Star Trek - Voyager 11: Sühne - Kirsten Beyer - E-Book

Star Trek - Voyager 11: Sühne E-Book

Kirsten Beyer

4,0

Beschreibung

Admiral Kathryn Janeway blickt einem Tribunal entgegen, das dazu entschlossen ist, sie für Verbrechen hinzurichten, denen sie sich auf dem Jungfernflug der Voyager durch den Delta-Quadranten angeblich schuldig gemacht hat. Captain Chakotay ist davon überzeugt, dass mehr hinter der Kinara – einer Allianz verschiedener Spezies, die sich gegen die Full-Circle-Flotte verbündet hat – steckt, als es den Anschein hat. Die Konföderation der Welten des Ersten Quadranten – ein Bündnis, dem er nicht vertrauen kann – stellt seine einzige Hoffnung dar, die wahren Ziele der Kinara aufzudecken und Admiral Janeway zu retten. In der Zwischenzeit bemühen sich Seven und Tom Paris verzweifelt, die Machenschaften eines Sternenflottenoffiziers aufzudecken. Dieser versucht, die Föderation vor den legendären Caeliar zu schützen und sie sehen sich dazu gezwungen, das Vertrauen ihrer Vorgesetzten zu verraten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 609

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,0 (1 Bewertung)
0
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



STAR TREKVOYAGER™

SÜHNE

KIRSTEN BEYER

Based onStar Trekcreated by Gene RoddenberryandStar Trek: Voyagercreated by Rick Berman & Michael Piller & Jeri Taylor

Ins Deutsche übertragen vonRené Ulmer

Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – VOYAGER: SÜHNE

wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.

Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: René Ulmer; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Wibke Sawatzki;

Korrektorat: André Piotrowski; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover Artwork: Martin Frei;

Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.

Titel der Originalausgabe: STAR TREK – VOYAGER: ATONEMENT

German translation copyright © 2018 by Amigo Grafik GbR.

Original English language edition copyright © 2016 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

™ & © 2018 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All Rights Reserved.

This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.

Print ISBN 978-3-95981-515-4 (Januar 2018) • E-Book ISBN 978-3-95981-516-1 (Januar 2018)

WWW.CROSS-CULT.DE · WWW.STARTREKROMANE.DE · WWW.STARTREK.COM

Für Catherine »Cady« Coleman

»Aus Schriften und Worten entspringen Fantasien,und manchmal führen Fantasien zu Einigkeit.«

– Rumi

Inhalt

HISTORISCHE ANMERKUNG

PROLOG

SCION

KAPITEL 1

U.S.S. VOYAGER

MANTICLE

IFK FÜNFTE SHUDKA

U.S.S. VOYAGER

KAPITEL 2

MEDIZINISCHE ABTEILUNG DER STERNENFLOTTE, ZUGANGSBESCHRÄNKTER BEREICH

MONTECITO, NORDAMERIKA

GOLDENER VOGEL

KAPITEL 3

U.S.S. VESTA

MANTICLE

IFK FÜNFTE SHUDKA

MANTICLE

IFK FÜNFTE SHUDKA

MANTICLE

U.S.S. VESTA

IFK FÜNFTE SHUDKA

MANTICLE

IFK FÜNFTE SHUDKA

KAPITEL 4

ORBITALKONTROLLE DER ERDE

RUNABOUT COLEMAN

ALDEBARAN III

KAPITEL 5

MANTICLE

IFK DRITTE CALVERT

MANTICLE

KAPITEL 6

ORBITALKONTROLLE DER ERDE

RUNABOUT COLEMAN

TAMARIANISCHE BOTSCHAFT PARIS, ERDE

KAPITEL 7

U.S.S. DEMETER

U.S.S. GALEN

U.S.S. VESTA

KAPITEL 8

INDIANA

MEDIZINISCHE ABTEILUNG DER STERNENFLOTTE

GOLDENER VOGEL

KAPITEL 9

U.S.S. VOYAGER

ZWANZIGTAUSEND KILOMETER VON DER PASSAGE ENTFERNT

KAPITEL 10

TAMARIANISCHE BOTSCHAFT

ALDEBARAN

INDIANA

KAPITEL 11

U.S.S. VOYAGER

U.S.S. GALEN

IFK FÜNFTE SHUDKA

U.S.S. VESTA

KAPITEL 12

MEDIZINISCHE ABTEILUNG DER STERNENFLOTTE

RUNABOUT COLEMAN

MEDIZINISCHE ABTEILUNG DER STERNENFLOTTE

ALDEBARAN

INDIANA

KAPITEL 13

U.S.S. VOYAGER

U.S.S. GALEN

U.S.S. VOYAGER

KAPITEL 14

TAMARIANISCHE BOTSCHAFT

KAPITEL 15

U.S.S. VESTA

U.S.S. VOYAGER

KAPITEL 16

HAUPTQUARTIER DER STERNENFLOTTE SAN FRANCISCO, ERDE

TAMARIANISCHE BOTSCHAFT

KAPITEL 17

U.S.S. VESTA

U.S.S. DEMETER

U.S.S. VOYAGER

KAPITEL 18

PALAIS DE LA CONCORDE

KAPITEL 19

U.S.S VOYAGER

KAPITEL 20

PALAIS DE LA CONCORDE

TAMARIANISCHE BOTSCHAFT

KAPITEL 21

U.S.S. VOYAGER

KAPITEL 22

PALAIS DE LA CONCORDE

MEDIZINISCHE ABTEILUNG DER STERNENFLOTTE, ZUGANGSBESCHRÄNKTER BEREICH

PALAIS DE LA CONCORDE

MEDIZINISCHE ABTEILUNG DER STERNENFLOTTE, ZUGANGSBESCHRÄNKTER BEREICH

PALAIS DE LA CONCORDE

MEDIZINISCHE ABTEILUNG DER STERNENFLOTTE, ZUGANGSBESCHRÄNKTER BEREICH

KAPITEL 23

U.S.S. VOYAGER

KAPITEL 24

MEDIZINISCHE ABTEILUNG DER STERNENFLOTTE, ZUGANGSBESCHRÄNKTER BEREICH

TAMARIANISCHE BOTSCHAFT

KAPITEL 25

U.S.S. VOYAGER

DIE ERSTE WELT

U.S.S. GALEN

U.S.S. VOYAGER

KAPITEL 26

MONTECITO, NORDAMERIKA

HAUPTQUARTIER DER STERNENFLOTTE

KAPITEL 27

NEU-TALAX

U.S.S. VOYAGER

U.S.S. GALEN

EPILOG

U.S.S. VESTA

DANKSAGUNGEN

HISTORISCHE ANMERKUNG

Nach der Borg-Invasion sind Milliarden Tote zu beklagen, ganze Welten liegen in Trümmern und die Sternenflotte ist schwer angeschlagen (STAR TREK – DESTINY).

Nun ist die Medizinische Abteilung der Sternenflotte davon überzeugt, dass auf den Planeten, die die Invasion überstanden haben, eine catomische Seuche wütet. Doktor Sharak und Lieutenant Samantha Wildman haben herausgefunden, dass ein abtrünniger Commander der Sternenflotte diese Seuche erst zu dem gemacht hat, was sie mittlerweile ist. Seven – die gerade erst damit beginnt, die wahre Natur ihrer Catome zu begreifen – wird von dem Commander festgehalten. Die ehemalige Borg-Drohne Axum arbeitet möglicherweise mit dem Commander zusammen, verfolgt jedoch ein eigenes Ziel: alle mit der fortschrittlichen Caeliar-Technologie ausgestatteten Individuen in ein neues Kollektiv zu zwingen.

Admiral Kathryn Janeway hat bei dem Versuch, der Konföderation der Welten des Ersten Quadranten bei der Aushandlung eines Friedensabkommens zu helfen, die Sicherheit der Full-Circle-Flotte aufs Spiel gesetzt und letzten Endes ihr eigenes Leben (STAR TREK – VOYAGER»Erbsünde«).

Die Geschichte beginnt Anfang März 2382 und spielt bis Ende Mai desselben Jahres.

PROLOG

SCION

Form war bedeutungslos. Sie war eine Hülle, ein Gewand, ein Mittel zum Zweck. Aber sie war echt. Haut, Muskeln, Organe und Knochen bestanden alle aus Zellen, die sich wiederum aus Molekülen zusammensetzten, deren Aufbau aus Atomen mit subatomaren Reaktionen bestand.

Die dunklen Schuppen, die die Oberfläche dieser Form bedeckten, sahen fest aus und fühlten sich auch so an. Große, obsidianfarbene Pupillen mit einer goldenen Iris blickten kalt unter beeindruckenden Schädelwülsten hervor. Die dreifingrigen Hände endeten in rasiermesserscharfen Klauen, stellten tödliche Waffen dar, wie die ursprüngliche Nutzerin dieser Form, Regentin Odala von den Voth, in den letzten Momenten ihres Lebens deutlich zu spüren bekommen hatte.

Aber waren sie wirklich echt?

Ein Gedanke, so schwach wie ein Flüstern, und die Spiegelung in dem rauchgrauen Glas vor ihr veränderte sich.

Eine menschliche Frau.

Nein, nicht einmal das.

Was sie jetzt sah, war kaum mehr als ein Mädchen. Die schwarze Uniform mit ihren blauen Akzenten ließ diese Form noch kleiner wirken, als sie war. Das Gesicht war blass, dominiert von großen, bettelnden Augen. Schwache Hände, die heilen, pflegen sollten. All ihre Macht bestand in einem Stückchen Technik, das ihre photonische Matrix sowohl erschuf als auch von ihr umgeben, darin eingeschlossen war.

Was auch immer diese »Meegan« für ein Bewusstsein besessen hatte, war in dem Moment, als sie dieses Hologramm als Gefäß auserkoren hatte, wie Morgentau verdunstet. Das Gerät, das Meegans Programm aufrechterhalten sollte, unterlag nun ihrer Kontrolle. Während der letzten Monate war es notwendig gewesen, Dutzende neue Formen anzunehmen, um mehr und mehr Verbündete zu sammeln. Sie versuchte, ihre neue Existenz als Geschenk zu betrachten.

