My Sexy Enemy Next Door - Piper Rayne - E-Book

My Sexy Enemy Next Door E-Book

Piper Rayne

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Beschreibung

Der erste Band der neuen spicy Alaska-Serie von Piper Rayne: Eine Enemies-to-Lovers-Romance zum Verlieben! In Sunrise Bay brodelt die Gerüchteküche: Wer ist die schöne blonde Fremde, die neu in der Stadt ist? Cade Greene, der gemeinsam mit seinem Stiefbruder die örtliche Brauerei betreibt, kann kaum den Blick von Presley nehmen, als sie zum ersten Mal seine Bar betritt. Doch Presley hat einen Plan, der nicht jedem gefällt: Sie will direkt neben der Bar einen Buchladen aufmachen – dabei wollten die Greene-Brüder das Grundstück eigentlich selbst kaufen. Cade gerät zwischen die Fronten. Kann er die Frau lieben, die seinem Unternehmen im Weg steht?    Alle Bände der Greene-Family-Serie: Band 0.5: My Twist of Fortune Band 1: My Sexy Enemy Next Door Band 2: My Almost Ex Band 3: My Secret Vegas Wedding Band 3.5: A Greene Family Summer Party Band 4: My Sister's Flirty Friend Band 5: My Unexpected Surprise Band 6: My Sexy Famous Rival Band 6.5: A Greene Family Vacation Band 7: My One True Ex-Best Friend Band 8: My Fake Fiancé Band 9: My Brother's Forbidden Friend Band 9.5: A Greene Family Christmas

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My Sexy Enemy Next Door

Die Autorin

PIPER RAYNE ist das Pseudonym zweier USA Today Bestseller-Autorinnen. Mehr als alles andere lieben sie sexy Helden, unkonventionelle Heldinnen, die sie zum Lachen bringen, und viel heiße Action. Und sie hoffen, du liebst das auch!

Das Buch

Der erste Band der neuen spicy Alaska-Serie von Piper Rayne: Eine Enemies-to-Lovers-Romance zum Verlieben!

In Sunrise Bay brodelt die Gerüchteküche: Wer ist die schöne blonde Fremde, die neu in der Stadt ist? Cade Greene, der gemeinsam mit seinem Stiefbruder die örtliche Brauerei betreibt, kann kaum den Blick von Presley nehmen, als sie zum ersten Mal seine Bar betritt. Doch Presley hat einen Plan, der nicht jedem gefällt: Sie will direkt neben der Bar einen Buchladen aufmachen – dabei wollten die Greene-Brüder das Grundstück eigentlich selbst kaufen. Cade gerät zwischen die Fronten. Kann er die Frau lieben, die seinem Unternehmen im Weg steht?   

Alle Bände der Greene-Family-Serie:

Band 0.5: My Twist of FortuneBand 1: My Sexy Enemy Next DoorBand 2: My Almost ExBand 3: My Secret Vegas WeddingBand 3.5: A Greene Family Summer PartyBand 4: My Sister’s Flirty FriendBand 5: My Unexpected SurpriseBand 6: My Sexy Famous RivalBand 6.5: A Greene Family VacationBand 7: My One True Ex-Best FriendBand 8: My Fake FiancéBand 9: My Brother’s Forbidden FriendBand 9.5: A Greene Family Christmas

Piper Rayne

My Sexy Enemy Next Door

Roman

Aus dem Englischen von Sybille Uplegger

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Deutsche Erstausgabe bei Forever

Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin September 2023© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Die amerikanische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel: My Beautiful Neighbor© 2021 by Piper RayneUmschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®E-Book powered by pepyrus

ISBN 978-3-95818-775-7

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Epilog

Leseprobe: My Lucky #13

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 1

»Und so nimmt die Sache ihren Lauf.«

Nikki Greene

Cade

»Klar, ich springe einfach über den Sarg, unterbreche die Trauerzeremonie und sage: ›Hey, tut mir leid wegen deiner Mutter, aber was ist mit ihrem Laden? Wie viel willst du für den haben?‘«, raune ich meinem Stiefbruder Jed zu.

»Natürlich nach der Beisetzung. Ich bin schließlich kein Vollarsch.«

Ich ziehe eine Augenbraue hoch, woraufhin er leise lacht. Mein Dad dreht sich um und straft uns mit einem strengen Blick. Dem Blick, der sagt: Mund halten, aber sofort. Wir vergraben die Hände in unseren Hosentaschen und senken die Köpfe.

»Amen«, sagt der Priester, nachdem das Gebet zu Ende ist. Alle stehen ein wenig aufrechter, und die leichte Brise trägt die gedämpften Stimmen der Einwohner von Sunrise Bay zu uns herüber, die Clara Harrison wegen des Todes ihrer Mutter leise murmelnd ihr Beileid aussprechen.

Jed und ich gehen zusammen den Abhang des Friedhofs hinunter. Aus unerfindlichen Gründen hat Clara beschlossen, die Trauerfeier für ihre Mutter in unserer Brauerei abzuhalten, was bedeutet, dass wir vorfahren müssen, um aufzuschließen und dafür zu sorgen, dass alles vorbereitet ist.

»Ich will einfach nur, dass wir sie fragen«, sagt er, als er in seinen Truck steigt.

»Dann mach du es doch.«

»Warum ich? Sie ist die beste Freundin deines Bruders.«

»Und die beste Freundin deines Stiefbruders.«

»Er ist dein Bruder« oder »Sie ist deine Schwester« – das Argument bringt Jed ständig, wenn er irgendetwas nicht machen will. Seltsamerweise habe ich noch nie erlebt, dass er betont, nicht Xaviers leiblicher Bruder zu sein, wenn es darum geht, dessen Beruf als Profi-Footballspieler zu nutzen, um Frauen aufzureißen.

Und soweit ich weiß, hat er auch noch nie Tickets für Logenplätze von Xavier abgelehnt.

»Du kennst sie schon dein ganzes Leben«, gibt er zu bedenken, ehe er losfährt.

»Was es umso taktloser macht, wenn ich sie frage.« Er wird diese Diskussion auf keinen Fall gewinnen.

Wir winken den restlichen Mitgliedern unserer Familie, die gerade den Hügel herunterkommen und zu ihren Autos gehen. Xavier hat den Arm fest um Claras Schultern gelegt. Ich fühle ihren Schmerz. Mein Blick bleibt an der Grabstelle meiner Mutter hängen, als wir daran vorbeifahren, und mir fährt wie jedes Mal ein Stich durchs Herz, obwohl ihr Tod nun schon achtzehn Jahre her ist. Der Heilungsprozess kann lang und schwierig sein, aber Clara wird es bewältigen, so wie ich es damals mit zwölf bewältigt habe.

»Dir ist klar, dass Chuck auf der anderen Seite auch erweitern möchte. Wir müssen jeden Vorteil nutzen, den wir haben.«

Da ist was dran. Das ist einer der Gründe, weshalb unsere Partnerschaft in der Brauerei Truth or Dare so gut funktioniert. In geschäftlichen Dingen plant Jed immer weit im Voraus, während ich eher kurzfristig denke. Ich organisiere unterhaltsame Quizabende und kümmere mich darum, dass unsere Gäste sich gut amüsieren, während Jed sich zum Ziel gesetzt hat, unser Bier in jedem Supermarkt und jeder Bar des Landes unterzubringen. Wir ergänzen uns perfekt.

