The Extinction Cycle - Buch 7: Am Ende bleibt nur Finsternis - Nicholas Sansbury Smith - E-Book

The Extinction Cycle - Buch 7: Am Ende bleibt nur Finsternis E-Book

Nicholas Sansbury Smith

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Beschreibung

Unheimlich und unglaublich fesselnd. Action, Action und noch MEHR ACTION! In den Geheimlabors des amerikanischen Militärs gerät eine Biowaffe außer Kontrolle. Innerhalb von Tagen rast die Pest um den Globus und rottet den größten Teil der Menschheit aus. Buch 1: Verpestet Buch 2: Krieg gegen Monster Buch 3: Mutierte Bestien Buch 4: Entartung Buch 5: Von der Erde getilgt Buch 6: Metamorphose Buch 7: Am Ende bleibt nur Finsternis

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Seitenzahl: 628

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Aus dem Amerikanischen von Michael Krug

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe Extinction War (The Extinction Cycle, #7)

erschien 2017 im Verlag Orbit.

Copyright © 2017 by Nicholas Sansbury Smith

Copyright © dieser Ausgabe 2018 by Festa Verlag, Leipzig

Titelbild: Arndt Drechsler

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-634-2

www.Festa-Verlag.de

Dieses Buch widme ich allen Lesern vonThe Extinction Cycle. Danke für eure Unterstützung über die Jahre und dafür, dass ihr Team Ghost und mich auf der Reise begleitet habt. Ich hoffe, dieses Buch gefällt euch!

Der Soldat betet mehr als jeder andere für Frieden, doch es ist der Soldat, der die tiefsten Wunden und Narben des Krieges erleiden und ertragen muss.

– Douglas MacArthur

Prolog

Sie waren im Arsch.

Die Frage lautete nicht, ob die Monster Captain Reed Beckham und Lieutenant Jim »Der-mit-den-zehn-Leben« Flathman finden würden. Die Frage lautete nur, wie lange es dauern würde. Nachdem Beckham aus einem Blackhawk in eine von Ungeheuern überrannte Stadt geworfen worden war, befand er sich wieder in Aktion und auf einem Spießrutenlauf geradewegs durch die Hölle.

Er robbte über das Dach auf Flathman zu. Der Schein des Halbmonds erhellte Beckhams ramponierten Körper und das verbogene Metall seiner Beinprothese. Die Handprothese hatte er verloren, deshalb prangte an der Stelle nur ein Stumpf. Die Hand selbst hatte Big Horn mit Megs Beil abgehackt, um Beckham das Leben zu retten. Dutzende Schnitte und Narben überzogen seine freiliegende Haut wie Tätowierungen.

Am Rand des Daches stemmte sich Beckham hoch, um über die Seite zu spähen. Obwohl seine Augen halb zugeschwollen waren, konnte er im Mondlicht die zerstörte Großstadt sehen.

Menschenleere, im Zuge von Operation Liberty in Stücke gesprengte Wolkenkratzer beherrschten die Skyline. Durch die Brandbomben hatten zahlreiche Infernos ganze Häuserblocks verschlungen und eine geschwärzte Stadtlandschaft zurückgelassen. Geröllhaufen säumten Geschäfte und Läden wie Schutthalden den Fuß eines Bergs.

Jede Straße aus dem Ödland der Zerstörung führte durch Abartigen-Gebiet. Trotz mehrerer Versuche, die Metropole zurückzuerobern, gehörte Chicago immer noch den Monstern. Eine geringe Anzahl von Alphas und Abartigen hatte sich in den Untergrund zurückgezogen, als VX9H9 eingesetzt worden war. Beckham hatte bisher nur wenige von ihnen gesehen und war nicht sicher, wie viele es in der Nähe gab, aber Flathman hatte ihn gewarnt, dass sich die Bestien genauso in den Schatten herumdrückten wie sie beide. Auch ein geringer Prozentsatz der mächtigen Jung-Abartigen hatte den Einsatz von Kryptonit überlebt.

Doch die alten Monster stellten nicht die einzige Bedrohung dar. Auf den Straßen unten wimmelte es von Neuinfizierten aus Sicherheitszone 15 – von Menschen wie Emilia, der Cousine von Präsidentin Jan Ringgold.

Beckham konnte ihre bleiche Haut sehen, als sie auf der Suche nach Beute umherzogen. Die Blicke ihrer gelben Augen schnellten dabei hin und her, während ihnen Blut aus verschiedenen Körperöffnungen sickerte. Es mutete wieder wie in den ersten Tagen des Ausbruchs des Virus an.

Lieutenant Andrew Wood und seine Armee, die Soldaten des Widerstands gegen Tyrannei, hatten die Epidemie erneut ausgelöst, indem sie die Seuche in mehreren Sicherheitszonen wie dieser freigesetzt hatten. Die WGT-Leute, deren erklärtes Ziel darin bestand, Macht unter ihrem Banner zu versammeln, benutzten Terror als Hauptwaffe und das Blutervirus als Katalysator für diese Waffe. Wood drohte alles zu ruinieren, wofür Beckham und das Militär seit dem Eindringen in Gebäude 8 auf San Nicolas vor sieben Monaten gekämpft hatten.

Die Neuinfizierten rückten näher – genau wie die Geister der Männer und Frauen, die gestorben waren, um das Ende der Welt zu verhindern. Beckham konnte sich vorstellen, wie seine Freunde auf dem Dach standen. Meg Pratt, Sheila Horn, Staff Sergeant Alex »Kid« Riley, Lieutenant Colonel Ray Jensen und eine Handvoll anderer, die finster auf ihn herabstarrten, während er sich vor den Bestien versteckte.

Im Schutz der Dunkelheit hob er sich die moderne Optik des Zielfernrohrs seines M4-Karabiners ans geschwollene Auge und vergrößerte die Ansicht, hielt Ausschau nach einem Fahrzeug, das ihnen bei der Flucht helfen könnte. Im Geäst einer uralten Eiche neben dem Gebäude nahm er Bewegung wahr. Hunderte schwarze Vögel hockten auf den dürren Ästen. Ihr Gewicht brachte das Holz zum Knacken, ein Geräusch, das Beckham an die Gelenke Abartiger erinnerte.

Aus diesem Grund hatten sie das Dach ausgewählt: Sollte ein Infizierter zu nahe kommen, würden sich die Vögel in die Lüfte erheben. Zumeist hielten sich die Abartigen an größere Beute, was den Mangel an Tieren und Menschen in Chicago erklärte, aber wenn die hirnlosen Kreaturen hungrig genug wurden, wandten sie sich auch Vögeln, Ratten und vermutlich sogar Insekten zu.

Beckham schwenkte das ACOG-Visier auf die Straße, wo die verseuchten Bestien jagten. Eine der Kreaturen, eine sehnige Frau, die noch blaue Jeans und ein zerfetztes Sweatshirt mit dem Logo der Chicago Bears trug, bahnte sich den Weg zum Stamm des Baums. Beckham wich vom Rand des Daches in die Schatten und außer Sicht zurück.

Das Monster schaute mit gelben Augen zu den Vögeln hoch. Blut tropfte von seiner spitzen Nase, als es die frostige Luft schnupperte. Beckhams Muskeln erstarrten. Er wagte nicht, sich auch nur einen Zentimeter zu rühren. Die Bestie konnte ihn zwar nicht sehen, was jedoch keineswegs bedeutete, dass sie seine Körperausdünstungen oder den aus seinen Wunden sickernden Eiter nicht riechen konnte.

Das Geräusch knackender Gelenke hallte durch die Stadt, als die Ausgeburt der Hölle auf allen vieren zurück auf die Straße preschte, ohne sich weiter für die Vögel zu interessieren oder Beckham zu bemerken.

Langsam setzte sich Beckham in Bewegung, um einen Blick auf die Gebäude weiter unten im Häuserblock zu werfen. Am Randstein einer Kreuzung stand ein gepanzerter Wagen einer Bank. Beckham benutzte das ACOG-Visier, um die Ansicht auf das Fahrzeug zu vergrößern, dann jedoch schwenkte er das Zielfernrohr weg, als er ein Rudel Infizierter erblickte, die hinter dem Wagen über die Außenmauer eines alten Lagerhauses kletterten. Von der Höhe des Daches aus wirkten die Kreaturen wie eine Armee von Albino-Ameisen.

Es ließ sich unmöglich abschätzen, wie viele Monster in dieser Nacht unterwegs sein mochten.

Beckham gab ein kurzes Handzeichen an Flathman, der über den Rand spähte und der Richtung von Beckhams Finger zu dem gepanzerten Laster folgte. Er nickte und antwortete mit einem eigenen Zeichen.

Die beiden Soldaten zogen sich vom gemauerten Sims des Daches zurück und suchten Zuflucht im Schatten der Mauer. Tief geduckt folgte Beckham dem Lieutenant zu einer Reihe von Klimatisierungsgeräten.

Beckham bemühte sich, die Geräusche zu minimieren, die seine Prothesenklinge beim Kriechen übers Dach verursachte. Als er die Geräte erreichte, lehnte er den schmerzenden Rücken gegen eines davon und ließ den Blick auf die Süd- und Westseite des Daches gerichtet, während Flathman den Norden und Osten beobachtete.

Nach einigen Augenblicken der Stille holte Flathman einen Flachmann mit Whiskey hervor, trank einen Schluck und bot ihn dann Beckham an. Flathman griff zum bereits zehnten Mal an diesem Abend nach dem Flachmann, und Beckham entschied letztlich, seine Anspannung selbst mit einem Schluck zu lindern. Der samtige Alkohol rann seine Kehle hinab und brannte in seinem leeren Magen. Er begrüßte das Brennen, genoss es einen flüchtigen Moment lang mit geschlossenen Augen. Dann legte es sich, und Beckham wischte sich den Mund mit dem zerfetzten Ärmel ab, der seinen Stumpf bedeckte. Er griff in die Westentasche, in der er früher immer ein Foto seiner Mutter aufbewahrt hatte.

