Nimm den Ring zurück! - Toni Waidacher - E-Book

Nimm den Ring zurück! E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Grüß Gott! Frau Behrens, net wahr?« Ria Stubler blickte die junge Frau lächelnd an. Ihre Frage wurde mit einem Kopfnicken beantwortet. »Herzlich willkommen in St. Johann«, sagte die Pensionswirtin. »Ich bin die Frau Stubler, aber sagen S' einfach Ria zu mir.« Sie schaute auf die Reisetasche in der Hand des neuen Gastes. »Das ist alles an Gepäck? Dann können wir ja gleich nach oben geh'n.« Ria nahm einen Schlüssel vom Brett an der Wand hinter der Rezeption und ging voran. Das Zimmer lag im ersten Stock der Pension. Die Wirtin schloss auf und ließ Elke Behrens eintreten. »Ich hoff', dass Sie sich bei mir wohlfühlen«, bemerkte sie dabei. Die junge Frau sah sich um und nickte beifällig. »Ja, vielen Dank«, erwiderte sie. »Das Zimmer ist sehr schön.«

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Seitenzahl: 118

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Der Bergpfarrer – 262 –Nimm den Ring zurück!

Elke will ihr altes Leben hinter sich lassen

Toni Waidacher

»Grüß Gott! Frau Behrens, net wahr?«

Ria Stubler blickte die junge Frau lächelnd an. Ihre Frage wurde mit einem Kopfnicken beantwortet.

»Herzlich willkommen in St. Johann«, sagte die Pensionswirtin. »Ich bin die Frau Stubler, aber sagen S’ einfach Ria zu mir.«

Sie schaute auf die Reisetasche in der Hand des neuen Gastes.

»Das ist alles an Gepäck? Dann können wir ja gleich nach oben geh’n.«

Ria nahm einen Schlüssel vom Brett an der Wand hinter der Rezeption und ging voran. Das Zimmer lag im ersten Stock der Pension. Die Wirtin schloss auf und ließ Elke Behrens eintreten.

»Ich hoff’, dass Sie sich bei mir wohlfühlen«, bemerkte sie dabei.

Die junge Frau sah sich um und nickte beifällig.

»Ja, vielen Dank«, erwiderte sie. »Das Zimmer ist sehr schön.«

Ria erklärte, dass der Schlüssel auch die Haustür aufschloss, falls der Gast mal später heimkäme und schon abgesperrt sei. Dann teilte sie die Frühstückszeiten mit, und dass bei schönem Wetter draußen gedeckt würde.

»Falls Sie mal eine Bergtour unternehmen, müssten S’ mir am Abend vorher Bescheid sagen, damit ich Ihnen dann was zum Frühstück herrichten kann«, setzte sie hinzu.

Elke Behrens schürzte die Lippen. Fast verwundert sah sie die Wirtin an, dann schüttelte sie den Kopf.

»Nein, eine Bergtour werde ich wohl kaum unternehmen«, sagte sie und wandte sich zum Fenster um.

Die Pensionswirtin nahm es zum Anlass, noch einen schönen Aufenthalt zu wünschen und zu gehen.

Seltsam, ging es Ria durch den Kopf, als sie die Treppe hinunterging, eine ausnehmend hübsche Person, wenn nur net dieser traurige Ausdruck in dem aparten Gesicht wäre.

Kummer oder Stress? Eine persönliche schmerzliche Angelegenheit?

In all den Jahren, die sie ihre Pension nun schon betrieb, hatte Ria Stubler die unterschiedlichsten Menschen beherbergt.

Und dabei etwas ganz Wichtiges gewonnen: Menschenkenntnis!

Nette Gäste waren darunter gewesen und solche, die nie wiederkommen brauchten. Schicksale hatte Ria kennen gelernt, die sie erschütterten. Menschliche Dramen hatten sich in ihrer Pension abgespielt und romantische Geschichten ereignet. Sie wusste zwischen aufrechten Zeitgenossen und Hochstaplern zu unterscheiden, und hatte ein Gespür dafür entwickelt, herauszufinden, wenn jemand in wirklicher Not war und Hilfe brauchte.