Ich weiß, dass er recht hat – ich muss zuerst mit Clara sprechen. Ich glaube nicht, dass sie bereits Pläne für den alten Handarbeitsladen ihrer Mutter hat, aber wer weiß! Ich muss sie davon überzeugen, ihn an uns zu verkaufen, damit wir die Zwischenwand einreißen und die Brauerei vergrößern können. Und ich werde auch mit ihr reden, definitiv – nur nicht, wann Jed es will.

Aber Jed hat nicht sein ganzes Leben in Sunrise Bay verbracht, vielleicht sieht er die Dinge deshalb anders. Klar, er ist mit siebzehn hergezogen, nachdem seine Mutter sich in meinen Vater verliebt hatte und wir eine Patchworkfamilie wurden, aber dann ist er aufs College gegangen. Manchmal vergisst er, dass Sunrise Bay ein kleiner Ort in Alaska ist, in dem jeder jeden kennt und sich alle umeinander kümmern. Wenn ich Clara heute auf den Laden anspreche, wird das Gerücht umgehen, dass ich ein unsensibles Arschloch bin. Und das völlig zu Recht.

»Ich weiß. Mach dir keinen Kopf. Ich rede mit ihr, nur nicht heute«, sage ich.

»Was ist das Problem dabei, sie zumindest zu fragen, ob sie gerne näht? Was wissen wir schon über Clara, außer dass sie mit Xavier ins Bett will?«

Ich runzle die Stirn. »Sie sind beste Freunde. Das zwischen ihnen ist rein platonisch.«

Er lacht. »Wenn du das wirklich glaubst, hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank. Sie kennt seine Spielerstatistiken besser als er selbst. Sie zwingt dich jedes Mal, wenn er ein Spiel hat, ein Public Viewing in der Brauerei zu veranstalten. Sie malt sich seine Spielernummer auf beide Wangen. Sie steht auf ihn.«

»Ich weiß nicht. Ich hatte nie den Eindruck, dass sie ihn auf diese Weise mag.«

Jed schüttelt den Kopf, als wir auf den Parkplatz hinter der Brauerei einbiegen. »Und genau deshalb solltest du öfter unter Leute kommen.«

Ich steige aus seinem Truck und ziehe mir sofort das Sakko aus. Es ist Frühling und noch etwas kühl, aber die Kälte ist mir allemal lieber als die Enge eines Anzugs.

»Unter Leute kommen?«

»Dating.«

Im Gegensatz zu Jed verlasse ich Sunrise Bay fast nie. Sobald wir unseren College-Abschluss und einen Kredit in der Tasche hatten, um die Brauerei zu eröffnen, habe ich alles in unser Unternehmen gesteckt. Ich wollte, dass Truth or Dare ein Erfolg wird. Ich hatte Freundinnen auf dem College, wusste aber immer, dass ich eines Tages in meine Heimatstadt zurückkehren würde. Woanders wollte ich nicht leben, und nicht jede Frau ist scharf darauf, in einer Kleinstadt so weit oben im Norden zu wohnen. Das soll nicht heißen, dass ich im Zölibat lebe, aber alles muss meine Familie auch nicht über mich wissen – selbst wenn sie es gerne möchte.

Wir betreten die Brauerei und schalten das Licht ein. Ich gehe zum Vordereingang, sperre ihn auf und stelle die Kreidetafel, auf der steht, dass wir heute wegen einer Privatveranstaltung geschlossen haben, nach draußen. Mrs Harrisons Nähladen nebenan ist dunkel und verlassen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann er zuletzt geöffnet war. Nach Mrs Harrisons Diagnose hat Clara zunächst versucht, ihn weiterzuführen, weil sie die Hoffnung hatte, dass ihre Mom die Krankheit besiegen und ihn früher oder später wieder übernehmen würde. Doch leider kam es anders, und deshalb sieht der Laden auf unserem Stadtplatz mittlerweile so aus, als wäre er pleitegegangen.

Ich gehe hin und richte die Markise, die der Wind gestern Nacht hochgeweht hat, doch es lässt sich nicht verbergen, dass das dunkelblaue Material ausgeblichen und stellenweise gerissen ist. Unser wundervoller Bürgermeister Sam Klein hat erlassen, dass sämtliche Geschäfte am Platz die gleichen Markisen haben müssen, damit wir ein einheitliches Erscheinungsbild abgeben. Nur eine seiner zahlreichen lästigen Verordnungen.

Der Platz im Ortszentrum ist fußgängerfreundlich gestaltet. Sämtliche Parkmöglichkeiten befinden sich hinter den Gebäuden. Die einzelnen Läden sind durch schmale Kopfsteinpflasterstraßen voneinander getrennt, und während der Touristensaison werden weiße Lichterketten dazwischen gespannt. In der Weihnachtszeit sind es bunte Lichter und herunterhängende Girlanden. Sunrise Bay ist wirklich eine hübsche kleine Stadt, und ich bin glücklich, dass hier mein Zuhause ist.

Auf dem Weg zurück nach drinnen fällt mein Blick zufällig auf eine blonde Frau, die neben dem Coffeeshop The Grind auf einer Bank sitzt. Sie trägt eine schwarze Hose und schwarze Pumps. Ihr Oberteil kann ich nicht sehen, weil es von ihrem schwarzen Mantel verdeckt wird. Sie muss ein Trauergast sein, vielleicht wartet sie auf die anderen. Irgendetwas an ihr erscheint mir vertraut, aber ich kann sie nicht einordnen. Wenn sie von ihrem Handy aufblicken würde, hätte ich vielleicht bessere Chancen.

»Das ist sie«, sagt Nikki, und als ich mich umdrehe, sehe ich, dass meine Stiefschwestern Nikki und Mandi vor der Brauerei stehen geblieben sind. »Wer ist das?«

Mandi zuckt die Achseln. »Sie war auf der Beerdigung.«

Ich geselle mich zu den beiden. »Kommt sie mir deshalb bekannt vor? Ist sie hier aus der Gegend?«

Sunrise Bay ist klein; wenn man mit jemanden noch keine Bekanntschaft gemacht hat, dann kennt man sich wenigstens vom Sehen. Da im Moment keine Saison ist, kommt es nur selten vor, dass man auf Leute von außerhalb trifft – es sei denn, sie kommen aus einem der Nachbarorte wie Lake Starlight. Aber wenn diese Frau auf der Beerdigung war, muss sie die Harrisons kennen.

»Vielleicht war sie eine Kundin«, mutmaße ich.

Nikki lacht spöttisch, aber so ist sie nun mal. Sie sucht immer nach einem Geheimnis. »Ausgeschlossen. Willst du mir erzählen, dass die Frau da näht?«

»Was denn?«, sage ich. Meine kleine Schwester Chevelle hatte auch eine Phase, in der sie versucht hat, ihre eigenen Kleider zu nähen, nachdem sie gehört hatte, dass industriell hergestellte Stoffe mit Giften belastet sein können. »Wieso nicht?«

»Schau dir doch mal ihre Klamotten an. Ihre Nägel? Ihre Haare? Das sieht alles wie geleckt aus. Sie ist definitiv keine Kundin, was bedeutet, dass sie aus einem anderen Grund hier sein muss …« Nikki tippt sich mit ihren eigenen perfekt manikürten Fingern nachdenklich gegen die Lippe. Ich schätze, sie weiß, wovon sie spricht.