Das Bild hatte zwar nicht überlebt, doch es hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt, so unvergänglich wie die Narben an seinem Körper. Statt des Fotos holte er ein Taschentuch hervor, das er in Antibiotika getränkt hatte. Er tupfte sich damit die Stirn ab. Die Flüssigkeit brannte auf dem Geflecht von Kratzern, Schnitten und blauen Flecken.

Schmerzen rasten die Reste seines rechten Arms hinab und kribbelten dort, wo sich seine Hand befinden sollte. Er biss die Zähne zusammen, zwang sich jedoch damit aufzuhören, als ihm bewusst wurde, wie laut sie knirschten. Wenn er das Geräusch hören konnte, dann konnten es die Monster auch.

Die Schmerzen in seinem fehlenden Arm wurden schlimmer, wovor ihn Master Sergeant Joe Fitzpatrick gewarnt hatte. Das Phantomgliedmaßen-Syndrom: ein Zustand, mit dem viele Soldaten nach dem Verlust eines Arms oder Beins zu kämpfen hatten.

Beckham verlangte mit einer Geste erneut nach dem Flachmann.

»Sachte, Captain«, mahnte Flathman flüsternd mit einem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht. Er reichte Beckham den Flachmann. Beckham trank einen weiteren Schluck und hoffte, der Alkohol würde ihm etwas Erleichterung verschaffen – nicht nur von den körperlichen Schmerzen, sondern auch von den mentalen Qualen.

Er hatte hilflos mit ansehen müssen, wie Doktor Pat Ellis auf Plum Island hingerichtet worden war. Die Erinnerung blitzte in seinem Geist auf, und seine erschöpften Muskeln spannten sich an, als der Schuss in seinem Gedächtnis knallte.

Beckham wusste immer noch nichts über das Schicksal der restlichen Bewohner von Plum Island, und selbst wenn, er wäre außerstande gewesen, ihnen in irgendeiner Weise zu helfen. Kate konnte ohne Weiteres bereits tot sein, und er würde nie die Gelegenheit erhalten, ihren gemeinsamen Sohn kennenzulernen. Bilder von seinem besten Freund Big Horn, in Stücke gerissen, und von Präsidentin Ringgold, die tot in einer Lache ihres eigenen Blutes lag, bestürmten seinen Verstand. Er konnte es nicht ertragen, auf diese Weise an Kate zu denken …

Der Kummer und die Ungewissheit zerrissen ihn innerlich. Und er saß in dem Wildreservat gefangen, in das sich Chicago verwandelt hatte, umgeben von infizierten Monstern. Mittlerweile konnte er nachvollziehen, wieso sich Flathman dem Trinken zugewandt hatte.

Die Welt war ein finsterer, ein grauenhafter Ort.

Er veränderte die Haltung, um vom Dach besser nach Süden sehen zu können. Die skelettartigen Äste der Bäume schabten unten an der Fassade des Gebäudes und ächzten und knarzten im Wind. Das Krächzen einer Krähe hallte durch die Nacht.

Eine Welle vom Alkohol ausgelöster Ruhe hatte gerade begonnen, sich in Beckham auszubreiten, als das Geräusch klickender Gelenke sein Herz heftig gegen die Rippen hämmern ließ.

Flathman schob den Schirm seiner Mütze mit dem Logo der Chicago Cubs höher, um besser über das Dach spähen zu können. Er erhob sich in die Hocke, richtete die Mündung seines Gewehrs nach Norden und benutzte die andere Hand, um Beckham Zeichen zu geben.

Ein Finger.

Zwei Finger.

Drei Finger, mit denen er die Anzahl der Abartigen anzeigte, die über die graue Mauer des Gebäudes neben dem ihren kletterten. Beckham konnte die Bestien von seiner Position aus nicht sehen, aber er vertraute Flathmans Meldung. Sogar leicht beschwipst wirkte der Mann ausgesprochen scharfsinnig.

Langsam hob Beckham den M4-Karabiner an, in dessen Lager sich bereits eine Patrone befand. Er stellte den Wahlschalter auf Automatik, um Dreiersalven abfeuern zu können, und zuckte bei dem Klicken zusammen. Das leise Rascheln in der Eiche war verstummt. Wenn die Monster Flathman und Beckham hier oben auf dem Dach entdeckten, würden die Kreaturen Verstärkung rufen und sie überwältigen. Die beiden Soldaten hatten sich den Ort ausgesucht, um Zuflucht zu finden, hatten dadurch aber vielleicht unabsichtlich ihr Schicksal besiegelt. Diesmal würde sich kein Blackhawk wie ein gepanzerter Engel herabsenken, um Team Ghost vom Dach zu evakuieren.

In den Vereinigten Staaten gab es nicht einmal mehr ein nennenswertes Team Ghost – nur Beckham und den schluckfreudigen Lieutenant, der überlebt hatte, indem er gerannt war wie ein Irrer.

Ich werde nicht auf irgendeinem beschissenen Dach krepieren. Ich werde zu meiner Familie zurückkehren.

Beckham wiederholte die Worte in Gedanken, bis daraus ein Mantra wurde. Er deutete mit dem Stumpf seiner Hand auf die Stahltür, die zurück ins Gebäude führte. Flathman schüttelte den Kopf und hob einen Finger an die Lippen. Nicht zum ersten Mal im Verlauf der vergangenen Stunden herrschte zwischen ihnen Uneinigkeit über die Strategie. Es war Flathmans Idee gewesen, überhaupt erst auf das Dach zu gehen. Der Mann mochte zwar lange Zeit allein überlebt haben, dennoch bedeutete das nicht, dass er immer recht hatte.

Beckham rappelte sich auf und bewegte sich geduckt um die Klimatisierungsgeräte herum. Sie mussten los, und zwar sofort.

Flathman blieb auf einem Knie. Trotzig schüttelte er den Kopf. Nein, bildete er mit den Lippen, dann deutete er mit einer entschiedenen Geste auf den Boden.

Beckham zeigte mit dem Kinn in Richtung der Tür.

Eine gespenstische Stille senkte sich über sie. Sogar der Wind war abgeflaut. Beckham verharrte auf seiner Position, erstarrt wie eine Statue. In den Strahlen des Mondlichts fühlte er sich splitternackt.

Das Flattern von Schwingen versetzte ihn schlagartig in Alarmbereitschaft. Langsam drehte er den Körper, um den Blick suchend über die Südseite des Daches wandern zu lassen. Das Geräusch begann als leises, flirrendes Vibrieren der Luft, dann folgte das Knarren eines Asts, als sich ein einzelner schwarzer Vogel in die nächtliche Luft erhob. Gleich darauf stob plötzlich eine flimmernde Wand von Vögeln empor. Hunderte der Tiere stiegen als dichte Säulenformation zum Himmel auf und blockierten den Anblick der Sterne wie ein breiter Streifen Paketband.

Beckham schob den Stumpf unter den Lauf seines schallgedämpften M4-Karabiners, um die Waffe zu stützen, während sein Finger auf den Abzug zukroch. Schweiß lief ihm über das Gesicht, das Salz brannte in seinen Kratzern. Er schloss das verquollene linke Auge und blickte mit dem rechten durch das Zielfernrohr.

Eine nackte, fleischige Gestalt sprang über die Seite des Gebäudes nach oben und landete auf dem Dach. Das infizierte Ungetüm hatte einen zerquetschten Vogel dabei und benutzte beide Hände, um ihn in zwei Hälften zu reißen. Den Kopf und die Flügel stopfte sich die Kreatur in den Schlund, dann kaute sie mit einem geräuschvollen Knirschen.

Beckham hatte also mit seiner Vermutung zuvor richtiggelegen – die Monster fraßen tatsächlich auch Vögel.

Mit einem Schuss durch die wurmartigen Sauglippen gab er der Kreatur noch etwas, woran sie zu knabbern hatte. Zwei weitere Monster krabbelten über den Steinsims, als die erste Bestie zu Boden sackte.

Zwei schallgedämpfte Schüsse aus Flathmans Gewehr durchschlugen Muskelgewebe, Knorpel und Organe. Eine der verseuchten Kreaturen plumpste rasch zu Boden, die zweite hingegen stolperte rücklings und ruderte dabei mit knochigen Armen. Sie erreichte den Rand des Gebäudes, fiel aber nicht – noch nicht.

Beckham hielt den Atem an und stellte das Feuer ein, weil er fürchtete, ein weiterer Schuss könnte die Bestie hinunter auf die Erde stürzen lassen. Das Brechen von Knochen auf Asphalt würde weit lauter ausfallen als das schallgedämpfte Ploppen seiner Waffe, und es würde mehr Kreaturen auf ihre Gegenwart aufmerksam machen.

Anscheinend hatte Flathman nicht so weit vorausgedacht. Eine weitere Patrone aus seinem M4-Karabiner schlug mit einem lauten Knirschen mitten in die Stirn des Monsters ein. Die Wucht des Treffers schleuderte den Schädel der Kreatur nach hinten, und der gesamte Körper kippte über den Rand des Daches.

Beckham warf Flathman einen wütenden Blick zu, dann eilte er mit gezücktem Karabiner zum Steinsims. Das Bersten von Knochen krachte wie ein Schuss durch die Nacht, bevor er den Rand des Daches erreichte. Flathman schloss sich Beckham an und beobachtete entsetzt, wie jedes blutverschmierte Gesicht auf der Straße in ihre Richtung schwenkte.

