Professor Zamorra 1117 - Stephanie Seidel - E-Book

Professor Zamorra 1117 E-Book

Stephanie Seidel

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Beschreibung

Ein unglückliches Gespenst im Bois de Boulogne hat Zamorras Herz berührt. Während der Professor, um zu helfen, ein gefährliches Experiment wagt, wird sein Freund Willem van Kamp von einer Hiobsbotschaft überrascht: Geistwesen aus dem Sudan suchen nach dem Mann, der die Bar'baalas getötet hat - um wiederum ihn zu töten. Ihr Mordwerkzeug ist ein extrem bösartiger Dschinn. Willem muss ihn unbedingt finden, bevor sie es tun ...

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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Familiengeheimnisse

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Arndt Drechsler

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-4536-0

www.bastei-entertainment.de

Familiengeheimnisse

Von Stephanie Seidel

Der letzte Kaiser war schon lange tot. Doch noch immer, nach all der Zeit, durchschwebte ein geisterhafter Hauch von Unruhe die Räume, die seinem Andenken gewidmet waren. Als hindere den Monarchen etwas daran, Frieden zu finden. Eine unerledigte Aufgabe, vielleicht. Eine fehlende Gewissheit.

Thibault hatte das Kratzen in der Wand bereits öfter gehört. Allerdings noch nie so laut und so fordernd. Er hatte keine Erklärung für die unheimlichen Geräusche, und Thibault wollte auch nicht wirklich eine haben. Denn was immer sich da bemerkbar machte, in dem Hohlraum hinter den uralten Steinen – der Kaiser war es nicht oder eine andere harmlose Seele. Eher etwas, das man weggesperrt hatte, um es zu vergessen …

27. Februar 2017, Paris

Es gab einen Ort der Stille in der großen Stadt, die niemals schlief. Dunkel und verlassen lag er am rechten Ufer der Seine mit ihrem spiegelnden Lichtermeer, dem Straßenlärm und den selbst zu später Stunde stark frequentierten Bars und Restaurants.

Wind strich um das alte Gemäuer. Er trieb Schneeschauer heran, die das weitläufige Dach hell beglitzerten und den zahlreichen Gargoyles an seinen Rändern alberne Flockenhütchen aufsetzte, die sie nicht haben wollten. Entsprechend missmutig starrten die steinernen Dämonen hinaus in die Winternacht.

Tief unter ihnen, auf dem riesigen Platz zwischen den Seitenflügeln des Gebäudes, waren vereinzelte Passanten unterwegs. Dick vermummt und bestrebt, schnell ins Warme zu gelangen. Denn der Wind war beißend, und die heranfliegenden Eiskristalle schmerzten, wenn sie auf ungeschützte Haut trafen.

Das war der Grund, weshalb niemand sein Gesicht höher als nötig anhob. Was gleich in zweierlei Hinsicht gut war. Denn so sah auch niemand das orangerote Augenpaar oben in der Dunkelheit und brauchte keine Angst mit nach Hause zu nehmen.

Die unheimliche Erscheinung tauchte an den Bogenfenstern des dritten Stockwerks auf; mal hier, mal dort auf. Mit gleichbleibender Distanz zueinander huschten die glühenden Lichter hinter den Scheiben herum. Starrten hinaus, wandten sich ab, kehrten zurück …

Wären sie nicht so unnatürlich schnell unterwegs gewesen, hätte man den Eindruck gewinnen können, da sei jemand auf der Suche nach etwas. Irgendwie stimmte das sogar, nur eben ein bisschen anders als gedacht.

