Sind Sie eigentlich fit genug? - Margit Schreiner - E-Book

Sind Sie eigentlich fit genug? E-Book

Margit Schreiner

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Beschreibung

Wenn Margit Schreiner nicht an Romanen arbeitet, schreibt sie Artikel für Zeitungen und Zeitschriften, Statements zu aktuellen politischen Themen und vor allem Essayistisches: "Jede schriftliche Äußerung erfordert eine viel genauere Auseinandersetzung mit Themen als alles Mündliche. Die Ausdrucksweise in der öffentlichen Auseinandersetzung wird immer gröber und undifferenzierter, da muss man sich manchmal zu Wort melden." Nach dem großartigen Essayband "Schreibt Thomas Bernhard Frauenliteratur?", in dem Schreiner zu der Schlussfolgerung kommt: "Thomas Bernhard IST eine Frau", folgt nun ein Band mit neuen Essays und betrachtender Prosa. Unter dem Oberbegriff "Literarisches" denkt sie über Sprachformen wie "Rührei oder Eierspeis" nach, bei "Biographisches" geht es unter anderem um den "Roten Faden". "Weibliches" inspiriert sie zu dem hinreißenden Essay über "Muttertag, der Tag des Wellensittichs", "Redliches" zum "Seepferdchen im Kopf". Sie schreibt über Margaret Atwood und Jane Bowles und fragt schließlich unter dem Stichwort "Politisches": "Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?" Und immer zeigt Margit Schreiner ihren unverwechselbaren Blick auf unsere Welt.

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Inhalt

[Cover]

Titel

I. LITERARISCHES

Rührei oder Eierspeis – Sprachformen

Literatur und Trost – Aspekte zeitgenössischer Literatur und ihre gesellschaftlichen Bedingungen

Heute – Früher

Neue Marktbedingungen

Die Vermittlerbranche

Noch eine Vermittlerbranche

Das Anpassen des öffentlich-rechtlichen Radios an den Markt

Die Krise des Romans

Was ist eigentlich spannend?

Das leidige Thema: Der Krimi

Reality-Hunger

Das neue Menschenbild

Es gibt kein Zentrum Ich

Die Wahrnehmung ist nicht unmittelbar

Traum ist Erinnerung

Erkenntnisse und Literatur

Das Erdensekretariat der Genauigkeit und der Seele

Das »interesselose Wohlgefallen« Kants

Literatur als Trost

Die rohe Kunst

Turmalin

Kunst ist eine Sache der Orientierung

Bin ich ein überflüssiger Mensch?

Wo fängt die Gegenwart an?

Zustandsgebundene Kunst

Behindert ist, wer behindert wird.

Niemand ist nur krank oder nur gesund.

Ich frage mich, warum alle meine Lieblingsprodukte nach kurzer Zeit wieder aus den Supermarktregalen verschwinden

Der erste Satz

Sind Sie eigentlich fit genug?

Bipolares

Ich heiße Idiot

Integration

Inklusion

II. BIOGRAPHISCHES

Eine kurze Kaffee-Geschichte

Der rote Faden

Die Hofgasse

Weg von Linz

III. WEIBLICHES

Muttertag, der Tag des Wellensittichs

Die Fünfzigerjahre: Wellensittichgeneration?

Die Sechziger-, Siebzigerjahre: Das Schweigen rächt sich

Die Achtziger-, Neunzigerjahre: Alles Persönliche ist politisch

Das Frauenbild bei Karl Farkas

Jane Bowles

IV. REDLICHES

Das Seepferdchen im Kopf

Warum Bibliotheken unverzichtbar sind

Margaret Atwood, Anwältin der Mägde

Leben im Zeichen der Bedrohung

Anwältin der Mägde

Die Mägde in der Penelopiade

Die Magd Grace Marks

Die Magd Desfred

Anwältin der Frauen

Die Frau als Madonna und Hure

Ironie und Unsentimentalität

Die List der Frauen

Das Schreiben wird schwerer

Dankesrede zum österreichischen Würdigungspreis

Besinnen wir uns auf das Weltmännische

Anton-Wildgans-Preis Dankesrede

Ringel oder Wildgans?

V. POLITISCHES

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Macht Missbrauch

Einspruch: Ist Missbrauch überhaupt ein Verbrechen?

Nachweise

Autorenporträt

Kurzbeschreibung

Impressum

Sind Sie eigentlich fit genug?