Aber es fühlte sich nicht echt an. Ihr fehlte das Schlagen ihres Herzens. Das Einatmen. Das Ausatmen. Hunger. Schmerz, der brannte, pochte, stach. Das angenehme Gefühl einer kühlen Brise oder der sanften Berührung von Fingerspitzen. Ohne die manipulativen Eigenschaften dieses Hologramms hätte sie nie so schnell so viel erreicht. Aber der Gedanke, auf ewig in einem Gefängnis aus Licht eingesperrt zu sein, unfähig, all das zu erleben, was die Unendlichkeit erst erstrebenswert machte, war unvorstellbar.

»Bald«, ließ sie ihre Spiegelung wissen.

Bald würde sie diese Form ablegen. Bald würden Ränkespiele unnötig werden. Bald würden sie und die anderen, die man zu quälender Einsamkeit verdammt hatte, wieder vereint sein. Bald würde sich die kurzlebige Spezies, die diesen Quadranten verseuchte, in Einigkeit erheben und unter der geduldigen Führung und der liebevollen Fürsorge ihr überlegener Wesen ein neues Verständnis für die wahre Natur der Existenz und all ihren atemberaubenden Möglichkeiten entwickeln.

Bald würden sie und ihre Gefährten das Werk vollenden, das vor vielen Jahrtausenden seinen Anfang genommen hatte.

Bald.

Eine Reihe kurzer Klänge ertönte, informierte sie über eine eintreffende Nachricht.

»Es ist so weit.«

Emem.

Inspektor Kashyk von den Devore, ermahnte sie sich.

Die Form, die sie für ihn ausgesucht hatte, ähnelte den altehrwürdigen Seriareen mehr als die der anderen. Seine glatte Haut war blasser als die letzte, die er getragen hatte, aber die Gesichtszüge waren stark und, abgesehen von den schwach ausgeprägten Stirnwülsten über jedem Auge, hübsch anzusehen. Emem hatte teils aus Eitelkeit, teils, weil es praktisch war, beschlossen, Kashyks dichtes, dunkles Haar kurz zu tragen, ganz wie es bei den Männern der Seriareen Mode war.

Kashyk war selbstverständlich zu klein. Und sosehr sich Emem bemühte, die Möglichkeiten eines Devore-Körpers auszureizen, würde er nie über die Kraft, Beweglichkeit oder scharfen Sinne der Seriareen verfügen. Aber eben wegen dieser Einschränkungen waren die Devore leicht für ihre Zwecke zu gewinnen gewesen. Ihre Furcht vor den mentalen Fähigkeiten anderer hatte dazu geführt, dass sie ihre eigenen verkümmern ließen, anstatt sie weiterzuentwickeln.

Technologisch waren sie dennoch beeindruckend, und ihre aggressive Natur war äußerst nützlich. Zumindest konnte Emem wieder essen. Zumindest konnte er beim Gedanken an ihre Berührung erregt werden. Zumindest konnte er über all das, was sie erreicht hatten, Genugtuung empfinden. Zumindest konnte er sie wieder lieben.

Sie konnte das nicht.

Sosehr sie sich auch wünschte, sich ihm wieder voll und ganz hinzugeben, war das ohne einen echten Körper unmöglich. Die Jahrtausende der Gefangenschaft hatten die zügellose Leidenschaft, die er ihr entgegenbrachte, nicht gemindert. Aber es gab andere Veränderungen, die ihr Sorgen bereiteten. Doch das machte nichts. Ihre neue Form konnte wahre Wunder vollbringen, die Emems Bedürfnisse befriedigten, während sie keine wirkliche Verbindung erfuhr.

In ihrer Enttäuschung brach sie ein Versprechen, das sie sich selbst gegeben hatte, als sie erfahren hatte, dass sie jede gewünschte Form annehmen konnte.

Ein weiterer flüchtiger Gedanke, und vor ihr erschien der letzte seriareenische Körper, den sie vor ihrer Gefangenschaft besessen hatte.

Sie war einen halben Meter größer als Meegan, mit rotbrauner Haut, gnadenlosen, moosgrünen Augen und einer Mähne rabenschwarzen Haars, das ihr in lockigen Wellen über den Rücken floss. Breite Streifen aus weichem, rotem Leder schmiegten sich wie eine zweite Haut an ihren Körper. Ein fein geschnitzter Ring aus Elfenbein, das einzige Schmuckstück an ihrer Kleidung, hielt den schwarzen Gürtel um ihre schmale Taille zusammen.

Die Erinnerungen an dieses Leben waren eine Qual, aber ohne die dazugehörige Übelkeit, das Hämmern eines Pulses oder Verkrampfen von Muskeln war diese Qual nicht mehr als ein weit entferntes Echo.

»Befreit mich.«

Der Klang von Obihs Stimme kehrte unaufgefordert zu ihr zurück. In den Jahrhunderten gefühlloser Dunkelheit war sie ihr ständiger Begleiter gewesen. Sie spendete keine Wärme, aber sie hatte den schwachen Funken des Trotzes, die noch übrig waren, nachdem dieser Körper verloren gegangen war, weiter Leben eingehaucht.

Sie stand nicht länger in dem schwach beleuchteten Quartier an Bord des Schiffs der Voth-Regentin, der Scion. Stattdessen bebten unter ihren Füßen die Deckplatten der Solitas.

Eine Serie heftiger Erschütterungen ließ die verbliebenen Schilde des Schiffs beben, und mit jedem Atemzug brannte ätzender Rauch in ihrer Lunge. Emem bediente wie besessen die Waffenkontrollen, versuchte, so viele ihrer Feinde wie möglich zu zerstören. Xolani tat sein Bestes, mehrere Hüllenbrüche zu versiegeln, brüllte Statusberichte über das Chaos hinweg, das in der Hauptkontrollstation des Schiffs herrschte. Sie versuchte verzweifelt, den Kurs zu halten, während der nächste Schwarm von Feinden in Angriffsformation ging.

Nur Obih wirkte gelassen.

»Seriareenisches Schiff, ergeben Sie sich«, verlangte eine barsche Stimme.

»Befreit mich«, wiederholte Obih, sah sie an, während der verzierte Griff seines Zeremoniendolchs nur Zentimeter von ihren Händen entfernt war, während sie vorgab, sich nur auf die Flugkontrollen zu konzentrieren.

»Unsere Verstärkung ist auf dem Weg«, versicherte Emem ihrem Anführer.

»Sie sind bereits zu spät«, erinnerte ihn Obih. »Befreit mich«, forderte er erneut.

Wofür?, fragte sie sich. Ihn jetzt freizulassen käme einer Kapitulation gleich, und das war unmöglich.

Xolani hatte die Wahrheit erkannt, bevor sie begriffen hatte, was Obih vorhatte. Ihn freizulassen, würde den ultimativen Sieg bedeuten. Also nahm Xolani den Dolch an sich, den sie nicht hatte beachten wollen. Er holte aus und rammte Obih die Klinge mit aller Kraft ins Herz.

Der Schrei, der über Obihs Lippen kam, hallte durch die ganze Solitas wider; er bedeutete, dass sie niemals nachgeben würden.

Obih fiel in dem Moment auf das Deck, als ein weiteres ohrenbetäubendes Aufbrüllen alle anderen Umgebungsgeräusche verschlang, auch die weiteren Aufforderungen, sich zu ergeben. Ihr blieb keine andere Wahl, als sich im Himmel auf die Suche nach einem neuen Körper zu machen.

»Lsia?«

Emem hatte ihr Quartier lautlos betreten und sah sie mit einer Mischung aus Misstrauen und Mitleid an.

»Hast du nicht gehört, dass ich dich zu mir gerufen habe?«

»Seit wann rufst du mich irgendwohin?«

»Es ist so weit«, wiederholte er. »Die anderen sind bereits an Bord der Manticle.«

»Sie können warten.«

»Wir haben alle viel zu lange gewartet«, ermahnte er sie.

»Das ist ein Fehler«, sagte Lsia zum zehnten Mal, seit Emem übereilt die Offiziere ausgewählt und versammelt hatte, die über das Schicksal ihrer Gefangenen, Admiral Kathryn Janeway, urteilen sollten.

Lsia hatte von Anfang an dafür argumentiert, eine offizielle Verhandlung abzuhalten, der Gefangenen einen Rechtsbeistand zuzuteilen und in offenen Befragungen durch professionelle Anwälte die Aussagen aller verfügbaren Zeugen zusammenzutragen. Auch wenn der Prozess zeitaufwendiger wäre, hätte es der Konföderation vor Augen geführt, dass die Kinara eine gerechte und zivilisierte Allianz waren, die es nach Gerechtigkeit und nicht nach Rache verlangte.

Emem wollte lieber durch ein Militärgericht ein deutliches Exempel am Admiral statuieren, und Janeway war ihm entgegengekommen, indem sie darauf bestanden hatte, sich während dieser Verhandlung selbst zu vertreten.

Der Premierkonsul der Konföderation, Lant Dreeg, hatte ein paar Tage vor ihrer bewaffneten Konfrontation mit der Kinara Verbindung aufgenommen und zugestimmt, dass Janeway an sie übergeben würde, bevor sie die Verhandlungen fortsetzten. Eine schnelle Lösung der »Janeway-Angelegenheit« wäre ihm lieb, da sie die Konföderation und die Föderation weiter entzweien würde.

Zu Lsias Entsetzen war es Emem mit Leichtigkeit gelungen, Tirrit und Adaeze auf seine Seite zu ziehen. Rigger Meeml, der einzige Repräsentant der Streitkräfte der Skeen, der Karlon, der Muk und der Emleath und der einzige anwesende Anführer der Kinara, der im Moment kein Wirt für einen ihrer seriareenischen Kameraden war, war anscheinend der Einzige gewesen, der ihrer Meinung war. Aber letztendlich hatte man sie überstimmt. Emem hatte das als »gut funktionierende Demokratie« bezeichnet, obwohl er repräsentative Regierungsformen zutiefst verabscheute.

Emem schüttelte warnend den Kopf. »So ist es vereinbart.«

»Sie könnte uns noch nützlich sein.«

»Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Konföderation und die Föderation verbünden. Ihren Verrat offenzulegen, wird alle Zweifel beseitigen, die Dreegs Vorgesetzte vielleicht noch haben könnten. Wenn wir sie am Leben lassen, wird sie sich uns bei jeder Gelegenheit in den Weg stellen. Und mit jedem verstreichenden Moment reparieren ihre Untergebenen den von uns verursachten Schaden und planen ihre Rettung. Das dürfen wir nicht zulassen. Die Föderation muss unsere Entschlossenheit erkennen. Sie muss unsere Macht zu spüren bekommen. Sie muss uns fürchten.«

»Mit jedem Tag klingst du mehr wie Kashyk«, warf sie ihm vor. »Sie werden uns deswegen nicht fürchten. Stattdessen werden sie uns nur umso mehr hassen.«

»Verfügt Hass über Abstufungen? Sie hassen uns bestimmt jetzt schon.«

Lsia war anderer Meinung. Aber diesen Streit hatte sie bereits verloren.

