Dark Age - Buch 3 - Nicholas Sansbury Smith - E-Book

Dark Age - Buch 3 E-Book

Nicholas Sansbury Smith

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Beschreibung

Willkommen im dunklen Zeitalter! Vor acht Jahren verwüstete ein manipuliertes Virus den Globus und verwandelte Menschen in monströse Raubtiere. Milliarden starben, die Zivilisation brach zusammen und die Menschheit stand kurz vor dem Aussterben. Nationen schlossen sich zusammen und Helden erhoben sich, um diese Gräuel zu bekämpfen. Buch 3: Weit hinter den feindlichen Linien stößt das Team Ghost auf die schreckliche Wahrheit: Die Mutierten sind nicht die einzige Gefahr. Die Auslöschung der überlebenden Menschen ist nur Teil eines viel größeren, heimtückischen Plans. Der tödliche Schatten einer nuklearen Bedrohung erhebt sich. Wenn es in Büchern jemals Horror und Spannung gab, dann in dieser Bestsellerserie. Mysterythrillerweek.com: »Das ist postapokalyptische Spannung vom Feinsten!«

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Seitenzahl: 520

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Aus dem Amerikanischen von Michael Krug

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe Extinction Cycle: Dark Age 3 – Extinction Ashes

erschien 2019 im Verlag Great Wave Ink Publishing.

Copyright © 2019 by Nicholas Sansbury Smith & Anthony J. Melchiorri

Copyright © dieser Ausgabe 2021 by Festa Verlag, Leipzig

Titelbild: Arndt Drechsler-Zakrzewski

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-943-5

www.Festa-Verlag.de

Für Colonel Olson (i. R.) und Master Sergeant Hendrickson (i. R.) für den Dienst an unserer großen Nation und für ihr Feedback – es hat die Romane des Extinction Cycle immens verbessert.

Er sendet statt Männerkraft

den tränenreich bittern Rest

glutgeschmolznen Staubes, aus

Ilion, den Freunden heim,

wohlbewahrt im Aschenkrug.

Aischylos, ›Agamemnon‹

1

»Was ist das?«, fragte Javier Beckham. Er drückte das Gesicht gegen ein Fenster von S. M. Fischers Privatjet.

Captain Reed Beckham blickte über die Schulter seines Sohnes und beobachtete ungläubig etwas, von dem er nie gedacht hätte, es je zu sehen.

Ein Flugkörper mit Atomsprengkopf, abgefeuert von einem U-Boot, raste durch die Nacht und hinterließ auf dem Weg über den Himmel eine wallende weiße Dampfspur. Vor Verblüffung umklammerte er verkrampft die Hand seiner Frau, Dr. Kate Lovato. Auch als die Rakete bereits verschwunden war, ließ er sie nicht los.

Sie starrte dem Geschoss genauso fassungslos und ungläubig hinterher wie er.

»Das ist kein taktischer Sprengkopf«, stieß Beckham zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Hat Präsidentin Ringgold nicht gesagt …«, begann Kate.

»Irgendwas muss sich geändert haben«, fiel Beckham ihr leise ins Wort.

»War das eine Weltraumrakete, Dad?«, fragte Javier.

»Nein, ein Marschflugkörper«, stellte Tasha mit unverkennbar ängstlicher Miene richtig. Sie und Jenny hatten sich zu Beckhams Sohn gedrängt.

Die Computerspezialistin Sammy Tibalt drehte auf ihrem Liegesitz den Kopf. Schweiß lief ihr über die Stirn und sie konnte die Augen kaum offen halten. Blut hatte die Verbände über der Schussverletzung in ihrem Bauch durchtränkt.

»Halten Sie still«, forderte Kate sie auf.

Die Technikerin hatte Glück, dass die Kugel anscheinend keine lebenswichtigen Organe getroffen hatte. Das Projektil hatte den Körper leicht seitlich durchschlagen und größtenteils oberflächliche Schäden angerichtet.

»Die Wunde soll möglichst nicht wieder aufbrechen«, fügte Kate hinzu.

»O Scheiße, tut das weh«, fluchte Sammy und verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

»Wir besorgen Ihnen bald mehr Schmerzmittel.«

Die anderen zehn Passagiere blickten aus den Steuerbordfenstern, als irgendwo an der Ostküste ein strahlendes Licht gleißte. Die Gruppe umfasste Master Sergeant Parker Horn und seine Mädchen, S. M. Fischer, dessen Leibwächter und ein paar Labortechniker sowie die beiden Deutschen Schäferhunde Ginger und Spark. Der grellweiße Blitz brannte die Dunkelheit der Nacht weg, dann folgte ein rasend wachsender, oranger Feuerball.

Wie weit hatte es ihre Maschine noch bis zum Zielort?

Tatsächlich wusste Beckham nicht mal, wohin sie flogen. Sie hatten die letzten Stunden in der Luft verbracht und mittlerweile war es fast Mitternacht. Ihre erste Landezone hatte sich in letzter Minute geändert, als der Pilot über eine verschlüsselte Leitung geheime Koordinaten für einen zweiten Standort erhalten hatte. Er hatte sie informiert, dass sein Befehl lautete, den Ort niemandem mitzuteilen.

Beckham bereitete kein Kopfzerbrechen, wohin genau sie unterwegs waren. Ihn interessierte nur, dass seine Familie in Sicherheit gebracht wurde.

Sofern es überhaupt noch einen sicheren Ort gab.

»Der elektromagnetische Impuls von der Bombe wird uns doch nicht beeinträchtigen, oder?«, fragte Kate, als sie auf ihren Platz zurückkehrte.

»Die meisten Flugzeuge sind dafür ausgerüstet, elektromagnetischen Impulsen standzuhalten«, sagte Beckham. »Ich nehme an, dieses auch. Und selbst wenn nicht, sollten wir weit genug entfernt sein, um nichts abzubekommen.«

Mehr Kopfzerbrechen bereiteten ihm die Auswirkungen des radioaktiven Fallouts. Die Strahlung um die Einschlagstelle konnte je nach Höhe der Detonation über Jahre oder sogar Jahrzehnte alles vergiften.

»Bringen wir euch zurück auf eure Plätze«, sagte Kate zu den Kindern. Ihre Stimme klang überraschend ruhig, doch Beckham wusste, dass sie ihre Angst nur überspielte.

Ginger und Spark wieselten um Javier und die Mädchen herum. Horn stand auf und scheuchte sie in den mit einem Vorhang abgetrennten hinteren Teil der Maschine.

Kaum waren sie weg, tappte Kate nervös mit dem Fuß auf den Boden. Getrocknete, dunkelrote Blutspritzer prangten an ihrem weißen Schuh. Sie hatten seit der Katastrophe im Außenposten Manchester beide keine Möglichkeit gehabt, sich sauber zu machen. Das Blut an Kates Schuh stammte von Dr. Jeff Carr, dem in ihrem gemeinsamen Labor ein verräterischer Mitarbeiter in den Kopf geschossen hatte.

»Kate«, flüsterte Beckham.

Ihr nervöser Fuß hielt inne. Ein Schauder durchlief ihren Körper.

»Bist du …?«, setzte er an.

»Geht gleich wieder«, fiel sie ihm ins Wort. »Wir haben unsere Mission erfüllt und ich kann das alles immer noch aufhalten.«

Beckham kannte sie lange genug, um ihre Unsicherheit zu spüren. Sie glaubte die eigenen Worte nicht ganz und versuchte immer noch, sich mit der harten Realität abzufinden. Er empfand genauso, aber manchmal war eine kleine Notlüge entschuldbar, wenn nicht sogar notwendig, um die Moral aufrechtzuerhalten.

»Wir retten die Alliierten Staaten und bauen sie wieder auf«, sagte er und drückte ihre Hand.

»Boss.« Horn kam zurück und nahm neben ihm Platz. »Hast du ’nen Moment Zeit?«

»Dann lasse ich euch beide mal ungestört reden.« Kate stand auf. »Ich sehe nach den Kindern.«

Sie küsste Beckham auf die Wange, bevor sie im hinteren Teil des Flugzeugs verschwand. Horn wartete einige Sekunden, bevor er das Wort ergriff.

»Ich hab Angst«, flüsterte er.

Horns Vokabular umfasste viele Wörter, etliche davon grenzwertig bis obszön. Aber »Angst« hatte Beckham von seinem besten Freund bisher noch nie gehört.

»Ich hab Angst, dass wir unsere Familien nach der Landung nicht mehr schützen können; dass alles nur noch schlimmer wird. Bis nichts mehr übrig ist«, fuhr Horn fort.

»Ich auch«, gestand Beckham.

»Wir denken vielleicht, dass es sicher ist, wo auch immer wir landen, aber Scheiße …« Horn atmete tief ein. Sein breiter Brustkorb weitete sich. »Der Feind ist stärker, als wir es uns je vorgestellt haben. Ich weiß echt nicht, ob wir diesen Kampf gewinnen können.«

»Können wir. Müssen wir. Es gibt keine andere Möglichkeit.«

Sie standen beide unter Schock. Nach acht Jahren Frieden war alles zusammengebrochen wie ein Kartenhaus in einem Tornado.

Als die Sonne aufging, war Beckham nicht mehr sicher, was von den Alliierten Staaten überhaupt noch übrig sein würde.

Er wusste nur, dass sich einige der großen Städte der einstigen Vereinigten Staaten in radioaktiv verseuchte Krater verwandelt haben würden.

»Wann erzählen wir den Kindern vom Außenposten Portland?«, fragte Horn und erinnerte Beckham damit an ihre Häuser, die der Feind restlos zerstört hatte.

»Sobald wir uns ein bisschen eingelebt haben, bringen wir es ihnen bei.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns je wieder irgendwo einleben werden«, entgegnete Horn skeptisch und schaute durch ein Fenster hinaus. »Und was ist mit Timothy?«

»Tasha sollte die Wahrheit erfahren«, fand Beckham. »Aber das überlasse ich dir.«

Horn nickte.

