Sohn des Apollon - Herbert Friedrich - E-Book

Sohn des Apollon E-Book

Herbert Friedrich

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Beschreibung

Nach einem Unglück im Steinbruch, bei dem die beiden Sklaven Spartacus und Oinomaos fast getötet wurden, können sie zunächst fliehen und werden dann doch wieder eingefangen. Und zu ihrer Flucht und zu ihrem Sklavenlos befragt, erklären sie, dass sie immer wieder fliehen würden und hätten sie Waffen, diese gegen ihren Besitzer richten würden. Und sie sollten Waffen bekommen: „Die Waffen, die ihnen Herr Crassus versprochen hatte, waren Schild und Schwert oder Lanze. Oder Netz und Dreizack. Oder ein körpergroßer Schild und ein Kurzschwert. Oder ein Krummsäbel und ein runder kleiner Schild. Je nach Wahl. An Schutz dagegen gab es Leibgurte, die über die Tunika getragen wurden. Oder leichte Panzer. Und Beinschienen. Kniffe, Täuschungen, Finten. Das Wichtigste war gladius, das Schwert. Der Fechter, der es zu führen hatte, war der Gladiator.“ Und so wurden Spartacus und sein Gefährte Gladiatoren, die zur Belustigung der Menge in Zweikampf sterben sollten – zuvor in der Gladiatorenschule zu Capua nach allen Regeln der Kunst für den Tod ausgebildet. Dann wird Spartacus nach Rom gebracht, wo er auf den Kampf mit dem Löwen wartet: Dann zog ihn einer zur Tür, den er gar nicht recht sah. Sie gaben ihm Anweisungen, wie weit er in der Arena zu schreiten hätte, wo verbeugen; er nahm es nicht auf. Hinaus trat er und sah den Himmel und hörte das Brüllen, das nicht vom Löwen kam: Die Menge johlte. Nicht vor dem Tier hatte er sich zu fürchten. Der Löwe stob aus einer Tür in die Arena, schoss ins Leere, verhielt dann und schaute sich um. Das Geschrei missfiel ihm sichtlich. Und Hunger hatte er. Unschlüssig stand er und hatte den Mann noch gar nicht gewahrt. Ein Netz hatte man Spartacus zugebilligt und ein Schwert, obwohl diese Zusammenstellung völlig unüblich war. Auch hatte man ihn nicht für Kämpfe mit Tieren geschult. Nun aber, da Spartacus die Gefahr sah, war er ruhig. Der Löwe leckte am Boden, wo er das Blut der vergangenen Kämpfe roch. Die Menge schrie. Es raste im Rund. Spartacus stand wie aus Stein, bereit, jede Regung der Raubkatze zu parieren. Das große Tier wird ihm Wunden reißen, aber Spartacus überlebt und wird sogar Fechtmeister. Und es bleiben die Gedanken an die Flucht, unauslöschliche Sklavengedanken … Spannend und sehr lebendig erzählt Herbert vom Schicksal dieses Menschen der römischen Antike und zugleich die Geschichte des größten Sklavenaufstandes, den Rom je sah

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Impressum

Herbert Friedrich

Sohn des Apollon

ISBN 978-3-96521-564-1 (E-Book)

Umschlaggestaltung: Ernst Franta

Das Buch erschien 1983 in Der Kinderbuchverlag Berlin.

Für Leser von 12 Jahren an

2021 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

I

„Sulla ist tot.“

Das sagte der neuangekommene Sklave, als er neben Spartacus in die Finsternis des Berges hineinstieg, um den Tuffstein zu brechen. Hinter ihnen ging mit schlurfendem Schritt der Krumme. Sie duckten sich in dem Tunnelgang zwischen feuchtem Fels.

Der neue Sklave kam direkt aus Rom und musste es wissen. Und der nun also tote Sulla hatte schon ein Jahr lang nicht mehr an der Spitze Roms gestanden; es war auch gleich, wer da herrschte: An Spartacus’ Sklavendasein änderte sich nichts. Dennoch horchte Spartacus auf, als der Neue diesen Satz aussprach. Kein anderer als der Feldherr Sulla hatte ihn bei den Kämpfen in Griechenland gefangen genommen und versklavt.

Spartacus war von kräftiger Gestalt, breit in den Schultern, groß und stark gebaut wie auch der andere, der gleich ihm vierundzwanzig Jahre zählte.

Die Lampen gaben nur dürftiges Licht, der Krumme trug eine Fackel. Wasser tropfte auf Spartacus’ Schulter und Kappe. Gern hätte er jetzt das Gesicht des Neuen gesehen. „Wie heißt du?“

„Oinomaos.“

„Grieche?“

„Kelte.“

Der Name war griechisch, doch was besagte das bei Sklaven. Die Besitzer gaben Namen, wie sie wollten. Er war schon froh, dass er den seinen hatte behalten können.

Sie stolperten über Schotter, tasteten sich auf Rutschhölzern entlang, bis sich der Gang zu einer Höhlung erweiterte. „Nun fangt an“, knurrte der Krumme und steckte die Fackel in einen Felsspalt. Ihre Schatten zuckten an der Decke.

Spartacus nahm die Hacke, die an der Wandung lehnte. Sie stand noch so, wie er sie am Vortag hingestellt hatte. Da war noch der kleine Faber bei ihm gewesen. Da hatte sich eine Platte von der Decke gelöst und Faber den Fuß zerschlagen. Gern hätte er gewusst, was nun mit ihm war; doch davon erzählte er dem Neuen nichts, damit jener nicht erschrak. Er schlug denn auch sofort mit der Hacke an die Decke, um loses Gestein herunterzubekommen. Es schien alles fest zu sein.

„Nimm die Keile“, befahl der Krumme dem Mann, der sich Oinomaos genannt hatte. Der schaute sich suchend um.

Spartacus indes hieb die Hacke zwischen Decke und Wand, um die Oberkante eines Blocks herauszulösen, das war eine Arbeit von Tagen. Dazu musste er das Gerät waagerecht halten, was unbequem war und rasch ermüdete. Steinchen spritzten zur Seite; er kniff die Augen zu einem Spalt zusammen; sein Atem ging gleichmäßig. Der Krumme saß dort, wo der Gang in die Höhlung mündete. Sie staken am tiefsten im Berg. An vielen Stellen wurde da gewuchtet und der Berg zermürbt. Viele Steine wurden gebraucht für prachtvolle Gebäude in Rom, für Brücken und Tempel. Und was zu zertrümmert schien, selbst der Abfall der großen Platten, die man endlich herausgesägt hatte, das erfüllte noch seinen Zweck, um Straßen zu schottern. Der Stein war der Lapis Tiburtinus, ein dichter und fester Kalktuff, der hier mächtige Ablagerungen bildete. Spartacus hieb zu, der Berg wehrte sich, die Hacke stockte in der Hand. Diese Arme waren kräftig, schon damals, als sie dem asiatischen König Mithridates im Kampf gegen Rom gedient hatten. Die Gefangennahme durch Sulla hatten sie nicht verhindern können.

Schläfrig blinzelte der Krumme zu ihm herüber. Oinomaos trieb Holzkeile in einen Spalt; den schweren Hammer hatte er über den Kopf gehoben. In dem Augenblick brach die Decke.

Ein feines Knistern huschte über das Gewölbe, und dann stürzte es hernieder, donnerte, Gestein sprang umher. Spartacus auf seinem Block stieß den Arm vor, bekam Oinomaos zu fassen. Noch klemmte die Fackel in dem Spalt. Aber wo der Kelte eben noch gestanden hatte, türmten sich Trümmer. Die beiden Männer pressten sich gegen eine Strebe, wichen zurück, bis sie die Wand im Rücken fühlten. Staub reizte zum Husten. Sie standen mit jagenden Pulsen, bis das Bersten erstarb.

Die züngelnde Flamme der Fackel beleuchtete einen Raum, gegen den die vorherige Höhlung eine wahre Halle gewesen war. Gestein häufte sich bis zur Decke, dort, wo der Gang gemündet hatte. Vom Krummen keine Spur. Der Stiel des Hammers stakte aus den Trümmern. Groß und geduckt stand Oinomaos, mit geöffnetem Mund, und als er sich bewegte, war es, um den Hammer aus dem Gestein zu zerren.

Sie setzten sich auf den Block, lehnten Schulter an Schulter. Oinomaos hielt den Hammerstiel umspannt. Es war eine große Stille. Spartacus schaute auf die Fackel, die ihnen Licht schenkte. Und Luft fraß. Und das Ausmaß der Zerstörung zeigte. Und gut war es, sich das Bild einzuprägen, ehe er darangehen musste, die Fackel zu löschen. Linker Hand, hinter dem Bruch, musste der Gang sein. Dort hatte der Krumme gesessen. Die Decke über dem Steinberg war nun eine Kuppel, die aber nicht bis zum Sonnenlicht reichte.

„Faber ist billiger davongekommen“, sagte Spartacus leise. Dann erzählte er doch vom kleinen Faber. Gestern. An gleicher Stelle.