I. LITERARISCHES

Rührei oder Eierspeis – Sprachformen

Wenn meine Mutter gesagt hat Wir saßen am Tisch, hat mein Vater meistens gelacht. Er wurde nie müde darauf hinzuweisen, dass die Familie meiner Mutter anscheinend die Angewohnheit gehabt hatte, gruppenweise auf statt beim oder seinetwegen an dem Tisch zu sitzen (und zwar im Präteritum). Dabei war mein Vater ansonsten sehr bewandert, was Grammatik betraf. Überhaupt war er genau, Buchhalter halt. Aber er fühlte sich als Österreicher aus dem Böhmerwald, meine Mutter sich als Deutsche aus dem Ruhrgebiet. Da trafen Welten aufeinander: Deutschland auf Österreich und Tschechien, die Stadt (Industriestadt Essen) auf ein infrastrukturarmes Land (Šumava), Katholizismus (Mutter) auf Atheismus (Vater), dazu jeweils eine vorangegangene Ehe. Der erste Mann meiner Mutter (auch ein Österreicher) war im Zweiten Weltkrieg gefallen, die erste Frau meines Vaters (eine Tschechin) war samt der gemeinsamen Tochter nach dem Zweiten Weltkrieg hinter dem Eisernen Vorhang verschwunden, während er bereits in Linz bei der Vöest arbeitete. Da waren sie längst geschieden.

Ich habe immer mit meinem Vater mitgelacht. Meine Vorstellung: Opa und Oma, beide mit baumelnden Beinen am, für den echten Österreicher also auf dem Tisch sitzend! Erst 1980, als mein erstes Buch erscheinen sollte, bin ich während des Lesens der Korrekturfahnen erstmals auf den Gedanken gekommen, dass meine Mutter mit der Kontraktion am recht gehabt haben könnte. Auch wenn sie mit den Kindern statt mit die Kinder sagte. Möglicherweise sogar mit ihren Stühlen (für sie ungepolstert)statt unserer Sessel und ihren Sesseln (gepolstert)statt unserer Stühle und Schränken statt Kästen und Treppen statt Stiegen. Aber gleich darauf mein Vaterreflex: Wieso eigentlich? Es gibt schließlich ein Österreichisches Wörterbuch. Andrerseits: Da steht ja sogar die Gschaftlhuberei drin. Aber wer soll das im deutschsprachigen Ausland verstehen?

Mein erster Verlag war in der Schweiz. Dort lachte man über meine österreichischen Kontaktlinsen, nahm aber das schweizerische Sackmesser ohne ironisch-erotischen Unterton hin. Kann man die Gschaftlhuberei einem Deutschen oder einem Schweizer zumuten? Oder den Grantscherbn oder gar die Futlapperl? Sackmesser war ja nichts dagegen!

Lange Zeit galt es in Österreich als Anbiederung an den deutschen Buchmarkt, Austriazismen zu vermeiden. Besonders verpönt war der Penner statt des Sandlers. Am schlimmsten war Handkes Stadtstreicher. Abgesehen davon, dass Stadtstreicher wohl die wertfreieste, objektiv schönste Beschreibung für einen Sandler ist, kann sie in bestimmten Zusammenhängen euphemistisch sein. Die Frage tut sich auf: Soll ich mich bei Interviews etwa auf das deutsche Hochdeutsch konzentrieren, welches ich auch nach meinem oder gerade wegen meines achtjährigen Aufenthalts in Berlin eh nicht beherrsch(t)e? Soll ich wirklich an Ostern, an Weihnachten, statt zu Ostern, zu Weihnachten sagen?

Tatsache ist, der deutsche Buchmarkt ist um ein Vielfaches größer als der österreichische und der Schweizer Buchmarkt zusammen. Die meisten Leser sind also Deutsche. Sollen sie mich verstehen oder nicht? Glossare am Ende eines Romans sind ja auch nicht das Gelbe vom Ei. Soll ich dem deutschen Leser also seine ganz andere Vorstellung vom deutschen Stuhl durchgehen lassen oder auf der Vorstellung bestehen, die ich vom österreichischen Stuhl habe? Ich würde mal sagen: Kommt ganz drauf an. Auf den Zusammenhang, den Inhalt, die Nuance … Zusammenhang hin oder her, Penner würde ich trotzdem niemals schreiben! Penner wäre geradezu ein Verrat. Ist mein Vaterwiderstand nichts als der Widerstand des auf ein kleines Inselchen geschrumpften, einstmals großen Österreich gegen den kleinen preußischen Staat? Oder gar antifaschistisch? Andrerseits: Sind nicht die größten Wir-lassen-uns-nichts-vom-Ausland-vorschreiben-Nationalisten Faschisten?

