Tanz mit dem Tod - J.D. Robb - E-Book

Tanz mit dem Tod E-Book

J.D. Robb

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Beschreibung

Die andere Seite der Nora Roberts: fesselnd, mysteriös und leidenschaftlich

Eine junge Frau wird im Central Park ermordet. Ein schockierender Anblick – auch für die erfahrene Polizistin Eve Dallas. Denn der Mörder hat seinem Opfer die Augen entfernt. Und es werden noch mehr Leichen mit diesem makabren Zeichen entdeckt. Eve Dallas steht vor einem Rätsel, bis ausgerechnet eine Hellseherin Hinweise liefert. Mithilfe ihres Ehemanns Roarke kommt Eve dem Psychopathen auf die Spur und entdeckt dabei ein schreckliches Geheimnis aus ihrer Vergangenheit …

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Seitenzahl: 660

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Inhaltsverzeichnis
Buch
Autorin
Liste lieferbarer Titel
Titel
Inschrift
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
BONUSMATERIAL
WAS BISHER GESCHAH
Copyright
Buch
Es ist eine heiße Sommernacht in New York. Lieutenant Eve Dallas ist mit ihrem Ehemann Roarke auf dem Heimweg von einer langweiligen Dinnerparty. Sie will nur noch raus aus ihren schicken Klamotten und ins Bett, da wird sie in den Central Park gerufen.
Auf dem Felsen am Ufer des Sees liegt die Leiche einer jungen Frau. Sie wurde vergewaltigt und erdrosselt – mit einem roten Band, das ihr noch immer um den Hals hängt. Ihre Hände sind wie zum Gebet gefaltet. Aber es sind vor allem die leeren Augenhöhlen, die Eve das Blut in den Adern gefrieren lassen: Mit den geübten Händen eines Chirurgen hat der Täter die Augen entfernt.
Während Eve fieberhaft nach einer Spur sucht, geschehen weitere Morde – die Leichen sind alle auf ähnliche Weise verstümmelt. Dann passiert das Unfassbare: Eves Assistentin Peabody entkommt nur um Haaresbreite einem Mordversuch durch einen Unbekannten. Entsetzt wendet sich Eve an die Hellseherin Celina Sanchez. Die Visionen der attraktiven, geheimnisvollen Frau verraten erschreckend zutreffende Details über den Mörder. Nur Roarke kann Eve jetzt noch helfen, den Psychopathen aufzuspüren. Doch dabei kommt Eve einem dunklen Geheimnis ihrer eigenen Vergangenheit immer näher...
Autorin
J. D. Robb ist das Pseudonym der international höchst erfolgreichen Autorin Nora Roberts, einer der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht sie seit Jahren ebenso erfolgreich Kriminalromane. Auch in Deutschland sind ihre Bücher von den Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.blanvalet.de und www.jdrobb.com
Liste lieferbarer Titel
Rendezvous mit einem Mörder (1; 35450) · Tödliche Küsse (2; 35451) · Eine mörderische Hochzeit (3; 35452) · Bis in den Tod (4; 35632) · Der Kuss des Killers (5;3 5633) · Mord ist ihre Leidenschaft
(6; 35634) · Liebesnacht mit einem Mörder (7; 36026) · Der Tod ist mein (8; 36027) · Ein feuriger Verehrer (9; 36028) · Spiel mit dem Mörder (10; 36321) · Sündige Rache (11; 36332) · Symphonie des Todes (12; 36333) · Das Lächeln des Killers (13; 36334) · Einladung zum Mord (14; 36595) · Tödliche Unschuld (15; 36599) · Der Hauch des Bösen (16; 36693) · Das Herz des Mörders (17; 36715) · Im Tod vereint (18; 36722)
Ein gefährliches Geschenk (36384)
Friendship cannot live with ceremony,Nor without civility. Freundschaft braucht keine Förmlichkeit, kommt aber ohne Höflichkeit nicht aus.
Lord Halifax
Is this a vision?Is this a dream?Do I sleep? Ist dies eine Vision? Ist dies ein Traum? Schlafe ich?
Shakespeare
1
Sie hatte den Abend überstanden, ohne einen Menschen zu ermorden, und kam zu dem Ergebnis, dass das ein Beweis größter Charakterstärke war.
Dabei hatte Lieutenant Eve Dallas – Cop aus Überzeugung – einen eher ruhigen Arbeitstag gehabt. Das morgendliche Erscheinen vor Gericht und die Berge langweiligen Papierkrams waren für sie lästige Routine, und bei dem einzigen neuen Fall, den sie hereinbekommen hatte, ging es um ein paar Freunde, die sich darüber stritten, wer sich heimlich den Rest der Partymischung aus Buzz, Exotica und Zoom unter den Nagel gerissen hatte, die Teil eines gemütlichen Nachmittags auf dem Dach eines Appartementhauses in der Westside gewesen war.
Schließlich war der Streit dadurch beendet worden, dass einer aus der Clique, gierig die rechte Faust um den Rest des Stoffs geballt, kopfüber vom Dach gesprungen war.
Wahrscheinlich hatte er es gar nicht mitbekommen, als er auf dem Bürgersteig der Zehnten aufgekommen war, doch sein spontaner Abgang hatte die Partystimmung seiner Freunde nicht unerheblich getrübt.
Alle Zeugen, darunter ein braver Bürger aus dem Nachbarhaus, der die Polizei gerufen hatte, hatten ausgesagt, dass das Individuum, dessen jämmerliche Überreste man von der Straße kratzen musste, freiwillig auf den Rand des Daches zugetänzelt war, dort das Gleichgewicht verloren hatte und mit einem gut gelaunten, lauten Juchzer auf die Straße gesegelt war.
Dieser letzte Tanz des Jasper K. McKinney hatte die Passagiere einer vorbeisurrenden Schwebebahn anscheinend nicht nur überrascht, sondern obendrein auch durchaus unterhalten, ein begeisterter Tourist hatte das Geschehen sogar gefilmt.
Es gab keine offenen Fragen, und der Tod von Jasper würde als Folge eines Unfalls zu den Akten gelegt. Eve fand, dass es eher ein Tod aus Dummheit war, nur war diese Todesursache auf dem Formular nicht vorgesehen.
Wegen Jaspers Sprung musste sie nur eine Überstunde machen und hatte sich dann mit dem elenden Vehikel, das ihr der Fuhrpark überlassen hatte, und das wie ein blinder, dreibeiniger Straßenköter die Straße hinunterhumpelte, durch den grässlichen Verkehr der Innenstadt gequält.
Himmel, sie hatte Rang und Namen und deshalb Anspruch auf ein anständiges Gefährt. Dass sie in den letzten beiden Jahren zwei Fahrzeuge zu Schrott gefahren hatte, war nicht ihre Schuld. Vielleicht vergäße sie am nächsten Morgen kurzfristig ihre Charakterstärke und drehte irgendjemandem im Fuhrpark kurzerhand die Gurgel um.
Das wäre sicher amüsant.
Nachdem sie – okay, mit fast zweistündiger Verspätung – zu Hause angekommen war, hatte sie gezwungenermaßen die erstaunliche Verwandlung von der knallharten Polizistin zur Unternehmergattin durchgemacht.
Sie war eine gute Polizistin, doch die Welt der Unternehmergattinnen war ihr vollkommen fremd.
Sicher war ihr Outfit elegant und hochmodern, denn schließlich hatte Roarke die Sachen – selbst den Slip – für sie herausgelegt, und er kannte sich in Sachen Mode aus.
Alles, was sie wusste, war, dass sie etwas Grünes mit jeder Menge Glitter trug, das einen freien Blick auf große Teile ihres Körpers bot.
Sie hatte keine Zeit gehabt, darüber mit ihm zu streiten, und hatte sich deshalb – wenn auch mit Leichenbittermiene – eilig in das Kleid und die passenden grünen Glitterpumps gezwängt. Sie hatten derart hohe, nadelspitze Absätze, dass sie plötzlich fast so groß war wie er.
Es war kein Problem, ihm ins Gesicht zu sehen. Denn er hatte wilde, unwirklich blaue Augen in einem wie von begabten Engeln gezeichneten Gesicht. Dafür war es aber ein erhebliches Problem, einer Horde Fremder gegenüber nett und zuvorkommend zu sein, während sie die ganze Zeit die Sorge hatte, dass sie wegen der verdammten Schuhe jeden Augenblick auf ihren Hintern fiel.
Doch sie hatte es geschafft. Hatte die schnelle äußere Verwandlung, den Flug nach Chicago, den Cocktailempfang, auf dem sie trotz des wahrhaft hervorragenden Weins vor Langeweile fast gestorben wäre, und das anschließende Essen mit einem guten Dutzend von Roarkes Kunden überlebt.
Sie war sich nicht ganz sicher, was das für Kunden waren, denn Roarke hatte seine Finger einfach überall im Spiel. Doch beinahe jeder dieser Kerle, die sie während ihrer vierstündigen Leidenstour ertragen musste, hätte einen Preis für größtmögliche Fadheit verdient.
Doch all die Langweiler hatten überlebt.
Sie hatte also allen Grund, wirklich stolz auf sich zu sein.
Jetzt wollte sie nur noch nach Hause, raus aus dem grünen Glitzerding, rein in ihr kuscheliges Bett und sechs Stunden schlafen, bis die Arbeit wieder rief.
Sie hatte einen langen, heißen, blutigen Sommer hinter sich. Der Herbst des Jahres 2059 kündigte sich an, es wurde schon kühler. Vielleicht brächten sich die Menschen dann nicht mehr stündlich gegenseitig um.
Allerdings war sie da nicht sicher.