Düstere Legenden rankten sich um die mächtige Heimstatt der Gargoyles. Ursprünglich von Philipp II. als Trutzburg errichtet, war sie in späteren Epochen zur kaiserlichen Stadtresidenz erweitert worden. Dann, mit dem Niedergang der Aristokratie, folgte eine Zeit des Verlassenseins, des Verfalls. Diverse An- und Umbauten samt wechselhafter Nutzung schlossen sich an. Zuletzt kam Staatspräsident Mitterand auf die kostspielige Idee, den inzwischen uralten, maroden Gebäudekomplex nach entsprechender Sanierung als Museum auszustatten. So hatte sich vieles verändert im Laufe der Jahrhunderte, war schöner geworden und zumeist auch besser. Doch unter den Dächern der ehemaligen Festung schlummerte noch immer eine Altlast aus Mord, Verrat und Intrigen. Unangetastet bis heute.

Man wusste, dass etwas umging in den stillen Hallen, in den Treppenfluchten und den nicht dokumentierten Räumen hinter nachträglich eingezogenen Wänden. Und man beließ es dabei. Laissez-faire, sagten die Franzosen. Solange kein Mensch zu Schaden kam, gehörte die Nacht im Museum den Geistern.

Deshalb huschte zu jener späten Stunde im Februar das unruhige Augenpaar hinter den Fenstern herum. Thibault Briand hatte etwas entdeckt, das nicht da sein durfte, und das musste er verfolgen. Denn Thibault war der Nachtwächter. Seit 1857 …

***

Februar 2017, Ägypten

In Europa gab der Winter noch einmal alles. Selbst Andalusien mit seinen vergleichsweise milden 15 Grad lud dieser Tage nicht zum Verweilen ein. Denn das ausgedehnte Atlantiktief, das so ungebeten wie zäh vor den Küsten der EU rotierte, warf in heftigen Böen auch dort jede Menge Feuchtigkeit ab.

Wolken, Wind und Regen zum Trotz hätte man natürlich dennoch am Strand von Los Caños de Meca herumflanieren und seinen schönen Körper zur Schau stellen können. Es wäre allerdings eine Vergeudung gewesen, und obendrein verlorene Liebesmüh’, denn außer den hartgesottenen, einheimischen Fischern ließ sich da momentan niemand blicken.

Im Haus der van Kamps herrschte sogar komplette Abwesenheit. Willem und Hayat hatten ihren Jahresurlaub genommen … und aus dem Fenster geworfen.

So jedenfalls sah es Rhannoud.

Wir fliegen mit Ärzte ohne Grenzen in den Berm hatte Willem dem Dschinn vor vier Wochen eröffnet. Was im ersten Moment ja durchaus nach einer vernünftigen Ferienplanung klang, denn der Berm war das Grenzgebiet zwischen Jordanien und Syrien. Sand und Sonne garantiert.

Allerdings war Rhannoud schon misstrauisch geworden bei dem Wort Ärzte. Die van Kamps hatten eine Gemeinschaftspraxis in der Hafenstadt Tarifa, und als ob das nicht genug der angewandten Nächstenliebe wäre, versorgten sie zudem aus dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge. Ehrenamtlich, also ohne Bezahlung. Und jetzt hatten sie obendrein auf einen vernünftigen Urlaub verzichtet, All-Inclusive, unter Palmen. Nur um noch mehr Leuten zu helfen, die sie gar nicht kannten.

»Normal ist das nicht!«, murrte Rhannoud, bevor er sich abstieß, um hinabzutauchen in die warmen Wellen des Roten Meeres. Er war nach Ägypten geflüchtet, als die Stille zu laut wurde im Casa de los caminos, seinem Zuhause, und die Leere in den vertrauten Räumen ein ganz merkwürdiges Gefühl in ihm auszulösen begann.

Üblicherweise hielten Dschinn, speziell die hochrangigen, Menschen eher für bedeutungslos. Oder für essbar, je nach dem. Es kam zwar vor, dass ein Geistwesen sich in eine Menschenfrau verliebte, doch das war die Ausnahme.

Deshalb grenzte es auch schon schwer an Beleidigung, einem Sila Verlustängste zu unterstellen, nur weil Rhannoud sich ein bisschen die Beine hatte vertreten wollte und dieses Wüstengebiet zufällig auf seinem Kurs lag.