Da schob sich Oinomaos vor, um zu der Fackel zu kriechen. Der Kelte wusste, was auf sie zukam. „Rühr dich nicht!“, stieß Spartacus hervor und starrte nach der Fackel. Den Kelten hielt er am Fuß. Beide schauten sie nun auf die Flamme, die wie das Leben war. Jede Bewegung vermieden sie, hielten den Atem an. „Sie bewegt sich, zieht nach rechts“, vermutete Spartacus. „Oder?“ Irren wäre tödlich. Nach langer Zeit sagte Oinomaos in seinem schlechten Latein: „Du hast recht. Luft kommt hier herein. Das ist noch lange nicht unser Grab. Wir sind lebendiger als Sulla.“

Schon war Oinomaos auf dem Geröllberg, schob Lockermassen herunter. Dem Manne musste nicht gesagt werden, was zu tun war. Etwas schlug Spartacus gegen das Bein. Es war seine Hacke. Behände schichtete er das von Oinomaos geförderte Gestein an der Wandung.

Später löste Spartacus den Kelten ab, kroch in den Gang, den jener vorgetrieben hatte. Über sich die Einbruchskuppel, jeden Augenblick gewärtig, erschlagen zu werden. Er schob im Liegen loses Gestein an sich vorbei, keuchend, bis er auf einen Brocken stieß, der nicht zu bewegen ging. Rings war nichts als Fels; er schlug sich die Knöchel blutig. Oinomaos zog ihn in die Höhlung zurück.

Sie aßen etwas, das leicht gesalzene Brot, ein paar Oliven, einige Bissen Käse. Zu trinken hatten sie nichts. Dem Oinomaos hing das Haar lang und wirr um die schweißnasse Stirn. Im Fackelschein schimmerte es rötlich wie auch der Schnurrbart. So, die Augen dazu, sah kein Grieche aus. Das einzige Griechische an dem Mann war der Name. „Wie heißt du wirklich?“, fragte Spartacus.

„Hab es vergessen …“ Der Kelte wollte nicht sprechen.

„Ich bin Thraker“, sagte Spartacus, im Gefühl, dem anderen näherkommen zu müssen. Was wusste er denn, was noch auf sie zukam. Lebendig eingeschlossen. Vom Tuff erschlagen, vom Berg erstickt. Und die letzte Kunde, die man von der Welt erhalten hatte, war also die, dass nun endlich auch Sulla verreckt war. „Sulla hat mich gefangen genommen“, sagte er leise zu dem Kelten. Der schaute ihn an.

Was zählte es, dass die Nacht in Thessalien damals heller gewesen war als jetzt die Höhlung; die Luft feucht vom Regen. Damals waren sie immerhin noch zwölf Mann gewesen, das Heer des Mithridates aber geschlagen, das Ersatzheer vom Winter in Macedonien festgehalten; die Verzweiflung nicht geringer als heute. Das sagt sich so dahin: Sulla hat mich damals gefangen genommen. Der Tag dämmert herauf, trotz allen Regens. Und du frierst, völlig durchnässt. Und die dezimierte Schar drängt sich zusammen wie eine Herde Schafe, erwartet Wunder von Spartacus, an einem Hang, von dem das Wasser spült. Mancher hätte gern die Sonne an ihrem Aufgang gehindert. Denn mit ihr tauchen römische Helme aus dem Gebüsch heraus. Damals, das war kaum leichter als das in diesem verdammten Berg …

Spartacus schickte sich an, noch einmal in die Einbruchskuppel hineinzusteigen. Er tastete das Gestein ab. Von irgendwoher musste die Luft kommen. Die kleine Öllampe hielt er gegen die Felsen, beobachtete die Flamme. Die andere Lampe hatten sie gelöscht. Mit einem Eifer, der an Verbissenheit grenzte, suchte Oinomaos den Ausweg an einer zweiten Stelle. „Vielleicht holt uns der Krumme raus“, sagte der Kelte. Wie er aber das Lateinische sprach, klang es, als sage er nicht „curvus“, sondern „corvus“: der Rabe. Vielleicht holt uns der Rabe, der aasfressende Vogel …

Und oben gab es das Sabinergebirge, mit Steineichen bestandene Hänge. Wasserfälle rauschten. Oben Sommersonne. Oder Nebel. Oder auch Nacht. Wind, was wussten sie. Was wussten sie, wie lange sie schon in der Tiefe staken. Oben streckte sich die engstraßige Stadt Tibur, mit dem Sibyllentempel hoch auf der Felswand, den sie von ihrem Lager aus sehen konnten. Vielleicht holte sie der Krumme, vielleicht auch der Rabe. Welche Ereignisse hätte ihnen jetzt eine Sibylle vorausgesagt. Wann bräche der Berg, wann hatte sich die Luft verbraucht, wie lange dauert es, bis ein Mensch verhungert, an Durst vergeht …

Spartacus hielt nichts von den Sibyllen, nichts vom Krummen, von dem er nicht wusste, ob er nicht erschlagen unter den Felstrümmern lag. Wenn sie je einer wieder hier herausholen sollte, dann musste es wohl der Gott des Lichts selber tun: Apollon.

Er lag wieder in der Höhlung. Auch die zweite Lampe hatten sie gelöscht. Nur noch die Fackel brannte.

Als Kind war er in der Stadt gewesen, die sich nach dem Gott nannte: Apollonia. Er erinnerte sich jetzt, hier in der Höhle, während Oinomaos schlief oder in seiner Heimat war. Er hätte dem Kelten von Apollonia erzählen können, wenn es den anderen nicht aus seiner Heimat, seinen Träumen gerissen hätte. Was von damals haftengeblieben war: schmale Häuser, die sich am Meeressaum drängten. Klippen und Seevögel. Stimmengewirr auf dem Markt, geradezu babylonisch in seiner Unverständlichkeit. Später hatte er sich in das Griechische hineingefunden. Griechisch waren die Bauten gewesen: Tempel, Türme, Dachränder, verziert mit Pflanzenornamenten und Medusenhäuptern, die ihm mehr Neugier als Angst eingeflößt hatten; sein Vater hatte gesagt, dass der Blick der Medusa versteinere. Nichts aber ging bei all den Wundern dieser Stadt über die Figur des Gottes Apollon. Auf einer kleinen Insel war sie in einem Tempel aufgestellt worden. Das war fast keine Statue mehr, sondern ein Turm, sieben, acht Mann hoch. Und diesen hatte sein Vater auf einer winzig kleinen Münze darstellen wollen.

Der Schutzgott der Stadt, dieser Bronzekoloss, hielt mit heiterem Blick den Lorbeerbaum in der rechten Hand, in der linken Pfeil und Bogen. Der Lorbeer verlieh dem Weissager Kraft, das Verborgene zu sehen. Mit einem Lorbeerast hatte Apollon den Drachen Python getötet. Sie in der Höhle hatten nicht Lorbeer noch Waffen. Nicht Himmel. Nur das Gefängnis im Fels. Curvus oder corvus, dachte er. Der Krumme oder der Rabe. Und der Krumme lag wohl erschlagen unter den Felstrümmern. Und der Rabe war doch das Tier, durch das der Gott Apollon weissagte, wie auch durch Habicht und Schwan …

„Pythischer Apollon“, sagte Spartacus leise in seiner thrakischen, heimatlichen Sprache, denn längst war dieser gerechte griechische Gott auch zu einem Gott der Thraker geworden, „schaff uns wenigstens ans Licht. Dann werden wir eines Tages auch wieder Pfeil und Bogen haben, um gegen die Drachen vorzugehen …“

„Was flüsterst du?“, wollte Oinomaos wissen.

Spartacus schwieg. Dann sagte er: „Vielleicht holt uns der Krumme.“

Er stemmte sich hoch, so dass sein Schatten riesig auf die Wand fiel. An der Fackel entzündete er wiederum eine der beiden Lampen. Dann kroch er den Trümmerberg hinauf. Die Einsturzkuppel konnte er nicht ausleuchten. Es schien ihm, als hätte die kolossale Götterfigur aus Apollonia darin Platz gefunden. Er kletterte los. Unter sich erkannte er an dem Fackelschein, wo die Höhlung war. Dort hörte er den Kelten im Gestein wuchten.

Seine Hände waren vom Fels aufgerissen, sein Herz schlug rasch vom Steigen. Mit den Knien, mit den Zehen suchte er sich hochzustemmen, wobei seine Sorgfalt nur der Lampe galt. Der Tuff bildete Blasenräume, dort konnte er die Finger hineinkrallen. Steinchen rollten unter seiner Bewegung in die Tiefe, prallten mit hellem Laut auf. Der Kelte unten sang in einer fremden Sprache.

Auf einem Sims saß er, sein Atem beruhigte sich. Er versuchte sich den Berg vorzustellen und das Geäder der Gänge, was ihm schlecht gelang. Lange saß er so.