Kaum saß sie in ihrem Sessel in dem luxuriösen Privatjet ihres Mannes, als Roarke bereits die Pumps von ihren Füßen zog.
»Komm ja nicht auf irgendwelche komischen Gedanken. Wenn ich endlich aus dem Kleid draußen bin, ziehe ich es ganz bestimmt nicht noch mal an.«
»Meine geliebte Eve«, erklärte er mit einer Stimme, in deren Melodie das alte Irland schwang. »Mit derartigen Sätzen bringst du mich erst auf komische Gedanken. Denn auch wenn du in dem Kleid wirklich fantastisch aussiehst, siehst du ohne noch viel besser aus.«
»Vergiss es. Ich zwänge mich bestimmt kein zweites Mal in dieses Ding, und genauso wenig steige ich in dem lächerlichen Stückchen Stoff, das du Unterwäsche nennst, aus dem Flugzeug aus. Also … Oh, grundgütiger Jesus.«
Sie fing an zu schielen und rollte mit den Augen, als er seine Daumen in ihre Fußgewölbe drückte.
»Ich bin dir mindestens eine Fußmassage schuldig.« Er verzog den Mund zu einem Lächeln, als sie stöhnend ihren Kopf nach hinten fallen ließ. »Für die treuen Dienste, die du mir heute Abend geleistet hast. Ich weiß, du findest solche Essen wie das heute Abend furchtbar, und ich bin dir wirklich dankbar, dass du nicht schon bei den Kanapees mit deiner Dienstwaffe auf McIntyre geschossen hast.«
»Ist das der Typ mit den großen Zähnen, der wie ein Esel lacht?«
»Genau. Aber er ist auch ein sehr wichtiger Kunde.« Er hob ihren linken Fuß an seinen Mund und küsste ihre Zehen. »Also nochmals vielen Dank.«
»Schon gut. Das ist Teil des Geschäfts.«
Sie hatte mit diesem Kerl ein verdammt gutes Geschäft gemacht, ging es ihr durch den Kopf, während sie ihn aus halb geschlossenen Augen musterte. Wunderbar verpackte einen Meter fünfundachtzig Mann. Sie liebte nicht nur seinen schlanken, muskulösen Körper oder das von dichtem, rabenschwarzem, seidig weichem Haar gerahmte, betörende Gesicht, sondern auch seine Intelligenz, seinen Stil und seinen Biss.
Und was das Allerbeste war – er erwiderte ihre Liebe nicht nur, sondern hatte sie zu einem Teil von sich gemacht. Bei all den Dingen, über die sie immer wieder stritten, stimmten sie in Sachen Liebe immer überein.
Er erwartete von ihr als Unternehmergattin niemals mehr, als sie zu geben in der Lage war. Die meisten Männer waren anders, das wusste sie. Roarke hatte sich aus unzähligen Firmen, Immobilien, Fabriken, Märkten und weiß Gott, was sonst noch allem, ein weltumspannendes Imperium aufgebaut. Er war unermesslich reich und hatte eine beinahe unbegrenzte Macht. In einer solchen Position würden die meisten Männer von ihren Ehefrauen erwarten, dass sie auf einen Wink hin alles stehen und liegen ließen, um ihr schmückendes Beiwerk zu sein.
Er erwartete das nicht.
Sie nahm höchstens an einem Viertel der von ihm gegebenen Geschäftsessen und Feste teil.
Wohingegen er schon unzählige Male Termine verschoben hatte, um ihr als Berater bei einem ihrer Fälle aktiv behilflich zu sein.
Er war also ein deutlich besserer Polizistinnengatte als sie eine Unternehmergattin.
»Vielleicht schulde eher ich dir eine Fußmassage«, überlegte sie. »Ich habe nämlich ein wirklich gutes Geschäft mit dir gemacht.«
Er strich mit einem Finger aus Richtung ihrer Zehen bis zu ihrer Ferse. »Das hast du auf jeden Fall.«
»Trotzdem ziehe ich mich jetzt nicht aus.« Sie klappte ihre Augen zu und stellte ihren Sitz zurück. »Weck mich, wenn wir landen.«
Sie war noch nicht ganz eingeschlafen, als das Piepsen ihres Handys aus ihrem kleinen Abendtäschchen drang. »Oh nein.« Ohne die Augen wieder aufzumachen, streckte sie eine Hand nach dem Täschchen aus und wollte von Roarke wissen: »Wann sind wir wieder in New York?«
»In einer Viertelstunde.«
Mit einem müden Nicken klappte sie ihr Handy auf. »Dallas.«
HIER ZENTRALE, LIEUTENANT EVE DALLAS. BEGEBEN SIE SICH BITTE UMGEHEND ZUM BELVEDERE CASTLE IM CENTRAL PARK. WIR HABEN EINE TOTE FRAU. VERMUTLICH MORD. ES SIND BEREITS BEAMTE DORT.
»Kontaktieren Sie auch Detective Delia Peabody und schicken Sie sie ebenfalls dorthin. Ich bin in circa einer halben Stunde dort.«
VERSTANDEN. ZENTRALE, ENDE.
»Scheiße.« Eve raufte sich die Haare. »Schmeiß mich auf dem Weg nach Hause am besten einfach raus.«
»Ich schmeiße meine Frau nicht gern irgendwo raus. Ich komme also mit und warte auf dich.«
Sie blickte auf ihr Kleid und runzelte die Stirn. »Ich hasse es, während der Arbeit in einem solchen Aufzug rumzulaufen. Das schmieren mir die anderen immer wochenlang aufs Brot.«
Das Allerschlimmste war, dass sie wieder in ihre Schuhe steigen und darin über die Wege und das Gras des größten Parks der Stadt marschieren musste, bis sie zum Fundort kam.
Die Burg lag an der höchsten Stelle des Central Parks. Das dünne Türmchen ragte in den dunklen Himmel und der felsige Boden fiel steil in Richtung des Seeufers ab.
Tagsüber war dies ein durchaus hübsches Fleckchen, von dem die Touristen gerne Fotos machten und von dem aus sich die Aussicht auf den Park genießen ließ. Nach Sonnenuntergang jedoch zogen derartige Orte Obdachlose, Junkies, nicht lizenzierte Nutten oder einfach irgendwelche Typen, die nichts Besseres mit sich anzufangen wussten, als Krawall zu machen, an.
Die momentane Stadtverwaltung machte jede Menge Aufhebens von ihrem Vorhaben, die Parks und Monumente von allem Unrat zu befreien. Es flossen sogar regelmäßig Gelder für solche Zwecke, und Scharen freiwilliger Helfer durchkämmten hin und wieder samstags zusammen mit Arbeitern der Stadt den Park nach herumliegendem Müll, entfernten Graffiti, harkten Kieswege und legten neue Blumenbeete an. Dann klopften sich alle auf die Schultern und wandten sich anderen Dingen zu, bis wieder alles beim Teufel war.
Augenblicklich war der Park in einem recht ordentlichen Zustand, es lag nicht einmal genügend Müll herum, dass das Reinigungskommando, das vor Morgengrauen käme, beim Einsammeln in Schweiß geriet.
Roarke neben sich marschierte sie, so gut es ging, auf die von den Kollegen bereits abgesperrte Fläche zu. Das grelle Licht von Scheinwerfern beleuchtete die Burg.
»Du brauchst wirklich nicht zu warten«, sagte sie zu ihrem Mann. »Irgendjemand nimmt mich nachher sicher mit.«
»Ich möchte aber warten.«
Da es völlig sinnlos war mit ihm zu streiten, zog sie schulterzuckend ihre Dienstmarke aus ihrer Tasche und trat hinter die Absperrung.
Niemand kommentierte ihr Kleid oder die Schuhe. Sie nahm an, ihr Ruf als harter Brocken hielt die berittenen Kollegen davon ab, irgendeine dämliche Bemerkung über ihr Aussehen zu machen, doch zu ihrer Überraschung nahm sie nicht einmal ein Grinsen oder ein verstohlenes Lachen hinter ihrem Rücken wahr.
Es überraschte sie noch mehr, dass nicht mal ihrer Partnerin eine vorlaute Bemerkung zu ihrer Aufmachung entfuhr.
»Dallas. Es ist wirklich schlimm.«
»Was haben wir?«
»Eine weiße Frau von vielleicht dreißig. Ich habe sie bereits gefilmt. Ich wollte gerade versuchen rauszufinden, wer sie ist, als man mir sagte, dass Sie angekommen sind.« Gemeinsam liefen sie – Peabody in ihren komfortablen Sneakern und Eve in ihren mörderischen Pumps – auf den Leichnam zu. »Scheint ein Sexualmord gewesen zu sein. Sie wurde vergewaltigt und erwürgt. Aber das ist ihm noch nicht genug.«
»Wer hat sie gefunden?«
»Ein paar Kinder. Meine Güte, Dallas.« Peabody blieb stehen und fuhr sich mit der Hand durch das vom Schlaf zerknitterte Gesicht. »Haben sich aus reiner Abenteuerlust heimlich von zu Hause weggeschlichen. Mit so einem Abenteuer haben sie ganz sicher nicht gerechnet. Wir haben die Eltern und das Jugendamt verständigt und sie in einen Streifenwagen gesetzt.«
»Wo ist sie?«
»Da unten.« Peabody ging vor und zeigte mit der ausgestreckten Hand auf die Frau, die etwas oberhalb des dunklen Sees auf einem Felsen lag. Sie trug nur ein rotes Band, das ihr um den Hals geschlungen worden war, und hatte ihre Hände vor der Brust gefaltet wie zu einem Gebet.
Ihr Gesicht war blutverschmiert. Blut, erkannte Eve, das aus leeren Augenhöhlen ausgetreten war.
