Tabu Liebe verlässt dich nie - Ute Dombrowski - E-Book

Tabu Liebe verlässt dich nie E-Book

Ute Dombrowski

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Beschreibung

Katja und Daniel beginnen ein neues Leben in Südfrankreich. Endlich scheint alles so zu sein, wie die beiden es sich immer erträumt haben. Da bringt ein grausames Unglück Katjas Welt ins Wanken. Wird sie den schweren Schicksalsschlag verkraften? Wahre Freunde helfen ihr beim Weg zurück ins normale Leben. Sie trifft alte Bekannte wieder und lernt neue Menschen kennen. Lesen Sie die Fortsetzung einer wunderbaren und doch so dramatischen Liebesgeschichte.

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Seitenzahl: 307

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Ute Dombrowski

Tabu Liebe verlässt dich nie

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

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Tabu

Liebe verlässt dich nie

Ute Dombrowski

1. Auflage 2017

Copyright © 2017 Ute Dombrowski

Umschlag: Ute Dombrowski

Titelfoto: Lisa Kabel

Lektorat/Korrektorat: Julia Dillenberger-Ochs

Satz: Ute Dombrowski

Verlag: Ute Dombrowski Niedertiefenbach

Druck: epubli

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors und Selbstverlegers unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Die Sonne schien am Samstag wie auf Bestellung herrlich. Es wehte eine leichte Brise. Daniel war um acht Uhr zu Thea und Richard gefahren. Die beiden hatten ihn die ganze Fahrt über mit Fragen gelöchert, aber Daniel hatte geschwiegen. Er war gespannt wie ein kleiner Junge auf die Reaktion seiner Eltern, die heute ihren Hochzeitstag hatten.

Thea und Richard waren für ihn das Traumpaar schlechthin. Es hatte nie gravierenden Streit gegeben. Selbst wenn sie einmal nicht einer Meinung waren, hatten sie die Sache mit Anstand ausdiskutiert. Für Thea gab es keinen besseren Mann als Richard, sie hatten das gelebt, was sie auch Daniel mitgegeben hatten: In dieser Familie werden die Frauen geliebt und verwöhnt.

Richard war mit seiner Thea in dreißig Jahren Ehe immer glücklich gewesen. Sie stand hinter ihm und seinen Entscheidungen und in den wichtigen Momenten des Lebens hatte sie ihm den Rücken freigehalten. Im Weingut hatte sie sich direkt mit eingebracht und immer hart gearbeitet.

An ihrem Ehrentag sollten sie nun einmal die sein, die verwöhnt wurden. In der Villa wurden sie von Marie, Katja und Karim mit großer Freude begrüßt und umarmt. Sie setzten sich zu einem Glas Champagner auf die Terrasse.

„Liebe Eltern“, begann Daniel feierlich, „wir gratulieren euch recht herzlich zu eurem Hochzeitstag. Dreißig Jahre Liebe, das ist auch mein Ziel. Ich bin sehr froh, dass ich euer Sohn bin. Heute wollen wir euch einen ganz wunderbaren Tag bereiten.“

Karim setzte fort: „Zuerst fliegen Daniel und ich mit euch nach Fréjus, wo es ein ganz besonderes Geschenk geben wird. Danach geht es weiter nach Nizza. Tante Marie hat Joshua beauftragt, euch mit der Jacht dorthin zu schippern, wo ihr hin möchtet. Ihr könnte an Bord exzellent speisen und euch verwöhnen lassen.“

Marie ergänzte: „Am Abend bringt euch Joshua nach Toulon, wo ich euch abhole. Später kommen wir hier für einen gemütlichen Ausklang zusammen.“

Katja erklärte zum Abschluss: „Wir werden mit euch feiern, bis der Tag vorbei ist und ich fahre euch heim in euer Bettchen. Jetzt wünschen wir euch viel Spaß! Auf euer Wohl!“

Thea hatte Tränen der Rührung in den Augen, als sie sich bedankte. Richard war ganz still geworden, er lächelte versonnen. Sie erhoben ihre Gläser und stießen auf das Wohl von Thea und Richard an.

Danach küsste Daniel Katja und sagte: „Bis nachher, mein Engel. Ich liebe dich sehr und ich hoffe, wir sind mehr als dreißig Jahre glücklich.“

„Auf jeden Fall.“

Sie zog ihn noch einmal zu einem innigen Kuss heran.

Auch Karim schaute ihr zum Abschied tief in die Augen und küsste zärtlich ihre Wange. Er musste daran denken, dass sie auch seine Frau hätte sein können. Katja umarmte ihn.

Dann winkten Thea und Richard fröhlich und stiegen zu Karim und Daniel in den Helikopter. Katja eilte zu Marie und Francoise in die Küche. Es gab viel zu tun.

*

Thea und Richard hielten sich im Helikopter an den Händen, so glücklich waren sie und voller Stolz auf ihre Familie, die ihnen so einen schönen Tag schenken würden. Richard liebte das Meer und hatte schon länger bereut, dass er nicht wenigstens den Bootsführerschein gemacht hatte. Dann hätte er sich ein Boot gekauft und wäre mit Thea um die Welt gefahren. Deshalb war die Bootstour für ihn eine ganz besondere Freude.

Kurz nach dem Abflug hatten Daniel und Karim sich abgeklatscht und über den gelungenen Plan gefreut. Jetzt ratterte der Helikopter dem Chateau in Fréjus entgegen.

Als sie landeten, wurden sie schon von Sharya erwartet. Sie umarmten sich, an der breiten Treppe kam ihnen der Rest der Familie Heise entgegen und gratulierte. Thea und Richard waren sehr gespannt, was für ein besonderes Geschenk hier wohl auf sie warten würde. Nun ging Sharya mit ihnen um das Haus herum und öffnete die Tür zum Weinkeller.