»Einfach wird in unserer Zukunft gar nichts sein«, prophezeite Beckham. »Für eine lange Zeit nicht mehr. Aber wir sind der Leim, der alles zusammenhält, und du musst für mich der Fels sein, der du immer gewesen bist.«

Horn begegnete Beckhams Blick.

»Du kannst auf mich zählen, Boss.« Er warf sich in die Brust. »Ich bin kein Fels … Ich bin ein gottverdammter Berg.«

Beckham grinste und klopfte Horn auf die Schulter. Der kurze Anflug gemeinsamer Heiterkeit verflüchtigte sich, als der Pilot ankündigte, dass sie mit dem Sinkflug begannen.

Fischer ging ins Cockpit, aber seine Leibwächter, Tran und Chase, blieben zurück.

Plötzlich kamen Ginger und Spark durch den Gang zu Beckham gelaufen. Unwillkürlich lächelte er, als sie anfingen, ihm die Hand zu lecken.

»Verdammt noch mal.« Kate marschierte auf die beiden Hunde zu und packte sie an den Halsbändern.

»Ich mach das«, bot Horn an. Er brachte die Hunde nach hinten und Beckham begleitete ihn.

»Wo landen wir?«, fragte Javier.

»Ja, würde uns wohl irgendjemand sagen, was eigentlich los ist?«, meldete sich Jenny zu Wort.

»Diese Rakete …«, kam kleinlaut von Tasha. »Sie bedeutet, dass der Krieg noch schlimmer wird, oder?«

»Es wird alles wieder gut«, beteuerte Beckham.

Kate und Horn wechselten einen kurzen Blick, bevor sie sich wieder setzten.

Auch Beckham ließ sich auf seinen Sitz plumpsen und hievte sich Spark auf den Schoß. Horn übernahm Ginger.

Turbulenzen schüttelten die Kabine durch und Spark winselte.

»Schon gut, Kumpel«, beruhigte Beckham den Hund.

Eine weitere Turbulenz erschütterte die Maschine und sorgte für einen überraschten Aufschrei von den Kindern. Sammy heulte vor Schmerz auf. Ron und Leslie, zwei der Techniker, die mitgekommen waren, halfen dabei, sie zu stützen.

Draußen ließen sich die ersten Anzeichen des Bodens erkennen. Unten schimmerte eine vereinzelte Gruppe von Lichtern. Beckham kniff die Augen zusammen und versuchte, irgendeinen Hinweis darauf auszumachen, wo sie sich befanden.

Der Rest des Geländes war so dunkel, dass er nicht zu sagen vermochte, ob es flach, hügelig oder gebirgig war. Unten flackerten grelle Lichter auf, die wie Explosionen wirkten.

Dann folgte das durch die Luft schnellende Flimmern von Leuchtspurmunition.

»Das kann doch nur ein verfluchter Scherz sein«, flüsterte Beckham.

Das Flugzeug drehte von dem Gefecht ab und beschrieb am Himmel eine Kurve.

Beckham bemühte sich, ruhig zu bleiben. Er wollte die Kinder nicht noch mehr erschrecken. Blinzelnd versuchte er abermals, auf dem Boden etwas zu erkennen. Es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass sie sich gar nicht über festem Boden befanden.

Es handelte sich um Wasser.

Ein vereinzeltes Licht flammte in seinem Sichtbereich auf und erhellte einen Arm, der zu einer Statue gehörte. Und nicht irgendeiner Statue – der Freiheitsstatue. Eine von den Alliierten Staaten installierte ewige Flamme brannte auf der Fackel.

Das Leuchtfeuer der Freiheit zu sehen erfüllte Beckham mit Stolz und Hoffnung.

Das Flugzeug pendelte sich waagrecht ein. Der Nähe der Statue nach zu urteilen, mussten sie sich über Long Island befinden. Was Beckham sinnvoll fand. Der Ort würde stark befestigt und relativ einfach zu verteidigen sein.

Die Leuchtspurgeschosse und Explosionen mussten von dem kleinen Außenposten in Lower Manhattan gekommen sein.

Er betete, dass die Menschen dort die Nacht überleben würden.

Gleich darauf setzte die Maschine mit einem heftigen Ruck auf dem Boden auf. Mit Schubumkehr und ausgefahrenen Störklappen zur Verringerung der Geschwindigkeit wurde das Flugzeug geräuschvoll durchgeschüttelt. Sammy schrie wieder auf, aber die Kinder blieben still.

Kaum hatte der Jet angehalten, legten Fischers Leibwächter frische Magazine ein und öffneten die Luke.

Fischer trat zu ihnen und hob in Richtung der übrigen Passagiere die Hand. »Bleiben Sie alle noch einen Moment.« Damit stieg er mit seinen Bodyguards aus.

»Lasst die Gurte angelegt, falls wir gleich wieder losmüssen«, sagte Beckham zu den Kindern. »Nur eine Vorsichtsmaßnahme. Kein Grund zur Sorge.«

Beckham und Horn ergriffen ihre Gewehre.

Die Kinder waren klug genug, um zu durchschauen, dass es sich nicht nur um eine Vorsichtsmaßnahme handelte.

»Ist es hier nicht sicher?«, fragte Tasha.

»Klar ist es das«, entgegnete Horn. »Immerhin bist du bei deinem alten Herrn und Reed.«

Die Tür öffnete sich wieder. Fischer kam herein und winkte. »In Ordnung, gehen wir.«

Beckham trieb die Kinder zusammen, während Ron und Leslie dabei halfen, Sammy zu tragen. Tran und Chase standen auf dem Rollfeld unter der kurzen Ausstiegstreppe Wache.

Draußen warteten ein gepanzerter Mannschaftstransporter und ein militärischer Lastwagen. Daneben standen zwei Soldaten in Kampfanzügen und Helmen mit »vieräugigen« Nachtsichtbrillen.

»Alle hier lang«, sagte einer der Männer. »Wir müssen schleunigst vom Rollfeld runter.«

Beckham half den Zivilisten und Kindern hinten in den Truck. Während sie einstiegen, ließ er den Blick prüfend über die Umgebung wandern. Das Rollfeld befand sich inmitten eines Gebiets mit überwiegend Lagerhäusern und Fabrikgebäuden. Außer dem Lastwagen und den zwei Soldaten sah er keine Anzeichen für militärische Präsenz.

»Wo zum Teufel sind denn alle?«, fragte Horn die Männer.

»Das sehen Sie noch früh genug«, antwortete einer der Soldaten mit Nachtsichtbrillen.

Nachdem alle in den Lastwagen verladen waren, folgte er dem gepanzerten Transporter in Richtung der Fabriken.

Jenny stupste ihren Vater in den Arm. »Ich weiß, wir fahren jetzt nicht nach Hause, aber weißt du, wann wir es wieder können?«

Horn holte tief Luft und schüttelte dann den Kopf. »Tut mir leid, Schatz, aber ich muss ehrlich sein. Ich glaube nicht, dass wir dorthin je zurückkehren können.«

Ein dumpfes Klingeln hallte in Sergeant Yas Dohis Ohren wider. Pochende Schmerzen trieben durch seinen Körper, als wäre er von einem Alpha-Abartigen verprügelt und anschließend gegen einen Baumstamm geschleudert worden. Alles tat ihm weh.

Er versuchte sich zu erinnern, was passiert war. Blinzelnd sah er sich um und hoffte, seine Umgebung würde seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Allerdings trübten Schatten seine Sicht so sehr, dass er nur vage, skelettartige Schemen wahrnahm.

Die meisten seiner Sinne funktionierten lediglich gedämpft, abgesehen vom Geruchssinn, den der Mief von verkohltem Holz und brennendem Plastik überwältigte.

Die Gerüche setzten langsam die Rädchen in seinem Kopf in Gang, bis ein Inferno von Bildern darin explodierte. Die Ereignisse seit ihrer Landung in der C-130 am kalifornischen Strand liefen vor seinem geistigen Auge ab, bis hin zur Begegnung mit den Hubschraubern.

Bei der Erinnerung daran zog sich in ihm alles zusammen.

Die Maschinen hatten auf Specialist Justin Mendez und ihn vor den Lagerhäusern geschossen, in denen sich die Ausrüstung des seismischen Detektionssystems für Projekt Rolling Stone befinden sollte.

»Mendez«, murmelte Dohi. Er konnte sich nicht erinnern, ob sein Kamerad aus dem Humvee entkommen konnte, bevor die Raketen eingeschlagen hatten.

»Fitz«, flüsterte Dohi in sein Headset.

Keine Antwort. Dann fiel ihm ein, dass es nicht funktionierte, weil sämtliche Funksignale blockiert wurden.

Ein Anflug von Angst überlagerte die Schmerzen, als er an sein Team dachte.

Master Sergeant Joe »Fitz« Fitzpatrick, Sergeant First Class Jenny Rico und Corporal Bobby Ace waren bei den verletzten Wolfhounds gewesen, als die Helikopter angegriffen hatten.

Dohis Magen krampfte sich zusammen. Er drehte den Kopf zur Seite. Sogar die winzige Bewegung schmerzte. Der Mageninhalt kam ihm hoch. Ein saurer Geschmack breitete sich in seinem Mund aus.

Langsam löste sich die Schwärze in seiner Sicht auf. Orangefarben züngelnde Flammen erhellten die Umgebung. Unscharfe Bilder verdichteten sich ausreichend, sodass er begriff, warum er sich kaum rühren konnte und sein gesamter Körper schmerzte. Er lag unter den verhedderten, verkohlten Ästen eines umgestürzten Baums gefangen, konnte nur den Kopf und den Hals bewegen.

Dohi nahm alle Kraft zusammen, um das Gewirr der Äste von seiner Brust zu schieben. Seine zweifellos angeknacksten Rippen brannten bei jedem Atemzug, aber zumindest konnte er sich wieder bewegen. Das war gut. Grunzend schlängelte er sich unter der schweren Last hervor.