Um keinen Genickbruch zu riskieren, zog sie ihre Schuhe aus und sprühte ihre Hände und die nackten Füße mit dem Spray aus einem Untersuchungsbeutel ein. Trotzdem war es nicht gerade einfach, in dem eleganten Cocktailkleid ans Seeufer zu gelangen, und sie war der festen Überzeugung, dass sie völlig unprofessionell und einfach lächerlich aussah, wie sie glitzernd über einen steilen Felsen in Richtung einer Leiche stieg.
Sie hörte etwas reißen, blickte jedoch nicht an sich herab.
»Oh Mann.« Peabody zuckte zusammen. »Sie werden dieses Kleid ganz sicher ruinieren, und dabei sieht es einfach fantastisch aus.«
»Ich würde ein Monatsgehalt für eine Jeans, ein stinknormales Hemd und verdammte Stiefel geben.« Dann verdrängte sie diese Überlegung, suchte mit den Füßen Halt und wandte sich dem Leichnam zu.
»Hier unten hat er sie bestimmt nicht vergewaltigt. Es muss also einen zweiten Tatort geben. Nicht mal ein Verrückter vergewaltigt eine Frau auf einem Haufen Steine, wenn es jede Menge Rasen gibt. Er hat sie irgendwo anders vergewaltigt und getötet oder zumindest betäubt. Dann hat er sie hierher geschleppt. Muss also jede Menge Muskeln haben – außer, wenn er nicht allein war. Sie muss an die sechzig Kilo wiegen. Sie hat sich bestimmt nicht extra leicht gemacht.«
Mehr um den Fundort als um ihr teures Kleid zu schützen, schürzte Eve den Rock. »Ich brauche eine Identifizierung, Peabody. Finden Sie raus, wer sie ist.«
Während Peabody die Fingerabdrücke des Opfers nahm, studierte Eve die Position der toten Frau. »Er hat sie extra so hingelegt. Soll das heißen, dass sie betet? Dass sie fleht? Dass sie in Frieden ruht? Was will er uns mit dieser Pose sagen?«
Sie ging neben dem Leichnam in die Hocke. »Es gibt sichtbare Beweise für körperliche Gewalt und einen sexuellen Übergriff. Die Schürfwunden und blauen Flecken im Gesicht, auf dem Oberkörper und an ihren Armen sehen wie Abwehrverletzungen aus. Sie hat etwas unter den Nägeln. Hat also versucht, sich gegen ihn zu wehren, hat ihn offenbar gekratzt. Aber das, was sie unter den Nägeln hat, ist Stoff und keine Haut.«
»Ihr Name ist Elisa Maplewood«, erklärte Peabody. »Eine Adresse westlich des Central Park.«
»Dann ist sie nicht weit von zu Hause weg«, antwortete Eve. »Dabei sieht sie nicht nach Oberklasse aus. Sie hat keine Pediküre und auch ihre Hände sind nicht glatt und gepflegt, sondern weisen leichte Schwielen auf.«
»Als Beruf ist Hausangestellte angegeben.«
»Das passt schon eher.«
»Sie ist zweiunddreißig. Geschieden. Dallas, sie hat ein Kind. Eine vierjährige Tochter.«
»Oh, verdammt.« Eve atmete tief durch, wandte sich dann aber wieder der Betrachtung des entstellten Leichnams zu. »Abschürfungen an beiden Oberschenkeln und im Vaginalbereich. Eine rote Kordel um den Hals.«
Das Band hatte ihr in die Haut geschnitten, sodass das Fleisch geschwollen war.
»Todeszeitpunkt, Peabody?«
»Sofort.« Peabody blickte auf das Messgerät. »Zweiundzwanzig Uhr zwanzig.«
»Also vor ungefähr drei Stunden. Wann haben die Kinder sie gefunden?«
»Kurz nach Mitternacht. Der erste Beamte, der hier eintraf, hat sich um die Kids gekümmert, hat sich die Tote von dort oben angesehen und um Viertel vor eins bei der Zentrale angerufen.«
»Okay.« Sie setzte ihre Mikrobrille auf und beugte sich über das zerschundene Gesicht. »Er hat sich Zeit gelassen. Hat nicht wild an ihr herumgesäbelt, sondern die Augen mit präzisen, ordentlichen Schnitten aus den Höhlen gelöst. Fast wie ein Chirurg, fast wie bei einer verdammten Augentransplantation. Offenbar hatte er es auf die Augen abgesehen. Sie waren der Preis. Die Schläge und die Vergewaltigung waren nur das Vorspiel.«
Sie richtete sich wieder auf und nahm die Brille ab. »Drehen wir sie um und sehen uns den Rücken an.«
Außer angetrocknetem Blut und Grasflecken an Pobacken und Schenkeln war dort nichts weiter zu sehen.
»Er hat sich wahrscheinlich von hinten an sie herangemacht. Aber es hätte ihn auch nicht gestört, wenn er sie gesehen hätte. Hat sie niedergeschlagen – vielleicht auf der Straße oder dem Bürgersteig. Nein, auf einem Kiesweg. Sehen Sie die Kratzer an ihren Ellenbogen? Dann hat er weiter auf sie eingedroschen. Sie hat sich gewehrt und versucht zu schreien. Vielleicht hat sie sogar geschrien, aber er hat sie weggeschleppt, irgendwohin, wo er sich mit ihr amüsieren konnte, ohne dass ihn jemand dabei stört. Hat sie über das Gras geschleift. Hat sie so lange geschlagen, bis sie sich nicht mehr gewehrt hat, hat sie vergewaltigt, hat ihr die Kordel um den Hals gebunden und sie damit erwürgt. Erst dann kommt er zum eigentlichen Geschäft.«
Eve setzte sich die Brille wieder auf. »Hat ihr die Kleider, die Schuhe, Schmuck und alles andere, was ihr eine persönliche Note verliehen haben könnte, abgenommen und sie hierher geschleppt. Hat sie auf dem Fels drapiert, ihr sorgfältig die Augen herausgeschnitten, überprüft, ob sie noch richtig lag, und sie eventuell noch mal zurechtgerückt. Vielleicht hat er sich im See ihr Blut abgewaschen. Hat hinter sich aufgeräumt, sich seinen Preis geschnappt und sich dann wieder auf den Weg gemacht.«
»Glauben Sie, es ist ein Ritualmord?«
»Für ihn ist es bestimmt ein Ritual. Sie können sie wegbringen lassen«, erklärte Eve und richtete sich wieder auf. »Lassen Sie uns gucken, ob wir die Stelle finden, an der er sie ermordet hat.«
Roarke verfolgte aus der Ferne, wie sie wieder in ihre hochhackigen Schuhe stieg. Sie wäre besser weiter barfuß herumgelaufen, überlegte er, nur dass ein so ungebührliches Verhalten für seinen Lieutenant, während er im Dienst war, eindeutig nicht in Frage kam.
Trotz der hochhackigen Schuhe und des glamourösen, wenn auch inzwischen ziemlich ramponierten Kleides war sie durch und durch ein Cop. Groß, schlank und noch härter als der Fels, über den sie eben zu der grauenhaften Leiche hinabgeklettert war. Ihren schräg stehenden, bernsteinbraunen Augen sähe niemand das Entsetzen an. Durch das harsche Licht der Lampen wurden ihre Blässe und ihre scharf geschnittenen Züge noch betont. Ihre kurz geschnittenen Haare, die beinahe dasselbe Braun wie ihre Augen hatten, waren von der vom See wehenden feuchten Brise wild zerzaust.
Er sah, dass sie kurz stehen blieb und sich mit einem uniformierten Beamten unterhielt. Er wusste, ihre Stimme war brüsk und verriet nichts von dem, was sie empfand.
Dann sah er, dass sie winkte, und die robuste Peabody, die deutlich passender gekleidet war, nickte eilig mit dem Kopf. Schließlich löste Eve sich von der Gruppe Polizisten und kam zu ihm zurück.
»Du solltest wirklich nach Hause fahren«, sagte sie zu ihm. »Das hier wird noch eine ganze Weile dauern.«
»Das glaube ich auch. Vergewaltigung, Strangulation, Verstümmelung.« Als sie die Augen zusammenkniff, zog er eine seiner wohlgeformten Brauen hoch. »Ich halte eben Augen und Ohren offen, wenn es um die Fälle meiner Polizistin geht. Kann ich euch vielleicht helfen?«
»Nein. Ich will keine Zivilisten in die Sache reinziehen. Er hat sie nicht hier unten umgebracht, also müssen wir die Stelle finden, an der sie von ihm ermordet worden ist. Ich komme heute Nacht wahrscheinlich nicht mehr heim.«
»Soll ich dir andere Sachen bringen oder schicken?«
Da nicht mal Roarke es schaffte, ihr lächerliches Kleid mit einem bloßen Fingerschnipsen gegen Jeans und Stiefel einzutauschen, schüttelte sie den Kopf. »Ich habe noch einen Satz Klamotten in meinem Schrank auf dem Revier.« Sie blickte auf ihr Kleid und stieß, als sie die kleinen Risse, die Schmutz- und Blutflecken darauf entdeckte, einen leisen Seufzer aus. Sie hatte sich bemüht vorsichtig zu sein, aber es hatte alles nichts genützt, dabei hatte er für diese Fetzen sicher ein Vermögen auf den Tisch gelegt.