Was zum Geier hast du denn gedacht, was passieren würde?, ging Beckham durch den Kopf, bevor er den Lieutenant mit einem zweiten wutentbrannten Blick bedachte.

Während die Vögel in die Dunkelheit flüchteten, rasten Beckham und Flathman über das Dach zu der Tür, auf die Beckham zuvor gezeigt hatte. Sie hatten keine andere Wahl. Ohne Helikopter zur Evakuierung würden sie sich den Weg durch ein Gebäude voller Grauen erkämpfen müssen, wenn Beckham noch Hoffnung haben wollte, diesem neuen Albtraum zu entrinnen.

Captain Rachel Davis hatte den Angriff noch so deutlich vor Augen, als würde er sich in Echtzeit abspielen. Lance Corporal Nick Black hatte das Zodiac zur USS George Washington gesteuert. Alles war vorbereitet gewesen. Sergeant Sanders, Private First Class Robbie, Lance Corporal Katherine Diaz und Davis waren während der Fahrt über die kabbeligen Wellen völlig ruhig geblieben.

Da sie WGT-Uniformen trugen und sich Diaz und Davis zur Tarnung frisch die Haare abgeschnitten hatten, dachten ihr Team und sie, alles liefe nach Plan. Sie wollten sich auf das Schiff schleichen, etwaige überlebende Mitglieder ihrer Besatzung retten und anschließend die George Washington sowie jeden WGT-Soldaten an Bord ins Nirwana bomben.

Nur noch 100 Meter hatten sie von der ersten Leiter des Flugzeugträgers getrennt, als plötzlich Schüsse in ihre Richtung abgefeuert worden waren. Davis wusste immer noch nicht, ob die Soldaten an Deck durch einen Fehler in ihrer Tarnung gewarnt worden waren oder ob sie es verabsäumt hatten, irgendein wichtiges Signal oder Zeichen zu geben.

Es spielte keine Rolle.

Sanders und Robbie waren auf der Stelle gestorben, doch Davis und Diaz konnten das Feuer erwidern. Die ersten Schüsse erledigten zwei der Männer an Deck und ließen die anderen in Deckung hechten.

Als Davis zu Black zurückschaute, umklammerte er seinen Bauch. Blut quoll unter seiner Hand hervor. Weiteres Rot strömte aus einem Loch in seiner Brust.

»Runter vom Boot«, hatte er gemurmelt. »Ich mach das schon.«

Alles, was sich danach ereignet hatte, war Davis nur verschwommen in Erinnerung geblieben. Jedenfalls waren Davis und Diaz knapp einem Bombardement entkommen, das ein riesiges Loch in die Seite des Bootes gesprengt hatte.

Sie war nicht einmal sicher, wie lange sie sich schon im Wald versteckten und auf WGT-Patrouillen warteten, die immer noch nicht aufgetaucht waren. Die gespenstische Stille jagte einen Schauder durch Davis. Seit Stunden rechnete sie mit dem Kläffen von Suchhunden oder den Strahlen von Suchscheinwerfern. Stattdessen jedoch flüsterte nur der Wind durch die Palmen, begleitet vom Summen von Insekten und vom Quaken von Fröschen.

Davis entschied, sich wieder in Bewegung zu setzen, und winkte Diaz unter eine Erhebung im Gelände entlang des Strands. Wenige Minuten später hielt sie beim Anblick von Leichen inne, die man an Holzpflöcken hinter der Brandung gekreuzigt hatte.

Marine Sergeant Corey Marks’ von Narben übersätes Gesicht ruhte immer noch an seiner Brust. Sein zerfleischter Körper hing wie eine Vogelscheuche an dem Pflock, den die WGT-Soldaten am Strand aufgestellt hatten, nachdem Marks und zwei andere Marines ihnen vor Tagen in die Hände gefallen waren.

Nun wusste Davis, woher der Verwesungsgestank kam.

Diaz bedeckte mit dem Ärmel die Nase, aber Davis stapfte weiter und atmete den Geruch des Todes als Erinnerung daran ein, dass sie aller Unwahrscheinlichkeit zum Trotz noch lebte. Sie hatten keine Zeit, die Marines zu beerdigen, wie sie es verdienten, es zählte nur die Mission.

Davis musste zurück zum Schiff, um die Aufgabe zu vollenden, für die bereits so viele Männer und Frauen ihr Leben geopfert hatten. Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie Black den Motor des Zodiacs aufheulen ließ, nachdem Davis und Diaz von Bord gegangen waren. Die WGT-Soldaten auf dem Deck der George Washington hatten Blacks Körper mit Kugeln durchsiebt, dennoch war es ihm gelungen, mit dem Boot die Seite des Schiffes zu rammen und das C4 an Bord des Zodiacs zum Detonieren zu bringen.

Davis schüttelte die Erinnerung ab und konzentrierte sich auf ihre Entschlossenheit, es zurück zum Schiff zu schaffen. Sie führte Diaz weiter durch das Gewirr der Palmen.

Schnell und sicher, Rachel. Schnell und sicher.

Das Mantra half ihr, fokussiert zu bleiben. Sie suchte die Gegend mit dem Zielfernrohr ihres Gewehrs ab, achtete auf Anzeichen von Suchscheinwerfern und lauschte gleichzeitig mit gespitzten Ohren auf das Kläffen von Hunden.

Einige Minuten später erreichten sie den Rand einer Schlucht und hielten inne, um das tiefer liegende Gelände unter ihnen zu überprüfen. Die Sekunden krochen so langsam vorüber wie der Käfer, der über Davis’ Arm krabbelte. Sie sparte sich die Mühe, ihn wegzuwischen. Ihre Haut war ohnehin bereits übersät von Schlamm, Mückenstichen und Kratzern. Wenigstens bot das Insekt eine Ablenkung von den Schmerzen ihrer richtigen Verletzungen und dem mulmigen Gefühl, das sich in ihrem Magen eingenistet hatte.

Letztlich verlor sie den Kampf gegen ihre beleidigten Eingeweide, beugte sich zur Seite und übergab sich würgend ins Gebüsch. Diaz schaute auf. Sie zitterte vor Kälte. Ihre sommersprossigen Züge wirkten in der Düsternis der Nacht gespenstisch. Seit sie aus dem Wasser gekommen waren, hatte Diaz kaum ein Wort verloren. Sie sah Davis an, suchte bei ihr nach irgendeiner Art von Trost oder Rückhalt.

Allerdings hatte Davis der Frau Lance Corporal in dieser Hinsicht nichts zu bieten.

Sie beide waren in übler Verfassung. Sie hatten nicht nur ihre Kameraden und den Großteil ihrer Waffen und Munition eingebüßt, Davis hatte zudem das Funkgerät und das Satellitentelefon verloren. Es gab keine Möglichkeit, die Zentrale zu kontaktieren, es sei denn, sie schafften es zurück auf das Schiff.

Diaz brach das Schweigen. »Ich kann nicht fassen, dass Black …« Ihre Lippen bebten, ihre braunen Augen weiteten sich. »Ich … ich kann nicht fassen, dass er sich so geopfert hat.«

»Er hat seine Pflicht erfüllt«, erwiderte Davis leise. »Ich denke, die Explosion dürfte zumindest ihre Raketenstartsysteme außer Betrieb gesetzt und ihnen die Möglichkeit genommen haben, den Hafen zu verlassen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Oberkommando anrückt und ihnen den Rest gibt, sofern man noch unterwegs ist und nach ihnen sucht.«

»Also kann Wood das Blutervirus auf keine weiteren Sicherheitszonen abfeuern?«

»Jedenfalls nicht mit der George Washington. Wenn Wood noch Raketen abfeuern könnte, hätte er es dann nicht bereits getan?«

Hilflos zuckte Diaz mit den Schultern.

»Er kommt mir nicht wie der Typ vor, der bloß blufft«, fuhr Davis fort. »Black hat den Anfang gesetzt, aber wir müssen es zu Ende bringen.«

»Was sollen wir …?«

Davis packte Diaz und zog sie zu Boden, als in der Ferne das Wummern von Helikopterrotoren ertönte.

»Still«, flüsterte Davis. Sie zückte das SCAR-L-Sturmgewehr, das sie am Strand aufgelesen hatte, und richtete die Mündung auf den Baldachin der Palmen. Die flatternden Wedel ließen zwischen sich immer wieder flüchtig den Himmel aufblitzen. Davis’ erster Instinkt bestand darin, in Deckung zu flüchten, doch sie wusste, es wäre besser, wenn sie sich nicht bewegten.

Diaz hob ihre Beretta M9 an.

Die Geräusche der Rotoren schwollen an, bis es klang, als würde sich die Maschine unmittelbar über ihnen befinden. Davis beugte sich von links nach rechts, um besser zu sehen. Schließlich erhaschte sie einen Blick auf einen Blackhawk, der über das wogende Dach der Palmwedel hinwegraste.

Allerdings befand sich der Hubschrauber nicht auf der Jagd nach ihnen. Stattdessen hielt er auf die George Washington zu.

Davis gab ein Handzeichen, winkte Diaz zurück in Richtung Fort Pickens und Hafen. Sie rückten durch die zum Stolpern geeignete Vegetation vor, bahnten sich den Weg schnell, aber vorsichtig zwischen den Palmen hindurch. Hier draußen lauerten reichlich Gefahren, unter anderem Schlangen. Eines der Reptilien wand sich über den Trampelpfad. Davis wich einem Felsbrocken aus und konzentrierte sich auf den über den nächtlichen Himmel rasenden Blackhawk. An der Flugroute bestand kein Zweifel – die Maschine hielt auf die George Washington zu. Davis sprang über abgefallene Äste hinweg und pflügte durch ein Gewirr von Ranken.

»Warten Sie«, sagte Diaz.

