Professor Zamorra 1272 - Stephanie Seidel - E-Book

Professor Zamorra 1272 E-Book

Stephanie Seidel

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Beschreibung

Im Traum sah Xi, wie der kostbare, heilige Zaubervogel den Garten inspizierte.
Ein unheimlicher, buckliger Mann erschien. Er musste ein mächtiger Dämon sein, denn er zog das gefiederte Götterwesen wie ein Spielzeug hinter sich her.
"Du musst Peking verlassen!", befahl er Herrn Xi mit düster hallender Stimme. "Wirst du freiwillig gehen?"
"Nicht, so lange Fenghuang mich beschützt."
"Das lässt sich ändern", sagte der Bucklige, packte den aufschreienden Vogel an beiden Beinen und riss ihn mitten entzwei ...


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Seitenzahl: 125

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Das Feld der weinenden Krieger

Leserseite

Vorschau

Impressum

Das Feld derweinenden Krieger

(Teil 2)

von Stephanie Seidel

Manchmal, wenn der alte Herr Xi müde war von seiner Arbeit im Gartenpark des französischen Kulturattachés, erlaubte er sich eine Zeit der Ruhe unter dem Wutong-Baum, gleich neben der anmutigen Bronzestatue Fenghuangs.

Dann sah er im Traum, wie sie zum Leben erwachte, wie der kostbare, heilige Zaubervogel den Garten inspizierte, die Wasserläufe, Beete, Felsen und Bäume. War Fenghuang zufrieden, begann er zu singen, als Zeichen, dass Herr Xi einen weiteren glücklichen Tag erleben würde.

Doch heute war der Traum anders als sonst ...

Ein unheimlicher, buckliger Mann erschien. Er musste ein mächtiger Dämon sein, denn er zog das gefiederte Götterwesen wie ein Spielzeug hinter sich her.

»Du musst Peking verlassen!«, befahl er Herrn Xi mit düster hallender Stimme. »Wirst du freiwillig gehen?«

»Nicht, so lange Fenghuang mich beschützt.«

»Das lässt sich ändern«, sagte der Bucklige, packte den aufschreienden Vogel an beiden Beinen und riss ihn mitten entzwei.

Marokko, Hafenstadt Essaouira

Zur gleichen Zeit, als im smogverhangenen Peking ein verängstigter alter Gärtner seinen Job quittierte und mit dem Abendzug die Stadt verließ, saß im zehntausend Kilometer entfernten Marokko der Historiker und Mythenforscher Ibrahim Choukri an den Vorbereitungen einer wichtigen Konferenz.

Das Jahrestreffen der Shenniden stand an. Choukris verstorbener Vater, der Parapsychologe Hassan Choukri, hatte den Geheimbund seinerzeit ins Leben gerufen. Nur die besten Dämonenjäger des Orients gehörten ihm an, die das nötige Wissen mitbrachten, um über Dschinn, Monster und unheimliche Spukwesen hinaus auch gegen das vorgehen zu können, was im Dunkel der Nacht dahinter lauerte.

Denn dafür genügte es nicht, unerschrocken und kampferprobt zu sein. Man musste sie kennen, die uralten, mächtigen Herrscher der Geisterwelt, wenn man sich mit ihnen anlegen wollte. Shenniden wussten, wie es ging. Ibrahim Choukri war ihr Anführer.

Er wohnte in Essaouira, einer malerischen Hafenstadt an der Atlantikküste, auf halber Strecke zwischen Marrakesch und Agadir. Sein Haus, ein so genannter Riad, besaß einen Innenhof; reich begrünt, kühl und schattig. Ein plätschernder Springbrunnen frischte die Luft auf.

Es war der perfekte Rückzugsort in den brütend heißen Mittagsstunden.

Das fanden auch die Spatzen, die Choukri dort unaufgefordert Gesellschaft leisteten. Ein ganzer Schwarm hatte sich ringsum an den Hauswänden niedergelassen, auf jedem Vorsprung, jedem Fenstersims. Der Innenhof hallte wider von ihrem Tschilpen. Manchmal kam ein besonders freches Exemplar zu den blühenden Bougainvilleasträuchern heruntergesurrt, um nachzusehen, ob es auf dem Gartentisch davor vielleicht etwas zu holen gab.