»Versuch dich mit deiner Geschichte nicht allzu weit von der Wahrheit zu entfernen«, sage ich, ehe ich zurück in die Brauerei gehe.

»Hey!« Sie folgt mir auf dem Fuß. »Ich sage in meinen Sendungen immer die Wahrheit.«

»Aber klar doch.« Ich nehme einem unserer Kellner ein Tablett mit Chickenwings ab und stelle es auf die Tische, die wir entlang der hinteren Wand für das Büfett zusammengerückt haben.

»Das betrachte ich als Beleidigung«, sagt sie. Als wäre die Gerüchteküche einer Kleinstadt nicht schon schlimm genug, hat meine Stiefschwester auch noch beschlossen, im Rahmen ihrer Morgensendung im Radio all ihre Zuhörer über den neuesten Klatsch auf dem Laufenden zu halten – für den Fall, dass irgendwer noch nicht Bescheid weiß.

Inzwischen sind weitere Trauergäste eingetroffen und ziehen ihre Jacken aus, ehe sie sich einen Platz suchen. Wir haben unsere beliebtesten Biere und ausreichend Gläser jeweils in die Mitte der Tische gestellt.

Xavier kommt mit Clara herein. Sie ist wirklich tapfer. Ich stamme aus einer ziemlich großen Familie und kann mir nicht ansatzweise vorstellen, wie es wäre, der letzte Überlebende zu sein. Claras Vater ist vor sechs Jahren bei einem Bootsunfall gestorben, der insgesamt fünf Männer das Leben gekostet hat. Ihre Großmutter ist seit dreizehn Jahren tot. Und jetzt auch noch ihre Mutter. Da sie ein Einzelkind ist, hat sie niemanden mehr.

Trotzdem mache ich mir keine allzu großen Sorgen um sie. Als Xavier sich auf den Weg macht, um ihr einen Teller mit Essen zu holen, nimmt meine Stiefmutter Marla Claras Hände und drückt sie, ehe sie sie zu einem Tisch geleitet. Wir Greenes werden sie in unseren Familienverbund aufnehmen.

Aus unerfindlichen Gründen wandert mein Blick erneut zu der Parkbank draußen. Die Frau ist verschwunden. Ich sehe mich unter den Gästen um, von denen ich praktisch jeden kenne. Sie ist nicht hier.

»Vielleicht sind das sogar gute Neuigkeiten für Clara. Vielleicht ist sie eine Tante oder so was – eine verschollene Verwandte, die nach langer Zeit wieder aufgetaucht ist«, höre ich Nikki zu ihrer besten Freundin Molly sagen.

»Molly soll lieber arbeiten«, sage ich, »statt sich deine absurden Theorien über eine Frau anzuhören, die auf einer Parkbank sitzt und ihren eigenen Angelegenheiten nachgeht.«

Molly füllt einen Krug mit Bier und gibt ihn an eine Kellnerin weiter, damit diese ihn an den Tisch bringen kann.

Nikki macht eine abwehrende Geste mit der Hand, als wäre sie dreizehn. »Ich darf mich ja wohl mit meiner besten Freundin unterhalten. Halt dich da raus.«

»Genau, dies ist ein Privatgespräch«, witzelt Molly. »Bitte nicht stören.«

»Zum Totlachen. Ich zahle deiner besten Freundin ihr Gehalt, das heißt, in den nächsten zwei Stunden ist sie nicht deine Komplizin beim Streuen von Gerüchten.«

Keine Ahnung, weshalb ich so eine Abneigung gegen Kleinstadtklatsch habe. Als ich nach dem College zurückkam, wusste ich, was Sache ist: Hier hat man praktisch keine Privatsphäre. Allerdings habe ich mit siebzehn von jemand anderem erfahren, dass mein Vater mit der Ex-Frau seines Cousins schläft, und das hat Spuren bei mir hinterlassen – obwohl am Ende alles gut wurde, die beiden mittlerweile verheiratet sind und ich vier Stiefgeschwister und einen Halbbruder dazubekommen habe. Aber in dieser Stadt steht man permanent im Rampenlicht der Aufmerksamkeit. Und damit gehen gewisse Erwartungen einher.

»Da ist ja mein Enkelsohn.« Grandma Ethel umarmt mich. Sie reicht mir kaum bis zur Brust. »Ich habe gerade zu Dori gesagt, dass ich hoffentlich bald auf deiner Hochzeit tanzen werde.«

Ich verdrehe die Augen – allerdings nur im Geiste. Wenn ich es wirklich tun würde, würde Grandma Ethel mich kneifen, so wie sie es immer gemacht hat, als ich noch klein war. Es spielt keine Rolle, dass ich inzwischen dreißig bin. Genau das sind die Erwartungen, von denen ich sprach.

»Eher unwahrscheinlich«, sage ich. Ich mache keinen Hehl daraus, dass sie womöglich nie ihren Willen bekommen werden. Ich habe keine Lust, mich den Vorstellungen anderer anzupassen.

Ich bin der älteste Greene, deshalb wollen immer alle wissen, wann ich mir endlich eine Frau suche. Jed ist zwar fast genauso alt wie ich, aber alle wissen, dass er noch mindestens sieben Jahre davon entfernt ist, eine Familie zu gründen, also werde ich dazu gedrängt, mich mit Frauen zu verabreden, damit ich möglichst bald Nachkommen in die Welt setze. Ich müsse »den Namen Greene weitergeben«, meinte George von Handyman Haven letzte Woche. »Du willst doch nicht einsam sterben«, sagte jemand anders. Und der bisher beste Spruch: »Deine Mom würde auch wollen, dass du Frau und Kinder hast.« Der kam von Zoe aus The Grind. Wobei sie als ehemalige Geschäftspartnerin meiner Mutter vielleicht wirklich weiß, was diese sich für uns gewünscht hätte.

»Ach, Ethel, jetzt lass ihn doch in Ruhe. Wenn er die Richtige findet, wird er es schon merken. Nach meiner Erfahrung passiert es, wenn man es am wenigsten erwartet. Man weiß nie, wer der Richtige für einen ist … bis man es weiß«, sagt Dori Bailey.

Ich stutze, nicke jedoch. Normalerweise sind sie und meine Grandma immer einer Meinung, deswegen wundert es mich, dass sie Ethel gesagt hat, sie solle mich in Ruhe lassen. Ich habe die Geschichten gehört, wie Dori all ihre Enkel manipuliert hat. Nicht mit mir.

»Er muss nur mal wieder richtig flachgelegt werden!« Jed tätschelt mir die Schulter.

»Jed Greene!«, schimpft Grandma Ethel, doch er lacht bloß und gibt ihr einen Kuss auf die Wange.

»Du siehst gut aus, Bibi.«

Grandma Ethels Augen leuchten verzückt. Da Jed bereits zwei Großmütter hat, nennt er Grandma Ethel Bibi, das ist Swahili. So was kann sich nur Jed erlauben. Er und sein Charisma erobern jedes Herz.

Er sieht mich an. »Hast du Clara schon gefragt?«

Ich öffne den Mund, um ihm zu antworten, doch plötzlich wird es still im Raum.

»Und so nimmt die Sache ihren Lauf«, wispert Nikki, die neben mir steht.

Ich drehe mich zum Eingang um, gerade als die blonde Frau von der Bank die Brauerei betritt. Ich könnte schwören, dass ihr eine steife Brise folgt, die allen bewusst macht, dass gleich etwas überaus Bedeutsames geschehen wird.