Dann war es ihm, als schwände die Höhlung unter ihm, als flöge er immer höher über ihr durch die Luft. Nur noch einen schwachen Schimmer konnte er gewahren. „He, Oinomaos!“ rief er. Wie aus der Unterwelt hörte er Antwort. Und als er sich zusammenreimte, was Oinomaos mit rauer Stimme erwiderte, da wusste er, dass die Fackel erlosch. So lange also steckten sie schon im Berg!

„Komm herauf, Oinomaos!“, rief er. „Hier oben ist die Luft besser.“ Und wieder rollten Steine. Am Keuchen merkte er, wie Oinomaos sich ihm näherte. Er legte sich flach auf den Sims und streckte einen Arm nach unten. Auf einmal hielt er Oinomaos’ Hand. Er zerrte den Gefährten zu sich herauf. Der Kelte murmelte etwas, ließ sich auf das Felsband fallen. Die nutzlose Fackel hatte er gar nicht erst mitgebracht. Nun hatten sie noch die beiden Lämpchen. „Bist du in Ordnung?“, fragte Spartacus. „Alles heil?“

Der Kelte lachte rau. „So viel Platz in seinem Grab hat nicht mal Sulla.“ Er war sehr niedergeschlagen. Den ersten Tag war er in den Berg gegangen, da wurde er eingeschlossen für alle Ewigkeit.

„Wir müssen noch höher“, sagte Spartacus. „Aber ruh dich erst aus.“

Er löschte die beiden Lampen, ehe sich das Öl ganz verbrauchte. Die Finsternis stürzte sich über sie mit elementarer Gewalt.

Sie lagen im Dunkel. Sie hörten den Atem des anderen. Ihre Füße hingen fast schon über der Tiefe. Nicht weit von hier, oben, in der Stadt Rom, wurde der Leichnam Sullas verbrannt, des hochmütigen, kalten, unempfindlichen Schlemmers. Noch einmal hatte er das Volk auf das Marsfeld gelockt, zu einer prunkvollen Bestattung, wie sie Rom noch nie gesehen hatte. Zweitausend goldene Kränze wurden da geschleppt. Noch im Tod war Sulla schrecklich.

Zu dem Zeitpunkt freilich, da Spartacus dem Sulla in die Hände gefallen war, hatte Rom diesen Mann gehasst. Des Oberbefehls hatte es ihn enthoben. Und geächtet. Kein Hund hätte von dessen Hand gefressen, wäre er durch Rom gewandelt. Aber Sulla war nicht in Rom gewesen, sondern in Griechenland und Asia. Der Feldherr hatte sich beeilt, den Krieg mit Mithridates zu beenden, und diesem König viel Macht gelassen, damit er, Sulla, sich selber nun endlich auf Rom, auf seine erbitterten Feinde, die Marianer, werfen könne. Mit 40 000 Mann landete er schließlich in Italia. Kaum dass er angekommen war, führten junge Männer ihm Heere zu. Pompeius war der eine, Crassus der andere. Sie erhofften sich viel von ihm, vor allem Einfluss, Ruhm und Geld.

Grausam hatte dieser Sulla mit seinen Gegnern in Rom abgerechnet. Nur wenigen gelang die Flucht. Strafexpeditionen sandte er nach Samnium und Etrurien. Listen stellte er auf über die Personen, die ihm verdächtig erschienen. Erklärte sie für vogelfrei. Belohnte, wer die Geächteten tötete. Zog die Vermögen ein. Ließ ihre Köpfe auf dem Forum ausstellen und ihre Sklaven frei. Nicht weniger als neunzig Senatoren und zweitausendsechshundert Ritter verloren durch Sulla ihr Leben. Ganze italische Städte bestrafte er, schleifte ihre Festungswerke, nahm ihnen die Ländereien.

Anders bedachte er jene, die ihm, dem einst Geächteten, auf eigene Rechnung Heere zugeführt hatten. Ihm die Schlachten geschlagen, ihn aufs Pferd gehoben hatten: Pompeius, Crassus.

Pompeius, dessen Vater „der Schielende“ hieß und der selber durch Sulla den Titel „der Große“ gewann, der sich die „aufgehende Sonne“ nannte und der seine Frau verstieß, nur um die Stieftochter des Diktators heiraten zu können.

Crassus der Reiche, der die Landgüter und Häuser Verfolgter, Vogelfreier für ein Spottgeld kassierte und solche Leute auf die Liste der Verdächtigen setzten ließ, die sich nie gegen Sulla gewandt hatten!

„Weißt du, dass dieser verdammte Bruch hier dem Crassus gehört?“, fragte Spartacus aus seinen Gedanken heraus. Oinomaos antwortete nicht. Da tastete Spartacus nach dem Tuch, das er am Gürtel trug, wickelte den Rest Brot aus. Er brach es durch, öffnete Oinomaos’ Hand und schob ein Stück hinein. Langsam aßen sie. Es fanden sich noch ein paar Krumen Käse. Der feuerte im Mund, sie konnten den Geschmack nicht wegspülen. Das Schlimmste außer der Finsternis war der Durst. Dann nickten sie ein, schliefen wohl lange, Zeit dehnte sich ewig.

Sie schraken wieder hoch, lauschten in der Stille.

„Was ich wissen möcht“, sagte Spartacus, als er sich ihre Situation vergegenwärtigte, „bei der Riesenkuppel, in der wir stecken, wo ist denn das ganze Gestein, das sie gefüllt hat? So viel ist doch gar nicht zu uns hinuntergestürzt; wir hätten uns nie durcharbeiten können …“

„Du meinst …“, keuchte Oinomaos in plötzlicher Erregung.

„Genau.“ Sie befanden sich in einem Hohlraum, dessen Gesteinsmassen schon früher von Sklaven abgebaut worden waren.

„Mach Licht“, bat Oinomaos. Spartacus war schon dabei. Er schlug Feuer, der Funken glimmte in der Lunte, wuchs zum Flämmchen. Die erste Lampe brannte. Oinomaos riss sie an sich und hob sie in die Höhe, immer an der Felswand entlang. Die Flamme bog sich im Luftzug. Mäßig war ihr Licht, und die Schatten veränderten sich. Oinomaos tastete sich auf dem Felsband mit der Lampe so weit, bis Absturzgefahr ihn am Weitergehen hinderte, während Spartacus unentwegt das Gewölbe musterte. Eine Stelle blieb immer unausgeleuchtet. Dahin drang das Licht nicht vor, sei es, dass Felszacken Schatten darauf warfen oder das Gestein dort so weit zurückwich. Diese Stelle erregte seine Aufmerksamkeit. „Siehst du da, Oinomaos, linker Hand, oben, wo der Riss endet …?“ Der Kelte versuchte, mehr Licht auf diesen mysteriösen Fleck zu richten. Dann stellte er die Lampe ab und begann zu klettern. Ein Stein schlug herunter; Spartacus griff rasch die Lampe, während sich Oinomaos in dem ungewissen Licht kaum vom Fels abhob. Mit höchster Anspannung wartete er, und da dämmerte plötzlich in ihm der Gedanke herauf, der nicht mehr zu unterdrücken war: Wenn nicht nur die Rettung ihres Lebens nahe war, sondern sogar – die Freiheit? Wenn der Berg geborsten wäre bis zur freien Luft und sie hinauskriechen könnten. Laufen. Rennen, das Gebirge durchsteigen, ohne Aufseher, ohne Hunde im Gefolge, ohne Knute und Ketten … Er stand, in der einen Hand die Lampe, die andere an den kühlen Fels gelegt, gegen den er die Stirn presste. Das Blut hämmerte in den Schläfen.

Da kam Oinomaos’ Stimme von oben, freudig erregt: „Ich glaube, hier mündet ein Gang.“

Schon stieß sich Spartacus vom Felsen ab, beide Lampen nahm er in eine Hand und versuchte zu klettern. Die Flamme der brennenden sengte ihm die Finger. Er ließ dennoch nicht los, drückte die Lampen in einen Riss. Nun hatte er die Hände frei, mit denen er sich hocharbeitete. Dann angelte er sich die Lampen heran. Endlich spürte er Oinomaos’ helfende Hand.

Was der Kelte als Gang bezeichnet hatte, endete nach wenigen Schritten im Fels. Es war, als hätte man ihnen die Lampen zerschlagen. Das Flämmchen Hoffnung erlosch. Sie ließen sich auf den Boden fallen, stumm. Der Gott des Lichts, Apollon, war ausgesperrt aus diesem Berg. Die Sibyllen wahrsagten Unheil, die Raben krächzten, der Krumme konnte nicht helfen. Die thrakischen Götter mischten sich nicht ein, Darzalas nicht und nicht Salmoxis. Der Kraft eines Herakles hätte es bedurft, diese Felsen zu sprengen.

Die beiden Sklaven hatten nur sich selbst, zwei Lampen mit sehr wenig Öl, das wenige, was sie trugen, zerfetzt vom Fels, Hunger im Leib, die Lippen vom Durst geschwollen. Wenn der Krumme noch lebte und schlau wäre, würde er ihren Weg nachsteigen, aus der Höhlung heraus, zu der er sich vielleicht mit Sklaven durchgearbeitet hätte, würde ihnen folgen bis zu dieser Nische. Oder auch nicht.

