscher, der Hans, steht vor unserem Wagen und versucht, die Urlaubsgäste zu einer Kutschfahrt auf unseren Wagen einzuladen. „Liebe Urlaubsgäste“, ruft er dann mit kräftiger Stimme, „kommen Sie mit zu einer erholsamen Kutschfahrt zur Hallig. Sie werden auf der Fahrt neue Eindrücke gewinnen und sich prima erholen. Kommen Sie mit, steigen Sie ein!“

Ja ja, der Hans hat leicht reden von wegen prima erholen. Er muss ja nicht den schweren Hänger durchs Watt ziehen. Er sitzt ja oben bei den Fahrgästen und gibt mit seiner Stimme und seiner Peitsche das Signal zur Abfahrt und zum Laufen oder auch zum Stehenbleiben.

Die Fahrgäste kommen

Bei schönem Wetter dauert es auch gar nicht lange, da sitzen bis zu 16 Personen auf dem Wagen. Manche haben einen Rucksack auf ihrem Rücken, andere haben bereits ein Bierfläschchen in der Hand, wieder andere halten ihre Jacke und ihren Fotoapparat fest. Die meisten von ihnen streicheln kurz einen von uns beiden, bevor sie den Wagen erklettern. Wir, also der Hinnerk und ich, schauen uns die Fahrgäste dabei an, und sehen, dass es diesmal eine schwere Tour werden wird. Mehrere doch sehr gewichtige Damen und Herren nehmen auf den Sitzbänken Platz. Nachdem alle Sitzplätze besetzt sind, geht Hans durch den Wagen und kassiert das sogenannte Beförderungsentgelt. Dann lässt er sich auf seinem Kutschführer-Platz nieder.

Die Fahrt beginnt

Hans lässt seine Peitsche ganz zart auf unser beider Rücken auftippen. Dazu gibt er das Kommando: „Na los, ihr beiden, Hinnerk, Ole. Auf geht’s.“

Eigentlich bräuchte Hans seine Peitsche überhaupt nicht mitzunehmen. Wir wissen, was wir zu tun haben, wenn er: „Na los, ihr beiden“, sagt, aber das ist natürlich für die Fahrgäste viel schöner, wenn der Kutscher eine Peitsche hat. Das gehört einfach dazu. Na, und außerdem wissen wir genau, wo es langgeht. Wir sind die Strecke schon viele Hundert Mal gelaufen.

Also wir ist nicht ganz richtig, ich auf jeden Fall kenne die Strecke. Aber Hinnerk ist heute erstmalig mit auf der langen Tour durchs Watt zur Hallig. Er schaut kurz zu mir rüber, ich signalisiere ihm, dass ich bereit bin, und schon ziehen wir den Wagen an.

Mit den ersten Umdrehungen der Räder beginnt auch Hans sofort, seine Erklärungen zur Fahrt, zum Watt, zu den Gezeiten am Meer, zum Aufenthalt auf der Hallig-Insel und zur Rückfahrt abzuspulen. Wir wissen ganz genau, wann Hans den nächsten Witz startet, an welcher Stelle die Fahrgäste lachen und wann sie nur stumm seinen Ausführungen lauschen. Wenn die Menschen unsere Sprache verstehen würden, könnten wir ja für Hans diese Erklärungen übernehmen.

Auf dem Hinweg zur Hallig-Insel zeige ich Hinnerk, dass wir immer in Sichtweite der in den Wattboden gesteckten Astbüschel laufen müssen.

„Diese Astbüschel markieren den kürzesten Weg rüber zur Hallig. Wenn man nämlich weit ab vom Startufer ist, dann wird es schwer, die Orientierung zu behalten. Dann ist es nicht einfach, die Fahrtrichtung zur Insel – oder auf der Rücktour zum Strand – einzuhalten. Da kann man dann leicht die falsche Richtung einschlagen“, gebe ich Hinnerk zu verstehen. „Das ist gefährlich, lebensgefährlich“, setze ich noch zu.

Hinnerk nickt verständnisvoll.

Die Hallig ist erreicht

Die Hallig ist erreicht und alle Fahrgäste werden unruhig. Am liebsten wollen sie schon den Wagen verlassen, obwohl wir noch langsam laufen. Da wird unser Hans manchmal richtig laut, da ruft er mit seiner tiefen, kräftigen Stimme: „Na, liebe Fahrgäste, bitte schön sitzen bleiben, bis wir stehen und ich den Ausstieg ansage.“ Einige Fahrgäste zucken erschreckt über die laute Stimme zusammen, bleiben dann aber brav auf ihren Plätzen sitzen. Aber dann, nach der Ausstiegsfreigabe, verlassen alle Fahrgäste den Wagen. Anschließend führt uns Hans ein paar Meter weiter am Strand und holt kräftiges Futter und ein paar Leckerli für uns. Natürlich schleppt er auch einen Eimer Wasser zum Trinken herbei.

Es wuselt auf der Hallig

Die Urlaubsgäste laufen wie im Gänsemarsch zu den nahen Häusern und dem Café. Einige suchen aber auch die nächste Toilette auf. Auf der kleinen Hallig wuselt es richtig für 1 ½ Stunden. Dann ist es wieder Zeit zum Einsteigen. Die Abfahrt muss pünktlich begonnen werden.