Davis verlangsamte die Schritte und schnaufte durch. Ihre Muskeln brannten ebenso sehr wie ihre Verletzungen. Der salzige Geruch des Meeres stieg ihr in die Nase. Gleich darauf schloss Diaz zu ihr auf, und sie kauerten sich zusammen hinter einen Baum. Beide Frauen keuchten.

»Machen Sie langsamer«, schlug Diaz vor. »Was, wenn eine Patrouille nach uns sucht?«

»Ich weiß. Tut mir leid.« Davis spähte zwischen den Palmen hindurch. Sie waren fast wieder an der Stelle, an der sie den WGT-Soldaten aufgelauert hatten.

»Okay, ich bin bereit aufzubrechen«, kündigte Diaz an.

Davis konnte beobachten, wie der Kampfgeist in die Augen der Frau Lance Corporal zurückkehrte. Diaz schien entschlossen zu sein, Black und die Besatzung der George Washington zu rächen.

»Kommen Sie«, flüsterte Davis.

Im Schein des Mondlichts schlichen sie durch das Unterholz zurück. Davis achtete bestmöglich auf jeden einzelnen Schritt. Trotz ihrer Bemühungen stolperte und fiel sie mehrmals, ergänzte ihre vorhandene Sammlung dadurch um weitere Kratzer.

Die Lichtung, die zu den verwitterten Mauern von Fort Pickens wies, lag unmittelbar vor ihnen und Davis ballte die Hand zur Faust, um Diaz anhalten zu lassen. Neben einem Baumstumpf sank sie auf ein Knie und nahm die Reihe der Palmen rings um die Festung mit dem Zielfernrohr ins Visier. Weder in dem grünen Bereich dahinter noch auf den Steinmauern selbst nahm sie Anzeichen von Bewegung wahr – keine Wachen, keine Scharfschützen, nichts.

»Alles klar«, flüsterte sie. Die Worte klangen seltsam und ihr Bauchgefühl verriet ihr, dass irgendetwas nicht stimmte. Wo zum Henker blieben die Patrouillen? Vielleicht glaubten die WGT-Soldaten, Davis und Diaz wären bei der Explosion umgekommen … allerdings wollte sie nicht ihrer beider Leben auf diese Vermutung verwetten.

Auf der anderen Seite des Forts trieb eine Rauchwand von der George Washington weg. Davis stemmte sich auf die Füße und hob das SCAR an. Sie würde die Gelegenheit nutzen, um sich zum Fort zu schleichen, von wo sie bessere Sicht auf den Flugzeugträger und den dort gelandeten Blackhawk haben würde.

»Geben Sie mir Deckung«, befahl Davis. In gebückter Haltung rannte sie als Erste los und blieb so tief wie möglich geduckt. Zwar hatte sie keinen Scharfschützen gesehen, was jedoch nicht bedeutete, dass keiner dort im Schatten lauerte.

Auf halbem Weg über das Feld hielt sie an einer Steinsäule, deren obere Hälfte abrasiert worden war. Der abgebrochene Teil lag rechts auf dem Boden. Diaz tauchte gleich darauf neben ihr auf und drückte sich mit dem Rücken gegen die Abgrenzung, während Davis auf den Boden sank und das Geröll als Deckung benutzte, um den Rest des Forts mit dem Zielfernrohr ins Visier zu nehmen.

Sie schwenkte den Lauf des SCAR über die Mauern und Stege, die das Meer überblickten. Wo sich zuvor WGT-Soldaten herumgetrieben hatten, sah sie nur verlassene Steinsimse.

Wo zum Teufel sind die alle?

Etwas Weißes blitzte auf, huschte oben über einen der Beobachtungsposten und verschwand in das Fort. Davis erstarrte und wartete darauf, dass die Erscheinung erneut im Mondlicht auftauchte.

»Haben Sie das gesehen?«, flüsterte sie.

Diaz schüttelte den Kopf.

Davis hob das Zielfernrohr wieder an und vergrößerte die Ansicht auf die Mauer. Als sie nichts sah, suchte sie stattdessen nach ihrer nächsten Position. Sie zeigte auf die ungefähr 100 Meter entfernte Mauer.

»Halten Sie mir den Rücken frei«, sagte Davis.

Diaz schaute hinüber, dann zog sie die Brauen beim Geräusch eines entfernten Schreis über geweiteten Augen hoch. Der Laut schwoll zu einem von Schmerz erfüllten Kreischen an, bevor er verhallte.

Kein Geräusch eines Monsters – der Schrei eines Menschen.

Davis übernahm die Spitze und gab das Zeichen zum Vorrücken.

Schnell und sicher, Rachel. Schnell und sicher.

Sie führte Diaz zu einer Treppe, die sie beide mit nach oben gerichteten Gewehren erklommen. Oben angekommen ging Davis in die Hocke und sicherte den Aussichtspunkt. Sie bewegte sich seitwärts zur Mauer und wartete darauf, dass sich der Schrei wiederholte.

In der Ferne kreischte eine Möwe, am Strand rauschte das Branden der Wellen, sonst jedoch hörte sie nichts.

Davis arbeitete sich zum Sims vor und spähte darüber hinweg zum Hafen. Der Knall eines Schusses ließ sie jäh den Kopf einziehen. Diaz kauerte sich neben sie. Die beiden wechselten einen Blick.

Auf weitere Schüsse und Gebrüll folgte das unverwechselbare Kreischen eines Abartigen. Das Wummern von Rotoren und ein panischer Schrei ergänzten den Lärm.

»Schaffen Sie uns zurück in die Luft!«

Davis hob das Gewehr über den Sims und richtete den Lauf auf die George Washington, ohne auf das schwarze Loch im metallenen Rumpf zu achten, das einen Blick in die Eingeweide des Flugzeugträgers bot.

An Bord des Schiffes rannten WGT-Soldaten zu dem Hubschrauber auf dem Deck. Einige feuerten über die Schultern auf Gestalten, die durch die offenen Luken herausströmten. Zuerst dachte Davis, es handle sich vielleicht um Mitglieder ihrer Besatzung, die sich die Gelegenheit zunutze machen wollten, um das Schiff zurückzuerobern, dann jedoch ließen sich die Gestalten auf alle viere fallen und hetzten hinter den flüchtenden WGT-Soldaten her.

Keine Seeleute – Monster.

Davis richtete die Waffe auf den Blackhawk, der über sie hinweggeflogen war, um ihn genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Räder hatten bereits vom Deck abgehoben. Ein Bordingenieur schnappte sich das M240 des Helikopters und richtete den Lauf auf die Bestien. Da stellte Davis fest, dass die Raketen, die das Blutervirus enthielten, über das Deck verstreut lagen.

Die C4-Explosion hatte nicht nur die Startfahrzeuge für die MGM-140-ATMS-Kurzstreckenraketen außer Gefecht gesetzt – sie hatte auch mehrere der Geschosse selbst in Stücke gesprengt, das Virus freigesetzt und die Soldaten und Matrosen an Bord infiziert. Somit wusste Davis, warum man ihnen keine Patrouillen auf den Hals gehetzt hatte: Die WGT-Soldaten waren nicht mehr menschlich.

Zum ersten Mal in sechs Monaten freute sich Davis darüber, die Kreaturen zu sehen. Die ehemaligen Soldaten fielen über die Männer her, die mit dem Blackhawk gelandet waren. Zwei schafften es in den Hubschrauber. Ein dritter Soldat sprang in die Luft und packte die Seite des Passagierraums, als sich die Maschine in die Luft erhob.

Dutzende der galoppierenden Bestien schwärmten über das Deck aus. Ein Rudel wuselte über die F-18 Super Hornets an Bord des Flugzeugträgers, ein anderes preschte zwischen den Ospreys hindurch. Davis verspürte einen Stich im Herzen, als ihr klar wurde, dass es sich bei einigen der Infizierten um ehemalige Mitglieder ihrer Besatzung handelte.

»Nein«, flüsterte sie. Tränen ließen ihre Sicht verschwimmen. Das war so viel schlimmer, als wenn sie von den WGT-Soldaten hingerichtet worden wären.

Die 7,62-Millimeter-Geschosse aus dem M240 zerfetzten ihre ehemaligen Kameraden, als der Blackhawk himmelwärts stieg. Davis spannte die Kiefermuskeln an und hob die Mündung des SCAR in Richtung des Helikopters. Der an der Seite hängende Soldat schaukelte hin und her – eine der Bestien klammerte sich an seinem Fußgelenk fest. Ein anderer Soldat im Passagierraum trat dem Mann auf die Finger, bis er zusammen mit dem Monster wieder hinunter aufs Deck fiel. Die Skrupellosigkeit der Handlung entsetzte Davis, als sich vier weitere Kreaturen auf den Gefallenen stürzten. Innerhalb von Sekunden rissen sie ihn in Stücke und warfen seine Eingeweide den anderen wie Spaghetti zu.

Kehliges Geheul übertönte das Wummern der Rotoren.

Davis musste alle Willenskraft aufbieten, um nicht zu feuern. Am liebsten hätte sie das gesamte Magazin in den Helikopter entleert, doch dadurch hätte sie ihre Position verraten. Ihre Hauptmission hatten sie erfüllt: Die Raketen waren außer Gefecht gesetzt. Die Mitglieder ihrer Besatzung mussten dafür zwar ihr Leben lassen, aber unter dem Strich waren unzählige andere Leben gerettet worden.

Nun hatte Davis eine neue Mission: sich den Weg zurück an Bord der George Washington erkämpfen und eine Möglichkeit finden, Verbindung mit dem Oberkommando und der Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika aufzunehmen.

1

Drei Tage später …

Hatteras Island bot keine der Annehmlichkeiten des Weißen Hauses, aber die Aussicht auf das Meer unter den Sternen war atemberaubend – und besser noch, hier herrschte Stille.