Spartacus sagte, und es bereitete ihm Mühe, zu sprechen: „Das hier haben doch Sklaven vorgetrieben. Das ist doch Menschenwerk. Von irgendwoher müssen sie doch gekommen sein …“ Je weiter er aber sprach, desto mehr stockte er. Er wollte nicht neue Hoffnung wecken, die dann wieder zerränne. „Mir scheint, wir sitzen am Ende des Gangs. Wir müssen zum Anfang. Gerade zur anderen Seite.“

Oinomaos regte sich nicht, da schob sich Spartacus auf die Knie, rutschte die wenigen Schritt bis dorthin, wo sie heraufgestiegen waren. Er wünschte, er hätte besseres Licht gehabt. Wenn es hier einen Gang gab, dann musste er jenseits dieses Loches liegen, das bis zu ihrer Höhlung hinunterstürzte.

Er begann, an der Wand entlangzuhangeln, um das Loch herum. Er war wie ein Wurm in diesem Berg, und er trug doch den Namen einer macedonischen Stadt und einer thrakischen. Und das Volk der Sparten war aus den Zähnen des Drachen gewachsen, den der Phönikier Kadmos getötet hatte. Und Sparadok war der Sohn eines thrakischen Königs und der Vater eines thrakischen Königs, wenngleich selbst nie König gewesen. Und von alldem war etwas in Spartacus an der Felswand. Und er hätte gern seine hundert Thraker gehabt, die er für den asiatischen König Mithridates kommandiert hatte. Und er hatte nur Oinomaos dahinten in der finsteren Nische. Da stieg er ohne Lampe, und auf einmal hatte er Boden unter den Füßen, nicht mehr den Absturz. Luft strich über ihn hinweg. Er tastete die Höhlung ab; mit Leichtigkeit konnte er das Gewölbe erlangen. Von einer seltsamen Ruhe war er nun. Auf die Knie ließ er sich nieder und arbeitete sich vorwärts. Es war, als teile sich vor ihm der Fels. Da hielt er inne. Zurück ging er aufrecht. Dann rief er den Gefährten jenseits des Lochs.

II

Es war wirklich der Gang. Und der strebte ins Freie. Sie krochen auf dem leichten Gefälle. Der Gang war trocken. Und niedrig. Aber er genügte ihnen. Er schien lange nicht benützt worden zu sein; vielleicht hatte man ihn nur zur Entlüftung durchgeschlagen. Dann zeichnete sich etwas vor ihnen ab wie eine Scheibe, münzengroß. Von dort kam das Licht. Es war nicht die Sonne; es war die Mündung des Gangs. Es war wie die Münze, in die Spartacus’ Vater die Figur des Gottes Apollon gegraben hatte. Der Gott des Lichtes drang in den Berg vor. Die Dämmerung erhellte sich, die Luft nahm berauschend an Frische zu. Die beiden Sklaven krochen immer schneller, die Öffnung wuchs, schon blendete sie die Helle. Nebeneinander lagen sie jetzt im Gang und schoben sich vor wie Lurche. Und plötzlich – sie hatten noch eine Körperlänge zu kriechen, dann wären sie aus dem Berg gerollt – plötzlich sahen sie sich an und stockten. Sie setzten sich, das erlaubte die Höhe gerade, lehnten sich an den Fels. Sie blinzelten in das lang entwöhnte Licht.

Oinomaos’ wirres Haar hatte nicht nur der Fackelschein gerötet; auch sein starker Schnurrbart war rot; um sein Kinn standen Stoppeln, und seine Augen leuchteten blau, als läge in ihnen der Himmel.

Das schmale Gesicht des Spartacus war wie ausgedörrt von einer Hitze, die selbst den Vollbart gekräuselt zu haben schien. Er fuhr sich durch das Haar, das lang war wie bei einer Götterstatue. Auch der kleine Bart auf der Oberlippe juckte ihn von all dem Dreck und Schweiß. Seine Augen lagen dunkel unter starken Brauen.

Plötzlich lachten sie los, als sie sich so anschauten, leise. „Jetzt weiß ich, mit wem ich es zu tun hab“, sagte Oinomaos. Sie zwinkerten in das Licht. „Nacht müsste es sein.“

Tief atmete Spartacus, als er Oinomaos dies sagen hörte. Er spürte, dass der andere jenen Gedanken nährte, den er selber nicht an sich heranlassen wollte. Vorsichtig schob er sich vor und blickte in den Tag hinaus.

Steil fiel der besonnte Berghang hinab, Geröll gab es, einige größere Blöcke, um die Büsche wuchsen. Eine Baumgruppe drüben; wenig Eichen hatten sich hier gehalten. Es roch nach Erde und nach Pferden. Wenig gewahrte Spartacus von dem, was sich in der Tiefe abspielte. Die Arbeit war in vollem Gange. Steine wurden behauen, auf Rutschhölzern aus dem Berg gewuchtet. Zwischen all den Blöcken unten bewegten sich Sklaven. Dort ging es hindurch, wenn man in den Berg wollte; Morgen für Morgen. Jetzt hörte Spartacus das Schlagen der Hacken, die Rufe der Aufseher. Über allem aber lag ein unablässiges Rauschen von dem vielen Wasser, das hinter dem Felsen in die Tiefe stürzte.

„Sie glauben uns tot“, sagte Spartacus, als er zu dem Gefährten zurückgekrochen war. Er hatte fast keinen Speichel.

„Ja. Die haben uns abgeschrieben.“

„Wir müssen aber was essen.“

„Ein Fass könnt ich leer saufen.“

„Wie wir aussehen … Jeder Hund wittert drei Meilen gegen den Wind, dass wir Sklaven sind.“

„Versuchen wir es trotzdem?“

Es! Die Flucht! Spartacus schwieg. Leicht las er in Oinomaos’ Augen, was er selber dachte. Sollten sie zurückgehen, nachdem sie entkommen waren? Sich selber wieder Ketten anlegen? Die einmalige Gelegenheit verspielen?

Der Thraker lag, den Arm unterm Kopf; er schloss die Augen. Übermächtig drang der Gedanke an Freiheit auf ihn ein. Er kämpfte mit ihm. Er war ein gebranntes Kind. Er hatte schon zweimal zu entkommen versucht …

Von draußen kam Luft und das Licht und das große Rauschen, was den Durst noch anzufachen schien. Da hörte Spartacus die Stimme des anderen: „Licates heiß ich. Aber ich hab mir geschworen, mich erst so zu nennen, wenn ich frei bin. Für einen Sklaven taugt nur ein Sklavenname.“

Stumm lag Spartacus. Licates also. Der lang zurückgehaltene Name. Die Hoffnung des anderen beeindruckte ihn. Der Kelte war schon halb unterwegs … Er wollte es selber glauben, dass es einmal gelingen müsse. Und wer die Gunst der Stunde nicht nutzte, der war verloren.

Allmählich ließ er sich von dem Kelten anstecken, lachte leise. „Ich werde dich Licates nennen.“

„Nicht vor Mutina.“

„Was ist das?“

„Eine Stadt in der Nähe der Alpen. Wenn wir die haben, ist alles gewonnen.“

„Mutina“, wiederholte Spartacus, als spräche er einen Zauber nach. „Wo haben sie dich gekriegt?“

„Im Gebirge, an einer Passstraße; ich wollte einen Wagenzug über die Alpen bringen. Da sind sie gekommen, römische Lederhauben, wollten mir die Pferde ausspannen.“

Der Thraker vernahm die sparsamen Worte des anderen und dachte sich das Seine dazu. Was hatte nicht ein Sklave dem anderen zu berichten. Was ähnelte sich nicht alles. Was war nicht Sklavenalltag, fiel der Vergessenheit anheim, war nur gedacht, die Zeit zu füllen. Jeder Sklave wusste von jedem, wie er in Sklaverei geraten war. Wem er gedient hatte. Warum er gezüchtigt worden war. Ein Sklave, das war nichts als Auswurf. Aber davon lebte Rom, darauf stützte sich Rom … Spartacus sagte: „Wir werden Mutina sehen.“ Und er hatte ein Recht auf Freiheit! Er war dem Kelten verbunden auf Gedeih und Verderb.

Wollten sie fliehen, dann mussten sie warten, bis die Götter die Sonne vom Himmel holten. Die Nacht war ihr Los, Dulden und Harren. Die Nacht bot den Sklaven Schutz, war wie ihre gütige Schwester. Und so gesehen, war die Finsternis des Berges nicht schlecht gewesen. Da werkten sie im Lande, hackten sich über Felder, schlugen Straßen über Gebirge, buken Brot, drehten Mahlsteine, Gabelhölzer um den Hals oder eiserne Reifen, Ketten an den Füßen, von Asche gepudert, unkenntlich vor Schmutz; auf die Straße geworfen, wenn sie alt waren; hoffnungslos Erkrankte auf Inseln ausgesetzt; in die Stirn eingebrannt, wenn sie hatten fliehen wollen.