Widerstrebend nahm sie wieder die Form der reptiloiden Frau, Odala, an.

Bald, dachte sie erneut, während sie Emem aus ihrem Quartier folgte.

1

U.S.S. VOYAGER

Captain Chakotay hatte Captain Farkas von der Vesta und Commander Glenn von der Galen um ein Treffen gebeten. Er brachte seinen amtierenden Ersten Offizier. Lieutenant Harry Kim, und Commander B’Elanna Torres in den kleinen Kreis mit ein, mit dem er die gegenwärtige Krise bewältigen wollte. Darüber hinaus waren Lieutenant Kenth Lasren, sein betazoidischer Ops-Offizier, Counselor Hugh Cambridge und Admiral Janeways persönlicher Assistent, Decan, anwesend. Alle wussten bereits, wie schwierig ihre Mission während der vergangenen Stunden geworden war.

Torres und Kim schien das, was ihr Captain ihnen offenbarte, zu verblüffen und ihnen Übelkeit zu bereiten. Alle anderen hatten den Schrecken bereits verarbeitet, und er war einer Mischung aus Beklemmung und Entschlossenheit gewichen.

Commander Torres ergriff als Erste das Wort. »Ich will nur sichergehen, dass ich alles richtig verstanden habe.«

»Bitte«, forderte Chakotay sie auf.

»Die Kinara wollen Admiral Janeway für Verbrechen vor Gericht stellen, die sie angeblich während des Jungfernflugs der Voyager durch den Delta-Quadranten begangen haben soll. Nachdem dieser Prozess vorbei ist …«

»Vermutlich endet er mit der Hinrichtung des Admirals«, unterbrach Counselor Cambridge sie.

»Fast mit Sicherheit«, korrigierte ihn Captain Farkas.

»Nachdem dieser Prozess vorbei ist«, wiederholte Torres und weigerte sich, auf den Pessimismus einzugehen oder ihn überhaupt aufzugreifen, »wollen die Kinara mit der Konföderation in Verhandlung treten, um eine Nutzung des Netzwerks aus Subraumkorridoren auszuhandeln, damit sie Zugriff auf irgendwelche unbekannten Ressourcen bekommen, die jenseits des Raums der Konföderation liegen, die man aber nur durch die Nutzung ebendieser Korridore ideal erreichen kann.«

»Was wir nicht zulassen dürfen«, merkte Captain Farkas an.

»Weil wir wissen, was auch immer die Kinara früher mal für Pläne gehabt haben, mittlerweile stehen sie unter dem Einfluss von wenigstens vieren der ursprünglichen acht Neyser-Bewusstseine«, fuhr Torres fort.

»Individuen, die ihr eigenes Volk für dermaßen gefährlich hielt, dass es sie von ihrem Körper gelöst und für Jahrtausende eingesperrt hat«, betonte Cambridge.

»Und die, kaum dass sie wieder frei waren, einige der mächtigsten Spezies im Delta-Quadranten, die ohnehin schon ein Misstrauen gegenüber der Föderation gehegt hatten, davon überzeugt oder dazu gezwungen haben, sich gegen uns zu verbünden. Unter anderem die Turei, die Vaadwaur, die Devore und die Voth«, ergänzte Kim.

»Ist unsere potenzielle Allianz mit der Konföderation damit vom Tisch?«, fragte Torres.

»Bevor sie von Bord ging, hat Admiral Janeway Zweifel geäußert, dass es jemals zu einer Allianz zwischen der Föderation und der Konföderation kommen kann«, antwortete Farkas.

»Und das, ohne meinen Bericht über die gemeinsame Mission der Voyager und der Zwölfte Lamont gehört zu haben. Um es kurz zu machen, eine solche Allianz wäre meiner Meinung nach unzumutbar«, merkte Chakotay an.

»Das ist jetzt auch egal«, widersprach Torres.

»Wie bitte?«, fragte Chakotay.

»Die Vesta ist in ganz gutem Zustand, aber die Voyager hat während des letzten Kampfs ihren Deflektor verloren und braucht, vorsichtig geschätzt, mehrere Tage für eine vollständige Reparatur. Die Galen hat der Feuerkraft der Kinara nichts entgegenzusetzen. Damit hätten wir ein Schiff, gegen die zehn der Kinara, wozu auch diese Voth-Monstrosität gehört, die uns beinahe zerstört hätte. Wenn wir Admiral Janeway retten wollen, brachen wir Hilfe, und im Moment ist die Konföderation unsere einzige Option.«

»Nach dem, was Inspektor Kashyk – oder wer auch immer er wirklich ist – gesagt hat, glaube ich nicht, dass uns die Konföderation helfen wird«, sagte Farkas.

»Es steht außer Frage, dass Premierkonsul Lant Dreeg die Festnahme des Admirals in die Wege geleitet hat, um uns dazu zu zwingen, dem Wirtschaftskonsortium die gewünschten Technologien zu überlassen. Technologien, die wir im Moment nicht ruhigen Gewissens aushändigen können, für die man uns als Gegenleistung aber dabei helfen würde, unseren Admiral zurückzubekommen«, behauptete Cambridge.

»Wie dem auch sei«, sagte Chakotay, »General Mattings hat angedeutet, dass er uns unterstützen möchte. Und nichts von dem, was ich gehört habe, klingt für mich so, als wäre Vorsteherin Cin voll und ganz mit dem einverstanden, was ihr Premierkonsul getan hat.«

»Wir müssen herausfinden, auf welcher Seite die Konföderation im Moment steht«, schlug Farkas vor.

»Unter anderem«, stimmte Chakotay zu.

»Übrigens, hat der Doktor irgendwelchen schwerwiegenden Schaden davongetragen?«, fragte Torres.

»Barclay hat sein Programm zurück auf die Galen transferiert und arbeitet im Moment daran«, sagte Chakotay. »Bevor ich gezwungen war, ihn abzuschalten, hat der Doktor ein paar beängstigende Dinge über die catomische Seuche herausgefunden. Er hat darum gebeten, dass wir die Daten so bald wie möglich an Seven übermitteln.«

»Wenn nicht früher«, kam es von Cambridge.

»Hat sich die Demeter schon gemeldet?«, fragte Farkas.

»Die Demeter hätte vor zwölf Stunden zurück im Raum der Konföderation sein sollen. Wenn sie nicht bald zurückkommt, werden wir sie suchen müssen«, antwortete Chakotay.

Farkas nickte. Nach kurzem, angespanntem Schweigen sagte sie: »Das ist ein ganz schöner Schlamassel, aber unsere oberste Priorität ist die Rettung des Admirals.«

»Sie wünscht nicht gerettet zu werden und hat stattdessen den ausdrücklichen Befehl gegeben, nichts zu unternehmen, was diesen Waffenstillstand gefährden könnte«, meldete sich Decan zum ersten Mal seit Beginn dieser Besprechung zu Wort.

»Das ist lächerlich«, sagte Torres. »Die werden sie umbringen. Wir können nicht einfach hier herumsitzen und Däumchen drehen.«

»Wir dürfen uns aus Angst um ihre Sicherheit nicht zu überstürzten Handlungen hinreißen lassen«, beharrte Decan. »Es steht außer Frage, dass Admiral Janeway möchte, dass wir weiter Kontakt zu Vorsteherin Cin halten. Zum Teil hat sie sich geopfert, um zu verhindern, dass sich die Kinara mit der Konföderation verbünden und sich gegen uns wenden. Aber sie hat auch vor herauszufinden, was ›Meegan‹ wirklich mit dieser Region des Weltraums vorhat.«

»Das wird schwierig, wenn sie gleichzeitig um ihr Leben kämpfen muss«, merkte Cambridge an.

»Nicht unbedingt«, widersprach Decan.

»Mir ist klar, dass Admiral Janeway Multitasking gewohnt ist, Lieutenant, aber das ist doch eine ziemliche Aufgabe«, fuhr Cambridge fort.

»Zusätzlich zu der Bitte um eine persönliche Sicherheitstruppe hat der Admiral nur eine weiter nicht verhandelbare Bedingung gestellt, bevor er sich ausgeliefert hat: dass die Kinara den Prozess in Echtzeit an die Flotte und die Konföderation übertragen«, erläuterte Decan bedächtig. »Ich schlage vor, dass alle anwesenden Parteien uneingeschränkten Zugriff auf den bevorstehenden Prozess erhalten.«

»Wie sollen wir das anstellen?«, fragte Lieutenant Lasren. »Die Verhandlung soll an Bord der Manticle stattfinden. Sie kontrollieren sämtliche Übertragungen und können sie abschalten, wann immer ihnen danach ist.«

»Nein, können sie nicht«, korrigierte ihn Torres.

»Sobald sie mit der Übertragung beginnen«, setzte Kim ihren Gedanken fort, »können wir die Frequenz aufgreifen und über ihre Trägerwelle unseren eigenen Kontrollvirus einschleusen. Unser offener Kanal ersetzt ihren und bleibt geöffnet, solange wir wollen.«

»Oder zumindest so lange, bis sie ihre gesamte Kommunikationsanlage abschalten und einen Neustart durchführen«, merkte Torres an.

Chakotay betrachtete Decans unnachgiebige Miene. Auch wenn der Captain der Voyager Kathryn länger und besser kannte als ihr Assistent, war Decan während all ihrer Verhandlungen mit der Konföderation an ihrer Seite gewesen. Chakotay hatte den Eindruck, dass seine Feststellung von Bedeutung war, war aber darüber frustriert, dass er es nicht schaffte, dieselben Schlüsse zu ziehen, die Decan offenbar bereits gelungen waren. »Warum hat Admiral Janeway darauf bestanden?«, frage Chakotay schließlich.