Präsidentin Jan Ringgold saß auf dem Stamm einer umgestürzten Palme, die nackten Füße im Sand, und lauschte den Wellen, die ans Ufer schwappten. Bereits zum zweiten Mal in ihrer noch so kurzen Amtszeit war ihr Weißes Haus umgezogen. Die letzte Kommandozentrale im Greenbrier in West Virginia gab es nicht mehr. Das Gelände dort war verseucht, ihr Personal höchstwahrscheinlich mit dem Blutervirus infiziert. Sie wusste immer noch nichts über das Schicksal von Vizepräsident George Johnson oder irgendjemandem sonst, der sich im Presidential Emergency Operations Center, kurz PEOC, aufgehalten hatte, aber jede verstreichende Stunde Funkstille teilte ihr mit mehr Gewissheit mit, dass alle tot oder infiziert waren. Ihr Gefolge – oder was davon übrig geblieben war – befand sich in dem Blackhawk mit Tarnkappentechnologie hinter ihr und durchforstete die Funkfrequenzen nach Informationen.

Ich habe Ihnen ja gesagt, dass immer Hoffnung besteht. Zusammen werden wir es überstehen. Der Krieg wird bald zu Ende sein, hatte Ringgold vor nicht allzu langer Zeit zu Doktor Kate Lovato gesagt.

Im Augenblick stand die Wissenschaftlerin knöcheltief in der Brandung, die Hand auf dem prallen Bauch, den Blick zu den Sternen erhoben. Ringgold gehörte grundsätzlich nicht zu den Menschen, die ihre Worte oft bedauerten, doch mittlerweile erschienen ihr diese Sätze hoffnungslos naiv.

Wie hätte sie ahnen können, dass ein Irrer wie Lieutenant Andrew Wood insgeheim auf eine Chance gelauert hatte, um zuzuschlagen? Wie hätte sie vorhersehen können, dass er dasselbe Virus einsetzen würde, an dessen Ausrottung sie so hart gearbeitet hatten?

Ringgold schüttelte den Kopf und stand auf. Der einzige verbliebene Secret-Service-Agent in ihrer Gruppe, Tom King, folgte ihr zum Strand hinunter, wahrte aber Abstand.

Sie betrachtete die Gestalten ihres Teams, die sich nur als Umrisse oberhalb des Strands abzeichneten. Die meisten scharten sich unter dem Blätterdach der Bäume auf einem grasbewachsenen Felsen, der das Meer überblickte. Der Blackhawk parkte rechts davon. Eine Tarnplane bedeckte alles außer dem Passagierraum der Maschine. Sie hatten Zuflucht an der Südspitze von Cape Point gesucht, abseits der Straßen und des Landschaftsschutzgebiets der Woods Coastal Reserve.

Ringgold gesellte sich am Rand des Wassers zu Kate. Sie schwieg, wollte die Wissenschaftlerin nicht stören, ihr aber dennoch zeigen, dass sie da wäre, falls Kate Unterstützung bräuchte. Drei Tage waren vergangen, seit Doktor Ellis getötet und Kates Lebensgefährte, Captain Reed Beckham, entführt worden war.

Drei Tage, in denen sie sich versteckt und die Kommunikationskanäle abgehört hatten, während das Land langsam auf einen Bürgerkrieg zusteuerte. Drei Tage, in denen sie hilflos gewartet hatten, während sich Sicherheitszonen mit dem WGT verbündeten – drei Tage, in denen sie von den Verlusten der amerikanischen und der vereinigten europäischen Streitkräfte in Europa gehört hatten.

Die menschliche Rasse befand sich nicht bloß wieder auf dem Kurs zur Ausrottung – sie raste mit Volldampf geradewegs auf ein schwarzes Loch zu, das sie für immer verschlingen würde.

»Er ist da draußen«, sagte Kate, wandte den Blick vom Meer ab und richtete ihn auf Ringgold. »Reed schaut gerade zum selben Himmel hoch. Ich weiß es.«

Ringgold hatte sich schon gedacht, dass Kate daran dachte, und sosehr sie glauben wollte, dass ihre Freundin recht hatte, allmählich verlor Ringgold den Glauben. In jeder Richtung herrschte blankes Chaos. Sie hatte gedacht, mit den Abartigen die schlimmstmögliche Bedrohung bereits erlebt zu haben, aber Wood war noch bösartiger als die Monster. Die Bestien hatten wenigstens keinen Zugang zu Massenvernichtungswaffen.

»Ich sollte besser zurück zu Tasha und Jenny«, meinte Kate. Damit ging sie an Ringgold vorbei. Ihre Füße schlurften über den nassen Sand, aber Ringgold streckte die Hand aus, um die Wissenschaftlerin aufzuhalten. »Madam President?«, fragte Kate.

Ringgold hatte Mühe, die richtigen Worte zu finden. Nach einer Weile ließ sie die Hand sinken. »Nichts. Kommen Sie, gehen wir.«

Seite an Seite schlenderten sie den Strand entlang auf den Blackhawk zu.

Master Sergeant Parker Horn begrüßte sie am Waldrand. Er hielt sich sein Maschinengewehr an die breite Brust gedrückt. Sein rötlich-blondes Haar wehte im Wind.

»Alles klar hier oben«, verkündete er mit rauer Stimme. Er nickte ihnen kurz zu, dann stapfte er aufs Gras davon, sank auf ein Knie und hielt wachsam Ausschau nach Feindkontakt.

Ringgold war daran gewöhnt, von einem Dutzend Männern beschützt zu werden, nun jedoch gab es nur noch Secret-Service-Agent Tom King, Horn, den ehemaligen New Yorker Polizisten Jake Temper und die zwei Blackhawk-Piloten, Captain Ivan Larson und Captain Frank Spade. Die beiden Piloten sorgten unmittelbar nördlich für die Sicherheit, indem sie Ausschau nach etwaigen Jung-Abartigen hielten, die sich unter Umständen durch einen Sprung ins Meer vor Kryptonit gerettet hatten.

Sowohl der nationale Sicherheitsberater Ben Nelson als auch Stabschef James Soprano waren bewaffnet, doch Ringgold traute den beiden keine große Nützlichkeit in einem Kampf zu. Sie waren Männer, die sich durch ihr strategisches Geschick auszeichneten, nicht durch Gewalt. Beide saßen auf Baumstümpfen und lauschten dem Funkgerät.

Ringgold fand ihre Schuhe und schob die Füße hinein. Ein Knirschen ertönte, und als sie den Kopf drehte, sah sie, wie Jake versuchte, die Plane über dem Passagierraum des Blackhawk zu befestigen. Im Inneren der Maschine konnte sie mehrere schlafende Gestalten ausmachen. Jenny und Tasha schmiegten sich an Bo und dessen Mutter Donna. Timothy, Jakes Sohn, saß aufrecht und hellwach da. Er winkte Ringgold zu. Sie winkte zurück.

Als sie mit dem Schließen ihrer Schuhe fertig wurde, überprüfte sie die Reihe der Rucksäcke, die sauber angeordnet am Fuß der Bäume stand. Sogar im trüben Mondlicht konnte sie erkennen, dass der Inhalt zur Neige ging. Bald würden sie Wasser und Lebensmittel auftreiben müssen.

»Haben Sie irgendetwas aus dem PEOC gehört?«, fragte Ringgold, als sie sich Kate und den Männern am Funkgerät anschloss.

Nelson und Soprano schüttelten die Köpfe.

»Was immer die vom WGT gemacht haben, sie haben das PEOC vollständig abgekapselt«, sagte Nelson. »Ich vermute ja, sie haben irgendeinen elektromagnetischen Impuls verwendet.«

»Sicherheitszone 49 hat sich loyal mit denen erklärt«, fügte Soprano hinzu. »Das bereitet so ziemlich das Feld für die anderen. Sobald wir die Hälfte verloren haben, da bin ich sicher, knicken die restlichen Bürgermeister rasch ein und reihen sich ebenfalls hinter Wood.«

»Wir brauchen Unterstützung von unseren Streitkräften in Europa«, warf Nelson ein. Er zog sein Jackett aus und krempelte die Hemdsärmel hoch. »Ich sage, wir versuchen General Nixon zu erreichen und beordern unsere Truppen zurück.«

»Wir wissen nicht, auf wessen Seite er steht«, gab Soprano zu bedenken. »Er könnte ohne Weiteres glauben, dass wir hinter den Raketenangriffen auf die Sicherheitszonen stecken.« Kurz verstummte er und wackelte mit einem fleischigen Finger. »Wir wären besser damit bedient, zu versuchen, Hilfe in den Staaten zu finden.«

»Sobald wir ein SOS-Signal absetzen, sind wir im Arsch«, warf King ein. Es war das erste Mal, dass Ringgold hörte, wie der Secret-Service-Agent seine Meinung kundtat. Was sie jedoch gut fand – sie brauchte im Augenblick so viele Meinungen, wie sie bekommen konnte.

Kate schwieg, ließ die Arme über ihrem Bauch verschränkt. Sie zitterte, doch es lag nicht an der kalten Brise. Ringgold merkte ihrer Freundin an, dass sie auf einen Zusammenbruch zusteuerte, und all der Stress konnte nur fürchterlich schlecht für das Baby sein.

»Kate, warum ruhen Sie sich nicht ein wenig aus?«, schlug Ringgold vor.

»Es geht mir gut.«

Horn kam herüber und flüsterte Kate etwas ins Ohr. Nach einem Schnauben stapfte sie zum Helikopter davon. Der muskulöse Elitesoldat der Delta Force eilte hinter ihr her.

»Kate, warte. Es tut mir leid«, rief er.