Gib es zu: Du vermisst uns!, hatte Willem lächelnd verlangt, als Rhannoud eines Abends überraschend am »Urlaubsort« seiner Menschen erschien.

Quatsch! Ich will nur mal sehen, ob ihr noch lebt, hatte der Dschinn geraunzt. Wäre er da gleich wieder abgerückt, hätte das Ärzteehepaar ihm vielleicht geglaubt. Doch er war geblieben, um wenigstens Hayat aus der Not zu helfen. Und sei es nur für ein paar Stunden.

Denn es herrschte Winter im Berm. Das bedeutete Minusgrade nach Anbruch der Nacht, Sandfahnen in eisigem Wind und bittere Kälte unter den Füßen. Die schöne Marokkanerin war bei Rhannouds Ankunft mit dem Versuch beschäftigt gewesen, ein erbärmlich kleines Lagerfeuer am Leben zu erhalten. Was allein schon deshalb nicht gelingen konnte, weil es in der Wüste kein Holz gab. Nirgends. Qualmende Lumpen, etwas Papier, eine Plastikverpackung, mehr hatte Hayat nicht zur Verfügung.

Sie nicht, und auch sonst niemand.

Ich darf auf keinen Fall anfangen, Mitleid für fremde Menschlinge zu empfinden!, warnte sich Rhannoud, während er tiefer und tiefer durch das glasklare Wasser tauchte. Hinunter zu dem bunten Korallenriff, das sich an den Überresten eines antiken Hafens entwickelt hatte.

Rhannoud mochte keine Krisen. Das Leben als fluchbeladener Außenseiter seiner Spezies war hart genug, da brauchte er nicht noch zusätzlich blöde Bilder im Hirn, die er gar nicht angefordert hatte. Kopfkino nannte man das, hatte Willem ihm erklärt. Als ob es einen Unterschied machte, die richtige Bezeichnung zu kennen! Ein Schalter zum Ausknipsen wäre deutlich wünschenswerter gewesen.

Doch die Bilder ließen sich nicht löschen. Auch ohne das gefürchtete Mitleid für fremde Menschlinge beschäftigten sie den Dschinn, denn Hayat war ein Teil von ihnen. Willem auch, ja, sicher. Aber Hayat! Diese schöne, zarte Menschenfrau. Sie hatte ihn gerettet, damals im Sudan, als seine Verzweiflung übermächtig geworden war und ihm den Verstand zu rauben drohte. Hatte ihm den Lebensmut wiedergegeben, der für immer verloren schien.

Jetzt, just in diesen Minuten, tat sie das Gleiche für die Frierenden im Berm, denen die Ladung Brennholz, die Rhannoud herbeigeschafft hatte, nichts nützte. Sie hätten einen ganzen Wald gebraucht.

Fünfundsiebzigtausend Syrer, drei Viertel davon Frauen, Kinder und alte Leute. Aus der Heimat gebombt von einem gnadenlosen Verbrecher, und auf ihrem Fluchtweg in der Wüste gestrandet, weil Jordanien seine Grenzen wegen Überfüllung geschlossen hatte.

Die Menschen konnten nicht vor und nicht zurück. Mussten ausharren, wo sie waren, und irgendwie versuchen, am Leben zu bleiben. Willem hatte erzählt, dass es durch die Grenzschließung mittlerweile so gut wie unmöglich geworden war, humanitäre Hilfe zu leisten. Wer in den Berm flog, wie Ärzte ohne Grenzen, kam über Kriegsgebiet herein und riskierte, abgeschossen zu werden.

Wer es nicht tat, musste mit seinem Gewissen klarkommen.

Kann ich, dachte Rhannoud.