Daniel lief voraus, Karim war am Helikopter geblieben. Thea und Richard hielten sich an den Händen, als sie die Treppe hinabstiegen. Auf einem Tisch mit weißem Tischtuch stand ein Rosenstrauß. Daneben hatte Sharya eine der Flaschen aufgestellt, die extra für heute vorbereitet waren. Diese Flasche zeigte sie nun den beiden und Daniel erklärte, dass sie den Wein schon einmal getrunken hatten.

„Oh ja!“, rief Thea. „Das ist der Wein von unserer Hochzeit. Ach, Schatz, mein lieber Mann, das ist wunderbar.“

Schon wieder liefen ihr Tränen der Rührung über die Wange. Richard nahm seine Frau in den Arm und küsste sie. Sharya öffnete die Flasche und goss allen ein Glas ein. Sie stießen an und freuten sich gemeinsam über dieses Geschenk. Daniel strahlte und war glücklich, dass er so viel Liebe in den Gesichtern seiner Eltern sah.

Thea erzählte von der Hochzeit vor dreißig Jahren. Richard betrachtete das Hochzeitsbild auf dem Etikett und schmunzelte.

Er sagte zu Thea: „Du siehst noch genauso toll aus wie damals und ich liebe dich genauso sehr.“

„Ja, mein Schatz, die Liebe hält einen eben jung.“

Jetzt drängte Daniel zur Eile. Er und Richard nahmen je eine Kiste Wein, die dritte fassten Thea und Sharya zusammen an. Karim verstaute den Schatz im Helikopter und sie verabschiedeten sich herzlich von der Familie Heise.

Karim flog an der Küste entlang. Die roten Felsen des Esterel-Gebirges, das sich bei Saint-Raphaël erhob und auf einer Landzunge ins Meer hineinwuchs, waren besonders auffällig und sehenswert. Der höchste Gipfel war über sechshundert Meter hoch. Rechterhand glitzerte das Meer in der Sonne. Zwei Jachten lagen wie Spielzeugschiffe in Küstennähe vor Anker.

Als sie um die Landspitze des Pointe de l’Esquine de l’Ay herum an den Bergen entlang flogen, erfüllte plötzlich ein kratzendes, knatterndes Geräusch den Helikopter. Karim und Daniel sahen sich unsicher an. Karim zuckte mit den Schultern und warf einen Blick auf die Instrumente, aber es schien alles in Ordnung. Daniel hatte ein Gefühl der Angst gepackt. Er fror trotz der Wärme und bemerkte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Karim blickte immer wieder unruhig auf die Instrumente und spürte, wie schwerfällig die Maschine wurde.

Plötzlich wurde der Helikopter heftig zur Seite gerissen. Karim versuchte mit aller Kraft, die unkon­trollierte Bewegung abzufangen, aber es gelang ihm nicht. Mit Entsetzen sah er, wie einer der Rotorflügel an ihnen vorbei in die Tiefe stürzte. In dem Moment wusste er, dass sie sterben würden.

„Nein, bitte nicht“, flehte er leise.

Thea schrie und alle versuchten sich irgendwo festzuklammern.

Mit einer wilden Drehung driftete der Helikopter in Sekundenschnelle nach links ab und schlug mit voller Wucht ins Felsmassiv ein. Er explodierte sofort und wurde in einem Meer aus Flammen in Stücke gerissen. Unendlich viele brennende Teile stürzten wie ein Feuerregen in die Tiefe.

Dann herrschte undurchdringliche Stille.

*

Die Personen auf den beiden aneinander befestigten Jachten hatten dem Helikopter zugeschaut. Eine Frau hatte gewunken. Ihr Mann hatte ihr einen Vogel gezeigt und gesagt, dass die Leute dort oben sie sowieso nicht sehen würden. Was sie danach beobachtet hatten, ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren.

Der Helikopter hatte einen heftigen Schlenker gemacht. Kurz danach war einer der Rotorflügel einfach abgerissen und weggeflogen.

Die Menschen auf den beiden Booten hatten vor Angst und Entsetzen zu schreien begonnen. Einen Moment später krachte der Helikopter in die Felsen und explodierte. Die Frauen weinten, nur einer der Männer blieb ruhig und ging direkt ans Funkgerät.

Er informierte die Polizei über den Absturz und löste damit eine große Aktion aus. Drei Rettungshubschrauber kreisten über der Absturzstelle, Retter seilten sich ab und versuchten, an der Unglückstelle noch ein Fünkchen Leben zu finden.

Vergebens.

Brennende oder verkohlte Wrackteile lagen über eine riesige Fläche zwischen den Bergen verteilt. Von den Menschen im Helikopter war nur Asche geblieben. Mühevoll suchte man nach Spuren, aber das Feuer hatte alles, was nicht bei der Explosion zerrissen worden war, vernichtet. Die Polizei kam mit einem kleineren Schiff zu den beiden Jachten und befragte die Menschen an Bord. Die Frauen waren erschüttert und konnten kaum reden, der Kapitän der „L’amour de ma vie“ aber schilderte ausführlich und relativ gefasst, was er gesehen hatte.

Überall, an Land, auf dem Wasser und in der Luft kommunizierten die Polizisten und Rettungskräfte per Funk miteinander. Sie fanden heraus, wem der Helikopter gehörte, wer an diesem Tag damit geflogen war und dass sie von Sanary-sur-Mer aus aufgebrochen waren nach Nizza, mit einem Zwischenstopp in Fréjus. Sie fanden heraus, dass sich an Bord des Helikopters vier Personen befunden hatten: Karim al Garegh, der Pilot, außerdem Daniel Hardeg, Thea Hardeg und Richard Hardeg.