Wieder andrerseits: Artmann, Achleitner, Kumpfmüller, alles Seppl-Literatur? Unverständlich außerhalb der österreichischen Staatsgrenze? Man sollte bedenken, dass der Mensch am meisten durch den Widerspruch lernt. Und zu lernen gibt es wohl auf beiden Seiten genug.

Das pinkfarbene Labskaus ist ein Seemannsgericht, hergestellt mit dem, was man auf einem Schiff, das wochenlang unterwegs ist, hat: Fisch, rote Bete (Rauna für Österreicher), Konservenfleisch (Corned Beef), Kartoffeln, eingelegte Gurken, usw. Und Spiegelei (Hühner waren an Bord). Pinkel, rote Grütze, Broiler … Es gibt noch viel zu lernen.

Zunächst: Sowohl das österreichische Hochdeutsch als auch das Schweizer Hochdeutsch und das bundesdeutsche Hochdeutsch sind ursprünglich aus der sächsischen Kanzleisprache hervorgegangen. Und zwar nicht aus ideologischen Gründen. Wir haben das dem Pragmatismus von Maria Theresia und Josephs II. zu verdanken, denen allgemeine Verständlichkeit wichtiger war als Regionalität.

Ich habe mich als Kind in dem immerwährenden Kampf Österreichs gegen Deutschland auf die Seite meines Vaters geschlagen. Was ist ein Schweinebraten gegen einen echten Schweinsbraten? Die Eierspeis ist doch dem Rührei haushoch überlegen. Wer will schon Grützwurst essen?

Einer Studie zufolge wird das österreichische Hochdeutsch in den meisten mitteleuropäischen Ländern als Dialekt verstanden. Ausnahme: Tschechien. Da wird (angeblich) österreichisches Deutsch gelehrt. Na eben!

Mein Vater war kein Heimatvertriebener. Er ist wegen seiner zerrütteten Ehe bereits 1939 freiwillig nach Linz gezogen, um in der Verwaltung der Hermann-Göring-Werke zu arbeiten, wo er später auch meine Mutter kennengelernt hat. Die Zeitschrift der Sudetendeutschen Heimat hatte er allerdings bis 1973 abonniert. Erst als diese den Militärputsch gegen Allende in Chile feierte (»In Chile fließt endlich rotes Blut!«), hat er sie abbestellt. Einmal war ein Mitglied der Tschechischen Philharmonie, die in Linz ein Gastspiel gab, bei uns zu Besuch. Meine Halbschwester flüchtete 1960 aus der Tschechoslowakei. 1968, als während einer Autofahrt im Radio vom Einmarsch der Russen in der Tschechoslowakei berichtet wurde, fuhr mein Vater an den Straßenrand, blieb stehen und weinte. Ich war Kommunistin damals.

Ich verstehe bis heute typisch oberösterreichische Ausdrücke nicht. Neulich erst hab ich erfahren, was genau das von mir geliebte Einen-Gizzi-haben heißt, und dass das gar nicht oberösterreichisch ist. Mein Vater verstand auch vieles nicht, zum Beispiel: oaschlings (rückwärts) oder feigeln (Probleme bereiten). Sein nopfitzen (schlummern, kurz einschlafen) hingegen kannte in Linz niemand. Meine Mutter war strikt gegen jeden Dialekt, den sie als schlampig bezeichnete. Sie selbst ist nie wie der schlappe Österreicher einfach irgendwo gesessen, sondern sie hatte stets aktiv irgendwo gesessen, war aber andrerseits durchaus imstande, Semmeln zu sagen statt Brötchen oder Schrippen. Ich bin eben mehrsprachig aufgewachsen. Mit allen Vor- und Nachteilen.

2018

Literatur und Trost – Aspekte zeitgenössischer Literatur und ihre gesellschaftlichen Bedingungen

Heute – Früher

Ursula März zitiert 2011 auf ZEITONLINE anlässlich des Erscheinens von Charlotte Roches Schoßgebete den Verlagsleiter von Kiepenheuer & Witsch, Helge Malchow: Auf dem deutschen Literatur-Buchmarkt hätte sich eine »neue Kategorie der Ultrabestseller« gebildet. Bisher sei man von drei Kategorien von Büchern ausgegangen: Bücher, deren Auflage unter 5000 Stück liegt, die ökonomisch dem Verlag nichts brächten, aber gemacht werden müssten, Bücher mit einer Auflage von 6000 bis 15000 Stück, die sich selbst trügen, und Bestseller von 500000 bis 1 Million Stück. Die vierte, neue Kategorie seien sogenannte »Raketen«, die die Millionengrenze durchschlügen. Ihr Markterfolg verdanke sich der »kulturell fakultativen Teilhabe« eines weitgehend unliterarischen Publikums an einem populären Faszinationsobjekt.