Doch da war nichts Brauchbares. Nur Papiere, Smartphone, Notebook und davor Ibrahim Choukri, der das Jahrestreffen koordinierte. Zwei Mal hatte es Corona bedingt per Videoschaltung stattfinden müssen. Jetzt sollte es endlich wieder eine richtige Zusammenkunft geben.

Eben erst hatte er mit dem Shenniden aus Israel gesprochen, der koschere Mahlzeiten wünschte, da meldete sein Notebook eine weitere Skype-Anfrage.

»Professor Zamorra, welch unerwartete Freude!«, sagte Choukri überrascht. »Sala'am, mein Freund! Wie geht es Ihnen?«

»Danke, bestens. Ihnen auch, hoffe ich?«

»Alles gut.« Choukri griff nach dem Notebook und verschob es leicht seitlich.

Sein Gesicht hatte sich am Monitor gespiegelt, mit all den Furchen und Falten und dem kurzen grauen Bart. Der Unterschied zu dem Live-Bild des jugendlichen Professors aus Frankreich war gravierend.

Dabei trennten die beiden Männer nur zwei Jahre. Doch Zamorra hatte das Glück gehabt, vom Wasser des Lebens zu trinken; früh genug, um für immer jung zu bleiben. Choukri gönnte ihm dieses Glück von Herzen, trotzdem plauderte es sich entspannter, ohne den direkten Vergleich vor Augen zu haben.

»Willem hat mir erzählt, dass Sie ein Jahrestreffen planen«, hob Zamorra an. Doktor Willem van Kamp, sein Freund aus Studienzeiten, jagte Dämonen des Orients. Er war der einzige Europäer im Geheimbund der Shenniden.

»Es findet in vierzehn Tagen statt«, sagte Choukri. »Willem kommt mit dem Auto aus Andalusien und hat angeboten, die zwei von unseren Leuten, die hier in Marokko leben, mitzubringen. Für die anderen organisiere ich gerade einen Shuttle-Service, der sie vom Flughafen zum Hotel und wieder zurückbringt.«

Er lächelte.

»Ich vermute, Sie hingegen sind wie immer mit bedeutenderen Projekten beschäftigt. Kann ich was für Sie tun, Professor?«

»Ob es überhaupt ein Projekt ist, weiß ich noch gar nicht«, gab Zamorra zu. »Aber ich weiß, dass Historiker gut vernetzt sind, deshalb rufe ich Sie an. Ich brauche Informationen zu dem merkwürdigen Grabfund neulich in Jerusalem.«

Choukri überlegte kurz.

»Sie meinen den toten Reiter aus der Zeit der Kreuzzüge?«

»Genau den.«

»Das ist der Tat ein merkwürdiger Fund«, sagte Choukri. »Ein Gefolgsmann der Kreuzritter, noch auf seinem Pferd sitzend, beide vom Blitz erschlagen und hastig verscharrt. Aber der Fundort war nicht Jerusalem. Das Grab liegt zwölf Kilometer südlich von der Stadt auf dem Gelände des Herodiums. Meine israelischen Kollegen haben keine Ahnung, was der Mann da wollte, so weit entfernt von den damaligen Belagerungskämpfen.«

Er hielt inne.

»Da fällt mir ein: bei dem Toten soll es sich um einen Knappen aus Frankreich handeln. Ist das der Grund für Ihr Interesse?«

Zamorra schüttelte den Kopf.

»Um ehrlich zu sein, ursprünglich hatte ich gar keins! Der Fund wurde in den Medien erwähnt, ich habe davon erfahren. Das war alles.« Zamorra seufzte. »Aber jetzt hat mich deswegen ein Historiker von der Sorbonne angerufen ...«

»Gaspard Devaudan, vermutlich«, unterbrach ihn Choukri.

»Sie kennen ihn?«, fragte Zamorra erstaunt.

»Nicht persönlich. Ich habe einige seiner Artikel gelesen. Er ist der Experte, was die Großen Kreuzzüge betrifft. Forscht darüber seit Jahren.« Choukri runzelte die Stirn. »Was wollte er denn von Ihnen?«

»Wissen, ob Leonardo deMontagne auf dem Ersten Kreuzzug einen bestimmten Knappen bei sich hatte«, sagte Zamorra düster.