»Ich denke, dass der Admiral diese Situation lange vor Ende des Prozesses abschließen möchte.«

Zum ersten Mal seit Kathryns Festnahme spürte Chakotay einen Hoffnungsschimmer aufkeimen, als er plötzlich begriff, wie wichtig Kathryns nicht verhandelbare Forderung war. Dieser Schimmer verschwand genauso schnell, als er die vielen möglichen Schwachstellen in ihrem Plan bemerkte. Er schob sie beiseite, lächelte und sagte grimmig: »So versucht sie also, sie zu schlagen.«

MANTICLE

Admiral Kathryn Janeway hätte die letzten Stunden damit verbringen sollen, über ihre Erinnerungen an die ersten Begegnungen der Voyager mit den Turei, den Vaadwaur, den Devore und den Voth nachzudenken.

Stattdessen dachte sie nur an einen Kuss.

Nachdem Decan ihr mitgeteilt hatte, dass er in Devore-Inspektor Kashyk sprichwörtlich »zwei Bewusstseine« spürte, die innerlich zwischen einer urtümlichen Wut und dem Wunsch, Kathryn in Sicherheit zu wissen, zerrissen waren, war das letzte Stück des Puzzles an seinen Platz gefallen. Seit sie vor Wochen von der Allianz zwischen den Devore, den Vaadwaur und den Turei und den Angriffen der Voth auf die Kommunikationsrelais ihrer Flotte gehört hatte, hatte sie darüber nachgedacht.

Lieutenant Barclay war seit Monaten wie besessen davon, ihr abtrünniges Hologramm »Meegan« wiederzufinden. Seit Janeway das Kommando über die Full-Circle-Flotte übernommen hatte, hatte sie seine Sorge auf ihre lange Aufgabenliste gesetzt. Dann hatte sie nicht viel darüber nachgedacht, bis Decans Enthüllung es förmlich hervorgezerrt hatte. Die einzige plausible Erklärung für die Allianz zwischen diesen vier bekanntermaßen feindlich gesinnten und xenophoben Spezies war ein mächtiger Einfluss von außen. Und eine uralte Spezies mit Zugriff auf sämtliche Datenbanken der Voyager, die von hochrangigen Individuen Besitz ergreifen konnte, war ein unglaublich wahrscheinlicher Kandidat dafür.

Janeway hatte Lieutenant Lasren gebeten, sie auf die Manticle zu begleiten, und sein kaum merkliches Nicken vor seinem Abflug hatte bestätigt, was ihr der Kuss, mit dem sie Inspektor Kashyk begrüßt hatte, bereits verraten hatte. Sie hatte ihn schon einmal geküsst. Es war eine spontane Geste gewesen, aus der Vertrautheit heraus, die sich während gemeinsamer Tage und Nächte entwickelt hatte, als es noch den Anschein gehabt hatte, sie würden gemeinsame Ziele verfolgen. Aber es war auch ein Test gewesen. Ihre Lippen waren möglicherweise nicht die erfahrensten der Galaxis, aber sie hatte Kashyks aufrichtige Reaktion gespürt. Die Hitze und das Verlangen in diesem Kuss waren unverkennbar gewesen.

Selbstverständlich hatte sein Herz nie ihr gehört.

Die Erkenntnis des zweiten Kusses war schmerzhafter gewesen als die des ersten. Als sich ihre Lippen in der Shuttlerampe der Manticle berührt hatten, hatte Janeway wieder Kashyks Verlangen gespürt, aber dieses Mal auch Dringlichkeit und Verzweiflung. Das Gefühl war zu schnell verflogen, als er die Lippen zusammengepresst und sie grob weggestoßen hatte.

Decan hatte recht gehabt. Kashyk war noch da, aber er hatte nicht länger die Kontrolle über seinen Verstand oder seinen Körper.

Ungebeten dachte sie an das wenige zurück, an das sie sich von ihrer Zeit als Borg-Königin erinnerte. Ein kleiner Fetzen von Kathryn Janeway war eingesperrt gewesen in einer Zelle in einem Verstand, der nicht länger ihr gehörte. Aus dieser Zelle heraus hatte sie die Gräueltaten angesehen, hatte die Ekstase der Königin gespürt. Verzweifelt und erfolglos hatte sie darum gekämpft, die Kontrolle zurückzuerlangen.

Obwohl Kashyk ihr Feind gewesen war, fragte sie sich, ob so nun seine Wirklichkeit aussah. Falls ja, verdiente er es nicht. Kein empfindungsfähiges Wesen verdiente so etwas.

Dass die Entität, die nun von Kashyk Besitz ergriffen hatte, ihren Tod wollte, war weder überraschend noch relevant. Janeway konnte Kashyk nicht hassen. Sie konnte ihn nicht einmal fürchten. Sie empfand nichts als Mitleid für ihn.

Die Tür zu ihrem »Quartier« glitt auf, und ein Sicherheitsoffizier der Devore trat in Begleitung von zwei bewaffneten Wachen ein. Er hatte schwere, silberne Handschellen dabei. Die Lieutenants Psilakis und Cheng, ihr persönliches Sicherheitsteam, standen auf und traten zwischen sie und den Devore-Offizier.

»Sie werden hierbleiben«, sagte dieser.

»Nein. Das widerspricht der Vereinbarung«, erwiderte Psilakis entschieden.

»Schon gut, Lieutenant.« Janeway legte ihm sanft eine Hand auf den Arm und schob ihn zur Seite. Dann sah sie dem Devore-Offizier in die Augen, streckte ihm mit nach oben gerichteten Handflächen die Hände entgegen.

Möglich, dass ihr Leben in ein paar Stunden vorbei war, aber bis dahin musste sie noch ein paar Schlachten gewinnen.

IFK FÜNFTE SHUDKA

»Es gab keine richtige Reaktion, Vorsteherin«, beharrte Captain Chakotay. »Wir haben uns mit dem geringsten Übel zufriedengegeben, so wie wir es während unserer ersten Reise durch diesen Quadranten häufig tun mussten.«

Die meisten Begegnungen Chakotays mit den Völkern der Konföderation waren mit Leodten wie General Mattings gewesen; dunkelhäutige Humanoide mit schwarzen Augen, flacher Nase und einem Mund, der aus einem Kranz scharfer, hervorstehender Zähne bestand. Vorsteherin Isorla Cin war eine Djinari. Die goldfarbenen, diamantförmigen Schuppen auf ihrem Kopf schienen nicht sonderlich viel Mienenspiel zuzulassen, aus dem er subtile Reaktionen auf seine Worte hätte lesen können. Die langen, dünnen Tentakeln, die im Nacken aus ihrer Schädelbasis traten, waren da schon beweglicher. Sie spannten und entspannten sich sichtlich, aber Chakotay fehlte die Erfahrung, um daraus Schlüsse zu ziehen.

Cin hatte gelassen hinter einem verzierten, vergoldeten Schreibtisch in ihrem Empfangsraum an Bord der Shudka gesessen und geduldig zugehört, während Chakotay die wichtigen Zusammenhänge der Anschuldigungen erläuterte, die »Inspektor Kashyk von den Devore« vor Ausbruch der Kampfhandlungen gegen Admiral Janeway vorgebracht hatte. Dieser Kampf hatte die Konföderation fünfunddreißig Schiffe und die Full-Circle-Flotte ihren Admiral gekostet. Der Captain hatte Cin noch nicht gesagt, dass er davon überzeugt war, dass Kashyk und einige andere Führungspersönlichkeiten der Kinara von Neyser-Bewusstseinen kontrolliert wurden. Die Wahrheit über den ersten Kontakt der Voyager mit den Voth, den Turei, den Vaadwaur und dem Devore-Imperium hätte ausreichen sollen, um Cin davon zu überzeugen, für wen sie Partei ergreifen sollte.

Die Vorsteherin hatte während Chakotays Aufzählung der Begegnungen der Voyager mit den Großmächten des Delta-Quadranten erleichtert gewirkt. Es war deutlich, dass sie glauben wollte, dass Admiral Janeway bei diesen Auseinandersetzungen stets das Richtige getan hatte. Aber als Chakotay von der Begegnung mit den Devore erzählte, hatte das wieder anders ausgesehen. Sie war aufgestanden und schritt unruhig durch den Raum.

»Aber Sie wussten, dass die Devore keine Telepathen in ihrem Raum dulden würden«, argumentierte Cin. »Da sich schon vor Ihrer Begegnung mit den Brenari-Flüchtlingen Telepathen in Ihrer Mannschaft befunden haben, wären Sie doch besser beraten gewesen, einfach einen Kurs um ihr Territorium herum zu nehmen.«

»Im Gegensatz zu den Devore wussten wir, dass die Telepathen innerhalb unserer Mannschaft keine Bedrohung für sie dargestellt haben«, beharrte Chakotay. »Ich stimme Ihnen zu, dass man die Hilfe, die wir den Brenari geleistet haben, als eine Grenzüberschreitung betrachten könnte, aber wir haben niemandem geholfen, der vorgehabt hätte, gegen die Devore in den Krieg zu ziehen. Wäre ihr Schiff nicht beschädigt gewesen, wären sie nie im Raum der Devore gestrandet. Es waren Zivilisten, darunter auch kleine Kinder. Sie wollten nur so schnell wie möglich den Raum der Devore wieder verlassen. Dasselbe Ziel hatten wir auch. Die Voyager verfügte über Technik, von der wir angenommen haben, sie würde die Brenari genauso schützen wie unsere telepathischen Mannschaftskameraden. Es wäre uns falsch vorgekommen, ihnen nicht zu helfen.«

Cin schüttelte den Kopf. Deutlich frustriert sagte sie: »Während der Gespräche mit Admiral Janeway im Laufe der vergangenen Wochen hatte ich oft das Gefühl, Ihre Föderation würde sich selbst widersprechen. Sie verfügen über fortschrittliche Technik, benutzen sie aber nicht, um neues Territorium zu erobern. Sie erlegen Ihren Mitgliedswelten gemeinsame Standards auf, gestatten ihnen aber spezies- und kulturspezifische Praktiken, die für die Gründungsmitglieder Ihrer Föderation völlig fremdartig sind. Sie betrachten Vielfalt als höchstes Gut, selbst wenn sie zu Konflikten unter Ihren Mitgliedswelten führt. Wie ist es möglich, dass Sie in den über zweihundert Jahren Ihres Bestehens nicht begriffen haben, wie kompliziert Ihr Hang zu Akzeptanz und Toleranz Ihnen das Leben macht? Oder wie viel Sicherheit Sie gewinnen würden, wenn Sie Ihre Entdeckungsreisen oder die Freiheiten Ihrer Mitgliedswelten einschränken würden? Ihre Bereitschaft, in jeder Spezies, der Sie begegnen, stets das potenziell Gute zu suchen, scheint Sie ständig vor vermeidbare Konflikte zu stellen.«