Kapitel 2

»Kannten Sie Mrs Harrison?«

Cade Greene

Presley

Ich betrete die Brauerei, in der die Trauerfeier stattfindet, und schlagartig senkt sich Schweigen über den Raum, als wäre ich eine böse Hexe.

Davor hat Mom mich gewarnt. Sie wollte unbedingt mit mir nach Sunrise Bay fliegen, aber ich habe ihr gesagt, dass ich alleine klarkomme. »Du weißt nicht, wie das ist in Kleinstädten. Man wird dich dort nicht mit offenen Armen empfangen«, hat sie gesagt.

In gewisser Weise bin ich froh, eine überbehütende Mutter zu haben. Aber ich werde den Verdacht nicht los, dass mein Vater sie an einen Stuhl fesseln musste, sonst würde sie jetzt neben mir stehen, und ich müsste mir ihr »Siehst du? Ich habe es dir doch gleich gesagt« anhören.

Ich setze ein zaghaftes Lächeln auf, und mein Blick wandert zu der Tochter. Clara. Während der Beerdigung war sie die ganze Zeit von Menschen umringt, und jetzt ist es nicht anders. Ich hatte darauf spekuliert, dass die Leute trinken, essen und sich schöne Geschichten über ihre Mutter erzählen würden, sodass ich vielleicht Gelegenheit hätte, Clara beiseitezunehmen und unter vier Augen mit ihr zu sprechen.

Statt das zu tun, was ich vorhatte, ehe ich in den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit geriet, nehme ich Kurs auf das Büfett in der Hoffnung, dass sie mich schon bald vergessen haben werden. Ich hole mir einen kleinen Teller. Eigentlich habe ich keinen Hunger, aber ich kann schlecht hier herumstehen, ohne etwas zu trinken oder zu essen. Das würde den Leuten garantiert auffallen.

Nachdem ich mir einen Platz in der Ecke gesucht habe, versteckt hinter einer Vierergruppe, die sich über irgendeinen mir unbekannten Wettbewerb unterhält, sitze ich da und warte auf eine günstige Gelegenheit.

Ein Mann kommt zu mir. »Willst du was trinken?«

Er sieht gut aus. Kurze dunkle Haare und ein sauberer Dreitagebart. Seine Arme sind voller Tattoos, und er schenkt mir ein Lächeln, mit dem er bestimmt schon viele Frauen rumgekriegt hat.

»Oh nein, danke.« Ich hebe abwehrend die Hand, doch er schiebt mir trotzdem ein Glas hin.

»Das ist meine Spezialität. Probier mal einen Schluck, wenn du mich nicht beleidigen möchtest.« Mit dem Fuß angelt er sich einen Stuhl und setzt sich neben mich. Als ich an ihm vorbeischaue, sehe ich, dass die Hälfte der Gäste in der Brauerei uns anstarrt.

»Ignorier die einfach. Neugierige Kleinstadtbewohner, die nichts Besseres zu tun haben.« Er macht eine wegwerfende Handbewegung, was die Leute allerdings keineswegs davon abhält weiterzuglotzen.

Mit diesem Typen neben mir ziehe ich alle Aufmerksamkeit auf mich, und das ist mir im Moment ganz und gar nicht recht.

»Ich bin Jed. Jed Greene.« Er streckt mir die Hand hin. Ich ergreife sie, und sein Blick wandert an meinem Körper entlang nach unten, als erwartete er, dass ich in Flammen aufgehe. Entweder meine Libido hat sich verabschiedet, seit ich in diese Kleinstadt gekommen bin, oder der Mann ist doch nicht so heiß wie anfangs gedacht. Ich tippe auf Ersteres, denn an einem normalen Tag hätte ich ihn definitiv attraktiv gefunden. Aber nicht an einem Tag, an dem ich tun muss, weswegen ich hergekommen bin.

»Hi, Jed Greene.« Ich schüttle ihm die Hand. Er wartet darauf, dass ich ihm meinen Namen verrate, doch ich nippe an dem Bier, um die Frage zu umgehen.

Ich hebe das Glas. »Schmeckt gut.«

Er zwinkert mir zu, als wäre er sich dessen vollauf bewusst. Eigentlich mag ich Typen, die von sich überzeugt sind, aber in mir regt sich immer noch nichts. Dann schwillt die Lautstärke auf einmal wieder an, und ich werfe erneut einen Blick an ihm vorbei. Bis auf einen Mann schaut niemand mehr in unsere Richtung. Es ist der Mann von draußen, der sich vorhin mit den zwei Frauen unterhalten hat. Er spricht mit jemandem, doch sein Blick driftet immer wieder zu Jed und mir.

»So, geheimnisvolle Fremde. Nur damit du Bescheid weißt, es stehen jede Menge Theorien im Raum.«

»Worüber?«

Er lacht so laut, dass die Person hinter ihm sich zu uns umschaut. »Darüber, wer du bist. Ich bin gewissermaßen der inoffizielle Ortssprecher.«

Ich neige den Kopf zur Seite. »Und jetzt sollst du mehr über mich rausfinden?«

Er sieht sich um. »Ja. Ich kann auch dein Begrüßungskomitee sein, wenn du willst?«

»Begrüßungskomitee?«, wiederhole ich.

Der Typ ist es definitiv gewohnt, jede Frau mit minimaler Anstrengung flachzulegen, und er scheint anzunehmen, dass es bei mir auch so sein wird. So verlockend Sex mit einem Unbekannten auch klingt – bestimmt würde es mir dabei helfen, den Kopf freizubekommen –, ich habe kein Interesse.

»Du weißt doch sicher, dass es so was wie einen Welcome Wagon gibt …«

Ich runzle verständnislos die Stirn.

»Wahrscheinlich eine Kleinstadttradition.« Er zuckt mit den Schultern. »Der Welcome Wagon heißt neu Zugezogene in der Nachbarschaft willkommen. Er kommt direkt zu dir an die Tür und bringt die Speisekarten der Restaurants und alles Wissenswerte über die Stadt vorbei.« Abermals streift sein Blick meinen Körper. Als er meine hochhackigen Schuhe sieht, umspielt ein Grinsen seine Lippen. »Du kommst nicht von hier, oder? Ich kann dir einen echten Mann aus Alaska zeigen.«

»In dem Fall bist du der Letzte, der sie hier willkommen heißen sollte.« Der Mann von draußen klopft Jed auf die Schulter. »In Wahrheit ist er aus Arizona und tut bloß so, als wäre er ein Holzfäller.«

Ich lache. Jed starrt mich an, als könnte er nicht glauben, dass ich ein solches Geräusch von mir gegeben habe.

»Darf ich dir Cade … Greene vorstellen?«, sagt er, und Cade streckt die Hand über den Tisch.

Als ich sie schüttle, läuft ein Kribbeln meinen Arm hinauf. Er lächelt, und mir stockt der Atem. So fühle ich mich, wenn ein umwerfender Mann in der Nähe ist. Flüchtig schaue ich zu Jed und frage mich, warum ich das Gefühl bei ihm nicht hatte.

»Ihr seid Brüder?«, frage ich.

Beide schütteln den Kopf. »Stief.«

Das erklärt das unterschiedliche Aussehen. Cades Haare sind länger, dunkler und gewellt, und er hat deutlich mehr Bart. Die Art von Bart, die man zwischen den Schenkeln spüren möchte.

»Interessant.« Ich nippe an meinem Bier.

