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Unheimlich und unglaublich fesselnd. Action, Action und noch MEHR ACTION! In den Geheimlabors des amerikanischen Militärs gerät eine Biowaffe außer Kontrolle. Innerhalb von Tagen rast die Pest um den Globus und rottet den größten Teil der Menschheit aus. Buch 1: Alles beginnt in Vietnam, wo US-Soldaten VX99 injiziert wird, ein experimentelles Medikament, das zu Halluzinationen führt und sie in wahnsinnige Tötungsmaschinen verwandelt. Wir müssen einen grausamen Preis zahlen! Diese Serie erreichte in den USA Bestsellerstatus und wird gefeiert als genialer Vorreiter eines neuen Genres.
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Seitenzahl: 493
Veröffentlichungsjahr: 2016
Aus dem Amerikanischen von Michael Krug
Impressum
Die amerikanische Originalausgabe Extinction Horizon (The Extinction Cycle, #1)
erschien 2014 im Verlag CreateSpace Independent Publishing.
Copyright © 2014 by Nicholas Sansbury Smith
Copyright © dieser Ausgabe 2016 by Festa Verlag, Leipzig
Titelbild: Arndt Drechsler
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-86552-495-9
www.Festa-Verlag.de
»Das Leben auf der Erde ist dem stetig steigenden Risiko ausgesetzt, von einer Katastrophe ausgelöscht zu werden, sei es durch einen weltweiten Atomkrieg, ein genmanipuliertes Virus oder andere Gefahren, an die wir noch gar nicht gedacht haben …«
– Stephen Hawking
Prolog
10. Juli 1968
Operation Burn Bright
Südvietnam
Operation Burn Bright begann mit einem reibungslosen Absetzen der Truppen. Lieutenant Brett und 31 andere Marines stürzten sich in den Kampf, indem sie sich aus den Mannschaftskabinen mehrerer Helikopter des Typs UH-1 Huey abseilten, die 15 Meter über der Landestelle schwebten.
Der Gestank des Dschungels drang in Bretts Lunge, kaum dass seine Stiefel den Boden berührt hatten. Man hatte sie am Rand eines Sumpfgebiets abgesetzt und der Modergeruch hing durchdringend in der schwülen Luft.
Der Mief brachte Brett zum Würgen, weshalb er rasch den Mund schloss. Er bewegte sich mit zusammengepressten Lippen voran und achtete darauf, keine Insekten zu verschlucken, als er sich zwang, den Mund wieder zu öffnen, um Befehle zu brüllen. Vietnam war der schlimmste vorstellbare Ort für jemanden, der an einer Zwangsneurose litt. Im Dschungel gab es schlichtweg keine Möglichkeit, anständige Hygiene aufrechtzuerhalten.
Er atmete durch die Nase, als er die Männer langsam in Keilformation in das knietiefe Wasser führte. Alle paar Schritte hielt er inne und ließ den Blick prüfend über die Umgebung wandern, bevor er mit Handzeichen weiter vorrücken ließ. Die Männer waren erfahren genug, um zu wissen, dass sie Kampfabstand einhalten mussten. Viele von ihnen hatten miterlebt, wie Kameraden gestorben waren, weil sie sich zu dicht zusammengeschart und dadurch Mehrfachziele für den Feind gebildet hatten.
Hätte Brett die Lippen nicht so fest zusammengepresst, er hätte vielleicht über den Anblick seines so gut organisierten Zugs gelächelt. Aber Lächeln war Friedenszeiten vorbehalten, nicht Kriegszeiten. In Bretts Augen stellte Vietnam einen Ort dar, an dem man Marines zum Sterben absetzte.
Je weiter sie sich durch den Morast vorankämpften, desto tiefer wurde der Sumpf. Abgestandenes Wasser kroch seine Beine hoch und jagte Kälte durch seinen Körper.
Gottverdammt, was hasste er den verfickten Dschungel und alles darin – die Schlangen, die Insekten und, am schlimmsten von allem, die Blutegel. Er verkniff sich einen Fluch, als er einen 30 Zentimeter langen Egel erblickte, der in seine Richtung schwamm. Das Letzte, was er wollte, war Charlie anzuzeigen, dass sie kamen. Allein die plätschernden Laute des Wassers erschienen ihm laut genug, um jeden Vietcong in der Gegend wissen zu lassen, dass ein Zug Frischfleisch unterwegs war.
Während er durch das Wasser watete, fragte er sich, wieso ausgerechnet ihn solches Pech ereilt hatte. Der Krieg hatte alles ruiniert. Er hatte sich nach dem College-Abschluss auf eine Karriere im Bankwesen gefreut, auf ein hübsches, kleines Nullachtfünfzehn-Haus, eine umwerfende Frau und ein warmes Abendessen, das ihn täglich erwartete, wenn er nach Hause kam. Stattdessen hatte ihn seine Freundin verlassen und er stapfte durch einen Sumpf auf einen der skrupellosesten Feinde zu, mit denen es das amerikanische Militär je zu tun gehabt hatte. Erschwerend kam hinzu, dass sie eine experimentelle Droge dabeihatten, die sie kurz vor dem Erreichen ihres Ziels einnehmen sollten. Laut Kommandozentrale würde sie die Wirkung jeglicher Chemikalien wie Agent Orange in der näheren Umgebung aufheben, doch Brett hegte seine Zweifel an der offiziellen Fassung. Für ihn klang es eher so, als würden sie als Versuchskaninchen benutzt.
»Scheiße«, murmelte er, als eine Fliege von der Größe einer Erdnuss an seinem Helm vorbeischwirrte. Nachdem er sie verscheucht hatte, schwenkte er die Mündung seines M16 über eine Lichtung am fernen Ende des Sumpfes. Sie befanden sich nicht weit von ihrem Ziel entfernt – einem abgelegenen Dorf, von dem die Hochrangigen behaupteten, es unterstütze die lokalen Vietcongs.
Brett war sich da nicht so sicher. Er hatte diese Routine schon viele Male abgespult. Meist hatten sie einen Scheißdreck gefunden.
Als sie den Rand des Sumpfes erreichten, ballte Brett die Hand zur Faust. Er deutete mit dem Kinn in Richtung des Sergeants des Zugs, eines stämmigen Texaners namens Fern. Der Mann besaß den Körperbau eines Footballspielers mit breiten Schultern und Baumstämmen als Beinen. Er näherte sich Brett mit einem zahnlückigen Grinsen, durch das ein Stück Kautabak zum Vorschein kam, von dem eine braune Saftspur über seinen Kinngurt hinablief.
Die beiden Männer verkörperten vollkommen gegensätzliche Typen. Fern pfiff auf Hygiene und schien in dem widerlichen Dschungel geradezu aufzublühen. Je dicker der Matsch wurde, desto wohler schien er sich zu fühlen.
»Lieutenant«, brummte Fern und hielt sich eine Hand über die zusammengekniffenen Augen, um sie abzuschirmen.
»Das Dorf sollte unmittelbar hinter der Anhöhe dort liegen«, sagte Brett und deutete in Richtung einer Böschung jenseits des Feldes. »Sagen Sie allen, die keinen Sicherheitsposten haben, dass sie sich paarweise zusammentun und ihre Dosis VX-99 nehmen sollen. Und sorgen Sie dafür, dass sie es auch wirklich tun.«
»Verstanden, Sir«, gab Fern zurück. Er spuckte einen Pfropfen Tabak ins abgestandene Wasser und Brett beobachtete, wie er im Maul eines kleinen Fisches verschwand. Bei dem Anblick drehte sich ihm fast der Magen um.
Brett folgte Fern aus dem Wasser auf festen Boden. Sie stiegen über verrottende Vegetation hinweg und schlugen kratzige Äste beiseite. Als sie den Rand der Lichtung erreichten, ließ sich Brett aufs rechte Knie sinken und griff nach seinem Rucksack. Er holte die kleine Spritze mit VX-99 hervor und betrachtete sie argwöhnisch. Brett hasste nichts mehr als Nadeln, abgesehen vom Dschungel und allem darin. Aber wenn er dadurch, dass er sich die Nadel in den Arm jagte, schneller hier rauskäme – tja, dann drauf geschissen.
Mit den Zähnen zog er die Kappe von der Spritze und spuckte sie aus, dann suchte er eine hervortretende Vene in der Nähe seines Handgelenks und stach die Nadel in den Arm. Langsam drückte er den Kolben und führte den geheimnisvollen Cocktail in seinen Blutkreislauf ein. Sofort raste ein stechender Schmerz seinen Arm entlang. Brett warf die Spritze ins Unterholz und legte einen Finger auf die Einstichstelle. Die anderen wechselten sich ab; ein Mann hielt mit gezückter Waffe die Augen offen, der andere klemmte sein Gewehr in die Armbeuge, während er sich die Chemikalie in eine Vene injizierte.
Brett wartete, lauschte mehrere Sekunden lang dem Summen der viel zu großen Insekten und dem Zwitschern exotischer Vögel und fragte sich, ob sein Zug irgendwelche Nebenwirkungen feststellen würde.
Nach einer Minute legte sich das Kribbeln in seinen Blutbahnen. Er stand auf, setzte das Gewehr an der Schulter an und richtete die Mündung über das Feld. Bisher fehlte vom Feind jede Spur, was jedoch keineswegs bedeutete, dass er sich nicht dort draußen befand. Charlie war immer da draußen und lauerte darauf, zuzuschlagen – wie die Droge in seinem Kreislauf.
»Vorrücken!«, befahl Brett. Fern nickte und gab den Männern zu ihrer Rechten mit schnellen Handbewegungen Zeichen. Die Marines schwärmten zügig über das Feld aus. Ihre Stiefel schmatzten durch den Schlamm.