Und Elke Behrens war so ein Mensch, davon war Ria überzeugt.

Die junge Frau stand beinahe eine geschlagene Stunde am Fenster und schaute hinaus. Indes sah sie weder die schneebedeckten Gipfel, noch den dunkelgrünen Bergwald. Sie roch nicht die würzige, nach Blumen und Wildkräutern duftende Luft und hatte ebenso wenig dieses herrliche Gefühl, das man spürte, wenn man sich im Urlaub befand: Frei und unabhängig, den Alltag hinter sich lassen, und den Augenblick genießen!

Das alles empfand die junge Frau in ihrem Pensionszimmer nicht, stattdessen war ihr Blick in eine imaginäre Ferne gerichtet, und hinter ihrer Stirn lief ihr ganzes bisheriges Leben wie ein Film vor ihr ab.

Endlich raffte sie sich auf, die Reisetasche auszupacken. Inzwischen hatte die Abenddämmerung eingesetzt, und draußen war es bereits schummrig geworden. Als die junge Frau einen Blick aus dem Fenster warf, sah sie, dass die hereinbrechende Dunkelheit von schwarzen Wolken herrührte, die am Himmel aufzogen. Offenbar war ein Gewitter im Anmarsch.

Passt ja bestens zu meiner Lebenssituation, ging es Elke Behrens durch den Kopf. Dann legte sie sich angezogen aufs Bett und starrte zur Decke hinauf, bis es tatsächlich so finster im Zimmer wurde, dass sie nichts mehr sah.

*

Im Pfarrhaus von St. Johann saß Sebastian Trenker in seinem Arbeitszimmer. Fast gemütlich schaute es aus, mit der brennenden Lampe und dem Teestövchen auf dem Schreibtisch, während draußen das Unwetter tobte.

Allerdings waren es keine gemütlichen Gedanken, die dem Bergpfarrer durch den Kopf gingen. Und das hing mit einem Haus zusammen, das in der Dorfmitte, gegenüber dem kleinen Einkaufszentrum lag. Bis vor einem halben Jahr hatte es ein Trachtenmodegeschäft beherbergt, dann hatte der Inhaber den Laden geschlossen und war nach Garmisch Partenkirchen gezogen, wo er sich mehr Umsatz erhoffte. Seither stand das schöne alte Haus leer. Sebastian hatte immer wieder mit dem Eigentümer, Anton Berghuber, gesprochen, ob sich nicht ein neuer Pächter für das Geschäft finden ließe. Er hatte den Eindruck, dass der Mann sich in dieser Beziehung keine Mühe machte.

Dabei konnte es doch nicht in dessem Sinne sein, wenn er keine Mieteinnahmen hatte. Indes hatte der Hausbesitzer längst andere Pläne gehabt, wie sich inzwischen herausgestellt hatte. Seit ein paar Tagen fanden in dem Haus und ehemaligen Geschäft umfangreiche Baumaßnahmen statt. Vergeblich hatte Sebastian versucht, herauszufinden, was dahintersteckte. Zu seiner Überraschung teilte ihm Anton Berghuber mit, dass er sein Haus verkauft habe und er nicht wüsste, was der neue Eigentümer damit anfangen wolle.

Über den schwieg er sich indes auch aus!

»Es wurde Stillschweigen vereinbart«, erklärte Berghuber, »und daran halt’ ich mich.«

Freilich war es für den guten Hirten von St. Johann ein Leichtes gewesen, es dennoch herauszufinden. Sebastian Trenker war kurzerhand in die Kreisstadt gefahren und hatte dort im Grundbuchamt den entsprechenden Eintrag gelesen.

Doch gerade der hatte ihn ins Grübeln versetzt …

Neuer Eigentümer des Hauses Dorfstraße, Ecke Engelsbacher Straße, war ein Nürnberger Unternehmen, das in ganz Süddeutschland Häuser und Wohnungen besaß, die es vermietete. Allerdings hatte Pfarrer Trenker bisher vergeblich versucht, den Namen desjenigen in Erfahrung zu bringen, der hinter dem Unternehmen stand.