Rauch trieb über das verbrannte Gelände und verhüllte alles mit einem beklemmenden, grauen Dunst. Flackernde Flammen tänzelten sporadisch im Wald. Nicht weit entfernt zu seiner Rechten sah er die baufälligen Überreste eines Lagerhauses, das in Form von geschmolzenem Kunststoff und verbogenem Metall vor sich hin schwelte.

Irgendwo hatte Dohi sein Gewehr verloren. Er suchte zwischen den Trümmern und Bäumen. Als er ein leises Knurren und das Knacken von Gelenken hörte, sank er in geduckte Haltung.

Sein Hörvermögen stellte sich nach und nach wieder ein und er nahm die Geräusche lauter wahr. Den Ursprung entdeckte er zwischen den zerstörten Bäumen. Drei Abartige streiften dazwischen umher. Ihre Rippen zeichneten sich deutlich unter der grauen Haut ab, die Gelenke bildeten einen knolligen Kontrast zu den verkümmerten Muskeln.

Die Augen quollen aus den unförmigen Schädeln, die Zungen schnellten um die wulstigen, rissigen Lippen herum.

Ausgehungerte Monster.

Das Versprechen von Nahrung musste sie hergelockt haben. Wahrscheinlich hatten sie der Lärm des Gefechts und der Geruch von verbranntem Fleisch geködert.

Und falls sie Nahrung gefunden hatten, fürchtete Dohi zu wissen, was sie sich einverleibten.

Mendez.

Dohi folgte seinem Bauchgefühl und pirschte sich an sie an, indem er sich den Weg durch das Gewirr der Bäume, die schwelenden Pflanzen und den Rauchschleier bahnte. Das Knacken von Ästen und das Klicken von Gelenken erfüllten die Nacht.

Was er nicht hörte, verlieh ihm Hoffnung. Keine schmatzenden Laute von reißendem Fleisch, kein menschliches Geheul, das von Höllenqualen zeugte.

Dohi umklammerte mit der rechten Hand sein Beil und zog mit der linken sein Kampfmesser. Nach zwei weiteren Schritten gelangte er direkt hinter den ersten der drei Abartigen. Er hieb das Beil in den Rücken der Kreatur. Sehnen und Knochen wurden hörbar durchtrennt.

Die beiden anderen Monster drehten sich um.

Dohi warf sein Kampfmesser. Es schlug mit einem Übelkeit erregenden Laut in einen Augapfel ein. Das Monster taumelte nach vorn und brach zusammen.

Bevor er das Beil aus dem ersten Abartigen ziehen oder sein Messer zurückholen konnte, nahm das verbliebene Ungetüm sprungbereite Haltung ein. Unter normalen Umständen hätte Dohi es mit einer so ausgemergelten Kreatur mit bloßen Fäusten aufgenommen, aber sein Körper war übel mitgenommen.

Der Abartige stürmte ihm entgegen. Er wappnete sich, während er immer noch darum kämpfte, das Beil herauszuziehen. Schließlich gab er den Versuch auf, die Waffe zu befreien, und duckte sich, als die Kiefer des Abartigen neben seinem Gesicht zuschnappten. Er stolperte rückwärts und geriet zwischen weitere Trümmer zersprengter Bäume.

Dohi bückte sich, hob einen abgebrochenen Ast der ungefähren Größe seines Arms auf und hielt ihn hoch, als die Bestie mit ihren Krallen nach seinem Gesicht schlug. Sie schob den Ast, schnappte mit den Zähnen nach ihm.

Speichel spritzte ihm ins Gesicht.

Dohis Muskeln spannten sich an, als ihn das Monster gegen einen Baumstamm rammte. Mit Kraft allein würde er diese Kreatur nicht besiegen können. Nicht in so beeinträchtigtem Zustand.

Er rollte sich weg und hastete zu dem Beil, das aus dem toten Monster ragte. Dohi packte den Griff und setzte alle Kraft ein, um es herauszureißen.

Dann wirbelte er herum und schwang das Beil wild. Das Blatt schlug mitten in das Gesicht der letzten Kreatur ein und spaltete die von Warzen übersäte Nase.

Mit einem schmatzenden Laut riss Dohi die Waffe heraus. Dann holte er sich sein Kampfmesser zurück. Er steckte es in die Scheide und betrachtete mit trübem Blick und bebender Brust seine Umgebung.

Kein anderes verseuchtes Monster kam aus dem Rauch angerannt, er hörte auch keine klickenden Gelenke mehr.

Vorerst fühlte er sich sicher genug, um zu beenden, was die Abartigen begonnen hatten: die unter den Bäumen eingeschlossene Person auszugraben. Die Monster hatten bereits den Großteil der Arbeit verrichtet und Äste zu Splittern zerfetzt.

Ein Adrenalinschub schoss durch Dohi, als er Mendez’ Gesicht erblickte, das den Schein des Feuers reflektierte. Dunkelbraune Augen blinzelten langsam unter dem Stapel von Ästen, die den Mann zu Boden drückten. Er hustete mehrmals rasselnd, als Dohi versuchte, die Äste wegzuziehen. Als es ihm nicht gelang, benutzte er einen, um die anderen hochzuhebeln, aber der Ast brach ab.

»Verdammter Mist«, fluchte Dohi.

Einen Moment lang fürchtete er, Mendez nicht befreien zu können. Ihn beschlich die Angst, sein Waffenbruder könnte vor seinen Augen sterben, weil Dohi nicht stark genug war, um ihm zu helfen.

Scheiße, nein. Das wird nicht passieren.

Dohi trat einen Schritt zurück und begann, die Äste einzeln wegzuziehen. Mendez’ Keuchen wurde eine Zeit lang schlimmer, dann ließ es nach, als Dohi ein Teil nach dem anderen entfernte.

»Halt durch, Mann, ich hol dich da raus«, versprach Dohi.

Mendez bewegte zwar die Lippen, doch Dohi hörte keine Antwort.

Er schuftete und schuftete. Schweiß tropfte ihm vom Gesicht, während es in seinen Ohren weiterhin klingelte. Er hörte nicht, wie sich ihm jemand näherte, bis sich eine Hand auf seine Schulter senkte.

Dohi wirbelte herum und griff nach seinen Waffen. Vor sich sah er eine mit Asche und Ruß bedeckte Gestalt.

»Ruhig, Bruder.« Es war Fitz. Er winkte zwei weiteren Gestalten im Rauch zu.

Rico und Ace kamen angerannt und wichen knisternden Feuern aus. Asche und Dreck verschmierten auch ihre Gesichter und Kampfanzüge. Schallgedämpfte M4A1er hingen ihnen quer vor der Brust, alle möglichen verbogenen Metallteile ragten aus ihren Rucksäcken.

Dohi stellte keine Fragen, sondern zog und entfernte weiter Äste und Trümmer von Mendez. Die Gruppe verteilte sich um den größten Stamm, unter dem der Mann gefangen lag. Zusammen hoben sie ihn an und Ace schleifte seinen Waffenbruder weg.

Dohi bückte sich neben Mendez und untersuchte ihn. »Alles in Ordnung?«

Mendez atmete mehrmals tief durch, bevor er ein Nicken zustande brachte. »Ich glaub … ich … hab mir ’ne Rippe gebrochen.«

»Kannst du die Zehen und Finger bewegen?«, fragte Dohi.

Mendez tat es.

Rico bückte sich ebenfalls und half, Mendez auf schwerere Verletzungen zu überprüfen.

»Ihr habt ja keine Ahnung, wie froh ich bin, euch beide am Leben zu sehen«, sagte Fitz. »Bist du verletzt?«, fragte er Dohi.

»Nur ein bisschen durchgeschüttelt«, erwiderte der Fährtensucher des Teams.

Ace reichte Dohi ein Gewehr. »Das hab ich ein paar Meter weiter hinten gefunden.«

»Danke.«

Rico und Ace halfen Mendez in sitzende Position.

»Martin ist bei den anderen Wolfhounds. Sie warten im Bürogebäude«, erklärte Fitz. »Die Funkverbindung ist noch immer gestört. Und da wir nur unsere taktischen Funkgeräte haben, könnten wir das Oberkommando ohnehin nicht erreichen.«

»Und wie geht’s jetzt weiter?«, fragte Dohi und presste sich einen Knöchel ins Ohr. Er versuchte, den Druck auszugleichen, damit er besser hören konnte.

Fitz betrachtete den Rauch und die Flammen, die nach und nach die Lagerhallen verschlangen.

»Während der Suche nach euch haben wir ein paar Computer und anderen Kram aus den Trümmern geholt«, sagte er. »Ich will noch einen Durchgang machen, falls von der SDS-Ausrüstung noch irgendwas intakt ist, aber viel Zeit bleibt uns nicht. Dieser neue Feind könnte zurückkommen.«

»Und danach gehen wir zurück zur C-130?«, fragte Dohi.

»Richtig«, bestätigte Fitz.

»Vorausgesetzt sie ist überhaupt noch da«, fügte Rico mit einem Schnauben hinzu. »Ich hab das ungute Gefühl, dass wir längerfristig auf uns allein gestellt sind.«

2

Timothy Temper flüchtete vor einem muskelbepackten, mit VX-99 infizierten Rottweiler. Die knurrende, mutierte Bestie jagte ihn durch einen Wald. Das Vieh bellte bösartig, als es aufholte. Timothys Lunge brannte bei jedem Schritt, seine Muskeln fühlten sich zunehmend schwerer an und verlangsamten ihn.

Er hatte keine Waffe, um sich zu verteidigen, und es gab weit und breit kein Versteck. Ihm blieb nur eine Möglichkeit: weiterrennen.

Skelettartige Zweige streckten sich nach ihm. Er duckte sich darunter hindurch, sprang über umgestürzte Baumstämme und preschte durch Unterholz, das über seine Haut kratzte.

Am Ende der Bäume verlief ein steiler Abhang in ein flaches Tal hinab. Timothy rutschte die schlammige Böschung hinunter, bis seine Schuhe auf felsigem Untergrund landeten.

Wasser schlängelte sich durch die Mitte des Tals und plätscherte über Gestein. Timothy überquerte den Bach. Das kalte Nass sickerte in seine Schuhe, als er sich vorsichtig einen Weg über die rutschigen Steine bahnte.