»Tut mir leid.«
»Das Kleid ist völlig unwichtig. Ruf mich zwischendurch mal an.«
»Na klar.«
Sie bemühte sich – und wusste, dass er wusste, dass sie sich bemühte – Haltung zu bewahren, als er einen seiner Finger über ihr Kinngrübchen wandern ließ, sich zu ihr herunterbeugte und sanft mit seinem Mund über ihre Lippen strich. »Viel Glück, Lieutenant.«
»Ja. Danke.«
Er lief in Richtung seiner Limousine und hörte dabei, wie sie mit lauter Stimme sagte: »Okay, Jungs und Mädels, teilt euch in Zweiergruppen auf, geht in verschiedene Richtungen und guckt, ob irgendwo hier in der Nähe noch irgendwas zu finden ist.«
Er hat sie bestimmt nicht allzu weit getragen, überlegte Eve. Was hätte das für einen Sinn gemacht? Es hätte zusätzliche Zeit gekostet, wäre mühselig und gefährlich, weil er beobachtet werden könnte. Doch sie waren im Central Park, deshalb bräuchten sie, um irgendwas zu finden, vor allem jede Menge Glück.
Bereits nach einer knappen halben Stunde wurde ihr dieses Glück zuteil.
»Hier.« Sie hob eine Hand, damit Peabody nicht weiterlief, und ging dann in die Hocke. »Der Boden ist hier etwas aufgewühlt. Geben Sie mir die Brille. Ja, genau«, sagte sie nach einem kurzen Blick. »Hier ist tatsächlich Blut.«
Sie stützte sich mit beiden Händen auf dem Boden ab und drückte ihre Nase wie ein Spürhund, der eine Fährte aufgenommen hatte, auf der Erde platt. »Lassen Sie diese Ecke absperren und rufen Sie die Spurensicherung. Vielleicht finden sie ja irgendetwas, das ich selber übersehe. Hier.«
Sie zog eine Pinzette aus dem Untersuchungsbeutel, hob damit einen winzig kleinen Gegenstand vom Boden auf und hielt ihn gegen das Licht. »Ein abgebrochener Fingernagel. Wahrscheinlich von ihr. Du hast es ihm nicht leicht gemacht, nicht wahr, Elisa? Du hast alles in deiner Macht Stehende getan.«
Sie schob den Nagel vorsichtig in eine kleine Plastiktüte und hockte sich dann wieder hin.
»Hat sie über das Gras geschleift. Man kann sehen, wo sie versucht hat, sich in der Erde festzukrallen. Dabei hat sie einen Schuh verloren. Deshalb hat sie Grasflecken und Erde an einem Fuß. Aber er hat den Schuh gesucht und mitgenommen. Hat ihn zusammen mit ihrer übrigen Garderobe eingesteckt.«
Sie stand entschlossen auf. »Wir werden die Mülleimer in einem Umkreis von zehn Blocks durchsuchen. Vielleicht hat er das Zeug ja dort entsorgt. Die Kleider müssen schmutzig, blutig und zerrissen sein. Wir sehen zu, dass wir eine Beschreibung der Klamotten kriegen, die sie gestern Abend getragen hat. Aber auch ohne Beschreibung sehen wir uns danach um. Vielleicht hat er sie auch behalten«, murmelte sie leise vor sich hin. »Als eine Art Erinnerung.«
»Sie hat nur ein paar Blocks von hier entfernt gelebt«, bemerkte ihre Partnerin. »Er hat ihr also in der Nähe ihres Zuhauses aufgelauert, sie dann hierher verschleppt, sie vergewaltigt und getötet und dann rüber zu der Fundstelle geschleift.«
»Wir versuchen rauszufinden, welchen Weg er genau genommen hat. Wir koordinieren jetzt die Suche, und dann fahren wir zu ihr nach Hause.«
Peabody betrachtete Eves Kleid und räusperte sich leise. »Wollen Sie so dorthin?«
»Haben Sie vielleicht eine bessere Idee?«
Es war schwer, sich nicht ein bisschen lächerlich zu fühlen, als sie in ihrem ruinierten Kleid und den turmhohen Schuhen vor den Dienst habenden Nachtdroiden vor dem Eingang des Maplewood’schen Hauses trat.
Wenigstens hatte sie ihre Dienstmarke dabei. Sie war eins der Dinge, ohne die sie nie das Haus verließ. »Lieutenant Dallas und Detective Peabody von der New Yorker Polizei. Es geht um Elisa Maplewood. Lebt sie hier in diesem Haus?«
»Ich müsste bitte Ihre Dienstausweise überprüfen.«
Dafür, dass es noch so früh am Morgen war, wirkte er erstaunlich frisch, aber schließlich war er auch kein Mensch. Er trug eine adrette, silbern gesäumte, rote Uniform, sah aus wie ein Mann von etwa Mitte fünfzig, und die leichten grauen Strähnen in Höhe seiner Schläfen passten farblich ganz genau zu den Bordüren seines Rocks.
»Die Ausweise sind in Ordnung. Ms Maplewood lebt als Hausangestellte bei Mr und Mrs Luther Vanderlea. Darf ich fragen, worum es geht?«
»Haben Sie Ms Maplewood gestern Abend irgendwann gesehen?«
»Ich bin erst seit Mitternacht im Dienst, weshalb ich sie gestern Abend nicht gesehen haben kann.«
»Wir müssen zu den Vanderleas.«
»Mr Vanderlea ist momentan nicht da. Wenn Sie Mrs Vanderlea besuchen möchten, müssen Sie sich am Empfang anmelden. Im Augenblick ist dort nur der Computer an.«
Er öffnete die Tür und ging mit ihnen hinein. »Hier werden Ihre Dienstausweise noch mal überprüft«, informierte er sie höflich.
Auch wenn es ziemlich nervte, legte Eve gehorsam ihre Marke auf den Scanner des Geräts, das auf dem vornehmen Empfangstisch in der eleganten, schwarz-weiß gehaltenen Lobby des Hauses stand.
IHR AUSWEIS WURDE ÜBERPRÜFT; LIEUTENANT EVE DALLAS. WAS KANN ICH FÜR SIE TUN?
»Ich muss mit Mrs Luther Vanderlea sprechen. Es geht um ihre Angestellte, Elisa Maplewood.«
EINEN AUGENBLICK. MRS VANDERLEA WIRD KONTAKTIERT.
Der Droide wich nicht von ihrer Seite, während sie ungeduldig darauf warteten, dass sich endlich etwas tat. Seit sie das Foyer betreten hatten, hörten sie leise Musik. Wahrscheinlich setzte das Gesäusel automatisch ein, sobald ein Mensch das Haus betrat.
Weshalb Leute Musikbegleitung brauchten, um eine Eingangshalle zu durchqueren, würde sie wahrscheinlich nie verstehen.
Die Beleuchtung war gedämpft, die Blumen in den Vasen waren frisch.
Ein paar teure Möbelstücke waren für den Fall, dass man sich setzen und noch etwas länger von der Musik berieseln lassen wollte, geschmackvoll in der Halle arrangiert. Es gab zwei Lifte und vier Überwachungskameras.
Die Vanderleas hatten offenkundig jede Menge Geld.
»Wo ist Mr Vanderlea?«, wollte Eve von dem Droiden wissen.
»Ist das eine offizielle Anfrage?«
»Nein, ich bin einfach neugierig.« Sie fuchtelte mit ihrer Dienstmarke vor seinem Gesicht herum. »Ja, natürlich ist das eine offizielle Anfrage, was sonst?«
»Mr Vanderlea ist geschäftlich in Madrid.«
»Wann ist er abgereist?«
»Vor zwei Tagen. Morgen Abend wird er zurückerwartet.«
»Was -« Als der Computer piepste, brach sie ab.
MRS VANDERLEA WIRD SIE JETZT EMPFANGEN. BITTE NEHMEN SIE DEN FAHRSTUHL A BIS IN DIE EINUNDFÜNFZIGSTE ETAGE. SIE FINDEN MRS VANDERLEA IN PENTHOUSE B.
»Danke.« Während sie noch über den schwarz-weißen Schachbrettboden liefen, ging die Tür des Fahrstuhls bereits auf. »Warum bedanken wir uns eigentlich bei Maschinen?«, fragte Eve sich laut. »Das ist ihnen doch sicher völlig schnurz.«
»Wahrscheinlich einfach aus Gewohnheit. Deshalb sind die Dinger bestimmt auch darauf programmiert, freundlich zu uns zu sein. Waren Sie jemals in Madrid?«
»Nein. Vielleicht. Wahrscheinlich nicht«, überlegte sie, obwohl sie in den letzten Jahren ziemlich weit herumgekommen war. »Ich glaube nicht. Wissen Sie, wer Schuhe in der Art entwirft, wie ich sie gerade trage?«
»Der Schuhgott. Es sind wirklich phänomenale Schuhe, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
»Nein, nicht der Schuhgott, sondern garantiert ein Mann. Ein bösartiger Mann aus Fleisch und Blut, der alle Frauen hasst und sogar noch daran verdient, dass er sie, indem er derartiges Zeug entwirft, nach Kräften quält.«
»In diesen Schuhen sehen Ihre Beine aus, als wären sie dreißig Meter lang.«
»Davon habe ich natürlich immer schon geträumt. Von dreißig Meter langen Beinen.« Mit einem resignierten Seufzer stieg sie in der einundfünfzigsten Etage aus dem Lift.
Eine zarte Frau von vielleicht Mitte dreißig in einem moosgrünen Morgenmantel öffnete die riesengroße Eingangstür von Penthouse B.
Ihre zerzausten, dunkelroten, von dezenten goldfarbenen Strähnen durchwirkten, langen Haare machten deutlich, dass sie aus dem Schlaf gerissen worden war.
