Mobbing - Nicht mit uns! - Martina Meier - E-Book

Mobbing - Nicht mit uns! E-Book

Martina Meier

0,0
7,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In der Schule, im Verein, im Internet – Mobbing kann überall stattfinden. Warum geschieht das, wer sind die Opfer, wer sind die Täter? Mehr als 100 Kinder und Jugendliche haben sich mit diesem schwierigen Thema beschäftigt und ihre Gedanken dazu in Worte gefasst. Herausgekommen sind ergreifende Geschichten und Gedichte, die die tägliche Wahrheit vieler Kinder schonungslos offenbaren und manchem Leser die Augen öffnen. Denn es ist wichtig, hinzuschauen und die Augen vor Mobbing nicht zu verschließen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



o

Mobbing

Nicht mit uns!

Martina Meier (Hrsg.)

o

Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet - www.papierfresserchen.de

© 2023 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Bearbeitung: CAT creativ - www.cat-creativ.at

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2014.

Titelbild: Carina Geyer

ISBN: 978-3-99051-092-6 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-99051-185-5- E-Book

*

Inhalt

Die Versammlung

Das Spiel

Beste Feindinnen

Anne

Selbstvertrauen ist gut – Mut ist besser!

Änderung

Der Mutmachteddy

Sorry

Stopp!

Wann ist es vorbei?

Mobbing hat viele Seiten

Ihr wart doch meine Freunde

Beste Freundinnen?

Zusammen sind wir stark!

Schatten

Mobbing

Falsche Freundinnen

Danke

Freunde

Allein

Die Brücke des Todes

Mobbing ist was für Vollkornbrote

Auf dem Schulhof

Nichts ist mehr in Ordnung

Genug Mut

Die kleine Ente Alge

Das Leben mit den vielen Stolpersteinen

Der letzte Sonnenstrahl

(K)eine ganz normale Freundschaft

Fake account

Anti-Mobbing Gedicht

geoutet

Wahre Schönheit kommt von innen

Anders als wir

Mode ist Ansichtssache

Auslöser

Das Leben in der Hölle

Lena Schmitt

Der Laptop

All the strength to make it through

Das schlechte Vorbild

Dickes Schwein

MOBBEN – Muss das sein?

Alena, Riva & ich

Beste Freundinnen halten zusammen

Mobbing

Die neue Freundin

Füßestrecken lohnt sich

Nilpferde

Teufelskreis

Mobbing - Nicht mit uns!

Julie

Am Ende

Quentin ist ein Mädchen!

Luise

Stillschweigen

Mobbing - nicht mit uns

Eine riesige Seifenblase

Nein!

Nur nicht unterkriegen lassen

Teufelsbrut

Du schaffst es, Katharina!

Zu späte Reue

Unglaublich

Die Nase des Mädchens aus Sibinien

Mobbing-Geschichte

Einschnitt

Die Geschichte von Simon

Jetzt wird alles besser!

Ende eines Albtraums

Penny

Jim

The Witches

Ninas Tagebuch

Die Mobbing-Detektivin

Ein schrecklicher Entschluss

Meine Mobbinggeschichte

Immer nur Stress

Achtung, Mobbingbefall!

Die üblen Jungen

Lukas wird gemobbt

Die Mobbing-Detektive

Ein Streich wird zu Liebe

Mobbing auf dem Fußballplatz

Mobbing – eine üble Sache

Falsch gemacht und falsch gedacht

WhatsApp-Katastrophe

Nirgendwo ist man sicher

Falsche Freunde

Mäx im Glück

Schul-Mobbing

Cybermobbing

Der unglückliche Michael

Das traurige Mädchen

Vom Chaos der Gefühle

Das Geheimnis einer Freundschaft

Moana

Und dann?

Lotte vereint!

Mutprobe

Superhase rettet seine Freunde

Die Mädchen aus Zentralafrika

Meine schlimme Geschichte

Worte-Labyrinth

Only a small step

Stell dich deiner Angst!

Das Anti-Mobbing-Gedicht

If Everyone Cared

Mobbingfreie Zone

Die Geschichte vom armen Jakob

Große Mädchen weinen nicht

In der neuen Schule

Die Party, die alles veränderte

Verliebt in Florian

Tomaten sind gar nicht so übel, oder?

*

Die Versammlung

Uns allen ist klar, warum die Versammlung stattfindet.

Seit letztem Freitag liegt einer unserer Mitschüler im künstlichen Koma. Keiner kann sagen, ob er überleben wird. Er wurde die Treppe heruntergeschubst und ist da unten dann einfach liegen geblieben. Einige von uns waren dabei und wissen, wer ihn absichtlich gestoßen hat. Wir haben es gesehen, aber was hätten wir schon tun können? Es ging so schnell.

Ja, vielleicht hätten wir irgendetwas tun können, schon viel früher. Wir alle haben es Tag für Tag miterlebt, wie sie ihn gepeinigt haben. Doch wir konnten nichts dagegen tun. Oder zumindest nicht mehr als das, was wir auch getan haben. Der Pausenaufsicht Bescheid geben. Selber eingreifen. Aber die Erwachsenen nehmen so was nicht ernst.

„Nur Kindereien“, hat man uns vertröstet. Geändert hat sich nichts.

Bis letzten Freitag nicht. Jetzt hängt Bens Leben am seidenen Faden und sie sind gezwungen, etwas zu tun. Deshalb die Versammlung.

Einige der Anwesenden schauen betreten zu Boden, vor allem die älteren Schüler und die, die Ben kennen. Die meisten aber geben sich alle Mühe so zu tun, als ginge sie das hier nichts an und manche machen sich sogar darüber lustig.

Amy Allen starrt sie fassungslos an. Amy ist ein anständiges Mädchen. Sie hat sich oft für Ben eingesetzt, ihn getröstet. Sie ist die Einzige, die sich die Mühe gemacht hat, ihn wirklich kennenzulernen. Sie ist seine beste Freundin. Ihre Haltung macht deutlich, dass sie ihm auch jetzt beisteht, fest daran glaubt, dass er überleben wird.

Der Lehrer redet davon, wie wichtig Zusammenhalt ist, ehe er auf die eigentliche Situation kommt. Er redet von einem „tragischen Unfall“, von etwas, das „nicht passieren darf“. Er erzählt von der Bedeutung des Lebens, dem Respekt vor eben diesem und der gegenseitigen Toleranz.

Ich höre nicht zu. Dieses Geschwätz ist so unerträglich, so ein absoluter Bullshit! Es hört sich an, wie auswendig gelernt. Der übliche Schwachsinn von sogenannten Pädagogen, denen das Wohl von uns Kids ja ach so sehr am Herzen liegt. Mein Gott, ich könnte kotzen! Wann haben sie uns denn bitte zugehört, wenn wir ihnen gesagt haben, was abging? Wann haben sie unseren Worten je Glauben geschenkt? Haben sie überhaupt einmal die Augen aufgemacht und hingeschaut?

Menschen sagen viel, wenn der Tag lang ist, doch kann man all dieses Gerede auch für bare Münze nehmen? Ich bin mir ziemlich sicher, dass dem nicht der Fall ist. Sonst hätte sich doch etwas getan, sie hätten Ben doch dann wenigstens einmal geholfen!

Ben ist ihnen scheißegal. Den Erwachsenen geht es nur darum, selbst gut dazustehen. Ich wette, es macht sich ganz schlecht, zugeben zu müssen, dass ein Schüler quasi vor ihren Augen gemobbt und fast umgebracht wurde. Das dürfte wohl der einzige Grund sein, warum sie jetzt eine „Aufklärungsversammlung“ abhalten, nur um dann sagen zu können: „Wir haben alles getan, was in unserer Macht stand.“

Amy schaut den Lehrer mit hochgezogenen Augenbrauen an, wahrscheinlich denkt sie dasselbe wie ich. Ihr Blick drückt jedenfalls Zweifel an den Worten des Pädagogen aus.

Dieser fordert die Schüler nun auf, nicht davor zu scheuen, sich an jemand erwachsenen zu wenden, sollten sie mitkriegen, dass jemand „mit Worten oder Taten verletzt wird“.

Dass ich nicht lache! Aber immer schön die Schuld auf andere schieben. Er tut so, als hätten WIR ignoriert, was sie mit Ben getan haben. Dabei sind es die Älteren, die nicht hingeschaut hatten.

Es macht mich so wütend, das alles anhören zu müssen! Noch wütender macht mich aber das Wissen, nichts, absolut nichts, dagegen tun zu können. Weder kann ich die, die Ben immer wieder aufs Neue zerstören, dafür bezahlen lassen noch kann ich den Lehrern die Augen öffnen und sie dazu bringen, einzusehen, dass auch sie Schuld tragen, so wie wir alle.

Jeder Einzelne hier ist schuld an Bens ungewisser Situation. Wir alle waren nicht aufmerksam genug, nicht stark genug, um wirklich etwas ändern zu können. Andere waren zu dumm, zu kapieren, dass sie mit ihrem Spaß Menschen verletzen und kaputtmachen.