Auf der anderen Seite warf er einen Blick über die Schulter. Der Rottweiler kam gerade wild kläffend über die Kuppe des Hügels, den Timothy gerade hinter sich gelassen hatte.

Im Mondschein tauchte die bullige, muskelbepackte Gestalt eines zweiten Rottweilers zwischen zwei Eichen auf dem anderen Hang auf.

Timothy saß in der Falle.

Als einzige Möglichkeit blieb, am Bach entlang zu flüchten. Aber als er wendete, um die Flucht fortzusetzen, verfing sich sein Fuß in etwas und er ging hart zu Boden. Sein Kopf knallte gegen einen Stein. Eisiges Wasser spritzte über seinen durchgefrorenen Körper.

Der erste Hund erreichte ihn innerhalb von Sekunden. Er schlug die Zähne in einen seiner Arme und zerfetzte sein Fleisch.

Timothy heulte vor Schmerz auf, als er sich verrenkte, um sich zu befreien. Die blutunterlaufenen Augen des Hundes hefteten sich auf ihn. Das Tier ließ von seinem Arm ab und griff sein Gesicht an.

Timothy erwachte in Dunkelheit.

Rauch brannte in seiner Lunge.

Diesmal träumte er nicht. Einsetzendes Bewusstsein verdrängte den Dunstschleier aus Schmerzen und Erschöpfung. Neben dem Qualm hing in der Luft ein Geruch, den er erkannte.

Verbranntes Fleisch.

Timothy versuchte sich aufzurappeln, war jedoch zu schwach. Er sackte zurück auf den kalten Betonboden.

»Hallo …«, presste er hervor.

Seine Stimme drang als mattes Krächzen aus ihm.

Er hob die Hand an den Hals und betastete von einer Verbrennung wunde Haut.

Da fiel es ihm wieder ein.

Das Halsband. Es war verschwunden.

Erinnerungen an seine Gefangenschaft stürzten wie eine Flutwelle über ihn herein. Er erinnerte sich an die Bomben, die man auf den Außenposten Portland abgeworfen hatte, ein letzter verzweifelter Versuch, die Abartigen und die Überläufer zu vernichten.

»Hallo …«, versuchte es Timothy erneut.

Ein stark gedämpftes Stöhnen drang aus den Schatten. Dann hörte er Laute, die klangen, als weinte jemand auf der anderen Seite des Raums.

Die Dunkelheit verhüllte nahezu alles, aber ein paar verlöschende Flammen warfen unheimliche Schatten auf herabgefallene Betonbrocken. In einem anderen Winkel, wo eine Mauer eingestürzt war, strömte Mondlicht herein.

Die Bilder katapultierten seine Gedanken zurück in die Kammer, in der ihn Abartige an einer Wand im versteckten Stützpunkt der Überläufer aufgehängt hatten. Damals hatten Pete, Nick und Alfred beschlossen, Timothy zu verschonen und ihn für ihre kranke Armee der neuen Götter zu rekrutieren.

Die meisten anderen in jener Kammer waren zu Futter für Abartige geworden oder beim teilweisen Einsturz des Dachs umgekommen.

Als sich Timothys Augen an die Düsternis anpassten, sichtete er unter Geröllbrocken zerquetschte Menschen. Über ihn selbst waren Balken gefallen, die ihn vor demselben Schicksal bewahrt hatten.

Er kroch unter einem davon hervor und bahnte sich den Weg in einen Raum, den scharfkantige Bretter und zerbrochene Ziegelsteine übersäten.

Timothy schaffte ein paar Meter, bevor er auf etwas Nasses und Klebriges stieß. Er tastete herum und stellte fest, dass es sich um eine Leiche handelte.

Die kalte Haut verriet ihm, dass die Person schon länger tot sein musste. Was bedeutete, dass er eine ganze Weile bewusstlos gewesen war.

Mit dem Handgelenk vor der Nase setzte er den Weg in Richtung der schluchzenden, stöhnenden Laute fort. Je näher er den Geräuschen kam, desto mehr Toten musste er ausweichen und desto schlimmer wurde der Gestank von Urin und Fäkalien.

Die Mitte des Kellers glich einem Massengrab. Mächtige Brocken der Decke waren auf die Menschen herabgeprasselt, die sich hier versteckt und nach Sicherheit gesucht hatten.

Plötzlich schoss aus der Nähe der Wand ein Lichtstrahl quer durch den Raum und wanderte über die Trümmer und die Toten. Ein Überläufer?

Timothy ging hinter einem Leichnam in Deckung.

»Ist noch jemand am Leben?«, fragte eine Stimme.

»Hilfe …«, antwortete jemand.

Timothy richtete sich über der Leiche auf. Zwei Gestalten standen hinter den Resten der eingestürzten Mauer und spähten in den Keller.

»Hier drüben«, rief jemand anders.

Das Licht schwenkte auf die erste Person, dann brach eine Salve von Schüssen los. Eine zweite Salve überzog die Trümmer in die andere Richtung und brachte das Schluchzen zum Schweigen.

Timothy tauchte wieder ab und presste den Körper mit hämmerndem Herzen auf den Boden.

Weitere Schüsse schnellten durch den Raum. Einige verirrte Kugeln schlugen in den Leichnam ein, hinter dem sich Timothy versteckte. Weitere Projektile trafen die Wände und die Leichen um ihn herum.

Schließlich endeten die Schüsse und die beiden Taschenlampenstrahlen wanderten erneut suchend durch den Keller.

In ihrem Schein bemerkte Timothy eine andere Person, die etwa anderthalb Meter entfernt auf dem Bauch lag. Die Frau hob einen Finger an den Mund.

Sergeant Ruckley.

In der Hand hielt sie eine Pistole, mit der sie auf die Männer zielte. Ein anderer Army Ranger lag ausgestreckt neben ihr und hatte eine Schrotflinte an der Schulter angesetzt.

Das Schluchzen und das Stöhnen waren verstummt. Die beiden Überläufer flüsterten einander zu. Timothy hielt den Atem an und wartete bang, was sie als Nächstes tun würden.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schwenkten die Strahlen der Taschenlampen weg und tauchten den Keller wieder in Dunkelheit. Stiefel schrammten über den Boden, als sich die Männer entfernten.

Ruckley kroch auf Timothy zu und reichte ihm etwas. Er spürte das Metall eines Messergriffs.

»Wir müssen hier raus«, flüsterte sie. »Komm mit uns.«

Als sie zum Aufstehen ansetzte, erstarrte sie plötzlich.

Timothy hörte zunächst nichts, dann jedoch nahm er das Knacken von Gelenken wahr. Er hob den Kopf. Zwei neue Schemen zeichneten sich an der eingestürzten Mauer ab. Diesmal keine Männer.

Mondlicht erhellte die versengte, graue Haut von Abartigen. Sie krabbelten über die Schutthalde aus Ziegelsteinen und Holz in den Keller herab.

Timothy verstärkte den Griff um das Messer.

Ruckley wich neben ihn zurück. »Kannst du kämpfen?«

»Ja«, antwortete Timothy.

»Wir müssen sie leise töten, um nicht die Aufmerksamkeit der Überläufer zu erregen«, sagte die Offizierin.

Der andere Ranger schloss sich ihnen an. Er erwies sich als junger asiatischer Mann, wahrscheinlich nicht viel älter als Timothy.

»Neeland, Sie übernehmen den Rechten«, befahl Ruckley. »Ich kümmere mich um den Linken. Timothy, falls wir Mist bauen, hilfst du aus. Komm mit.«

Timothy und Neeland krochen hinter Sergeant Ruckley her. Die Abartigen fraßen von einem der Menschen, den die Überläufer gerade erschossen hatten. Das Knirschen von Knorpeln und das Knacken von Knochen hallten durch den Raum.

Ruckley hatte ihr Ziel fast erreicht, als Timothy auf loses Geröll stieß. Der Betonbrocken landete klappernd auf dem Boden und die Abartigen wirbelten herum. Einer sprang auf einen Trümmerhaufen links von Ruckley.

Sie schwang das Messer, während der zweite Abartige in Neelands Richtung huschte.

Timothy stürmte der Bestie entgegen. Sie öffnete ein Maul voll mit nadelspitzen Zähnen. Der Gestank von totem Fisch drang heraus. Er holte mit der Klinge aus und rammte sie durch die Nasenhöhle des Monsters. Knirschend bahnte sich der Stahl den Weg durch Knorpel und Knochen, bevor er in weiche Hirnmasse tauchte.

Die Kreatur erschlaffte und fiel auf Neeland.

Ruckley stieß ihr Messer wieder und wieder in den Leib des anderen Monsters. Timothy half ihr, indem er dem Abartigen in die Seite stach. Die Bestie sackte zusammen, aber Timothy hörte erst auf, als sie ihren letzten Atemzug tat.

Ruckley drehte sich keuchend zu ihm herum. Blut überzog ihre Uniform. Auch Timothy war völlig durchnässt davon. Er wischte sich die Stirn mit dem Ärmel ab.

»Alles in Ordnung, Neeland?«, fragte Ruckley.

»Denke, schon«, antwortete er.

Sie steckte das Messer weg und zog stattdessen die Pistole. »Kommt mit.«

»Haben Sie das Oberkommando erreicht und über die Basis der Überläufer im Mount Katahdin Bescheid gegeben?«, fragte Timothy.

»Noch nicht.« Ruckley schüttelte den Kopf. »Ich hatte vor dem Angriff keine Zeit. Wir müssen ein Funkgerät finden.«

»Scheiße …«, fluchte Timothy. Am liebsten hätte er geschrien. Stattdessen jedoch flüsterte er. »Die haben eine Atomwaffe und Labors und …«

»Ohne Funkgerät kann ich nichts tun. Wir suchen eines, dann verschwinden wir von hier.«

Timothy dachte an Nick und Pete. »Nicht bevor wir die Überläufer kaltgemacht haben.«

Die Offizierin sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Was?«

»Ich muss diese Überläufer finden«, sagte Timothy. »Ich gehe hier erst weg, wenn sie alle tot sind.«

Trotz aller Warnungen ihrer militärischen Berater und ihres Stabs hatte Präsidentin Jan Ringgold das Oberkommando zurück auf das Festland verlegt. Dort wollte sie sein – bei ihrem Volk, das unter dem Ansturm der Abartigen und der mit ihnen verbündeten Überläufer litt.