Ringgold beobachtete, wie sie sich auf den Hubschrauber zubewegten. Die Kinder rührten sich im dunklen Passagierraum, als Horn und Kate davor miteinander sprachen. Als sie zu Ende geredet hatten, beugte sich Horn hinab, um seine Töchter zu küssen.

All ihre Leben ruhten in Ringgolds Händen. Sie konnten nicht für immer hierbleiben. Ihnen gingen die Lebensmittel aus, zudem bestand die Gefahr von Jung-Abartigen in der Gegend. Es hieß also, entweder das Risiko einzugehen, Hilfe zu finden, oder aufs Sterben zu warten.

»Schicken Sie ein SOS-Signal an unsere Streitkräfte hier in den Staaten«, ordnete sie an.

Soprano nickte zustimmend, Nelson hingegen hob eine Hand.

»Ma’am, mehrere Befehlshaber kennen unser Rufzeichen«, gab er zu bedenken. »Wenn nur einer davon kompromittiert ist, verraten wir damit unsere Position. Wir können nicht darauf vertrauen, dass …«

Ringgold bedachte ihren Berater mit einem finsteren Blick. »Ben, ich habe meine Entscheidung getroffen.« Sie war sich nicht sicher, ob es die richtige war, aber sie wusste, dass sich General Nixon darauf konzentrieren musste, den Krieg in Europa zu gewinnen. Abgesehen davon befand er sich entschieden zu weit entfernt, um ihr sofort Hilfe liefern zu können. Amerika hatte diesen Albtraum gestartet, und Amerika würde helfen, ihn auf die eine oder andere Weise zu beenden.

Soprano griff zum Funkgerät und ging die Frequenzen durch. Nelson seufzte und faltete sein Jackett ordentlich zusammen. Dann legte er es behutsam über den Baumstumpf und streckte die Hand nach dem Funkempfänger aus.

Nelson begegnete Ringgolds Blick, und sie nickte mit entschlossener Miene.

»Hier Black Cat. Rufe alle Eagles in der Umgebung und erbitte Unterstützung an den folgenden Koordinaten …«

Ringgold ging davon. Die Tat war vollbracht, nun mussten sie nur noch warten. Mit den Händen in den Taschen steuerte sie auf den Helikopter zu. Falls der WGT kommen würde, wollte sie bei ihren Freunden sein, wenn es passierte.

Sie setzte sich an den Rand des Passagierraums zwischen Kate und Horn.

»Ich denke andauernd, dass Fitz auf magische Weise auftauchen und die Lage retten wird«, gestand Kate mit einem traurigen Lächeln. »Oder dass Reed mit einem Panzer aufkreuzt und uns alle in Sicherheit bringt. Echt dumm, oder?«

»Sag das nicht, Kate«, mahnte Horn leise. »Fitz, Beckham, Apollo und unsere anderen Freunde sind alle immer noch da draußen. Wir stehen das durch, und wir werden sie wiedersehen.«

Kate wischte sich über die Augen, erwiderte jedoch nichts.

Eine Stunde später begann Ringgold zu spüren, wie sich der Schlaf anbahnte. Es war spät, vermutlich nach Mitternacht. Horn war mit King zum Strand zurückgekehrt, um Wache zu halten. Aus Westen trieben Gewitterwolken heran, schoben sich vor den Mond und hüllten die Insel in Dunkelheit.

Ringgold spürte Wasser am Bein. Das Adrenalin war versiegt, ihre Lider wurden schwer, doch sie stand mit Kate auf, als Soprano und Nelson herüberkamen.

»Und?«, fragte Ringgold.

Soprano runzelte die Stirn. »Keine einzige Antwort.«

»Ich vermute, dass etwaige Verbündete, die zuhören, zu verängstigt sind, um hier aufzukreuzen«, sagte Nelson. »Ich finde, wir sollten den Blackhawk starten und bereit zum Aufbruch sein.«

»Und wohin?«, flüsterte Kate.

Die Präsidentin der Vereinigten Staaten und ihre wenigen verbliebenen Verbündeten konnten nirgendwohin.

»Wir haben nicht genug Treibstoff, um weit zu kommen«, warf Horn ein, der gerade von seinem Patrouillengang zurückkehrte. Er lehnte sich in den Passagierraum, um nach Tasha und Jenny zu sehen. »Sie sollten versuchen, ein wenig zu schlafen, Madam President – und du auch, Kate.«

Ringgold setzte sich wieder hin und seufzte innerlich. Sie sehnte sich verzweifelt nach Schlaf, fürchtete sich jedoch zu sehr davor, die Augen zu schließen. Unverhofft flammten die Erinnerungen an die Schmerzen von ihrer Schussverletzung wieder auf.

»Er hat recht«, meinte Kate leise. »Wir sollten uns etwas ausruhen.«

Ringgold knüllte ihre Jacke zusammen, um sie als Kissen zu benutzen, und legte sie neben sich auf den Boden des Passagierraums. In den Nächten, in denen sie sich in Raven Rock vor den Abartigen versteckt hatte, musste sie an schlimmeren Orten schlafen. Jedes Mal, wenn sie damals die Augen schloss, hatte sie sich gefragt, ob sie mit der entstellten Fratze eines Monsters vor dem Gesicht aufwachen würde. Nun fragte sie sich, ob sie mit dem Lauf eines WGT-Gewehrs vor dem Gesicht aufwachen würde.

Die Albträume in jener Nacht erwiesen sich als schlimm. Sie sah, wie sich ihre Cousine in eine tobende Bestie verwandelte. In ihrem Traum verrenkte sich Emilia – ihr Körper knackte und zuckte, als das Blutervirus pulsierend durch ihre Adern raste. Dann sickerte Blut aus ihren verängstigten, wutentbrannten Augen, gefolgt von einem gequälten Kreischen und schließlich dem Klicken von Gelenken.

Jäh schlug Ringgold die Lider auf. Sie schlang die Arme um die Brust, lehnte sich an das Schott zurück und wartete darauf, dass der Regen endete, der mittlerweile eingesetzt hatte. Wellen schwappten an den Strand und zogen sich wieder zurück ins Meer. Da das Unwetter inzwischen vollständig über die Insel gezogen war, herrschte fast pechschwarze Finsternis.

Sie wäre beinah wieder eingenickt, als plötzlich eine Bewegung in der Dunkelheit ihre Aufmerksamkeit erregte. Sechs Gestalten in schwarzer Körperpanzerung bewegten sich den Strand herauf. Ringgold blinzelte. Ihr Herzschlag beschleunigte sich jäh.

»Kate«, flüsterte sie. »Kate, aufwachen.«

King, der sich nur als Umriss am Strand abzeichnete, krachte plötzlich zu Boden, als sich zwei der Männer in Schwarz von hinten auf ihn stürzten. Ein gedämpfter Schrei ertönte von der anderen Seite des Hubschraubers – von Jake oder den Piloten, Ringgold war sich nicht sicher.

Horn kam mit geweiteten Augen auf den Helikopter zugerannt. »Wir müssen weg, sofort!«

Die Kinder rührten sich und wachten auf, riefen schlaftrunken nach ihren Eltern. Ringgold ließ den Blick auf die Männer in Schwarz gerichtet. Alle trugen automatische Waffen.

Horn drehte sich um, hob das Gewehr an und schwenkte die Mündung von Ziel zu Ziel. Er fluchte. Sogar Ringgold, die keine Soldatin war, erkannte zweifelsfrei, dass sie diesen Kampf nicht gewinnen konnten.

Einer der Neuankömmlinge trat vor die anderen hin und rief: »Wir haben euch umzingelt. Lasst die Waffen fallen und gebt euch zu erkennen!«

»Ihr zuerst!«, rief Horn zurück.

Der Anführer der Gruppe rückte weiter vor. »Lasst die Waffen fallen und gebt die Präsidentin heraus.«

Mondlicht schien als schmaler Streifen auf das Meer und erstreckte sich darüber wie eine Schnellstraße durch eine endlose Wüste. Ringgold konnte weit und breit keine Anzeichen eines Schiffes ausmachen – woher also waren diese Männer gekommen?

»Ich werde euch nicht noch einmal auffordern«, verkündete der Anführer mit anschwellender Stimme. Die anderen Männer schwärmten aus und umzingelten den Blackhawk. Zwei weitere tauchten um die Vorderseite des Hubschraubers herum auf und stießen die Piloten sowie Jake, deren Hände sie bereits gefesselt hatten, in den Sand.

Horn schwenkte den Lauf weiter von Ziel zu Ziel. Nelson stand mit gezückter Pistole links von ihm. Soprano konnte Ringgold nirgendwo sehen.

»Letzte Chance«, warnte der Anführer der Neuankömmlinge. Er ballte die Hand zur Faust, woraufhin die anderen Männer stehen blieben. Alle hielten die Waffen auf Horn gerichtet. Der Elitesoldat der Delta Force schirmte die Passagierkabine mit seinem Körper ab, stand als Einziger zwischen Ringgold und den fremden Männern.

Tasha rief nach ihrem Vater.

»Bleib, wo du bist, Kleines!«, rief er zurück.

Ringgold würde nicht zulassen, dass Horn vor den Augen seiner Kinder abgeknallt wurde. Nicht wenn sie irgendetwas dagegen unternehmen konnte. Die WGT-Leute wollten sie, und nur sie.

»Runter mit den Waffen«, befahl sie, als sie sich aus dem Helikopter schob.

Nelson stellte sich vor sie. »Treten Sie zurück, Ma’am. Ich lasse nicht zu, dass die Sie mitnehmen.«

»Ich auch nicht«, kündigte Horn mit einem Schnauben an. »Sagen Sie nur ein Wort, Madam President, und ich mache diesen Pennern Feuer unter dem Hintern.«

»Weg von ihr«, verlangte der Anführer der Fremden. Mittlerweile konnte Ringgold seine Züge erkennen. Das Weiß seiner Augen hob sich deutlich von dunkler Haut ab. Sie fragte sich, was dem Mann durch den Kopf gehen mochte.