Mit geschlossenen Augen lag Spartacus. Er wusste nur zu gut, was mit der Flucht auf sie zukam. Ein ganzes Land wartete darauf, sie zu hetzen. Sklavenjäger lauerten allüberall. Aber sieben Jahre war er jetzt in ihren Fängen …

Schon in Thessalien hatte er zu entkommen versucht, mit frischer Kraft, ungebrochen, nahe der Heimat. Die Leute des Sulla hatten den kaum Eingefangenen von den anderen Thrakern getrennt, seine Muskeln gesehen und wie er den Speer zu schleudern verstand. Einen kräftigen, waffengeübten Mann hatten sie gesucht, der sie durch die Berge Macedoniens nach Thrakien hineinführen könne. Die kürzesten Wege, die verschlagensten Winkel. Das Ersatzheer des Mithridates hatten sie treffen wollen!

In der Nacht aber war er aus der schäbigen Hütte gekrochen, hatte einen Wächter niedergeschlagen und war über Stock und Stein gelaufen, bis er keinen Atem mehr hatte. Am Tage hatte er sich in Gräben versteckt gehalten, im stachligen Dickicht. Hunger auf Bergpfaden, Durst an Wildbächen gestillt. Und dann übermüdet eingeschlafen an einem Wiesenhang, rings nichts als Disteln. – Geweckt hatten ihn die Römer.

Dann einige Jahre im Tross des römischen Heeres. Mit Halseisen im Zuge des Sulla nach der Küste von Epirus. Im Laderaum eines Schiffes gekettet nach Brundisium. In Rom ausgestellt, nachdem Sulla gesiegt hatte. Dem Crassus geschenkt worden wie ein Hund. Sieben Jahre Sklave ….

Sieben Hügel hatte Rom, alle überzogen vom Häusergewirr. Auf dem Palatin der Palast des Crassus. Wie oft war es rot aufgeflammt in den Straßen, so wie jetzt die Sonne, die da hinter dem Berg am Untergehen war. Feuer in den Gassen! Die engstehenden Häuser, die schon beim Vorüberrollen eines Wagens zitterten, waren bedroht. Wenn die Flammen zum Himmel schlugen, dann war die große Zeit des Crassus gekommen. Er eilte herbei, noch ehe ein anderer einen Eimer Wasser in die Hand nehmen konnte, verhandelte mit den kopflosen, verstörten Besitzern, die an nichts anderes dachten als an Flucht, kaufte den ganzen Ramsch auf; und wenn er den hatte, winkte er seiner Sklavengarde. Alles ausgesuchte Leute, die wussten, wo sie anzusetzen hatten. Spartacus war dem Crassus sehr lieb als Feuerlöschmann. Unerschrocken und umsichtig ging der Sklave vor, beorderte die anderen an die richtige Stelle. Schon flogen die Eimer, stürzten brennende Sparren auf die Straße, von Haken heruntergerissen. Manches brannte nieder. Das Gerettete aber gehörte Crassus, der es wieder vermietete. Mit hohem Zins.

Spartacus sah, wie sich draußen der Himmel verfärbte. Still lag der Berg endlich, ohne Karren und Sklaven. Nur die Wasserfälle rauschten. Mit der Hand strich er über die Brandnarbe am linken Unterarm. Sieben Jahre waren lang.

Sieben Planeten beherrschten den Himmel. Saturn, Jupiter, Mars, Venus, Mercurius. Dazu Sonne und Mond. Blutrot ging die Sonne unter. Wieviel Brände hatte er dem Crassus gelöscht? Später war er von Rom zur Straße gekommen. Sie führte ins Gebirge, im vielfach gewundenen Tal eines Flusses, Carsioli zu. Es war die Via Tiburtina, vor mehr als zweihundert Jahren gebaut. Der kleine Faber, ein Ligurer, hatte gemeint, dass seitdem nichts mehr an der Straße gemacht worden sei. In den Bürgerkriegen hatte sie gelitten. Der Fluss hatte sie ausgeschwemmt, unterspült, überschottert. Es war eine wichtige Straße, die sich in den Apennin hineinschlug. Faber hatte gesagt: „Der Apennin ist wie das Rückgrat der Halbinsel, wie die Hauptgräte des Fischs, der uns gefressen hat.“ Spartacus war hoffnungsvoller gewesen. Die Straße war besser als die Stadt Rom.

Spartacus und der kleine Faber trugen Kies, den andere aus dem Fluss gewannen. Sie hatte eine Trage zwischen sich wie eine Sänfte. Als schleppten sie den reichen Crassus. Wenn Spartacus das Wort Crassus in seine Sprache übertrug, dann hieß es: der Dicke. Vorn ging Spartacus, hinten Faber. Oder umgekehrt, wie es sich ergab. Sie stiegen vom Fluss herauf, die Holme in der Hand, und kippten die Last dort ab, wo das Straßenbett zerstört war. Manchmal brachen die Holme. Aufseher schrien.

Nachts lagen sie im Zelt, sahen durch die Öffnung die Schirmkronen der Pinien, gewahrten Sternbilder, die Sieben Dreschochsen. Und dann die Mücken. Die Mücken kamen hereingeflogen mit hohem Sirren und rochen die Sklaven. Sie stachen ins Fleisch, wo es sich ihnen bot. Spartacus raffte die Decke über den Kopf.

Wenn die Mücken ausblieben, vor dem Einschlafen, redete der kleine Faber von der Flucht …!

Die Flucht konnten sie lange nicht bewerkstelligen. Auch wenn sie sich vom Trupp hätten lösen können: Die Straße führte immer tiefer ins Gebirge. Sie wurde schmaler, presste sich an Hänge, fädelte sich über Schluchten. Kein Ausweichen gab es für Entflohene, wenn Häscher nahten. Jeder Knabe, der vor einem Dorfhaus saß, konnte sie verraten. Die Berge wurden waldlos, wären kein Versteck. Der Boden verkarstete, wäre ohne Wasser. Zwischen nackten, wild gezackten Felsen könnten sie sich bergen; der Hunger triebe sie zu den Häusern. Schneeflächen kämen, kein Schaf mehr auf den Weiden. Für die Flucht war die Straße, an der sie arbeiteten, der ungeeigneteste Platz der Welt.

Und dann erlagen sie doch den Verlockungen der Straße. Eines Nachts marschierten sie los. Es kam alles so, wie sie es vorausgesagt hatten: die waldlosen Strecken, das Felsengewirr, der Schnee, der sie ins Tal trieb, und der Knabe vor der Hütte, der sie verriet.

Crassus war gnädig. Er ließ ihnen keine Zeichen auf die Stirn brennen, wie es allgemein bei Wiedereingefangenen gehandhabt wurde. Crassus schickte sie in den Steinbruch. Das bedeutete für Faber nun ein zerschmetterter Fuß. Das besagte für Spartacus das Lebendig-begraben-Werden, aus dem ihn nur Apollon herausgeführt hatte. Was würde einem neuerlichen Fluchtversuch folgen? Kreuz oder Brand. Oder der goldene Vogel Freiheit …

Sieben Tage dauerten die Wettkämpfe zu Ehren des Gottes Apollon, im Monat Quintilis, den sie jetzt wieder hatten. Heilig war dem Apollon die Zahl Sieben; am siebten Tag vor dem Neumond wurde ihm geopfert. Und hatte nicht Apollon sieben Jahre Knechtsdienste bei dem thessalischen König Admetos getan?

Spartacus lag im Abenddämmer neben Oinomaos im Mundloch des Stollens. Von der Straße erzählte er dem Gefährten nichts. Er wusste, was mit der Flucht auf ihn zukam, aber er war voller Hoffnung.

Es war finster; Abendkühle wehte herein. Sie saßen nebeneinander und schauten hinaus, wie da der Tag verging. Sonne und Mond waren gekommen und gegangen, als sie im Berg verschüttet gelegen hatten. Nur an ihrem unbändigen Hunger, an ihrer Schwäche spürten sie, dass es sehr lange gewesen sein musste. Es waren aber volle sechsunddreißig Stunden seit ihrem Einsturz verstrichen.

Spartacus sagte ein Letztes: „Du bist nur ein elender Sklave, Oinomaos. Aber wenn du einen guten Herrn hast, kann es sein, dass er dich nach sieben Jahren freilässt. Wenn du sparsam lebst, kriegst du in sieben Jahren vielleicht auch so viel zusammen, dass du dich freikaufen kannst. Mehr als achthundert Sesterzen wirst du kaum gekostet haben. Das ist soviel wie ein guter Esel. Ich habe von Ärzten gehört, die ihren Herren das Leben retteten und darauf die Freiheit erhielten. Ich habe von Sklavinnen gehört, die freikamen, wenn sie drei Kinder geboren hatten. Als vor neun Jahren die von Sulla vertriebenen Römer Marius und Cinna gegen Rom zogen, versprachen sie allen städtischen Sklaven die Freiheit, die zu ihnen überliefen. In Scharen rannten sie los. Als vor vier Jahren Sulla Rom zurückeroberte, ließ er alle Sklaven seiner Gegner frei.