Unter Hilfestellung von Hans erklimmen die Urlaubsgäste wieder die zwei kleinen Stufen am Wagen und nehmen auch wieder die auf der Herfahrt benutzen Plätze ein. Muntere Gespräche entstehen zwischen den Fahrgästen. Dann nimmt auch Hans wieder auf seinem Sitz Platz und er gibt das Signal zur Abfahrt.

Da fehlt noch einer

„Hier fehlt noch einer!“, ruft eine Frau ängstlich und zeigt dabei auf den ihr gegenüberliegenden Sitzplatz, der noch unbesetzt ist. „Der Mann mit der Bierflasche fehlt noch!“

„Ich werd’ verrückt“, sagt jetzt Hans, „wo ist der denn geblieben? Ich habe doch vorhin extra gesagt, dass wir wegen der Flut pünktlich wieder losfahren müssen. Sonst kommen wir nicht mehr trocken und sicher drüben an.“

Hans steigt wieder vom Wagen und läuft mit seiner wie Donner klingenden Stimme hin und her: „Hallo, hallo, der Fahrgast von der Kutschfahrt, bitte ganz, ganz schnell zum Wagen!“

Da kommt er langsam angelaufen, als müssten wir erst in einer Stunde abfahren. Wir können sehen, wie Hans seine Augen verdreht, als der Fahrgast auf den Wagen zukommt. Hans fordert ihn erneut zur Eile auf und lässt ihn auf den Wagen klettern und Platz nehmen. Dann geht die Rückfahrt los. Während Hans mit dem Trödelkopp, wie er ihn nennt, ein ernstes Wort redet, ziehen wir mit aller Kraft den Wagen durchs Watt.

Hinnerk, Ole, ihr schafft das!

„Hinnerk, Ole, ihr schafft das, ihr schafft das!“, ruft Hans liebevoll zu uns herunter. Dabei lässt er ganz, ganz vorsichtig seine Peitsche über unseren Rücken tänzeln. Ich schaue kurz zu Hinnerk rüber und er nickt mir wieder zu. Wir legen noch ein wenig Tempo zu. Eine Stunde dauert die Fahrt. Die Fahrgäste, die vorhin zugehört haben, blicken immer wieder nach hinten, um zu schauen, ob das Wasser näher kommt.

Kurz vor dem Erreichen des Strandes haben wir schon eine geringe Wassertiefe unter unseren Hufen. Für Hinnerk ist das besonders schlimm. Er kennt es ja noch nicht. Er hat so etwas ja noch nie erlebt. Bei jedem Schritt zögert er ein klein wenig, denn wir Pferde können nicht durch die Wasseroberfläche sehen. Und da ist jeder Schritt ein Schritt ins Ungewisse. Für uns Pferde ganz ungewöhnlich. Wir müssen dann immer auf unsere Reiter oder Kutscher vertrauen, dass da, wo wir laufen, keine Gefahrenstellen sind. Aber Hinnerk hat ja nicht nur Hans, sondern auch mich an seiner Seite. Er kann uns voll vertrauen. Und das macht er auch.

Nachdem alle Gäste den Wagen verlassen haben und wir wieder in unserem Stall sind, kommt Hinnerk ganz dicht an meinen Kopf heran und bedankt sich für meine Unterstützung.

„Habe ich doch gern gemacht, Hinnerk. Es war toll mit dir. Wir können uns aufeinander verlassen. Egal, wie gefährlich es wird: Wir beide schaffen das!“

Charlie Hagist wurde am 1. Juli 1947 in Berlin-Steglitz geboren. Nach Grund- und Oberschule absolvierte er eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Während seiner Tätigkeit in der Personalabteilung des Hauses bildete er sich zusätzlich zum Personalfachkaufmann (IHK) weiter. Ehrenamtlich war er lange Zeit als Richter tätig.

*

Wild und ungezähmt

Etwa ein Dutzend wilder Mustangs weidete friedlich in dem sanft wogenden Gras. Plötzlich warf der Leithengst seinen Kopf in die Höhe. Seine lange Mähne und der aufgestellte Schweif wehten im Wind. Ein imposantes Bild. Witternd blähten sich seine Nüstern, sogen einen fremden Geruch auf. Meinen! Noch bevor ich reagieren konnte, stieß der Hengst ein warnendes Wiehern aus und jagte seine Stuten aus dem Talkessel. Nur das Trommeln der Hufe hing in der Luft. Ich hörte es sogar noch, als Leuchtender Mond zu mir trat und an meiner Schulter rüttelte. „Wilde Blume, die Tänze werden gleich beginnen und du liegst im Gras und schläfst“, sagte sie vorwurfsvoll.

Benommen kam ich hoch und lauschte. Da war es immer noch, das Trommeln. Jedoch kam es aus unserem Dorf.

Die Sonne war bereits hinter den Hügeln verschwunden. Reges Treiben herrschte im Lager. Neugierig beobachtete ich die Krieger, die sich auf die Zeremonie vorbereiteten.

Für Schnelles Wasser war es die erste Teilnahme. Er zählte nun sechzehn Sommer und wenn er die Prüfungen bestand, war er ein Mann.

Sein bemalter Oberkörper glänzte im Schein des Feuers. Versonnen betrachtete ich die Waffen, die ihn zum Krieger machten: den Bogen, den verzierten Köcher mit Pfeilen, das Messer, den Tomahawk. Schon bald würde er mit den anderen Männern durch die Wälder streifen, zur Jagd gehen, Mustangs fangen. Ich beneidete ihn. Was blieb mir?