Nelson trat einen Schritt vor und zielte mit der Pistole auf den Sprecher.

»Runter mit der Knarre!«, brüllte der Fremde Nelson entgegen.

Ringgold streckte die Hand aus und legte sie auf den Lauf von Nelsons Waffe, drückte ihn langsam in Richtung Boden.

»Ich komme mit Ihnen. Lassen Sie nur alle anderen zufrieden«, wandte sie sich an den Anführer der Neuankömmlinge.

Sie schritt an Horn und Nelson vorbei und wappnete sich dafür, von Kugeln durchlöchert oder zumindest in eine dunkle Gefängniszelle geworfen zu werden, wo sie auf eine spätere Hinrichtung warten würde. In letzterem Fall hoffte sie auf die Gelegenheit, Wood direkt in die Augen zu sehen, bevor man sie tötete.

»Ma’am …«, versetzte Horn in flehentlichem Tonfall.

Er wollte wieder vor sie treten, doch Ringgold drehte sich ihm unmittelbar zu. »Schon gut. Sie haben Ihre Pflicht erfüllt und mich beschützt, aber jetzt müssen Sie sich um Ihre Töchter und um Kate kümmern.«

Horn schnaubte wie ein wütender Stier und schwenkte die Waffe weiter von Gesicht zu Gesicht. Die Männer in Schwarz beobachteten Ringgold, als sie vom Helikopter auf sie zuging.

»Nicht schießen«, befahl der Anführer und ballte erneut die Hand zur Faust.

Die Gewehre senkten sich eines nach dem anderen. Alle außer Horns Waffe.

Der Anführer näherte sich langsam. Sein Blick schnellte dabei zwischen Ringgold und Horn hin und her. »Gehören diese Männer zu Ihnen, Präsidentin Ringgold?«, fragte er.

Schließlich richtete auch Horn den Lauf seines Gewehrs auf den Sand.

Ringgold straffte den Rücken. »Ja, das tun sie.«

»Das hätten Sie auch gleich sagen können«, gab der Mann bärbeißig zurück. »Ich bin Senior Chief Petty Officer Randall Blade von SEAL-Team 4. Wir sind hier, um Sie auf die USS Florida zu evakuieren.«

Ringgold zog die Brauen zusammen. »Sie sind SEALs? Wieso zum Geier haben Sie das nicht gleich gesagt?«

Blade ließ ein weißes Grinsen aufblitzen. »Wir dachten, das könnte eine Falle sein. Der WGT hat über den Äther vor so etwas gewarnt. Wir sind ein Risiko eingegangen, indem wir hierhergekommen sind – ein verdammt großes Risiko, wenn Sie mich fragen, aber jemand über meiner Besoldungsstufe hat befunden, es könnte das Wagnis wert sein – und recht hatte er. Sie haben da draußen immer noch Freunde, Präsidentin Ringgold.«

Horn und Kate näherten sich von hinten und flankierten Ringgold zu beiden Seiten. »Ich bin Doktor Kate Lovato«, stellte sich Kate vor. »Bitte, haben Sie irgendetwas über Captain Reed Beckham gehört?«

Kopfschüttelnd antwortete Blade: »Tut mir leid, Ma’am. Holen Sie Ihre Sachen. Wir haben nicht viel Zeit.« Blade nickte einem seiner Männer zu, der ein Funkgerät hervorholte, über das er die Abholung von der Insel anforderte.

Die anderen SEALs nahmen den Piloten von den Marines sowie Jake und King die Fesseln ab – und auch Soprano, der sich ebenfalls hatte schnappen lassen. Die Männer gingen entlang des Strands in Position, während Ringgold und ihre Freunde ihre Habseligkeiten zusammensuchten.

»Wohin genau bringen Sie uns?«, wollte Kate von Blade wissen.

»Auf die USS Florida und dann zu einer kleinen Flotte von Kriegsschiffen, Booten und einem französischen Forschungsschiff ungefähr 300 Kilometer östlich«, antwortete er.

»Französisch?«, hakte Ringgold nach.

»Ja, Ma’am. Die Freunde, von denen ich gesprochen habe, sind nicht nur Amerikaner.« Blade verstummte kurz und sah Kate an. »Die suchen auch nach Hilfe. Anscheinend gibt es in Europa eine neue Art von Monstern.«

Andrew Wood strich sich über das vernarbte Kinn, während er vom weichen Ledersitz seiner unlängst beschlagnahmten Boeing VC-25 aus beobachtete, wie seine Festung in Sicht geriet. Die militärische Version der 747 erwies sich als angenehmer, als er erwartet hatte. Obwohl er auf eine bessere Bordverköstigung gehofft hatte.

»Eine Feldration?«, fragte er und starrte auf das Päckchen, das ihm von einer Soldatin vorgesetzt wurde, die sich zugleich als bessere Flugbegleiterin verdingte. Ihre Antwort fiel stammelnd aus, während sie mit langen Wimpern über zwei blauen Augen klimperte.

»E-es tut mir leid, Sir«, erwiderte sie. »Das ist alles, was wir haben.«

»Kein frisches Obst, kein gegrillter Lachs? Wozu verkommt diese Welt nur?«

Bedauernd schüttelte sie den Kopf, und Wood schmunzelte. Da sich die Ränge ihrer Organisation zunehmend füllten, kannte er kaum noch jemanden außerhalb seines inneren Kreises.

»Wie ist Ihr Vorname?«

»Der ist, äh, Yolanda, Sir.«

»Yolanda – was für ein bezaubernder Name.«

»Äh, danke, Sir.«

Die Soldatin schluckte und wich einen Schritt zurück. Wood liebte es, Menschen nervös zu machen, und legte eine dramatische Pause ein. Dann hob er die Hand und lachte wieder.

»Ich veralbere Sie bloß, meine Süße, aber ich hätte gern ein alkoholisches Getränk. Ich gehe mal davon aus, dass wir etwas an Bord haben. Am liebsten wäre mir ein steifer Drink – steif und kalt.«

»Ja … ja, das bekomme ich hin, Sir.«

Abermals zögerte Yolanda, dann entfernte sie sich, als er sie mit einer Handbewegung wegscheuchte wie eine lästige, unbedeutende Fliege.

Er nahm einen Bissen von dem getrockneten Rindfleisch und wandte die Aufmerksamkeit wieder der Aussicht zu. Unten sprenkelten von Schnee bestäubte Wälder das Gelände. Kristallklare Flüsse schlängelten sich durch die gefrorene Tundra. Nachts fielen die Temperaturen weit unter den Gefrierpunkt. Das war einer der Gründe, warum es das Blutervirus nie hierher geschafft hatte, und müsste Wood raten, würde er darauf tippen, dass Jan Ringgold und ihr Personal deshalb Überlebende aus Anchorage und anderen Städten in Sicherheitszone 19 evakuiert hatten, die nur ungefähr 30 Kilometer westlich lag.

Diesmal jedoch war Wood nicht unterwegs, um eine Sicherheitszone zu übernehmen. Das erledigte seine wachsende Armee für ihn. Vielmehr kehrte er an den Ort zurück, an dem er den Großteil seiner Karriere beim Militär verbracht hatte.

Xerxes – der Codename für den militärischen Stützpunkt des Widerstands gegen Tyrannei in der Nähe des Knik-Gletschers – gehörte zu den sichersten Orten überhaupt in den Vereinigten Staaten. So viel war sogar vom Himmel aus offensichtlich. Die fünfeckige, ehemalige Militäranlage schmiegte sich an die blaue Wand eines Gletschers.

Die Männer und Frauen, die nun dort lebten, hatten die vergangenen sieben Monate unter dem Eis verbracht. Es handelte sich um einen der unwirtlichsten Orte der Welt, sogar für die Abartigen zu kalt und abgeschieden. Deshalb hatte Wood den Stützpunkt als WGT-Zentrale ausgewählt.

Er strich sich weiter über das vernarbte Gesicht und beugte sich näher zum Fenster, um den blauen Gletscher in der Ferne besser sehen zu können. An dessen Fuß lugten fünf runde Strukturen aus dem Schnee. Ein Großteil der Basis jedoch befand sich unter der Erde. Er hatte die streng geheime Anlage nach dem großen Perserkönig umbenannt, der danach getrachtet hatte, das griechische Reich zu übernehmen – und den Großteil der restlichen Welt gleich mit. Die Geschichte hatte Wood schon immer fasziniert, aber wo Xerxes letztlich versagt hatte, würde er erfolgreich sein.

Bevor es so weit wäre, musste er noch General Nixon mit ins WGT-Team holen, und der General war kein Mann, der sich leicht nötigen ließ. Es würde beträchtlicher Überzeugungsarbeit bedürfen, damit sich die amerikanischen Streitkräfte in Europa mit ihm verbündeten. Zum Glück hatte Wood bereits den perfekten Plan dafür.

Yolanda kam mit einem Wodka auf Eis zurück. Einen Moment lang fragte sich Wood, wie wohl ihre Geschichte lauten mochte. Jedenfalls überlebte man nicht die Apokalypse und ergatterte anschließend einen Job bei Wood, indem man ein Verlierer war.

»Vorbereitung zur Landung«, meldete einer der Piloten über die Lautsprecheranlage.

Wood nippte an dem Wodka und wandte den Blick von Yolanda ab, interessierte sich nicht länger für die junge Frau. Er blickte hinunter zum Friedhof der gepanzerten Fahrzeuge am Südrand der Basis und dachte an die kalten Nächte zurück, die er dort unten auf Patrouille verbracht hatte, damals vor 30 Jahren, als noch mit einer Invasion der Sowjets gerechnet worden war. Jene Erfahrung – und die Arbeit für einen paranoiden Befehlshaber, der an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung litt – hatte Wood auf eine andere Art von Invasion vorbereitet.