Klar, manche Leute müssen demonstrieren, dass sie die Stärksten sind, und dennoch glaube ich, dass es nicht so weit hätte kommen müssen. Vielleicht hätte ein einziges Wort, eine einzige Sekunde gereicht und Ben wäre jetzt auch hier, wir alle hätten Unterricht und die Täter irgendeine Strafarbeit an der Backe. Vielleicht.

Ich kann es nicht mehr aushalten, nicht in diesem Raum, mit all den Dummschwätzern um mich herum.

Als ich aufstehe, verstummt alles. Der Lehrer sieht mich verwirrt an.

„Glauben Sie, dass es Ben jetzt noch irgendwas bringt, wenn Sie hier klug rumlabern?“, frage ich ihn. „Wir haben oft genug was gesagt. Hätten Sie uns ernst genommen, wäre Ben jetzt hier. Wenn mein Bruder stirbt, ist das auch Ihre Schuld.“

Mit diesen Worten verlasse ich die Aula.

Judy Frauenhofer aus Erlangen ist 15 Jahre alt.

*

Das Spiel

Während ich durch die schmalen, verwinkelten Gassen der Vorstadt lief, begann es zu regnen. Unter dem Prasseln des Regens hörte man kaum meine eiligen Schritte auf den Pflastersteinen. Die Häuser hier waren kahl und farblos. Ich war es leid, diesen Schulweg nach Hause zu gehen. Selbst im Sommer war es hier viel zu dunkel.

Plötzlich hörte ich eine schadenfrohe Stimme hinter mir. „Mädchen, jetzt habe ich dich endlich!“ Ich fuhr herum und sah Stephan hinter mir. Ein breites Grinsen zierte sein verhasstes Gesicht.

„Geh bitte einfach weg. Ich habe keine Lust, mit dir zu sprechen“, erwiderte ich. Sein Lachen wurde nur noch breiter. Keine Sekunde dachte er daran, wirklich zu gehen. „Weißt du, ich habe einen guten Geschmack für leichte Beute“, erklärte er und zog einen kleinen silbernen Gegenstand aus seiner Tasche. Ein Messer!

Ich hatte nie geglaubt, dass es jemals so weit kommen würde. Anfangs machten er und seine Clique nur dumme Witze über mich, doch bald fingen sie an, mich bloßzustellen und mich zu schikanieren. Wie Kindergartenkinder warfen sie während des Unterrichts Papierkugeln nach mir und verbreiteten Gerüchte über mich. Von einem Tag auf den anderen wollte niemand mehr etwas mit mir zu tun haben. Das ließ sich alles gerade noch ertragen, doch mir mit einem Messer zu drohen, ging zu weit.

Möglichst unbeeindruckt erwiderte ich: „Was willst du mit dem Messer? Willst du dir ein Butterbrot damit schmieren?“ Ich wunderte mich, dass es mir so gut gelang, meine Angst zu verstecken. Trotzdem bekam ich eine Gänsehaut, auch wenn ich nicht fror.

Langsam ging er auf mich zu. Schnell drehte ich mich um und lief die Gasse entlang. Keine zwanzig Meter weit war ich gekommen, als mir seine Clique den Weg abschnitt. Eigentlich hätte mir das vorher schon klar sein können. Ich hatte ihn noch nie ohne seine Gruppe gesehen. Dafür war er viel zu feige.

„Komm!“, sagte er. „Wir spielen ein Spiel. Heute gibst du mir einen Cent und kommst mit heiler Haut davon. Morgen gibst du mir zwei Cent, übermorgen vier, dann acht, dann sechzehn und immer so weiter. Spielst du mit?“

Ängstlich nickte ich und zahlte.

Seitdem sind jetzt schon dreizehn Tage vergangen und ich musste ihm heute vierzig Euro und sechsundneunzig Cent zahlen. So viel Geld hatte ich aber nicht, also habe ich ihm die schöne Uhr gegeben, die ich zur Firmung geschenkt bekommen hatte.

Wie ich ihm am nächsten Tag einundachtzig Euro und zweiundneunzig Cent zahlen sollte, wusste ich noch nicht. Glücklich war ich schon lange nicht mehr. Ständig hatte ich Angst. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich Knoten übte. Galgenknoten.

Nein, nein. NEIN!!! Ich verbannte alle Gedanken aus meinem Kopf, die auch nur annähernd damit zu tun hatten. Morgen würde ich es jemanden sagen. Meinen Eltern oder vielleicht meinem Klassenvorstand.

Ich setzte mich an mein Klavier und schlug ein Notenblatt auf. Ich dachte nicht darüber nach, was ich spielte, denn meine Finger kannten die Akkorde blind. Es gab nichts, das mir besser bekannt war als die Melodien, die mich für die Dauer eines Momentes in eine andere Welt entführten. Nur zu wissen, dass ich mit der Musik niemals weit kommen würde, trieb mich an den Rand des Wahnsinns. Aber immerhin– es war dennoch eine gute Ablenkung.

Kaum hatte ich mit dem Klavierspielen aufgehört, trafen mich meine Sorgen wieder wie ein Schlag. Es war wie eine unsichtbare Nadel, die immer und immer wieder auf mich einstach und rief: „Du bist nicht schlau genug! Du bist nicht stark genug! Du bist nicht gut genug für diese Welt!“

Am nächsten Morgen erzählte ich meiner Lehrerin die ganze Geschichte in allen Einzelheiten und schilderte ihr nebenbei meine Gefühle. Ich erzählte ihr, wie viel Angst ich ausgestanden hatte und bat sie um Hilfe. Sie versprach mir, dafür zu sorgen, dass ich mein Geld und meine Uhr wieder zurückbekäme. Auch würde sie Stephan und seine Clique dazu bringen, sich bei mir zu entschuldigen. Aber selbst wenn sie Stephan dazu bekommen hätte, wäre die Entschuldigung nur halbherzig gewesen. Manchmal fragte ich mich, ob er überhaupt ein Herz besaß.

Alexandra Haslauer ist 15 Jahre alt und kommt aus Ebensee / Österreich.

*

Beste Feindinnen

Es war an einem schönen Frühlingsmorgen im März letzten Jahres. Meine beste Freundin Hannah und ich gingen wie jeden Morgen gemeinsam zur Schule. Wir lachten und quatschten über beliebige Sachen. Das Hauptthema war wie immer ihr Freund.

Klar, Hannah ist meine beste Freundin, aber bei dem Thema gingen unsere Meinungen weit auseinander. Sie hatte die Angewohnheit, ihre Freunde nur über das Internet kennenzulernen. Das stößt bei uns im Freundeskreis immer wieder auf Gesprächsstoff. Was ja eigentlich auch verständlich ist.

Als wir in unser Klassenzimmer kamen, bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte. Die Jungs starrten uns an wie Aliens. Hannah lief, ohne das zu beachten, an unseren Tisch und breitete ihre Schulsachen aus. Ich setzte mich hin und fing einen mitleidigen Blick von Kristin auf. Sie saß hinter mir und war sehr schüchtern, aber sympathisch.

In der großen Pause trafen wir uns mit den Mädchen aus den Parallelklassen. Auch sie starrten Hannah und mich an. Mir wurde das alles langsam unheimlich.

Nach der Schule ging ich sofort nach Hause. Beim Mittagessen schaute ich meine WhatsApp-Nachrichten durch. Ich schnappte überrascht nach Luft, als ich sah, wer geschrieben hatte. 17 Nachrichten, in denen immer dasselbe stand: „Wie findest du Hannah? Sie ist voll die Schlampe und macht jeden an. Halte dich von ihr fern, sonst wirst auch du drankommen!“

Ich war geschockt, als ich das las, und schrieb rasch einem Mitschüler zurück.

Die Antwort kam postwendend: „Sie hat meinen besten Freund angemacht!“ Die Nachricht war von Marc und damit war wohl Lucas, der Freund von Hannah, gemeint.

Mir war sofort klar, dass ich ihr nichts davon erzählen durfte. Ich wusste schon, dass Hannah nicht gerade beliebt in der Klasse war und sie wusste es auch.

An diesem Abend schrieb ich noch mit einer Klassenkameradin – Selina. Sie war für mich wie eine Schwester und wir hatten meistens die gleiche Meinung. Etwas später wurde ich in eine WhatsApp-Gruppe eingeladen: „Hannah die B***ch“. Die Schüler schrieben Sachen darin, bei denen mir beinahe übel wurde. Eines stach hervor: Alle hatten ein Problem mit Hannah, aber keiner wusste genau, warum. Und damit fing die ganze Geschichte erst an.

Am nächsten Tag wurde Hannah von den Leuten aus der Gruppe ausgelacht. Man hatte ihr die Schulsachen weggenommen und in den Schlamm geworfen. Ich hatte das Geschriebene über Hannah noch im Hinterkopf und ging einfach weiter. Unter keinen Umständen wollte ich von den Mitschülern so gemobbt werden. Als Hannah später in die Klasse kam, saß ich neben Selina. Hannah schaute mich kurz an und setzte sich an ihren Platz. Während der Stunde tuschelten Selina und ich über sie.

Als beste Freundin von Hannah hätte ich vielleicht mit ihr reden sollen, aber irgendwie fand ich, dass sie es verdient hatte. Seit der ersten Klasse hatte sie die Schwächeren gemobbt und gequält. Ich war immer wie ein Schatten von ihr, ich hatte mich nie getraut, den Mund aufzutun und etwas zu sagen. Ich war ihre persönliche Dienerin.