Zwei Polizisten machten sich auf den Weg nach Sanary-sur-Mer, um die Hinterbliebenen von dem traurigen Ereignis in Kenntnis zu setzen, gleichzeitig mit ihrem Fahrzeug kam ein Notarzt mit einem Rettungswagen in der Villa an.

*

Katja und Marie hatten sich in der Küche an die Arbeit gemacht. Francoise war noch einmal losgefahren, um die restlichen Lebensmittel abzuholen, die Marie bestellt hatte.

Katja hatte einen Hefeteig mit Oliven und Tomaten geknetet, um daraus ein Brot zu machen. Plötzlich beschlich sie ein ungutes Gefühl der Unruhe. Sie konnte nicht genau sagen, woher es kam, aber es breitete sich unaufhörlich in ihr aus. Es war, als würde irgendwo etwas passieren, was nicht richtig war.

Sie schüttelte sich und schob den Gedanken weg.

Am Mittag schaute Katja auf die Uhr über dem Küchenschrank. Eigentlich hätten Karim und Daniel längst zurück sein müssen. Die Unruhe trieb sie vor die Tür. Sie horchte in die Luft. Nirgends war das Geräusch des Helikopters zu hören. Eine unbe­stimmte Angst griff mit einer kalten Hand nach ihrem Herzen.

Katja dachte: Hoffentlich ist ihnen nichts passiert.

Sie ging wieder ins Haus und fragte Marie, was sie davon hielt.

Marie überlegte und sagte: „Wer weiß? Vielleicht sind sie noch woanders hingeflogen. Du kennst doch Karim: Fliegen ist sein Leben. Die beiden Männer haben sicher noch etwas Schönes entdeckt. Sie wissen ja, dass sie heute Abend wieder hier sein müssen, sonst gibt es Ärger.“

Katja atmete tief ein und aus und hoffte, ruhiger zu werden. Nun war sie gerade einmal ein paar Stunden von Daniel getrennt und machte sich schon Sorgen. Sie war froh, dass sie ihn auf den beiden Reisen begleiten würde. Wer weiß, wie schlecht es ihr sonst in der Zeit gehen würde ohne Daniel.

Am Nachmittag hörten Marie und Katja ein Auto in die Einfahrt kommen. Francoise war schon heimgegangen, alles war fertig, aber sie erwarteten keinen Besuch. Katja und Marie schauten sich an und zuckten mit den Schultern. Marie stand von der Sonnenliege auf und ging vor das Haus, um nachzuschauen, wer da angekommen war. Als sie das Fahrzeug der Polizei sah und gleich danach der Rettungswagen ankam, musste sie sich am Zaun festhalten. Sie dachte: Oh mein Gott, bitte lass nichts Schlimmes passiert sein.

Die Gesichter der beiden Polizisten, die nun auf sie zukamen, beruhigten sie ganz und gar nicht. Entsetzen breitete sich in ihr aus und sie fror trotz der Hitze.

Katja war neugierig geworden, als Marie nicht zurückkam und lief ihr hinterher in die Einfahrt. Da sah sie die Polizisten, einen Mann und eine Frau, und den Arzt, die mit Marie redeten. Sie war in sich zusammengesunken und drehte sich zu Katja um, als sie Schritte gehört hatte. Das, was Katja in ihren Augen sah, ließ sie zusammenzucken. Tränen waren in Maries Augen getreten. Sie kam auf Katja zu und nahm sie in den Arm.

„Nein“, flüsterte Katja. „Nein. Nein, bitte sag nicht, dass etwas passiert ist.“

Marie konnte nicht sprechen. Sie schob Katja vor sich her ins Wohnzimmer auf die Couch. Dann sank sie selbst im Sessel zusammen. Katja saß kreidebleich und kerzengerade dort und schaute die Polizisten an. Die Frau setzte sich zu Katja.

Sie erklärte in vollendetem Deutsch: „Es tut mir so unendlich leid, Frau Hardeg. Der Helikopter ist heute Vormittag nach einem technischen Defekt, so sieht es im Moment aus, im Esterel-Gebirge zwischen Saint-Raphaël und Cannes abgestürzt. Ihr Mann und die anderen drei Personen waren sofort tot. Es tut mir so leid.“

Katja war aufgestanden und ans Fenster getreten. Sie starrte hinaus, ohne etwas zu sehen.

Nach einer unendlichen Minute sagte sie: „Nein, Sie müssen sich irren. Mein Mann ist mit seinen Eltern und unserem besten Freund unterwegs hierher. Wir feiern gleich zusammen. Sie irren sich. Bestimmt irren Sie sich. Karim ist ein guter Pilot. Er würde niemals abstürzen. Nein … nein … nein … nein … nein …“

Sie stand kopfschüttelnd am Fenster und sagte immer wieder dieses eine Wort. Nach unendlich langer Zeit drehte sie sich um, schaute in die tränengefüllten Augen von Marie und in diesem Moment traf die Erkenntnis, dass alle tot waren, sie mit einem groben, harten Schlag.

Katja sackte zusammen und verlor das Bewusstsein. Der Notarzt trat eilig zu ihr. Marie weinte unaufhörlich. Sie konnte sich nicht bewegen und auch nicht sprechen, der Schmerz hatte sie stumm gemacht.