„Da bist du ja, Wilde Blume. Wir warten alle auf dich. Wo sind die Beeren und Nüsse, die du sammeln solltest?“

Genau, das blieb mir: Fürs Essen sorgen, Felle gerben, Kleidung nähen, Körbe flechten – Frauenarbeit.

Die Tänze, die Feierlichkeiten, hatten bis in den Morgen gedauert, die Pow Wow-Trommeln die ganze Nacht getönt. Die Krieger schliefen noch alle, nur die Frauen und Kinder des Stammes waren wach und erledigten die alltäglichen Arbeiten.

Nachdem ich Feuerholz gesammelt und frisches Wasser aus dem Fluss geholt hatte, sprach ich mit Alte Mutter. Niemand wusste, wie alt sie war, nicht mal sie selbst. Ihr Haar war grau, ihre Haut faltig, ihr Mund ohne Zähne, aber ihre Gedanken waren weise. Wer Rat suchte, wandte sich an Alte Mutter.

„Ich verstehe dich, mein Kind. Du bist jung und ungestüm, dein Blut heiß und wild. Doch all die Aufgaben, die uns Frauen obliegen, sind wichtig und unerlässlich. Wer, wenn nicht wir, sollte die Kinder gebären, großziehen und versorgen, unsere Art zu leben aufrechterhalten?“

Ich schwieg und lächelte innerlich, als ich mir Schnelles Wasser inmitten einer Schar Kinder vorstellte, während ich zur Jagd ritt.

„Aus groben Fellen feine Kleidung und Mokassins zu fertigen und sie zu besticken, ist eine Kunst und keine Qual.“

Ich rollte mit den Augen und seufzte leise. Und ob!

„Wer, wenn nicht wir, könnte die alten Bräuche und Mythen unseres Volkes bewahren und an unsere Nachkommen weitergeben?“

Ich nickte, obwohl ich es nicht einsah.

Der Besuch bei Alte Mutter hatte nicht das gebracht, was ich mir erhofft hatte. Sie mochte zwar weise sein, aber mich verstand sie nicht.

Drei Tage waren die Krieger mit Schnelles Wasser fort gewesen. Nun kamen sie zurück, erfolgreich. Es war ihnen gelungen, Mustangs zu fangen. Vier, fünf, nein, ein halbes Dutzend Pferde. Eines davon würde Schnelles Wasser gehören – wie sehr ich ihn darum beneidete. Stolz und jubelnd ritt er mit den anderen ins Lager ein.

Eingekeilt in ihrer Mitte trabte widerwillig und sich gegen die Seile wehrend ein unglaublich schöner Hengst. Ein Pinto mit schwarz-weiß geschecktem Fell. Der Hengst aus meinen Träumen.

Aufgeregt lief ich neben den Reitern her bis zum Felsenkessel, in dem unsere Pferde weideten. Drei Seiten waren von steilen Hängen begrenzt und die vierte mit einem hölzernen Zaun gesichert.

Es brauchte viel Geschick, die neuen Mustangs sicher hinter das Gatter zu bringen. Besonders Tapferes Herz, so hatte ich insgeheim den Hengst getauft, machte große Probleme. Er stieg und keilte aus, schlug mit den Hufen und versuchte, zu beißen. Er wehrte sich mit aller Kraft, doch schließlich folgte er seinen Stuten hinter den Zaun, stob galoppierend zwischen die anderen grasenden Tiere und jagte sie auseinander, preschte in vollem Tempo zurück und warf sich gegen den Zaun. Die Männer fuhren erschrocken auseinander. Das Holz knackte, doch die starken Äste hielten. Kopf und Schweif hoch erhoben drehte der wilde Hengst erneut eine Runde, brachte Unruhe in die Tiere. Wieder rannte er auf das Gatter zu, doch diesmal bremste er rechtzeitig ab und stieg auf die Hinterhand. Seine Vorderhufe wirbelten durch die Luft, seine Mähne flog. Ein Bild voller Kraft und Wildheit.

Mein Herz klopfte. Ich fühlte mich ihm so verbunden. Er wehrte sich gegen das Leben, das ihm vom Schicksal auferlegt wurde.

In den folgenden Tagen versuchten die Männer, Tapferes Herz zu besänftigen, ihn zu zähmen. Den Hengst zu besitzen, ihn reiten zu können, wäre der Stolz eines jeden Kriegers gewesen, doch alle Versuche blieben erfolglos.

Jeden Abend schlich ich zum Gatter und beobachtete den wilden Hengst. Leichtfüßig tänzelte er um die Herde, hob immer wieder witternd den Kopf, nur um beim kleinsten Anzeichen von Gefahr wiehernd herumzuwirbeln.

Eines Abends belauschte ich den Häuptling im Gespräch mit den erfahrensten Reitern. „Es ist sinnlos, niemand wird ihn je reiten können. Er ist nutzlos für uns, bringt nur Unruhe in die Herde.“

„Die Weißen vom Rodeo haben sicher Interesse. Solch einen wilden Hengst gab es noch nie. Er wird ein gutes Tauschgeschäft sein.“

Ich war entsetzt. Tapferes Herz ein Rodeopferd? Das musste ich verhindern!

Am nächsten Nachmittag, ich kam mit den anderen Mädchen vom Pilzesammeln zurück, stand mein Hengst außerhalb des Gatters, angebunden zwischen zwei Bäumen. Wütend darüber, von seinen Stuten getrennt worden zu sein, sprang und stampfte er hin und her, kämpfte gegen die Seile an. Vergeblich.