Jetzt stand ich im Mittelpunkt. Alle ihre Geheimnisse erzählte ich weiter. Die Leute aus der Gruppe mobbten sie, zerrissen ihre Sachen und riefen sie mitten in der Nacht an. Am Anfang ließ sie sich alles gefallen. Aber nach einiger Zeit bemerkte ihre Mutter, dass etwas nicht stimmte. Deshalb kam sie zu mir. Ich druckste herum und wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Nach einer Weile ging sie wieder.

Das Mobbing ging so weit, dass Hannah anfing, sich zu ritzen. Wir fanden das in dem Moment noch lustig. Auch als sie mit Selbstmord drohte, lachten wir nur. Aber dann erzählte irgendwer ihrer Mutter, was los war. Sie erschien wie eine Furie bei mir und schrie mich an, was eigentlich in mich gefahren sei. Sie war fast nicht zu bremsen.

Von da an kam ihre Mutter fast jeden Tag zu mir und wollte einen Grund wissen, warum ich ihre Tochter mobbte. Ich versuchte, ihr das mit der persönlichen Dienerin zu erklären, aber das machte sie nur noch wütender. Meine Mutter erfuhr auch davon, aber sie meinte, ich müsse das selbst hinkriegen. In der ganzen Zeit kam Hannah nie zu mir und bat mich, dass wir damit aufhören sollten.

Allmählich wurde auch eine Sozialarbeiterin in die Sache mit einbezogen. Ein paar Mitschüler und ich mussten während des Unterrichts zu einem Treffen, in dem wir das weitere Vorgehen besprachen. Aber die meisten hatten keine Lust, Hannah zu helfen. Die Sozialarbeiterin fand das gar nicht lustig und wurde extrem wütend. Am Schluss gingen wir, ohne ein Wort zu sagen, aus dem Zimmer. Wir Mädchen sind dann weinend nach Hause gelaufen. Meine Mutter hat die Sozialarbeiterin angerufen und klargestellt, dass ich nicht einfach wieder mit Hannah befreundet sein könnte.

Meine Mutter ist eigentlich voll lieb.

Nach fünf, sechs Monaten war es immer noch nicht besser. Hannah war psychisch und physisch am Boden. Sie fehlte dauernd in der Schule. Dann kamen die Sommerferien. Ich war mit ein paar Kameradinnen zelten. Es war richtig cool.

Nach den Ferien war Hannah weg. Einige sagten, sie gehe auf eine Privatschule, andere meinten, sie wäre in die Klinik eingewiesen worden.

Jasmin Bissegger lebt in Frick (Schweiz) und ist 13 Jahre alt.

*

Anne

Mittwoch. Zweite kurze Pause.

Ich gehe mit den anderen Mädchen Richtung Schulhof und packe mein Pausenbrot aus. Da kommt ein Lehrer vorbei. Er hat versehentlich seinen Hosenstall offen. Wir kichern. Im Hof sprechen wir über die peinlichsten Erlebnisse, die wir mal hatten. Da kommt Anne über den Platz. Ich kenne sie nicht so gut, deshalb möchte ich das Thema wechseln. Wer weiß, wem die das alles erzählt. Posaunt bestimmt alles heraus, das will man ja nicht.

Als Lisa uns auf Anne aufmerksam macht, hören wir mit dem Gerede auf. Wer will schon, dass jemand wie Anne so was mitkriegt? So wie die immer ist. Kümmert sich nicht viel um andere Leute. Und um sich selbst auch nicht. Sie kommt jeden Tag mit Haaren in die Schule, die so fettig sind, dass man meinen könnte, sie hätte noch nie was von Hygiene gehört. Und Mundgeruch hat sie auch. Ich musste einmal mit ihr ein Rollenspiel machen, da hat sie mir ins Gesicht gehaucht, widerlich. So was von ungepflegt. Ich glaube, sie spuckt auch beim Reden.

Die Anne. Kann die uns nicht mal in Ruhe lassen? Die kommt ständig und überall nach. Nie kann man mal ohne sie sein. Und immer hat sie miese Laune und zieht die Stimmung runter. Hält die Klappe, kommt, hört zu. Lauscht. Ich will nicht wissen, was die schon alles gehört hat. Das ist mir unheimlich. Deshalb gehe ich ihr auch sonst, so gut es geht, aus dem Weg. Und jetzt kommt sie hierher, na super.

Ich schüttele mit dem Kopf, als Anne herankommt. Trägt alle möglichen Sachen, in jeder Farbe, egal wie schrill und kreischend es aussieht. Und die Klamotten sind ihr auch noch zu weit. Bestimmt vom Flohmarkt oder so. Ihre Schuhe sind aber vom Discounter, das sieht man. Billigangebot. Wie peinlich. Also wirklich!

Das gibt�s doch nicht. Schon wieder Anne. Die ist so komisch. Immer still, sagt nie was, hört nur zu. Keinen Sinn für Humor. Das erklärt auch ihre Noten in der Schule, überall Einsen, außer im Sport. Da hat sie eine Drei. Aber mit Plus. Na klar, ist ja Anne. Lebt für die Schule. Wie verrückt muss man sein? Die Schule ist wichtig, klar, aber reinsteigern muss man sich doch auch nicht ... Und sie macht nicht mal einen Hehl aus ihren Noten, weil sie weiß, dass wir andern Mädchen schlechter sind. Das macht sie, um uns zu ärgern.

Ich sehe, wie Anne zu uns kommt. Schwabbelnd und wackelnd. Sie ist die Dickste in unserer Klasse. Nicht richtig dick, aber halt nicht so schlank wie wir. Also echt! Hat keine Selbstdisziplin. Hält ihren Körper nicht unter Kontrolle. Ich hab mal gesehen, wie sie Tabletten nehmen musste. Wahrscheinlich leidet sie an irgendwelchen Anfällen, passen würde es ja.

Da ist Anne. Ganz komisches Kind. Hat als Mädchen Latein gewählt! So blöd muss man sein ... aber eigentlich war sie anfangs ganz okay. Doch die anderen Mädchen mögen sie nicht. Ich habe gehört, was sie sagen. Das klingt nicht sehr nett. Deshalb will ich Anne gar nicht näher kennenlernen. Vorsicht ist schließlich besser als Nachsicht.

Anne kommt auf uns zu. Ich mag sie. Sie hat mir in Mathe geholfen. Obwohl meine Freundinnen sie nicht leiden können. Sie hat mich gefragt, ob ich Hilfe brauche. Ich rede immer mal mit ihr. Deshalb sage ich „Hallo“ und lächle sie an. Doch dann sehe ich die Blicke der anderen Mädchen und schäme mich.

Karo mag die Anne also? Ich verstehe es nicht. Eine, die sich so anzieht. Na ja, Geschmäcker sind verschieden und manche sind schlecht.

„He, du!“, sage ich zu Anne. Ich mag es nicht, wie sie uns immer hinterherdackelt. Deshalb bin ich genervt. „Was willst du hier?“

Ich mustere Anne. Heute hat sie ein rosa Top an, kombiniert mit einer türkisen Weste. Also bitte. Das ist was für Kleinkinder und Babys. So wie sie. Das sage ich ihr auch.

„Was hast�n du schon wieder an?“ Ich sehe mich um. Das hat gesessen. Stolz grinse ich.

Chrissi antwortet sie nicht. Das geht nicht. Sie einfach so zu ignorieren. Hält sich wohl für was Besseres wegen der Noten. „Wer zieht dich denn so an? Deine kleine Schwester?“ Neugierig recken alle Mädchen die Hälse. Was macht Anne jetzt?

Als Anne mit einem leisen „Nein“ antwortet, sage ich: „Doch, so wie du aussiehst.“ Das musste ihr einfach mal gesagt werden. So zieht sich keine Jugendliche an, die halbwegs normal ist.

„Und waschen tut sie dich auch. Nämlich gar nicht.“ Sie stinkt immer so und wird wahrscheinlich nichts dagegen unternehmen, wenn niemand was sagt. Ich fächele mir mit der Hand Luft zu und ernte Gelächter.

„Genau.“ Ich habe nichts gegen Anne, aber die anderen Mädchen sehen mich so erwartungsvoll an. Ich möchte sie nicht enttäuschen.

„Verschwinde! Streber sind hier verboten“, zische ich. Ätsch. Das ist für deine Eins in Chemie. Meinem Lieblingsfach. Da du immer alles besser weißt und ich blöd dastehe. „Du Spast!“

„Ja, genau, zieh Leine, Fettsack!“

„Hau ab, du Spaßbremse!“ Zustimmende Rufe der anderen.

Anne sieht mich hoffnungsvoll an, damit ich ihr helfe, so wie sie mir. Aber dann müsste ich etwas sagen gegen Lisa, Chrissi und die anderen ... meine Freunde ... ich traue mich nicht.

Schweigend verlässt Anne den Hof und ich glaube, sie weint.

Magdalena Dörfler ist 15 Jahre alt und wohnt in Bindlach.

*

Selbstvertrauen ist gut – Mut ist besser!