Bevor sie die Hälfte des Wegs zurückgelegt hatten, spürte Brett plötzlich ein Brennen. Zuerst überlegte er, ob der Wind womöglich Agent Orange in die Gegend geweht hatte, doch dieses Brennen entsprach nicht der Art, die man mit jener Chemikalie assoziierte. Er nahm es nicht außen an der Haut wahr – es kam aus seiner Brust, als hätte er eine ganze Flasche scharfer vietnamesischer Soße in einem Zug geleert.
Mit jedem Herzschlag rasten kleine Blitze sengender Schmerzen durch seinen Körper. Das qualvolle Brennen breitete sich in seinem Kopf aus und blieb dort. Er blinzelte. Tränen traten ihm in die Augen. Er hatte das Gefühl, von innen heraus bei lebendigem Leib zu verbrennen.
Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie ein PFC namens Junko auf die Knie sank und sich wie besessen den Schädel kratzte. Dann setzte das Gebrüll ein. Schmerzensschreie brachen aus, als weitere Marines fielen.
Was zum Geier passiert mit uns?
Die Qualen wurden so intensiv, dass Brett kaum noch denken konnte. Gleißende Bogen greller Lichter spannten sich über sein Sichtfeld. Die Orange-, Rot- und Gelbtöne verschwammen vor seinen Augen. Der Dschungel verblasste hinter den Farben.
Brett ließ sein Gewehr zu Boden fallen und schlug sich die Hände über die Ohren, um die panischen, gequälten Schreie auszusperren.
Was immer mit seinem Zug passierte, es wurde nicht durch eine über das Feld treibende Chemikalie verursacht. Brett konnte kaum einen zusammenhängenden Gedanken bilden, dennoch wusste er, dass die Schmerzen nur eine Folge von VX-99 sein konnten.
Plötzlich brandete ein heftiges Feuer durch Bretts Körper. Darauf folgte ein intensives Kribbeln, als würde er von Hunderten Bienen auf einmal gestochen.
Er fiel auf den Rücken, kratzte wild die nackten Teile seiner Haut, was ihm jedoch keinerlei Erleichterung verschaffte, sondern nur noch mehr Schmerzen verursachte.
Sein Verstand reagierte darauf, indem er ihn aus dem Dschungel an einen Ort entführte, an dem es keine riesigen Insekten gab, keine verrottende Vegetation, keine Männer, die versuchten, ihn zu töten.
Ein Backsteinhaus mit einem zur Tür führenden Weg aus Steinplatten tauchte auf. An der Eingangstür hielt eine attraktive Frau ein Glas mit Eiswasser in der Hand. Sie lächelte. »Komm rein, Liebling. Das Abendessen ist fast fertig.«
Brett spürte, wie sich die Schmerzen entfernten und nachließen, als er tiefer in diese Fantasie eintauchte. Er wusste, dass weder das Haus noch die Frau real sein konnten, doch das störte ihn nicht. Er wollte nur diesem von Gott vergessenen Dschungel entrinnen. Das musste er.
Als er den Eingang erreichte, war die Frau verschwunden. Er stand vor einer geschlossenen Tür. Brett drückte den Griff nach unten: abgesperrt. Dann verschwand auch das Haus. Die grellen Farben kehrten zurück. Er konnte seinen Körper wieder spüren. Angst verdrängte die Schmerzen.
Als er die Augen aufschlug, erblickte er den wolkenlosen Himmel und die blendend weiße Sonne über sich.
Wo war er?
Brett hörte gedämpfte Stimmen, das Rascheln von Ausrüstung, den Ruf irgendeines exotischen Tieres. Auch andere Laute nahm er wahr – entfernte Geräusche.
Die Welt wurde außergewöhnlich eindringlich. Er konnte hören, wie Insekten durch das Unterholz krochen, er konnte den Schweißgestank in seiner Uniform riechen. Er konnte Kaffee schmecken, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, wann er zuletzt welchen getrunken hatte. Seine Sinne waren in einem Ausmaß geschärft, wie er es nie zuvor erlebt hatte.
Es war furchterregend, zugleich jedoch merkwürdig befreiend. Brett ballte die Hände zu Fäusten, konnte spüren, wie sich seine Muskeln zusammenzogen und anspannten.
Voll verkniffener Faszination starrte er auf seine Hände. Er fühlte sich stärker als je zuvor, als könnte er es mit einer gesamten Armee aufnehmen. Er fühlte sich … unbesiegbar.
Leicht benommen, dennoch hellwach, sprang Brett auf die Beine. Mit einem Finger schob er den vorderen Rand seines Helms hoch und fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht, um den Schweiß wegzuwischen, der ihm in die Augen tropfte.
Als er wieder klar sehen konnte, wankte er sofort los und stolperte beinahe über die eigenen Füße, als sie platschend durch den Matsch wateten. Brett wirbelte herum, erblickte zwei Dutzend Soldaten, die ebenfalls über die nasse Erde torkelten. Sie trugen dieselben Tarnanzüge und dieselbe Ausrüstung wie er. Soldaten. Marines. Mehrere der Männer irrten ziellos in verschiedene Richtungen, hielten sich mit den Händen die Köpfe.
Das Geräusch einer Frauenstimme ließ ihn zusammenzucken. »Töte sie!«, kreischte die Frau. »Töte sie alle!«
Wieder fuhr Brett herum und seine Stiefel sanken in den Schlamm, als er nach der Frau Ausschau hielt. Erst dann wurde ihm klar, dass die Stimme in seinem Kopf ertönte.
»Du musst sie töten!«, erklang die Stimme erneut. Mit einem Knurren fügte sie hinzu: »Tu es, bevor sie dich töten!«
Brett schlug sich seitlich gegen seinen Helm.
Wer war diese Frau und warum wollte sie, dass er die anderen Männer umbrachte?
Bretts Blick heftete sich auf den Mann vor ihm, konzentrierte sich ausschließlich auf ihn. Es handelte sich um einen kleinen, stämmigen Kerl mit Kautabak hinter den Lippen. Brett konnte den Tabaksaft riechen, der vom Kinn des Mannes tropfte.
Als dieser Brett bemerkte, hob er die Hände und ballte sie zu Fäusten. Der Marine knurrte. »Bleib weg von mir. D-du …«, stammelte er und schluckte einen Teil des Tabaks hinunter. »Du Arsch!«
Brett verspürte einen plötzlichen Adrenalinschub. Er griff nach etwas, um sich zu schützen. Seine Finger ertasteten den warmen Metallgriff einer Klinge an seinem Gürtel. Mit einer geschmeidigen Bewegung zog er das Messer aus der Scheide, als hätte er das schon viele Male zuvor getan.
Die Stimme der Frau kehrte zurück und dröhnte durch seinen Verstand. »Stich ihn ab! Schlitz ihm den fetten Wanst auf!«
»Bleib weg von mir!«, brüllte der Mann. Eine Ader trat dick an seinem Hals hervor, als Spucke aus seinem Mund spritzte. Mit verengten Augen konzentrierte Brett den Blick auf die Ader. Er konnte beobachten, wie sie pulsierte, stellte sich vor, wie das Blut durch den schmalen Kanal strömte.
Das geistige Bild jagte Erregung durch Bretts Körper. Sein eigenes Blut kribbelte in ihm. Mit beeindruckender Geschwindigkeit sprang er zur Seite. Auch der stämmige Mann bewegte sich flink und ließ einen Schwinger durch die Luft sausen.
Brett duckte sich und stürmte vorwärts, versenkte die Klinge tief im Bauch des Mannes, wie die Frau es von ihm verlangt hatte. Der Marine stieß einen gequälten Schrei aus. Blut quoll aus seinem Mund. Brett verlor keine Zeit. Er zog das Messer wieder heraus, trat einen Schritt zurück und rammte die Klinge anschließend in den Hals seines Gegenübers.
Der kräftige Kerl presste die Hände auf beide Wunden und sank auf die Knie, bevor er mit dem Gesicht voraus in den Schlamm fiel.
Mit einem kurzen, befriedigenden Atemzug nahm Brett einen neuen Geruch wahr. Er konnte ihn beinah schmecken.
Es war der Geschmack des Todes.
Das plötzliche Knallen automatischer Schüsse holte Brett so jäh auf das Reisfeld zurück, als wäre ein Schalter umgelegt worden. Sein Blick wanderte über die Böschung jenseits eines Feldes, registrierte jedes Aufblitzen von Mündungen.
Mehrere Hundert Meter entfernt erfolgte eine Detonation. Die ohrenbetäubende Explosion jagte einen roten Geysir aus blutigen Körperteilen und Erde gen Himmel. Als sich der Dunst lichtete, war von dem Marine, der Sekunden zuvor an der Stelle gestanden hatte, nur ein rot gefärbter Krater zurückgeblieben.
»Lauf!«, ertönte die Frauenstimme.
Erschrocken setzte sich Brett in Bewegung, umklammerte das Messer mit schleimiger Hand und sprintete los. Das Geräusch seiner durch den Matsch schmatzenden Stiefel ging im Kriegslärm völlig unter.
Weitere Explosionen erschütterten den Boden rings um ihn. Schlamm, Wasser und Pflanzenteile regneten aus der Luft herab. Er achtete nicht auf die brennenden Sedimente, die auf seiner Haut landeten, und beschleunigte die Schritte.
Auch die anderen Marines rannten, was das Zeug hielt. Einige von ihnen fielen, als Kugeln in sie einschlugen. Brett sah, wie ein Mann zu seiner Rechten einfach verschwand, als unter seinen Füßen eine Granate explodierte.
Er empfand nicht das Geringste für den Mann. Nichts konnte ihn aus der Fassung bringen. Er kannte nur ein Ziel, nur eine Sache, die zählte …
Töten.