Bevor er antwortete, dachte Chakotay über ihre Worte nach. »Sie haben recht«, stimmte er schließlich zu. »Aber es ist unmöglich, unser Verständnis des Universums oder der Existenz selbst zu erweitern und dabei die von Ihnen angesprochenen Einschränkungen zu akzeptieren. Es ist nicht notwendig, dass jede Spezies, der wir begegnen, unsere Sichtweisen teilt. Wahrscheinlich wären unsere Entdeckungsreisen schon vor Langem langweilig geworden, wenn sie es täten. Es sind unsere Unterschiede, die unsere Anstrengungen lohnenswert machen. Wir bemühen uns, die Sichtweisen anderer zu schätzen, selbst dann, wenn wir sie nicht teilen. Uns und diejenigen, die es nicht selbst können, vor schlichten Missverständnissen zu schützen, ist keine idealistische Wahnvorstellung. Wir haben aus erster Hand miterlebt, wie verschiedene Zivilisationen tief sitzenden Hass überwunden und gegenseitige Akzeptanz und Verständnis entwickelt haben. Die Djinari und die Leodt sind ein gutes Beispiel für eine solche Entwickelung. Sich an starre und veraltete Standards zu klammern, schränkt nicht nur den persönlichen Fortschritt anderer ein, sondern auch die eigene Entwicklung.«

»Entschuldigen Sie die Störung, Vorsteherin Cin«, erklang eine Stimme über das Komm-System der Shudka. »General Mattings meldet sich wie verlangt.«

»Stellen Sie ihn durch«, befahl Cin und hob eine Hand, um Chakotay zum Schweigen zu bringen. »General Mattings, haben Sie die Vorbereitungen für den Vorstoß abgeschlossen?«

»Alles wurde Ihren Befehlen entsprechend erfüllt, Vorsteherin.« Mattings’ Stimme klang tief und rau. Auf Chakotay wirkte der General erschöpft, schien sich das aber nicht anmerken lassen zu wollen. Bei ihrer letzten Unterhaltung war Mattings verletzt gewesen. Aber er hatte geschworen, Chakotays Leute zu beschützen, als wären es seine eigenen. Der Captain hatte keinen Grund, daran zu zweifeln, dass sich der General an sein Wort halten würde.

»Sehr gut, General.« Kaum hatte Cin ausgesprochen, öffnete sich die Tür zu ihrem Quartier, und ihr Premierkonsul, der Leodt Lant Dreeg, kam hereingeeilt und stellte sich direkt vor Cin.

»Verzeihen Sie, Vorsteherin, aber ich habe den aktuellsten Bericht der IFK erhalten und kann nicht zulassen, dass Sie das Risiko eingehen, das Abkommen zu gefährden, das vor nicht einmal einem Tag mit so viel Konföderationsblut erkauft wurde. Die Kinara haben, was sie wollen. Sie sind bereit, die Verhandlungen mit uns im guten Glauben fortzusetzen. Sie dürfen nicht zulassen, dass Ihr Urteil in diesem kritischen Moment von Ihrer persönlichen Sorge um Admiral Janeway getrübt wird.«

Die Vorsteherin straffte die Schultern. Hinter ihr versteiften sich ihre Tentakel und blieben weiterhin gestrafft, als sie fragte: »General Mattings, haben Sie das Kommando über die Dritte Calvert übernommen?«

»Ja, Vorsteherin.«

»Warten Sie«, befahl Cin. Ihre hellgrünen Augen fixierten die schwarzen Steine unterhalb von Dreegs Stirnwulst. »Ich weiß Ihre Einwände zu schätzen, Premierkonsul. So wie immer werde ich sie in Erwägung ziehen, bevor ich meine endgültige Entscheidung bezüglich der Kinara treffe. Im Moment benötige ich nichts weiter von Ihnen.«

»Vorsteherin.«

»Lant«, erwiderte Cin scharf, woraufhin er zusammenzuckte. »Bevor meine Mission, Verhandlungen mit der Kinara zu beginnen, überhaupt ihren Anfang genommen hat, haben Sie bereits hinter meinem Rücken eine Vereinbarung getroffen, die dem Wirtschaftskonsortium zugutekommt, aber mit Bedingungen, von denen Sie wussten, dass Ihre Vorsteherin sie nicht akzeptieren würde. Das haben Sie getan, weil Sie mir nicht zutrauen, im Interesse meines Volks zu handeln. Sie haben mich hintergangen. Sie haben Admiral Janeway hintergangen. Sie haben Ihre Befugnisse maßlos überschritten. Das hört hier und jetzt auf. Ihr Rat ist zur Kenntnis genommen. Verlassen Sie mich und behelligen Sie mich nicht wieder, bis ich nach Ihnen schicken lasse.«

»Das Volk der Konföderation …«, setzte Dreeg an.

»Hat mich zu seinem Staatsoberhaupt gewählt«, beendete Cin seinen Satz. »Und das werde ich so lange sein, bis man einen Ersatz für mich wählt.«

Unbeirrt entgegnete Dreeg: »Sie sind sich selbstverständlich dessen bewusst, dass das Konsortium ein Misstrauensvotum gegen Sie einleiten könnte?«

»Das bin ich. Sie sollten die noch vorherrschende Waffenruhe nutzen, um sicher zur Ersten Welt zurückzukehren und dort die notwendigen Stimmen zu sammeln. In der Zwischenzeit werde ich mein Möglichstes tun, um den von Ihnen angerichteten Schaden einzudämmen.«

Dreeg nickte behutsam und ging. Während Chakotay ihm hinterhersah, empfand er neuen Respekt für Vorsteherin Cin. Bis eben hatte er sich gefragt, was Kathryn dazu getrieben haben könnte, so viel für die Konföderation zu riskieren. Endlich fing er an zu verstehen.

»Vorsteherin«, sagte er leise, »wollen Sie der IFK befehlen, Admiral Janeway zu retten, oder geht es nur darum, dem Einfluss der Kinara in diesem Teil des Weltraums ein Ende zu setzen?«

»Das muss ich noch entscheiden. Die Kinara haben angedeutet, dass sie den Admiral wegen seiner früheren Verbrechen gegen sie vor Gericht stellen wollen, und Janeway hat bereitwillig zugestimmt, an dieser Verhandlung teilzunehmen.«

»Nur weil sie befürchtet hat, eine Weigerung würde zur Zerstörung jedes einzelnen IFK-Schiffs in diesem Gebiet führen«, gab Chakotay zu bedenken. »Glauben Sie ernsthaft, man wird ihr einen fairen Prozess bieten?«

»Das bleibt zu sehen.«

»Vorsteherin Cin, wir empfangen eine Übertragung von der Manticle«, meldete die Stimme des Kommunikationsoffiziers.

»Stellen Sie sie in mein Quartier durch«, befahl Cin.

Chakotay drehte sich zu dem großen Bildschirm gegenüber dem Schreibtisch der Vorsteherin. Es kostete ihn jedes bisschen Selbstbeherrschung, dort zu bleiben, wo er war, anstatt auf die Voyager zurückzukehren. Oder, noch besser, mich mit zwei Phasergewehren zu bewaffnen und direkt auf die Manticle zu beamen.

Das hier war der einzige Ort, an dem er sich jederzeit ein Bild von den Reaktionen der Konföderation machen konnte. Nach Beginn der Verhandlung würden ihre Antworten von größter Wichtigkeit sein. Seine Erfahrungen mit General Mattings hatten jegliches Vertrauen in ihm zerstört, er könnte die Entscheidungen der Konföderation vorhersehen. Er hoffte, dass Kathryns Einschätzung der Vorsteherin besser gewesen war.

Ihr Leben hing davon ab.

U.S.S. VOYAGER

Die Türen zum Maschinenraum standen sperrangelweit offen, als sich Lieutenant Harry Kim ihnen näherte und sich mit etwas Mühe durch den konstanten Strom von Leuten schlängelte. Offiziere und Mannschaftsmitglieder hetzten mit frisch replizierten Ersatzteilen und Werkzeugen rein und raus. Niemand nahm sich die Zeit für eine kurze Unterhaltung. Befehle, Anfragen und Berichte wurden über den stetigen Lärm und Aufruhr hinweggebrüllt. Trotz des augenscheinlichen Chaos hatten sie nur ein Ziel: die Voyager so schnell wie möglich wieder einsatzbereit zu machen.

Im Auge dieses Sturms stand Flottenchefingenieurin B’Elanna Torres. Ihr Gesicht und ihre Uniform waren mit Fett beschmiert, ihre Hände flogen über die Konsole, die sich direkt unter dem kombinierten Warp-/Slipstream-Kern befand, der das Herz der Voyager bildete. Die Chefingenieurin des Schiffs, Lieutenant Nancy Conlon, stand auf dem Laufsteg, der den Raum auf der zweiten Ebene umrundete, vor der Tür zu ihrem Büro. Sie unterhielt sich gerade angeregt mit zweien ihrer Untergebenen, die schlau genug waren, einfach nur zu nicken, während sie ihre knappen Anweisungen erteilte.

Sie bemerkte Kim, während er sich auf die zentrale Konsole zubewegte, ließ sich aber nicht von ihren Pflichten ablenken. Ein dermaßen knappes Lächeln, dass er sich nicht sicher war, ob er es sich nicht nur eingebildet hatte, trat kurz auf ihre Lippen. Kim spürte, wie auch er ein wenig freundlicher dreinschaute, und nickte zur Antwort, ohne dabei langsamer zu werden.

An jedem anderen Tag hätten die Geschwindigkeit, die Konzentration und die Hingabe, die Kim hier erlebte, sein Vertrauen in dieses Schiff gestärkt.

Heute belegten sie lediglich die Unsicherheit der gegenwärtigen Situation der Voyager und erinnerten ihn daran, wie knapp sie der Zerstörung entgangen waren.

»B’Elanna«, sagte er leise, überzeugt, dass sie ihn bereits bemerkt hatte.

»Was gibt es, Harry?« Sie sah nicht einmal von ihrer Konsole auf.