Ich stellte den letzten Koffer ab. Zum dritten Mal zogen wir in diesem Jahr nun schon um. Ich hatte versucht, meinem Vater beizubringen, dass es nicht gerade lustig ist, alle paar Monate die Schule wechseln zu müssen, aber Dad war schon immer ein schlechter Zuhörer gewesen. Und seit Mom weg war, ließ Dad erst recht nicht mehr mit sich reden. Mom und Dad hatten sich vor ungefähr einem Jahr getrennt. Seitdem hatten die beiden wohl nur noch wegen Geld und Erbe und all dem anderen Kram miteinander geredet. Die ersten paar Wochen nach der Trennung hatte ich bei meiner Mutter verbracht, aber als die einen neuen Typen nach Hause schleppte, beschloss ich, dass ich doch lieber bei Dad wohnen wollte.

Ich stieg aus dem Auto und atmete einmal tief durch. Ich nahm all meinen Mut zusammen und ging in das Schulgebäude hinein. Auf den Fluren standen überall Kinder, die mich überhaupt nicht beachteten. Ich atmete erleichtert auf. Bloß nicht auffallen! Vor lauter erleichtert sein, sah ich das Mädchen erst, als es schon zu spät war. Sie rempelte mich glücklicherweise nur an und rannte einfach weiter.

Ich packte schnell meine Sachen zusammen und wollte mich aus dem Staub machen, als der Verfolger des Mädchens um die Ecke kam. Diesmal hatte ich weniger Glück. Der kleine Junge mit den süßen braunen Löckchen und den strahlend blauen Augen krachte voller Schwung in mich hinein. Ich fiel zu Boden und meine Tasche leerte sich auf den Boden aus. Auch meine Schminksachen und der Beutel mit den Notfall-Tampons darin. Alle drehten sich zu mir um und schauten mich verwundert an. Nach einer Weile begann jemand zu lachen, bis mich schließlich der ganze Flur auslachte. Der Kleine mit den Löckchen hatte sich mittlerweile aus dem Staub gemacht. Schnell nahm ich meine Sachen und stopfte sie in meine Tasche. Ich sagte nichts und lief davon. Zumindest hatte ich das vorgehabt. Doch plötzlich wurde das Gelächter wie auf Knopfdruck leise. Ich wollte mich schon umdrehen, als ich einen Finger auf meiner Schulter spürte. Ich drehte mich nun endgültig um und sah direkt in ein Gesicht, das so schön war, wie ich es noch nie gesehen hatte. Die blonden Wuschelhaare hatte er lässig nach hinten gegelt und die braunen Augen sahen direkt in die meinen.

„Hi, ich bin Leon. Ich glaube, du hast da was vergessen ...“, sagte der Typ und hielt mir einen meiner Notfall-Tampons vor die Nase.

Peinlich berührt nahm ich den Tampon, krächzte ein leises „Danke“ und ging weiter. Nun ging das Gelächter wieder los. Von da an wusste ich, dass das mit dem Nicht-Auffallen nichts werden würde.

In den nächsten Wochen passierte nicht sehr viel. Ich hatte keine Freunde und alle rissen Witze über meinen „kleinen Unfall am ersten Schultag“. Leon war komischerweise der Einzige, der nie richtig über die Sprüche lachte. Ich war nie sonderlich beliebt gewesen, aber auch nie unbeliebt. Bis jetzt. Doch ausgerechnet hier hatte Dad „eine reizende Frau“ kennengelernt. Also konnte ich nicht davonrennen. Eigentlich auch nicht mein Ding. Also beschloss ich, all den Rotznasen am nächsten Tag in der Cafeteria mal die Meinung zu geigen.

Als ich allerdings am nächsten Tag in der Cafeteria saß und die üblichen Sprüche über mich ergehen ließ, traute ich mich doch nicht. Am nächsten und übernächsten Tag wurde daraus leider auch nichts. Hätte ich mir doch denken können! Ich war schon immer ein feiges Huhn gewesen.

Da lief eines Tages die Oberzicke Pia vorbei, schüttete mir so ganz nebenbei ihren Tee über die Hose und sagte entschuldigend: „Das tut mir jetzt aber leid! Nächstes Mal solltest du die Windeln auch noch mitbringen. Möglicherweise entspricht das eher deinem Altersniveau als Tampons ...“

„Jetzt“, dachte ich, „jetzt reicht�s!“ Ohne genau zu wissen, was ich tat, stieg ich auf meinen Stuhl und sagte: „Ich muss zugeben, das kleine Missgeschick am ersten Schultag war nicht gerade unpeinlich! Aber so etwas kann jedem mal passieren, nicht? Wahrscheinlich ist sogar Pia schon mal was so richtig Peinliches passiert!“ Um meine Worte zu unterstreichen, nahm ich mein Essen, stieg von meinem Stuhl runter und tat, als ob ich mich gerade an meinen Platz setzen wollte. Immer noch geschockt und verwundert stand Pia neben mir und schaute mich ängstlich an. Ich stolperte (oh, welch ein Glück) absichtlich und schmierte ihr mein ganzes Essen ins Gesicht. Ich ließ ein kleines ironisches „Upps“ hören und wartete auf die Reaktion der anderen. Zuerst war es lange still, aber als Pia aufstand, sich das Essen aus dem Gesicht und von der Bluse strich und schließlich auch noch auf den Essensresten ausrutschte, begannen alle Anwesenden zu lachen. Ängstlich sah ich mich um. Doch meine klare Ansage hatte geholfen. Die prall gefüllte Cafeteria lachte nicht über mich. Sondern über Pia. Ich lächelte und war richtig glücklich.

Auf einmal spürte ich einen Finger auf meiner Schulter. Hinter mir stand Leon. Leise flüsterte er: „Ich wusste, dass du kein Loser bist!“

Paula Gund ist 13 Jahre alt und wohnt in Bern.

*

Änderung

Es ist lange her, dass ich daran gedacht habe. Und eigentlich wollte ich auch nie wieder daran denken. An die Zeit, als ich ein kleines, dickliches Kind gewesen war, immer mit einem Stück Schokolade in den Wurstfingern.

Es fing in der Schule an. Auf dem Schulhof. Die anderen Kinder sonderten sich von mir ab, und als ob das noch nicht genug gewesen wäre, ignorierten sie mich irgendwann vollkommen. Manch einer würde sagen, dass das nicht weiter schlimm ist, doch das war es. Abgeschottet, nicht gemocht oder akzeptiert zu sein und dass nur, weil man ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hat. Aber sagt Gewicht etwas über deinen Charakter aus, über deinen Geist, dein Wesen? Nein! Aber das war vollkommen egal.

Es blieb nicht beim Ignorieren, sondern es wandelte sich. Meine Mitschüler begannen mich zu hänseln, gaben mir gemeine Spitznamen wie „Fettsack“, „Nilpferd“ oder „Klops“. Jedes dieser Worte war für mich ein Messerstich tief ins Herz. Und das ging lange so.

Warum ich das erzähle? Ich will es anprangern, weil ich es für unfair halte, Leute nach dem Äußeren zu beurteilen.

Denn auch neulich ergab sich dieselbe Situation auf dem Schulhof – nur dreißig Jahre später. Ich bin Lehrer geworden, wollte den Kindern Akzeptanz beibringen. Und doch ...

Ich wanderte als Aufsicht über den Schulhof. Einige der Schüler spielten Fußball weit hinten auf dem Platz, drüben in der Ecke sprangen ein paar Mädchen Seil, viele saßen auf Bänken und unterhielten sich und einige kletterten auf dem Klettergerüst herum. Weiter vorne saß ein kleiner, dicklicher Junge allein auf einer Bank. In der speckigen Hand hielt er eine Tüte mit Schokoladenstückchen und rollte gerade eines aus der Verpackung, als eine Gruppe Jungs auf ihn zukam. Ich kannte die drei, denn sie hatten bei mir Unterricht. Sie waren nicht direkt unfreundlich, doch alle hatten immer einen frechen Spruch auf den Lippen, der mich so manches Mal zur Weißglut getrieben hatte. Nun also umringten die Jungs den Kleineren. Ich näherte mich, denn ich wollte unbedingt wissen, was da vor sich ging. Und natürlich würde ich im Notfall eingreifen.

„Hey, Moppelchen. Rück die Schokolade raus!“, sagte Samuel, der Kopf der Jungs. Ein rothaariger, drahtiger Wicht, der so manches Mal unverschämt geworden war.

„Ich ... das ist meine Schokolade“, erwiderte der Junge und seine Stimme zitterte. Seine Finger klammerten sich fest um die Tüte und er rückte von den Jungs weg.

„Ich will aber auch Süßigkeiten“, sagte der große, schlanke Timo und packte den Papierbeutel. „Meine Mutti hat leider vergessen, mir welche einzupacken. Aber du teilst doch gerne, oder, Fettsack?“

Das Wort ließ mich zusammenzucken. Es ließ böse Erinnerungen hochkommen und gerade, als ich mich entschieden hatte, einzuschreiten, da tat es jemand anderes.