Nachts, als ich sicher war, dass alle im Lager schliefen, schlich ich mit einem Messer zu dem wilden Hengst, der mit hängendem Kopf dastand. Sobald er mich hörte, war all seine Müdigkeit abgeschüttelt und er reckte den Hals.

„Brav, ganz brav, mein Schöner.“

Aufmerksam spielte Tapferes Herz mit den Ohren.

„Wie sehr wünsche ich mir, du könntest mir gehören, doch du gehörst nur dir selbst und deshalb musst du frei sein.“ Ungeduldig, so als würde er mich verstehen, scharrte er mit den Hufen.

Mit einem Schnitt durchtrennte ich das erste Seil. Wahrscheinlich spürte er, dass ich es gut mit ihm meinte, denn er blieb ruhig stehen, bis ich auch das zweite Seil zerschnitten hatte. Noch immer stand er abwartend da, sodass ich vorsichtig die Schlingen von seinem Hals lösen konnte. Dabei strichen meine Finger über sein seidiges Fell. Ich spürte seine Kraft und seine Energie.

„Leb wohl, Tapferes Herz!“, flüsterte ich ihm im Gehen zu. Und als ich mich wieder umdrehte, war der Platz an den Bäumen leer.

Sie schwiegen.

Endlich fragte Flinkes Wiesel, die Tochter meiner Tochter, erwartungsvoll: „Hast du Tapferes Herz je wiedergesehen?“

Mein Blick ging in die Weite. Die Sonne verschmolz mit den Hügeln, tauchte die Prärie in goldenes Licht. Sie würden traurig sein, wenn ich verneinte und so antwortete ich: „Jede Nacht kommt Tapferes Herz zu mir. Frei von allen Regeln und Gebräuchen galoppieren wir über die Steppe. Sein Blut wird zu meinem Blut, sein Herz eins mit meinem.“

Schnelles Wasser nickte und griff meine Hand. In der Ferne heulte ein Kojote. Ein Pferd wieherte. Alle schauten gebannt auf.

Brigitte Schneider aus Wilnsdorf.

*

Lenas dummes Schicksal

Es war ein schöner warmer Sommertag, als ein Mädchen, es hörte auf den Namen Lena Morgenstern, wie jedes Wochenende zum Ponyhof Krumme Hufe hinaus humpelte, der nicht weit von ihrem Zuhause entfernt war. Auf diesem Ponyhof verbrachte das Mädchen am liebsten seine Zeit, hier fühlte es sich restlos wohl.

Lena hatte von Geburt ein gelähmtes rechtes Bein, das sie ihr dummes Schicksal nannte. Freunde hatte sie leider keine, was sie sehr traurig stimmte. Nur die süßen Miniponys schienen sie so zu akzeptierten, wie sie nun einmal war. Besonders ein Pony schloss sie in ihr Herz. Minipony Flocke, das es sehr schätzen lernte, sah mit seinem braunen Fell und seiner schwarzen Mähne wunderschön aus.

Endlich da, eilte sie zur schönsten Wiese der Welt, um ihrem Lieblingspony freudestrahlend einen Gutenmorgengruß zu überbringen. Lena sah das Tier schon von Weitem und fing erbarmungslos zu brüllen an, da Flocke sie noch nicht bemerkt hatte. „Hallo, wie geht es dir an diesem schönen Tag?“

Auf die Antwort konnte das Mädchen keine Sekunde abwarten, als das Minipony plötzlich aufsah und zu sprechen anfing: „Mein Sonnenschein, hervorragend, wenn ich dich sehe. Dann gibt es Leckerlis, die meinem Tag versüßen, da fiebere ich die ganze Woche drauf hin.“

Lena lachte laut, sie strich sich währenddessen mit der linken Hand liebevoll durch ihre langen blonden Haare. „Hi hi hi, als ob ich das nicht wüsste!“, plapperte das Mädchen weiter und hielt dem Pony Möhren hin, die es soeben erfolgreich aus seiner Jacke entnommen hatte, um das Pony zu sich zu locken. „Extra frische! Für dich nur das Beste“, sprach es weiter.

„Klar doch, für wenn auch sonst“, äffte Minipony Flocke weiter.

„Stimmt ganz genau!“, krächzte Lena. „Flocke, du bist das beste Minipony der Welt, du akzeptierst mich so, wie ich bin!“

„Klar, aber sind wir nicht alle etwas Besonderes, Lena? Die Welt ist vielfältig wie ein bunter Regenbogen. Und deine Behinderung ist dein Markenzeichen, das dich einmalig macht, verstehst du?“

Das Mädchen winkte ab. Das Pony hatte, als sie sich kennenlernten, auf Anhieb bemerkt, dass dieses Mädchen sehr ängstlich durch die Welt zog und nie Freunde um sich hatte. Auch sah es auf den ersten Blick, dass etwas mit seinem rechten Bein nicht stimmte. Lena humpelte schwerfällig und schaute beim Gehen auf den Boden, was Flocke ziemlich merkwürdig vorkam. Deshalb beschloss das Pony, seinem größten Fan eine gute Freundin zu sein, um ihr all das Selbstvertrauen zu schenken, das sie in ihrem noch jungen Leben brauchte. Denn dieses Selbstvertrauen würde eines Tages belohnt werden, da war sich Flocke ziemlich sicher.

