4,99 €
Die Extinction-Cycle-Bestsellerserie ist zurück. Noch härter und wieder voller Action. Willkommen im dunklen Zeitalter. Vor acht Jahren verwüstete ein manipuliertes Virus den Globus und verwandelte Menschen in monströse Raubtiere. Milliarden starben, die Zivilisation brach zusammen und die Menschheit stand kurz vor dem Aussterben. Nationen schlossen sich zusammen und Helden erhoben sich, um diese Gräuel zu bekämpfen. Jetzt, fast ein Jahrzehnt nach dem Ende des Krieges, ist die Zivilisation langsam auf den Weg der Erholung. In den Alliierten Staaten von Amerika bauen die Überlebenden Industrie, Landwirtschaft und Infrastruktur wieder auf. Aber böse und intelligente Mächte verbünden sich mit den hungernden Mutierten und planen, die Menschen für immer auszulöschen. Wenn es in Büchern jemals Horror und Spannung gab, dann in dieser Serie. HINWEIS: Man muss nicht die ersten Bücher der Extinction-Cycle-Serie lesen, um ins Dunkle Zeitalter zu springen. Diese neue Staffel hat eine in sich geschlossene Handlung.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 494
Veröffentlichungsjahr: 2021
Aus dem Amerikanischen von Michael Krug
Impressum
Die amerikanische Originalausgabe Extinction Cycle: Dark Age 1 – Extinction Shadow
erschien 2019 im Verlag Great Wave Ink Publishing.
Copyright © 2019 by Nicholas Sansbury Smith & Anthony J. Melchiorri
Copyright © dieser Ausgabe 2021 by Festa Verlag, Leipzig
Titelbild: Arndt Drechsler-Zakrzewski
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-86552-925-1
www.Festa-Verlag.de
Für meinen Co-Autor und guten Freund Dr. Anthony J. Melchiorri. Dein wissenschaftlicher Beitrag hat dabei geholfen, die Saga des Extinction Cycle zum Leben zu erwecken, und ich freue mich wahnsinnig, wieder mit dir zusammenzuarbeiten, um den Lesern das nächste Kapitel zu präsentieren.
Die Grenzen, die das Leben vom Tod trennen, sind bestenfalls schemenhaft und vage. Wer kann sagen, wo das eine aufhört und das andere beginnt?
– Edgar Allan Poe
Einführung
in denExtinction Cycle:
Was bisher geschah …
Vom Schöpfer des Extinction Cycle,
Nicholas Sansbury Smith
Lieber Leser,
wenn du den Extinction Cycle noch nicht kennst, stehst du kurz vor dem Beginn einer völlig neuen Saga. Sie basiert auf der preisgekrönten, sieben Bücher umfassenden Reihe, die auf Amazon Top-Bewertungen erhalten hat und von der eine halbe Million Exemplare verkauft wurden. Kritiker beschreiben den Extinction Cycle als »World War Z und The Walking Dead treffen The Hot Zone – Tödliches Virus«. Publishers Weekly ergänzt: »Smith hat erkannt, dass man Zombie-Apokalypsen zum Wiederanfachen des Interesses daran lauter, länger und blutiger gestalten muss … Smith steigert die Katastrophe effizient im Verlauf der Seiten. Leser, die deftige Action mit jeder Menge Blut und Eingeweide mögen, finden davon jede Menge.«
Extinction Cycle: Dark Age ist die Fortsetzung der ursprünglichen Geschichte und spielt acht Jahre nach den Ereignissen von Buch 7, Am Ende bleibt nur Finsternis. Bevor du darin eintauchst, lies bitte diesen kurzen Überblick über die Reihe – so erfahren neue und alte Leser, was sie erwartet.
Im Extinction Cycle wollte ich mit authentischer militärischer Action und fundierter Wissenschaft sowohl Zombies als auch postapokalyptischen Szenarien einen packenden neuen Anstrich verleihen. Vergiss alles, was du über Zombies weißt. In dieser Geschichte entstehen sie nicht durch schwarze Magie oder auf sonstige übernatürliche Weise. Die Infizierten sind die Folge einer militärischen Biowaffe namens VX-99, die erstmals in Vietnam im Rahmen eines Regierungsprogramms zur Entwicklung von Supersoldaten eingesetzt wurde. Die Chemikalien in VX-99 aktivieren Proteine, die in schlummernden Genen codiert sind und Menschen von wilden Tieren unterscheiden – ein realer Prozess, der als epigenetische Veränderungen bekannt ist. Mit anderen Worten: Diese Waffe verwandelte Menschen in Monster.