Feliné, ein zierliches Mädchen mit dunkelbraunen Zöpfen, trat zu den Jungen. „Gibt es Probleme?“, erkundigte sie sich freundlich und lächelte so breit, dass man ihre Zahnlücke sehen konnte. „Ich wäre gerne bereit, euch zu helfen.“

Ja, meine Arbeit hatte sich gelohnt. Feliné war eine der Schülerinnen, die eine Streitschlichterausbildung absolviert hatten. Als ich an die Schule gekommen war, war Mobbing ständig ein Thema gewesen, also hatte ich mich entschlossen, die Schüler zu involvieren und einen halbjährigen Kurs anzubieten. Es waren erstaunlich viele Schüler gekommen. Und das kam dem kleinen Jungen nun zugute.

„Nein, es ist alles in bester Ordnung“, entgegnete Timo rasch, ließ die Tüte los und wich zurück. „Nicht wahr, Kleiner?“ Dann machten sich die drei Jungs davon und der Junge sah zu Feliné.

„Danke“, murmelte er leise.

„Das habe ich gerne gemacht“, erwiderte Feliné und setzte sich neben ihn auf die Bank.

„Möchtest du Schokolade“, fragte er und bot ihr die Tüte an.

„Gerne.“ Feliné griff in die Tüte. „Oh, lecker. Mit Mandeln.“

Ich lächelte leise in mich hinein und wandte mich zum Gehen.

Rebekka Stahlhut ist 14 Jahre alt und lebt in Buchhholz in der Nordheide.

*

Der Mutmachteddy

Es war wieder dieses andere Aroma, dieser andere Duft in den Schulfluren. Merle war neu an der Schule. Sie stand vor dem Klassenraum, als wenn sie am Boden festgewachsen wäre. Drinnen wimmelte es nur so von Schülern, das konnte sie hören. Sie hatte diese Klasse noch nie gesehen und ein kalter Schauer lief wie eiskaltes Wasser über ihren schmalen Rücken. Ihre zitternde Hand formte sich langsam zu einer Faust, mit der sie zaghaft an die Tür klopfte. Die Stimmen aus dem Raum verstummten. Merles Herz pochte ihr bis zum Hals. Sie drückte unsicher die Türklinke runter und zum allerersten Mal sah sie neue Gesichter.

Manche sahen nach Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Lebensenergie aus. Anderen würde Merle nicht einmal genauer ins Gesicht sehen wollen. Sie sahen so grimmig und wütend aus wie eine Bombe, die fast explodierte. Als wenn sie Merle von Anfang an hassen würden. Es fühlte sich so an, als würde man ihr die Kehle durchschneiden. Langsam ging sie nach vorne an die Tafel. Ein ziemlich dürrer Lehrer mit braunem, buschigem Bart und einer roten, runden Brille stand am Pult neben der Tafel. Er reichte Merle seine schweißgebadete, etwas haarige Hand und sie schüttelte sie.

„Also, das hier ist Merle Nessen. Sie ist neu an der Schule hier und kommt in eure Klasse. Möchtest du vielleicht etwas erzählen, Merle?“

Merle schüttelte, ohne nachzudenken, den Kopf.

Ein Kichern durchfuhr die Klasse.

„Wirklich nicht? Na gut, dann setz dich bitte in die dritte Reihe neben Fabian.“

„Oh nein“, dachte Merle, „nein, bitte nicht neben den grimmigen, bulligen Jungen!“ Aber der Gedanke, dass sie keine andere Wahl hatte, machte alles nur noch schlimmer. Also ging sie, wenn auch nicht gern, in die dritte Reihe und wollte sich gerade auf den hölzernen Stuhl setzen, als sie ins Leere stürzte. Der Junge hatte den Stuhl weggezogen. Sie plumpste hart auf den Rücken. Das verursachte einen kurzen, aber starken Schmerz. Ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen, rappelte sie sich wieder auf, hielt den Stuhl diesmal fest und setzte sich darauf.

In der Pause stand sie alleine neben einem Baum. Aber sie war heilfroh deswegen, denn Fabian hatte sie in der ganzen Stunde geärgert. Und seine Kumpels Jonny und Rolf hatten sie mit einem Haufen Papierkugeln beworfen.

Sie musste tief seufzen.

Gestern Abend noch hatte sie von ihrer Oma den selbst gemachten Mutmachteddy bekommen.

„Der wird dir ganz viel Mut machen“, hatte Oma gesagt.

Im Moment fühlte sie sich nicht sehr mutig. Ganz im Gegenteil. Sie fühlte sich wie ein einzelner roter Punkt inmitten von vielen schwarzen.

Da erblickte sie drei Schatten. Sofort drehte sie sich um. Dort stand Fabian mit Jonny und Rolf.

„Hast du Geld mit?“, grunzte Fabian.

Merle schüttelte den Kopf.

Fabian brummte: „Lüg mal nicht, du kleines Schwein!“

Er packte Merles Tasche, doch sie riss die Tasche fest an sich. Sie schrie: „Ich habe kein Geld!“

„Die lügt wie gedruckt!“, gackerte Rolf.

Die drei stürzten sich auf Merle und gelangten schließlich an die Tasche. Fabian wühlte drin herum. „Nichts drin außer diesem ... diesem ... Teddybär!“ Er posaunte es so laut, dass sich alle auf dem Schulhof zu ihnen umdrehten.

„Gib ihn her!“, fauchte Merle.

„Kannst du knicken. Erstens bist du viel zu alt dafür und zweitens will ich unserer müffelnden Schule Peinlichkeiten ersparen!“

Er warf den Mutmachteddy in eine schlammige Pfütze.

„NEIN!“ Merle rannte zur Pfütze, stolperte aber dann über Jonnys gestelltes Bein und fiel ebenfalls in die Pfütze.

Alle lachten über sie. Jeder, der um sie herumstand.

Fabian drückte sie noch tiefer in den Schlamm hinein. Ihre Ohren, ihre Nase und ihr Mund waren voll mit Dreck. Sie stand auf und griff nach dem Mutmachteddy. Ihr Knie blutete, denn es war auf hartem Stein aufgeprallt. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Da kam Fabian wieder hämisch grinsend auf sie zu, als wenn er noch etwas vorhätte.

In ihren Gedanken überkam sie das Gefühl der Verzweiflung und schleuderte sie in tiefe, dunkle Abgründe. Ohne groß nachzudenken, kreischte sie, so laut sie konnte: „STOPP!“

Sie rannte mit voller Kraft und trotz ihres Knies, so schnell sie konnte, auf das Mädchenklo. Sie drehte den Wasserhahn auf, legte den Mutmachteddy vorsichtig in das runde, schmutzige Becken und wusch ihn.

Nachdem das passiert war, erzählte sie ihrer Mutter alles und auch ihren Lehrern. Als das nichts half, wechselte sie die Schule. Sie wollte weit weg von den gemeinen Klassenkameraden, dass ihre Eltern ihr zuliebe in eine andere Stadt zogen. Sie fand dort viele neue Freunde und eine wunderbare Schule. Zwar war die Zeit, in der sie gemobbt wurde, lange her, aber es war ein tiefer Kratzer in ihrer Seele, der wohl nie wieder verschwand.

Anastasia Fugalewitsch,12 Jahre, wohnt in Hamburg.

*

Sorry

„Sicher sind DIE sicher! Reiten, tanzen und vieles mehr: Mit Always Today wird auch dieser Traum Wirklichkeit. Du kannst sogar zu deinem Date ...“

Am liebsten hätte Mila in diesem Moment den Fernseher mit aller Kraft und viel Gebrüll weggeschmissen. Denn dieser superpeinliche Bindenwerbespot hatte ihr kräftig zugesetzt. Und das nur, weil sie darin die Hauptrolle spielte. Die älteren Jungs riefen ihr auf dem Pausenhof hinterher, warum sie denn über den Schulhof renne und nicht tanze. Die Mädels aus ihrer Clique lachten lauthals los, wenn Mila sich zu ihnen stellte. Und selbst die Lehrer konnten sich bei ihrem Anblick ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Und sie stand dazwischen mit Tränen in den Augen.

Normalerweise hätte sie sich in so einer Situation bei Lisi, ihrer besten Freundin, ausgeheult. Aber selbst die redete nicht mehr mit ihr, weil ihr das angeblich peinlich war. Sie lachte und grölte lieber mit, wenn die anderen es auch taten.

Drei Wochen ging das schon so. Mila konnte einfach nicht mehr. Aus Wut rannte sie in ihr Zimmer, zerriss alle Always Today Binden, die sie noch hatte, und schmiss sie vom Balkon. Wie sie da so stand und die Binden auf den Boden rieseln sah, kam ihr der Gedanke, hinterher zu rieseln. Einfach über den Rand und runter ... Ohne weiter nachzudenken, kletterte sie über die Blumenkästen hinweg und sprang.

Es mussten drei Stunden vergangen sein, als sie aufwachte. An ihrem Bett standen ihre Freunde. Sogar zwei von den großen Jungs waren da und das Einzige, was sie sagten, war: „Sorry.“

Lilli ist 12 Jahre alt.

*

Stopp!