Cade schüttelt den Kopf, nimmt ein leeres Glas vom Stapel in der Tischmitte und schenkt mir ein Bier aus dem anderen Krug ein. »Glaub mir, das hier wird dir besser schmecken.« Er lehnt sich an Jed vorbei und stellt es vor mich hin.

Jed seufzt. »Sie hat bereits unser bestes Bier.«

»Ihr braut das Bier selbst?« Ich ziehe eine Augenbraue hoch.

Die beiden wechseln einen Blick, dann sehen sie mich an.

»Uns gehört die Brauerei«, sagt Cade.

Noch einmal schaue ich mich um, dankbar, dass mich fast niemand mehr beachtet. Die Brauerei passt zu den beiden. Auf der einen Seite silberne Fässer hinter Glas und wuchtige Tische aus dunklem Holz mit überdimensionierten Stühlen. Auf den Fernsehgeräten über der Theke laufen verschiedene Sportveranstaltungen, und es gibt ein großes Metallschild mit der Aufschrift »Truth or Dare«, das praktisch das Erste ist, was man beim Eintreten sieht.

»Wie schön. Ich bin eigentlich keine Biertrinkerin, deshalb kann ich das nicht so gut beurteilen.«

Jed schiebt mir Cades Bier hin, als würde er sich über ein bisschen Konkurrenz freuen. »Trink mal einen Schluck davon, und sag Cade, dass du meins lieber magst.«

Dieses Grinsen gepaart mit seinem Augenzwinkern hat Jed im Leben sicher schon ziemlich weit gebracht – zum Beispiel zwischen die Beine von Frauen.

»Wir verdienen mit beiden gut, insofern ist es keine echte Konkurrenz«, sagt Cade und wippt auf den Fersen. Seine Körpersprache sagt das genaue Gegenteil von seinem Mund.

Ich trinke etwas von Cades Bier. Die beiden sagen nichts. Sie warten auf mein Urteil. »Es ist gut. Sie sind beide gut.«

»Wenn du ein Glas austrinken müsstest, welches wäre es?«

»Äh …« Aber ich will lieber ihre Biere bewerten als ihnen erklären, wer ich bin, also spiele ich mit und hoffe, dass ich später, wenn es etwas ruhiger geworden ist, Gelegenheit habe, mit Clara unter vier Augen zu sprechen. »Ich glaube, ich mag das leichtere.«

»Das von Cade?«, fragt Jed mit unverhohlenem Missfallen.

Ich zucke die Achseln. »Ich habe doch gesagt, dass ich keine Biertrinkerin bin.«

»Moment!« Jed verlässt seinen Hocker, und Cade nimmt seinen Platz ein.

Auf einmal komme ich mir vor wie ein Plüschtier, um das sich zwei Kinder zanken.

»Jetzt bringt er dir sein Sommerbier mit Pfirsichgeschmack. Das war letztes Jahr unser Renner, und er gibt gerne damit an.« Er wirft einen Blick auf meinen Teller, den ich noch nicht angerührt habe.

»Schmeckt dir das Essen nicht?«

»Doch, doch. Ich bin bloß nicht so hungrig wie gedacht.«

Cade nickt. »Kanntest du Mrs Harrison?«

Denk nach, Presley. »Nicht besonders gut, aber ich habe ihre Todesanzeige gelesen und wollte ihr die letzte Ehre erweisen.« Am liebsten möchte ich mir anerkennend auf die Schulter klopfen. »Presley.« Wir geben einander die Hand.

»Freut mich, Presley. Tut mir leid, was passiert ist, als du reingekommen bist. In dieser Stadt scheut sich niemand, einen spüren zu lassen, dass man ein Außenseiter ist.«

Ich lächle und trinke noch einen Schluck von seinem Bier, um etwas zu tun zu haben. Ein Grinsen breitet sich auf seinen Zügen aus, als wäre es der Höhepunkt seines Tages, dass ich mich für seine Sorte entschieden habe.

»Ich wäre fast nicht gekommen. Ich hatte das Gefühl, es steht mir nicht zu.«

Er gießt sich ein Glas von Jeds Bier ein. Ich neige fragend den Kopf zur Seite, sage jedoch nichts. »Ich finde, wenn sie dein Leben berührt hat, dann hast du jedes Recht, hier zu sein. Hast du schon mit Clara gesprochen?« Cade verlagert sein Gewicht, als wollte er aufstehen, und in meiner Panik lege ich ihm eine Hand auf den Oberschenkel, um ihn zurückzuhalten. Als die Hitze seiner Haut in meine Fingerspitzen sickert, ziehe ich sie hastig zurück.

»Noch nicht. Als ich reinkam und sie mit ihrem Mann zusammen gesehen habe, sah sie ziemlich aufgelöst aus.«

Er lacht. »Das ist nicht ihr Mann. Das ist Xavier, ihr bester Freund und ebenfalls mein Bruder.«

Einen Moment lang schnürt es mir die Kehle zu. »Ach. Dann kennst du Clara also sehr gut?«

Er nippt an seinem Bier. »Ich kenne sie seit ihrer Geburt.«

Ich nicke. »Und ihr Vater? Lebt der noch?«

Er verzieht die Mundwinkel nach unten, und ich ahne die Antwort, noch bevor er den Mund aufmacht. »Nein, leider ist sein Fischkutter während eines Sturms vor mehr als fünf Jahren untergegangen. Er und einige andere Männer aus Sunrise Bay sind dabei ums Leben gekommen.«

Ich räuspere mich. »Dann ist Clara jetzt also ganz allein?«

Er nickt, als könnte er ihren Schmerz nachfühlen. »Ja, aber sie und Xavier haben ein sehr enges Verhältnis. Und die Frau neben ihr ist meine Stiefmutter. Sie wird schon dafür sorgen, dass es Clara an nichts fehlt.«

»Das ist gut. Da wäre ihre Mom bestimmt glücklich.«

Er betrachtet mich einen Moment lang. »Gott, du kommst mir wirklich bekannt vor.«

Das ist verständlich. Ich staune sogar, dass niemand die Ähnlichkeit bemerkt hat, als ich reingekommen bin. Für mich selbst ist es offensichtlich, aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich weiß, wie ich mit dunklen Haaren aussehe statt mit dem Blond, das ich seit Jahren trage.

»Ich glaube nicht, dass wir uns schon mal begegnet sind«, sage ich.

Ich bin froh, als Jed zurückkommt und unserem Gespräch ein Ende macht. Es schrammte etwas zu nah an den Themen vorbei, die ich lieber vermeiden möchte. Ich habe mir vorgenommen, möglichst bald nach meiner Ankunft zu Clara zu gehen und ihr alles zu erzählen, ehe jemand anders dahinterkommt, und jetzt habe ich wirklich das Gefühl, dass die Uhr tickt.

Es war ein Fehler, zur Trauerfeier zu gehen. Ich wollte nur ein paar schöne Anekdoten über Claras Mutter hören, um besser zu verstehen, was für eine Frau sie war.

»Hier, bitte«, sagt Jed. »Das ist unser bestes. Es ist mit …«

»Pfirsich?«, beende ich seinen Satz.

Er wendet sich an Cade und kneift die Augen zu Schlitzen zusammen. »Saure Trauben mal beiseite, das hier ist die beste Sorte, die wir je gebraut haben.«

»Jed!«, ruft eine Blondine auf der anderen Seite des Raumes laut.