Etwas stach ihn im Laufen. Als er den Blick senkte, rechnete er damit, eine Fliege auf seiner Haut zu erspähen. Stattdessen sah er ein münzgroßes Loch, wo eine Kugel seinen Bizeps durchschlagen hatte. Ein zweites Projektil traf ihn in die Seite. Die Wucht des Aufpralls versetzte seinem Rumpf einen Ruck und verlangsamte ihn kurzzeitig. Der Kupfergeschmack von Blut erfüllte seinen Mund. Brett leckte sich über die Lippen und rannte weiter.
Er konnte die Gesichter der Männer sehen, die ihn zu töten versuchten, als er sich der Böschung näherte. Sie versteckten sich unter Strohhüten und Helmen, brüllten in einer Sprache, die er nicht verstand. Der durchdringende Geruch von Schießpulver und das salzige Aroma von Schweiß, der ihre Uniformen durchtränkte, stiegen Brett in die Nase.
Als er sich noch zehn Meter vom Fuß der Anhöhe entfernt befand, ließ er sich auf alle viere fallen und galoppierte, benutzte die Beine, um sich nach vorne abzustoßen. Mit drei kraftvollen Bewegungen überwand er die kleine Erhebung und landete auf der Brust eines der asiatischen Soldaten. Er zog sein Messer zwischen den Zähnen hervor, rammte es dem völlig überrumpelten Mann in die Brust und stach es in dessen Herz. Die Augen des Mannes rollten in den Höhlen nach oben und Brett wandte sich ansatzlos dem nächsten Soldaten zu.
Jeder Hieb des Messers jagte einen Schauder blanker Erregung durch seinen Körper. Ein breites Grinsen trat in seine Züge. Er fühlte sich unvorstellbar mächtig.
Wenige Minuten später übersäten verstümmelte Leichen asiatischer Soldaten die Anhöhe. Ihre erschlafften Körper hingen über die Kuppe des Hügels. Ein wachsender roter Strom sickerte den Hang hinab.
Brett löste den Blick davon und ließ ihn über den eigenen Körper wandern. Aus seinen Wunden quoll zwar Blut, doch er verspürte kaum Schmerzen. Ohne auf die Verletzungen zu achten, stieg er über eine der Leichen hinweg.
Wieder ertönte die dröhnende Frauenstimme in seinem Kopf. »Du bist noch nicht fertig!«
Als er den Blick von einer nahen Leiche hob, bemerkte er einen schlanken afroamerikanischen Marine, der ihn vom Fuß der Böschung aus mit wirrem Blick finster anstarrte. Der Mann leckte sich über die Lippen und warf ein Messer von der linken Hand in die rechte. Blut von einer Kugel, die ihn am Hals gestreift hatte, durchtränkte seine grüne Uniform. Hinter ihm konnte Brett das Feld sehen. Pockennarbige Löcher übersäten den Boden dort, wo Granaten explodiert waren. Dutzende Leichen trieben im seichten Wasser rings um die Krater.
Brett schaute zurück zu dem Mann und begegnete dessen düsterem Blick. Mit festem Griff umfasste er sein Messer, dann schwang er es gegen den schlanken Marine. Die Spitze zischte durch die Luft, was den anderen Mann jedoch nicht abschreckte. Stattdessen ließ der sich auf alle viere fallen und erklomm rasch den Hang, indem er mit zu Klauen verkrümmten Fingern vorwärtssprang. Seine Gelenke klickten bei jeder Bewegung.
Bevor sich Brett von der Stelle rühren konnte, sprang der Marine auf ihn zu. Die beiden prallten zusammen und rollten über den blutverschmierten Abhang. Die Luft in Bretts Lunge explodierte aus seinem Mund, als er schließlich mit einem dumpfen Aufschlag auf dem harten Untergrund landete.
Tief sog er den Atem ein und rappelte sich auf die Beine. Mit einem schnellen Hieb traf er den anderen Mann mit dem Messer seitlich im Gesicht, trieb die Klinge tief in den Schädel.
Der Marine sackte zurück auf den Boden und erstickte heftig zuckend an seinem eigenen Blut. Ein letztes Mal griff er nach Brett, bevor er schließlich erschlaffte.
Keuchend wankte Brett von ihm weg. Er sank auf beide Knie und kniff die Augen zusammen, als ein Windstoß um ihn herum Staub aufwirbelte. Sternchen tänzelten vor seinen Augen. Ein Schwindelgefühl setzte ein. Er fing an, die Auswirkungen des Blutverlusts zu spüren, doch noch immer empfand er keine Schmerzen.
Während er den Blick über das Feld wandern ließ, drang eine entfernte Erinnerung an ein Backsteinhaus und eine Frau in seine Gedanken. Rasch verdrängte er sie. Es gab nur noch eines, was er wollte. Nur noch eines, was er begehrte …
Töten.
47 Jahre später
3. März 2015
Feldlazarett der WHO
Guinea, Afrika
Doktor Chad Roberts schob sich ein Aufputschmittel in den Mund und schluckte es trocken hinunter. Die Reise hatte ihn erschöpft. Innerhalb von weniger als 24 Stunden hatte er sein Büro bei der Seuchenschutzbehörde in Atlanta verlassen, den Atlantik überquert und war in Conakry, Guinea, gelandet. Von dort hatte ihn ein Helikopter zu einem Feldlazarett der Weltgesundheitsorganisation gebracht, das außerhalb eines abgelegenen Dorfes rund 30 Kilometer von der Stadt Dabola entfernt lag. Die Region mochte abgeschieden liegen, dennoch wies sie eine Einwohnerzahl von ungefähr 114.000 Menschen auf.
Während der Flüge hatte er die Berichte über den neuen und tödlichen Ebola-Stamm durchgeackert. Vorläufige Notizen wiesen auf einen schwerwiegenden Mikroausbruch hin. Das Virus tötete schneller als je zuvor und er vermutete, dass es mutiert war. Allein der Gedanke daran hatte verhindert, dass er unterwegs schlafen konnte. Chad war mit dunklen Ringen unter den Augen und Kopfschmerzen, die das Denken schwierig gestalteten, eingetroffen.
Er atmete lang und tief ein, dann zog er seinen Bioschutzanzug an. Die weißen Wände der mobilen Bioschutzeinrichtung schienen ihn erdrücken zu wollen, als er seinen Helm aufsetzte. Durch das schmale Sichtfeld des Visiers wirkte alles kleiner, zugleich jedoch fühlte er sich rundum sicher. Viele Wissenschaftler berichteten, dass sie in den Anzügen Klaustrophobie empfanden, aber auf Chad traf das nicht zu. Ihm verschaffte der Anzug die Beruhigung, die er brauchte, um sich den tödlichsten biologischen Wirkstoffen der Welt zu stellen.
Nachdem Chad hastig die Liste der Protokolle durchgegangen war, zog er eine Kunststoffblende zurück und betrat den nächsten Raum, wo ihn bereits Doktor Debra Jones von der WHO erwartete. Sie tappte mit einem Stiefel auf den Boden und schaute mürrisch zu ihm auf, als sie ihn bemerkte.
»Wir sind spät dran«, sagte sie. »Der Rest des Teams ist schon im Dorf.«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Chad. »Ich habe höllische Kopfschmerzen.«
»Ich vermute mal, die dürften noch wesentlich schlimmer werden, wenn Sie in der Krisenzone eintreffen«, erwiderte Debra frostig.
Chads Mut sank bei dieser Äußerung. Es war keineswegs sein erster Feldeinsatz, allerdings hatte er die Auswirkungen von Ebola noch nie persönlich gesehen. Er schluckte schwer, als sie hinaus ins blendende Sonnenlicht traten. Die Luftfeuchtigkeit ließ Chads Visier sofort beschlagen, als sie das kühle Innere der Bioschutzeinrichtung verließen. Hinter ihnen schloss sich die Tür mit einem metallischen Klicken.
Mit flotten Schritten folgten sie einem lehmfarbenen Trampelpfad. Hundert Meter entfernt wartete ein Toyota Pick-up auf sie. Der betagte Auspuff hustete Rauch in Richtung des Himmels. Chad lud seine Ausrüstung auf die hellbraune Ladefläche des Wagens und hievte sich hoch. Er drehte sich um und streckte Debra eine Hand entgegen. Zögerlich ergriff die Frau sie ohne ein einziges Wort. Sie ließen sich mit dem Rücken am Metall der Fahrerkabine nieder, als ein schlanker Afrikaner hinter ihnen die Heckklappe schloss.
Mit zusammengekniffenen Augen schaute Chad zur unbarmherzigen Mittagssonne auf. Er befand sich erst seit zwei Minuten im Freien und schon hatte er das Gefühl, in seinem Anzug zu ersticken. Salzige Schweißtropfen rollten über seine Stirn hinab.
Es würde ein brutal langer Tag werden.
Normalerweise wären sie bereits am frühen Morgen losgefahren, um der Hitze des Tages zu entgehen, doch ein Problem mit seiner Ausrüstung am Flughafen hatte eine Verzögerung verursacht. Mittlerweile steuerten sie auf die heißeste Zeit des Tages zu.
Der Afrikaner klopfte seitlich gegen den Wagen und der Fahrer trat aufs Gaspedal. Leicht schlingernd setzte sich der Toyota in Bewegung und rollte auf einen Feldweg, der von der Gruppe kuppelförmiger Bioschutzeinrichtungen wegführte. Chad starrte geradezu ehrfürchtig hin und ließ auf sich wirken, wie fremdartig die künstlichen Gebilde vor der üppig grünen Landschaft wirkten. Die Einheimischen hielten die weißen Gebäude wahrscheinlich für irgendwelche Raumschiffe.