Wood sah die Monster, die mittlerweile die Erde bevölkerten, nicht als das Ende der Menschheit. Er sah sie als Gelegenheit – die Gelegenheit, zu beenden, was sein verstorbener Bruder, Colonel Zach Wood, bei der Arbeit für die Sanitätstruppe begonnen hatte.

Aber bevor er ihr gemeinsames Ziel erreichen konnte, musste er noch den gefährlichsten Feind von allen ausschalten – Jan Ringgold. Die ehemalige Präsidentin war eine Geächtete, die seinem Angriff auf das PEOC entkommen war. Mit einem komplexen Geflecht aus Lügen hatte er über die vergangenen Wochen ihre Macht und Glaubwürdigkeit untergraben, aber die Zeit für Spielchen war vorbei.

Sein Geniestreich war der Anschlag auf Sicherheitszone 15 im ehemaligen Chicago gewesen, denn er hatte Ringgold den anschließenden Ausbruch des Blutervirus in die Schuhe geschoben. Als er herausgefunden hatte, dass Ringgolds nächste lebende Verwandte, eine Cousine, dort Zuflucht gesucht hatte, war das Schicksal von Sicherheitszone 15 besiegelt gewesen. Denn wer bei rechtem Verstand würde schon eine Frau unterstützen, die wissentlich eine Angehörige in ein Monster verwandelte?

Wood widerstand dem Drang, zu kichern, weil er fürchtete, seinem inneren Kreis dadurch einen falschen Eindruck zu vermitteln. Er wollte der oberste Herrscher der neuen Weltordnung werden, doch er wollte nicht, dass man ihn als spleenigen Despoten betrachtete. Wenn es etwas gab, das Wood hasste – abgesehen von Reed Beckham und seiner Bande von Tyrannen natürlich –, dann Stereotype.

Die Männer, die Woods Team bildeten, saßen vor ihm. Vor drei Tagen waren es noch vier Berater gewesen, aber Wood hatte Jack Johnson verloren, als er den Mann losgeschickt hatte, um nach der USS George Washington zu sehen.

Jemand hatte es zu dem Flugzeugträger geschafft, ein klaffendes Loch in die Seite des Schiffes gesprengt und mehrere der mit dem Blutervirus bestückten Raketen zerstört. Wood war nicht sicher, wer, doch das spielte vorläufig keine Rolle. Die Mistkerle waren zweifellos alle tot oder selbst infiziert.

Die Piloten der VC-25 kreisten über dem Stützpunkt und boten eine Aussicht aus der Vogelperspektive auf den Gletscher unten. In der Ferne konnte Wood sogar Sicherheitszone 19 ausmachen, obwohl der Ort keinen beeindruckenden Anblick bot – im Wesentlichen bloß eine verwahrloste Festung, so umgebaut, dass sie ein paar Tausend Überlebende beherbergen konnte. Nur ein einziger Besuch war nötig gewesen, um die Zone auf die Seite des WGT zu ziehen. Die meisten Bürgermeister der Sicherheitszonen erwiesen sich als rückgratlose Feiglinge. Und diejenigen, auf die das nicht zutraf, würde Wood beseitigen, wenn die Zeit dafür reif wäre.

»Sir, tut mir leid, Sie zu stören, aber ich habe Neuigkeiten«, ertönte die raue Stimme von Michael Kufman.

Wood blickte in ein Paar skrupelloser, schwarzer Augen auf. Der ehemalige Elitesoldat der Delta Force ragte 1,90 Meter hoch auf, besaß die breiten Schultern eines Linebackers und die Oberarme eines Armdrückers auf olympischem Niveau.

»Und?«, fragte Wood. »Was für Neuigkeiten?«

»Ich habe gerade erfahren, dass Coyote in der Sicherheitszone in Los Angeles geschnappt worden ist.« Kufman lächelte weder, noch ließ er sich sonst irgendwelche Emotionen anmerken, als er die Neuigkeit überbrachte.

»Das ist hervorragend«, befand Wood. Er lächelte, und Kufman reagierte darauf mit etwas, das eher wie eine verkniffene Miene rüberkam – die schmalen Lippen teilten sich, gaben den Blick auf die Lücke zwischen den mittleren Schneidezähnen frei. Wood war nicht sicher, ob der Soldat überhaupt in der Lage war zu lächeln.

»Haben Sie je einen Witz gerissen, Kufman?«, fragte Wood.

»Ihr Bruder hat nicht viel von Witzen gehalten, Sir«, erwiderte Kufman steif.

Wood trank einen weiteren Schluck Wodka und begrüßte, wie der Alkohol mit einem Brennen seine Kehle hinabrann. Sein älterer Bruder und Kufman waren gut befreundet gewesen. Tatsächlich sogar beste Freunde – Zach hätte keinen anderen Mann an Andrews Seite gewollt, um ihn ans Ziel zu begleiten.

»Sagen Sie den Piloten, sie sollen die Maschine weiter bereithalten. Wie es aussieht, könnte mir in Kürze ein Ausflug nach Los Angeles bevorstehen«, ordnete Wood an. Sein Lächeln war verschwunden, und er wandte sich wieder dem Fenster zu, um zu beobachten, wie sich das Flugzeug dem Rollfeld näherte. Ein Ruck durchlief die Maschine, als die Räder auf dem verschneiten Asphalt aufsetzten.

Wood trank den Wodka aus und wartete, bis der Flieger zum Stehen kam. In Augenblicken wie diesen, in denen er nichts anderes zu tun hatte, dachte er regelmäßig über seine Rache nach. Beckham war tot, aber Wood suchte immer noch nach Master Sergeant Joe Fitzpatrick, dem Krüppel, der seinem Bruder auf Plum Island den Schädel weggeschossen hatte.

Anfangs hatte Wood gedacht, Beckham wäre König Leonidas, doch wie sich herausgestellt hatte, war Beckham doch nicht annähernd wie der König von Sparta gewesen, der sich mit nur 300 Kriegern den persischen Heerscharen entgegengestemmt hatte. Dafür war der Mann viel zu leicht zu töten gewesen. In Woods Augen verkörperte vielmehr Fitzpatrick seinen bedeutendsten Erzfeind, und schon bald würde Wood seine Rache bekommen.

Er trat durch die geöffnete Tür des Flugzeugs hinaus, blieb am Kopf der Treppe stehen und ließ den Blick über das eisige Terrain wandern. Auf dem Rollfeld hatten sich 100 Männer in schwarzen Anoraks versammelt, alle mit auf die Rücken geschnallten automatischen Gewehren und Helmen mit Schutzbrillen auf den Köpfen.

Eine Hunderttausende Mann starke Armee wie die der Perser bildeten sie natürlich nicht, dennoch würden sie reichen.

Trotz der Wut, die durch Woods Adern brodelte, zwang er sich zu einem Lächeln und winkte seinen Männern zu. Er malte sich aus, was Xerxes, der König aller Könige, empfunden haben musste, als er vor der Invasion der Dardanellen von Bord seines Schiffes gegangen war.

»Sind Sie bereit, Sir?«, erkundigte sich Kufman.

Wood nickte, doch er wusste, dass der Vereidigungsquatsch in Wirklichkeit bloß aus hohlen Worten bestand. Taten zählten mehr als belanglose Titel wie »Präsident Wood« oder »König Wer-auch-immer«. Er würde nie das Gefühl haben, wahrhaft die Kontrolle zu besitzen, bis er sich an dem Mann gerächt hätte, der seinen Bruder getötet hatte. Wood war bereit, die Welt in ein neues Zeitalter zu führen – doch zuvor hatte er noch eine Rechnung zu begleichen.

2

Master Sergeant Joe Fitzpatrick saß am Strategieplanungstisch, wo er an seine Freunde zu Hause dachte und über alles nachgrübelte, was sich in den vergangenen sieben Monaten ereignet hatte. Als er den Kaffeebecher in seiner Hand anhob, betrachtete er den Abzugsfinger, der schon so viele Leben beendet hatte.

Es fiel ihm schwer, die Wahrheit seiner Situation zu akzeptieren. Nichts davon erschien ihm real.

Und warum auch? Die Welt war von Monstern überrannt worden, und er befand sich ausgerechnet in Frankreich. Er wollte das Land schon immer besuchen – allerdings nicht auf diese Weise. Es gab nicht mal hübsche junge Französinnen, mit denen man flirten konnte.

Fitz trank einen Schluck Kaffee. Obwohl das Gebräu kalt war, schmeckte es wie flüssiges Gold. Er war erst vor zwölf Stunden aus Grönland zurückgekehrt und brauchte das Koffein. Die meisten Mitglieder von Team Ghost schliefen auf ihren Pritschen auf der anderen Seite des Lagers. Sie waren sowohl körperlich als auch mental ausgelaugt vom Kampf gegen die Hybrid-Abartigen in einem abgelegenen Eskimo-Fischerdorf. Und wenngleich die Mission erfolgreich verlaufen war, hätte Sergeant Hugh Stevenson dabei um ein Haar das Leben gelassen. Er erholte sich gerade von einer Gehirnerschütterung.

Noch hatte Fitz kein Mitglied von Team Ghost verloren, aber er fragte sich, wie lange es so bleiben würde. Er saß im Kommandozelt der vorgerückten Einsatzbasis 5, knapp 50 Kilometer landeinwärts von der Stelle entfernt, wo die Marine Expeditionary Unit 24 vor wenigen Tagen an Land gegangen war.

50 Kilometer voll Kampfhandlungen und 300 tote Marines.