Die Sanitäter hoben Katja auf die Trage und brachten sie vorsorglich in die Klinik nach Toulon. Marie wurde am Arm hinausgeführt und ebenfalls zur Kontrolle dorthin mitgenommen. Als sie sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, wollten die Polizisten, die im Krankenhaus bei ihnen geblieben waren, besprechen, was nun alles zu erledigen war und was auf sie zukam.

Marie bat sie, dieses Gespräch noch zu verschieben.

„Ich muss nach Katja sehen. Ihr Zustand macht mir große Sorgen.“

Die nette Polizistin nickte. Sie sprach so gut Deutsch, weil sie vor Jahren hier ihre Liebe gefunden und geheiratet hatte. Sie war erschüttert, denn der Gedanke daran, dass sie ihren Mann verlieren könnte, war auch für sie schwer zu ertragen. Sie griff in ihre Tasche und reichte Marie ihre Karte.

„Bitte rufen Sie mich an, wenn Sie bereit sind. Dann helfen wir Ihnen“, sagte sie mitfühlend.

*

Katja war in der Nacht zu sich gekommen und schaute sich um. Sie lag in einem Bett in einem kleinen Zimmer mit hübschen, fröhlichen Bildern an den Wänden. Draußen war es dunkel, über dem Nachttisch brannte ein kleines Nachtlicht. Neben ihrem Bett saß Marie zusammengesunken auf einem Stuhl und strich ihr sanft übers Haar, als sie bemerkte, dass Katja wach war.

Katja dachte nach, warum sie hier war.

Da kam die Erinnerung mit aller Macht zurück. Sie begann zu weinen. Marie setzte sich zu ihr auf das Bett und hielt sie im Arm. Ihre rechte Hand klingelte nach der Ärztin. Katja zitterte am ganzen Körper. Die Tränen, die am Nachmittag noch nicht herauswollten, bahnten sich nun ihren Weg.

Sie sagte tonlos: „Marie, sag mir, dass alles nur ein böser Traum ist.“

„Ich wünschte, es wäre so … aber wir müssen es irgendwie begreifen. Daniel, Karim … Thea, Richard … sie sind …“

Sie konnte nicht weitersprechen, es zerriss ihr das Herz.

Die Ärztin kam und setzte sich ans Bett. Sie fühlte den Puls von Katja, leuchtete ihr in die Augen und strich ihr liebevoll über den Arm.

„Wie geht es Ihnen?“, fragte sie vorsichtig.

Katja schaute sie an. Ihr Blick war eindeutig, es bedurfte keiner Worte, um zu sagen, wie es ihr ging. Trauer, Entsetzen, Machtlosigkeit standen ihr ins Gesicht geschrieben. Die Tränen liefen unaufhörlich über ihre Wangen. Die Ärztin nickte Marie zu und verließ das Zimmer wieder.

Katja war ins Kissen zurückgesunken. Marie hielt ihre Hand fest.

„Wie konnte das passieren?“

Marie erzählte: „Es war wohl ein technischer Defekt. Alles ging so schnell. Es gab für niemanden eine Chance. Karim war immer so vorsichtig. Oh mein Gott … es muss jetzt so viel überlegt und erledigt werden. Ich weiß nicht, wie ich das schaffen und wo ich anfangen soll.“

Ihr ratloser Blick beruhigte Katja nun noch weniger, aber sie hatte gegen Morgen einen klaren Moment. Ihr war nur einer eingefallen, der ihr jetzt helfen würde.

Sie rüttelte an Maries Hand. Die kam zu sich, reckte ihren schmerzenden Rücken und schaute Katja fragend an.

„Schatz, was ist los? Brauchst du irgendetwas?“, fragte sie voller Sorge.

„Nein, Marie. Aber rufe doch bitte Dr. Froehdes an. Er soll sofort kommen und alles in die Wege leiten. Wir beide schaffen das auf keinen Fall alleine. Ich … kann … nicht … denken ohne Daniel.“

Wieder brach sie in Tränen aus.

Wie würde sie je wieder einen klaren Gedanken fassen können ohne Daniel? Eine eiskalte Klammer legte sich um ihr Herz. Mit den vier Menschen war auch etwas in ihr gestorben. Sie würde nie wieder glücklich sein. Nie wieder. Dann verlor sie das Bewusstsein und mit ihrer Wahrnehmung versank ihr Schmerz ins Nirgendwo.

Die Ärztin war ins Zimmer geeilt, nachdem Marie geklingelt hatte.

„Der Schock sitzt tief und reißt Frau Hardeg immer wieder aus dem Bewusstsein“, erklärte sie der aufgeregten Marie. „So versucht ihr Körper, die Seele vor dem Schmerz zu schützen. Wir müssen viel Geduld haben. Es ist wichtig, dass Sie sich jetzt um die an­stehenden Angelegenheiten kümmern. Frau Hardeg wird dazu nicht in der Lage sein. Haben Sie jemanden, der Ihnen dabei hilft?“

„Ja, ich werde jetzt unseren Familienanwalt in Deutschland anrufen, der muss herkommen. Ich weiß nicht, was zu tun ist und wo mir der Kopf steht. Die Sorge um Katja macht es nicht einfacher. Wir haben jetzt nur noch uns.“

Sie weinte wieder und die Ärztin sagte: „Wir tun hier unser Bestes für Frau Hardeg. Haben Sie Vertrauen. Das Organisieren wird Ihnen helfen, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Wenn Sie Hilfe benötigen, treten Sie an mich heran. Kommen Sie mit, Sie können in meinem Büro telefonieren. Eine Schwester wird hierbleiben, falls Frau Hardeg zu sich kommt.“

Sie rief Schwester Amelie und begleitete Marie zum Büro. Dort setzte sie sich in den Sessel am Schreibtisch und wählte die Nummer des Anwalts, die Katja seit dem Vorfall mit Eva immer bei sich trug. Unter Tränen schilderte sie alles noch einmal.