Er hatte seinen Leihkörper in einem Versteck am Ufer zurückgelassen, geschützt vor Wind, Sand und Schakalen. Damit das gute Stück keinen Schaden nahm. Früher hatte es einem männlichen Model gehört, und so eine perfekte Schönheit wie diese unglaublich appetitliche Kombination aus makellos zartbrauner Haut über einem Sixpack der Extraklasse, breiten Schultern und schmalen Hüften, mit Rabenglanz auf den großen, schwarzen Locken und einem dunkel schimmernden Augenpaar, in dem das Feuer des Orients brannte, fand man nicht alle Tage.

Nicht, dass Rhannoud irgendwie eitel gewesen wäre. Er achtete nur auf seine Sachen, das war alles.

Frei und schwerelos glitt er durchs Wasser. Es war sein Element, wie das aller Dschinn, doch dieser eine Platz in den Weltmeeren hatte für Rhannoud noch eine besondere Bedeutung: Er war hier geboren worden.

Hier, das war Ras Banas, eine Halbinsel auf der ägyptischen Seite des Roten Meeres. Tief im Süden, ungefähr auf gleicher Höhe wie Assuan und etwa 300 km vom Sudan entfernt. Während des Kalten Krieges hatten die Sowjets dort einen Flughafen für ihre Militärmaschinen erbaut, den sie hätten nutzen dürfen im Tausch gegen Waffen und Munition, denn Ägypten zielte damals noch recht unfreundlich Richtung Israel.

Als die Sowjets nicht liefern konnten, ging der Flughafen an die Amerikaner. Doch auch das hat sich zwischenzeitlich erledigt. Heute rumpeln ab und zu noch ägyptische F-16 über die maroden Landebahnen, ansonsten ist die ländliche Stille wieder zurückgekehrt, und man kann auf Ras Banas gemütlich Urlaub machen. Oder ein Wellness-Wochenende einlegen, wie Rhannoud.

Er hatte seinem Abstecher in den Berm noch einen zweiten folgen lassen, um Hayat und Willem mit ein paar Sachen zu versorgen. Damit sie beim Erfrieren nicht verhungerten. Denn selbst in der mobilen Station von Ärzte ohne Grenzen war es ziemlich kalt, und die Essensrationen konnten schon deshalb kaum mehr als Zwergengröße haben, weil für mitleidige Menschen das Wissen um Tausende unterernährter Kinder draußen vor der Tür ein echter Appetitzügler war.

Warum tut ihr euch das an?, hatte Rhannoud die van Kamps gefragt und über ihre Antwort gestaunt: Hayat und Willem schrieben sich regelmäßig für ein Projekt von Ärzte ohne Grenzen ein, weil sie etwas zurückgeben wollten. Denn es war diese Organisation gewesen, die ihnen, wenn auch unabsichtlich, das Beste ermöglicht hatte, worauf ein Mensch nur hoffen konnte: Seinen Seelenverwandten zu finden.

Die beiden liebten sich inniglich. Und das würden sie wahrscheinlich noch lange tun, denn der Flugzeugabsturz auf ihrer ersten Mission für Ärzte ohne Grenzen hatte sie nicht nur zusammengebracht, sondern ihnen auch Rhannoud beschert, den fluchbeladenen Dschinn, für den sie damals so ahnungslos wie ungewollt die Verantwortung übernahmen. Seitdem alterten sie nicht mehr.

Sterben können sie trotzdem. Jederzeit und überall. Aber das muss mich ja nicht bekümmern, dachte Rhannoud.

Vielleicht waren es gar keine Verlustängste, die ihn umtrieben. Vielleicht kam seine untypische Grübelei auch daher, dass die Drei letzten Dezember zu Besuch auf Château Montagne gewesen waren, wo Willem dem Dschinn in einem Anflug besinnlicher Weihnachtsstimmung gesagt hatte, er brauche sich niemals Sorgen um seine Zukunft zu machen. Sollte den van Kamps etwas zustoßen, sei mit Professor Zamorra vereinbart, dass er Rhannoud zu sich holen würde.