Oder war es gar kein Mann, sondern eine Frau?

Sebastian hatte seinen Computer eingeschaltet und suchte im Internet nach entsprechenden Hinweisen. Bisher allerdings ohne Erfolg. Es hatte ganz den Anschein, als habe man großen Wert darauf gelegt, sämtliche Spuren, die zum Inhaber der Firma führten, zu verwischen.

Draußen zuckten die Blitze, der Donner rollte und Regen prasselte an die Fenster. Sebastian trank einen Schluck Tee und lehnte sich nachdenklich in seinem Sessel zurück.

Warum nur wurde er den Verdacht nicht los, dass Patricia Vangaalen hinter alldem steckte?

So ganz von der Hand zu weisen war das nicht. Seit die ebenso schöne wie skrupellose Frau sich mit einem Millionenbetrag von der Justiz freigekauft hatte, rechnete der Bergpfarrer jeden Tag mit einer neuen Intrige von ihr.

Patricia war nicht nur die Besitzerin einer großen, weltumspannenden Investmentfirma, sie hatte dem Geistlichen vor allem bittere Rache geschworen, weil dieser sie zurückgewiesen hatte. Die unverschämt reiche Frau hatte mehrere Projekte im Wachnertal durchführen wollen, darunter den Bau einer riesigen Ferienweltanlage, den Sebastian indes erfolgreich abgewehrt hatte. Ein anderes überdimensioniertes Unternehmen war der Bau einer Schönheitsklinik mitten in den Berg. Die nötigen Genehmigungen hatte Patricia Vangaalen sich durch Bestechungen und Erpressungen besorgt. Allerdings hatte dieses Gebaren sie auch zu Fall gebracht. Gemeinsam mit einem Berliner Journalisten war es Sebastian Trenker gelungen, die Staatsanwaltschaft auf die Spur der Geschäftemacherin zu bringen. Doch auch in dieser Behörde gab es Zuträger und Informanten für die Frau, die sich mit Geld alles kaufte.Das Ergebnis war, dass Patricia Vangaalen sich ihrer Verhaftung in letzter Minute durch Flucht entzog. Monatelang versteckte sie sich irgendwo im asiatischen Raum, wo sie ebenfalls zahlreiche Geschäfte tätigte.

Doch es drängte sie nach Deutschland zurück.

Ein Tag in ihrem Leben war Patricia Vangaalen unvergesslich geblieben. Zusammen mit Pfarrer Trenker hatte sie eine Bergtour unternommen, eher eine Wanderung auf den Kogler hinauf.

Dort oben gestand sie dem völlig überraschten Geistlichen ihre Liebe.

Selbstverständlich lehnte Sebastian ihr Ansinnen ab. Nicht nur, dass sein Amt als Pfarrer es ihm nicht erlaubte, die Liebe einer Frau zu erwidern – niemals, selbst als »normaler« Mann hätte er einen Menschen lieben können, der so skrupellos und eigennützig war!

Von diesem Tag an hatte Patricia Vangaalen dem Bergpfarrer bittere Rache geschworen, und Sebastian war überzeugt, dass sie diese Rachepläne auch nicht aufgeben würde.

Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. Der Geistliche nahm den Hörer ab.

»Ich bin’s«, vernahm er die Stimme seines Bruders.

»Max, was gibt’s?«

»Claudia hat da was herausgefunden«, antwortete der junge Polizist. »Sie hat heut Nachmittag ein bissel im Archiv vom ›Kurier‹ geforscht und ist dabei auf einen Artikel gestoßen …«

»Mach’s net so spannend.«

»Wusstest du, dass Patricia Vangaalen und Bischof Brandstetter sich kennen?«, fragte Max Trenker. »Ich mein’, persönlich kennen.«

»Was?«

Sebastian war elektrisiert.