»Es ist so weit.«

Ruckartig drehte sie sich zu ihm um.

»Die Manticle hat gerade einen offenen Kanal eingerichtet. Sie fangen in ein paar Minuten an.«

»Haben wir unser Signal abgeschickt?«

Kim nickte. »Die Vesta kümmert sich darum. Ihr Kommunikationssystem ist voll betriebsbereit.«

Torres’ Miene verfinsterte sich. Kim fragte sich, warum sie sich noch nicht auf den Weg in den Besprechungsraum machten. Was könnte sie sonst tun wollen?

Im Moment hängen wir umstellt von feindlichen Schiffen bewegungslos im Raum. Solange ich unsere Schilde nicht wieder hochbekomme, sind wir zu verwundbar, als dass ich meinen Posten verlassen könnte, konnte Kim ihren Widerspruch förmlich hören.

Stattdessen sagte sie: »Ich kann mir das nicht ansehen, Harry.«

Ihre Worte drehten ihm den Magen um. Kim straffte die Schultern. »Du hast Chakotay gehört. Dem Admiral wird nichts passieren.«

»Kann sein«, stimmte Torres zu. »Aber wenn nicht …« Bei diesen Worten wurde sie leiser.

»He.« Kim legte ihr eine Hand auf die Schulter.

»Meine oberste Pflicht gilt der Flotte, diesem Schiff. Ich werde hier gebraucht.«

»In Ordnung.« Auf dem Weg zurück nach Deck eins fühlten sich seine Füße merklich schwerer an.

Als Kim ankam, war Counselor Cambridge der einzige Führungsoffizier, der bereits im Besprechungsraum wartete. Er hatte sich nicht gesetzt, sondern stand mit vor der Brust verschränkten Armen gegen das Schott gelehnt da und starrte den in die Wand eingelassenen Bildschirm an.

Auf einer erhobenen Plattform stand ein langer Tisch, hinter dem fünf Personen saßen. Kim erkannte drei von ihnen: die Voth-Regentin Odala, Inspektor Kashyk von den Devore und den Commander der Skeen, Rigger Meeml. Die anderen waren Offiziere der Turei und der Vaadwaur, die ihm bekannt vorkamen, aber Kim konnte den Gesichtern keine Namen zuordnen.

Als man Admiral Janeway in den Raum führte, spannte Cambridge sich an. Kim wurde schon wieder schlecht, als er den Counselor leise sagen hörte: »Ich habe versucht, sie zu warnen.«

2

MEDIZINISCHE ABTEILUNG DER STERNENFLOTTE, ZUGANGSBESCHRÄNKTER BEREICH

»Hallo, Seven of Nine.«

Seven wagte eine wohlbegründete Vermutung. »Commander.«

Der tief unter dem Hauptquartier der Medizinischen Abteilung der Sternenflotte gelegene Raum enthielt fast fünfzig Stasiskammern und war fast völlig dunkel. Seven stand nur ein paar Meter von dem Mann entfernt, der dafür verantwortlich war, dass sie gefangen genommen und ohne ihre Zustimmung in eine dieser Kapseln verfrachtet worden war. Schlimmer noch, er hatte die Catome, die er ihr nach ihrer Ankunft hatte entnehmen lassen, wochenlang dazu benutzt, rücksichtslose, schmerzhafte und tödliche Experimente an Individuen durchzuführen, die, soweit Seven wusste, keine Opfer der catomischen Seuche gewesen waren. Als man sie gebeten hatte, in den Alpha-Quadranten zurückzukehren, hatte man ihr weisgemacht, dass ihre Hilfe für den medizinischen Stab hier von größter Wichtigkeit wäre. Man hatte sie glauben lassen, dass ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten und ihre einzigartigen Einblicke als ehemalige Borg-Drohne entscheidend sein könnten, um dieser zerstörerischen Seuche Einhalt zu gebieten. Ihre persönliche Sorge für das Wohlergehen einer anderen ehemaligen Drohne, Axum, den man in der Nähe einer Sternenbasis im Beta-Quadranten entdeckt hatte, hatte man gegen sie genutzt. Sie war überzeugt gewesen, dass er in diesem Labor medizinischen Tests unterzogen wurde, die man ohne Weiteres als Folter bezeichnen konnte.

Alles, was man sie hatte glauben lassen, war gelogen. Da war sie sicher nicht bereit, sich dem Verantwortlichen in einem dunklen Raum zu stellen.

»Computer, erhöhe die Umgebungsbeleuchtung«, befahl Seven.

Der Computer piepte nicht einmal zur Antwort auf ihre Forderung.

»Entschuldigen Sie, Seven of Nine«, sagte der Commander. »Unser Zentralprozessor akzeptiert nur Stimmenbefehle von autorisierten Offizieren dieser Abteilung. Sie gehören nicht dazu.«

»Halten Sie Ihre gegenwärtige Position«, forderte Seven. Sie versuchte, sich die Angst, die ihr Herz rasen ließ, nicht anmerken zu lassen. »Befehlen Sie dem Computer, das Licht einzuschalten.«

Das folgende Schweigen dauerte lange genug, dass Seven damit anfing, ihre wenigen taktischen Vorteile durchzugehen. Sie war stark, aber nicht unbedingt stärker als manche Spezies innerhalb der Föderation, und sie wusste nicht, von welchem Planeten der Commander stammte. Außerdem war sie schnell und konnte die Stasiskapseln als Deckung nutzen.

Aber sie hatte ihre Muskeln seit Wochen nicht mehr benutzt. Eine intensive Physiotherapie würde sie innerhalb von Tagen wiederherstellen, aber sie bezweifelte, dass ihr der Commander diese Zeit geben würde.

Plötzlich hörte sie eine Stimme so deutlich, dass sie einen Moment benötigte, um zu erkennen, dass sie nur in ihrem Kopf existierte. »Verstärke deine sensorischen Prozessoren«, schlug die Stimme vor.

Axum. Selbst hier, in der realen Welt, bestand ihre catomische Verbindung weiter. Er konnte nur durch sie zusehen, aber das machte seine Beobachtungen nicht weniger wertvoll. In der Gestalt – die durch ihre Catome erschaffen worden war, während sie beide in Stase gelegen hatten – hatten sie gemeinsam auf eine virtuelle Realität zugegriffen. Da sie nun bei Bewusstsein war, würden ihre Catome ohne Zweifel eine Weile brauchen, um sich anzupassen. Aber irgendwann könnte es sein, dass sie nach freien Stücken in diese Gestalt zurückkehren konnte.

Nützliche Informationen, aber nicht so hilfreich wie Axums einfacher Vorschlag.

Seven vertraute ihren Catomen nicht so bedingungslos, wie Axum es tat. Sie hätte es bevorzugt, an einem ruhigen, sicheren Ort mehr über ihre Möglichkeiten herauszufinden. Aber nun war nicht der richtige Zeitpunkt zum Zweifeln.

Seven schloss kurz die Augen, befahl ihren Catomen, ihr das zu zeigen, was sie nicht sehen konnte. Als sie die Augen wieder öffnete, spielte es keine Rolle mehr, dass die einzige Beleuchtung des Raums von den schwach glimmenden Kontrolltafeln der Stasiskammern stammte. Genauso gut hätte es helllichter Tag sein können. Zusätzlich hörte sie die leisen Schritte des Commanders, der sich ihr näherte, wie Donnerschläge. Das Klicken des Hyposprays in seiner Hand war ein deutliches Knacken.

Augenblicklich hob sie den linken Arm, um die Hand des Commanders beiseitezuschlagen. Sie warf sich mit dem ganzen Gewicht in die entgegengesetzte Richtung und drückte den überraschten Mann mit der linken Hand zu Boden. Um ihn festzuhalten, stieg sie rittlings auf ihn, legte im beide Hände an die Kehle und schränkte seine Luftzufuhr ein, ohne sie allerdings ganz zu unterbrechen. Das Hypospray war unterdessen irgendwo auf den Boden gefallen.

Jetzt, da sie ihn sehen konnte, fragte sich Seven, wie sie einen derart kleinen Mann jemals hatte fürchten können. Er war menschlich. Schweiß lief ihm in Strömen über den glatt rasierten Kopf. Seine kleinen, dunklen Augen traten aus den Höhlen hervor. Die Knollennase und die dünnen Lippen waren das Auffälligste in seinem Gesicht. Einen Moment lang schlug er hilflos nach Seven, bevor er es aufgab und stattdessen versuchte, ihre Hände von seinem Hals zu lösen.

»Widerstand ist zwecklos.« Früher waren diese Worte die herkömmliche Begrüßung der Borg gewesen, heutzutage dachte sie nur noch selten an sie, aber unter den gegebenen Umständen waren sie äußerst angemessen.

Sie spürte, wie er sich unter ihr entspannte und den linken Arm zur Brust bewegte. Als sie erkannte, was er vorhatte, löste sie die rechte Hand von seiner Kehle, nahm den Kommunikator von seiner Uniform und warf ihn weg. Die Bewegung brachte sie lange genug aus dem Gleichgewicht, dass er sich nach vorne rollen konnte. Sie schlug mit dem Kopf seitlich gegen die nächste Stasiskammer, ließ seinen Hals los.

Ihm fehlte die Kraft, um allzu weit davonzukriechen. Er schaffte es gerade mal, sich auf Hände und Knie hochzustemmen und nach Luft zu schnappen, bevor Seven wieder über ihm war und ihn mit dem Gesicht voran auf den Boden warf. Sie stieg über ihn hinweg und stützte sich an der Stasiskammer ab, um auf die Füße zu kommen. Atemlos stand sie über ihm, aber das Adrenalin raste noch immer durch ihre Adern, während er sich wieder auf die Knie erhob und zu ihr aufsah.

»Was …«, krächzte er, räusperte sich und versuchte es erneut. »Was hoffen Sie damit zu erreichen?« Sein Atem ging stoßweise. »Wenn Sie mich töten, verbringen Sie den Rest Ihres Lebens wegen Mordes in einer Haftanstalt der Föderation. Ergeben Sie sich und kehren Sie in die Stase zurück, und sobald die catomische Krise überwunden ist, werden Sie freigelassen.«

»Und wie viele wollen Sie bis dahin mit den Catomen töten, die Sie mir zu Forschungszwecken entnommen haben? Möglicherweise sollte ich mein Glück vor einem Gericht der Föderation versuchen.«

»Ich habe niemanden getötet«, erwiderte er so aufrichtig, dass es ihr schwerfiel, ihm nicht zu glauben. Ihre Erinnerungen an die vergangenen Wochen widersprachen ihm, aber sie war noch nicht in der Lage, mit Sicherheit zu unterscheiden, welche davon echt und welche das Ergebnis der catomischen Albträume waren.

