Nackte Väter - Margit Schreiner - E-Book

Nackte Väter E-Book

Margit Schreiner

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Beschreibung

Nach dem großen Erfolg von Margit Schreiners ›Heißt lieben‹ erscheint nun in einer Neuausgabe der Roman ›Nackte Väter‹, die eindringliche Geschichte der Liebe einer Tochter zu ihrem Vater und eine eigenwillige nüchtern-innige Huldigung an den Über-Vater ihrer Kindheit, der nun - an Alzheimer erkrankt - geistig verwirrt dem Tod entgegengeht.

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Seitenzahl: 126

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Inhalt

[Cover]

Titel

Widmung

Nackte Väter

Das Gebiß meines Vaters

Nackte Väter

Das Schloß meines Vaters

Abschiednehmen

Autorenporträt

Über das Buch

Impressum

»Das Ziel unseres Lebenslaufes ist der Tod.«MONTAIGNE

Nackte Väter

Das Gebiß meines Vaters

Nachdem meine Mutter und ich einen Tag nach meiner Ankunft in Linz und einen Tag vor dem Begräbnis zum Friedhof gefahren waren, wo mein Vater aufgebahrt lag, und ein blasser Mensch mit ovalem Gesicht uns aus einer Ecke hinter dem Sarg heraus gefragt hatte, ob wir den Verstorbenen noch einmal sehen wollten und meine Mutter gleich »ja« gerufen und der blasse Mensch zuerst die Blumen und Kränze zur Seite geschafft und dann behutsam den Deckel des Sarges geöffnet hatte und wir auf die verkrümmte, aufgebäumte Leiche meines Vaters gesehen hatten – der Kopf nach hinten gestemmt, der Mund weit, die Augen halb geöffnet –, so daß ich einen schrecklichen Augenblick lang sicher war, die Augäpfel hätten sich unter den Lidern bewegt und mein Vater hätte von meiner Mutter zu mir geschaut, so wie er es all die Monate im Pflegeheim gemacht hatte –, nachdem meine Mutter und ich also meinen Vater, sich aufbäumend und dabei wie im Krampf erstarrt, daliegen sahen, so dünn und verzerrt, und seine Arme unter dem kurzärmeligen, beigen Hemd, das meine Mutter gleich nach der Todesnachricht mit der dunkelblauen Krawatte ins Pflegeheim gebracht hatte, sichtbar waren, knochig und übersät mit roten und braunen und blauen Flecken, und das Gesicht, das ich doch einmal, vor langer Zeit, bis in alle Falten und Furchen hinein so genau gekannt hatte, ganz fremd und ausgetrocknet schien – die sonst faltige Haut jetzt straff gespannt von Knochen zu Knochen, die Nase spitz –, nachdem der blasse Leichenbestatter mithin den Deckel vom Sarg gehoben hatte und wohl selbst erschrocken war über den sich aufbäumenden, mageren und verzerrten Körper, über den weit geöffneten Mund und die halb geöffneten Augen und ich gedacht hatte, daß er nun etwas sagen würde, etwas Tröstendes oder auch Erklärendes, er aber, nachdem meine Mutter plötzlich laut und mehrmals hintereinander gerufen hatte: »Genau so hat er ausgesehen zum Schluß, genau so«, nichts gesagt, sondern nur zur Seite gesehen hatte, zu den Blumen und Kränzen, die er auf eine Art Ablage gelegt hatte und wieder auf den Sarg legen würde, wenn er geschlossen wäre, und nachdem ich meine Mutter dann untergehakt und regelrecht weggezogen hatte von dem Leichnam meines Vaters, dem sie noch, als ich sie schon zur Tür der Aufbahrungshalle hinausgezogen hatte, zurief: »Genau so hast du ausgesehen, genau so«, und nachdem wir dann am nächsten Tag beim Begräbnis hinter dem Sarg hergegangen waren, der von der Aufbahrungshalle in die Verabschiedungshalle getragen wurde – der blasse Mensch mit dem ovalen Gesicht und einer Art Zepter in der Hand voran, dann meine Mutter, meine Halbschwester und ich und hinter uns die Trauergäste und Verwandten –, und der Pfarrer Innerlohinger, ein alter Bekannter meiner Eltern, in der Verabschiedungshalle eine Rede hielt, in der er vom Leben sprach und vom Tod, als bestünde da nur ein feiner, kaum merklicher Unterschied, und der Sarg, auf dem das Bouquet weißer Rosen lag, das meine Mutter, meine Halbschwester und ich bestellt hatten, an der Fensterfront der Verabschiedungshalle stand, genau in der Mitte des Raums und ausgerichtet auf ein weit sichtbares Feld, über das während der Abschiedsrede des Pfarrers Hasen hoppelten, und wir endlich, gefolgt von Verwandten und Bekannten, wieder hinter dem von vier dunkel gekleideten Männern getragenen Sarg meines Vaters die Halle verließen, um ihm zu folgen, bis er schließlich am Ende eines Feldweges auf ein Auto geladen wurde und das Auto langsam in Richtung Krematorium losfuhr, mit angeschalteten Scheinwerfern, so daß wir noch lange die beiden roten Rücklichter sahen, und als plötzlich etwas in mir hochschwappte, von dem ich nicht gewußt hatte, daß es in mir war, und ich mich auf einmal am liebsten über den fest verschlossenen Sarg mit meinem Vater, der sich unaufhaltsam entfernte, geworfen und mit beiden Fäusten auf ihm herumgetrommelt und geschrien und geweint hätte, so daß ich mühsam versuchte, mich zu beherrschen, denn schon kamen die Bekannten und Verwandten, um zu kondolieren, da steckte mir meine Mutter plötzlich etwas Hartes, Spitzes, Glattes zu.