Super! Unsereins träumt auch von nichts anderem, als bei dem größten Dämonenjäger aller Zeiten zu wohnen. Mit Nicole Duval, die sich nicht rumkriegen lässt, und Besuchern wie Sara Moon, die sich auch nicht rumkriegen lässt.

Unfroh glitt der Dschinn den bunt bewachsenen Riffsaum entlang, während er mit einem Schicksal haderte, das ihn noch gar nicht ereilt hatte und es vermutlich auch nie tun würde. Rhannoud war sich der Blicke bewusst, die ihm folgten: Einsiedlerkrebse traten mal kurz vor die Haustür, als die Lippfische über ihnen wegen des vorbeiziehenden Schattens freudig zu schmatzen begannen. Auch der Krake zwischen den Felsen und ein nicht eben kleiner Stachelrochen im Sand schauten sehr interessiert drein, während Dorie, Nemo und sein Paps eher scheu aus den schwankenden Seeanemonen hervorlugten. Jeden hier am Riff trieb die ständige Suche nach Futter um. Da machte der Kugelfisch, der als solcher gar nicht zu erkennen war, keine Ausnahme.

Schlank, braun und unscheinbar kam er auf seinen Propellerflossen angesurrt, um Rhannoud genauer zu inspizieren. Vermutlich hielt er ihn für essbar, wegen der aufgerissenen Brust und dem heraushängenden Lebensfaden, der ein endlos langer Wurm hätte sein müssen, wenn die Welt nicht so gemein wäre.

Probeweise zupfte er daran.

Rhannoud schoss wütend herum. Außerhalb seines Leihkörpers war er deutlich weniger hübsch anzusehen mit den großen, glühenden Facettenaugen und dem mächtigen Dämonengebiss.

Der Kugelfisch erstarrte vor Schreck, als zwei Reihen langer, dünner, spitzer Reißzähne unmittelbar vor ihm auseinander ruckten. Plopp, ging es. Und schon trieb er als glotzender Ball mit der Dünung davon, aufgebläht bis an die Grenzen seiner Dehnbarkeit.

Hinter dem Riff war der Meeresboden übersät von Tonscherben, geborstenen Amphoren und Mauerresten. Sie ragten aus dem Sand an der Südseite von Ras Banas, dort, wo die hakennasenförmige Halbinsel eine Bucht umrahmte. In ihr hatte Ptolemaios II., ein Pharao makedonischer Abstammung, einst die Hafenstadt Berenike errichten lassen. Antike Schriften belegten, dass der Baubeginn an einer Sommersonnenwende erfolgt war, weil man diesen speziellen Tag für Glück bringend hielt.

Gut möglich, dass die Dschinniya aus der Sila-Familie, die damals in der Bucht lebte, es genauso empfunden hatte. Denn an jenem Tag brachte sie ihren Sohn Rhannoud zur Welt. Unter Wasser, wie es üblich war, und umringt von herabsinkenden Opfergaben der Menschen.

Er hatte eine gute Kindheit gehabt, der kleine Dschinn. Deshalb kehrte Rhannoud noch heute bisweilen nach Ras Banas zurück, auch wenn hier längst nichts mehr existierte von all dem, was ihm einmal wichtig gewesen war. Nur noch Erinnerungen. An das geheime Sila-Reich tief unter der Stadt. Das Hafenbecken, Abenteuerspielplatz für junge Delfine, Dschinn und Meerjungfrauen. An unbeschwerte Tage im Schutz der Familie, magische Momente unter den Sternen des Orients. Vertraute Klänge und Gerüche.

Viele Jahrhunderte war es her, dass die Menschen fortgezogen waren, ihre Häuser dem Zerfall überlassen hatten und der Hafen verlandete. Auch die Sila hatten sich eine neue Heimat gesucht, weit weg von Ägypten. Suchen müssen, weil Rhannoud sich in Amaira verliebt hatte, eine Dschinniya, die tabu für Seinesgleichen war. Sie gehörte zu den Mariden, den Herrschern der Dschinn, die zwei Ränge über den Sila standen und es nicht duldeten, dass man ihre Töchter auch nur ansprach.