Hallo! Ich bin Donald. Donald Oberbach. Ich bin jetzt 14 Jahre alt und in der neunten Klasse. Ich möchte euch erzählen, wie es ist, gemobbt zu werden und wie ihr euch dagegen wehren könnt. Denn ich wurde auch gemobbt. Alles fing damit an, als ich in die fünfte Klasse kam. Das war schon Aufruhr genug, aber es sollte noch mehr kommen. Aus meiner alten Klasse kamen auch welche auf das neue Gymnasium: das Welt-Gymnasium. Es hieß nicht so, weil es international war, sondern weil es ein Angebot hatte, bei dem man, wenn man wollte, viele verschiedene Sprachen lernen konnte. Aber jetzt weiter. Es kamen ein paar neue Mädchen und Jungs, die ich nicht kannte, darunter auch Elmar, der ein paar Köpfe größer als ich war. In der fünften Klasse hatte er mich in Ruhe gelassen. Die Lehrerinnen und Lehrer des Welt-Gymnasiums waren okay und die Kinder aus meiner Klasse auch. Aber im sechsten Schuljahr kam Elmars Freund Kai. Kai war klein, hatte eine wilde Haarmähne und trug eine Brille. Er war optisch ganz nett, aber sonst ... Irgendwann wurde es Kai und Elmar langweilig im Bus und sie fingen an, mich zu ärgern. Ich dachte mir nichts dabei, denn im Bus waren genügend ältere Schüler. Aber bald wurde es mir zu bunt.

Elmar und Kai bekamen Touch-Handys und Kopfhörer. Sie fühlten sich cool. Und ich hatte noch mein Tastenhandy. „Uncool“ und „voll out“ hörte ich manchmal in Elmars und Kais Geflüster. Ich ignorierte es. Im Bus setzte ich mich öfter ganz nach hinten, wenn Kai und Elmar vorne saßen. Sie machten sich bald einen Spaß daraus, mich zu beleidigen: „Loser“, „Dummkopf“ und lauter solche Ausdrücke riefen sie mir zu. Ich konnte es bald nicht mehr so gut ignorieren, also erzählte ich es meinen Eltern. Sie fragten mich, ob es schlimm sei und ob sie mit den Lehrern sprechen sollten. Ich sagte: „Nein.“

Das war ein Fehler, weil Elmar und Kai sich nun einen Spaß daraus machten, meine Hefte vollzukritzeln oder über mich Wetten abzuschließen. Bald lachten die anderen aus der Klasse über mich und irgendwie war ich dann das schwarze Schaf geworden. Oder eher das weiße umgeben von schwarzen? Na ja, ich fand das ziemlich schlimm, aber ich hatte auch einen Freund, meinen allerbesten: Janik. Ich kannte ihn seit der siebten Klasse. Er war damals in der neunten. Janik hielt zu mir. Und das Beste war: Janik war Elmars Bruder. Jedenfalls war es so, wenn ich bei Janik war, trauten sich Kai und Elmar nicht an mich heran. Mit Janik konnte ich lachen und Spaß haben, doch nach der Schule, zu Hause, musste ich dann doch an Elmar und Kai und meine Klassenkameraden denken.

Eines Tages wurde Janik krank. Er wusste, dass er am nächsten Morgen nicht in die Schule kommen würde und sagte zu mir: „Wenn Elmar und Kai noch mal zu dir kommen, Donald, dann brüll los und schrei: „Stopp! Ich will das nicht!“ Tu das, wenn sie dich verprügeln oder dich belästigen wollen. Im Welt-Gymnasium kann dir jeder helfen!“ Ich dankte ihm, und als ich nach der Schule mit dem Bus nach Hause fuhr, dachte ich über das nach, was Janik zu mir gesagt hatte: „Im Welt-Gymnasium kann dir jeder helfen!“ In dieser Nacht träumte ich ausnahmsweise gut. Ich träumte davon, dass ich es Elmar und Kai mal so richtig zeigte. Mit Kung-Fu.

Am nächsten Tag war Janik, wie er gesagt hatte, nicht in der Schule. So schlenderte ich in der Pause allein über den Schulhof, als Elmar und Kai auf mich zukamen.

„Na, das kleine Küken mal alleine?“, fragte Kai, obwohl er selbst kleiner war als ich. Elmar klammerte sich mit seinen schmutzigen Pranken an mir fest. Ich konnte nichts brüllen, aber ich tat etwas Unglaubliches: eine Kung-Fu-Kombination aus Tritten und Schlägen bestehend. Ich hatte mir das wahrscheinlich aus meinem Traum gemerkt. Nach ein paar Sekunden lagen Elmar und Kai auf dem Boden. Ich brüllte dann: „Stopp! Ich will das nicht!“ Die Aufsicht kam mit vielen anderen Kindern herangeeilt und fragte mich, was passiert sei. Die anderen Kinder halfen mir auf, denn ich war ziemlich erschöpft. Meiner Meinung nach wog Elmar bestimmt eine Tonne! Ich sagte: „Die beiden hier haben mich gemobbt. Und ich habe mich gewehrt!“ Später erzählte ich Janik alles am Telefon. „Ja, das hat Elmar wirklich verdient“, sagte er. „Was kann man nicht alles erreichen mit einem Traum und einem: Stopp! Ich will das nicht!“

Fiona Walter ist 10 Jahre alt und wohnt in Meckenheim.

*

Wann ist es vorbei?

27.05.2011

Meine Haare waren zerzaust und meine Wimperntusche verschmiert. Heulend saß ich neben einem Fluss und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Seit ich vor zwei Wochen hierher gezogen war, hatte sich mein Leben komplett verändert. Dauernd wurde ich von meinen Mitschülern beschimpft, beleidigt und gedemütigt. Doch was hatte ich falsch gemacht? Das fragte ich mich immer und immer wieder. Jeden Tag nach der Schule kam ich gleich an diesen Ort, um nachzudenken. Meine Eltern wussten noch nichts von alldem. Ich sagte ihnen, dass es mir hier super ging, aber in Wirklichkeit war es genau gegenteilig.

Plötzlich hörte ich hinter mir Stimmen.

„Da ist ja wieder Bettina! Wieso heulst du denn?“, fragte ein Junge aus meiner Klasse spöttisch.

„Lasst mich endlich in Ruhe!“, zischte ich. Es war ein kraftloses und verzweifeltes Zischen.

Ich versuchte, mein Gesicht zu verbergen, doch zwei Mädchen zogen mich auf die Brücke und schoben meine Hände aus dem Gesicht.

„Bitte hört auf! Was habe ich euch denn getan?“, fragte ich flehend.

Die anderen Schüler lachten nach dieser Frage nur hämisch. Selina und Franziska packten mich an den Schultern, griffen sich mein Schulzeug und schmissen es ins Wasser. Heimlich versuchte ich, mein Handy aus der Tasche zu ziehen, um Hilfe zu holen. Ich wählte die Nummer der Polizei, doch als ich einen heiseren Hilferuf ausstieß, nahm mir Niklas mein Handy aus der Hand und zertrat es auf dem harten Asphalt. Er verpasste mir eine heftige Ohrfeige, sodass ich blutete. Dann ließen sie mich verletzt und geschwächt liegen. Vor meinen Augen verschwamm alles und mit allerletzter Kraft zog ich mich an dem Geländer hoch, lehnte mich auf die Brücke und fiel. Dann wurde alles schwarz.

27.05.2014

Es sind nun drei Jahre vergangen. Meine Familie hat mir erzählt, dass sie mich total durchnässt, schwer verletzt und völlig unterkühlt drei Kilometer entfernt an einem Flussufer gefunden haben. Ich hatte eine sehr geringe Überlebenschance, doch wie durch ein Wunder habe ich es geschafft. Seitdem sitze ich im Rollstuhl und werde nie mehr gehen können. Ich bin auf meiner alten Schule, weil wir wieder umgezogen sind. Zu meinen Freunden. Aber egal, was ich mache, nichts wird mehr wie früher sein. Jeden Tag habe ich Angst, dass mir wieder jemand so etwas antun wird. Täglich gehe ich zum Psychologen, um mein traumatisierendes Erlebnis zu verkraften, aber es hilft mir nicht.

Ich hoffe, dass vielen nun klar geworden ist, was durch Mobbing alles passieren kann. Das war nur eine Möglichkeit, wie es ausgehen kann.

Jeder hat verdient zu leben und niemand sollte versuchen, dieses Leben zu zerstören.

Sarah Pröbszl ist 13 Jahre alt und lebt in Hettenshausen.

*

Mobbing hat viele Seiten

Traurig wachte ich auf und blickte müde auf meine nackten Füße, die unter der Bettdecke hervorschauten. Heute war Montag und ein wichtiger Test in Biologie stand bevor. „Es gibt einbeinige und mehrbeinige Zellen“, murmelte ich leise vor mich hin, während ich langsam einen dicken Pullover anzog. „Nein! Das ist doch falsch“, verbesserte ich mich und dachte kurz nach. Doch leider fiel mir die richtige Lösung nicht ein und ich zog den Vorhang auf. Draußen schneite es und alles war weiß.

„Kommst du bald?“, rief meine Mutter von der Küche aus.

„Bin ja schon auf dem Weg“, flüsterte ich und stieg widerwillig die Stufen hinunter. Hungrig setzte ich mich auf meinen Stuhl, griff nach dem Wurstbrot und verspeiste es mit wenigen Bissen.