Er stellt das Bier vor mich auf den Tisch. »Ich komme wieder, und dann kannst du mir sagen, wie du es findest.« Er eilt davon.

Ich schiebe Cade das Glas hin. »Ich glaube, ich kann nicht mehr. Bier ist wirklich nicht mein Lieblingsgetränk.«

Er springt auf. »Ich bringe dir was anderes. Wir haben auch Cider. Oder soll ich dir einen Cocktail mixen?«

»Nein, das ist wirklich nicht nötig.« Ich rutsche von meinem Hocker. »Ich muss sowieso langsam los.«

Sobald wir beide stehen, wird mir bewusst, dass wir einander viel zu nahe sind.

»Ich kann Clara holen …«

»Nein, nein. Danke für die Gesellschaft, und bitte richte auch deinem Bruder meinen Dank aus.«

»Soll ich dich irgendwohin fahren?«

Ich schüttle den Kopf. »Nein. Aber danke der Nachfrage.«

Ich schiebe mich an ihm vorbei, ohne darauf zu warten, dass er sich von mir verabschiedet. Als ich an Clara vorbeikomme, hebt sie den Kopf. Unsere Blicke treffen sich einen Moment lang, und ich bleibe zögernd stehen. Xavier, den ich fälschlicherweise für ihren Ehemann gehalten habe, tritt neben sie und sagt etwas zu ihr, woraufhin sie den Blick von mir abwendet.

Wie gerne würde ich zu ihr gehen und ihr ins Ohr flüstern: »Du bist nicht allein.«

Stattdessen verlasse ich die Brauerei und trete hinaus auf die Straße einer Stadt, die mein Zuhause hätte sein sollen.

Kapitel 3

»Okay, dann lass uns über die Blondine reden.«

Jed Greene

Cade

»Lass mich raten – du hast sie verscheucht?« Jed tritt neben mich, während ich der blonden Frau hinterherschaue, wie sie die Brauerei verlässt. In Claras Nähe bleibt sie stehen, und fast sieht es so aus, als wollte sie sie ansprechen, aber dann geht sie weiter.

Nikki schiebt sich zwischen uns. »Wisst ihr, man sagt ja, auf Beerdigungen kommen die dunklen Geheimnisse der Vergangenheit ans Licht.«

Ich hebe abwehrend die Hand. Mir steht gerade nicht der Sinn nach Nikkis Unsinn.

»Tja, deine nächste Sendung geht gerade da hinten die Straße runter«, meint Jed. Er sammelt die Gläser vom Tisch ein. »Es ist doch offensichtlich, dass mit der was nicht stimmt.«

»Wieso? Hat sie irgendwelche Hinweise darauf gegeben, wer sie ist?«, will Nikki wissen.

»Nein, sie stand mehr auf Cade als auf mich.« Jed schüttelt den Kopf. »Wie gesagt – mit ihr stimmt was nicht.«

Ich lache spöttisch und versetze ihm einen Boxhieb gegen die Schulter. »Du weißt genau, dass ich bei Frauen besser landen kann als du.«

»Landen? Du kriegst doch nicht mal eine Starterlaubnis.«

Mein Bruder Adam in seiner Ranger-Uniform betritt die Brauerei und bleibt neben Clara stehen, um sie in die Arme zu nehmen und ihr sein Beileid auszusprechen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass fast alle im Raum ihn aufmerksam beobachten. Wir rätseln immer noch, weshalb seine Frau ihn vor zwei Wochen Knall auf Fall verlassen hat. Er war zu jung, als er seine Freundin von der Highschool geheiratet hat, das habe ich ihm schon damals gesagt. Vielleicht ist es also nicht verwunderlich, dass sie ohne ersichtlichen Grund verschwunden ist. Wenigstens hat er uns gegenüber keinen Grund genannt.

Meine Schwester Chevelle kommt mit besorgter Miene auf uns zu. »Er hat Ringe unter den Augen«, flüstert sie, weil sie will, dass ich etwas dagegen unternehme.

Noch eine Verantwortung, die ich als Ältester schultern muss. Ich bin immer derjenige, der für Chevelle alles in Ordnung bringen soll, aber sie ist eben meine jüngste Schwester, und seit dem Tod unserer Mutter hat sie es nicht leicht gehabt.

»Ich weiß. Er packt das schon. Mit der Zeit wird er darüber hinwegkommen.«

Zu viert stehen wir da und sehen zu, wie unser Bruder und Clara einander in den Armen liegen. Beide sehen so aus, als würden sie jeden Moment in Tränen ausbrechen.

»Wir sollten uns irgendwas einfallen lassen, um ihn aufzuheitern«, meint Nikki.

»Wie wäre es mit einem Spieleabend?«, fragt Chevelle. »Er spielt doch so gern Karten.«

»Ich bin dafür, dass wir Jungs in den Stripclub nach Anchorage fahren«, sagt Jed.

Nikki gibt ihm einen Schlag gegen den Hinterkopf.

Adam macht sich von Clara los und lässt den Blick durch den Raum schweifen. Hastig wenden wir uns ab und tun so, als hätten wir nicht gerade über ihn gesprochen. Ich sammle ein paar benutzte Gläser von den Tischen ein und bringe sie in die Küche, damit sie abgewaschen werden können. Auf dem Rückweg sehe ich Clara im Gang bei den Toiletten stehen. Ehe ich etwas zu ihr sagen kann, schiebt sie die Hintertür auf und tritt ins Freie.

Ich schaue mich um, aber Xavier, der den ganzen Tag lang an ihrer Seite war, ist nirgends zu sehen. Also gehe ich zurück in die Küche, schnappe mir einen Teller mit unseren berühmten Quesadillas, die frisch vom Grill kommen, und folge ihr nach draußen.

Sie sitzt an dem Tisch, an dem unsere Mitarbeiter Pause machen und der durch eine Bretterwand vom Kundenparkplatz getrennt ist.

»Hey«, sage ich, rutsche ihr gegenüber auf die Bank und schiebe ihr die Quesadillas hin.

»Hi, Cade.« Sie blickt auf. »Hat irgendwer nach mir gefragt?«

Ich schüttle den Kopf. »Ich habe gesehen, wie du dich rausgeschlichen hast.«

Sie nickt, als hätte sie sich etwas Ähnliches bereits gedacht. »Ich konnte die traurigen Blicke nicht mehr ertragen. Ich meine, es war ja zu erwarten. Sie war krank.«

»Das macht es nicht weniger schwer.« Ich zerteile die Quesadillas. Wenn sie den geschmolzenen Käse sieht, wird sie sich hoffentlich dazu hinreißen lassen, ein paar Bissen zu essen.

»Ich glaube, es hat eher damit zu tun, dass ich die Letzte in der Familie bin. Ich habe jetzt keine lebenden Verwandten mehr.«

Ich drücke sanft ihren Unterarm. »Du hast uns, die Greenes. Das weißt du.«

Wieder nickt sie. Vielleicht sollte ich sie lieber in Ruhe lassen.