Ein Gegenbeispiel: Den Druck des ersten von vier Bänden seiner Autobiographie, der die Lebensjahre von 1813 bis 1842 umfasst, ließ Richard Wagner, der sich damals in der Schweiz aufhielt, von dem Baseler Drucker G.A. Bonfantini im Laufe des Jahres 1870 herstellen und von Friedrich Nietzsche überwachen. Als Vorlage diente die von Wagner korrigierte Diktatniederschrift seiner Gattin Cosima. Der Band sollte in einer Auflage von 15 Exemplaren in die Hände des Gönners König Ludwig II. und treuer Freunde gelangen. Das nur zur Erinnerung.

Neue Marktbedingungen

Seit Anfang/Mitte der 1990er-Jahre hat sich Grundlegendes verändert. Nicht nur in Politik und Wirtschaft, sondern auch in der Literatur. Dass alles zusammenhängt, ist eine Binsenweisheit, die trotzdem erläutert werden muss. Die Politik hat kaum mehr regulativen Einfluss auf den globalen Markt. Wir leben in Zeiten nach dem Ende der Politik. Der Literaturmarkt hat sich, so wie die Märkte allgemein, verselbstständigt. Er wird ziellos überschwemmt mit Literatur jeglicher Couleur, während sein Regulator, die Literaturkritik, ihre Funktion modifiziert hat. Man kann nicht einmal von bösem Willen sprechen. Die Medien, in denen die Literaturkritik agiert (also vor allem anspruchsvollere Printmedien, Radio und Fernsehen), haben Informationspflicht. Die führenden Verlage bestimmen im Vorhinein (allein indem sie Geld in Autor und Auflage investiert haben), was die kommenden Bestseller sind, und die Medien folgen der Informationspflicht.

Das ständige Ranking von Literaturtiteln, das den Verlagen und den Autoren, die im Ranking sind, gelegen kommt, verstärkt die Situation. Denn natürlich müssen auch die Besten der literarischen Wettbewerbe (Bachmann-Wettlesen, Bremer Literaturpreis, Deutscher Buchpreis und Preis der Leipziger Buchmesse, einschließlich Long- und Shortlists usw.) besprochen werden. Bis alle in diesem Sinne wichtigen Bücher abgearbeitet sind, können schon ein paar Monate vergehen, und dann ist bereits die neue Produktion an der Reihe. Die Halbwertszeit von Buchneuerscheinungen wird dadurch immer kürzer. Da bleibt nicht viel fürs Mittelfeld. Ob es die Literaturkritik selbst so sieht und, wenn ja, ob es ihr nun gefällt oder nicht, sie wird durch das Nachhecheln von bereits festgelegten »Sensationen« fast zwangsläufig zur kostenlosen Werbetrommel der Verlage. Das schadet(e) auf Dauer Inhalt und Stil der Rezensionen. Hans Magnus Enzensberger meint in Mittelmaß und Wahn. Gesammelte Zerstreuungen dazu: »Nicht dass es unter den Rezensenten Trottel und Schwätzer gibt, ist der springende Punkt, sondern dass die Form der Rezension als solche offenbar nicht mehr zu retten ist. Der literarische Journalist lebt von der Substanz, die der Kritiker ihm hinterlassen hat; wenn sie aufgezehrt ist, bleibt nur Gequassel übrig. Schon wirken die literarischen Sonntagsbeilagen obsolet. In den Illustrierten-Redaktionen ist die Kultur längst zum Anhängsel des Unterhaltungsressorts geworden; im Spiegel kommen Buchbesprechungen nur noch ausnahmsweise vor; der Kulturteil des Magazins hat alle Hände voll zu tun, um uns über die neuesten Trends im Autodesign, im Getränkekonsum, in der Gynäkologie und der Trachtenmode zu unterrichten. Lapidare Textsorten ersetzen die Rezension: der Klappentext, der Buch-Tip, die Bestseller-Liste, der Werbespot. An die Stelle des Rezensenten, der immer noch liest und schreibt, obwohl ihm weder das eine noch das andere gelingen will, treten andere Zirkulationsagenten, denen diese Qual erspart bleibt, als da sind: Medienkontakter, Showmaster, Videodesigner – Leute, die instinktiv erkannt haben, was das Störende, das eigentlich Lästige am Literaturgeschäft ist, nämlich der Text, das Buch, die Literatur.«