»Ich habe Ihre Experimente gesehen, Commander. Ich habe den Schmerz Ihrer Opfer gespürt, als ihr Körper die von Ihnen injizierten Catome abgestoßen hat, als die atomaren Verbindungen ihrer Moleküle desintegriert sind. Ich habe gesehen, wie Sie ihre Überreste bestrahlt haben. Inzwischen bin ich mir nicht einmal mehr sicher, ob Sie überhaupt noch versuchen, die catomische Seuche zu heilen.«

Er erblasste. »Wie?«, wollte er wissen.

»Seit wann untersuchen Sie Caeliar-Catome?« Er antwortete nicht auf ihre Frage, aber sie versuchte aufgrund seiner Weigerung einmal zu raten. »Seit der Transformation der Borg?«

Mittlerweile atmete er fast wieder normal, und in seinen Augen erkannte sie sowohl Misstrauen als auch Verzweiflung.

»Sie versuchen, die Programmierungszugänge zu öffnen, über die jedes Catom verfügt, aber ihre Komplexität übersteigt Ihre derzeitigen Fähigkeiten«, fuhr Seven fort. »Sie machen kleinste Veränderungen und testen sie an lebenden Patienten. Keiner Ihrer Versuche war erfolgreich. Jedes Catom verfügt über eine Billion Knoten, Commander, und Sie haben nicht einmal ansatzweise herausgefunden, wo sie sich alle befinden und wie sie miteinander interagieren. Sie können nicht so viele Leute töten, ohne dass jemand anfängt, Ihre Methoden infrage zu stellen, und das wissen Sie. Sie haben recht damit, dass ein korrekt umprogrammiertes Catom ein fehlerhaftes mit Leichtigkeit zerstören kann, selbst nachdem es sich mit einer viralen oder bakteriellen Lebensform verbunden hat. Aber ohne meine Hilfe werden Sie dieses Ziel nie erreichen.«

Während sie sprach, war die Miene des Commanders versteinert. Ohne sie um Erlaubnis zu fragen, legte er eine Hand an die nächste Stasiskammer und zog sich daran hoch.

»Dann helfen Sie mir.«

Niemals, dachte Seven, schwieg aber. Er interessierte sich bereits für den Köder.

»Das habe ich immer vorgehabt«, antwortete sie stattdessen.

»Ich wusste nicht, dass Sie überhaupt damit angefangen haben, Ihre Catome zu untersuchen«, gab der Commander zu. »Nichts in Ihren Dateien oder den Forschungsberichten des holografischen Doktors hat darauf hingedeutet, dass Ihr Verständnis meines so sehr übersteigt.«

Das war nicht wirklich Sevens Verdienst. Weder sie noch der Doktor hatten gewagt, sich derart tiefgreifend mit den Geheimnissen der Partikel zu befassen, die sie seit der Transformation der Borg durch die Caeliar am Leben hielten. Sie hatten nur sporadisch daran gearbeitet, wenn es die Umstände verlangt hatten. Aber Axum hatte seine catomische Natur ohne Zurückhaltung erforscht. Flüchtig hatte er mit ihr über seine Erkenntnisse gesprochen. Erkenntnisse, die sie nur in ihren Grundzügen begriff.

»Der Doktor und ich haben befürchtet, dass eine Veröffentlichung unserer Arbeit nur zu Umständen wie diesen führen würde, in denen ich mich derzeitig befinde. Für Sie bin ich keine Person mit Rechten, ich bin ein Forschungsobjekt. Ich wollte nie der Gnade von Männern wie Ihnen ausgeliefert sein.«

»Verzeihen Sie mir!«, bat der Commander. »So viele sind gestorben. So viele mehr werden sterben, wenn ich meine Arbeit nicht beenden kann. Sie und die anderen sind für die Fortsetzung meiner Forschung von elementarer Bedeutung.«

»Haben Sie uns darum gleich nach unserer Ankunft in Stase versetzt?«

»Ich benötigte weiteren Zugriff auf Ihre Catome. Ich nahm an, dass Sie mir abgesehen davon nicht helfen würden oder könnten.«

»Ich schlage vor, das nächste Mal fragen Sie«, entgegnete Seven.

Der Commander ließ den Kopf hängen und bewegte ihn langsam vor und zurück. Als er wieder aufsah, nickte er und überdachte sichtlich seine Prioritäten. »Ich lasse ein Labor und ein Quartier für Sie vorbereiten.«

»Zuerst werden Sie meine Bedingungen erfüllen.«

»Bedingungen?«

»Ich bin freiwillig hergekommen. Ich habe Ihnen freiwillig meine Catome überlassen. Axums Status ist ungeklärt und wird es wahrscheinlich so lange bleiben, bis Sie sich dazu entschließen, ihn gehen zu lassen. Riley Frazier hat ebenfalls, wenn auch unter Zwang, zugestimmt, der Medizinischen Abteilung der Sternenflotte behilflich zu sein. Aber beim Rest ihrer Leute und deren Kindern sieht die Sache anders aus. Man hat Riley versprochen, dass man sie hier auf der Erde an einen sicheren Ort bringt, bis sie diese Einrichtung verlassen darf. Diesem Versprechen sind Sie nicht nachgekommen. Das wird sofort korrigiert.«

»Woher wissen Sie das alles?«

»Genügt die Tatsache, dass ich es weiß, um Sie davon zu überzeugen, keine weitere Zeit mehr zu verschwenden?«

»Ich benötige für meine Arbeit so viele Catome wie nur möglich«, antwortete der Commander.

»Nicht mehr«, korrigierte ihn Seven. »Sie stellen augenblicklich sämtliche Experimente mit den Catomen ein, die Sie den Bewohnern von Arehaz entnommen haben. Bis zu meiner Rückkehr können Sie mit meinen, Axums und Rileys arbeiten.«

»Wohin gehen Sie?«

»Sie werden Rileys Leute aus diesen Kapseln lassen und sie für den Transport vorbereiten. Ich werde diese Einrichtung sofort verlassen und mich darum kümmern, dass für ihr Wohlergehen gesorgt ist, bis unsere Arbeit beendet ist. Dafür werden Sie sie meiner Obhut überstellen, und sobald sie sicher jenseits Ihrer Reichweite sind, werde ich zurückkommen und Ihnen alle notwendigen Informationen geben, um die catomische Seuche zu heilen.«

Der Commander dachte über die Forderung nach. »Wie lange wird das dauern?«

»Zehn Tage«, schätzte Seven.

»Und wenn ich mich weigere?«

»Sie können mich wieder in Stase versetzen. Aber Sie können mich nicht dort halten. Ihre Lebenszeit reicht nicht aus, damit Sie selbst herausfinden könnten, wie Sie auch nur ein einziges Catom programmieren können. Stimmen Sie meinen Bedingungen zu, die ohnehin nur das bereits von Ihnen gegebene Versprechen einfordern, und ich werde zurückkommen, ohne Ihren Vorgesetzten meinen Verdacht zu melden, dass Sie hier etwas Illegales tun. Ich werde jegliche Tests über mich ergehen lassen, die Sie benötigen. Sämtliche Informationen, über die ich derzeit verfüge, werde ich mit Ihnen teilen. Axum und Riley bleiben, um sicherzustellen, dass ich mich füge. Sobald ich zurück bin, werden wir dieses Problem binnen Tagen lösen.«

»Sobald Sie diese Einrichtung verlassen, wird man Sie überwachen. Alles, was Sie tun, wird beobachtet werden«, verlangte er.

Das können Sie versuchen, dachte Seven.

»Es gibt nicht viele auf der Erde, denen ich vertrauen kann, dass sie mir helfen werden. Ich werde nur mit …«

»Commander Paris und Doktor Sharak Kontakt aufnehmen«, beendete der Commander ihren Satz.

Seven nickte. »Ja.«

»Wo bringen Sie diese Leute hin?«

»Das geht Sie nichts an.«

»Und wenn Sie nicht innerhalb von zehn Tagen zurück sind?«

»Ich habe Ihnen mein Wort gegeben, Commander. Im Gegensatz zu Ihnen ist mir das etwas wert.«

Der Commander trat vor. Seven wich automatisch zurück, als er ihr die rechte Hand entgegenstreckte. Erst als sie begriff, was er vorhatte, ergriff sie sie. Es überraschte Seven nicht, wie kalt und feucht sich die Handfläche anfühlte.

»Noch etwas, Commander«, sagte Seven, während sie ihm hastig die Hand schüttelte und den Griff dann löste.

»Ja?«

»Mit wem habe ich es zu tun?«

»Meine Familie nennt mich Jefferson. Meine Kollegen nennen mich Doktor Briggs. Diejenigen, die in diesem Labor arbeiten, nennen mich Commander.«

Seven nickte. »Nun gut, Commander. Sie können mich Seven nennen. Der Rest meiner Bezeichnung ist nicht länger zutreffend.«

MONTECITO, NORDAMERIKA

»Mom?«, rief Tom Paris noch mal.

Er stand auf der Veranda ihres Zuhauses, eines großen, im Ranch-Stil gehaltenen Gebäudes, das sich seit Generationen im Besitz der Familie Paris befand und das seine Mutter vor fast einem halben Jahrhundert nach ihren eigenen Vorstellungen hatte umbauen lassen. Sie hatte sich ausgemalt, dass Generationen von Paris an diesem geräumigen Ort ihren Urlaub und verlängerte Wochenenden verbringen und gemeinsam glückliche Erinnerungen schaffen würden. Diese Träume hatten durch den Tod ihres Ehemanns während der Borg-Invasion und die Tatsache, dass ihre Töchter ihr keine Enkel geschenkt hatten, einen Dämpfer erhalten.