Du musst nicht fliehen, Oinomaos. Geh in ihr Heer. Biete ihnen Dienste als Wegführer durch die Alpen, damit sie dein heimatliches Land besser finden. Zeig ihnen die Schlupfwinkel. Oder wenn du absolut bei dem Trupp im Steinbruch bleiben willst, weil du dich so schön daran gewöhnt hast: Dann nenn ihnen den Namen eines Mitsklaven, der von Flucht spricht. Mach dich bei ihnen beliebt. Sie werden dich freilassen und dir eine Knute in die Faust drücken, und du bist Aufseher. Zähme deinen Zorn, Oinomaos. Vielleicht sind sie auch gütiger. Hat uns nicht der Gott des Lichts und der Gerechtigkeit, Apollon selber, aus dem Berg gelassen, hat nicht also die Stimme Gottes gesprochen? Kann sich Crassus dem verschließen? Wird er nicht vielmehr zwei Sklaven, die dergestalt von Apollon auserwählt worden sind, jenem Gott weihen, also freilassen? Es gibt viele Wege in die Freiheit, Oinomaos. Die Flucht ist der gefährlichste.“

Oinomaos antwortete: „Du weißt, dass du irrst, Spartacus. Und ich weiß nicht, womit ich verdient habe, dass du so zu mir redest. Dient der freigelassene Arzt nicht nach wie vor seinem Herrn. Bleibt nicht die freigelassene Sklavin bei ihren drei Kindern. Trägt nicht jeder Sklave, dem es gelungen ist, sich freizukaufen, Vornamen und Geschlechternamen seines Herrn und auf ewig als Beinamen seinen Sklavennamen? Ist er nicht seinem ehemaligen Patron zu Diensten verpflichtet? Soll ich ihr Knecht werden in ihrem Heer, um ihnen Sklaven zu jagen? Soll ich meine Heimat preisgeben, wenn ich ihre Heere durch den Alpenschnee führe? Haben nicht Cinna und Marius die von ihnen freigelassenen Sklaven später massenhaft umbringen lassen, weil sie eine Gefahr in ihnen sahen? Traust du mir zu, dass ich dich ans Kreuz liefere?“ Er presste dies alles aus sich heraus, in rauem Lateinisch, vermischt mit keltischen Worten. Sein erregtes Gesicht war schon verschwommen im Dämmer.

„Du und ich, wir sind Brüder“, sagte Spartacus. Einen Augenblick legte er dem anderen die Hand auf die Schulter. Dann begann er die Sandalen fester zu schnüren. Sie waren denkbar schlecht ausgerüstet für die Flucht. Sie trugen ihren ledernen Lendenschurz, ein ärmelloses, zerfetztes Hemd, das um die Hüften gegürtet war. Das Tuch hatten sie noch, das einmal darin befindliche Brot war längst aufgegessen. Zwei leergebrannte Lampen. Keine Waffe. Geschwächt von den anderthalb Tagen ohne Nahrung im Berg. Suchte der Krumme nach ihnen oder der Rabe? Galten sie als tot? Wer schaute in die Zukunft voraus?

Es war eine kühle, sternklare Nacht im Monat Quintilis, im Jahre der Konsuln Lepidus und Catalus, als sie oberhalb der Stadt Tibur aus dem Berg krochen.

III

Es kam nicht der Rabe. Es kam der Krumme.

Sie hasteten auf dem Berghang in die Tiefe, zwischen Gefels. Etwas Mond schien, und die Sterne leuchteten. Und unentwegt rauschte das Wasser. Das Gebirge lag im Dunkeln. Hunde bellten. Sachter Wind strich über die Lehne. Sie dachten nicht an das ferne Mutina, das nur nach Monden und aber Monden zu erreichen wäre. Sie gedachten, das Lager zu umgehen und den Fluss zu überwinden. Sie gerieten ins Rennen, das dann zum Stolpern wurde. Der Berg hatte seine Tücken. Felsplatten stürzten jählings in die Tiefe. Löcher öffneten sich. Ihnen blieb nur die eine Richtung. Das Wasser rauschte in ihren Ohren und verwehrte ihnen mit seiner Wildheit jeglichen anderen Weg. In Schluchten stürzte es hinab. Und doch witterten sie nach dem Wasser wie Wild. Über den Fällen zerstäubte es, netzte den Wald. Die Zungen in ihren Mündern waren gefühllose Klumpen. Sie pressten die Lippen an kühles Gestein. Der Durst war bei weitem schlimmer als der Hunger.

Spartacus kannte eine Quelle, die sie stets passiert hatten, wenn sie vom Lager zum Berg getrieben worden waren. Dort hatten die Sklaven manchmal getrunken. Nicht Mutina war ihr Ziel, sondern die Quelle. Dann die Brücke über den Fluss. Dann die Straße nach Rom, die sie beizeiten zu verlassen hätten, um sich zum Tiber durchzuschlagen. Irgendwo versteckt den Tag verbringen. Irgendwo sich sättigen an dem, was Felder und Gärten boten. Irgendwo Kleidung ergattern. Geld, ein Pferd – unerfüllbare Träume. Später vielleicht am Tage wandern, denn wer sich in der Nacht regt, ist schon von vornherein verdächtig. Vielleicht einmal in einer Schenke sitzen. Vielleicht einen Karren auftreiben. Oder bei Rom in einem Lastschiff versteckt halten, das dich zum Meere schwimmt. Oder … Oder … Das Ziel, Mutina zu erreichen, und Italia zu verlassen, war so fern, dass man je nach Zufällen und Umständen von Augenblick zu Augenblick entscheiden musste, wie es weiterhin verfolgt werden könne. Das erste Ziel war die Quelle.

Sie gelangten an den Fuß des Berges, querten den Weg, auf dem tags die Karren die Tuffblöcke davonrollten. Steinplatten waren hier abgestellt, mit Stämmen verkeilt. Sie huschten hindurch im Mondlicht wie durch eine tote Stadt. Oinomaos folgte Spartacus, ohne zu fragen. Für den Kelten war alles neu hier. Als sie den Platz passiert hatten, wies Spartacus auf eine Baumgruppe. „Dort kannst du trinken.“

Die Blätter der Kastanien rauschten im Winde, es roch nach dem Laub; unter den Bäumen war es dunkler als auf dem Hang. Spartacus wand sich durch das Gebüsch. Der andere folgte ihm auf dem Fuße.

Die Quelle rann aus der Wandung des Hohlwegs. Dort schimmerten die mit Wasser gefüllten Radspuren. Die letzten Schritte rannten sie, warfen sich an den Hang. Die hohle Hand hielten sie unter den Strahl und tranken. Und als so endlich das Wasser ihre Kehlen hinabrann, da sprach eine Stimme: „Nun packt sie.“

In unbeschreiblichem Erschrecken fuhren die beiden Sklaven herum. Doch ehe sie einen Schritt tun konnten, wurden sie gegen den erdigen Hang gepresst. Stricke zerrten ihre Hände auf den Rücken. Jede Gegenwehr war sinnlos; das Wasser rann über Spartacus’ Füße. Einer keuchte ihm seinen Atem ins Gesicht. Mitten auf den Weg wurden sie gerissen, unter den Bäumen, dann waren Lampen da, fünf, sechs Männer um die beiden Sklaven, alle mit Waffen. Und da hob einer das Licht vor ihre Gesichter, das nun vor Spartacus’ gekräuseltem Bart zuckte. Oinomaos stand mit verbissenen Lippen, Trotz in den Augen. „Ihr …“, sagte da wieder die raue Stimme von vorhin voller Staunen. „Bei allen Göttern im Himmel, wen hat es da an die Quelle getrieben!“ Und der das sprach, war kein anderer als der Krumme. Der Krumme lebte! Der Rabe war ausgeblieben …

Mit einem Schlag war Mutina erloschen. Der Krumme lachte, sein warziges Gesicht hob sich heraus, als er die Sklaven beleuchtete. „Wahrhaftig“, flüsterte er und wusste sich nicht zu lassen. „Bindet sie los!“, befahl er. „Nun trinkt, trinkt.“ Er kicherte, während sich Spartacus die Handgelenke rieb. Noch einmal bückte sich der Sklave zur Quelle, schöpfte sich das klare, kalte Wasser ins Gesicht, benetzte den Nacken, schon mehr, um Zeit zu gewinnen. Dann räumte er Oinomaos den Platz und stand auf dem Weg inmitten der Bewaffneten. Er wusste, dass jede Flucht jetzt völlig sinnlos war.

„Sagt bloß, wie seid ihr herausgekommen?“, wollte der Aufseher wissen, als er sie zum Lager führte. Vor seinen Augen waren sie doch begraben worden!