Der Anwalt war geschockt, aber er versprach, mit dem ersten passenden Flug zu kommen. In der Zwischenzeit würde er auch Bea und Cora informieren.

*

Cora hatte sich am Abend auf die Couch fallen lassen und den Fernseher eingeschaltet. Michel war auf dem Weg nach Hause, denn er hatte heute seinen Auftrag in Barcelona erledigt.

Cora hörte nur mit halbem Ohr, als der Nachrichtensprecher mit sachlicher Stimme berichtete: „… war gestern in der Nähe von Saint-Raphaël abgestürzt. Der Pilot des Helikopters und die drei Insassen, die aus Deutschland stammten und in Sanary-sur-Mer einen Weinhandel betrieben, waren sofort tot. Alles deutet auf einen technischen Defekt hin …“

Entsetzt hatte Cora lauter gemacht und sah nun die Bilder von roten Felsen, die ihr bekannt vorkamen und Teile des völlig verbrannten Helikopters. Ihr war in dem Moment so schlecht, dass sie ins Bad lief, um sich zu übergeben. Während sie sich das Gesicht mit klarem Wasser abspülte, hörte sie das Telefon im Wohnzimmer läuten.

Sie nahm eilig ab und fragte: „Ja, bitte?“

„Guten Abend, Frau Grostel. Ich bin Dr. Froehdes, der Anwalt der Familie Hardeg. Ich muss Ihnen etwas ganz Furchtbares sagen. Karim ist mit Daniel und seinen Eltern mit dem Helikopter unterwegs gewesen. Sie sind gestern abgestürzt. Es tut mir sehr leid.“

„Ich weiß … oh mein Gott. Es kam gerade in den Nachrichten. Was ist mit Katja? Und Marie?“

Dr. Froehdes berichtete ausführlich, was er wusste und legte dann auf. Cora setzte sich völlig fertig auf die Couch und wartete ungeduldig auf Michel. Sie flog ihm weinend in die Arme, als er ins Wohnzimmer trat und erzählte alles. Michel setzte sich mit ihr auf die Couch und nahm sie fest in den Arm.

Dann sagte er entschlossen: „Ich sage in der Firma Bescheid. Wir fliegen so schnell wie möglich hin. Wir müssen Katja und Marie jetzt unterstützen.“

Cora war froh, dass er so besonnen reagiert hatte. Sie hätte sonst nicht gewusst, was sie hätte tun sollen. Nach einer Stunde klingelte das Telefon erneut. Eine weinende Bea war dran und die Frauen teilten ihren Kummer und ihre Ohnmacht. Cora berichtete von Michels Plan, sofort nach Südfrankreich zu fliegen. Bea wollte sich mit Hannes anschließen.

Da nahm Michel, der mitgehört hatte, den Hörer aus Coras Hand.

„Bea, das ist lieb von euch. Aber ich glaube, einer sollte in Deutschland bleiben. Schließlich kommen viele amtliche Dinge auf Katja und Marie zu. Da wäre es gut, wenn jemand hier die Kontaktperson sein könnte.“

Bea atmete tief durch. Auch ihr tat Michels Umsicht gut und sie erklärte sich bereit, hier zu sein und alles zu erledigen, was anfallen würde. So verblieben sie und drei Tage später hatten Cora und Michel einen Flug nach Toulon gebucht, um Katja in dieser schlimmen Zeit beizustehen.

*

Dr. Carsten Froehdes erreichte Maries Villa am späten Montagnachmittag. Er bezog ein Zimmer mit Blick auf das Meer, aber er hatte keine Freude daran. Daniel war ihm wie ein Sohn gewesen und Thea und Richard waren seine Freunde. Dass sie und Karim nun tot waren und er sie nie wiedersehen würde, machte dem sonst so kühlen, gefassten Anwalt schwer zu schaffen. Vier Menschen aus seinem nahen Umfeld waren durch dieses Unglück ausgelöscht worden.

Marie hatte ihn nicht abholen können, sie war ihm vollkommen kraftlos entgegengekommen und hatte ihn willkommen geheißen. Er hatte das Taxi bezahlt und war ihr ins Haus gefolgt.

Der Anwalt wollte so schnell wie möglich die Arbeit beginnen, nur so würde er den Schmerz in den Hintergrund drängen können, der sich überall breit machte. Also hatte er schon direkt nach Maries Anruf eine Liste erstellt, was zu tun war. Er hatte sich erkundigt, wie es in Frankreich mit der Beerdigung lief. Aber was wollte man beerdigen? Es war nichts da zum Beerdigen. Man konnte die Asche, die in den Bergen verstreut war, nicht mal jemandem zuordnen. Seine Überlegungen waren drastisch, aber sie halfen gegen den Kummer.

Nun saß er bei Marie im Wohnzimmer und erklärte ihr alles Wichtige: Es gab die Möglichkeit einer Trauerfeier. Diese konnte am Ort des Absturzes stattfinden, aber das würde, wie Marie sagte, Katja nicht überstehen.