Choukri fuhr hoch. Seine Lippen formten ein stummes Oh! als Reaktion auf den inneren Alarm, den der gefürchtete Name ausgelöst hatte.

Leonardo deMontagne!

Choukri kannte die Geschichte des Grafen, der als ursprünglich frommer Mann ins Heilige Land zog, um Jerusalem von den Seldschuken zu befreien – und als derart bösartige Kreatur zurückkehrte, dass selbst der Tod ihr keinen Einhalt gebieten konnte.

Leonardo war der Erbauer von Château Montagne gewesen, dem verspukten Schloss im Loiretal, das inzwischen Professor Zamorra gehörte. Hunderte Sklaven hatte er damals in den Tod getrieben mit der Schwerstarbeit, das mächtige Gebäude an einem Berghang zu errichten, samt Stollensystem im Untergrund und einem schwarzmagischen Wassergraben, der trotz seiner Schräglage nie überlief.

Heute stand tief unter dem Graben Leonardo deMontagnes Sarg – in einer magisch gesicherten Gruft, denn nach einem Leben voller Gräueltaten im Pakt mit dunklen Mächten war der Graf am Ende selber zum Dämon geworden.

Und er gab keine Ruhe! Noch aus dem Jenseits hatte er im Laufe der Zeit immer mal wieder überraschend angegriffen. Doch Zamorra, der Meister des Übersinnlichen, war bisher bei jedem dieser Kämpfe siegreich geblieben.

»Ich dachte, Ihr Vorfahre wäre inzwischen endgültig außer Gefecht gesetzt«, sagte Choukri stirnrunzelnd.

»Er ist nicht mein Vorfahre!«, widersprach Zamorra. »Die genauen Umstände sind nicht überliefert, aber ich weiß, dass Leonardo während seines Aufenthalts im Orient einmal Gast am Hof eines Kalifen war. Dort hat er eine Prinzessin entführt: Anaїs. Sie konnte später nach Spanien fliehen, wo sie einen Adeligen aus dem Hause del Zamora geheiratet hat. Ein Nachkomme der beiden kam dann irgendwann mit den deMontagnes in Kontakt, und daraus ist die Seitenlinie Zamorra de Montagne entstanden.«

Er lächelte.

»Das Monster ist also nur ein Verwandter, kein direkter Vorfahre!«

»Allah sei Dank!« Choukri erwiderte das Lächeln. »Aber was ich nicht verstehe ist, warum sich Gaspard Devaudan nach Leonardo erkundigt hat. Wie kam er darauf, dass es zwischen ihm und dem Grabfund einen Zusammenhang geben könnte?«

»Er hat den Fund gar nicht erwähnt«, sagte Zamorra. »Ich selbst hatte davon auch erst nach dem Telefonat erfahren. Deshalb dachte ich anfangs, da ruft ein Historiker an, der über französische Adelshäuser forscht. Das kommt gelegentlich vor. Aber Devaudan hat gezielt nach dem Knappen gefragt, der mit Leonardo auf dem Kreuzzug war. Und nicht nur das: Er kannte auch dessen Namen. Martín!«

»Wie ist das möglich?«, wunderte sich Choukri. »Solche Details werden normalerweise nur von bedeutenden Begleitern überliefert, aber doch nicht von einfachen Gefolgsleuten! Woher hat er dies Information?«

»Ich habe ihn nicht gefragt«, gestand Zamorra. »Der Mann war mir ein bisschen zu aufdringlich. Ich wollte ihm nicht das Gefühl geben, dass sich hier bei uns jemand für Leonardos Geschichte interessiert.«

»Kluge Entscheidung«, lobte Choukri noch, bevor er sich blitzschnell duckte, um der Spatzenstaffel zu entgehen, die im plötzlichen Tiefflug über ihn hinweglärmte. Aufgebracht rief der Historiker den zankenden Vögeln eine Verwünschung hinterher. Gestenreich. Deshalb verstand man sie auch, wenn man kein Arabisch sprach. Leider war sie nicht jugendfrei.

»Äh ... ja«, sagte Choukri, als sein Ärger verflogen war, und warf einen unsicheren Blick auf den Monitor. Zamorras Grinsen erlosch sofort.