»Wie lange brauchen wir, bis wir dort sind?«, brüllte Chad.
Debra hob drei Finger, während sie beobachtete, wie eine Gazellenherde über die Ebenen preschte. Eine Staubwolke folgte ihnen über eine Anhöhe.
Die Region Faranah entpuppte sich als wunderschöner Ort. Dichte Wälder beherrschten die Umgebung. Die Mischung aus Braun- und Grüntönen bildete eine warme Farbencollage. Doch irgendwo inmitten der dicht wachsenden Bäume lauerte ein uraltes Übel.
Chad konzentrierte sich auf die weitläufige Waldgrenze und fragte sich, wo sich das Ebola-Virus versteckte. Sie wussten immer noch nicht, was das Reservoir war. Mutter Natur hatte Millionen von Jahren verschiedene Versionen des Virus beherbergt, aber erst im 20. Jahrhundert hatten Wissenschaftler den Ebola-Stamm identifiziert.
Ebola war nicht das einzige Virus, das Afrika beherbergte. Der Kontinent glich einer Kloake einiger der verheerendsten je von der Natur hervorgebrachten Seuchen der Stufe 4. Chad betrachtete Afrika als so etwas wie einen modernen Jurassic Park ohne Dinosaurier. Die Welt war hier in der Tat prähistorisch.
Plötzlich scherte der Wagen scharf nach rechts aus. Erde spritzte unter den Heckreifen hervor und stieg als Staubwolke gen Himmel. Chad ruderte mit den Armen und hielt sich an der Seite des Pick-ups fest. Sein Kopf wippte auf und ab, als der Fahrer den Toyota neben die Fahrbahn lenkte. Äste und Zweige brachen knackend unter dem Gewicht des Fahrzeugs mit den überdimensionierten Reifen. Als sich der Staub legte, erblickte Chad die Baumstämme, die als Blockade quer über der Fahrbahn lagen, von der sie gerade gekommen waren.
»Das waren die Einheimischen!«, rief Debra. »Sie machen das seit Jahrzehnten, um die Ausbreitung der Infektion zu verhindern.«
Chad nickte und verstärkte den Griff um die Seite des Pick-ups. Er hatte schon davon gehört, dass sich Dörfer in der Vergangenheit abgekapselt hatten, um die Ausbreitung tödlicher Viren zu unterbinden. Wahrscheinlich stellte das einen Grund dafür dar, dass Ebola selten in großen Ballungszentren auftrat. Die Menschen neigten dazu, bei ihren Angehörigen zu Hause zu sterben.
Einige Minuten später kehrte der Wagen auf die Hauptstraße zurück. Chad warf einen Blick durch die Glasscheiben der Fahrerkabine und sah, dass sie sich ihrem Zielort näherten – einem kleinen Dorf, in dem der Ausbruch begonnen hatte.
Debra war vor einer Woche mit dem ersten Team der WHO dort gewesen. Chad hatte ihren aktuellsten Bericht gelesen. Die Bevölkerung des Dorfes betrug 94 Personen und über die Hälfte der Bewohner war bereits infiziert, die Hälfte der Infizierten wiederum bereits tot. Vorläufige Statistiken wiesen auf einen neuen Stamm des Virus hin, doch Chad war davon nicht überzeugt. Jedenfalls noch nicht.
Er biss sich auf die Unterlippe, als der Fahrer sachte auf die Bremse trat und den Pick-up ungefähr hundert Meter entfernt von zwei WHO-Ärzten in Bioschutzanzügen zum Stehen brachte.
Der einheimische Fahrer sprang aus dem Wagen und ging zum Heck herum, wo er die Klappe für Debra und Chad öffnete.
»Danke«, murmelte Chad. Er folgte Debra zu den anderen Ärzten – einem kleinen Mann namens Howard Lacey und dessen größerem Kollegen Bill Fischer. Nach einer kurzen Vorstellung führten die beiden Männer sie mit forschen, eiligen Schritten in Richtung des Dorfes.
Bei den Gebäuden handelte es sich größtenteils um aus lehmhaltiger Erde errichtete Hütten mit Strohdächern. Einige der schöneren Behausungen bestanden aus Altmetall und Blechdächern.
Chad lauschte einem nervtötenden Brummen, das durch den Nachmittag hallte. Das Geräusch stammte allerdings nicht von Klimaanlagen, sondern von den Fliegen und sonstigen Insekten, die diese Gegend beherrschten. In der Ferne zeichnete sich Hitzeflimmern ab – eine Erinnerung daran, was für eine Hölle sie betreten hatten.
Vor einer der Hütten blieb Howard stehen. Durch sein Visier sah Chad ein Paar intelligent wirkender Augen. Dies war ein Mann, der sich daran gewöhnt hatte, unter extremen Bedingungen zu arbeiten. Für ihn kam das hier lediglich einem weiteren Tag im Büro gleich – für Chad hingegen wesentlich mehr. Immerhin war er im Begriff, seine Ebola-Jungfräulichkeit zu verlieren, ein weiteres Virus der Stufe 4 aus nächster Nähe kennenzulernen.
»Da drin haben wir zwei infizierte Patienten. Beide sind in den späten Stadien des Infektionsverlaufs. Vielleicht zeigen sie eine Reaktion auf unsere Anwesenheit, vielleicht auch nicht. Bitte machen Sie Ihre Beobachtungen, nehmen Sie Ihre Probe und verlassen Sie die beiden anschließend so schnell wie möglich wieder«, ersuchte ihn Howard mit verkniffener Miene.
Chad nickte. Seine Aufgabe war einfach. Er sollte eine Probe für die Seuchenschutzbehörde CDC besorgen, Notizen über seinen Vorortbesuch anfertigen und beobachten. Er war nicht hier, um die Opfer medizinisch zu betreuen. Er war hier, um herauszufinden, ob es sich tatsächlich um einen neuen Stamm handelte, und um eine Probe mitzubringen, damit die CDC mit der Arbeit an einem Heilmittel beginnen konnte.
Er duckte sich, um das Gebäude zu betreten, und blinzelte heftig. Die aus nur einem Raum bestehende Hütte wurde schwach von den wenigen Sonnenstrahlen erhellt, die sich durch die Holzläden vor dem einzigen Fenster kämpften. Chads Augen brauchten eine Weile, um sich den Lichtverhältnissen anzupassen, dann jedoch konnte er einen Mann und dessen Frau in verkrümmter Haltung auf Strohbetten in der Mitte des Raums ausmachen. Von Blut und Schweiß durchnässte Decken lagen auf dem staubigen Boden neben ihnen. Flecke, Blutergüsse und eine dünne Schicht blutigen Schweißes überzogen ihre Haut.
Fliegen schwirrten über ihnen, aber sowohl der Mann als auch seine Frau waren zu schwach, um sie zu verscheuchen. Ihre glasigen Augen starrten mit leerem Blick an die Decke.
Das Geräusch gedämpfter Atmung erinnerte Chad daran, dass sich Debra neben ihm befand. Er bewegte sich nach rechts und rückte näher zum Bett des Mannes vor. Nachdem er eine kleine Tasche mit Ausrüstung auf dem Boden abgestellt hatte, hielt er inne, um den Patienten prüfend zu betrachten. Blut sickerte aus jeder sichtbaren Körperöffnung hervor. Es trat aus den geröteten Augen, aus der Nase, aus den Ohren und sogar aus den Brustwarzen. Hier bestand keinerlei Zweifel: Dieser Mann hatte Ebola. Die eigentliche Frage bestand darin, um welchen Ebola-Stamm es sich handelte.
Blinzelnd bemühte sich Chad ruhig zu bleiben. Der Anblick erwies sich als schlimmer, als er es sich je vorgestellt hätte. Da war so viel Blut. Er schaute zur Ehefrau des Mannes. Auch sie hatte starke Blutungen. Beide Opfer verbluteten langsam, während sie hilflos in dieser sengend heißen Hölle lagen. Die Insekten in der düsteren Hütte summten wie kleine Motoren und schienen ungeduldig darauf zu warten, endlich fressen zu können.
Chad erinnerte sich an Howards Anweisungen und spürte neben sich Debra, die über ihm aufragte. Er griff in seine Tasche, holte eine Spritze heraus und ergriff behutsam den schlaffen rechten Arm des Mannes. Er suchte nach einer Vene und fand schließlich eine unter einem Ausschlag, der den Großteil des Unterarms bedeckte. Mit zusammengebissenen Zähnen führte Chad die Nadel ein und zog rasch eine Blutprobe auf.
Plötzlich drehte der Mann den Kopf und heftete den Blick der zu Schlitzen verengten Augen auf Chads Visier. Er schnappte nach Luft, bevor er ein Wort in gebrochenem Englisch hervorstieß.
»He-llllpf.«
Chad erstarrte. Der Inhalt seines Magens drohte ihm in die Kehle zu steigen. Sein Herzschlag beschleunigte sich rasant, als er die Spritze umklammerte.
Eine kräftige Hand, die sich plötzlich auf seine Schulter legte, ließ ihn den Blick von dem Sterbenden lösen.
»Gehen wir«, forderte Debra ihn auf.
Chad nickte und verstaute die Probe in einer sicheren Kassette, deren Deckel sich mit einem Klicken schloss. Er stand auf und blickte ein letztes Mal auf den Mann hinab. Dessen infizierte, blutunterlaufene Augen folgten Chad noch kurz, bevor sie im Kopf nach oben rollten.
»Es tut mir leid«, flüsterte Chad, als er hinaus ins grelle Sonnenlicht eilte.