Diese als Abartige bezeichneten Kreaturen werden zu perfekten Raubtieren, da sie sich nach den epigenetischen Veränderungen weiterentwickeln. Das Ergebnis im Extinction Cycle ist katastrophal, und die Infektion breitet sich weltweit aus. Regierungen und Militärapparate fallen, die Zivilisation bricht innerhalb weniger Monate zusammen. Während die Menschheit verzweifelt versucht, ein Heilmittel zu finden und die Monster zu besiegen, wird sie an den Rand der Ausrottung getrieben. Am Ende von Buch 7 hängt das Überleben der Menschheit am seidenen Faden.
Acht Jahre später haben sich die Überlebenden in den Vereinigten Staaten (mittlerweile die Alliierten Staaten genannt) in etwa 100 Außenposten niedergelassen. Die meisten dieser ummauerten Gemeinden liegen im Mittelwesten und an der Ostküste. Die Westküste ist aufgrund der schweren Kriegsschäden weitgehend verlassen. Präsidentin Jan Ringgold und ihre Administration haben unermüdlich am Wiederaufbau gearbeitet und die grundlegende Infrastruktur, die Agrarindustrie, die Fabrikation und das Energienetz wiederhergestellt.
Einige entscheidende Persönlichkeiten haben daran mitgewirkt, dass die Menschheit den großen Krieg gegen die Ausrottung überlebt hat. Sie treiben den Fortschritt auch in der Zeit danach voran. Team Ghost, ein Delta Force Team der Armee, war unverzichtbar dabei, den Krieg zu gewinnen und die Geißel der Abartigen zurückzudrängen. Die Männer sind unter der Führung von Master Sergeant Joe »Fitz« Fitzpatrick nach wie vor im Einsatz. Seit acht Jahren führen sie Missionen in Feindgebiet aus, jagen Abartige und retten menschliche Gefangene.
Zu den weiteren Helden dieser Ära gehören Captain Reed Beckham und Dr. Kate Lovato. Mittlerweile sind sie verheiratet und leben mit ihrem Sohn Javier Riley, Master Sergeant Parker Horn und dessen Töchtern im Außenposten Portland, Maine.
Mit dem Ende der Amtszeit von Präsidentin Jan Ringgold steht eine Neuwahl bevor – die der Wahlkandidat und amtierende Vizepräsident Dan Lemke aufgrund der enormen Fortschritte der aktuellen Regierung mühelos gewinnen sollte. Das Land erholt sich allmählich, und abgesehen von vereinzelten Angriffen durch Abartige und Plünderer sind die Außenposten sicher.
Die überlebenden Abartigen und die menschlichen Überläufer bleiben im Schatten, verhungern und sterben nach und nach aus. Zumindest denkt das Militär das … In Extinction Cycle: Dark Age wird sich zeigen, wie falsch man mit dieser Vermutung liegt.
Bitte anschnallen, es geht mit dem nächsten Kapitel des Extinction Cycle zurück in die Welt der Abartigen und der Helden, die sich ihnen in den Weg stellen. Herzlich willkommen zurück an alle alten Leser. Ich bin so froh, dass ihr mich ermutigt habt, zu dieser Geschichte zurückzukehren. Ich verspreche, es wird aufregend, dafür sorgen neue Wendungen – und einige eurer Lieblingsfiguren sind auch wieder dabei!
Neue Leser laden wir herzlich ein, sich auf dieses postapokalyptische Abenteuer einzulassen. Wir hoffen, dass euch die wissenschaftlichen Aspekte, die Action und die Charaktere in diesem wachsenden Universum gefallen.