»Lieutenant Dallas? Himmel, ist das ein Leonardo?«
Ihre aus dem Kopf quellenden Augen machten deutlich, dass sie von Eves Garderobe sprach. »Wahrscheinlich«, meinte Eve, da der gute Leonardo nicht nur der momentane Gott der Modebranche, sondern auch der feste Partner ihrer besten Freundin war. »Ich war bei einem … Essen. Meine Partnerin, Detective Peabody. Mrs Vanderlea?«
»Ja, ich bin Deann Vanderlea. Worum geht’s?«
»Können wir hereinkommen, Mrs Vanderlea?«
»Ja, natürlich. Ich bin etwas verwirrt. Als ich eben mitgeteilt bekam, dass die Polizei mich sprechen will, war mein erster Gedanke, dass etwas mit Luther ist. Aber dann hätte ich doch wohl einen Anruf aus Madrid bekommen, oder nicht?« Sie sah Eve mit einem unsicheren Lächeln an. »Luther ist doch nichts passiert?«
»Wir sind nicht Ihres Mannes wegen hier. Es geht um Elisa Maplewood.«
»Um Elisa? Sie liegt um diese Zeit im Bett. Sie kann also unmöglich in Schwierigkeiten sein.« Sie kreuzte die Arme vor der Brust. »Was wollen Sie von ihr?«
»Wann haben Sie Ms Maplewood zum letzten Mal gesehen?«
»Direkt, bevor ich selbst ins Bett gegangen bin. Gegen zehn. Ich habe mich ziemlich früh zurückgezogen, weil ich Kopfweh hatte. Was haben diese Fragen zu bedeuten?«
»Es tut mir leid, Mrs Vanderlea. Ms Maplewood ist tot. Sie wurde heute Nacht getötet.«
»Das – das ist vollkommen lächerlich. Sie liegt in ihrem Bett und schläft.«
Eve wusste aus Erfahrung, es war am einfachsten und saubersten, wenn sie nicht widersprach. »Vielleicht möchten Sie das überprüfen.«
»Es ist fast vier Uhr in der Früh. Natürlich liegt Elisa um diese Zeit in ihrem Bett. Ihre Zimmer sind da drüben, direkt neben der Küche.«
Sie marschierte durch das geräumige Wohnzimmer davon. Eve erkannte, dass es mit antiken Möbeln aus weich schimmerndem, sanft geschwungenem Holz, Sofas mit warmen Stoffbezügen und einem hübschen Glastisch teuer eingerichtet war. In dem angrenzenden Medienraum gab es einen in die Wand eingelassenen Bildschirm und einen großen, geöffneten Schrank, in dem sie neben einem teuren Entertainment- und Kommunikationsgerät eine genauso teure Spielkonsole stehen sah.
Neben dem Medienraum fand sich das Esszimmer, hinter dem die Küche lag.
»Ich hätte gern, dass Sie hier warten.«
Jetzt klang Mrs Vanderlea ein wenig schnippisch, merkte Eve. Sie war verärgert und verstört.
Mrs Vanderlea öffnete eine breite Tür und betrat vorsichtig Elisa Maplewoods privates Reich.
»Was für eine riesengroße Wohnung«, flüsterte Peabody Eve zu.
»Allerdings. Sie haben jede Menge Platz und jede Menge Zeug.« Eve sah sich in der Küche um. Alles war silbern oder schwarz. Praktisch, elegant und vor allem derart sauber, dass wahrscheinlich nicht einmal die Spurensicherung auch nur das kleinste Stäubchen darin fand.
Sie ähnelte der Küche in ihrem eigenen Haus, die jedoch – zu ihrer Freude – nicht ihre, sondern Summersets Domäne war.
»Ich habe sie schon einmal irgendwo getroffen.«
Peabody lenkte ihren Blick von dem enormen AutoChef zurück auf Eve. »Sie kennen Mrs Vanderlea?«
»Kennen ist zu viel gesagt. Ich bin ihr einfach einmal irgendwo begegnet. Auf einer dieser dämlichen Veranstaltungen, die ich manchmal besuchen muss. Roarke kennt die Vanderleas. Der Name hat mir nichts gesagt, wer zum Teufel soll sich bitte alle diese Namen merken? Aber als ich ihr Gesicht sah, hat es klick gemacht.«
In diesem Augenblick kam Mrs Vanderlea zurück.
»Sie ist nicht da. Ich verstehe das nicht. Sie ist nicht in ihrem Zimmer und auch nirgendwo sonst in ihrer Suite. Vonnie liegt in ihrem Bett und schläft. Ihre kleine Tochter. Ich verstehe das nicht.«
»Geht sie öfter noch spätabends aus?«
»Nein, natürlich nicht – Mignon!« Damit rannte sie zurück in Elisas Suite.
»Wer zum Teufel ist Mignon?«, murmelte Eve.
»Vielleicht hatte die Maplewood ja eine Vorliebe für Frauen. Vielleicht hatte sie ja eine Freundin.«
»Mignon ist weg.« Jetzt war Deann kreidebleich und griff sich mit zitternden Fingern an den Hals.
»Wer ist…«
»Unser Hund.« Deann sprach mit einer solchen Eile, die Worte purzelten ihr beinahe aus dem Mund. »Aber vom Gefühl her eher Elisas Hund. Ein klitzekleiner Pudel. Ich habe ihn vor ein paar Monaten gekauft. Eigentlich für unsere Mädchen, nur dass Mignon vor allem an Elisa hängt. Sie – wahrscheinlich ist sie noch einmal mit ihr rausgegangen. Das macht sie oft noch vor dem Schlafengehen. Bestimmt hat sie noch einen Spaziergang mit dem Hund gemacht. Oh Gott. Oh Gott.«
»Warum setzen Sie sich nicht, Mrs Vanderlea? Holen Sie ihr ein Glas Wasser, Peabody.«
»Hatte sie einen Unfall? Gott, hatte sie einen Unfall?« Auch wenn sie noch nicht weinte, würde es wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, bis sie in Tränen ausbräche.
»Nein, tut mir leid, sie hatte keinen Unfall. Ms Maplewood ist überfallen worden.«
»Überfallen?«, fragte Mrs Vanderlea so langsam, als wäre ihr das Wort vollkommen fremd. »Überfallen?«
»Sie wurde ermordet.«
»Nein. Nein.«
»Hier, trinken Sie einen Schluck Wasser, Madam.« Peabody drückte ihr das Glas mit kaltem Wasser in die Hand. »Trinken Sie einen kleinen Schluck.«
»Ich kann nicht. Ich kann nicht. Wie ist das möglich? Erst vor ein paar Stunden haben wir uns noch miteinander unterhalten. Wir saßen hier im Wohnzimmer. Sie hat zu mir gesagt, dass ich eine Tablette nehmen und mich schlafen legen soll. Genau das habe ich getan. Wir … die Mädchen haben schon geschlafen, sie hat mir einen Tee gekocht und mir gesagt, dass ich auch ins Bett gehen soll. Wie ist es passiert? Was ist geschehen?«
Nein, dachte Eve. Dies war nicht der rechte Augenblick für die grässlichen Details. »Trinken Sie etwas von dem Wasser.«
Sie merkte, dass Peabody die Tür der angrenzenden kleinen Wohnung schloss.
Das Kind, erinnerte sich Eve. Dies war keine Unterhaltung für die Ohren eines Kindes.
Wenn die Kleine morgen früh erwachte, wäre ihre Welt vollkommen verändert. Nichts wäre mehr so, wie es bisher war.
2
»Wie lange hat sie für Sie gearbeitet?« Eve kannte die Antwort auf die Frage, doch es wäre einfacher für Deann, wenn sie sich noch eine Weile auf sicherem Terrain befand.
»Seit zwei Jahren. Seit zwei Jahren. Ich – wir – mein Mann ist sehr oft geschäftlich unterwegs, und ich wollte lieber eine Haushaltshilfe, die hier bei uns lebt, als jemanden, der täglich ein paar Stunden kommt, und irgendwelche Droiden. Ich nehme an, es ging mir vor allem um Gesellschaft. Ich habe Elisa angeheuert, weil sie mir auf Anhieb sympathisch war.«
Sie fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht und atmete tief durch. »Natürlich war sie auch qualifiziert, vor allem aber haben wir uns einfach hervorragend verstanden. Die Frau, die in unserer Wohnung leben und Teil unseres Haushalts werden sollte, sollte mir sympathisch sein. Der andere entscheidende Faktor war natürlich Vonnie. Ihre Tochter Yvonne. Ich habe selbst ein kleines Mädchen, Zanna. Sie haben dasselbe Alter und ich dachte, sie könnten Freundinnen werden. Das sind sie auch. Oder vielleicht sogar eher wie Schwestern. Sie sind wie ein Teil von unserer Familie. Nein, sie sind ein Teil davon. Oh Gott, Vonnie.«
Sie presste ihre Hände vor den Mund, und jetzt brachen sich die Tränen Bahn. »Sie ist erst vier. Sie ist doch noch ein Baby. Wie soll ich ihr nur sagen, dass ihre Mutter … Wie soll ich es ihr nur sagen?«
»Wir können es ihr sagen, Mrs Vanderlea.« Peabody nahm Platz. »Wir können mit ihr reden und dann noch jemanden vom Jugendamt bestellen, der ihr zur Seite steht.«
»Sie sind für sie doch völlig Fremde.« Deann stand auf, trat vor eine Kommode und nahm eine Packung Taschentücher heraus. »Sie hätte nur noch mehr Angst und wäre noch verwirrter, wenn sie es … von Fremden hören würde. Ich muss es ihr selber sagen. Ich muss einen Weg finden, es ihr zu sagen.«
Sie tupfte sich die Tränen mit einem der Taschentücher fort. »Ich brauche einen Augenblick, um mich zu sammeln.«
»Lassen Sie sich Zeit.«
»Wir waren Freundinnen. Wie Zanna und Vonnie. Es war nicht … unsere Beziehung war nicht die zwischen einer Arbeitgeberin und einer Angestellten. Ihre Eltern …«
Deann atmete tief durch, setzte sich wieder zu ihnen an den Tisch und Eve nickte ob ihrer Beherrschung anerkennend mit dem Kopf. »Ihre Mutter lebt zusammen mit Elisas Stiefvater hier in der Stadt. Ihr Vater, ah, ich glaube, er lebt in Philadelphia. Ich kann … ich kann mich mit ihnen in Verbindung setzen. Ich glaube, ich sollte ihnen die Nachricht überbringen. Ich … ich muss Luther anrufen. Ich muss es ihm sofort sagen.«
»Sind Sie sicher, dass Sie all diese Menschen selber informieren wollen?«, fragte Eve.