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Gegenwart
18. April 2015
TAG 1
Das Sechs-Mann-Team betrat die Rollbahn in der Dämmerung. Die Schatten der Männer ließen erahnen, dass sie sich mit geübter Präzision bewegten. Sie gingen unter den stillstehenden Rotorblättern von Blackhawk-Helikoptern hindurch und bahnten sich einen Weg zwischen den Kisten mit Vorräten, die darauf warteten, zu Krisenherden in aller Welt transportiert zu werden.
Selbst ein Beobachter mit begrenzten militärischen Kenntnissen hätte gewusst, dass die Silhouetten nicht zu Durchschnittssoldaten gehörten. Ihre Körperpanzerung war dünner, die Form ihrer Muskeln zeugte von konstantem, hartem Training. Ein genauerer Blick hätte offenbart, dass diese Männer auch keine Standardbewaffnung trugen. Unter dieser Gruppe gab es niemanden mit einem M4 oder M249.
Aber ganz gleich, wie gut geschult das Auge eines Betrachters gewesen wäre, niemand hätte erkannt, dass die Schatten den Mitgliedern des Delta-Force-Einsatzteams mit dem Codenamen Ghost gehörten, denn offiziell existierten sie gar nicht – in der Praxis verkörperten sie tatsächlich Geister, die nur in den brenzligsten Situationen aktiviert wurden.
Heute war einer jener Tage.
Es war April, aber Master Sergeant Reed Beckham nahm kaum Notiz von den knospenden Bäumen und der Farbenpracht der Umgebung. Er versuchte immer noch, sich zusammenzureimen, wieso das Oberkommando den Urlaub nach einem sechsmonatigen Aufenthalt in Afghanistan gestrichen hatte. Eigentlich sollte er sich mit seinen Kameraden in einer Kneipe in Key West befinden, sich Bier hinter die Binde kippen und sich unter der strahlenden Sonne das eine oder andere Nachmittagsnickerchen gönnen. Doch anstatt an Bord eines Charterflugs auf die Keys zu gehen, ertappte er sich dabei, seinen Männern in Fort Bragg in den Bauch einer V-22 Osprey zu folgen.
Als Colonel Clinton ihm mitgeteilt hatte, das Team werde die volle Unterweisung während des Flugs zum Luftwaffenstützpunkt Edwards erhalten, war Beckham nicht beunruhigt gewesen. Das war nicht ungewöhnlich. Bei den meisten Missionen erhielten sie die Einsatzinformationen erst während des Flugs vor dem Absetzen in der heißen Zone, was einen Quell großen Stolzes bei seinen Männern darstellte.
Absetzen. Ziel ausschalten. Wiederholen.
Den Vorgang hatten sie schon oft wie eine gut geölte Maschine abgespult. Eine Maschine, die nie kaputtging. Die Delta-Force-Elitesoldaten von Team Ghost waren so gut ausgebildet, dass sie sich innerhalb von Minuten auf jedweden Mist einstellen konnten, den ihnen die Welt entgegenschleuderte.
Nur gehörte zu diesem Mist normalerweise nicht, was Clinton als Nächstes gesagt hatte, nämlich dass Beckham einen Wissenschaftler der Seuchenschutzbehörde CDC zum Luftwaffenstützpunkt Edwards eskortieren sollte, wo sie sich mit zwei Offizieren von der Sanitätstruppe treffen würden. Danach würden sie weitere Befehle erhalten.
Beckham war Teamleiter eines aus sechs Mann bestehenden Einsatzteams. Normalerweise gehörte es nicht zu ihren Aufgaben, Ärzte zu eskortieren. Immerhin waren sie keine Babysitter, sondern Elitesoldaten, die sich an Zielorte anpirschten, auf althergebrachte Weise erledigten, was immer es zu erledigen gab, und spurlos wieder verschwanden. Beckham leitete Missionen der Art, wie man sie in den guten alten USA gern auf der großen Kinoleinwand sah.
Nur war Beckham nicht Chuck Norris und seine Männer waren keine Schauspieler. Seine Männer bestanden aus Fleisch, Knochen und Blut. Wenn sie angeschossen wurden, bluteten sie wirklich. Sie bekamen keine zweiten Chancen. Er hatte den Leuten seines Teams vom ersten Tag an versprochen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, damit sie am Leben blieben – und dass er vor ihnen sterben würde. Für den Durchschnittsmenschen ein Versprechen, das sich nicht halten ließ – für Beckham jedoch war es heilig. Für ihn bedeutete es alles. Er trug das Phantomabzeichen bei jeder Mission unmittelbar über dem Bild seiner Mutter.
Beckham tätschelte seine Westentasche, während er in den Transportraum blickte und seine Männer beobachtete. Jeder Einzelne von ihnen war in der Lage, eine Mission im Alleingang abzuwickeln, und sie alle trafen dieselben Entscheidungen über Leben und Tod wie Beckham. Aber er verkörperte ihren Anführer. Unter seinem Kommando hatte die Truppe noch nie einen Mann verloren. Jeder in Team Ghost war bislang immer in einem Stück nach Hause zurückgekehrt. Die Männer waren schon angeschossen worden, hatten Stichverletzungen erlitten, waren von Granatsplittern getroffen worden, aber sie hatten stets überlebt. Und Beckham hatte jede einzelne ihrer Wunden wie eine eigene gespürt. Ihr Schmerz war sein Schmerz.
Die Ausbildungsbibel hatte ihn gelehrt, dass seine Männer immer an zweiter Stelle hinter dem Missionsziel zu kommen hatten, doch in Beckhams Augen waren die Männer, die ihn umgaben, genauso wichtig. Sein erster Gruppenführer hatte einst gemeint: »Meine Mission, meine Männer, ich selbst.« Beckham hatte die Reihenfolge ein wenig verändert.
Bei dieser Mission verhielt es sich nicht anders und die Fakten, die sie begleiteten, bereiteten ihm Unbehagen, als er einen Handlauf ergriff und in die Osprey stieg.
»Willkommen an Bord. Ich bin Chief Wright«, ertönte eine Stimme aus dem schwach erhellten Raum. Beckham heftete den Blick auf einen untersetzten Flugbesatzungsleiter, der mit den Händen an den Hüften dastand. »Heilige Scheiße«, brummte der Mann.
Er nahm sich einen Moment Zeit, um Ghost Alpha und Bravo von oben bis unten zu betrachten, wobei er mit den schwarzen Helmen anfing, bevor er den Blick über die Schießbrillen, die Headsets, die Tarnanzüge, die mit Reservemagazinen vollgestopften Westen, die Körperpanzerung und schließlich die Stiefel wandern ließ. Danach wandte er sich ihren modifizierten Waffen zu und verharrte zuletzt bei Beckhams eigener MP5-Maschinenpistole.
Der Flugbesatzungsleiter verzog den Mund. »Verdammt, ihr seht ja alle aus, als sollt ihr in einem Kriegsgebiet abgesetzt werden.«
»Wir kommen gerade aus einem«, gab Beckham zurück. Für Small Talk war er wirklich nicht in der richtigen Stimmung. Er war erschöpft und hatte sich eigentlich auf ein wenig Ruhe und Entspannung gefreut. Davon abgesehen konnte er es nicht erwarten, endlich abzuheben. Je eher er wüsste, worum es ging, desto eher könnte er für die Gefahren und letztlich den Sieg vorausplanen.
Der Blick des Flugbesatzungsleiters verfinsterte sich. Er verengte die Augen zu Schlitzen und erklärte in strengem Tonfall: »Wir warten noch auf den CDC-Arzt.«
Beckham nahm gegenüber von Sergeant Tenor Platz. Es war Tenors erste Mission als Leiter eines Einsatzteams. Als Anführer agierte er solide und er dachte schnell – die perfekte Wahl als Leiter für Bravo. Beckham nahm den Mann im trüb erhellten Bereich der Osprey unauffällig in Augenschein. Der jüngere Delta-Force-Soldat hielt seinen Helm in der Hand und reinigte die Innenseite mit einem Tuch. Ein Ritual vor dem Einsatz. Er vermittelte in keiner Weise den Eindruck, nervös zu sein. Seine ernste Miene wurde unten von einer kantigen Kieferpartie begrenzt, oben grenzte daran ein zu einem perfekten Irokesen hochgestellter Haarstreifen. Er warf Beckham ein selbstsicheres Grinsen zu, als wüsste er durchaus, dass er von ihm gemustert wurde. Das entsprach Tenors Art, mitzuteilen, dass er bereit zum Aufbruch war.
Auch die anderen Männer wirkten selbstsicher, dennoch beäugte Beckham jeden von ihnen eingehend, um sich zu vergewissern, dass niemand mit einem Kater aufgekreuzt war. Er begann mit Staff Sergeant Carlos »Panda« Spinoza, dem Sprengmeister des Teams. Der kräftig gebaute Mann besaß eine dröhnende Stimme und die weißesten Zähne, die Beckham je gesehen hatte. Aber er lächelte oder sprach nur selten. Die Kampfeinsätze hatten ihn schon vor Jahren innerlich verhärten lassen.
Zu seiner Rechten saß Staff Sergeant Horn, ehemaliger College-Footballstar aus Texas. Er hatte seinen Spitznamen »Big Horn« von der Texas Tech, wo er den Sack-Rekord der Schule ausgelöscht hatte. Er ragte beeindruckende 1,88 Meter hoch auf und besaß einen breiten Schädel mit rötlich blonden Haaren. Delta hatte eine Ausnahme gemacht, um ihn ins Team zu lassen. Mit seinem turbulenten Hintergrund, seiner Herkunft aus einem zerrütteten Elternhaus und seinen von Tätowierungen überzogenen Armen verkörperte Horn nicht unbedingt einen Vorzeigerekruten, aber Beckham hatte den Mann persönlich haarklein überprüft. Er hatte seine Akte gelesen und wusste genau, wie Horn unter Druck agierte, wenn sein Leben und das seiner Männer in Gefahr schwebte. Seine Tapferkeit in den frühen Tagen von Operation Iraqi Freedom hatte ihm drei Purple Hearts und einen Bronze Star eingebracht. Beckham hatte auf Anhieb gewusst, dass er den Mann im Team Ghost haben wollte, und er hatte die Entscheidung nie auch nur für eine Minute bereut. Horn gehörte zu den talentiertesten Elitesoldaten, mit denen Beckham je gearbeitet hatte.