Marie fragte: „Können wir mit dem Schiff hinaus aufs Meer fahren und die Trauerfeier dort machen? Das hätte allen gefallen. Können wir das überhaupt für alle gemeinsam machen? Gott sei Dank ist … war Karim französischer Staatsbürger. Nicht aus­zudenken, wenn ich mich um das alles auch noch in Ägypten bemühen müsste.“

„Ihr könnt die Trauerfeier für alle vier machen. Gerne auf einem Schiff, wenn ihr jemanden kennt, aber man kann in einem Bestattungsinstitut eins für diesen Zweck mieten. Wir können auch symbolisch die Asche dem Meer übergeben. Man kann dabei sein, man nennt es eine Bestattung mit Begleitung, aber wenn Katja es nicht schafft, geht das auch als stille Bestattung, ohne dass jemand dabei ist. Dann bekommt man nur eine Urkunde.“

Marie sagte entsetzt: „Sie muss mit dabei sein. Wenn ich mir vorstelle, sie würde nicht Abschied nehmen … nein, wir werden dabei sein.“

Marie weinte bittere Tränen. Katja war allein. Ganz allein. Sie hatte keine Eltern mehr. Ihr Mann war tot und seine Eltern, die auch für sie wie Eltern waren, lebten nun auch nicht mehr und Karim war ein Freund und Bruder für sie gewesen. Wenn sie und Daniel doch wenigstens ein Kind zusammen gehabt hätten! Marie fürchtete sich vor dem Tag, an dem die Betäubung nachlassen und Katja die volle Tragweite des Geschehens begreifen würde, und sie hoffte, dass dann jemand da war, der sie auffing.

Daniel, Thea und Richard waren zwar in Frankreich gemeldet, aber sie waren deutsche Staatsbürger geblieben, so wie Marie. Sie hatte nie die Absicht gehabt, nach Deutschland zurückzukehren. Dafür lebte sie zu gerne hier, auch wenn dieses Leben sich nun grundlegend ändern würde.

Carsten Froehdes sprach weiter: „Ich werde mich mit den Behörden wegen des Totenscheins in Verbindung setzen. Dann müssen wir die Sterbeurkunden beantragen. Für Karim hier, für die anderen in Deutschland, wo sie zuletzt gemeldet waren. Mit der Sterbeurkunde müssen wir für die drei die Erbscheine in Berlin Schöneberg beim Nachlassgericht beantragen. Das ist zuständig für Personen, die im Ausland gelebt haben. Ich brauche dann noch das Familienstammbuch und die Heiratsurkunde. Gibt es ein Testament von irgendjemandem?“

Marie weinte wieder. Nun würde sie Karim beerben, der für sie wie ihr eigenes Kind war. Sie wusste nur, dass Thea und Richard ein Testament zugunsten von Daniel gemacht hatten. Er war ein Einzelkind und so würde das Erbe wohl zum größten Teil an Katja gehen und ein Teil an sie als Schwester von Richard. Karim und Daniel hatten kein Testament. Sie hatten ja auch noch lange nicht ins Auge gefasst zu sterben.

Der Anwalt wartete, bis sich Marie wieder beruhigt hatte. Das Unglück war erst zwei Tage her. Es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Am liebsten hätte Carsten Froehdes mit ihr geweint, aber das war sicher gerade nicht hilfreich. Marie und Katja erwarteten von ihm, dass er einen kühlen Kopf bewahren würde und das wollte er tun.

Er versprach, sich mit dem Nachlassgericht in Berlin in Verbindung zu setzen. Es mussten ja auch die Belange der Firma geordnet werden. Marie hatte den Hauptanteil behalten und im Vertrag war geregelt worden, dass beim Tod eines Anteilseigners die Anteile an den anderen übergingen. Somit war das geregelt, aber Marie bezweifelte, dass sie jemals wieder da arbeiten wollte, auch Katja war sicher nicht in der Lage, dort mit den Erinnerungen an Daniel und Karim einfach so weiterzumachen.

„Bitte kümmere dich um den Verkauf der Firma. Ich kann das nicht mehr … und Katja … nein, sie würde es nicht wollen“, sagte sie leise. „Morgen früh fahre ich ins Krankenhaus und hole Katja ab. Ich hoffe, sie übersteht die kommende Zeit. Bitte leite alles in die Wege für die Trauerfeier und die Seebestattung.“

Sie bot ihm noch ein kleines Abendessen an, das beide schweigend in der Küche einnahmen. Dann ging jeder in sein Zimmer.

*

„Hast du alles eingepackt, meine Liebe?“, fragte Marie Katja, die wie verloren im Krankenzimmer stand, während Marie ihre Tasche griff.

Katja zuckte mit den Schultern und nickte. Man hatte ihr ein Beruhigungsmittel gespritzt und ein paar Tabletten mit nach Hause gegeben. Die Ärztin hatte Marie erklärt, wie und wann die einzunehmen waren. Wie im Nebel hörte Katja die netten Worte der Ärztin, die sie aber nicht verstand. Mechanisch ging sie mit zum Auto und stieg ein. Die Fahrt über schwieg sie.

Als sie in der Villa ankamen und Katja ihre Tasche in ihr Schlafzimmer brachte, lag dort Daniels Pullover auf dem Bett. Sie legte sich dazu und nahm den Pullover, der noch intensiv nach ihm duftete, in den Arm und weinte sich in einen unruhigen Schlaf. Ab und zu setzte sich Marie an ihr Bett und schaute nach ihr. Auch am kommenden Tag blieb sie im Bett liegen. So bemerkte sie auch nicht, dass Besuch kam.

Cora und Michel hatten sich von Toulon ein Taxi genommen und erreichten die Villa um die gleiche Zeit wie der Anwalt einige Tage vorher. Cora weinte, als sie Marie in die Arme schloss. Auch Michel liefen die Tränen herunter. Carsten Froehdes kam dazu und erklärte, was passiert war und was in den nächsten Tagen anstand.

„Ist Katja oben?“, fragte Cora.