Die Sklaven gingen schweigend. Kurz war der Traum von der Flucht gewesen. Da waren schon die Palisaden, Wachtfeuer davor und Posten. „Habt ihr den Ausreißer?“, wurde gefragt. „Nein!“, gab der Krumme zur Antwort und lachte. „Da willst du einen Hasen jagen und fängst zwei Bären.“ Es war ein sauglücklicher Tag für ihn. Sie waren schon durch das Tor hindurch, ehe der Posten seine Neugier stillen konnte. In Reih und Glied standen die wenigen kleinen Hütten, in denen die Sklaven schliefen. Aus einer davon war Spartacus zu diesem Berg aufgebrochen, aus einer anderen Oinomaos. Und wo lag Faber? Der Krumme führte sie nicht zu den Hütten, als hüte er sich, seinen unvermuteten Schatz unter die anderen Sklaven zu mischen. „Euch heb ich auf“, sagte er, „und morgen sehen wir weiter.“ Inmitten des Lagers war eine Hütte in die Erde hineingebaut. Erdreich wölbte sich über ihr wie ein Hügel. Stufen führten hinunter. Das war das Gefängnis für missliebige Sklaven. Die beiden Eingefangenen stolperten in die Tiefe, ehe sie sich’s versahen. Wieder eine Tür, dahinter ein Raum, dürftig beleuchtet nur. Das Gitter freilich, das ihn teilte, war nicht zu übersehen. Ein kahlköpfiger Sklave hockte da; der Krumme fuhr ihn an: „Bewahr sie mir.“ Dann schloss sich die Tür.

Auch im Gitter gab es eine Tür, die öffnete der Alte. „Nun kriecht hinein. Wer dahinter sitzt und wer davor – da ist kein Unterschied.“

Sie machten dem Alten keine Schwierigkeiten, sondern hockten sich jenseits des Gitters auf das Stroh, wobei sie es mieden, sich anzublicken. Zum ersten Mal, nachdem sie gegriffen worden waren, kamen sie zur Besinnung. Der Alte lispelte mit zahnlosem Mund: „Ihr seid nicht die einzigen, die sich haben davonmachen wollen, als Jupiter den Berg spellte.“

„Wir waren im Berg“, sagte Oinomaos lakonisch.

„Als es geschah?“

„Ja.“

Dem Alten klaffte der Mund auf.

„Und vor dem Berg? Wie ist es da zugegangen?“, wollte Spartacus wissen. „Red schon.“

Wie wohl. Tumult, als der Donner niederstürzte. Steinrauch drang aus dem Stollen wie der Atem der Unterwelt. Pferde gingen durch. Drei, vier Sklaven hetzten davon, nahmen die Beine in die Hand. „Sie haben alle wieder“, sagte der Alte. „Bis auf einen.“

Spartacus atmete tief. Jetzt wusste er, weshalb die Quelle bewacht worden war … Er streckte sich lang aus, die Arme unter dem Kopf verschränkt. Das Stroh war zum Glück trocken. Und doch – wieder wölbte sich eine Decke über ihnen, gerade wie die Höhlung, aus der sie entkommen waren. Es war, als hätte Sulla sie in sein Grab gezerrt. In Spartacus jagten sich die Gedanken; an Schlaf war nicht zu denken. Da hörte er die ruhige Stimme seines Gefährten: „Mach dir nichts daraus, Kamerad. Rom ist auch nicht an einem Tag gebaut worden.“ Oinomaos wusste, wie es dem anderen zumute war, mit dem er den Berg überwunden hatte. Er wusste nicht, dass es für Spartacus der dritte Versuch gewesen war, die Freiheit zu gewinnen. Müßig war es, zu sagen: Wenn wir nicht hätten trinken wollen; wenn wir den maßlosen - Durst noch bezähmt hätten … So oder so wären sie wohl gegriffen worden. „Wir kommen nach Mutina! Ich weiß es …" Was der Kelte sagte, klang wie eine Verheißung.

Mutina war für Oinomaos der Inbegriff der Freiheit. Von hier ab hatte er sich Licates nennen wollen, so wie sein Stamm hieß, der jenseits des Alpengebirges bis hin zum Flusse Danuvius siedelte. In dieser Nacht, wiedereingefangen, in der Erdhöhle hinter dem Gitter, baute der Kelte die mächtigen Alpen vor Spartacus auf, überschritt sie mit ihm, so wie er mit Leder, Wachs, Honig so manches Mal die Höhen bezwungen hatte, mit Tuchen und Gefäßen zurück. Einen aus Draht geflochtenen Panzer trug der Kelte in dieser Nacht, einen ehernen Helm, den Tierhörner schmückten. Ein starkes Schwert hatte er an Ketten an seiner Seite. Eine Lanze besaß er, mit langer, handbreiter eiserner Spitze, ein Pferd, das jeden Graben nehmen konnte.

Da vergaß Spartacus allmählich das Gitter und den alten zahnlosen Kahlkopf, der bestellt war, auf sie aufzupassen. Und das Erdreich, das sich über ihnen wölbte wie ein Grabhügel. Und die Finsternis, aus der sie immer noch nicht herausgefunden hatten. Dies alles endete mit dem Zauber Mutina. Jener versetzte ihn in seine Heimat. Das war die thrakische Stadt Kabyle. An einem Flusse lag sie, umgeben von niedrigen Bergen und Eichenwäldern. Hoch oben ragte der Palast, festungsartig, in dem einst Sparadok geherrscht hatte. Die Mauern setzten sich fort rings um die Stadt, mit genug Türmen für genug Wächter. Inmitten des Mauergürtels aber lagen die Häuser, in große Viertel gruppiert, die schnurgerade Straßen teilten. In der Nähe des Marktes freilich stand ein ganz bestimmtes Haus, das war aus ungebrannten Ziegeln auf Steinfundamenten errichtet; einen Brunnen gab es im Hofe unter einem mächtigen Ahorn. Das war das Haus des Mannes, der Stempel für Münzen geschnitten hatte, der einmal nach Apollonia gezogen war mit seinem Sohn. Es war die Mutter, die in diesem Hause die Familie zusammenhielt, eine große, kräftige Frau, die von Viehzüchtern abstammte und die alten Bräuche ehrte. Dort hatten die Brüder Maron und Maisades gelebt, die älter waren als Spartacus und wie er Königsnamen bekommen hatten, als hätte so die Mutter den alten Glanz Thrakiens zurückholen können. Eine Schwester hatte er, Stratonike; ihr weiches großäugiges Antlitz war ihm nahe auch jetzt in dem Erdloch.

Da lebten sie umgeben von Illyriern, Kelten, Skythen und Persern und Griechen, zwischen Gebirgen und dem Meer, die thrakischen Stämme der Maeder und Thynier und Tranipsen und Kikonen und Bessen und Geten, Skyrmiaden und Nisaier und Odrysen und wie sie noch hießen und hatten sich oft mehr gegenseitig bekriegt als miteinander verbündet. Und nun standen die Römer in Macedonien, drangen an der Ägäis vor, bereit, sich in die fruchtbaren Niederungen Thrakiens zu ergießen. Die Thraker hatten stets nur Ackerbau und Viehzucht betrieben; den Seehandel hatten sie den Griechen überlassen. Sie hatten keine prachtvollen Tempel für ihre Götter gebraucht, keine großen Theater für Festspiele; ihre Toten hatten sie nicht auf Grabstelen verewigt. Die hinübergingen, gelangten zur Unsterblichkeit beim Gotte Salmoxis.

Lang war die Nacht, und Spartacus war dem Gefährten dankbar, dass jener ihm durch das Zauberwort Mutina vergessen machen wollte, wie elend sie wieder in Knechtschaft geraten waren …

Am Morgen holte sie der Krumme. Sie sahen freilich erst, als sie die Erdhütte verließen, dass es hell war. Sklaven stellten sich am Tor auf. „Heute braucht ihr nicht in den Steinbruch“, verriet der Krumme und rieb sich die Warze. Sonne schien, aber es war noch kühl. Rauch hing in der Luft und der Geruch von Gekochtem. Sie schluckten den Speichel weg. Die Wächter waren hinter den Palisaden verborgen. Der erste Trupp Sklaven marschierte durch das Tor davon. Hunde kläfften. Übernächtig, geschwächt vor Hunger taumelten sie mehr, als dass sie gingen, durch das Lager, rätselten, was der Krumme mit ihnen vorhätte. Das offenbarte sich bald und war das Beste, was es im Augenblick geben konnte: Er führte sie zur Küche. Sie saßen auf einem in den Boden getriebenen Balken, bis der Krumme winkte. Unter dem Küchendach stand ein dünner, muskulöser Sklave und rührte im Kessel. Unendlich lange dauerte es, bis er eine Schüssel griff und füllte. Spartacus reichte sie behutsam Oinomaos, die zweite nahm er selber, balancierte sie zum Balken. Mit den Fingern griffen sie in den warmen Dinkelbrei. Sie sogen, bezwangen sich, nicht alles mit einem Mal hinunterzuschlingen. Mit Zwiebel war der Brei abgeschmeckt. Sie aßen, als hätten sie Fasan, Pfauenleber, Flamingozungen. Sorgsam fuhren sie mit den Fingern die Rillen der Schüssel nach und führten die Reste zum Mund. „Hast du was zu trinken?“, fragte Spartacus. Der Krumme beschaffte Wasser. Er war von einer Besorgnis, die die beiden Gefährten verwunderte. Sie sahen sich an. „Es ist Zeit“, sagte da der Krumme.