Und Horn war nicht der Einzige. Alle Teammitglieder besaßen Talent. Jeder Einzelne der Männer hatte eine Wertung von mindestens 95 Prozent beim Zielschießen auf 1000 Meter erreicht. Sie alle hatten mörderische Belastungstests überstanden, bei denen andere Menschen schlichtweg gestorben wären. Sie verkörperten die Besten der Besten. Beckhams Team bildete Amerikas erste Verteidigungslinie, von deren Existenz so gut wie niemand wusste. Unsichtbar, unhörbar – wie echte Geister. Wenn die Kacke am Dampfen war, konnte er sich auf jeden Einzelnen von ihnen bedingungslos verlassen.
Eine flüchtig wahrgenommene Bewegung vom Rollfeld lenkte Beckham ab, bevor er sich der Musterung der jüngsten Mitglieder seines Teams zuwenden konnte, Staff Sergeant Riley und Sergeant Edwards. Beckham stand auf und beobachtete, wie ein kleiner Mann mit nach hinten gegelten Haaren voll Enthusiasmus die Rampe zum Transportraum erklomm, gestützt von einem afroamerikanischen Militärpolizisten mit strenger Miene. Der Soldat besaß die Augen eines Falken. Beckham unterdrückte ein verächtliches Schnauben. Er kannte solche Typen. Sie nahmen ihren Job überaus ernst – mitunter zu ernst.
Beckham streckte die Hand aus und sagte: »Willkommen, Doktor …«
»Ellis. Dr. Pat Ellis«, erwiderte der kleinere Mann, schüttelte kräftig Beckhams Hand und drehte sich mit einem Lächeln dem Rest des Teams zu. »Die meisten Leute nennen mich einfach … äh … Ellis.«
»Entschuldigen Sie, Sir«, meldete sich der Militärpolizist zu Wort. »Für eine ausführliche Vorstellung ist später noch Zeit. Wir müssen sofort aufbrechen.« In seiner Stimme schwang Dringlichkeit mit.
»Wir haben bloß auf euch gewartet«, gab Beckham mit fester Stimme zurück.
Der Militärpolizist wirkte überhaupt nicht belustigt. Er nahm Platz und Flugbesatzungsleiter Wright drückte den Knopf zum Schließen der Transportraumklappe. Dann streckte Chief Wright einen Daumen hoch und klopfte kräftig gegen die Innenwand des Raums. »Bereit zum Abheben«, sagte er. Mit einem Ächzen und Stöhnen schloss sich die Metallklappe hinter ihnen.
Beckham musterte Dr. Ellis wie ein Coach einen neuen Schützling. Der Zivilist bewegte sich rasch durch den Transportraum und drückte sich dabei eine Ledertasche an die Brust. Suchend schaute er über die freien Sitze, bis sein Blick neben Horn verharrte. Der Elitesoldat ignorierte ihn, zog sich nur sein Halstuch bis zur Nase hoch, als wolle er damit ausdrücken: Der Platz da ist besetzt.
Ellis drückte sich die Tasche fester an die Brust und bewegte sich auf Tenor zu. Der hievte seine eigene Tasche mit Ausrüstung auf den freien Sitz neben ihm. »Tut mir leid, besetzt.«
Beckham kaute auf der Unterlippe. Normalerweise wussten sich seine Männer besser zu benehmen, aber sie waren nicht daran gewöhnt, Babysitter zu spielen.
»Sie können sich hierhersetzen«, bot Beckham an.
Die Züge des Arztes hellten sich auf, als er den freien Sitz erblickte. Er eilte hin und ließ sich in dem Augenblick draufplumpsen, als die V-22-Motoren grollend zum Leben erwachten.
»Danke«, sagte Ellis.
Das Dröhnen der Flugzeugmotoren drang durch die Kabinenwände. Ospreys waren nicht nur für ihre Geschwindigkeit und Vielseitigkeit bekannt, sondern auch berüchtigt für ihren Lärm. Für Beckham hörten sie sich immer an wie ein riesiger Rasenmäher mit zu vielen Pferdestärken, der dringend einen Ölwechsel brauchte.
Beckham reichte Ellis zwei Ohrstöpsel und riet dem Mann: »Stecken Sie die besser rein.«
»Danke«, erwiderte Ellis. Er nahm sie entgegen und hielt sie sich vors Gesicht, als hätte er etwas Derartiges noch nie zuvor gesehen, ehe er sie schließlich langsam in seine Ohren schob. Dann griff er mit äußerster Präzision nach seinem Gurt und schnallte sich an.
Das Rauschen der Propeller drang in die Kabine und jagte Vibrationen durch das gesamte Flugzeug. Die Augen des Doktors weiteten sich geringfügig, allerdings nicht vor Angst. Vielmehr wirkte er aufgeregt wie ein Junge, der zum ersten Mal in seinem Leben mit einer Achterbahn fuhr. Die Maschine schwenkte nach rechts, als die Piloten sie auf die Startbahn manövrierten. Das Dröhnen der Motoren verstärkte sich. Wenige Augenblicke später stiegen sie in den Himmel.
Beckham beugte sich zur Seite, um aus dem Fenster zu spähen. Unten glitt der Schatten des Flugzeugs über ein weitläufiges grünes Feld. Sie befanden sich noch tief genug, dass er die Gestalten mehrerer Pferde ausmachen konnte, die über eine Weide rannten. Die sanften Hügel und die kristallklaren Bäche, die sich durch das Terrain wanden, vermittelten eine Beschaulichkeit, die Beckhams Anspannung jedoch nicht zu lindern vermochte.
Rasch verschwand die Aussicht und die Pferde wurden zu winzigen schwarzen Punkten, die sich langsam über die entfernte Landschaft bewegten.
»Wer von Ihnen ist Master Sergeant Beckham?«, fragte eine Stimme, die vom anderen Ende des Flugzeugs ertönte.
Beckham hob seine Hand. Er verrenkte sich fast den Hals, um zu beobachten, wie der Militärpolizist mehrere Tablets aus einer Tasche hervorholte.
»Nehmen Sie jeder eines davon«, sagte der Mann. Er schritt den Gang hinab und verteilte die Geräte. »Sobald Sie Ihre elektronische Signatur und Ihren Fingerabdruck übermittelt haben, erhalten Sie Zugriff auf Geheiminformationen von Colonel Gibson, dem befehlshabenden Offizier der medizinischen Forschungseinrichtung der US-Armee für Infektionskrankheiten. Einzelheiten zur Mission werden am Ende der Informationsübertragung bereitgestellt.«
Der Militärpolizist blieb stehen und reichte Beckham ein Tablet.
»Was ist mit mir?«, fragte Dr. Ellis mit noch aufgeregterer Stimme als zuvor.
»Tut mir leid, Sir, aber diese Unterweisung ist nur für militärisches Personal vorgesehen. Master Sergeant Beckham wird dafür sorgen, dass Sie alle Informationen bekommen, die Sie brauchen, um dieser Mission zu einem erfolgreichen Abschluss zu verhelfen, aber ich sollte Sie vielleicht daran erinnern, dass Sie ausschließlich als Berater anwesend sind.« Damit steuerte der Militärpolizist seinen Sitzplatz am anderen Ende des Flugzeugs an und verschmolz mit den Schatten.
Ellis erhob die Stimme. »Und wie soll ich beraten, wenn ich nicht weiß, worum es geht?«
Beckham sah den Arzt an und nickte ihm beruhigend zu, als wolle er zum Ausdruck bringen: Keine Sorge, ich werde Ihnen alles sagen, was ich weiß. Nur wäre das eine Lüge gewesen. Ihm gefiel der Umstand, dass sie einen Zivilisten mitschleppen mussten, ebenso wenig wie seinen Männern. Selbst wenn Ellis in der Lage gewesen wäre, mit seinem medizinischen Wissen einen Wert in die Mission einzubringen – Zivilisten erwiesen sich in aller Regel als Last und hielten das Team nur auf.
Beckham schaute zum Fenster hinaus, um einen letzten Blick auf die Sonne zu erhaschen. Die unternahm eine letzte wackere Anstrengung, bevor sie hinter dem Horizont verschwand. Dunkelheit hielt im Flugzeug Einzug, bis eine Reihe von Lampen über den Männern flackernd zum Leben erwachte.
Mit einer flinken Fingerbewegung über dem Touchscreen aktivierte Beckham sein Tablet. Er verband sein Headset über ein kurzes Kabel mit dem Gerät und sofort erschien eine Meldung.
VERSCHLUSSSACHE – STRENG GEHEIM
AUSSCHLIESSLICH FÜR DELTA FORCE TEAM GHOST
Die Betrachtung durch nicht autorisierte Personen ist ein Akt des Hochverrats und kann mit Bußgeldzahlungen bis zu 100.000 $ und Freiheitsentzug bis zu 15 Jahren geahndet werden.
Wenn Sie Master Sergeant Reed Beckham sind, geboren am 13. März 1978, geben Sie bitte Ihre elektronische Signatur ein und legen Sie anschließend zur Bestätigung Ihren Zeigefinger auf das Display.