Lena war ein schlaues Mädchen, das viel zu oft unterschätzt wurde. Sie bekam schnell heraus, das Flocke wusste, was sie im Leben beschäftigte. Sie war ein fantastisches Mädchen, das es verdiente, so akzeptiert zu werden, wie es nun einmal war – ein Mensch mit Behinderung, der einfach Klasse hatte. Auch Flocke fühlte sich wohl an Lenas Seite.

„Was machen wir heute bei diesem schönen Wetter?“, fragte Lena und sah Flocke erwartungsvoll direkt in die Augen.

„Auf was hast du Lust? Sag du was, ich bin mit allem einverstanden, mein liebes Kind!“

Lena überlegte eine Weile, bis ihr etwas Wundervolles einfiel: „Wie wäre es, wenn ich vorsichtig auf dir reite und du mich über die Koppel trägst? Ich würde mich an deiner Mähne festhalten, sodass mir nichts passieren kann!“ Flocke wieherte leise und gab Lena zu verstehen, dass er damit einverstanden war, da er dieser grandiosen Idee nicht zum ersten Mal nachgingen, denn Lena konnte tatsächlich mehr, als viele Mitmenschen glaubten.

„Möchtest du jetzt schon auf mein Rücken springen oder brauchst du ein wenig Zeit, dich zu konzentrieren, mein kleines süßes Mädchen?“

„Aber nein, Flocke, wir können sofort loslegen. Kein Problem für mich!“

„Okay, Lena, auf Kommando drei geht es los, wie wir es immer machen!“ Lena lächelte, sie schien glücklich und vertraute dem Pony bedingungslos

Wenig später erreichten sie Flockes Lieblingsplatz, der unter einem schattigen Baum war. „Na, wie schaut die Lage aus, Lena? Geht es dir dort oben auf meinem Rücken gut?“

Ohne zu überlegen, rief Lena im gleichen Atemzug: „Aber klar doch, mir könnte es wirklich nicht besser gehen!“

„Dann bin ich beruhigt, kleine Maus, und wir können unser Experiment starten!“

Das Mädchen traute seinen Ohren nicht und sprach energisch: „Flocke, welches Experiment, wovon sprichst du?“

„Na, das dumme Schicksal-Experiment, das wir endlich selbst in die Hand nehmen, um dein Selbstbewusstsein auch ohne mein Beisein zu stärken!“

Lena stockte der Atem, sie wusste nicht, wie es um sie geschah. Sie fing mit der Zunge zu schnallen an, ein Reflex, der immer dann vorkam, wenn sie nicht mehr weiterwusste. „Flocke, wie soll der Plan bitteschön aussehen, mein dummes Schicksal aus der Reserve zu locken?“

„Ganz einfach, Schatz, sei du selbst und lasse dich von keinem mehr unterkriegen. Wie gesagt, jeder ist einmalig, das solltest du dir immer vor Augen halten! Du bist Lena Morgenstern, der hellste Stern am Horizont, mach was daraus! Lebe deine Träume, denn das wird dich glücklich machen. Sei nicht allein, suche dir Freunde zum Spielen, dann wirst du sehen, wie schön das Leben sein kann! Da gebe ich dir mein Wort drauf, fest versprochen, Lena!“

Das Mädchen hörte gespannt zu. Vielleicht hatte Flocke recht, denn alleine zu spielen, machte wirklich keinen Spaß, denn Freunde brauchte jedes Kind. Gleich morgen wollte sie mit der Suche anfangen!

Kristina Plenter,Jahrgang 1981, lebt im Westmünsterland Deutschlands in der schönen Stadt Gronau, die an der niederländischen Grenze zu Enschede liegt. Sie schreibt leidenschaftliche Kurzgeschichten für Kinder und Gedichte. Andere Hobbys sind das Lesen und Malen am Computer. Sie nimmt gerne an Anthologien teil.

*

*

Tida und Tilly

Hellblauen Himmel, fliegende Wolken sieht sie durch das Fenster der Klasse 3 b. „Das richtige Wetter für Papas Wattführung“, denkt Tida. Brrrr! schrillt die Schulglocke. Tida atmet auf. Endlich Pause! Nichts wie raus!

Auf der Bank am Rande des Schulhofs beißt sie in ihr Käsebrötchen und hält ihr Gesicht in die Sonne.

„Hey!“, sagt eine Mädchenstimme. „Hast du nun ein Pferd oder nicht?“

Tida spürt einen schmerzhaften Tritt. „Aua!“, schreit sie und reibt sich ihre Wade. Jule steht vor ihr, wie immer in Reiterhosen. Hinter ihr grinst Aite sie an. „Was ... willst ... du?“, fragt Tida.

Der nächste Tritt landet an Tidas Knie. „Du hast mich doch gehört!“ Es klingt wie ein Zischen.

Tida springt auf, knickt ein, hält sich das Knie. „Ich hab schon mal gesagt: Tilly heißt mein Pferd!“ Mit aller Kraft wirft sie sich gegen Jule, die stolpert rückwärts und fällt gegen Aite. Beide gehen stöhnend zu Boden. Schwer atmend guckt Tida sie an. „Das habt ihr davon!“ Stinksauer ist sie. Viele Kinder laufen herbei.

„Tida hat uns gestoßen!“, sagt Aite jammernd beim Aufstehen.

Einige lachen und ein großer Junge erwidert: „Ooch! Die kleine Blonde hat euch beide zusammen auf den Boden geschmissen?“ Die anderen grölen.

Tida dreht sich um, humpelt zum Klassenraum, holt ihren Ranzen und geht nach Hause.