Sie wusste um die Risiken. Deshalb hatte sie Vizepräsident Lemke angewiesen, auf der USS George Johnson zu bleiben.

Ihr Aufstieg zur Präsidentin hatte sich völlig unerwartet und plötzlich ergeben, als sowohl der Präsident als auch der Vizepräsident zusammen mit dem größten Teil des Kabinetts beim großen Krieg gegen die Ausrottung umgekommen waren. Die Umstände und das Schicksal hatten ihr keine andere Wahl gelassen als sich der Herausforderung zu stellen.

Als Lemke sie nach Long Island begleiten wollte, hatte sie ihm deshalb unverblümt mitgeteilt, dass er auf dem Schiff bleiben werde. Falls sie umkäme, brauchten sie einen klaren Nachfolger, um den Kampf fortzusetzen.

Zwei Gardisten eskortierten sie durch den Flur des unterirdischen Bunkers, in dem sie die vorübergehende Kommandozentrale eingerichtet hatten. An einer Kreuzung bogen sie nach rechts, wenig später blieben sie vor der Explosionsschutztür stehen, die zur Notzentrale und den Unterkünften führte. Dort gingen die Gardisten in Position.

Dies war das neue Weiße Haus.

Statt aus hehren Hallen mit historischen Gemälden und antiken Möbeln bestand es aus Korridoren mit Säulen und Trägern aus Stahl und aus rissigen Betonböden.

Im Kalten Krieg hatte der Ort als Luftschutzbunker gedient. Seine Lage war erst unlängst in verstaubten Regierungsakten wiederentdeckt worden. Es handelte sich um einen der wenigen Orte, die General Souza und Ringgold als sicheren Unterschlupf für brenzlige Situationen in der Hinterhand hatten.

Und Ringgold konnte sich seit dem ersten Krieg an keinen brenzligeren Zeitpunkt als diesen erinnern.

Sie ging zu ihrem provisorischen Quartier und legte einen Zwischenstopp im Badezimmer ein, das kaum größer als ein Sarg war. Ein Duschkopf an der Decke sprühte direkt auf den gefliesten Boden mit einem Abfluss in der Mitte. Daneben befanden sich eine Toilette und ein Waschbecken aus Edelstahl.

Nachdem sich Ringgold ein wenig rostfarbenes Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, holte sie tief Luft.

Jetzt geht’s um alles, Jan, dachte sie.

Sobald sie sich die Haare zurückgebunden hatte, kehrte sie zur Tür der Notzentrale zurück. Die Gardisten öffneten sie. Sofort drang chaotischer Lärm heraus.

Stimmen dröhnten durch den offenen Raum, als Offiziere mit Vertretern anderer Außenposten sprachen. Menschen eilten mit Computern, Satellitentelefonen, Funkgeräten und Vorratskisten hin und her. Um den Betrieb fortsetzen zu können, mussten sie den Ort innerhalb weniger Stunden modernisieren.

Ringgold spürte und sah die Anspannung in den erhobenen Stimmen und hastigen Bewegungen. Alle Anwesenden wussten um die verzweifelte Lage.

Sie bahnte sich den Weg durch das Meer von Offizieren und Mitarbeitern, die Informationen von den Außenposten überall in den Alliierten Staaten sammelten.

Bald würden ihre Besprechungen beginnen, aber zuerst wollte sie die Neuankömmlinge sehen, die vor einer Stunde eingetroffen waren.

Sie bog in einen weiteren schmalen Durchgang. Das Bellen von Hunden hallte ihr durch den Flur entgegen. Das Geräusch führte sie zu einer offenen Tür, die in einen Raum mit Klaustrophobiegefahr mündete. Drinnen befahl Horn den beiden Deutschen Schäferhunden zu sitzen, während seine Töchter ihre spärlichen Habseligkeiten in einem kleinen Schrank verstauten.

Horn schien Ringgolds Anwesenheit zu spüren und drehte sich um. »Madam President.«

Die Hunde wedelten mit den Schwänzen, während er sie zurückhielt.

»Schön zu sehen, dass Sie sich bereits einrichten«, sagte sie. »Wo sind Kate und Reed?«

»Ein Stück weiter den Flur runter«, antwortete Horn.

Ringgold betrat den Raum und bückte sich, um die Hunde zu streicheln. Sie schaute zu den Mädchen auf. »Tasha, Jenny, wie geht’s euch beiden?«

Jenny schaute zu ihr. »Dad hat gesagt, dass wir nicht zurück nach Hause können.«

»Ist der Außenposten Portland wirklich zerstört?«, fragte Tasha.

Ringgold richtete sich auf und sah Horn an, der kaum merklich nickte.

»Ich fürchte, ja«, bestätigte Ringgold. »Es tut mir so leid.«

Tashas Unterlippe bebte. Sie legte sich eine Hand über die Augen, als wollte sie ihre Tränen zurückhalten. Stattdessen wischte Tasha sie weg, während sich Jenny schniefend auf eine Pritsche setzte. Auch ihr traten Tränen in die Augen. Als die Hunde zu den beiden Mädchen blickten, ließen sie die Schwänze hängen.

»Es wird alles gut«, beteuerte Ringgold. »Wir werden alles umgestalten und dafür sorgen, dass ihr ein neues Haus bekommt.«

»Aber Sie können weder Timothy noch die anderen zurückbringen«, sagte Tasha.

»Richtig, das können wir nicht, und ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir das tut«, erwiderte Ringgold. »Aber Timothy und eure Freunde würden wollen, dass ihr nach vorn schaut und weitermacht.«

»Mädels, packen wir weiter aus und lassen wir die Präsidentin zurück an die Arbeit gehen«, warf Horn ein.

Die Mädchen wandten sich ab, wirkten am Boden zerstört. Der Anblick verstärkte die Schuldgefühle, die Ringgold ohnehin bereits zu erdrücken drohten.

Als sie in den Flur zurückkehrte, stand Beckham draußen.

»Madam President«, begrüßte er sie.

Ringgold umarmte ihn wortlos.

»Geht es Ihnen gut?«, erkundigte er sich leise.

Sie zog sich zurück und nickte. Captain Beckham zu sehen verlieh ihr immer Kraft. »Wo ist Kate?«

»Im Besprechungsraum der Notzentrale.«

»Dann mal los.«

Ringgold drehte sich um und sie steuerten zusammen auf den Besprechungsraum zu. Beckham öffnete die Tür, als sie eintrafen.

An einem runden Tisch in der Mitte saßen General Souza, Lieutenant Festa, Dr. Lovato und S. M. Fischer. Alle standen auf, um sie zu begrüßen.

Die Anwesenden verkörperten ihre vertrauenswürdigsten Verbündeten. Menschen, die ihr in den schlimmsten Phasen des Kriegs beigestanden hatten. Alle waren hier, weil sie an die Alliierten Staaten glaubten – und weil es ihre einzige Überlebenschance war.

Die Präsidentin bedeutete den Anwesenden, sich zu setzen, und nahm mit ihnen am Tisch Platz. Der Lärm aus den Gängen verstummte, als die Tür geschlossen wurde. Ringgold legte auf dem Tisch die Finger aneinander. Hinter ihnen befand sich eine Wand mit alten CRT-Monitoren, die noch nicht ersetzt worden waren. Souza und Festa hatten jeweils einen sperrigen Laptopcomputer. Mehr stand ihrem Beraterteam vorläufig nicht für die Kommunikation zur Verfügung.

»Lassen Sie hören«, sagte Ringgold und wappnete sich für schlechte Neuigkeiten.

General Souza räusperte sich, bevor er das Wort ergriff. »Alle unsere Sprengköpfe wurden eingesetzt und wir haben selektive Luftangriffe auf mutmaßliche Ziele mit Abartigen und Überläufern gestartet.«

»Wie viele Außenposten haben wir verloren?«, fragte Ringgold und wappnete sich für die Antwort.

»Wir haben die Kommunikation mit 17 verloren«, antwortete Souza nüchtern. Er blickte in seine auf dem Tisch liegenden Notizen. »Weitere sieben haben erst vor 15 Minuten schwere Verluste und anhaltende Aktivitäten der Abartigen gemeldet. Damit halten wir bei 41 verbleibenden Außenposten. Das war der Stand vor 30 Minuten. Allerdings befinden sich viele in der Nähe von Strahlungszonen.«

Kalte Finger der Angst streckten sich in Ringgolds Brustkorb und quetschten ihre Lunge, als Festa die von nuklearen Sprengköpfen getroffenen Städte auflistete. »Philadelphia, Chicago, Minneapolis, Denver, Kansas City, Dallas, New Orleans, Pittsburgh.«

Beckham verkrampfte bei dem Bericht die Kieferpartie, sagte aber nichts. Fischer zupfte nervös an seinem Schnurrbart. Kate starrte mit ausdrucksloser Miene geradeaus.

»Wir haben sie schwer getroffen«, sagte Souza. »Ich habe eine Handvoll Aufklärungsteams in gepanzerten Fahrzeugen im Einsatz. Aber nur die Zeit wird zeigen, ob die Köpfe der Operation tot sind. Jedenfalls bin ich fest davon überzeugt, dass ihre Vernichtung der einzige Weg ist, diesen Krieg zu gewinnen.«

»Was den Bodenkampf da draußen angeht, kann ich Ihnen aus Erfahrung sagen, dass es nicht mehr so ist wie vor acht Jahren«, meldete sich Beckham zu Wort. »Irgendetwas noch Mächtigeres kontrolliert die Superhirne.«

»Es könnte ein gut vernetzter menschlicher Überläufer sein«, meinte Fischer. »Spione, militärische Ausrüstung, neu entwickelte Waffen. Das riecht alles nach jemandem mit fundiertem Wissen über streng geheime Operationen.«

»Haben wir etwas von Team Ghost gehört?«, wollte Beckham wissen.