Marie nickte: „Ja, geh ruhig hinauf. Aber erschrick nicht, sie ist in einem jammervollen Zustand. Sie isst nicht, sie trinkt nicht, sie spricht nicht. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Vielleicht kommst du zu ihr durch.“

Michel setzte sich auf die Terrasse und starrte auf das Meer. Cora stieg die Treppe hinauf. Leise öffnete sie die Tür zu Katjas Zimmer. Katja lag unbeweglich mit Daniels Pullover im Arm auf dem Bett. Ein winziges Leuchten trat für einen Moment in ihre Augen, als sie Cora erblickte. Cora zog sie vom Bett hoch und nahm sie wortlos in die Arme.

„Es tut mir so leid, meine Süße. Was für ein Unglück …“, flüsterte Cora und streichelte Katjas Rücken. „Michel und ich sind jetzt da und stehen dir bei. Wir bleiben eine Weile hier, ja?“

Katja nickte unmerklich.

„Du musst etwas trinken.“

Cora und reichte Katja ein Glas Wasser, das neben dem Bett gestanden hatte.

Katja trank einen kleinen Schluck. Dann glitt ihr das Glas aus den Fingern. Cora fing es auf und stellte es wieder hin. Katja war so ein Häufchen Unglück, dass Cora nun auch nur noch weinen konnte. Die Freundinnen hielten sich lange fest.

Als Katja eingeschlafen war, schlich Cora nach unten, wo Michel mit Marie und dem Anwalt saß. Er hatte ihnen gesagt, dass Bea und Hannes in Deutschland geblieben waren, um bei auftretenden Fragen sofort eingreifen zu können.

Er sah das Gesicht seiner Frau und ihm war klar, wie schlimm es um Katja stand.

„Ich muss dich nicht fragen, wie es ihr geht, oder?“, fragte er und nahm Cora in den Arm.

Cora schüttelte den Kopf.

„Ich habe echt Angst um Katja. Sie hat einen winzigen Schluck getrunken und dann ist ihr das Glas aus der Hand gerutscht. Wann soll die Trauerfeier sein? Denkt ihr, sie schafft das?“

Carsten Froehdes sagte: „Nächste Woche Freitag ist die Seebestattung. Wir fahren mit Joshuas Jacht hinaus und übergeben Asche von der Absturzstelle dem Meer. Ein Bestatter kommt mit. Um die Totenscheine habe ich mich schon gekümmert. Ich werde sie zusammen mit einer Vollmacht zu Frau Bernsing schicken, die kann dann schon einmal die Sterbeurkunden beantragen.“

„Wie ist das bei Karim?“, fragte Michel und schaute Marie an.

Sie antwortete: „Das muss ich hier erledigen.“

Michel bot ihr an, sie zu begleiten, was Marie dankbar annahm. Sie war froh, nicht mehr alleine zu sein. Dr. Froehdes war am Vormittag in der Firma gewesen, wo Giselle mit verweinten Augen die Stellung hielt. Er informierte sie über Maries Vorhaben, die Firma zu verkaufen.

Giselle hatte gesagt: „Das wird das Beste sein. Interessenten gibt es genug. Ich gehe sowieso im Sommer in den Ruhestand. Ich verliere nichts. Katja würden hier nur die Erinnerungen einholen. Ich werde die Zahlen für Sie zusammenstellen, dann können Sie sich einen Überblick verschaffen. Ach, das ist alles so schrecklich.“

Der Anwalt hatte sich bedankt und war zufrieden, dass die Menschen hier so viel taten, damit alles reibungslos erledigt werden konnte. Er würde nach der Trauerfeier nach Deutschland zurückfliegen und dort alles regeln. Allerdings musste Katja auch nach Deutschland, denn sie musste sich um die Angelegenheiten für die Erbschaft selbst kümmern. Cora und Michel hofften, dass sie dazu in der Lage war, sie zu begleiten, wenn sie heimflogen.

Sie saßen bis spät in der Nacht zusammen, ehe sie erschöpft ins Bett gingen.

Cora kuschelte sich an Michel und weinte sich in den Schlaf. Er hatte sie fest umschlungen.

*

Sie hatten sich an Katjas Bett abgewechselt. Cora saß im Sessel und war kurz eingenickt. Katja öffnete die Augen. Sie musste blinzeln, so hell war es. Die Sonne strahlte mit voller Kraft.

Als sie sich bewegte, wachte Cora auf.

„Süße, du bist wach, wie schön.“

„Wo ist Daniel?“, fragte Katja.

Cora war zusammengezuckt. Sie streichelte Katja über das Gesicht. Tränen standen in ihren Augen.

„Daniel … er … ist … “, stotterte sie.

Dann schien Katja wieder einzufallen, was passiert war. Sie setzte sich auf und begann zu würgen. Es kam aber nichts heraus, denn sie hatte seit längerer Zeit weder etwas gegessen noch getrunken. Ein heftiger Krampfanfall schüttelte sie. Als sie wieder atmen konnte, kamen ihr die Tränen.

„Nein … nein … nein … das kann nicht sein. Es war doch nur ein böser Traum. Sag, dass es ein Traum war, bitte“, flehte Katja leise.

Cora setzte sich auf das Bett und drückte ihre Freundin fest an sich.

„Es tut mir so leid. Wie kann ich dir nur helfen? Ach, meine Liebe, es ist furchtbar. Sie sind alle tot. Es ist schrecklich, dich so zu sehen. Ich habe Angst um dich.“

Katja weinte unaufhörlich.