Beckham schaute den Gang hinunter zu Horn und Carlos, dann auf die gegenüberliegende Seite zu Edwards, Riley und Tenor. Ihre Gesichter wurden alle vom selben weißen Schimmer erhellt, den die Tablets abstrahlten. Einer nach dem anderen zogen die Männer ihre Handschuhe aus und signierten das Display.
Es fühlte sich merkwürdig an, vor den Konsequenzen der Preisgabe von Geheiminformationen gewarnt zu werden. Tatsächlich kam es sogar geradezu herablassend daher, vor allem für ein Delta-Force-Mitglied. Beckham hatte seinem Land sein gesamtes Leben gewidmet. Er hatte der Heimat den Vorzug vor einer Frau und Kindern gegeben und viel Zeit fernab des kleinen Rests von Angehörigen verbracht, die er noch hatte, um in fernen Ländern zu kämpfen. Aber der Meldung haftete außerdem etwas an, das weit über einen beleidigenden Beigeschmack hinausging – allein ihre Existenz bereite ihm Unbehagen. Irgendetwas an dieser Mission fühlte sich nicht richtig an.
Was immer es sein mochte.
Beckham ließ sich durch den Kopf gehen, was er bereits wusste. Allmählich fügten sich die Fakten zusammen. Ihr Urlaub war nur wenige Tage nach ihrer Rückkehr nach Fort Bragg aus Afghanistan gestrichen worden. Das verriet ihm, dass man seitens des Oberkommandos ein Team wollte, das erst unlängst im Einsatz gewesen und dementsprechend eingespielt war. Dass keine formelle Unterweisung durch das Oberkommando erfolgte, ließ darauf schließen, dass eine höhere Stelle das Sagen hatte. Dabei kam ihm sofort die CIA in den Sinn, doch das erklärte noch nicht Ellis’ Anwesenheit und die Einbeziehung der CDC. Der Beigeschmack der Heimlichkeit wurde dadurch jedenfalls deutlicher und erfüllte Beckham mit zusätzlicher Anspannung.
Ohne weiteres Zögern signierte er das Display und hielt den Zeigefinger auf den Scanner. Er wollte endlich erfahren, womit sie es zu tun hatten.
Das Videobild eines älteren Offiziers erschien auf dem Bildschirm. Der Mann saß auf einem großen Ledersessel, den Blick der hellblauen Augen verkniffen in die Kamera gerichtet. Er wischte sich einen einzelnen Schweißtropfen von der Stirn.
»Wie Sie bereits wissen, bin ich Colonel Rick Gibson, befehlshabender Offizier der medizinischen Forschungseinrichtung der US-Armee für Infektionskrankheiten. Ich werde diese Unterweisung so kurz wie möglich halten. Zeit ist ein entscheidender Faktor. Um zehn Uhr heute Morgen ist der Kontakt zu einer streng geheimen Einrichtung auf der Insel San Nicolas vor der Küste von Kalifornien abgerissen. Diese Anlage, die lediglich als Gebäude 8 bekannt ist, beherbergt einige der wichtigsten medizinischen Forschungen des Landes. Die Wissenschaftler, die dort arbeiten, befassen sich mit biologischen Gefahren der Stufe 4 – den verheerendsten der Menschheit bekannten Seuchen und chemischen Giftstoffen. Offiziell existiert diese Einrichtung nicht.« Der Colonel verstummte und warf einen Blick über die Schulter, als wolle er sich vergewissern, dass ihn niemand hören konnte.
Beckham spürte, wie sich seine Muskeln zusammenzogen, eine unwillkürliche Reaktion, die er immer dann erlebte, wenn er nervös war. Er wartete darauf, dass der Offizier fortfuhr.
Schließlich blickte Gibson wieder in die Kamera und sagte: »Was das mit Ihrem Team zu tun hat? Das Protokoll sieht vor, ein Notfalleinsatzteam zu aktivieren, Kontakt mit der Seuchenschutzbehörde aufzunehmen und mit einer Maßnahme zu reagieren. Zusammen mit Dr. Ellis von der Seuchenschutzbehörde und der Unterstützung zweier Männer meiner Division sind Sie, meine Herren, diese Maßnahme. Ich will in dieser Situation keinerlei Risiken eingehen und mir wurde gesagt, Sie seien in der Lage, diese Aufgabe zu erledigen.«
Beckham schluckte. Er wusste zwar noch nicht, worin die Aufgabe bestand, aber ihn beschlich das Gefühl, dass sie ihn in Gebäude 8 führen würde. Seuchen der Stufe 4 stellten seine schlimmste Angst als Elitesoldat für Spezialeinsätze dar. Er würde wesentlich lieber ein Gebäude voller Aufständischer betreten als ein virales Krisengebiet.
»Die nun folgenden Videos werden Ihnen eine Vorstellung davon vermitteln, womit Sie es zu tun bekommen«, fuhr Gibson fort, dessen Bild verblasste. »Das wurde am 24. März aufgezeichnet, und zwar in einem WHO-Feldlazarett in einer abgelegenen Gegend von Guinea. Der Patient wurde positiv auf das Ebola-Virus getestet.«
Beckham verstärkte den Griff um das Tablet, als das Bild größer wurde. Der Körper eines zerbrechlich wirkenden Afrikaners lag verkrümmt auf einer Pritsche. Zwei nur mit Gesichtsmasken geschützte Krankenschwestern standen neben ihm. Eine beugte sich vor, um ein Rinnsal von Blut abzuwischen, das aus dem rechten Auge des Mannes hervorsickerte. Die dünne, um seinen knochigen Leib gewickelte Decke sah wie die Schürze eines Metzgers aus, gesprenkelt mit dunkelrotem Blut.
Beckham hatte schon öfter Bilder von mit Ebola infizierten Patienten gesehen, aber noch nie so schlimme. Dieser Mann blutete aus jeder Körperöffnung. Der Versuch der Krankenschwestern, ihm die Stirn mit einem bereits rot durchtränkten Schwamm abzutupfen, endete, als sich der Mann plötzlich vorbeugte und schwarzes Erbrochenes aus seinem Mund strömte.
Beckham blinzelte, dann konzentrierte er sich auf den gespenstisch starren, ausdruckslosen Blick des Mannes. Etwas an diesen leeren Augen erinnerte ihn an einen Feind, nur dass es sich in diesem Fall um keinen menschlichen Feind handelte, sondern um eine mikroskopisch kleine Seuche, die Beckham nicht einfach erschießen oder in die Luft sprengen konnte. Diese Erkenntnis jagte ihm eine Heidenangst ein.
»Das zweite Video wurde im Isolationsflügel eines Krankenhauses in Conakry aufgenommen, der Hauptstadt von Guinea. Am 27. März wurden 104 neue Fälle bestätigt. Von diesen Fällen sind seit der Aufzeichnung 98 Patienten gestorben.«
Beckham beobachtete Männer in weißen Bioschutzanzügen, die sich zwei Wachleuten mit AK-47-Sturmgewehren näherten. Nachdem ihre Zutrittsberechtigung überprüft worden war, öffneten sich die Glastüren. Drinnen schwenkte der Kameramann durch den Raum und erfasste Dutzende Betten, die alle dieselbe Szene boten: blutdurchtränkte Decken und Patienten, die sich die Seele aus dem Leib bluteten. Ein Arzt stieß die Kamera weg und brüllte: »Schaffen Sie dieses Ding hier raus!«
Das Video holperte und Gibson erschien wieder im Bild. »Ich bin sicher, viele von Ihnen haben unlängst in den Nachrichten von diesem Ausbruch gehört. Man hält das Virus für eine stärkere Version des Zaire-Stamms, des schlimmsten der Menschheit bekannten Typs. Es hat sich nach Sierra Leone, Liberia und Mali ausgebreitet. Wir haben außerdem bestätigte Fälle in Europa, im Nahen Osten und in Asien. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieser Stamm auf US-Territorium gelangt.«
Abrupt hob Beckham den Blick. Er musterte die Gesichter seiner Männer. Alle hatten denselben unerschrockenen Ausdruck, wirkten unbeeindruckt von den Bildern.
Als Beckham wieder zurück auf sein Tablet blickte, stellte er fest, dass sich Gibsons Züge verändert hatten. Der Mann sah auf seine Armbanduhr. Dann schaute der Offizier mit einem neuen Ausdruck von Dringlichkeit im Gesicht auf. Die Falten auf seiner Stirn veränderten sich zu tiefen Furchen.