»Negativ«, antwortete Festa. »Der Kontakt ist abgerissen.«

Beckham runzelte die Stirn, bewahrte aber die Fassung.

»Also müssen wir die SDS-Ausrüstung streichen?«, fragte Fischer.

»Schreiben Sie das Team noch nicht ab«, entgegnete Beckham mit fester Stimme.

Ringgold wandte sich an Kate. »Vorläufig müssen wir diesen unkonventionellen Krieg mit unkonventionellen Mitteln bestreiten. Und Sie, Dr. Lovato, könnten den Schlüssel dazu haben. Können wir die Kommunikationssoftware schon einsetzen, die Ihr Team entwickelt hat, um das Netzwerk der Abartigen anzuzapfen?«

Alle Blicke hefteten sich auf Kate.

»Vor dem Aufstand in Manchester hat die Software mit dem Superhirn funktioniert«, antwortete sie. »Allerdings war das eine Studie in einem streng kontrollierten Umfeld. Wir hatten nicht viel Zeit, um sie zu beenden, bevor …« Sie ließ den Satz unvollendet. »Wir haben Dr. Carr verloren und Sammy Tibalt ist schwer verletzt. Dadurch werden weitere Tests schwierig.«

»Tut mir sehr leid, das von Dr. Carr zu hören«, sagte Ringgold. »Er war ein talentierter Wissenschaftler. Sein Opfer wird nicht umsonst gewesen sein. Wie geht es Sammy?«

»Ihr Zustand ist stabil«, erwiderte Kate.

»Ich will nicht unsensibel sein, aber ich habe weitere Fragen«, sagte Ringgold.

»Bitte, nur zu.«

»Ihren Berichten entnehme ich, dass Sie das organische Netzwerk der Abartigen jetzt abhören und potenziell auch Nachrichten darüber senden können, ist das richtig?«

»Darauf deuten unsere vorläufigen Ergebnisse hin«, bestätigte Kate. »Sammy ist das Genie hinter der Software.«

»Können Sie dasselbe, was Sammy gemacht hat?«

»Nein«, antwortete Kate. »Na ja … vielleicht.«

Ringgold zögerte bei ihrer nächsten Anweisung, doch sie wusste, dass Kate der Aufgabe gewachsen sein würde. »Mir ist bewusst, dass Sie alle noch von Ihren Verlusten erschüttert sind, aber Sie müssen die von Ihnen entwickelte Technologie testen.«

Beckham zog die Brauen zusammen. »Draußen im Praxiseinsatz?«

»Ja«, bestätigte Ringgold.

Kate und Beckham wechselten einen Blick.

»Sie geht nicht ohne mich«, stellte er klar.

»Natürlich nicht«, stimmte Ringgold zu. »Wenn Sie Parker mitnehmen wollen, gern. Oder er kann hier bei Ihren Kindern bleiben. Das überlasse ich ganz Ihnen. So oder so, ruhen Sie sich ein wenig aus. Es geht los, wenn wir Sonnenlicht haben.«

»Ich gehe auch«, meldete sich Fischer freiwillig. »Auf dem Weg hierher haben Cornelius und ich eine Lieferung der seismischen Ortungsausrüstung organisiert, die ich in El Paso benutzt habe. Ich muss nur wissen, wohin sie soll.«

»Dafür weiß ich genau den richtigen Ort«, sagte Festa. »Der Außenposten in Lower Manhattan hat den jüngsten Angriff abgewehrt. Es ist nicht allzu weit von uns entfernt, und man hat dort Zugang zu Tunneln mit Gespinst, das Sie anzapfen können, Dr. Lovato.«

Fischer nickte knapp und ergriff seinen Cowboyhut. »Ich veranlasse sofort, dass die Ausrüstung dorthin geschickt wird.«

»Gut«, sagte Ringgold.

»Schätze, dann geht es für mich zurück nach New York«, meinte Beckham. »Hoffentlich haben wir diesmal mehr Glück als bei Operation Liberty.«

3

»Wir haben Kontakt auf zehn Uhr«, dröhnte Pete. Seine Dreadlocks wippten über seiner Schulter. Er hob die Waffe an.

Nick »Whiskey« Wisniewski blieb stehen und drehte sich seinem Kameraden zu. Der Mann zeigte in die Dunkelheit, aber Nick konnte nichts erkennen. Nach dem Verlassen der University of Southern Maine hatten sich er und seine siebenköpfige Mannschaft die frühen Morgenstunden hindurch zum Treffpunkt geschleppt. Fünf Soldaten des Außenpostens hatten sie bereits getötet, und es waren noch etliche übrig.

Trotz der Intensität des Bombardements hatte eine beträchtliche Anzahl von Menschen überlebt. Seine Männer trieben sie gerade zusammen.

»Da!«, stieß Pete hervor.

Nick sichtete einen Mann und eine Frau, die aus einem Gebäude huschten. Sofort verfielen sie in Laufschritt. Es bereitete ihm keine Freude, sie zu erschießen, aber es musste sein.

Er hob das M4 an, nahm den Mann ins Visier und feuerte eine Salve ab. Der Mann ging zu Boden, hielt dabei noch die Hand der Frau. Sie stürzte neben ihn. Dann stimmte sie ein klägliches Geheul an, das verstummte, als Pete ihr den Kolben seiner Waffe gegen die Stirn rammte. Ein anderer Mann kam angerannt, um sie zu holen. Mit Petes Hilfe wurde sie zurück zur Gruppe der Gefangenen geschleift.

Mittlerweile hatten sie zehn zusammengetrieben und in einer Reihe aneinandergefesselt.

Ein Mann namens Ray bewachte sie mit einer Schrotflinte in der einen Hand und einer Machete in der anderen. Einen Gefangenen, der ausbrechen wollte, hatte er bereits totgehackt. Der abgeschlachtete Leichnam war noch mit der Reihe der anderen verbunden, ein Mahnmal dafür, was passieren würde, wenn die Gefangenen irgendetwas versuchten.

Nick eilte herüber. Unterwegs wechselte er sein verbrauchtes Magazin. »Pete, wir müssen weiter. Kein Anhalten mehr, um Leute zu finden. Lass uns zusehen, dass wir es zu den Fahrzeugen schaffen, bevor das Militär wieder zuschlägt.«

Sie hatten den Außenposten Portland von der Landkarte getilgt, allerdings war es sie teuer zu stehen gekommen. Über die Hälfte ihrer eigenen Soldaten waren gefallen, außerdem hatten sie den Großteil ihrer Fahrzeuge verloren.

Das Militär hatte unerwartet viele eigene Leute geopfert, um so viele Abartige und Überläufer wie möglich zu töten. Ein rücksichtsloses Vorgehen, das Nick überrascht hatte.

Normalerweise vermied Präsidentin Ringgold Kollateralschäden. Andererseits hatte der Befehl vielleicht nicht von ihr gestammt.

Vielleicht hatte im Krieg mittlerweile jemand anders das Ruder in der Hand.

So oder so, es bewies nur, was er bereits wusste: Die neuen Götter würden gewinnen und die Alliierten Staaten von Amerika würden bald nicht mehr existieren.

Der hohe, schrille Schrei eines Abartigen zerriss die Stille der Stunden vor der Morgendämmerung.

Die menschlichen Gefangenen drängten sich enger zusammen. Das Geräusch hätte auch Nick beunruhigt, wenn die Bestien nicht nach wie vor unter der Kontrolle des Alphas in der Gegend gestanden hätten.

Er war sich zwar nicht sicher, wo sich das riesige Monster gerade befand, aber er hatte die Fernbedienung, um es zu unterwerfen, falls es aus der Reihe tanzte.

»Holen wir Alfred und verschwinden wir«, sagte Pete.

Nick kehrte dorthin zurück, wo sie Alfred vor wenigen Minuten verlassen hatten. Er saß noch schlaff an dem Auto, an das sie ihn gelehnt hatten, bewusstlos von seinen Verbrennungen.

Das tiefe Grollen eines Kampfjets zwang Nick, neben seinem verletzten Freund in Deckung zu gehen.

Er suchte den Himmel nach dem Flugzeug ab, aber das Dröhnen der Triebwerke entfernte sich bereits wieder.

»Alfred«, flüsterte Nick und versuchte, den älteren Mann zu wecken.

»Er ist ziemlich übel zugerichtet«, merkte Ray an.

Nick fasste nach unten, um die Verbände an Alfreds rechtem Arm und an seiner Schulter zu überprüfen. Granatsplitter waren in seinen Rücken eingeschlagen. Blut hatte die Verbände völlig durchtränkt.

Pete wischte sich eine Rastalocke aus dem Gesicht, um besser zu sehen. Schließlich seufzte er geknickt. »Er wird’s nicht schaffen.«

Plötzlich öffneten sich flatternd Alfreds Lider.

»Und ob ich’s schaffe«, brummte er. »Lasst mich bloß nicht zurück.«

Nick bückte sich und hakte einen Arm unter Alfred. Er half ihm aufzustehen, aber Alfred zuckte vor Schmerzen zusammen. Er war ein großer, massiger Kerl. Nick würde ihn unmöglich bis zum Treffpunkt tragen können.

Langsam brachen sie mit den anderen Soldaten und den Gefangenen auf.

Die nächsten paar Häuserblocks der Stadt waren schwer von Bomben getroffen worden. Von etlichen ausgelöschten Häusern und Geschäften gab es nur noch die Grundmauern. Vergessene Fahrzeuge übersäten verbogen und verkohlt den Asphalt.

Die Straße daneben bildete einen Friedhof verrenkter Leichen. Krallenartige Hände streckten sich dem Himmel entgegen und bestätigten, dass es sich um ein Rudel höriger Abartiger handelte, die in das Inferno geraten waren. Der Anblick der verstümmelten Kadaver erfüllte Nick mit fast ebenso viel Wut wie der Anblick seiner toten Gesinnungsgenossen.