»Ja«, bestätigte sein Bruder, »Claudia hat ein Foto gefunden, das vor drei Jahren zu einem Artikel veröffentlicht wurde. Dabei ging es um die Eröffnung einer Münchner Privatbank. Genauer gesagt, um die ›Brandstetter Darlehensbank‹ …«

*

»Bischof Brandstetter ist Besitzer einer Bank?«, fragte der Bergpfarrer ungläubig. »Das kann ich mir net vorstellen.«

»Der Bischof net«, erwiderte Max, »aber sein Bruder, Egbert Brandstetter. Und Frau Vangaalens Firma hat wohl Geschäfte mit der Bank gemacht. Am besten bring’ ich dir den Artikel mit dem Foto gleich rüber, dann kannst’ es selbst lesen. Da steht nämlich noch was Interessantes …«

Trotz des Unwetters kam der Polizist schon nach wenigen Minuten ins Pfarrhaus gelaufen. Sebastian nahm den Zeitungsartikel, den seine Schwägerin kopiert hatte, und betrachtete das Foto.

Ganz eindeutig zeigte es Patricia Vangaalen, sowie die Brüder Brandstetter. Das Gesicht des Bischofs war, wie auch im wirklichen Leben, eisig und abweisend. Die Ähnlichkeit mit seinem Bruder war unverkennbar. Sebastian fragte sich nicht zum ersten Mal, wie es ein Mensch mit so einer Ausstrahlung bis zum Bischof hatte bringen können.

Selbst auf dem Pressefoto war die Unnahbarkeit des Mannes deutlich sichtbar.

Der gute Hirte von St. Johann las den Artikel. Sein Bruder beobachtete ihn lächelnd. Plötzlich ruckte Sebastians Kopf hoch, und er sah Max verblüfft an.

»Das ist in der Tat interessant!«

In dem Artikel stand, dass Frau Patricia Vangaalen, die Inhaberin der »Nürnberger Haus- und Wohnungsverwaltung GmbH« sich freue, auch weiterhin geschäftlich mit der »Brandstetter Darlehensbank« zusammenzuarbeiten …

»So ganz scheint’s net gelungen zu sein, die Spuren zu verwischen«, bemerkte Max.

»So ist es«, nickte Sebastian. »Jetzt wissen wir also, dass die Dame bei uns wieder aktiv werden will. Ich frag’ mich bloß, was sie mit dem Haus vorhat?«

Sein Bruder zuckte die Schultern.

»Sicher weiß der Bürgermeister was …«

»Schon, bloß der wird nix sagen.«

»Aber für die Umbauten im und am Haus musste doch bestimmt ein Antrag gestellt und genehmigt werden«, vermutete Max.

»Ganz sicher sogar. Na, ich red’ morgen gleich mit der Resl.«

Er schmunzelte.

»Eine Verbündete hab’ ich ja im Rathaus …«, setzte er hinzu und stand auf. »Jedenfalls dank’ ich dir, dass du noch herübergekommen bist. Grüß mir die Claudia und den kleinen Sebastian.«

»Der schläft schon«, lächelte Max. »Aber morgen früh werd’ ich’s ihm ausrichten.«

Während der Polizist nach Hause ging, trat Sebastian vor die Tür. Der Regen hatte kaum nachgelassen, nur das Unwetter war weitergezogen. Jetzt rollte der Donner weiter östlich, über dem Kogler, auf dessen anderer Seite schon Österreich lag.

Der Geistliche machte dennoch ein paar Schritte und blieb plötzlich stehen.

Keine fünf Meter entfernt huschte eine dunkle Gestalt über den Kiesweg und betrat die Kirche. Sie hatte ihn nicht sehen können, weil Sebastian im Schatten des Pfarrhauses stand, doch er hatte den späten Besucher, der einen Regenschirm hielt, bemerkt.

Indes fragte er sich, was jemanden dazu trieb, um diese Zeit in eine Kirche zu gehen. Urlauber und Tagestouristen kamen tagsüber, oft von Fremdenführern begleitet. Aber kaum jemand besichtigte zu dieser Stunde eine Kirche.