»Sie hätte das auch für mich getan.« Als ihre Stimme brach, presste sie die Lippen aufeinander und holte abermals tief Luft. »Sie hätte sich um mein Baby gekümmert, und jetzt kümmere ich mich um ihrs. Sie hätte … Oh Gott, wie konnte das passieren?«
»Hat sie Ihnen erzählt, dass sie irgendwelche Probleme hatte? Hat sie davon gesprochen, dass jemand sie belästigt oder sie bedroht?«
»Nein. Nein. Das hätte sie erzählt. Die Menschen haben Elisa gern gehabt.«
»Hatte sie eine … romantische oder freundschaftliche Beziehung zu irgendjemandem?«
»Nein. Sie hatte keinen Freund. Sie hatte eine schwierige Ehe hinter sich, wollte ihrer Tochter ein sicheres Zuhause geben und hielt sich deshalb – wie sie es formuliert hat – erst mal von den Männern fern.«
»Gab es vielleicht einen Mann, den sie zurückgewiesen hat?«
»Nicht, dass ich … wurde sie etwa vergewaltigt?« Deann ballte die Fäuste auf dem Tisch.
»Die Untersuchungen sind noch nicht …« Eve brach ab, als Deann plötzlich einen Arm ausstreckte und eine ihrer Hände fest umklammerte.
»Sie wissen es, und ich lasse nicht zu, dass Sie es mir verschweigen. Sie war meine Freundin.«
»Die Anzeichen sprechen dafür, dass sie vergewaltigt wurde, ja.«
Ihr Griff wurde noch etwas fester, dann aber ließ sie zitternd von Eve ab. »Sie werden ihn erwischen. Sie werden diesen Kerl erwischen und dafür sorgen, dass er bezahlt.«
»Genau das ist meine Absicht. Wenn Sie mir dabei helfen wollen, müssen Sie gründlich überlegen. Vielleicht gibt es ja irgendwas, was Ihnen völlig unwichtig erscheint. Vielleicht hat sie ja, wenn auch nur beiläufig, irgendwas gesagt.«
»Sie hat sich bestimmt zur Wehr gesetzt«, erklärte Deann. »Sie ist von ihrem Mann misshandelt worden, aber sie hat sich Hilfe geholt und ihn verlassen. Sie hat gelernt, sich zu behaupten. Sie hat sich also ganz bestimmt gewehrt.«
»Das hat sie. Wo lebt ihr Exmann jetzt?«
»Ich würde gerne sagen, dass er in der Hölle schmort, aber er hat sich mit seinem neuesten Flittchen in die Karibik abgesetzt und dort einen Tauchladen aufgemacht. Er hat sein eigenes Kind noch nie gesehen. Elisa war im achten Monat schwanger, als sie sich von ihm scheiden ließ. Ich lasse ganz bestimmt nicht zu, dass er das Kind bekommt.«
In ihre Augen trat ein kämpferisches Blitzen und ihre Stimme wurde hart. »Ich werde gegen ihn kämpfen, wenn er versucht, das Sorgerecht für Vonnie zu bekommen. Wenigstens das kann ich noch für sie tun.«
»Wann hat sie zum letzten Mal von ihm gehört?«
»Ich glaube, vor ein paar Monaten, als er mal wieder keinen Unterhalt für Vonnie bezahlen wollte. Hat sich darüber beschwert, dass er ihr seine schwer verdiente Kohle in den Rachen werfen sollte, obwohl sie es sich hier bei uns doch so nett eingerichtet hat.« Wieder holte sie tief Luft. »Sie hat den Kindesunterhalt immer auf ein Konto für Vonnie einbezahlt. Für ihre Ausbildung. Daran hätte er ganz sicher nie gedacht.«
»Haben Sie ihn je getroffen?«
»Nein, dieses zweifelhafte Vergnügen war mir nie vergönnt. Meines Wissens nach war er seit vier Jahren nicht mehr in New York. Ich kann gerade nicht klar denken«, räumte sie widerstrebend ein. »Aber das werde ich noch tun. Ich verspreche Ihnen, ich werde mein Gehirn durchforsten und alles in meiner Macht Stehende tun, um Ihnen behilflich zu sein. Aber jetzt muss ich meinen Mann anrufen. Ich muss mit Luther sprechen – und ich brauche einen Augenblick für mich allein. Einen Augenblick für mich allein, um mir zu überlegen, wie ich es Vonnie sagen soll, wenn sie nachher wach wird. Wie ich es Vonnie und meinem eigenen kleinen Mädchen sagen soll.«
»Irgendwann morgen müssen wir uns ihre Räume ansehen und ihre Sachen durchgehen. Ist das ein Problem?«
»Nein. Ich würde Sie ja gleich in ihre Wohnung lassen, aber …« Sie blickte Richtung Tür. »Ich möchte, dass Vonnie so lange wie möglich schläft.«
Eve stand langsam auf. »Vielleicht können Sie sich dann morgen früh mit uns in Verbindung setzen.«
»Das tue ich auf jeden Fall. Es tut mir leid, ich habe vollkommen vergessen, wer Sie sind.«
»Dallas, Lieutenant Dallas. Und Detective Peabody.«
»Richtig. Richtig. Ich habe vorhin Ihr Kleid bewundert, als Sie hereingekommen sind. Ich habe das Gefühl, als wäre das inzwischen Jahre her.« Sie erhob sich ebenfalls, fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht und sah Eve noch einmal an. »Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. Ich habe keine Ahnung, ob das daran liegt, dass ich den Eindruck habe, dass Sie schon eine halbe Ewigkeit hier sitzen, oder ob ich Ihnen wirklich schon mal irgendwo begegnet bin.«
»Ich glaube, wir sind uns schon einmal begegnet. Bei einer Wohltätigkeitsgala oder so.«
»Bei einer Wohltätigkeitsgala? Oh, ja, sicher. Roarke. Sie sind Roarkes Frau. Die Leute nennen Sie Roarkes Cop. Ich bin gerade wirklich nicht ganz bei mir.«
»Kein Problem. Tut mir leid, dass wir uns unter diesen Unständen wieder begegnet sind.«
Wieder trat das kämpferische Blitzen in Deanns Augen, als sie meinte: »Wenn sich die Leute über ihren Cocktails und ihren Häppchen über Roarkes Polizistin unterhalten, sagen sie immer, dass sie ein bisschen Furcht einflößend, ein bisschen gemein, aber vor allem unermüdlich ist. Trifft diese Beschreibung auf Sie zu?«
»Sie ist auf keinen Fall völlig falsch.«
»Gut. Gut.« Deann reichte ihr die Hand. »Weil Sie jetzt nämlich auch meine Polizistin sind.«
»Sie hat ein paar ziemlich harte Tage vor sich«, bemerkte Peabody auf der Fahrt hinunter ins Foyer. »Aber sie erscheint mir wie die Art von Frau, die damit zurechtkommt, wenn sie erst wieder ihr Gleichgewicht gefunden hat.«
»Sie hat Rückgrat«, meinte auch Eve, wandte sich dann aber sofort wieder der Arbeit zu. »Wir sollten uns den Exmann mal genauer ansehen. Vielleicht ist er ja doch mal wieder in New York. Und wir müssen mit den Eltern und Freundinnen und Freunden von Elisa reden, damit wir ein Bild davon bekommen, woraus ihr Leben abgesehen von ihrem Kind und ihrer Arbeit bei den Vanderleas bestanden hat.«
»Der Mörder hat sie nicht zufällig gewählt. Die Verstümmelungen, der Fundort und die Pose, in der sie dort gelegen hat, zeigen, dass er nicht einfach wahllos irgendeine Frau ermordet hat. Selbst wenn es ihm nicht um Elisa persönlich ging, war die Tat auf alle Fälle sorgfältig geplant.«
»Das sehe ich genauso.« Sie durchquerten das Foyer und gingen zu dem Streifenwagen, der ein Stück neben dem Eingang parkte. »Bestimmt hat Maplewood den Pudel jeden Abend ausgeführt. Es war eine Art Routine. Sie ist dem Mörder aufgefallen, die Routine ist dem Mörder aufgefallen. Er hat entweder gewusst, dass ihn der Hund nicht attackieren würde, oder er hatte irgendwas dabei, womit er ihn aus dem Verkehr gezogen hat.«
»Haben Sie schon mal einen Zwergpudel gesehen?« Peabody formte mit ihren beiden Händen eine kleine Schale, um Eve zu demonstrieren, wie klein ein solches Hündchen war.
»Trotzdem hat er Zähne, oder etwa nicht?«
Eve blieb neben dem Streifenwagen stehen und sah sich die Umgebung an. Die Bürgersteige waren hell erleuchtet. Regelmäßig drehten Sicherheitsdroiden in dieser Gegend ihre Runden, und die Eingänge der Häuser wurden rund um die Uhr von Türstehern bewacht. Außerdem hatte zu der Zeit, als Elisa überfallen worden war, sicher noch einiger Verkehr geherrscht.