»Es gibt so viel zu tun. Das Haus muss ausgeräumt werden. Und der Laden.« Clara schüttelt den Kopf. »Ich habe natürlich Zeit, sofern ich nicht in der Bibliothek arbeite, aber irgendwie fühle ich mich überfordert. Morgen muss ich wegen der Testamentseröffnung zu Trent Lawson in die Kanzlei. Es ist alles so viel.«

»Wenn du Hilfe brauchst, sind wir für dich da. Ich kann dir gern mit dem Laden helfen oder ein paar Sachen aus dem Haus entsorgen – was immer du brauchst. Xavier wird auch noch mehrere Wochen hier sein, momentan ist ja Spielpause, und die Touristensaison fängt erst in zwei Monaten an. Wir kriegen das schon hin.«

Sie steht auf und geht die paar Schritte zum Laden neben der Brauerei. Dort holt sie den Schlüssel aus der Tasche und schließt die Hintertür auf. Sie hängt voller Staub und Spinnweben, weil längere Zeit niemand mehr hier war. Clara löst den Schlüssel vom Ring und hält ihn mir hin. Ich stehe auf, gehe zu ihr und öffne die Hand.

Sie legt den Schlüssel hinein. »Ich habe keine Verwendung dafür. Der Laden gehört euch. Ich weiß, dass du und Jed euch vergrößern möchtet.«

»Bist du sicher? Wir zahlen dich natürlich aus.« Ihre Mutter muss das Geschäft vor Jahrzehnten gekauft haben, Clara wird also einen ordentlichen Gewinn machen, wenn sie an uns verkauft.

Wir betreten den Laden, und sie schaltet das Licht ein. Der stockige Geruch verrät, dass die Räumlichkeiten schon eine ganze Weile leer stehen, doch als ich mich umschaue, sehe ich nur das Potenzial und die zusätzlichen Einnahmen für unsere Brauerei.

Sie nimmt eine Garnrolle aus einem der Regale. »Wir finden schon eine Regelung. Aber Mom hätte gewollt, dass ihr den Laden bekommt. Was soll ich auch damit anfangen? Ich kann nicht mal eine Nadel einfädeln, geschweige denn jemandem das Nähen beibringen.«

»Danke, aber es kommt mir irgendwie pietätlos vor, heute darüber zu sprechen.«

Sie lächelt mich an. »Mag sein. Aber wann dann? Ich konnte nicht länger in der Bar rumstehen, während alle mich anstarren und Xavier mich deckt wie ein Linebacker. Ich weiß die Anteilnahme zu schätzen, wirklich, aber im Grunde will ich einfach nur alleine sein. Ich will ihren Nachlass regeln, um sie trauern und dann nach vorne schauen.«

Ich nehme sie in die Arme. Vor Jahren war ich genau da, wo sie jetzt ist. »Ich weiß, es fühlt sich schlimm an, aber glaub mir, eines Tages kannst du wieder an sie denken, ohne dass es so sehr wehtut.«

Sie drückt mich. »Danke.«

Ich nicke.

»Da bist du ja.« Xavier steigt über Schnittmuster und Stoffe hinweg, die irgendwann zu Boden gefallen sein müssen.

Clara grinst. »Ja, hier bin ich. Kannst du mich nach Hause bringen?«

Xavier nickt und legt den Arm um sie. »Ja. Lass uns fahren.«

»Danke, Clara«, sage ich.

Sie dreht sich um. »Gern geschehen.«

Xavier bemuttert sie, weil wir nur zu gut wissen, wie es ist, wenn ein Elternteil stirbt. Clara hat beide Eltern und ihre Großmutter verloren. So anstrengend eine große Familie mitunter auch sein mag, ich kann mir nicht vorstellen, niemanden mehr zu haben.

Ich nehme mir vor, unser Gespräch für mich zu behalten, bis ich sicher bin, dass ihr Angebot ernst gemeint war. Ich will gerade den Schlüssel einstecken, da kommt Jed zur Tür herein. »Dann stimmt es also?«

»Was?«

»Dass sie dir den Schlüssel gegeben hat? Dass sie an uns verkaufen will?«

So viel zu meinem Plan, die Sache für mich zu behalten und abzuwarten, bis ich weiß, dass sie es nicht nur aus Trauer gesagt hat.

Ich schaue mich um und überlege, was wir alles renovieren müssen und wie wir das mit den Stützpfeilern hinbekommen, wenn wir die Zwischenwand einreißen.

Jed hat bereits einen Bleistift gezückt und eins der alten Schnittmuster ausgebreitet, auf dessen Rückseite er den Grundriss skizziert. »Glaubst du, wir brauchen mehr Sitzplätze? Vielleicht sollten wir lieber die Produktion vergrößern, damit wir mehr Sorten und verschiedene Optionen für die Supermärkte anbieten können.«

»Ich finde, wir sollten den Gastraum erweitern. Weißt du noch, wie lang die Schlange in der Hochsaison teilweise war? Wir mussten sogar Leute wegschicken. Ich bezweifle, dass wir hier einen Biergarten einrichten können, aber vielleicht lohnt es sich, mal mit einem Architekten zu sprechen.«

»Dann müssten wir uns aber bei der Kommune eine Genehmigung besorgen. Außerdem sind wir hier in Alaska. Einen Biergarten könnten wir nicht mal die Hälfte des Jahres nutzen.«

»Unterschätz uns nicht. Wir sind daran gewöhnt, der Kälte zu trotzen.« Ich gehe nach vorn zu den schlierigen Schaufenstern, die bei Mrs Harrison immer blitzsauber waren. »Das kommt mir so unheimlich taktlos vor. Lass uns mit der Planung warten, bis Clara ein paar Tage Zeit hatte, über alles nachzudenken.«

Jed legt den Bleistift weg und verschränkt die Arme vor der Brust. Er ist kein Arsch. Im Laufe der Jahre ist er zu meinem besten Freund geworden, was erstaunlich ist, da ich ihn anfangs nicht leiden konnte. Er hat nur manchmal einen Tunnelblick und vergisst seine guten Manieren.

Insofern wundert es mich nicht, als er nach einem kurzen Zögern zustimmend nickt. »Also gut. Dann lass uns über die Blondine reden.«

»Eigentlich interessiert sie mich nicht weiter.«

Er rutscht vom Tisch, auf dem er gesessen hat, und gesellt sich zu mir ans Fenster. »Ich will ja nicht behaupten, dass du so neugierig bist wie Nikki, aber du hast sie die ganze Zeit angeglotzt.«

»Witzig, dass ausgerechnet du glaubst, ich würde auf sie stehen. Du bist doch zu ihr hingegangen und hast versucht, sie aufzureißen.«

Lachend vergräbt er die Hände in den Hosentaschen. »Was denkst du denn, warum ich das gemacht habe?«

Ich werfe ihm einen Seitenblick zu. »Weil sie auf mich stand, hast du so getan, als würdest du sie anbaggern, damit ich aktiv werde? Logisch, dass du es jetzt so darstellst.«

Wieder lacht er und hebt die Hände. »Ich schwöre, so war es. Ich habe keinerlei Interesse an der Frau.«

Ich schüttle den Kopf. »Alles klar.«

»Sie hatte nicht die richtigen Vibes für mich.« Er zuckt mit den Schultern.

»Die richtigen Vibes?«

»Sie sieht aus wie eine Frau, mit der man mindestens auf vier Dates gehen muss, ehe sie mit einem schläft.« Er haut mir auf den Rücken. »Das ist eher dein Stil als meiner.«

Ich lege den Kopf schief und runzle die Stirn. »Was genau willst du damit sagen?«

»Ach komm. Auf der Schule hattest du immer eine feste Freundin. Reese?«

»Ich bin längst nicht mehr so wie auf der Highschool.«

»Ich staune immer noch, dass du keine Verlobte vom College mitgebracht hast.«

Er geht zurück zum Tisch, nimmt den Schnittbogen, faltet ihn zusammen und steckt ihn in seine hintere Hosentasche.