„Du musst dich beeilen, sonst verpasst du den Schulbus. Außerdem würde ich mir in der Schule noch einmal den Stoff des Tests ansehen. Nur zur Sicherheit!“, meinte meine Mutter nebenbei und wischte den Tisch ab.

„In der Schule mag mich eh keiner“, antwortete ich traurig und ging, so langsam ich konnte, zur Garderobe.

„Sieh das nicht so. Du bist nur zu schüchtern“, rief sie mir aufheiternd hinterher.

Ich schüttelte den Kopf und wartete noch kurz. Eigentlich wollte ich ja zu spät kommen, denn das würde die Zeit der Qual verringern. Trotzdem verließ ich, eingepackt in eine dicke Jacke, das Haus und marschierte zur Bushaltestelle. Der Bus schloss bereits seine Türen und der Fahrer startete den Motor. Schon verschwand er, natürlich ohne mich, an der nächsten Kreuzung. Wütend wedelte ich mit den Armen, obwohl ich vermutete, dass niemand es dem Busfahrer sagen würde, selbst wenn mich jemand sah.

Ich setzte mich wieder in Bewegung, doch plötzlich rutschte ich auf einer eisigen Stelle aus und knickte mit dem Fuß um, wodurch ich hinfiel. Wegen des Schnees wurden auch noch meine Klamotten nass.

In der Schule angekommen, fluchte ich noch ein paar Minuten und betrat mit meinen lächerlichen Patschen den Klassenraum. Sofort richtete sich die Aufmerksamkeit all meiner Mitschüler auf mich und sie fingen lauthals an zu lachen. Auch mein Lehrer konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, was mich bei meinem Anblick nicht einmal wunderte. Beleidigt schlurfte ich zu meinem Platz in der letzten Reihe und las mir eilig die Aufgaben des Tests, der bereits vor mir lag, durch.

Bis zum Ende der Stunde hatte ich keine einzige der zweiundzwanzig Aufgaben lösen können, und als ich den leeren Zettel abgab, warf mein Lehrer mir einen vernichtenden Blick zu.

Endlich klingelte es und ich packte eilig meine Sachen zusammen, um als Erster den Raum zu verlassen und als Letzter wieder zu betreten.

Doch schon baute sich die Klassenbeste Alicia vor mir auf und schwärmte: „Ich habe bestimmt alles richtig. Es war ja so kinderleicht. Was meinst du?“

Ich blickte betreten auf meine Füße und wartete ungeduldig, bis Alicia die Klasse verließ. Erst dann setzte ich mich auf meinen Platz und richtete meine Deutschhefte für die Stunde mit Frau Efal her. Gestylt und in Stöckelschuhen betrat sie den Raum und stolzierte gelangweilt zum Lehrerpult. Heimlich strich sie sich noch einmal Lippenstift auf die blutroten Lippen und begann dann, ihre endlos langen Fingernägel in derselben Farbe zu lackieren. Frau Efal hasste mich wie die Pest, obwohl ich nicht einmal wusste, warum. Ich passte im Unterricht immer brav auf, wie jeder andere auch, doch sie ignorierte all meine Versuche, eine bessere Note als eine Fünf zu bekommen.

„Ja? Antoooon? Schön, dass du dich auch einmal am Unterricht beteiligst“, sagte sie boshaft und betrachtete voller Langeweile ihre Finger. Sofort lachte die ganze Klasse, auch wenn es wahrscheinlich niemand lustig fand. Ich blieb still.

„Weißt du die Antwort oder nicht?“, erkundigte sich die Frau herausfordernd. Gerade als ich beginnen wollte, schnitt Frau Efal mir triumphierend einfach das Wort ab. „Minus für Anton und ein dickes Plus für alle anderen.“

Endlich klingelte es und nun stand Geografie auf dem Stundenplan. Das war das einzige Fach, das halbwegs erträglich war. Herr Raft kam herein und zeichnete mit ein paar Strichen eine Skizze der Erde. In der ganzen Stunde redeten wir über den Blauen Planeten. Zur Abwechslung wurde ich mal nicht ausgelacht, was sehr selten vorkam.

Nun stand ich in meiner feuchten Jacke auf dem Schulhof und wich den Schneebällen aus. Rückwärtsgehend, um immer alles im Blick zu haben, aß ich mein Pausenbrot.

Plötzlich stolperte ich über einen Stein, der vom Schnee verdeckt am Boden lag. Es knackste laut und ein unglaublicher Schmerz schoss durch meinen Kopf.

Lisa Auer ist 13 Jahre alt und wohnt in Axams (Österreich).

*

Ihr wart doch meine Freunde

Hallo, ich heiße Emma. Ich war, als das alles geschah, gerade elf Jahre alt. Ich war jünger als alle in meinem Freundeskreis. Damals waren meine besten Freundinnen Jana, Nina und Josefine. Wir hatten immer viel Spaß, doch das änderte sich schlagartig.

Ich beginne erst einmal von vorne, nämlich an dem Tag, an dem das alles geschah:

Ich fuhr wie jeden Tag mit dem Fahrrad zu meinen Freundinnen, mit denen ich dann zur Schule radelte. Es war bis dahin noch ein ganz normaler Tag. Die ersten beiden Stunden gingen wie immer ziemlich langsam herum. Schule halt! Dann kam das ersehnte Klingeln zur Pause. Ich sagte zu meinen Freundinnen, dass ich nur kurz in die Kantine gehen würde, um mir ein Brötchen zu holen. Sie waren damit einverstanden und meinten, sie würden mir schon auf ihrem Rundgang um die Schule begegnen. Doch das taten sie nicht. Ich suchte sie überall und fand sie nicht. Plötzlich sah ich sie auf der anderen Seite des Schulhofes vor mir wegrennen.

Es klingelte zum Unterricht. Ich ging alleine in die Klasse und stellte sie zur Rede: „Wieso seid ihr weggerannt?“

„Ja, ich dachte, du wärst Elena aus der Parallelklasse, die ich nicht leiden kann“, sagte Nina.

Doch ich glaubte ihnen das nicht.

Die Tage danach verhielten sich die drei komisch. Sie redeten und tuschelten ohne mich. Ich wusste auch, über wen – nämlich über mich.

Anfangs hatte ich meiner Mutter nichts erzählt und behielt alles für mich. Jede einzelne Faser in meinem Körper war traurig darüber, doch da wusste ich noch nicht, dass dies erst der Anfang war.

In den nächsten Tagen ging es so weiter. Ich wurde von meinen besten Freundinnen immer weiter ausgeschlossen. Eines Tages steckte mir ein Mitschüler einen Zettel zu und sagte: „Das haben deine tollen Freundinnen über dich geschrieben!“ Auf dem Zettel standen lauter Beleidigungen drauf. Wie dass ich wohl mit meinem Hund aus einem Napf fresse. Es klang alles so, als ob niemand dicker wäre als ich. Ich erkannte die Handschrift meiner besten Freundinnen: Jana, Nina und Josefine. Als die drei davon erfuhren, schrieben sie mir einen Brief mit Ausreden, aber ich wusste, dass es alles nur gelogen war.

Ich fuhr nach Hause und versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Doch wie Mütter nun einmal sind, wusste meine Mutter sofort, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte. Ich fing an zu weinen und erzählte ihr alles. Meine Mutter ging gleich danach zum Klassenlehrer. Ich wollte es verhindern, weil ich wusste, dass es dadurch nicht besser werden würde, sondern nur noch schlimmer.

Und ich behielt recht, denn am nächsten Schultag redete der Klassenlehrer mit den Mädchen, die mich mobbten. Doch es half nicht. In der großen Pause kamen sie auf mich zu und machten mich runter. Ich versuchte, nicht zu weinen. In diesem Moment kam Nora, eine meiner heutigen besten Freundinnen, ins Spiel und half mir, als die drei weg waren. Sie kannte Nina aus der Grundschulklasse. Dort hatte Nina auch schon die anderen Mitschüler gemobbt.

Nach der Schule ging ich mein Fahrrad holen und merkte, dass mein Helm weg war und meine Reifen zerstochen waren. Als ich Jana, Nina und Josefine danach fragte, stritten sie natürlich alles ab.

Ich konnte es nicht mehr für mich behalten. Als ich nach Hause kam, redete ich mit meiner Mutter erneut darüber und wollte dann zum Wandertag der Schule nicht mitgehen. Doch ich musste. Dummerweise war Nora, die mir half, nicht da. Und es geschah wieder. Die drei attackierten mich sogar am Wandertag vor allen anderen Mitschülern. Diesen Tag verbrachte ich weinend in einer Ecke der Schlittschuhbahn. Es war kein schöner Tag für mich, so viel sei gesagt!

Später erzählte ich meiner Mutter von diesem Vorfall. Daraufhin sprach sie einzeln mit den Eltern von Jana, Nina und Josefine. Ihre Eltern waren über das Verhalten ihrer Kinder nicht begeistert.

Am folgenden Tag machten sie mich erneut zur Schnecke. Sie drohten mir, ich solle die Klappe halten. Aber dann war das Schlimmste vorbei.