»Sie muss mit dem Pudel in den Park gegangen sein. Wahrscheinlich nicht besonders weit, aber auf jeden Fall hinein. Sie hat sich dort sicher gefühlt. Sie hat hier gelebt und kannte die Umgebung. Wahrscheinlich hat sie sich nicht weit von der Straße entfernt, aber das hat schon gereicht. Er muss schnell gewesen sein. Muss ihr aufgelauert haben. Sonst hätte er sie nicht erwischt.«
Während sie selbst den Park betrat, stellte sie sich die Attacke bildlich vor. »Sie hat den Hund ein bisschen schnuppern lassen und darauf gewartet, dass er sein Geschäft erledigt. Es war ein milder Abend. Sie hat sich wahrscheinlich entspannt. Auch wenn sie und Vanderlea befreundet waren, war sie trotzdem bei ihr angestellt und hat schwer gearbeitet. Das hat man ihren Händen angesehen. Also hat sie die Zeit mit dem Hund, den kurzen Spaziergang, den Moment des Nichtstuns sicherlich genossen.«
Sie ließ den Strahl der Taschenlampe in Richtung der inzwischen abgesperrten Stelle wandern, an der Elisa überfallen worden war. »Er hat gewartet, bis sie von der Straße aus nicht mehr zu sehen war. Bis sie gerade weit genug im Park war, damit niemand sie mehr sah. Entweder ist der Pudel weggelaufen oder er hat ihn umgebracht.«
»Er hat ihn umgebracht?«
Angesichts von Peabodys Bestürzung schüttelte Eve verständnislos den Kopf.
»Wenn ein Typ eine Frau zusammenschlägt, vergewaltigt und verstümmelt, hat er sicher keine allzu großen Skrupel, wenn es darum geht, einen Hund zu töten.«
»Himmel.«
Eve ging in Richtung Straße zurück. Sie könnte nach Hause fahren und sich umziehen. Es wäre deutlich näher als bis auf das Revier, und ihr bliebe die Peinlichkeit erspart, in ihrem Aufzug durch die Wache zu marschieren. Was ein unschätzbarer Vorteil war.
»Wir lassen uns zu mir nach Hause bringen. Dort können wir alles zusammenfassen, was wir bisher haben, hauen uns ein paar Stunden aufs Ohr und fangen morgen früh in aller Frische an.«
»Sie wollen also nicht in Ihrem schicken Kleid auf das Revier.«
»Halten Sie die Klappe, Peabody.«
Es war bereits nach fünf, als Eve ins Schlafzimmer schlich, auf dem Weg zum Bett die Kleider abwarf und einfach auf dem Boden liegen ließ, und splitternackt zu Roarke unter die Decke kroch.
Sie hatte kein Geräusch gemacht und selbst die Decke kaum bewegt, aber trotzdem legte er sofort den Arm um ihre Taille und zog sie dicht an sich heran.
»Ich wollte dich nicht wecken. Ich haue mich nur kurz aufs Ohr. Peabody habe ich in ihrem Lieblingsgästezimmer untergebracht.«
»Dann mach die Augen zu und schlaf.« Er küsste sie zärtlich auf den Kopf.
»Zwei Stunden«, murmelte sie schläfrig und war auch schon eingenickt.
Ihr nächster, etwas unzusammenhängender Gedanke war: Kaffee.
Wie ein junger Don Juan, der über ein blumenumranktes Gitter durch das Fenster seiner Liebsten kletterte, stieg ihr der verführerische Duft durch die Nase geradewegs ins Hirn. Dann schlug sie blinzelnd ihre Augen auf und entdeckte Roarke.
Wie immer war er vor ihr aufgestanden, ebenfalls wie immer hatte er schon einen seiner teuren Maßanzüge an. Anders als gewöhnlich aber saß er nicht gemütlich auf dem Sofa und sah sich während des Frühstücks die Börsennachrichten im Fernsehen an, sondern hatte sich zu ihr auf die Bettkante gehockt.
»Was ist los? Ist was passiert? Gab es eine neue …«
»Nein. Entspann dich.« Er legte eine Hand auf ihre Schulter, damit sie nicht in aller Eile aus den Federn sprang. »Ich habe dir nur einen Kaffee ans Bett gebracht.« Er hielt ihr den Becher so, dass sie ihn sah.
Er nahm das sehnsüchtige Flackern in ihren Augen wahr. »Gib her.«
Er drückte ihr den Becher in die Hand und gierig trank sie ihren ersten großen Schluck. »Weißt du, Liebling, falls Koffein jemals verboten wird, wird das ein echte Problem für dich.«
»Falls sie je versuchen sollten, Kaffee zu verbieten, bringe ich sie alle um, womit das Thema ein für alle Mal erledigt ist. Womit habe ich Kaffee im Bett verdient?«
»Damit, dass ich dich liebe.«
»Ja, das tust du wirklich.« Sie nahm den nächsten Schluck und sah ihn grinsend an. »Weichei.«
»Das ist nicht unbedingt der beste Weg, um mich dazu zu bringen, dass ich dir einen zweiten Becher hole.«
»Und wenn ich dir gestehe, dass ich dich genauso liebe?«
»Das könnte funktionieren.« Er strich mit einem Daumen über die dunklen Ringe unter ihren Augen. »Du brauchst eindeutig mehr als zwei Stunden Schlaf, Lieutenant.«
»Mehr Zeit kann ich nicht erübrigen. Ich hole einfach später alles nach. Jetzt springe ich am besten kurz unter die Dusche.«
Damit sprang sie auf, trug den Becher mit dem Kaffeerest ins Bad, drehte die Dusche so heiß wie möglich auf, und Roarke schüttelte den Kopf über ihre Angewohnheit, sich morgens so lange zu kochen, bis auch der letzte Rest von Müdigkeit in dampfend heißen Nebelschwaden aufgegangen war.
Notfalls auch gegen ihren Willen würde er auf alle Fälle dafür sorgen, dass sie vor der Arbeit etwas Anständiges aß. Entschlossen trat er vor den AutoChef und nahm plötzlich hinter seinem Rücken ein leises Trippeln wahr.
»Man könnte meinen, du hättest einen Chip im Hirn, der dir ein Signal gibt, sobald jemand in diesem Haus auch nur ans Essen denkt.« Er blickte auf den fetten Galahad, der ihm voller Hoffnung schnurrend um die Beine strich. »Ich wette, du hast bereits unten in der Küche was gekriegt.«
Der Kater schnurrte wie ein Motor und schmiegte sich noch enger an sein Bein, als Roarke goldbraunen Toast bestellte, wie ihn seine Gattin liebte, und da er seine eigene Schwäche für den Kater kannte, ein paar Scheiben gebratenen Speck in Auftrag gab.