Es hatte eine einzige Warnung gegeben. Doch Rhannoud, jung und stolz wie er damals war, stellte sich taub. Amaira war die Liebe seines Lebens, und an der hielt er fest, zumal seine Prinzessin – das war die Bedeutung ihres Namens – genauso fühlte wie er.

Als herauskam, dass die Beiden schon jede Grenze überschritten hatten und sogar heiraten wollten, fraß Amairas Bruder seine Schwester auf. Erwartungsgemäß forderte der geschockte, verzweifelte Rhannoud ihn daraufhin zum Kampf heraus, den er ebenso erwartungsgemäß verlor. Doch sein Gegner tötete ihn nicht.

Stattdessen riss der mächtige, finstere Maridensohn Rhannoud die Brust auf, zerrte seinen Lebensfaden heraus und verschmolz das Ende mit einem Kristallbrocken. Dann sprach er einen Fluch über den Dschinn, der ihm auch noch das Letzte nehmen sollte, was ihm geblieben war: seine Freiheit.

Nur Menschen vermochten den schwarzmagisch aufgeladenen Kristall an sich zu nehmen, und wer das tat, hatte alle Macht über Rhannoud, konnte den eigentlich großen Sila herumkommandieren wie einen namenlosen Flaschengeist. Dieser Mensch hörte auch auf zu altern; ein Nebeneffekt, der Rhannouds künftige Herren davon abhalten sollte, ihm den Kristall zu überreichen und so den Fluch zu brechen.

Es funktionierte bis zum heutigen Tag.

Selbst Hayat und Willem schafften es nicht, das Geschenk endloser Jugend aufzugeben im Tausch gegen die Freiheit des Dschinn. Doch anders als ihre Vorgänger behandelten sie ihren verspukten Untermieter respektvoll und freundlich. Er konnte tun und lassen, was er wollte, kommen und gehen, wie es ihm gefiel. Und sie verlangten nichts von ihm.

38 Jahre ging das schon so, und irgendwann in dieser Zeit hatte der einsame Dschinn etwas begriffen, das er niemals – unter keinen Umständen! – vor irgendjemandem zugeben würde. Nicht einmal vor sich selbst: Er war kein Verlorener mehr. Er war Zuhause.

Die Sonne sank. Rhannoud hatte seinen ausgiebigen Tauchgang in der Bucht von Ras Banas beendet und schlenderte nun den Strand hinauf Richtung Berenice, einem Dorf, das trotz der Namensgleichheit nichts mit der einstigen pharaonischen Hafenstadt zu tun hatte. Es wurde von halbwegs modernen Ägyptern bewohnt, die Autos und Handys besaßen und Landwirtschaft betrieben.

Berenice hatte auch einen Supermarkt. Er wirkte unglaublich deplatziert zwischen den schlichten, einstöckigen Häusern, dem Getreidespeicher und den freilaufenden Ziegen. Doch er hatte seine Daseinsberechtigung. Das Saumriff nämlich mit seiner Artenvielfalt und den prächtigen Korallen, wie auch die versunkenen Reste des antiken Hafens, lockten während der Ferienzeit Besucher an, und die wollten versorgt werden. Mit Lebensmitteln, Sauerstoffflaschen und Schwimmflossen.

Tauchen konnte man natürlich auch vor Hurghada oder Scharm el Scheich, allerdings war es an diesen Orten laut, voll und teuer. Beide hatten einen Flughafen und weitere hervorragende Verkehrsanbindungen, weshalb die meisten aus dem Ausland eintreffenden Touristen lieber gleich an den Strand gingen, statt zusätzlich noch die lange und strapaziöse Fahrt nach Ras Banas auf sich zu nehmen. Obwohl es sich gelohnt hätte.