Diese Geschöpfe sollten ihnen helfen, ihr Land von den Verrätern zurückzuerobern, und jeden Tag kamen mehr davon durch die Regierung um, die sie erschaffen hatte.

»Da lebt noch einer«, sagte Ray. Er zeigte mit der Machete auf einen Jung-Abartigen.

Der gepanzerte Körper war verkohlt, die Augäpfel waren zu breiigen Gewebeklumpen geschmolzen. Die Kreatur knurrte und stöhnte, während sie sich unter Höllenqualen krümmte.

»Erlös ihn von seinem Elend«, befahl Pete.

Ray holte mit der Machete aus. Er ließ sie auf den Schädel niedersausen und beendete das Leiden. Die unmenschliche Stimme verstummte und wurde von einem mechanischen Geräusch abgelöst.

Es handelte sich um das Wummern von Helikopterrotoren.

»Kontakt!«, rief Pete. »Alle runter von der Straße!«

Die sieben Soldaten zogen die Gruppe der Zivilisten in einen Graben hinter den Trümmern eines eingestürzten Gebäudes. Sekunden nachdem sie in Deckung gegangen waren, tauchten zwei Black Hawks durch den Rauchschleier herab. Sie flogen auf die Stadt zu. Türkanoniere eröffneten das Feuer auf Ziele, die Nick nicht sehen konnte.

Er setzte dazu an, das Gewehr in Anschlag zu bringen, aber Pete hob den Arm und hielt ihn davon ab.

»Sofern du keinen Raketenwerfer hast, von dem ich nichts weiß, reicht unsere Feuerkraft nicht aus, um die Vögel vom Himmel zu holen«, sagte er.

»Aber wir können die Türkanoniere ausschalten …«

»Nicht ohne sie direkt zu uns zu locken«, gab Pete zu bedenken. »Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um etwas zu unternehmen. Also halt dich verdammt noch mal zurück.«

Alfred stöhnte vor Schmerzen. Nick kauerte sich neben ihn, um nach ihm zu sehen. Pete bahnte sich mit zwei anderen Männern den Weg um die Seite des Gebäudes, um mehr sehen zu können.

Einige der Gefangenen murmelten miteinander. Drei andere schluchzten.

Ray hob die bluttriefende Machete an. »Still, ihr verdammten Hunde. Noch ein Wort, und es ist euer letztes.«

Eine Frau schluchzte, aber Ray ließ sie zufrieden.

Die Hubschrauber kreisten noch fünf Minuten über dem Universitätsgelände, bevor sie in den Rauchsäulen verschwanden. Weitere zehn Minuten lang erfüllten das Gebrüll von Maschinengewehren und das Geheul sterbender Monster den frühen Morgen.

Schließlich verstummten die Kreaturen ebenso wie die Schüsse. Nur das Wummern der Hubschrauber verblieb. Und auch dieses Geräusch endete, als sich die Maschinen vom Campus entfernten.

Eine kühle Brise brachte das Laub am Boden zum Rascheln.

Pete kam zurück und bedeutete der Gruppe, den Weg fortzusetzen. Nick half Alfred auf die Beine, aber der Mann verlor zusehends sowohl Blut als auch Energie. Er stützte sich schwerer als zuvor auf Nick.

»Halt durch«, sagte Nick. »Wir sind fast bei den Wagen.«

»Ich …« Mit einem Stöhnen erschlaffte Alfred und zog Nick mit sich zu Boden. Sie landeten als Gewirr von Gliedmaßen im Dreck.

Pete packte Nick und zog ihn mit einem Ruck hoch. Alfred blieb mit geschlossenen Augen auf der Seite liegen.

Eine Berührung seiner Halsschlagader bestätigte einen so schwachen Puls, dass Nick daran ablesen konnte, wie die Lebenszeit seines Freundes ablief. Wenn er nicht bald medizinisch versorgt werden konnte, würde er sterben.

»Lass ihn zurück«, sagte Pete. »Er schafft es nicht.«

Nick starrte Pete an. »Ich trage ihn.«

»Du würdest bloß eine Leiche tragen. Und er würde uns aufhalten.«

»Er lebt noch, Mann«, konterte Nick und bemühte sich, nicht laut zu werden.

Pete warf einen mitleidigen Blick auf Alfred. »Seine Zeit im Dienst der neuen Götter ist abgelaufen.«

»Weiter jetzt«, drängte Ray. »Die Hubschrauber könnten jeden Moment zurückkommen.«

Nick betrachtete den verrauchten Himmel. Die anderen hatten recht, trotzdem fühlte es sich falsch an, Alfred zurückzulassen. Der Mann war seit Jahren bei ihnen und hatte ihrem Unterfangen loyal gedient.

»Tut mir leid, Bruder«, sagte Nick schließlich. Er klopfte Alfred auf den Rücken, dann richtete er sich auf. Als er loslief, schaute er über die Schulter zurück und beobachtete, wie sich Alfreds Brust langsam hob und senkte.

»Weiter«, sagte Pete.

Er führte die Gruppe der Gefangenen und Soldaten durch die verbrannten Straßen.

Ihre Fahrzeuge würden hoffentlich am Treffpunkt etwa drei Kilometer entfernt warten. Die nächsten 20 Minuten rannten sie, so schnell es ging, und hielten nur einmal an, um einer Gefangenen zu helfen, die gestürzt war.

Ray holte mit der Machete aus, um die Frau zu töten, aber Pete hielt ihn davon ab.

»Wir sind fast da«, sagte er. »Vorerst töten wir niemanden mehr.«

Nick verspürte Erleichterung. In dieser Nacht war nicht nur mehr als genug von ihrem eigenen Blut vergossen worden, sie hatten auch zu viele mögliche Bekehrte verloren.

Ein Stück die Straße hinunter nahm er Bewegung wahr. Ein Abartiger kletterte die Seite einer aus Stein gebauten Kirche hoch. Die Kreatur erklomm den halb eingestürzten Turm und kauerte sich wie ein Wasserspeier auf die Spitze.

Das Monster legte den kahlen Schädel in den Nacken und stieß einen unnatürlichen Schrei aus. Dutzende andere reagierten auf den Ruf. Es schien sich um die Botschaft zu handeln, dass der Außenposten Portland nun ihnen gehörte.

»Die neuen Götter werden zufrieden mit der heutigen Nacht sein«, prophezeite Pete. »Sehr zufrieden.«

Beckham lag auf dem knarrenden Bett im Quartier, das man ihnen auf Long Island zugeteilt hatte. Durch den Spalt unten an der geschlossenen Tür schien Licht herein. Trotz der Erschöpfung seines Körpers konnte er nicht mehr schlafen. Bis vier Uhr morgens hatten ihn immer wieder Albträume wach gerüttelt.

Um fünf gab er den Versuch auf, die Augen zu schließen.

Kate rollte sich auf den Rücken und starrte an die rissige Decke. Auch sie fand keinen Schlaf. Nur Javier auf der Pritsche gegenüber gelang es, selig zu dösen.

Beckham schmiegte sich an seine Frau.

»Es wird alles wieder gut«, flüsterte er.

Sie drehte sich ihm zu. »Glaubst du das wirklich?«

»Ja.«

Eine Weile starrte sie ihn schweigend an, bevor sie den Blick wieder an die Decke richtete.

Er war sich nicht sicher, ob sie ihm glaubte. Verdammt, er war selbst nicht überzeugt von seinen Worten. Aber er durfte die Hoffnung nicht verlieren. Zuversicht und Optimismus ebneten einem Soldaten den Weg zum Sieg. Und sosehr er versucht hatte, sich an den Ruhestand zu gewöhnen, er war und blieb ein Krieger.

Eine Stunde später standen sie schließlich auf, weckten Javier und teilten ihm mit, dass sie wieder losgeschickt wurden.

Mit zerzaustem Haar setzte er sich im Bett auf und rieb sich die Augen.

»Komme ich mit?«

»Ich fürchte, nein«, antwortete Kate.

»Ihr lasst mich wieder allein?«, murmelte er.

»Wir sind nicht lange weg«, versprach Beckham. »Du bleibst bei Tasha, Jenny, Big Horn und den Hunden. Das wird lustig.«

»Lustig?« Javier sah seine Mutter an. Jetzt wirkte er hellwach. »Kannst du Dad bitte erklären, was lustig heißt?«

Kate rang sich ein Lächeln ab.

»Es wird auf jeden Fall lustiger als dort, wo wir hingehen«, erwiderte sie.

»Ich will mitkommen«, erklärte Javier. »Ich kann euch helfen. Ich kann kämpfen.«

»Schatz, das wird zu gefährlich«, entgegnete Kate.

»Du kannst die anderen hier beschützen«, warf Beckham ein. »Ginger und Spark brauchen dich auch. Du kannst doch auf sie aufpassen, oder?«

Javier zuckte mit den Schultern und Kate bückte sich, um ihn zu umarmen.

»Wohin geht ihr?«, wollte er wissen.

»Nach New York City«, antwortete Kate.

Eine Stunde später saßen Beckham und Kate in einem Black Hawk und flogen mit S. M. Fischer, seinen Bodyguards und vier Soldaten in Richtung der Stadt. Beckham graute davor, an den Ort zurückzukehren, an dem er vor acht Jahren bei Operation Liberty so viele seiner Kameraden verloren hatte.

Die apokalyptische Umgebung war schlimmer, als er sie in Erinnerung hatte.

Ganze Häuserblocks der Stadt waren zu aschebedeckten Trümmerhaufen und den bröckligen Überresten hoher Wolkenkratzer verbrannt. Von einigen der auffallendsten Wahrzeichen der Stadt verblieben nur Berge von Geröll. Brücken gab es kaum noch. Sie hatte man schon vor Operation Liberty gesprengt, um die Ausbreitung der Infektion zu verhindern. Allerdings hatte man dadurch zugleich die noch Lebenden in der Stadt eingesperrt.