Noch dazu bei diesem Wetter!

Oder war es jemand, der unlautere Absichten hatte?

Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Kirchendieb hier nach Beute suchte. Indes war der Opferstock am Abend geleert worden, und sollte jemand die Madonna stehlen wollen, dann würde im nächsten Moment ein Alarm losgehen.

Die herrliche Marienstatue war schon einmal geraubt worden, als eine Bande von Kirchenräubern ihr Unwesen im Wachnertal trieb. Sebastian und Max hatten sich auf ihre Spur gesetzt und die Diebe dingfest gemacht. Seitdem wurde die Madonna, von der niemand wusste, wer sie geschnitzt hatte, die aber dennoch von Experten als sehr wertvoll angesehen wurde, durch eine Alarmanlage geschützt.

Allerdings wollte der Geistliche nicht erst abwarten, ob der Alarm tatsächlich ausgelöst würde. Und irgendwie glaubte er doch nicht mehr an einen Dieb. Die Gestalt war klein und schmal gewesen. Zwar war ihr Gesicht durch den aufgespannten Regenschirm verdeckt gewesen, aber Sebastian war fast sicher, dass es sich um eine Frau handelte.

Eilig lief er durch den Regen zur Kirche hinüber und drückte die Klinke herunter. Der Regenschirm stand in einem Behälter im Vorraum. Der Bergpfarrer blickte durch die Glasscheibe und öffnete die zweite Tür.

Es war niemand zu sehen. Langsam ging er zum Altar hinunter, blickte dabei in die Seitenschiffe rechts und links, aber auch dort sah er den Besucher nicht.

Erst als er am Altar angekommen war, erblickte er eine Frau in der ersten Reihe sitzend, an einen Pfeiler gelehnt, der sie fast verdeckte.

Jetzt war ein leises Schluchzen zu hören …

Sebastian trat einen Schritt vor und räusperte sich.

Die Frau hatte ihren Kopf an die Säule gelehnt und ihn noch nicht bemerkt. Erst jetzt blickte sie erschrocken auf.

»Entschuldigen S’«, sagte der Geistliche lächelnd, »ich wollt’ Sie net erschrecken. Mein Name ist Trenker, ich bin der Pfarrer hier im Ort.«

Sie sah ihn an und schluckte aufgeregt.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen? Was machen S’ denn noch so spät hier? Bei diesem Wetter sollten S’ besser irgendwo sitzen, wo’s warm und gemütlich ist.«

Mit einem raschen Blick hatte er sie gemustert. Die Frau war Anfang zwanzig. Sie hatte dunkelblondes schulterlanges Haar und ein hübsches Gesicht. Sie erhob sich und blickte ihn seltsam an. Es war eine Mischung aus Angst und Verwirrung.

»Entschuldigen S’«, sagte sie leise, mit einer melodiös klingenden Stimme, »ich hab’ net gewusst, dass es verboten ist, um diese Zeit …«

Der Bergpfarrer schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab.

»Um Himmels willen, verstehen S’ mich net falsch«, schüttelte er den Kopf. »Freilich ist es net verboten, um diese Zeit in der Kirche zu sitzen. Das Haus Gottes ist die ganze Nacht geöffnet, um denen Schutz und Trost zu bieten, die beides benötigen. Ich hab’ mich nur gefragt, ob ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann? Ich seh’ ja, dass Sie ein Problem haben.«

Die Frau raffte ihren Mantel zusammen und schüttelte den Kopf.

»Vielen Dank«, antwortete sie. »Aber mir kann niemand helfen.«

Damit drehte sie sich um und ging zur Tür.

»Warten S’ doch …«, rief Sebastian ihr hinterher.

Allerdings machte er keinerlei Anstalten, ihr zu folgen. Sie sollte sich sicher fühlen, doch er war überzeugt, dass er die Unbekannte früher oder später wiedersehen würde.