Langsam gingen sie hinter dem Aufseher her, in der Sonne. Er führte sie nicht zum Tor an der Frontseite des Lagers, sondern zum Hauptquartier am Forum, das die anderen Hütten überragte. Davor stand der Altar und dahinter das Podium, das war menschengefüllt. Dort aber saß neben dem schmächtigen, ihnen wohlbekannten Befehlshaber über die hundert Sklaven kein anderer als – Crassus! Und Crassus war stolz, das kleine Sklavenlager nach dem Vorbild eines römischen Militärlagers eingerichtet zu haben, vergnügt, dass die Sonne schien, wohlgesättigt, voll erhabener Gedanken, da er zwei Sklaven zu Gesicht bekommen sollte, die dem Berg entronnen waren. Etwas massig saß er inmitten seines Gefolges, den kleinen Mund zu einem Lächeln verzogen, was ihn nicht gerade verschönte. Das Haar trug er kurz in die Stirn gekämmt, und seine Toga umwallte ihn, als wäre er mit dem Boden verwachsen.

Nach alldem, was in den letzten Stunden geschehen war, wunderte es Spartacus keinesfalls, dass da Crassus herbeigeeilt war auf die Kunde hin, der Berg sei zusammengestürzt. Oder dass der Zufall ihn hergeführt hätte, von einem Ausflug ins Sabinergebirge oder einem Gebet am Tempel zu Tibur. Wieder stand er Crassus gegenüber wie schon einmal mit Faber. Ruhig blickte er ihn an. Dass Blindheit dich schlage …

„Das sind die von der Quelle“, erklärte der Krumme.

Crassus fragte: „Wie heißt ihr?“ Seine Stimme sollte scharf klingen, und er führte die Hand hinters Ohr, als sie antworteten.

„Ihr wart im Berg, als es geschah?“

„Im tiefsten Stollen“, antwortete Oinomaos. Crassus’ Gesicht verzog sich schmerzlich unter dem schlechten Latein des Kelten. Er wandte sich direkt an Spartacus: „Wie seid ihr herausgekommen?“

„Wir haben einen Weg gefunden“, sagte jener vieldeutig.

„Da gibt es keinen Weg“, betonte der Krumme. „Wer drinsteckt, der ist eingesteint für alle Zeit. Der einzige Ausgang war zusammengestürzt.“

Beredt schilderte er, wie er mit einem Trupp Sklaven versucht hatte, zu den Eingeschlossenen vorzudringen. Herauszuhören war, wie er sich geschunden hätte, ohne den Berg auch nur ankratzen zu können, und das rückte sein Bemühen vor Crassus ins rechte Licht.

Nun, da er gegessen hatte, erfasste Spartacus eine schläfrige Müdigkeit. Wie von ferne nur hörte er manchmal die Worte des Krummen. Dort saßen sie auf dem Podium, der reiche Herr Crassus, der sich vielleicht an seinen Löschmann Spartacus erinnern mochte oder nicht, vielleicht an den Flüchtling von der Straße, was schlechter wäre. Der hagere, schlauäugige Lagerleiter Mummius, dem es zum Ruhme gereichte in dieser an Ereignissen armen Zeit, wenn da zwei Sklaven wie durch ein Wunder den Felsen geteilt hatten, um ans Licht zu schreiten. Die Frauen dabei mochten sich noch mehr wundern, die Herrin Tertulla, Frau des Crassus, mit der hochgetürmten Frisur. Eine bange Ahnung mochte sie erschauern lassen vor der Macht der Götter. Die andere, junge daneben, die ihr Gewand nach griechischer Art trug und eine Sklavin war. Stumm sie alle und staunend, der leicht verfettete Herr neben Crassus, mehr liegend als sitzend, dessen Haar so eigentümlich wirkte, so angeklebt und dünn, bis Spartacus merkte, dass ebenjener Hohe sich das Haar hatte auf den kahlen Schädel malen lassen.

Zwanzig Leute starrten auf die zwei vor dem Podium wie auf seltene Tiere aus unbekannten, fernen Ländern. Und der Krumme redete immer noch von diesem durchlöcherten Berg. Je mehr er davon sprach, wie unmöglich es wäre, da herauszukommen, desto mehr strich er sich heraus. Er gewann doch von diesem Wunder! Da sagte sich Spartacus, dass vor allem sie als Sklaven von diesem Wunder, dem Zeichen der Götter, zehren müssten. Vielleicht war der Entlüftungsgang, durch den sie endlich hatten ins Freie kriechen können, inzwischen eingestürzt. Wahrscheinlich existierte nicht einmal mehr die Kuppel, die sie durchstiegen hatten. Dann war es wirklich ein Wunder, dass sie herausgekommen waren!

Crassus der Reiche mochte wohl gern an ein Wunder glauben, da er doch kaum vorher beim Begräbnis des Sulla gewesen war, die zweitausend goldenen Kränze gesehen hatte und den toten Diktator, den er einst in den Sattel gehoben hatte gemeinsam mit seinem ewigen Widersacher Pompeius.

Der leicht Verfettete mit dem gemalten Haar wollte auch etwas wissen, worauf Oinomaos antwortete. Der hagere Lagerleiter Mummius mochte wissen, dass es vergessene Gänge gab, aber er hütete sich wohl, davon zu sprechen.

„Ihr steigt mit dem Krummen den Berg hinauf und zeigt ihm die Stelle, wo ihr herausgekommen seid“, sagte Crassus in plötzlichem Umschwung, als sei er des Spiels überdrüssig. Der Krumme duckte sich wie geohrfeigt. „Mir scheint, da gibt es noch Löcher, aus denen man kriechen kann, und …“ Hier pfiff Crassus und deutete durch eine Geste an, wie sich etwas verflüchtigt. Der Lagerleiter Mummius fühlte sich angesprochen. Ein Wunder war ihm lieber als der Nachweis einer undichten Stelle in seiner Bewachung. Der mit dem gemalten Haar lachte meckernd. Die Frau Tertulla flüsterte mit ihrem Mann, als bäte sie um etwas. Die Sklavin schaute scheu auf. Und all die anderen Sklaven, die mit den Sonnenschirmen, die an der Sänfte hinten, blieben stumm.

Crassus beugte sich vor, richtete seine Hand auf Spartacus. „Da sag mir eins, Sklave, wenn du mitten im Berg gesteckt hast…“

„Ja …?“

„Was hat ihn zusammenstürzen lassen, du musst es doch gesehen haben?“ Das letzte war purer Hohn.

Spartacus spürte ein Zittern, das den ganzen Körper erfasste.

„Vielleicht ich …“, sagte er leise.

„Vielleicht du …?“

„Vielleicht habe ich nur an den Fels gerührt, und er stürzte zusammen …“

„Weil du entfliehen wolltest“, ergänzte Crassus ernsthaft. Er schaute auf den Bemalten und auf Mummius. „Welcher Sklave will denn nicht fliehen, sich davonstehlen? Kennt ihr da einen? Da hast du ein Wesen gefangen, das stets bereit ist zu rebellieren. Du hast dir den Feind in das eigene Haus geholt. Nun bewach ihn, halt ihn an der kurzen Leine. Mir scheint, hier hast du schlecht bewacht, Mummius.“ Der Lagerverwalter zog ein saures Gesicht.

Oinomaos neben Spartacus sagte: „Herr, wir haben sehr lange im Berg gelegen, ohne …“

„Du schweig mit deinem schlechten Latein“, fuhr Crassus dazwischen. Dann griff er Spartacus an. „Sag bloß, du hast nicht zu fliehen versucht. Der Berg hätte dich freigegeben, ohne dass wir etwas von dir wussten, und du wärest hinabgestiegen zum Lager, hättest ans Tor geklopft und gebeten, wir sollen dich gnädigst wieder als Sklave aufnehmen. Sag bloß, dies hättest du vorgehabt. Gerade du!“

Spartacus schwieg, schaute die Sklavin an, den Bemalten, den Mummius.

„Wenn ich mich recht erinnere“, sagte Crassus langsam und umso bedrohlicher, „bist du schon mal geflohen!“ Das Gedächtnis des Crassus war präzise wie immer. Indem er sich an die anderen wandte, meinte er: „Er hat einen Makel. – Nun?“

Da sagte Spartacus erhobenen Hauptes: „Ich werde immer versuchen zu fliehen. Hätte ich sieben Leben, ich würde es siebenmal einsetzen, um Rom zu entkommen!“

Das war eine Sprache nach dem Geschmack des Oinomaos. Mitgerissen trat jener einen Schritt vor und keuchte, indem er mit der Hand ausholte: „Bei meinen Göttern, so ist es. Und hätten wir Waffen, wir würden sie gegen euch richten, solange Atem in uns ist!“