Ich ahnte gleich, daß ich es besser nicht vor den Augen aller ansah. Also hielt ich den Gegenstand in meiner linken Hand, während ich mit der rechten die Hände der Trauergäste schüttelte. Als ich mich endlich abwenden und die schweißnasse Hand öffnen konnte – ich weiß noch, die Sonne kam gerade zwischen den Wolken hervor und Vögel zwitscherten –, sah ich, daß ich ein künstliches Gebiß in der Hand hielt. Das heißt den oberen Teil eines Gebisses. Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, wenn nicht in dem Moment mein blutjunger, hübscher, langhaariger Cousin zweiten Grades auf mich zugetreten wäre. Ich steckte das Gebiß in die Tasche des Persianermantels, den mir meine Mutter für das Begräbnis geliehen hatte, und hakte mich bei meinem Cousin unter.

Du sollst sie haben«, sagte meine Mutter, als wir längst wieder zu Hause und mal einen Augenblick allein waren, weil meine Tante aus dem Ruhrgebiet, die zum Begräbnis angereist war, gerade auf dem Klo saß.

»Was«, sagte ich, »soll ich haben?«

»Die Zähne«, sagte sie, und ihre Unterlippe zitterte, »seine Zähne.«

»Mama«, sagte ich, »is’ ja schon gut.« Aber ihre Unterlippe zitterte und zitterte.

»Du oder keiner«, sagte sie. Da kam meine Tante wieder vom Klo zurück, und meine Mutter schwieg.

Nachts, als ich ihr begegnete, weil ich gerade aufs Klo ging und sie in der Küche stand und in einen Topf starrte, der auf dem Herd stand, sagte sie: »Keiner will seine Hemden.« Als ich sagte, daß ich die Hemden auch nicht nehmen könne, weil meine Wohnung schon voll mit allen möglichen Kleidern und Büchern sei, lächelte sie und sagte: »Du hast ja die Zähne.«

Ich schrieb alles dem Schock zu. In ihren Augen war der gleiche Ausdruck, der auch darin gewesen war, als sie mich vor Jahren einmal nach dem Mittagessen im Beisein meines Vaters plötzlich gefragt hatte, ob ich es denn für normal hielte, daß ein Achtzigjähriger mit einer Siebzigjährigen schlafen wollte. Ich habe gesagt, es käme ganz darauf an, ob man noch Lust habe, ich meinte, ob beide noch Lust hätten.

Sie schwimmen jetzt bei mir daheim in Berlin in einem Wasserglas in meinem Spiegelschrank im Bad – wenn man sie anschubst, drehen sie sich ein wenig im Wasser – auf dem Regal unter meinen eigenen Zähnen (einer sogenannten Teilprothese, drei Zähne), die sich ebenfalls immer ein bißchen drehen, wenn ich sie anstoße.

Von Zeit zu Zeit verschaffe ich beiden Frischwasser. Vergesse ich das längere Zeit und verdunstet das meiste Wasser, beschlagen die Zähne. Sie werden rauh, bekommen einen grauen Belag und müssen mit Bürsten gereinigt werden.