Möglicherweise hatte Tom endlich bei seiner Mutter ein paar Bonuspunkte gegenüber ihren Lieblingen Kathleen und Moira sammeln können, als er Julia eine Enkeltochter geschenkt hatte, Miral. Dass seine Frau B’Elanna gerade mit Julias Enkelsohn schwanger war, wäre normalerweise der gesamten Föderation verkündet worden, und seine Geburt hätte eine Feier mit mindestens eintausend Gästen verlangt. Aber all diese Hoffnungen waren verpufft, seit Julia erfahren hatte, dass ihr Sohn sie über den Tod seiner Frau und seiner Tochter angelogen hatte; einen Tod, den man vorgetäuscht hatte, um eine uralte fanatische klingonische Sekte davon abzuhalten, Miral zu töten, weil sie befürchtete, diese wäre irgendeine Art von klingonischem Messias. Julias Enttäuschung war dermaßen groß gewesen, dass sie tatsächlich versucht hatte, über das Familiengericht der Föderation das Sorgerecht für Miral zu bekommen.

Der Schlichter hatte zu Toms Gunsten entschieden und damit seine aktuellsten Probleme beigelegt. Aber als er bei der Urteilsverkündung die Miene seiner Mutter gesehen hatte, hatte er Angst um sie bekommen. Sobald sein Anwalt und er den notwendigen Papierkram erledigt hatten, war Paris nach Montecito gebeamt, um sich zu vergewissern, dass seine Mutter keine weiteren undenkbar dummen Entscheidungen traf.

»Mom, ich weiß, dass du da drin bist«, sagte Paris, während er mit der einen Hand auf die Klingel drückte und mit der anderen den schweren Messingtürklopfer benutzte.

Schließlich öffnete sich die Tür einen Spaltbreit. Aber das Gesicht seiner Mutter konnte er nicht erkennen. Alles, was er sehen konnte, war eine stabile Eisenkette, die die Tür sicherte. Es wäre viel Kraft notwendig, um die Tür vollends aufzubrechen. Oder ein Phaser.

»Mom«, sagte Paris erneut.

»Verschwinde, Tom!«

»Das werde ich nicht.«

»Ich habe dir nichts mehr zu sagen.«

»Ich dir dafür umso mehr. Lass mich rein!«

»Nein.«

Paris wandte der Tür den Rücken zu und lehnte sich dagegen. »Wir werden das nicht so auf sich beruhen lassen, Mom. Ich mache mir Sorgen um dich. Ich weiß, dass du den Gang zum Familiengericht für das Richtige gehalten hast. Es wird dauern, aber ich werde es B’Elanna begreiflich machen. Ich verspreche dir, du wirst Miral und das Baby sehen, sobald die Flotte aus dem Delta-Quadranten zurückkommt. Aber ich kann meine Pflichten dort draußen nicht erfüllen, solange ich nicht weiß, dass es dir gut geht, und im Moment weiß ich das nicht. Im Moment jagst du mir eine Heidenangst ein.«

»Ich komme schon klar.«

»Mom.«

»Gehe einfach, Tom!«

»Was hast du vor?«

»Was meinst du?«

»Was willst du tun, wenn ich gehe?«

»Meinen Tee fertig trinken.«

»Und danach?«

»Ich wollte noch etwas lesen.«

»Und morgen?«

Es folgte langes Schweigen. Schließlich gab Julia zu: »Ich weiß es nicht.«

»Genau das meine ich, Mom. Du hast noch viele Jahre vor dir und du wirst sie nicht damit ausfüllen können, zu babysitten oder dich um Dad zu kümmern. Such dir etwas Neues.«

»Mach dich nicht lächerlich!«

»Mache ich nicht. Du bist einer der rastlosesten Menschen, denen ich jemals begegnet bin. Da bist du genau wie ich: Du kannst nicht einfach nur herumsitzen. Du brauchst etwas Konstruktives, auf das du dich mit all deiner Zeit und Energie stürzen kannst. Es ist dir nicht möglich, einfach in diesem großen alten Haus herumzusitzen, Tee zu trinken und die Nachrichten anzusehen. Du brauchst …«

»Thomas Eugene Paris«, schnitt sie ihm das Wort ab. Die Heftigkeit ihres Tonfalls ließ ihn Haltung annehmen.

»Was?«

»Du musst dir meinetwegen keine Sorgen machen. Jetzt geh einfach. Bitte!«

Paris drehte sich wieder zur Tür um. Als er die Hände hob, um sie zu berühren, da er seine Mutter nicht berühren konnte, schloss sich die Tür hastig vor seinem Gesicht.

Paris schüttelte den Kopf. Als Jugendlicher hatte er es immer wieder geschafft, über einen der großen Mesquitebäume auf der Nordseite des Gebäudes auf das Dach zu klettern. Wenn er sich vor dem Aufstieg einen ausreichend großen Stein einsteckte, könnte er das Fenster seines alten Schlafzimmers einschlagen. Er hatte die Terrasse verlassen und suchte gerade die niedrige Hecke ab, die um die Veranda herumlief, als sein Kommunikator zirpte.

»Sternenflottentransporterkontrolle an Commander Paris.«

»Sprechen Sie«, bestätigte er.

»Wir wurden aufgefordert, Sie sofort nach San Francisco zu beamen, Gitter vier-neun-sieben.«

Wo ist das denn?, fragte er sich. »Von wem?«

»Constance Goodheart.«

»Entschuldigen Sie, können Sie das wiederholen?«

»Constance Goodheart«, antwortete der Offizier.

Paris kannte den Namen. Constance Goodheart war die leidgeprüfte Assistentin von Captain Proton. Aber wie auch der Captain selbst, war sie nur ein Charakter in einem von Toms liebsten Holodeck-Programmen. In den Jahren, die er bereits auf der Voyager diente, hatte er zusammen mit Harry Kim zahllose Stunden mit diesem Programm verbracht; dabei hatten viele Frauen die Rolle von Constance übernommen. Aber von denen würde ihn keine jetzt kontaktieren.

Außer …

»Ich bin bereit für den Transport«, sagte er hastig. »Fangen Sie an!«

Zwischen ihm und seiner Mutter war das letzte Wort noch nicht gesprochen, aber auf der Erde gab es eine andere Person, die ihn möglicherweise dringender brauchte als Julia.

Nachdem der Transport abgeschlossen war, fand er sich in einem riesigen Park wieder, den er sofort erkannte. Er hatte hier in den Jahren zwischen den Reisen der Voyager in den Delta-Quadranten mehr Zeit verbracht, als er wahrhaben wollte. Aber wo könnte sie sein?

Während er zwischen den Denkmälern im Föderationspark suchte, fiel ihm eine große leuchtende Kugel auf. Es war das Mahnmal, das man für die an das Omega-Kontinuum verlorenen Schiffe errichtet hatte. Selbst im schwindenden Tageslicht brannte es so hell wie ein neugeborener Stern.

Sie saß neben dem Sockel und trug einen großen, flauschigen Wollschal, der handgestrickt aussah. Unsicher stand sie auf, als er fragte: »Seven?«

Trotz des schweren Schals zitterte sie. Seven war eine gute Freundin und eine der stärksten Personen, die Paris jemals kennengelernt hatte. Es war kühl, an der Westküste Nordamerikas war noch nicht einmal der Frühling angebrochen, aber er bezweifelte, dass sie deswegen zitterte.

»Was ist passiert?«, fragte er. »Wo waren Sie?«

Das Letzte, was er gehört hatte, war, dass Seven bei ihrer Arbeit in einem zutrittsbeschränkten Bereich der Medizinischen Abteilung der Sternenflotte einem tödlichen Virus ausgesetzt gewesen war und dass man sie deswegen in Stase versetzt hatte. Er hatte gehofft, bald zu hören, dass man sie wieder entlassen hatte. Sie nun hier zu treffen, ergab keinen Sinn.

»Entschuldigen Sie, Commander. Die letzten Tage waren gewissermaßen desorientierend.«

»Schon in Ordnung«, versicherte er ihr. »Setzen Sie sich.« Er deutete auf den Steinsockel unter dem Flottendenkmal.

Sie kam dem nach, und er setzte sich zu ihr. »Ihre Hände sind ja wie gefroren.« Er nahm sie zwischen seine und versuchte sein Möglichstes, ihr etwas Wärme zu spenden. Als sie nicht antwortete, fragte er: »Wo haben Sie den Schal her?«

»Er hat meiner Tante gehört. Ich habe ihn immer dabei, aber ich denke nie daran, ihn umzulegen. Nach den vergangenen Wochen brauchte ich etwas Greifbares, das mir gehört. Ich brauchte …« Sie verstummte, und Tränen traten ihr in die Augen.

»Ist Ihre Arbeit beendet? Ist die Seuche geheilt?«

Seven schüttelte den Kopf.

»Seven, reden Sie mit mir!«

Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen. »Wo ist Doktor Sharak?«

»Er ist vor über einer Woche mit Sam Wildman in einem Shuttle nach Coridan geflogen. Mittlerweile sollten sie zurück sein. Ich habe seit ihrem Abflug von keinem von beiden etwas gehört.«

Seven blinzelte heftig, während sie dem Rätsel, das sie zu lösen versuchte, diese neuen Informationen hinzufügte. »Dann kann er uns nicht helfen.«

»Uns? Was werden wir … Ich meine, wobei brauchen wir Hilfe?«

Langsam begann sie zu erklären. Während sie die Geschichte vortrug, wechselte Paris von Unglauben zu Schrecken und schließlich empfand er nichts als betäubende Wut.

»Sie haben Commander Briggs erst heute Morgen getroffen?«, fragte er schließlich.

»Er hatte nie vor, mich um Hilfe zu bitten. Er wollte nur meine Catome, unsere Catome.«

»Er hat Sie wochenlang in Stase gehalten?«

»Ja.«

»Und Sie sind sich sicher, dass diese Experimente nicht dafür vorgesehen sind, die Seuche zu heilen?«

»Kann sein, dass er das auch vorhat, aber was ich gesehen habe, deutet darauf hin, dass er viel mehr vorhat.«

Paris nickte. »Also treffen wir uns als Nächstes mit dem Chef der Medizinischen Abteilung der Sternenflotte.«

»Nein«, widersprach Seven.

»Briggs setzt sich über seinen Eid gegenüber der Sternenflotte und seinen hippokratischen Eid hinweg. Man muss ihm das Handwerk legen. Heute noch.«

»Wie kommen Sie darauf, dass die Medizinische Abteilung nicht bereits weiß, was er tut? Er arbeitet mit Dutzenden Offizieren zusammen, und ihre vorgesetzten Offiziere müssen Berichte über ihre Experimente erhalten und sie genehmigen.«