Kurz vor den Gleisen bleibt Tida stehen. Sie zieht ein Hosenbein hoch. Das Knie tut furchtbar weh. Rot und geschwollen sieht es aus. „Jule“, sagt Tida, „du blöde Kuh! ... Aber ich hab dich angelogen. Ich hab kein Pferd!“

Kichernd erreicht sie den Gleisweg zum alten Bahnhof, in dem sie mit den Eltern wohnt.

„Nur bei den Schranken die Gleise überqueren!“, hört sie Mamas Stimme in ihrem Kopf.

Da spürt sie von hinten einen Schubs und wie mit einem großen Sprung ist sie auf der anderen Seite gelandet. Mit langem, ohrenbetäubenden Tuten rast ein Schnellzug an ihr vorbei. Tida sitzt, zitternd vor Schreck, auf der Bahnsteigkante.

„Hoffentlich ist Mama nicht da“, denkt sie, „damit sie mich nicht gesehen hat. Aber – wer hat mich rübergeschubst?“

Tida gähnt. Erst mal ausruhen. Sie öffnet die Tür vom alten Geräteschuppen. In einer Ecke mit einem kleinen Fenster lässt sie sich auf ihren Ranzen fallen. Hunger hat sie. „Mein zweites Brötchen hab ich noch“, fällt ihr ein. Ei mit Remoulade, lecker!

Sie hört es knistern, dazu ein leises Ouiuihihi ganz in ihrer Nähe aus dem Halbdunkel. Tida starrt angestrengt dorthin. Sie fühlt ihr Herz pochen vor Aufregung. Ein helles Tier wird sichtbar und kommt Schritt für Schritt näher.

„Tilly!“, ruft Tida entzückt. „Du bist wirklich da! So hab ich mir dich vorgestellt!“

Die blonde Mähne des Ponys schwingt beim Gehen hin und her. Tida streckt ihre Hand aus und das Tier schnuppert, reibt seinen Kopf daran und stupst mehrmals gegen ihren Arm. Da fällt es Tida ein. „Hast du mich über die Gleise geschubst?“

„Ouiuihihi!“, macht das Pony, und nickt mit dem Kopf.

Vorsichtig steht Tida auf und streichelt langsam den Rücken des Tieres. „Danke“, flüstert sie, „du hast mich gerettet!“

Der Anrufbeantworter blinkt. Frau Reuter drückt den Knopf.

„Rektorin Großmann, Grundschule Dantum. Ihre Tochter Tida hat sich heute unerlaubt aus der Schule entfernt, nachdem sie zwei Schülerinnen verletzt hat. Hiermit erteile ich ihr eine Rüge und bitte Sie, gemeinsam mit Ihrer Tochter morgen um 8:30 Uhr zu einem Gespräch. Auf Wiederhören!“

„Tiidaa!“, ruft Frau Reuter. „Wo bist du?“ Sie rast ins Kinderzimmer, sieht auf dem Boden nach. „Tida! ... Tida!“ Ratlos ruft sie ihren Mann an.

„Guck mal im Geräteschuppen“, rät er ihr, „da ist sie in letzter Zeit manchmal gewesen.“

Schon von Weitem sieht sie die offene Tür. Innen findet sie in einer Ecke Tidas Ranzen. „Ganz zerdrückt ist er!“, sagt sie, und Tränen laufen ihr übers Gesicht. „Was ist mit dir, armes Kind?“

Ouiuihihi! Tilly wirft den Kopf zurück, ihre Mähne wischt über Tidas Gesicht. Das Tier stellt sich auf die Hinterbeine und macht einen weiten Sprung. Tida auf seinem Rücken lacht.

Im Nu sind sie auf dem Deich. Ein kräftiger Wind bläst ihnen entgegen. Tida legt sich flach auf Tillys Rücken, ihre Hände fest in die Mähne gekrallt. Schon sieht Tida das Wattenmeer und mehrere Menschen, die herauskommen und sich die Füße säubern.

„Ob es Papas Leute sind?“, fragt sie sich.

Vorsichtig trabt Tilly seitlich den Deich hinunter und galoppiert dann direkt auf die Gruppe zu.

„Huch! Ach du meine Güte! Häh?“ Die Menschen springen auseinander und das Pony bremst mit gestreckten Beinen vor Tidas Papa. So sprachlos hat das Mädchen ihn noch nie erlebt. Er reibt sich die Augen und schüttelt ungläubig den Kopf.

„Aber Mama hat doch …“, beginnt er.

Tilly lässt sich auf die Knie sinken.

„Du sollst aufsteigen, Papa!“, erklärt Tida.

„Warum?“ Er guckt auf das Tier. „Das Pony ist zu klein.“

Da macht Tilly sich ganz lang und Herr Reuter setzt sich hinter seine Tochter. Die Touristengruppe sieht sprachlos zu. Das Pony erhebt sich und wird größer und größer.

„Ich muss dann mal los!“, ruft der Wattführer den Leuten zu. „Eine gute Zeit noch im Nordseebad!“

Als das Pony durch den weichen Boden stapft, fragt der Vater: „Was ist hier los?“

„Ich weiß es nicht, Papa“, antwortet Tida, „aber sie hilft mir.“

Wie im Flug reiten sie über den Deich zurück zum Bahnhof Dantum, wo Frau Reuter vor der Tür unruhig hin- und hergeht.