Sicher, sie sind kein organischer Teil von ihm gewesen, aber er hat sie doch zweiundvierzig Jahre lang getragen.

Mein Vater hatte mit einundfünfzig, kurz bevor meine Mutter mit mir schwanger wurde, einen Herzinfarkt. Er hat mir ein paarmal davon erzählt. Er sagte, es sei ein unspektakulärer Herzinfarkt gewesen, ein stiller. Es sei ihm bloß öfter schlecht gewesen, aber da er zuviel oder (das habe ich vergessen) zuwenig Magensäure gehabt habe und ihm deshalb sowieso oft schlecht gewesen sei, habe er es nicht bemerkt. Auffällig sei nur gewesen, daß ihm vom langen Schwimmen, Bergsteigen, Wandern, Laufen und Radfahren immer besonders schlecht geworden sei. Zuvor sei ihm beim Schwimmen, Bergsteigen, Wandern, Laufen und Radfahren immer weniger schlecht gewesen als bei seiner Arbeit im Büro oder zu Hause.

Irgendwann sei er mal aus irgendeinem Grund (wahrscheinlich wegen des Magens) geröntgt worden, und da sei es dann rausgekommen.

Arzt: Herr Mirwald, setzen Sie sich.

Mein Vater: Ja, bitte wieso?

Arzt: Sie haben einen Herzinfarkt gehabt, Herr Mirwald.

Mein Vater: Um Gottes willen. Aber wieso denn?

Arzt: Haben Sie Bluthochdruck?

Mein Vater: Nein.

Arzt: Rauchen Sie?

Mein Vater: Vor einem Jahr aufgehört.

Arzt: Vielleicht liegt es an den Zähnen.

Daraufhin habe er sich, sagte mein Vater, alle Zähne ziehen lassen und sei anschließend einen Monat nach Bad Tatzmannsdorf auf Kur gefahren.

Die Zähne seien heraus, aber schlecht sei ihm nach wie vor gewesen. Außerdem habe er immer Kopfschmerzen gehabt. Ich erinnere mich, daß mein Vater oft ein ganzes Wochenende lang im abgedunkelten Wohnzimmer lag. Oder daß er auf dem Kopf stand. (Um die Magensäure abfließen zu lassen?) Oder daß er keinen Gurkensalat aß. (Gurkensalat ist das allerschlimmste für mich, sagte er.)

Die Kopfschmerzen habe ich von ihm geerbt. Ich habe das Erbe im großen und ganzen klaglos angenommen. Ich habe es immer vorgezogen, einen Vater mit Kopfschmerzen zu haben, als einen, der, wie die meisten Väter meiner Schulkameradinnen, vollkommen gesund war. Ich war sogar stolz auf seine Furunkel.

Einmal hatte mein Vater ein Furunkel auf dem Rükken. Es war ein großes, offenes Furunkel. Wie ein Vulkan, ein Eiterkrater mit einer blutig roten Öffnung. Mein Vater hat es sich auf dem Sofa im Wohnzimmer von unserem Hausarzt ohne Betäubung aus dem Rücken schneiden lassen. Meine Mutter und ich durften zusehen. Der Arzt verwendete ein eigentümliches, kleines, aber breites Messer. Ein ähnliches Messer hab ich vor ein paar Monaten gesehen, als der Verkäufer in einem italienischen Lebensmittelgeschäft einen noch unangeschnittenen Parmesan anschnitt. Der Käse war so groß wie ein Wagenrad. Der Verkäufer bearbeitete den Parmesan mit einer Kollektion kleinerer und größerer Messer, die alle dieses seltsam Gedrungene hatten, das damals auch das Messer gehabt hatte, mit dem unser Hausarzt meinem Vater ohne Betäubung das Furunkel aus dem Rücken schnitt.

Die Kopfschmerzen waren das innere Furunkel meines Vaters. Was mir gefiel, war, daß niemand es einfach herausschneiden konnte.

Ich selbst habe viele Tage in abgedunkelten Zimmern zugebracht, und schlecht war mir mein Leben lang. Ich habe mich so daran gewöhnt, daß ich mir gar nicht vorstellen kann, daß es Menschen gibt, denen der Kopf nicht weh tut.

Ich glaube nicht, daß die Zähne meines Vaters etwas mit seinem Herzinfarkt zu tun hatten.

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