Das spiegelt sich auch in den großen Buchhandlungsketten wider. Da gibt es (bezahlte) Bestsellertische wie Altäre mit Türmen von Büchern eines einzigen Romans, für den durchschnittlichen Leser wie im Supermarkt aufbereitet. Und sozusagen unauffällig eingebettet in alle möglichen Arten von Nippes, Tand und Unterhaltung. Die Beratung im gut sortierten Einzelhandel setzt voraus, dass der Buchhändler den Geschmack jedes einzelnen seiner Kunden kennt. (Meiner wurde jedenfalls meist nicht erkannt.)

Die Vermittlerbranche

Gleichzeitig gewinnen teilweise aus literaturfernen Branchen kommende Juroren, Moderatoren, Eventmanager etc. an Einfluss. Auch sie richten sich naturgemäß nach Verkaufszahlen beziehungsweise Quoten. Die Tendenz geht schon lange zum schreibenden Promi statt zum Autor, Festival statt Einzellesungen, zu themengebundenen Besprechungen (Stichwort: »Ferienlektüre«, »Krimi«) statt Besprechung von einzelnen Werken, einschließlich der »Bespaßung« von Literatur, wie wir das von Ausstellungen und Museumsdarbietungen kennen, die ja auch mehr und mehr themenbezogen sind (»Nackte Männer«, »Rabenmütter«). Klar, dass auf diese Weise der Moderator, Organisator oder Eventmanager wichtiger als der einzelne Schriftsteller wird. Deshalb verdient er ja auch ein Vielfaches. Lesungshonorare für den Nicht-Bestseller-Autor, der nicht auf Festivals oder in Bankinstituten, sondern in Buchhandlungen oder Kulturhäusern liest, sind seit sechzehn Jahren gleich geblieben oder sogar weniger geworden. Oftmals wird auch die Anfahrt zu einer Lesung, die Verpflegung und Unterbringung oder/und die Umsatzsteuer nicht mehr vom Veranstalter gezahlt, oder kann vom einzelnen Veranstalter, der keine Förderungen erhält, da ja das meiste Geld in die »Großveranstaltungen« geht, nicht mehr bezahlt werden. So wie in der Gesellschaft allgemein, hat sich auch in der Literatur eine Schere aufgetan, die zwischen arm (kaum verkaufte Bücher) und reich (Bestseller) keinen Platz mehr für die Mittelschicht (Bücher, von denen zwischen 2000 und 5000 Exemplare verkauft werden) lässt. Die Mittelschicht verarmt somit.

Wenn man den Autor, der lesen wird, schon aus dem Krimioder von den Nachrichtenher kennt, ist der Spaß natürlich noch größer, selbst wenn es die dargebotene Literatur nicht ist. Man sieht dann einen Menschen, der es in einer anderen Branche bereits zu etwas gebracht hat, noch einmal anders. Persönlicher! Privater! Der Verlag spart Werbung, der Literaturkritiker wird darauf eingehen, weil es »von allgemeinem Interesse« ist, was der Tatortkommissar schreibt und sagt und wie er schreibt und wie er es sagt. Ebenso der Comedian bzw. Kabarettist, der heute auch gerne schreibt.

Noch eine Vermittlerbranche

Neben der Organisation von Festivals und anderen Großveranstaltungen werden jedoch auch für den laufenden Literaturbetrieb selbst immer mehr Agenten, Betreuer, Lesungsorganisatoren, Webseiten- oder Homepagebetreuer gebraucht. Die kann sich natürlich nur leisten, wer ohnehin gut im Geschäft ist. Es scheint so, als ob heute der Autor der Mittelschicht mehr und mehr selbst für seine Werbung verantwortlich ist. Einige große Verlage scheinen die Organisation von Lesungen längst ausgelagert zu haben, oder die Autoren suchen von sich aus Agenten, die möglichst gute Verdienstmöglichkeiten versprechen. Dafür nehmen sie auch bis zu 20% der Einnahmen der Autoren.