„Wenn Daniel nicht mehr da ist, was soll ich dann noch auf dieser Welt? Warum bin ich nicht mitge­flogen? Wir wären jetzt zusammen, für immer zusammen.“

Cora erwiderte mit Gänsehaut: „Sag das nicht, bitte! Daniel ist nicht hier, aber er ist immer bei dir. Das weißt du doch. Er wäre totunglücklich, wenn dir etwas passiert wäre. Tust du mir den Gefallen und trinkst ein wenig Wasser? Ich muss mir sonst noch mehr Sorgen machen.“

Katja nickte und Cora stand auf, um ein Glas mit frischem Wasser zu füllen. Das reichte sie Katja, die zwei kleine Schlucke trank.

„Du musst wieder zu Kräften kommen, Schatz. Am Freitag ist die Beerdigung. Soll ich dir davon erzählen? Kannst du das verkraften? Daniel und Karim hätten sich gewünscht, dass du Abschied nimmst. Auch Thea und Richard.“

„Ich weiß“, sagte Katja und strich sich über die Lippen. „Ich habe so eine schöne Erinnerung an den Kuss, bevor sie losgeflogen sind. Die nehme ich mit, wenn ich ihn nun nochmal verabschiede. Bitte erzähl.“

„Marie hat mit dem Anwalt besprochen, dass es eine Bestattung der Asche von allen vier Menschen auf See geben wird. Sie dachte, das hätten sie so gewollt.“

„Sie haben alle das Meer geliebt“, unterbrach sie Katja und nickte.

Cora sprach weiter: „Wir bleiben gerne solange hier, wenn du das möchtest. Dann fahren wir mit Joshuas Boot hinaus und lassen die Asche ins Meer hinab sinken. Ein Bestatter wird dabei sein und ihre Seelen begleiten. Ist das gut für dich?“

Katja nickte nur. Die Tränen rannen über ihre Wangen.

„Danach fahren wir hierher und sitzen ein wenig zusammen. Oder möchtest du zur Absturzstelle fahren?“

„Nein, Cora, das kann ich nicht. Noch nicht, denke ich. Vielleicht später. Oh nein, warum musste das geschehen? Es war doch gerade alles so schön? Was habe ich getan, dass ich kein Glück verdient habe? Es ist so unfair, dass die besten Menschen auf dieser Welt sterben müssen … vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Maurizio sein Ziel erreicht hätte. Dann könnten Daniel und die anderen noch am Leben sein.“

Katja saß mit hängenden Schultern im Bett. Ein heftiger Weinkrampf schüttelte die schon so geschwächte Person. Cora wurde es wieder Angst und Bange. Eben war Katja noch klar und im nächsten Augenblick brach sie vor Schmerz zusammen.

Sie nahm ihre Freundin in die Arme und redete beruhigend auf sie ein. Marie kam mit einem Teller Obst hinein, aber als sie sah, in welchem Zustand Katja war, stellte sie den Teller nur auf dem Nachttisch ab. Sie setzte sich dazu und hielt Katjas Hand. Bald darauf fiel Katja wieder in einem unruhigen Schlaf.

Cora ging hinunter zu Michel. Marie blieb am Bett sitzen. Sie weinte bitterlich vor Trauer, vor Schmerz und weil sie keine Kraft mehr hatte, auch nicht, um Katja beizustehen. Sie war froh, dass Cora und Michel da waren und der Anwalt alles im Griff hatte.

Unten aßen sie zu Abend und gingen auch bald schlafen.

*

In den nächsten beiden Tagen dämmerte Katja vor sich hin. Sie war nicht in der Lage gewesen, etwas zu essen und nur Cora konnte sie mit viel Geduld zum Trinken überreden. Das war wichtig, dachte Cora, sonst würde Katja auch noch zugrunde gehen.

Michel und Marie waren wegen Karims Sterbeurkunde unterwegs. Carsten Froehdes leitete mit Hilfe von Bea und Hannes in Berlin alles in die Wege. Am Wochenende setzten sie sich erschöpft zur Ruhe. Für die Bestattung war soweit alles geregelt, am Dienstag sollte Joshua noch einmal mit dem Bestattungsinstitut den genauen Ablauf klären. Einer der Bestatter, der damit viele Erfahrungen hatte, würde mitfahren.

Joshua war erschüttert, aber er konnte Marie den Wunsch nicht abschlagen, sein Boot für die Bestattung zur Verfügung zu stellen, obwohl es ja eigentlich ein viel freudigeres Ereignis gewesen war, was sie gemeinsam erleben wollten. Nun war alles nur Trauer und Schock.

Marie und Cora hatten beschlossen, wenn Katja bis Montag nichts essen oder aufstehen würde, noch einmal einen Arzt zurate zu ziehen. Sie wussten nicht mehr, was sie tun sollten. In der Nacht hatte Katja im Schlaf geschrien, sodass alle hochschreckten. Cora hielt Katja und weinte dabei ihre eigenen Tränen. Michel hatte sie später in seine Arme geschlossen und sanft in den Schlaf gewiegt.

Am Sonntag regnete es am Morgen ein wenig. Marie ging ins Bett und Michel löste sie bei Katja ab. Er öffnete die Balkontür und ließ die frische, gereinigte Luft herein. Katja schlug die Augen auf. Michel setzte sich zu ihr und probierte ein kleines Lächeln.

„Katja, schön, dass du wach bist. Guten Morgen. Wie fühlst du dich körperlich? Die beiden Frauen haben geschworen, einen Arzt zu holen, wenn du bis morgen nicht aufstehst und eine Kleinigkeit isst. Ich finde, sie haben recht. Wollen wir beide nicht mal versuchen aufzustehen und am Fenster Luft zu holen? Es ist heute frisch vom Regen“, sagte Michel sanft, aber nachdrücklich.