Beckham erinnerte sich an Geschichten über Menschen, die beim Versuch, durch den Fluss zu schwimmen, ertrunken waren. Andere waren von Dächern gesprungen, um nicht von den Krallen der Bestien zerfetzt zu werden.

Aus Lower Manhattan stiegen Rauchsäulen auf, Überreste der Schlacht, die in der vergangenen Nacht getobt hatte. Die Maschine stieg höher. Beckham erhaschte einen flüchtigen Blick darauf, was von der New Yorker Stadtbibliothek übrig geblieben war. Die Treppe und die Säulen am Eingang gab es noch, die meisten Wände und das Dach jedoch waren eingestürzt.

Aus seinem Gedächtnis tauchte eine Erinnerung an die Horden von Abartigen auf, die das Gebäude in ein Hotel für einen Daueraufenthalt verwandelt hatten. Aber nicht der Kampf, der dort stattgefunden hatte, erfüllte ihn mit Verzweiflung – sondern der Gedanke an den Polizisten und den Jungen, die Beckham und Horn während Operation Liberty im Turm der Bank of America gefunden hatten.

Von dort hatten sie Jake Temper und seinen Sohn Timothy gerettet.

Nun waren beide tot.

Beckham ließ den Kopf hängen.

»Reed«, sagte Kate. Sie drückte seine Hand. Ihre Stärke half ihm, den Mut zu finden, sich der Zukunft zu stellen.

Plötzlich tauchten zu beiden Seiten des Black Hawk zwei Apache-Hubschrauber auf. Die Maschinen rasten voraus. Die Piloten des Black Hawk drehten bei, um ihnen zu folgen.

»Nette Eskorte«, meinte Fischer.

»Solche Maschinen hab ich schon länger nicht mehr gesehen«, merkte Chase an.

»Treibstoffverschwendung, finde ich«, fügte Tran hinzu. »Es sei denn, die Abartigen bei uns können fliegen wie diese Freaks in Europa.«

»Es könnte hier draußen Fledermäuse geben«, erinnerte Kate ihn.

»Na, sieh mal einer an«, kam von einem der Piloten. »Die Brooklyn Bridge ist noch einigermaßen intakt.«

Sie flogen darüber hinweg. Die Brücke hatte das letzte Jahrzehnt zwar überstanden, allerdings nicht unversehrt. Einige der vertikalen Kabel waren gerissen, Teile der Straße waren abgebrochen und ins Wasser gestürzt.

Entlang der Piers südlich der Brücke lagen mehrere Schiffe im Wasser. Bei einem handelte es sich um einen alten Zerstörer, den man in ein Museum umgewandelt hatte. Auch ein an Land geschleudertes Kreuzfahrtschiff mit zertrümmertem Bug sichtete Beckham. Über das Deck verteilt lagen haufenweise Leichen.

Aber unten befanden sich nicht nur Tod und Zerstörung.

Erste Anzeichen von Leben gerieten in Sicht. Vier Humvees eskortierten einen alten UPS-Lieferwagen über eine von kaputten Fahrzeugen und Trümmern übersäte Straße. Soldaten in Geschütztürmen schwenkten ihre Waffen hin und her. Ein Mann hob grüßend die Hand in Richtung des Helikopters, bevor Beckham ihn aus den Augen verlor.

Die Apaches drehten in Richtung der Innenstadt und überflogen die Wall Street und die New Yorker Börse. Die meisten der hohen Türme in dem Gebiet hatten Schäden durch Raketen erlitten, die etliche der oberen Etagen gesprengt hatten. Die Wände der unteren Stockwerke hatten jene Brandbomben geschwärzt, die Beckham bei Operation Liberty beinahe das Leben gekostet hätten.

»Da ist es«, sagte einer der Piloten über das Headset. »Das 9/11-Denkmal ist unsere Landezone.«

Trümmer der zerstörten umliegenden Gebäude ummauerten die Gedenkstätte entlang der Straßen.

Bei einem schnellen Überflug des Hubschraubers wurde augenscheinlich, dass sich die Überlebenden des Außenpostens in einen kleineren, besser zu verteidigenden Bereich zurückgezogen hatten. Aus dem Osten wehte Rauch herbei, der aus Löchern im Boden aufstieg.

Im Außenposten mussten Bomben in den Abwasserkanälen und U-Bahn-Schächten detoniert sein.

Der Black Hawk sank auf die Gedenkstätte zu. Zwei Panzer des Typs M1 Abrams und Bradley-Kampffahrzeuge, beides seltene Anblicke, parkten an Toren in den Mauern, die das Areal umgaben.

Soldaten patrouillierten auf hinter dem Stacheldraht errichteten Plattformen.

Als der Black Hawk landete, öffnete ein Besatzungsmitglied die Tür. Beckham half Kate beim Aussteigen und weg von der Maschine. Fischer hätte beinahe seinen Cowboyhut verloren, aber Tran schnappte ihn sich und gab ihn seinem Boss zurück.

Drei Soldaten flankierten eine Frau mittleren Alters mit grauen Strähnen im roten Haar, die auf der anderen Seite des Rasens wartete. Ihre Kleidung flatterte im Abwind der Rotorblätter.

Die Apaches setzten auf Dächern in der Nähe auf. Die Piloten stiegen aus und verschwanden außer Sicht, während Soldaten die kostbaren Hubschrauber bewachten.

»Hier lang!«, rief die Frau vor Beckham und seiner Truppe. Sie führte sie durch ein Gewirr von Bäumen und vorbei an den ausgetrockneten Becken der Gedenkstätte. Schließlich blieben sie stehen.

Die Frau streckte lächelnd eine Hand aus. Um ihre Mundwinkel bildeten sich Fältchen, die von lebenslangem Rauchen zeugten. »Willkommen im Außenposten Lower Manhattan. Ich bin Commander Amber Massey.«

»Captain Reed Beckham.«

Er schüttelte ihr die Hand. Ihr fester Griff überraschte ihn nicht. Wer einen solchen Ort in einer Stadt hielt, die nie von den Monstern befreit worden war, musste zwangsläufig stark sein.

»Ich bin Kate Lovato«, stellte sich Kate als Nächste vor. »Mein Team ist noch an einem geheimen Ort, aber wir sind für eine Vorabinspektion hier. Wir brauchen Zugang zum nächstgelegenen Tunnel mit dem Gespinst der Abartigen.«

Massey setzte ein schiefes Grinsen auf. »Das ist jetzt ein Scherz, oder?«

»Nein, Commander«, entgegnete Kate. »Mein Team arbeitet an …«

Masseys Grinsen wurde von einer verkniffenen Miene abgelöst. »Als man mir gesagt hat, dass wir neue Leute bekommen, dachte ich an Spezialisten für Sondereinsätze und Verstärkung. Nicht an ein Team von Wissenschaftlern und …« Massey betrachtete Beckham und seine Bein- und Armprothesen.

»Captain Reed Beckham ist Sondereinsatzspezialist«, stellte Kate klar.

»Ich wollte niemanden beleidigen, aber wir wurden gestern Nacht schwer getroffen. Beim Verteidigen der Mauern haben wir viele gute Leute verloren.«

»Deshalb bin ich hier«, ergriff Fischer das Wort und zog den Hut.

»Äh … Und wer sind Sie?«, fragte Massey.

»S. M. Fischer von Fischer Fields«, antwortete er. »Bei allem Respekt, wir sind auf Befehl der Präsidentin hier, und wir sind so ziemlich das Beste, das diesem Außenposten passieren kann.«

Bevor Massey etwas erwidern konnte, ertönten Stimmen.

»Tor öffnen!«, rief einer der Wachmänner von den Mauern.

Ein Gittertor hob sich. Die zwei Humvees und der UPS-Lieferwagen, die Beckham vom Himmel aus gesehen hatte, rollten von der Greenwich Street herein. Die Fahrzeuge hielten auf einem Parkplatz in der Nähe an. Soldaten sprangen heraus, gingen zum Heck des UPS-Wagens und öffneten die Tür. Sie halfen Zivilisten heraus, die einer nach dem anderen ausstiegen.

Kinder, Frauen und ein paar Männer. Alle hatten denselben Ausdruck blanken Entsetzens im Gesicht. An den Armen und Beinen eines Mannes konnte man Rückstände von rotem Gespinst erkennen.

»Mein Gott«, stieß Kate hervor. »Die muss man aus den Tunneln geborgen haben.«

»Das sind die letzten Überlebenden aus einem Gebiet außerhalb des Außenpostens«, erklärte Massey. »Ich hatte gehofft, es würden mehr sein …«

»Das wird nicht noch mal vorkommen, Ma’am«, meldete sich Fischer zu Wort. »Wir sind jetzt hier, um Sie vor solchen Überraschungen zu schützen. Meine Ingenieure sind mit Geräten unterwegs, die Tunnel der Abartigen aufspüren, bevor sie angreifen können.«

»Tja, das ist eine gute Neuigkeit«, meinte Massey. »Tut mir leid, wenn ich vorhin ein bisschen schroff rübergekommen bin. Meine Leute leiden hier und sterben.«

»Wie viele Menschen haben Sie hier?«, wollte Beckham wissen.

Massey schaute über die Schulter zu einigen Gebäuden. »5000. Vielleicht. Wir haben gestern Nacht ein ganzes Gebäude mit 500 Menschen verloren.«

»Waren hier nicht ursprünglich 20.000 Menschen?«, fragte Kate.

»Ja«, bestätigte Massey nüchtern. »Wie gesagt, wir wurden schwer getroffen. Wir mussten fast alle hinter diese Mauern zurückziehen.«

»Tut mir leid, von Ihren Verlusten zu hören«, sagte Beckham. »Es sind für uns alle harte Zeiten.«

»Das ist noch harmlos ausgedrückt.«

»Können Sie mir sagen, woher der ganze Rauch kommt, den wir auf dem Weg hierher gesehen haben?«

»Meine Sprengkommandos haben gestern Nacht ein paar Tunnel und eine U-Bahn-Station in die Luft gejagt. Andere Bereiche, durch die sich die Abartigen nähern könnten, haben wir vermint.«