»Also, wenn ich das richtig verstehe, haben Sie mit Devaudan gesprochen, aber keine Informationen ausgetauscht. Hat er gesagt, dass er sich noch mal melden wird?«

»Nein.«

»Dann ist die Sache für ihn erledigt?«

»Für ihn vielleicht«, sagte Zamorra. »Aber nicht für mich! Mir geht der Knappe nicht aus dem Kopf! Irgendwas stimmt nicht, das spüre ich!«

Er sah Choukri in die Augen.

»Kennen Sie das? Sie sind in einer Alltagssituation, alles sieht harmlos aus, alles lässt sich erklären. Trotzdem merken Sie, dass ein Detail nicht passt. Sie wollen darauf zeigen, aber Sie können einfach nicht sagen, welches es ist.«

Der Shennidenführer nickte.

»Das kenne ich zur Genüge! Mit einer harmlosen Umgebung zu verschmelzen ist eine beliebte Taktik der Dschinn. Sie tarnen sich als Menschen, die niemand für gefährlich halten würde. Wie die alte Marktfrau neulich, die hier am Hafen Fische filetiert hat.«

Er verzog das Gesicht.

»Ganz nebenbei hat sie auch noch drei Fischer zerhackt. Wir haben Teile von ihnen unter ihrem Stand gefunden. Den Rest hatte die Dschinniya gefressen.«

»Gut, dass Sie sie erwischt haben!«, lobte Zamorra.

Choukri lachte freudlos.

»Ja – jetzt! Aber die Alte stand da schon seit Jahren!«

Er verstummte. Nachdenklich rieb er sich das Kinn.

»Um noch mal auf den Knappen zurückzukommen, Professor: Sein Grab wurde auf die Zeit des Ersten Kreuzzugs datiert, also Ende des elften Jahrhunderts. Damit dürfte wohl feststehen, dass der Mann keinen Personalausweis bei sich hatte. Was macht Sie trotzdem sicher, dass er wirklich Martín hieß und obendrein zu Leonardos Gefolgschaft gehörte?«

»Ich hab's überprüft«, sagte Zamorra.

Er schilderte Choukri, wie er kurz nach Devaudans Anruf den Schlossarchivar von Château Montagne gebeten hatte, die wenigen noch erhaltenen Dokumente aus der Zeit des Ersten Kreuzzugs auf den Namen des Knappen durchzusehen.

Pascal Lafitte hatte gesucht, aber nichts entdeckt. Allerdings war er ein Mann, der sich nicht gern geschlagen gab – und gerade als Zamorra zu glauben begann, die ganze Sache sei ein Fehlalarm gewesen ... stieß Lafitte in einer anderen Ecke des Archivs auf einen unerwarteten Fund.

»Ein uraltes Haushaltsbuch«, sagte Zamorra. »Der Schlossverwalter hatte es in Leonardos Abwesenheit geführt. Darin waren unter den Ausgaben des Châteaus auch die Männer aufgelistet, die Leonardo nach Jerusalem begleitet hatten. Acht kehrten nicht zurück, deshalb erhielten ihre Witwen Entschädigungszahlungen. Bis auf eine. Raten Sie mal, wie die hieß!«

Choukri, der aufmerksam zugehört hatte, runzelte die Stirn.

»Ach, bitte! Das kann doch gar nicht sein!«, rief er.

»Doch«, beharrte Zamorra. »Ich hab's schriftlich! Wer leer ausging, war die Frau eines gewissen Martín Clement! Mehr noch: Im Buch wurde sein Name heftig durchgestrichen. Kreuz und quer!«

»Jemand war wütend auf ihn«, erkannte Choukri. »Aber warum?«

»Genau auf die Frage brauche ich eine Antwort«, sagte Zamorra.

»Pfff«, machte Choukri. »Ich fürchte, die kann ich Ihnen nicht liefern, Professor!«

Er verstummte, weil seine Frau Nouria hinter ihm erschien, ein Tablett in den Händen, darauf ein Glas Tee. Marokkanische Minze, heiß und stark gesüßt. Vorsichtig stellte sie es neben Choukri auf dem Tisch ab.

»Schukran, habibi!«, dankte der Historiker.

Die grauhaarige Dame nickte ihm zu, murmelte noch ein scheues »Sala'am!« in Richtung Zamorras Gesicht auf dem Monitor und wandte sich ab.

Choukri wartete, bis sie wieder im Haus war, ehe er weitersprach.