»Wie Sie vermutlich bereits ahnen, haben die Forscher in Gebäude 8 an einem Heilmittel gearbeitet. Dr. Isaac Medford, der Teamleiter, hat vor zwei Tagen Verbindung mit mir aufgenommen und gemeldet, er habe einen Durchbruch erzielt. Er hatte chemische Proben von einer Waffe namens VX-99 extrahiert. Viele von Ihnen haben unter Umständen Gerüchte über ihren Einsatz in Vietnam gehört. Manche davon stimmen wahrscheinlich. Jeder, der sich auch nur eine Dosis davon injiziert hat, wurde in etwas verwandelt, neben dem geisteskranke Verbrecher wie Pfadfinderinnen wirken. Die Waffe wurde zu einem einzigen Zweck entwickelt: um Supersoldaten zu erschaffen. Sie wurde 1968 an einem Zug von Marines erprobt. Die Männer sollten ein kleines, aber stark verteidigtes Dorf einnehmen. Stattdessen hat sich der gesamte Zug gegen sich selbst gewandt und den Dschungel rot vor Blut gefärbt. Die Männer haben auf die barbarischste Weise getötet, die man sich vorstellen kann. Die meisten der Marines wurden ohne ihre Waffen gefunden. Sie haben sich gegenseitig und die Vietcongs, die ihnen aufgelauert haben, mit bloßen Händen ermordet. Der Einsatz der Chemikalie wurde eingestellt, nachdem man herausgefunden hatte, dass ihre Verabreichung irreversible Auswirkungen hat, wie Sie gleich sehen werden.«
Beckham spürte mehrere Blicke von der anderen Seite des Gangs auf sich, schaute jedoch nicht auf. Stattdessen richtete er die Aufmerksamkeit auf sein Tablet. Das lächelnde Foto eines uniformierten Soldaten erschien. Gibson fuhr mit seiner Erzählung fort. »Das ist Zugführer First Lieutenant Trevor Brett. Ihm wurde posthum der Bronze Star für besondere Verdienste bei einer geheimen Mission in Vietnam verliehen. Seine Familie dachte, er sei als Held gestorben. In seiner Akte steht lediglich ›im Kampf gefallen‹, was jedoch weit von der Wahrheit entfernt ist. Zehn Jahre nach seiner letzten Mission ist Lieutenant Brett in einem ländlichen Dorf außerhalb von Son La aufgetaucht, über 150 Kilometer südlich von der Stelle, wo sein Zug abgesetzt worden war und er sich VX-99 injiziert hatte.«
Auf dem Bildschirm erschien eine Karte mit einer roten Linie, die von dem oberen Gebirgsbereich zur Stadt Son La verlief. Beckham erkannte das Gebiet auf Anhieb. Dort hatte er mehrere Wochen Urlaub verbracht, als er ursprünglich ins Militär eingetreten war.
»Merken Sie sich diese rote Linie«, sagte Gibson.
Als Nächstes erschien das Bild eines Mannes in zerrissener Kleidung. Obwohl die Aufnahme verschwommen war, konnte Beckham erkennen, dass in der Gestalt kein Funken Menschlichkeit mehr steckte. Er hatte andere wie diesen Mann in den Slums von Mogadischu, in den abgelegenen Dörfern der nördlichen Stammesgebiete von Afghanistan und in den dreckigen Gassen von Falludscha gesehen. Kriegsgebiete neigten dazu, dieses Aussehen recht häufig hervorzubringen.
»Das ist ein Foto vom selben Lieutenant, das 1980 von einem britischen Journalisten geschossen wurde. Achten Sie auf sein Erscheinungsbild – auf seine Lippen, seine Augen, seine Haut.«
Beckham strich mit zwei Fingern diagonal über das Display und vergrößerte das Bild. Brett hatte sich in ein Monster verwandelt, dem die Haare in strähnigen Klumpen am Kopf baumelten. Blaue Venen durchzogen seine fast durchscheinende Haut deutlich sichtbar. Über seinen Augen hatte sich so etwas wie eine zweite Schicht oder Membran gebildet, die an die Augen von Reptilien erinnerte, und die Pupillen hatten sich zu gelblichen Schlitzen verformt. Am auffallendsten jedoch hatten sich die Lippen des Mannes verändert. Sie wölbten sich zu einem grotesken Saugmund, der Beckham an einen Blutegel erinnerte.
»Und seine Halskette«, fuhr Gibson fort.
Ein neues Bild füllte das Display aus. Eine Schnur lag auf der Platte eines Metallschreibtischs. Beckham meinte, getrocknete Fleischbrocken daran zu erkennen. Aber konnte das wirklich sein?
Als das Bild stärker vergrößert wurde, drehte sich ihm der Magen um. Etwas Derartiges hatte er noch nie gesehen. Er hatte schon von Männern gehört, die Ohren und andere Trophäen behielten, aber an der Halskette von Lieutenant Brett befand sich mehr als nur Ohren. Es prangten andere Dinge daran – unaussprechliche Dinge. Da wusste Beckham, weshalb sich Dr. Ellis die Unterweisung nicht ansehen durfte. Falls etwas über diese chemische Waffe nach außen dränge, würde das Militär nicht nur gewaltige Entschädigungszahlungen an Angehörige leisten müssen, zusätzlich würden Politiker in Washington ein Grillfest schmeißen und jeden am Spieß rösten, der etwas mit VX-99 zu tun gehabt hatte. Wahrscheinlich würde vor allem Gibson selbst wie ein Spanferkel mit einem Apfel im Mund über kleiner Flamme gebraten werden.
»Was Sie gesehen haben, sind die Ergebnisse von VX-99. Wie ich zuvor schon sagte, war die Idee hinter dem Serum, einen Supersoldaten zu erschaffen. Was wir bekommen haben, war so etwas wie Lieutenant Brett.« Gibson verstummte abermals kurz, bevor er hinzufügte: »Diese rote Linie auf der Karte von Vietnam, die Sie sich merken sollten – das war die Route, der Brett zehn Jahre lang gefolgt ist. Unterwegs hat er jeden ermordet und gefressen, dem er begegnet ist. VX-99 hat ihn nicht einfach nur in eine Monstrosität verwandelt, sondern in einen wahnsinnigen, verbrecherischen Soldaten, der all die Jahre mit einem einzigen Ziel vor Augen am Leben geblieben ist: wahllos zu töten.«
Wieder wurden Gibsons müde wirkende Züge ausgeblendet. Diesmal ersetzte sie ein Video, das zunächst den Ozean zeigte. Unwillkürlich fragte sich Beckham, welches Schicksal Lieutenant Brett letztlich ereilt hatte. Auf jeden Fall würde der Marine nie wieder das Tageslicht erblicken. Wahrscheinlich war er längst tot, nachdem er unzählige Tests der Sanitätstruppe über sich hatte ergehen lassen müssen.
Was für eine verfickte Art für einen Soldaten, das Zeitliche zu segnen, dachte Beckham, als die Kamera zu einem Strand schwenkte.
»Ihr Ziel ist eine Probe von Dr. Medfords Forschung. Meine Männer wissen haargenau, wonach sie suchen müssen.« Gibson rümpfte die Nase. »Ich weiß, was Sie gerade denken. Warum bomben wir den Ort nicht einfach in Grund und Boden? Glauben Sie mir, das würden wir, wenn wir es könnten, aber ich muss erfahren, was Medford erschaffen hat. Es könnte von unschätzbarem Wert für die künftige Ebola-Forschung sein. Ich brauche diese Probe.«
Beckham meisterte seine Wut mit einem tiefen Atemzug und blendete Gibson kurz aus, um zu überlegen. Diese Mission bedeutete, dass Team Ghost als Kanonenfutter dienen würde. Das war weder neu noch kam es unerwartet. Er hatte die Dokumente unterzeichnet. Beckham hatte von Anfang an gewusst, worauf er sich einließ. Aber das? Sein Team wurde in eine potenzielle Gefahrenzone geschickt, und zwar ohne echte Informationen, abgesehen von einer lausigen Unterweisung über Ereignisse, die vor fast 50 Jahren stattgefunden hatten.
Team Ghost war schon mit weniger Informationen in entlegenen Gebieten abgesetzt worden, doch bei jenen Missionen war es nie um Seuchen der Stufe 4 gegangen. Hier handelte es sich um eine völlig andere Art von Feind.
Spannung hatte sich wie ein dichter, feuchter Nebel im Transportraum eingenistet. Beckham brauchte seine Männer nicht erneut in Augenschein zu nehmen, um zu wissen, dass sie es alle spürten. Noch nie zuvor hatte er eine Mission infrage gestellt – Befehle waren immer Befehle. Und ganz gleich, wie schlecht es um Gebäude 8 bestellt sein mochte, er hatte immer noch eine Pflicht gegenüber seinem Land zu erfüllen.
Indem er tief durch die Nase atmete, unterdrückte er einen weiteren Anflug von Zorn.
»Wie zuvor gesagt«, sprach Gibson weiter, »ist das Ziel die Insel San Nicolas. Alle, die außerhalb von Gebäude 8 gearbeitet haben, wurden bereits evakuiert. Wenn Sie eintreffen, wird das einzige verbliebene Personal im Umkreis von 30 Kilometern aus Wissenschaftlern bestehen, die unter der Erdoberfläche festsitzen.«
Beckham betrachtete eingehend den Bildschirm. Saphirblaue Wellen brachen sich im Mondlicht am Ufer. Das Video, das offenbar von einem tieffliegenden Helikopter aus aufgenommen worden war, bot eine Totale der Insel. Durch den Hintergrund aus braunem Sand erstreckte sich eine Landebahn mit einer Gruppe von Gebäuden in der näheren Umgebung.
Als Gibson fortfuhr, schwang zunehmende Anspannung in seinem Tonfall mit. »Meine Männer haben ein GPS-Ortungsgerät dabei. Sie werden Sie zu Gebäude 8 führen. Es liegt abseits der ausgetretenen Wege, abseits der restlichen Einrichtungen auf der Insel. Aufgrund der überaus heiklen Natur der Forschungsarbeiten sind weder sie noch ich je dort gewesen«, erklärte der Offizier, bevor er eine flüchtige Pause einlegte. »Es handelt sich um eines unserer kleineren Labors mit einem Mitarbeiterstand von nur 15 Personen. Das Navy-Personal auf der Insel weiß nicht einmal, dass Gebäude 8 überhaupt existiert. Man hat den Leuten gesagt, sie würden wegen eines Austritts toxischer Substanzen evakuiert.«
Das Video blendete in den Grundriss eines Gebäudes über. Beckham vermutete, dass es sich um jenen von Gebäude 8 handelte, aber wegen der schwachen Beleuchtung im Transportraum musste er sich konzentrieren, um es genauer zu erkennen.
Gibson fuhr mit seinen Ausführungen fort. »Meine Männer werden Ihnen Zugang zu der Einrichtung verschaffen. Ihre Mission besteht darin, sie zu beschützen und die Probe von Medfords Arbeit zu beschaffen.«
Seine Männer beschützen, dachte Beckham. Wovor?