Eingehüllt in einen kurzen weißen Frotteebademantel kam Eve wieder ins Schlafzimmer zurück. »Ich esse nachher was auf der Wache, wenn ich …« Sie fing an zu schnuppern und entdeckte den Teller mit dem Toast. »Das ist hinterhältig und gemein.«
»Ja.« Er klopfte fröhlich neben sich aufs Sofa und schob den Kater, als er der Einladung folgen wollte, unsanft auf den Fußboden zurück. »Nicht du. Setz dich, Eve. Eine Viertelstunde kannst du doch bestimmt erübrigen.«
»Vielleicht. Außerdem sollte ich dir ein paar Dinge erzählen, sodass ich, wenn ich dabei esse, zwei Fliegen mit einer Klappe schlage.« Sie goss großzügig Sirup über das frisch gegrillte Brot, biss vorsichtig hinein, schubste Galahad zur Seite, als der sich verstohlen in Richtung ihres Tellers schob, und griff nach dem Becher mit frischem Kaffee. »Das Opfer war bei Luther und Deann Vanderlea angestellt.«
»Dem Antiquitäten-Vanderlea?«
»So sieht’s aus. Wie gut kennst du die Vanderleas?«
»Die meisten Möbel hier und in einer Reihe anderer Häuser sind von ihm. Den Großteil der Geschäfte habe ich mit seinem Vater abgeschlossen, aber ich kenne auch Luther und seine Frau. Auch wenn ich die beiden nicht als persönliche Freunde bezeichnen würde, sind sie auf jeden Fall gute Bekannte. Er hat wirklich Ahnung von seinem Metier und ist inzwischen stark in das Unternehmen involviert. Ein angenehmer Mensch und auch seine Frau ist intelligent und ausnehmend charmant. Sind die beiden verdächtig, etwas mit dem Mord zu tun zu haben?«
»Soweit ich bisher weiß, war Luther zum Zeitpunkt des Mordes in Madrid. Die Frau steht nicht auf meiner Liste. Wenn sie keine begnadete Schauspielerin ist, waren sie und das Opfer nicht nur Chefin und Angestellte, sondern obendrein befreundet. Vor allem hat sie sich unglaublich gut gehalten, obwohl der Mord sie sehr betroffen hat. Ich mag sie.«
»Nach allem, was ich von Luther weiß, kann ich mir schwer vorstellen, dass er eine Frau vergewaltigt oder gar ermordet und ihr dann auch noch die Augen aus dem Schädel schneidet.«
»Kommt er dir vor wie jemand, der vielleicht vor den Augen seiner Frau etwas mit einer Hausangestellten anfängt?«
»Man weiß nie, was ein Mann alles versucht, aber vorstellen kann ich es mir nicht. Die beiden scheinen sehr glücklich miteinander zu sein. Ich glaube, sie haben auch ein gemeinsames Kind.«
»Ein vierjähriges Mädchen. Genau im selben Alter wie die Tochter unseres Opfers. Deann Vanderlea hat heute also sicher einen ziemlich schweren Tag.«
»War das Opfer verheiratet?«
»Geschieden. Inzwischen lebt ihr Ex in der Karibik. Angeblich hat er sie misshandelt. Wir sehen ihn uns noch genauer an.«
»Hatte sie ein Verhältnis?«
»Deann zufolge nicht. Elisa Maplewood, das Opfer, soll gestern Abend zwischen zehn und Mitternacht noch mit dem Pudel der Familie vor die Tür gegangen sein. Den genauen Zeitpunkt finden wir über die Überwachungskameras in der Eingangshalle heraus. Sie muss mit dem Pudel in den Park geschlendert sein, und dort hat ihr Mörder sie erwischt. Er hat ihr aufgelauert – muss ihr aufgelauert haben -, hat sie überfallen, vergewaltigt, erwürgt, rüber zu den Felsen unterhalb der Burg geschleppt und dort sein Werk beendet. Sind die Augen vielleicht ein Symbol?«, fragte sie sich laut. »Fenster der Seele oder Auge um Auge, wie es in der Bibel steht? Ein verdrehtes religiöses Ritual? Vielleicht sind sie auch nur ein Souvenir.«
»Darüber solltest du mit Mira sprechen.«
»Allerdings.« Eve dachte an die Top-Profilerin der Stadt. »Ich rufe sie noch heute Morgen an.«
Während des Gesprächs hatte sie aufgegessen, und jetzt stand sie auf, um sich endlich anzuziehen. »Vielleicht haben wir ja Glück und es war eine einmalige Sache.«
»Warum glaubst du, dass es das nicht ist?«
»Es war zu gut organisiert und zu präzise, und es gab zu viele Symbole. Die Augen, die rote Kordel und die Pose. Vielleicht finden wir ja heraus, dass das alles in direktem Zusammenhang mit Elisa Maplewood gestanden hat, aber ich glaube, dass sich diese Dinge eher auf den Mörder als auf das Opfer beziehen. Sie bedeuten ihm etwas. Vielleicht hat ihn Elisa vom Typ her angesprochen. Entweder von ihrem Aussehen, von ihrem Wohnort, von ihrem persönlichen Hintergrund oder von etwas anderem her. Vielleicht hat es auch schon gereicht, dass sie eine Frau und für ihn erreichbar war.«
»Willst du, dass ich dir bei den Vanderleas behilflich bin?«
»Vielleicht. Ich weiß noch nicht genau.«
»Dann sag mir einfach Bescheid, falls ja. Liebling, doch nicht diese Jacke.« Weniger entgeistert als vielmehr resigniert nahm er ihr die Jacke ab, die sie aus dem Schrank gerissen hatte, und tauschte sie nach kurzem Überlegen gegen einen blassblau-cremefarbenen karierten Blazer ein. »Vertrau mir.«
»Ich weiß wirklich nicht, was ich gemacht habe, bevor du mich in Stilfragen beraten hast.«
»Ich schon, aber ich denke lieber nicht daran zurück.«
»Glaub nicht, ich hätte nicht gemerkt, dass das ein Seitenhieb war.« Sie setzte sich, um ihre Stiefel anzuziehen.
»Mmm.« Er schob eine Hand in seine Jackentasche und tastete dort nach dem kleinen grauen Knopf, der von dem wahrscheinlich hässlichsten und am schlechtesten geschnittenen Kostüm des ganzen Universums abgefallen war, das sie an dem Tag getragen hatte, als er ihr zum ersten Mal begegnet war.
»Ich habe gleich noch eine Videokonferenz, dann fahre ich ins Büro.« Er beugte sich nach vorn und legte seinen Mund auf ihre Lippen, wo er ihn während eines langen, befriedigenden Augenblickes einfach liegen ließ. »Pass gut auf meine Polizistin auf.«
»Auf jeden Fall. Weißt du, ich habe gehört, dass deine Freunde sagen, deine Polizistin wäre unermüdlich, aber auch Furcht einflößend und gemein. Was sagst du dazu?«
»Lieutenant, das sagen deine Freunde auch. Grüß Peabody herzlich von mir«, fügte er im Hinausgehen hinzu.
»Zwar werde ich sie grüßen«, rief sie ihm hinterher. »Aber dein Herz behalte ich für mich.«
Als sie sein gut gelauntes Lachen hörte, kam sie zu dem Schluss, dass dieses Geräusch am frühen Morgen mindestens so gut wie ein ganzer Liter frischer Kaffee war.
Sofort nach ihrer Ankunft auf der Wache rief sie wegen eines Termins in Dr. Miras Praxis an. Peabody würde überprüfen, ob sich Luther Vanderlea tatsächlich wie behauptet zum Zeitpunkt des Mordes in Spanien aufgehalten hatte, und wo Elisas Exmann war.
Eve gab währenddessen alle bisherigen Daten in den Computer ein und fragte beim IRCCA, ob es andere, ähnliche Verbrechen in deren Dateien gab.
Es wunderte sie nicht, dass es bei unzähligen Sexualmorden auch zu Verstümmelungen kam. Dazu war sie bereits viel zu lange bei der Polizei. Nicht einmal die Zahl der Tötungen, bei denen den Opfern die Augen zerstört oder herausgeschnitten worden waren, brachte sie länger als einen Moment aus dem Konzept.
Sie strich die Morde von der Liste, bei denen der Täter entweder im Gefängnis saß oder gestorben war, und brachte dann den Rest des Vormittages mit dem Studium der Angeklagten, die nicht verurteilt werden konnten, und der nicht gelösten Fälle zu.
Hin und wieder klingelte ihr Link, da jedoch bestimmt nur eine Reihe Journalisten eine Stellungnahme von ihr wollten, ging sie nicht auf das Schrillen ein.
Während der Computer seine Arbeit machte, wandte sie sich abermals dem Opfer zu.
Wer war Elisa Maplewood gewesen?
Sie hatte eine normale Schulbildung genossen, aber kein College besucht. Einmal verheiratet, geschieden, eine Tochter. Während der ersten beiden Jahre hatte sie Erziehungsgeld bekommen und ihr Kind daheim versorgt. Ihre Eltern hatten sich scheiden lassen, als sie dreizehn gewesen war. Die Mutter war Hausangestellte wie sie selber, der Stiefvater Arbeiter in einer Fabrik. Vater in der Bronx, arbeitslos und vorbestraft.
Eve sah sich Abel Maplewood etwas genauer an.
Einfacher Diebstahl, Trunkenheit, Störung der öffentlichen Ruhe, Hehlerei, tätlicher Angriff, häusliche Gewalt, illegales Glücksspiel.
»Aber hallo, Abel, du bist echt ein kleines Ekel.«
Bisher war er nicht mit Sexualstraftaten aufgefallen, aber schließlich gab es für alles ein erstes Mal. Sie wusste nur zu gut, dass Väter Töchter vergewaltigten. Dass sie sie sich unterwarfen, sie zusammenschlugen, ihre Knochen brachen und in ihr eigenes Fleisch und Blut eindrangen, als wäre das normal.
Als ihr Herz anfing zu rasen, stieß sie sich schon von ihrem Schreibtisch ab. Die Erinnerung, der Albtraum der Erinnerung bemächtigte sich langsam, aber sicher ihres Hirns.
Statt Kaffee holte sie sich einen Becher Wasser, das sie, während sie aus dem schmalen Fenster blickte, möglichst langsam trank.
Sie wusste, welche Angst, welches Entsetzen, das schlimmer war als aller Schmerz, welche Erniedrigung und welchen Schock Elisa bei der Vergewaltigung empfunden hatte. Wusste es genau.
Doch sie musste dieses Wissen nutzen, um den Killer ausfindig zu machen, um Gerechtigkeit zu finden, denn sonst nützte sie Elisa nichts. Wenn sie zuließ, dass die eigene Erinnerung sie zu sehr quälte, dass sie ihren Blick für das Wesentliche trübte, nützte sie ihr nichts.
Am besten machte sie sich wieder auf den Weg. Am besten machte sie sich wieder auf den Weg ins Feld und fuhr dort mit ihrer Arbeit fort.
»Dallas?«
Sie drehte sich nicht um und fragte sich auch nicht, wie lange Peabody wohl in der Tür gestanden hatte, während sie um Fassung rang. »Haben Sie die Bestätigung, dass Vanderlea tatsächlich gestern Nacht in Spanien war?«
»Ja. Er war anscheinend wirklich in Madrid. Jetzt ist er auf dem Weg nach Hause. Nach dem Anruf seiner Frau hat er den letzten geschäftlichen Termin dort einfach abgesagt. Er war heute Morgen – sieben Uhr Madrider Zeit – bei einem Geschäftsfrühstück, als sie ihn angerufen hat. Es ist also so gut wie ausgeschlossen, dass er hier in New York war, Maplewood ermordet hat und dann rechtzeitig zu dem Frühstück wieder in Spanien war.«
»Und der Ex?«
»Brent Hoyt. Auch der ist aus dem Schneider, denn er hat die letzte Nacht nicht hier in New York, sondern in einer Ausnüchterungszelle auf St. Thomas zugebracht.«
»Also gut. Maplewoods Vater Abel hat ein ellenlanges Vorstrafenregister, wir sehen ihn uns also besser noch genauer an. Aber vorher fahren wir noch einmal zu den Vanderleas.«
»Ah, da ist jemand, der mit Ihnen sprechen möchte.«
»Mit irgendeinem zweckdienlichen Hinweis?«
»Nun …«