»Sie regt sich immer so auf, wenn es um meine ... äh ... Nebentätigkeit geht«, sagte er wie entschuldigend. »Wo waren wir? Ah: der Knappe! Ich hatte Ihnen ja bereits erzählt, dass die Israelis sich nicht erklären können, was den Mann so weit nach Süden verschlagen hat. Es gibt ein paar Spekulationen, darunter auch ziemlich abenteuerliche, aber an das Naheliegendste scheint niemand zu denken.«

Choukri nippte an seinem Tee.

»Die Schlacht um Jerusalem war ein blutiges Gemetzel. Ich vermute, es ist dem armen Franzosen einfach zu viel geworden, und er hat sich aus dem Staub gemacht.«

»Ein Deserteur!«, sagte Zamorra überrascht. Er nickte. »Das klingt einleuchtend! Ich kann jeden verstehen, der keine Lust hat, fremde Menschen abzuschlachten, die ihm nicht mal was getan haben.«

»Unbedingt«, stimmte Choukri zu. »Und einen anderen Grund für die Flucht des Knappen sehe ich nicht. An dem Kreuz kann es ja kaum gelegen haben.«

Zamorra horchte auf.

»Was denn für ein Kreuz?«

Jetzt war es an Choukri, überrascht zu sein.

»Wussten Sie das nicht? Die Medien hatten es doch gemeldet: Bei dem Toten wurde ein Kreuz gefunden. Aber nicht irgendeins! Es kam aus dem Vatikan!«

»Leonardo stand in Kontakt mit Rom?«, fragte der Professor gedehnt. »Das höre ich zum ersten Mal!«

»So war es auch nicht. Er wurde kontaktiert«, sagte Choukri und erzählte Zamorra, was in Historikerkreisen über die Operation Heiliger Krieg bekannt war:

Im Spätsommer 1095 schickte Papst Urban II. Abgesandte auf eine geheime Mission nach Frankreich. Ihr Auftrag lautete, den Oberhäuptern der dortigen Adelshäuser ein Schreiben zu überreichen, dessen Inhalt streng vertraulich war.

Urban II. plante den Ersten Kreuzzug. Er wusste, dass der Heilige Krieg ein zu großes Projekt war, als dass die Kirche es ohne Sponsoren hätte realisieren können. Darum verlangte er in seiner Nachricht an die Franzosen sowohl deren finanzielle Beteiligung als auch ihre Zusage, kampffähige Männer bereitzustellen.

Die Angelegenheit war heikel; nichts davon durfte vorzeitig bekannt werden. Deshalb, und damit der päpstliche Brief nicht in die falschen Hände geriet, wurde er in eigens dafür angefertigten Behältern transportiert: schlichte, hohle Bronzekreuze zum Umhängen, die sich nahtlos in das Erscheinungsbild der Mönche einfügten.

»Der Knappe hat Leonardos Kreuz gestohlen?«, fragte Zamorra verblüfft.

Choukri schüttelte den Kopf.

»Kann ich mir nicht vorstellen. Was hätte er damit anfangen sollen? Damals standen Reliquien hoch im Kurs. Aber das kleine Kreuz war neu! Und unscheinbar. Nur die Aristokraten kannten seinen Wert, denn sie wussten, woher es stammte. Und denen konnte er es nicht anbieten. Der Mann hätte sein Leben riskiert, wenn er mit Diebesgut bei ihnen aufgetaucht wäre.«

Ratlos breitete Zamorra die Hände aus.

»Aber wenn er es nicht gestohlen hat, wie ist das Kreuz dann in sein Grab gekommen? Leonardo hat es ihm bestimmt nicht geschenkt!«

»Das nicht, aber vielleicht gab es einen anderen Grund«, sagte Choukri nachdenklich. »Wissen Sie was? Ich rede mal mit den Kollegen am Israelischen Nationalmuseum, die untersuchen den Fund. Einer ihrer Archäologen hatte das Grab entdeckt.«

»Und ich rufe Devaudan an!«, beschloss Zamorra. »Ich hatte gleich das Gefühl, dass er mehr über Leonardos Knappen weiß, als er sagt, und es ärgert mich, dass ich nicht nachgehakt habe. Aber da wusste ich auch noch nichts von dem Kreuz. Jetzt soll mir Devaudan erzählen, was er mir verheimlicht hat – und warum!«