„Mama!“, ruft Tida. „Steig auf!“

Brrrrr! läutet die Schulglocke. „Schule aus!“, ruft Tida.

Das hellgraue Pony trabt mit Tida, Mama und Papa durch das Schulhoftor.

„Ich will nicht hierher!“ Tida hält die Hände vors Gesicht. Vor dem Eingang bleibt Tilly stehen.

„Wir müssen etwas klären“, sagt Mama.

„Dein Pony und ich sehen das auch so“, ergänzt Papa.

Das Tier geht auf die Knie, die drei steigen herunter und Tillys Körper zieht sich wieder zusammen.

Schülerinnen und Schüler stürmen nach draußen und stehen plötzlich still.

Mama geht voraus. „Zur Rektorin, bitte!“

Ein Junge zeigt nach oben in die erste Etage. Jule und Aite, beide mit Pflaster im Gesicht, kommen ihnen entgegen. Ihre Münder stehen offen, als sie Tida mit dem Pony die Treppe hinaufsteigen sehen.

Die Rektorin, Frau Großmann, mit grauem Dutt, schwarzer runder Brille, öffnet die Tür. „Schaffen Sie das Tier hier weg!“, schreit sie.

„Ouiuihihi!“, macht Tilly und stellt sich auf die Hinterbeine.

„Sie hat uns zu Ihnen geführt!“ Papas Stimme hört sich ernst an. „Sie bleibt hier.“

Mama sagt: „Tida weiß am besten, was gewesen ist. Erzähl doch mal!“

Tida schluckt mehrmals und greift nach Tillys Mähne. Dann erzählt sie, wie sie auf der Bank am Schulhofrand saß und die beiden auf sie zu kamen. Zum Schluss zeigt sie ihre blaue Wade und das rot geschwollene Knie.

Frau Großmann rückt ihre Brille zurecht und spricht langsam: „Die Mädchen gehen entweder eine Klasse zurück oder in eine andere Schule.“

„Oder wir üben Vertragen?“, murmelt Tida.

Frau Großmann guckt sie lange an und sagt: „Bravo, Tida!“

Auf dem Heimweg hört sie eine Mädchenstimme: „Hey! Hast du ein Pferd oder nicht?“

Jule steht da, Aite wie immer im Schlepp.

Tida sagt: „Ja, Tilly heißt mein Pferd!“

„Wow! Cool!“, kommt es wie aus einem Munde.

Dann sprechen Tida, Mama und Papa auf dem weiteren Nachhauseweg darüber, wie sie es Tilly in ihrem Bahnhof gemütlich machen.

Beate Rola aus Bremerhaven.

*

Entzwillingt

„Los, hopp, Daisy!“, rufe ich Daisy, meinem Schulpferd, in die flauschigen Ohren. Die Stute bewegt sich keinen Millimeter. Seit mehreren Wochen haben Verena, meine Zwillingsschwester, und ich Reitunterricht. Verena reitet mit ihrem Pony den Zirkel ab. Ich rutsche ungeduldig auf Daisy hin und her. Das Pferd und ich haben einen guten Draht zueinander, dachte ich jedenfalls. Heute ist es komisch mit ihr.

„Du musst eindeutige Befehle und Signale geben, Valentina, schau.“ Dabei zeigt Polly auf meine Schwester. „Verena hat den Bogen raus.“

„Jau“, denke ich, Polly, unsere Pferdetrainerin, hat gut reden. Eindeutige Signale. Los, hopp ist für mich sehr eindeutig. Mein Körper verspannt sich und ein Wutgefühl krabbelt in mir hoch.

„Valentina, sei doch ein bisschen wie deine Schwester. Schau, wie deine Schwester es macht. Ihr seht aus wie eine Person und wenn du jetzt noch so selbstsicher und forsch wie deine Schwester …“

Boah, es ist so ätzend, eine Zwillingsschwester zu haben. Ich fühle mich wie unsichtbar und nicht vorhanden. Alles, was Verena will und tut, wird wahrgenommen und gemacht.

„Dein wehleidiges Gerede ist nicht auszuhalten. Seit Wochen höre ich mir dein Gejammere an. Mach deinem Namen Valentina alle Ehre und teile der Welt mit, was du willst.“ Die Stimme ist wie ein leiser Singsang. Ich schaue mich um. Wer hat da gesprochen? Hat jemand meine Gedanken gehört? Was hat mein Name mit Ehre zu tun?

Daisy schüttelt sich kräftig unter mir und dreht die Ohren. Eine Welle durchströmt mich. Wie letztes Jahr, als ich an einen Weidezaun gepackt habe, der mit Strom gesichert war. Das fühlte sich ähnlich an.

„Na, Daisy, heute keine Lust auf Reitunterricht?“ Polly steht vor mir und Daisy. Sie streicht dem Pferd über den Hals. „Sie gefällt mir in letzter Zeit gar nicht, wenn ich nur ihre Gedanken lesen könnte.“ Polly klappst Daisy auf den Po und das Pferd geht langsam vorwärts.

„Ui, Valentina, haste endlich deinen Hafermotor gestartet bekommen?“ Verena schenkt mir ihr Ich-hab-es-vor-dir-geschafft-Lächeln. Dann können wir endlich mit dem Springen beginnen.

Nein, nicht springen! Reiten im Gelände finde ich toll und das macht mit Daisy besonders viel Spaß, aber Springen macht mir Angst. Doch es ist wie sonst auch. Verena will springen, also springen wir.