»Ich habe gar nicht nach einer gesucht. Ganz im Gegenteil, ich habe bewusst darauf geachtet, nicht diesen Weg einzuschlagen.«

Er dreht sich zu mir um und zeigt mit dem Finger auf mich. »Genau, und das ist der Unterschied zwischen uns. Ich muss mir nicht erst vornehmen, keine feste Beziehung anzufangen. Ich weiß, dass es bei mir nie so weit kommen würde.«

Ich habe nicht vor, Jed zu sagen, dass er Unsinn redet. Die Scheidung seiner Eltern hat ihn irgendwie verkorkst. Sein Vater war ein Idiot der übelsten Sorte, der erst Marla und später offenbar auch seine zweite Ehefrau betrogen hat. Ich glaube, Jed fürchtet, er könnte eine genetische Veranlagung zum Seitensprung haben.

»Nenn mir einen Grund, weshalb du noch keine Frau und zwei Kinder hast.« Abermals verschränkt er die Arme und sieht mich auffordernd an.

»Erstens bin ich erst dreißig. Außerdem habe ich nicht vor zu heiraten. Vielleicht nie.« Ich drängle mich an ihm vorbei zum Hinterausgang. Ich habe mich noch nicht endgültig entschieden, ob ich mal heiraten will oder nicht, aber ich bin definitiv noch lange nicht so weit, mich fest an jemanden zu binden.

Jed bleibt stehen, kurz bevor wir ins Freie treten, und sieht mich einen Moment lang an, als wollte er mir widersprechen. Stattdessen legt er mir die Hand auf die Schulter und sagt: »Ein Date ist doch nicht gleich was für die Ewigkeit. Wenn du sie noch mal siehst, frag sie, ob sie mit dir ausgeht.«

Ich sage nichts. Presley und ich haben uns gut unterhalten. Es gefällt mir, dass sie nichts über mich weiß. Sie weiß nicht, dass ich Cade Greene bin, der im Alter von zwölf Jahren auf tragische Weise seine Mutter verloren hat. Cade Greene, Sohn des begnadeten Handwerkers Hank Greene und Stiefsohn von Marla Greene, der Frau, die bei jeder Wohltätigkeitsveranstaltung im Ort mitmischt und die in jedem Ausschuss sitzt. Cade Greene, der vier Geschwister, vier Stiefgeschwister und einen Halbbruder hat. Mein Familienname hat in dieser Stadt eine lange Historie, und das ist etwas, was ich nie vergesse. Genauso wenig wie alle anderen.

Ich zucke die Achseln. »Vielleicht. Falls wir uns noch mal über den Weg laufen.«

Er öffnet die Tür. Die tief stehende Sonne scheint durch die Bäume hinter dem Parkplatz. »Na siehst du. Geht doch!«

Ich bin mir sicher, dass die Frau Sunrise Bay längst verlassen hat.

Kapitel 4

»Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen.«

Cade Greene

Presley

Am nächsten Morgen nehme ich ein Uber vom Glacier Point Resort in Lake Starlight zur Anwaltskanzlei. Ich wollte nicht in Sunrise Bay übernachten.

Vor der dunklen Markise mit der Aufschrift »Trent Lawson, Anwalt« steige ich aus. Eine Glocke bimmelt, als ich das kleine Vorzimmer der Kanzlei betrete. Darin steht ein einzelner Schreibtisch, hinter dem eine Frau mittleren Alters sitzt.

Sie blickt auf und macht große Augen. Ich habe sie gestern auf der Beerdigung gesehen. Sie gehörte zu der Gruppe von Trauergästen, die sich über den Wettbewerb unterhalten haben.

»Hallo!« Sie schaut in ihre Unterlagen. »Sie müssen Presley Knight sein?«

Ich nicke.

Sie lächelt. »Ich sehe nach, ob Mr Lawson Zeit für Sie hat.«

»Vielen Dank.« Auch ich schenke ihr ein nervöses Lächeln.

Sie steht auf und geht einen kurzen Flur entlang, während ich im Wartebereich Platz nehme. Ich hatte so sehr gehofft, vorher noch mit Clara sprechen zu können. Bei dem Gedanken daran, wie sie auf mich reagieren wird, krampft sich mein Magen zusammen. Aber ich gehe die ganze Zeit davon aus, dass sie nichts von meiner Existenz weiß. Vielleicht waren ihre Eltern ja auch ehrlich zu ihr.

»Sie können jetzt rein.«

Die Frau wartet, bis ich mich erhoben habe, dann geht sie mir voran zum Büro des Anwalts und bittet mich mit einer Geste, einzutreten. Danach schließt sie die Tür hinter mir.

Als ich Mr Lawson sehe, ist mein allererster Gedanke, dass sein Äußeres nicht zu seiner Stimme passt. Er ist relativ klein, stämmig und hat schütteres Haar. Am Telefon klang er so, als wäre er eins neunzig groß, hundert Kilo schwer und würde Rugby spielen, wenn er nicht gerade im Gerichtssaal steht.

Er hat mich vor fünf Tagen angerufen, um mir mitzuteilen, dass eine seiner Mandantinnen verstorben sei und mich in ihrem Testament bedacht habe. Ich wusste sofort, um wen es sich handelte, staunte jedoch, dass sie mir etwas vererbt hatte. Sehr zum Missfallen meiner Mutter buchte ich einen Flug nach Alaska, und hier stehe ich nun – bereit, die Brosche oder das Foto oder den Entschuldigungsbrief, den diese Frau mir hinterlassen hat, in Empfang zu nehmen, ehe ich wieder nach Connecticut zurückkehre. Meine Eltern, vor allem meine Mom, werden heilfroh sein, wenn der Spuk vorbei ist.

Nicht, dass es mich unbedingt zurück nach Hause zieht. Im Grunde hält mich dort nichts außer ein paar Freunden und meinen Eltern. Seit ich das Studium abgeschlossen habe, war ich weder beruflich noch in Sachen Sozialleben besonders aktiv. Ich arbeite in Jobs, die mir keine Freude machen, aber es mir ermöglichen, selbstständig zu leben und – wenngleich mehr schlecht als recht – die Miete zu zahlen. Über mein nicht existentes Liebesleben will ich lieber gar nicht nachdenken.

»Miss Knight. Schön, dass ich Sie nun auch persönlich kennenlerne«, begrüßt mich Mr Lawson und erhebt sich hinter seinem Schreibtisch.

»Danke, gleichfalls.« Seine Besucherstühle sind überraschend bequem. Ich schlage die Beine übereinander und lege meine Handtasche in meinen Schoß.

»Ich habe Sie zunächst allein hergebeten, weil Clara, wie Sie vielleicht bereits gemerkt haben, noch nichts von Ihnen weiß.«

Ich nicke, auch wenn ich dies bislang nur vermutet habe.

Er holt ein Kuvert aus der Aktenmappe auf seinem Schreibtisch und reicht es mir. Darauf steht in einer mir unbekannten Handschrift mein Name geschrieben. »Das hier ist für Sie. An Clara hat sie auch einen solchen Brief geschrieben. Ich habe ihr davon abgeraten, aber sie war nicht von ihrem Entschluss abzubringen. Es war ihr letzter Wunsch.«

Ich schüttle den Kopf. »Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz.«