Homepage und Facebook gehören bereits zum Muss für den Autor, der sich nicht als graue Maus den neuen Medien verschließen will. Die neuen Medien zu bedienen kostet Zeit oder Geld oder beides. Es soll bereits Autoren geben, die ihre Facebook-Gemeinde über den bestmöglichen Titel für ihr neues Werk oder gar über die »Auflösung« desselben befragen.

Das Anpassen des öffentlich-rechtlichen Radios an den Markt

Da wagt man ja kaum über ein so antiquiertes Kommunikationsmittel wie das Radio zu sprechen. Das, insofern ganz im Trend liegend, Primärliteratur zugunsten moderierter Sendungen über Literatur und Autoren Schritt um Schritt abbaut. In den Achtzigerjahren gab es in Österreich noch eigene Ressorts für Literatur, Intendanten, die aus der Literatur kamen (Rudolf Bayr, Hannes Leopoldseder, Fritz Habeck, Ernst Schönwiese …). Heute sind es Journalisten der Innenpolitik, bezeichnenderweise oft Finanzexperten oder kaufmännische Kräfte, die nicht mehr Intendanten, sondern Direktoren sind. In den ORF-Regionalradios gibt es so gut wie keine Literaturabteilungen mehr. Wenn es aber keine autarken Literaturabteilungen mehr gibt, dann gibt es auch niemanden mehr, der die Literatur vertritt. So gibt es heute kaum noch Primärliteratursendungen und wenn, wurden diese wie Radiogeschichten und Beispiele unauffällig und ohne Hinweis darauf von zwanzig auf siebzehn Minuten reduziert. Es waren die Querverweise in der Programmankündigung, denen die Literatur Platz machen musste. Musik zwischen den Texten minderte im Sinne der Sparmaßnahmen die Kosten für Rechtezahlungen an die Verlage und Autoren. Ich möchte einmal behaupten, dass diese Tendenz vor allem dem Roman, der besonders schwer in kleine und kleinste Häppchen zu teilen ist, schadet. Wo es wenige Sendeplätze gibt, gibt es auch wenig Literatur, die gesendet werden kann. Und geredet wird ja (siehe Informationspflicht) vor allem über die sowieso bereits bekannten Romane und Autoren.

Funkerzählungen und Hörspiele werden kaum mehr regional produziert, was gerade für den literarischen Mittelstand, der Romane schrieb, aber von Funkerzählung und Hörspiel lebte, finanzielle Einbußen brachte. Autoren schaffen neue Überlebensstrategien. Sie bieten an eigenen Rechnern fertig produzierte Hörspiele, Hörbilder, Essays oder gar Romane gleich als Datenträger oder CD oder MP3 an, weichen in die sozialen Netzwerke aus (Facebookgemeinden, Internetromane, Book-on-Demand), versuchen sich als Drehbuchautoren bei Fernsehserien oder bauen sich ihr Theater gleich selbst, wie der über 80-jährige Österreicher Friedrich Ch. Zauner in seinem Heimatort Rainbach bei Schärding (»Rainbacher Evangelienspiele«), einst ein begehrter Roman-, Hörspiel- und Funkerzählungsautor. Das reicht manchmal, aber nicht immer zum Überleben, es reicht meistens nicht zum Weiterschreiben zeitlich aufwendiger literarischer Romane.

Die Krise des Romans

Kurz: Der zeitgenössische Roman befindet sich in einer Krise. Übrigens seit nunmehr fast 100 Jahren, seit Otto Flake 1922 die Krise des modernen Romans ausgerufen hat. Umso erstaunlicher, dass gerade heute wieder besonders dicke, möglichst klassisch erzählte Romane gefragt sind. Mindestens 500, gerne 1000 Seiten. Und zwar nicht nur U/U-Literatur, die immer schon umfangreich war (Stichwort »Vom Winde verweht«), sondern auch U/E-Literatur. Das war in den letzten zwanzig, dreißig Jahren nicht immer so.

Der Umschwung am Literaturmarkt in den 1990er-Jahren kam zunächst zum Beispiel mit dem/n »Fräuleinwunder(n)« in den deutschsprachigen Bereich: knappe Romane und Erzählungen mit einem Umfang von etwa 100 bis 200 Seiten. Die Interpretation dieses Faktums lief im Wesentlichen darauf hinaus, dass der moderne Mensch im Umbruch keine Zeit mehr habe, 500 oder gar 1000 Seiten dicke Bücher zu lesen. Zu schreiben auch nicht, weil der einzelne Schriftsteller ja genug mit der Selbstverwertung zu tun hat.