Ich bin bis heute nicht darüber hinweggekommen und werde es ihnen auch nie verzeihen können, denn sie waren meine besten Freundinnen. Ich kann nur sagen, all die Schüler, die Mobbing noch nicht erlebt haben, können nicht fühlen, was die „Opfer“ fühlen.

Heute ist Nina, die mich früher gemobbt hat, wieder meine Freundin, obwohl sie sich bei mir dafür noch nicht entschuldigt hat. Trotz allem weiß ich, dass sie diese Tat bereut. Sie war nur eine Mitläuferin.

Es gibt so viele, die am Mobbing beteiligt sind: Zum einen sind es die Verursacher, die alles anzetteln. Zum anderen gibt es die Mitläufer, die die Verursacher im Mobbing bestärken und zu guter Letzt die Zuschauer, die ich persönlich am Schlimmsten finde. Denn die Zuschauer haben nichts gemacht, außer mitzulachen. Das Mobbing an sich ist schon schlimm genug, aber dumm herumstehen und wie manche Lehrer ihre Augen vor dem Problem verschließen und nichts dagegen unternehmen, macht es für das Mobbingopfer noch schlimmer. Deswegen kann ich euch nur sagen: HELFT! Ihr könnt auch in so eine Situation kommen. Und wenn ihr gemobbt werdet, dann geht nicht von der Schule, sondern bleibt da, sonst tut ihr den Mobbern einen Gefallen.

Beißt euch durch!

Marleen Kröger ist 13 Jahre alt und lebt in Kaarst.

*

Beste Freundinnen?

Blond, dünn, groß. So muss ich nicht sein. Wer muss das schon? Na ja, okay, ich sollte jetzt nicht über 70 Kilo wiegen, aber ... Ach, ich sollte damit aufhören, das wird sowieso nichts mehr!

Ich greife nach der Schokolade und beiße erst einmal kräftig hinein. Mmmhm ... Wie das guttut, diese Süße! Die Welt ist doch gar nicht so schlimm mit ein bisschen Schokolade. Tamara meint ja auch immer, das Leben sei einfach zu kurz für ein Stück Knäckebrot! Wie recht sie hat! Ach, sie fehlt mir so! Es ist schon eine Woche her, seit wir das letzte Mal miteinander geredet haben und das nur wegen dieser blöden Angelika! Nein, diese blöde Tamara. Sie hätte mir beistehen sollen, als Angelika mich wieder vor allen anderen aus der Klasse beleidigt hat. Stopp, ich darf gar nicht an sie denken! Denn ich merke, wie sich mein Magen zusammenzieht und meine Handflächen anfangen zu schwitzen. Hastig stopfe ich mir noch ein Stück Schokolade in den Mund. Die soll mir gestohlen bleiben! Das war es mit allerbesten Freundinnen für immer! Pah, ich pfeif auf dich!

Am nächsten Tag:

„Mara, ich habe verschlafen. Beeil dich, sonst kommst du noch zu spät in die Schule!“, höre ich Mama rufen. Oh nein, Schule. Mein Herz hämmert wie verrückt gegen meine Brust. Nur noch vier Jahre, dann habe ich es ein für alle Mal geschafft und setze nie wieder einen Fuß in diese blöde Schule.

Hastig steige ich aus dem Bett, ziehe mir frische Kleidung an und gehe ins Badezimmer. Dort wasche ich rasch mein Gesicht, putze meine Zähne und kämme mir noch einmal schnell durch meine Haare. Frühstück? Dafür habe ich heute Morgen keine Zeit mehr! Ich schnappe mir meinen Schulrucksack und flitze zur zehn Minuten entfernten Schule. 7.40 Uhr! Puh, gerade noch so geschafft!

Ich sitze auf meinem Platz im Klassenzimmer. Neben mir hockt Tamara. Sie schaut mich fragend an.

Als ich meinen Blick von ihr abwende, sagt sie hastig: „Mara, es tut mir wirklich leid. Ich hätte dich letzte Woche vor Angelika verteidigen sollen, aber du weißt doch, wie schüchtern ich bin.“

Aha, schüchtern nennt man es also, wenn man sich schlagartig von einer Minute auf die andere über die allerbeste Freundin lustig macht.

„Mara ...“ Tamara startet noch einmal einen Versuch, doch ich lasse sie nicht aussprechen.

„Das ist keine Schüchternheit! Du bist einfach nur zu feige, dich auch mal gegen andere zu stellen!“, zische ich ihr wütend zu, denn unser Englischlehrer betritt den Klassenraum.

In der Zwanzigminutenpause sitze ich allein im Klassenzimmer. Ich packe meine grüne Brotdose heraus und möchte gerade in mein Nutellabrötchen beißen, als Angelika mit ihrer Super-Clique das Klassenzimmer betritt.

„Ah, wen haben wir denn da? Unsere kleine Mara, die ein Nutellabrötchen isst!“, lacht Chantal, Angelikas beste Freundin, gehässig.

„Denkst du nicht, dass du schon fett genug bist? Oder trainierst du für „The biggest Loser“?“, fragt mich Angelika, ohne mit den Wimpern zu zucken. „Ich denke, mit deinem Potenzial wirst du bestimmt lange dort bleiben!“, fügt sie noch kichernd hinzu.

„Nicht jeder kann so dünn und schwach im Kopf sein wie du Angelika!“, denke ich still und antworte mit zittriger Stimme und mit gesenktem Blick: „Angelika, was ich esse“, ich hebe endlich den Kopf, „und was ich nicht esse, geht dich einen Scheißdreck an!“ Das Wort „Scheißdreck“ schreie ich fast. Endlich schreie ich auch mal zurück! So wie Mama es gestern auch noch gesagt hat.

Verdutzt und mit offenem Mund schaut mich Angelika mit ihren blauen Augen an.

Anne-Kathrin Doufrain aus Allmannsweier ist 14 Jahre alt.

*

Zusammen sind wir stark!

Es ist zu spät! Immer und immer wieder kommen die Erinnerungen an dieses Ereignis in mir hoch. Ich konnte ihr nicht mehr helfen. Sie sprang. Das Letzte, was ich von ihr sah, als sie dem Wasser immer weiter entgegenflog, waren ihre blonden Haare, die im Wind wehten. Wäre ich nur ein paar Minuten eher bei ihr gewesen ... dann hätte ich sie vielleicht davon abhalten können. Aber nun ist es passiert und ich kann es nicht mehr rückgängig machen, egal wie oft ich darüber nachdenke. Veronica, meine – ehemals – beste Freundin, stürzte sich mit sechzehn Jahren von einer fünfzehn Meter hohen Brücke in den Tod. Ich hatte gemerkt, dass sie in den letzten Wochen immer merkwürdiger geworden war. Sie hat niemanden mehr an sich herangelassen, war total verschlossen und hat selbst mich von sich fortgestoßen. An eben diesem verhängnisvollen Tag vor zwei Wochen wusste ich, dass etwas Schlimmes geschehen würde. Veronica kam nicht zur Schule, was eigentlich ungewöhnlich für sie war, da sie nur selten fehlte. Deswegen ging ich nach der letzten Stunde zu ihr nach Hause. Ihre Mutter meinte überrascht, dass Veronica heute Morgen wie gewöhnlich auf dem Weg in die Schule gewesen sei. Verwundert machte ich mich wieder auf den Weg und streunte ziellos durch die Stadt. Ich dachte über diese seltsame Situation nach, als ich gerade über die alte Brücke ging, die über den breiten Fluss meiner Heimatstadt führt.

Geschockt sah ich in diesem Moment eine schlanke Gestalt mit blonden Haaren, die einen – ihren letzten – Schritt über die Brüstung trat. Mir war sofort klar, dass es Veronica war. Ich hätte sie zwischen Millionen anderen Mädchen erkannt. Ich schrie laut „NEIN!“ und sprintete zu der Stelle, an der meine Freundin gerade eben noch gestanden hatte. Doch ich konnte nichts mehr für sie tun. Ich sah sie fallen. Das Schlimmste war, dass ich mir nicht erklären konnte, warum sie diesen Schritt gewagt hatte. Abgesehen von den letzten Wochen war sie immer eine fröhliche und vor Leben sprühende Person gewesen. Veronica hatte weder Probleme in der Familie noch in der Schule. Sie hatte immer gute Noten. Um Antworten zu finden, habe ich mich mit ihrem Profil auf Facebook eingeloggt. Sie hatte mir ihr Passwort gegeben, so wie ich ihr meines gegeben hatte. Dieses Vertrauen war bei uns normal.

Was ich allerdings auf ihrem Account in den E-Mails fand, traf mich zutiefst. Veronica hatte sehr viele Nachrichten von einer „Honey-Bee-Love“. Ich wusste nicht, wer diese Person sein könnte. Ich las alle ihre E-Mails. Mit jedem Wort fühlte ich mich in meinem Verdacht bestätigter. „Honey-Bee-Love“ beschimpfte Veronica dreist, sie schrieb ihr, was für eine ignorante Schlampe sie doch sei und dass sie bei ihren guten Noten irgendwann all ihre sowieso schon viel zu wenigen Freunde verlieren würde, weil sie nichts mit einer Streberin zu tun haben wollten.