Vor dem ersten Sprung bleibt Daisy abrupt stehen. Ich kralle mich in ihre Mähne und rutsche zur Seite. Puh, Gott sei Dank nicht runtergefallen. Diese komische Welle durchströmt mich wieder und der Singsang beginnt erneut.

„So, ich gehe keinen Meter mehr und Ausritte kannste vergessen, bis du endlich den Mund aufmachst und deiner Schwester sagst, dass du nicht springen willst, nicht die gleichen Sachen tragen willst, dass du du bist und dein eigenes Ding machen willst.“

„Daisy? Sprichst du mit mir? Wie kann das sein?“ Ich stottere leise vor mich hin.

„Nein, ich kann nicht sprechen, aber ich kann deine Gedanken hören. Alles wäre viel einfacher, wenn ich sprechen könnte. Polly würde mein Verhalten verstehen. Menschen müssen klar gesagt bekommen, was Sache ist, sonst kapieren sie es nicht. Vielleicht liegt es am neuen Futter. Schmeckte gleich so seltsam.“ Daisy schnaubt laut durch ihre Nüstern.

„Hä? Was liegt am Futter?“ Ich bin völlig verwirrt.

„Dass wir unsere Gedanken hören.“ Sie dehnt die Worte auseinander, vermutlich, damit ich es kapiere. „Ich warte, Valentina! Mach hinne, ich will endlich ausruhen.“

Ich strenge mich an, aber ich kapiere es nicht. Ich esse doch nicht das gleiche Futter. Mysteriöse Sache.

„Ich traue mich nicht, es ist wie ’ne Blockade und außerdem hört mir sowieso niemand zu.“ Ich verschränke meine Arme vor die Brust. Pah, bleiben wir hier eben ewig stehen.

„Du benimmst dich wie ein Baby. Ich dachte, ihr seid letzte Woche zwölf Jahre alt geworden. Wovor haste Angst? Dass der Himmel runterfällt? Dich niemand mehr liebt? Vielleicht ist deine Schwester froh, wenn du sagst, was du fühlst und willst. Kann doch sein, dass sie nicht immer die Richtung vorgeben will. Ich war mit meiner Schwester oft uneinig, aber nun ist sie fort und ich bin sehr einsam.“

Das Gefühl kenne ich. Verena geht mir mächtig auf die Nerven, aber so ganz ohne sie ... „Was ist mit deiner Schwester?“, frage ich Daisy.

Daisys Gedanken klingen zittrig: „Sie ist an den Nachbarhof verkauft worden.“

„Das mit deiner Schwester“, flüstere ich in ihr Ohr, „tut mir leid.“

„Valentina, dein Name bedeutet die Mutige. Sprich endlich über deine Wünsche und sag Polly, dass ich einsam bin ohne meine Schwester.“ Daisy schabt ungeduldig mit dem Vorderhuf durch den Sand.

„Bist du verrückt? Wie stellst du dir das vor? Ach, übrigens, Polly, ich kann die Gedanken von Daisy lesen und sie meine?“ Mutlos lasse ich die Schultern hängen. Wie soll ich das hinkriegen? Mein Name hat mir bisher auch nicht geholfen.

Verena und Polly kommen zu mir und Polly streichelt Daisy die weiche Nase. „Ach, Daisylein, was ist denn nur los mit dir?“

„Ich glaube, sie ist einsam ohne ihre Schwester.“ Ich traue mich nicht, Polly dabei anzusehen.

„Oh, biste jetzt zur Pferdeflüsterin geworden?“ Meine Schwester knufft mir leicht gegen den Arm.

„Sie hat recht, Verena, das könnte wirklich der Grund für Daisys Verhalten sein. Danke, Valentina, wäre nicht selbst drauf gekommen.“ Polly lächelt mich an.

„Siehste“, höre ich Daisy leise raunen, „wer spricht, kann gehört werden.“

Ich merke, wie mir vor Peinlichkeit die rote Farbe ins Gesicht schießt. „Jetzt oder nie, Valentina!“, rufe ich mir Mut zu.

„Nee, aber ich habe gehört, dass Daisys Schwester verkauft wurde, und ich würde auch einsam sein, wenn man dich verkaufen würde.“ Ich hole tief Luft und schaue nach oben. Alles gut, der Himmel ist noch an seinem Platz. „Verena, ich will nicht springen und auch nicht das anziehen, was du trägst, und schon gar nicht will ich so sein wie du. Ich bin was Eigenes.“ Geräuschvoll lasse ich die Luft entweichen. Geschafft!

„Na endlich“, ruft Verena, „die Entzwilligung hat stattgefunden.“ Sie zwinkert mir zu. „Es reicht völlig, dass wir gleich aussehen, da musste nicht noch so toll sein wie ich.“

„Boah, Verena, du nervst!“, rufe ich ihr zu. Vielleicht verkaufe ich sie doch, irgendwann.

Petra Behlert lebt in Hückeswagen.

*

Ein lebender Gott

Memphis: 1331 vor unsere Zeitrechnung.

„It-netjer Eje, ich bete noch zu Selket“, rief der Kinderpharao Tutanchamun und öffnete die schwere Tür zum heiligen Bereich des Tempels.

„Ja, aber zu nicht lange!“ Eje war ein älterer Mann in einem Leopardenfell, das er quer über der Brust trug. Er war der Wesir und Hohepriester von Ober- und Unterägypten. „Ihr müsst zum Unterricht. Ein lebender Gott wie Ihr hat viel zu tun.“