Vielen Dank euch allen fürs Lesen. Bitte meldet euch gern bei Tony oder bei mir, wenn ihr Fragen habt oder einen Kommentar loswerden möchtet. Unsere Kontaktdaten findet ihr hinten im Buch.
Alles Gute.
Nicholas Sansbury Smith, New York Times-Bestsellerautor von Hell Divers und The Extinction Cycle
Anthony J. Melchiorri, Bestsellerautor von The Tide.
Als Übersicht listen wir hier die Lesereihenfolge für die Welt des Extinction Cycle auf.
Staffel 1:The Extinction Cyclevon Nicholas Sansbury Smith
Das Schlimmste der Natur und der Wissenschaft treibt die Menschheit in dieser preisgekrönten Bestseller-Reihe über die Mission eines Teams zur Rettung der Welt an den Rand der Ausrottung.
Vorgeschichte: Extinction Red Line
Buch 1: Verpestet
Buch 2: Mutierte Bestien
Buch 3: Krieg gegen Monster
Buch 4: Entartung
Buch 5: Von der Erde getilgt
Buch 6: Metamorphose
Buch 7: Am Ende bleibt nur Finsternis
Nebengeschichten zumExtinction Cycle
Das Universum des Extinction Cycle wächst mit Romanen, Novellen und Kurzgeschichten über heldenhafte Gefechte, die Verwandlung von Menschen in Bestien, hartgesottene Krieger, die gegen eine überwältigende Übermacht in den Kampf ziehen, und vielem mehr. All das stammt von einigen der führenden Stimmen des Genres postapokalyptischer Erzählungen. Diese Geschichten tragen sich während der ersten Staffel des Extinction Cycle zu.
Staffel 2:The Extinction Cycle: Dark Agevon Nicholas Sansbury Smith und Anthony J. Melchiorri
Die Überlebenden dachten, der Zyklus der Ausrottung hätte geendet – aber in den Schatten lauern bösartige, intelligente Kräfte und schmieden Pläne, um den Zyklus wieder in Gang zu setzen und der Menschheit für immer den Garaus zu machen. Acht Jahre nach den Ereignissen von Buch 7: Am Ende bleibt nur Finsternis schließt sich Team Ghost mit neuen Helden zusammen und versucht zu retten, was von der Welt noch übrig ist.
Vorwort
von D. J. Molles,
New York Times-Bestsellerautor vonUnter Toten
Vertrauen.
Müsste man in die Wildnis hinaus und sich dafür einen Führer aussuchen, würde man sich einen wünschen, dem man vertrauen kann. Man möchte sicher sein, dass er das Wetter präzise zu deuten vermag, die richtigen Wege auswählt und einen von A nach B bringt, ohne dass man von Stromschnellen mitgerissen oder von Wölfen gefressen wird oder giftigen Efeu als Klopapier benutzt.
Ein neues Buch in die Hand zu nehmen, ist so ähnlich. Man muss dem Autor so vertrauen, wie man einem Führer vertrauen würde. Man will sicher sein, dass der Autor seine Versprechen hält, einen in eine verrückte, von ihm erschaffene Welt eintauchen lässt, von A nach B bringt, dabei unterhält und ein paar Wendungen einbaut, damit es interessant bleibt.
Nicholas Sansbury Smith ist als ein solcher Führer ein Vollprofi, ein Veteran. Und die Wildnis, in die man sich begibt? Das Universum des Extinction Cycle. Die Reisegefährten? Team Ghost. Die Wege, die du beschreiten wirst? Haha! Es gibt da draußen keine Wege, Freunde. Diesmal stoßen wir in unbekannte Gefilde vor.
Extinction Shadow ist eine brandneue Fortsetzung der Bestsellerreihe Extinction Cycle. Und obwohl dich Smith in unbekanntes Terrain mitnimmt, kannst du dir sicher sein, dass er weiß, was er tut. Die Reise mag haarsträubend sein, aber er wird dich (größtenteils) in einem Stück ans Ziel bringen.
Wenn du zu Extinction Shadow greifst und bereits ein Fan der ursprünglichen Reihe bist, dann kannst du dich auf deine Lieblingscharaktere freuen – vielleicht ein Gebet für sie sprechen und dich an die schöne Zeit erinnern, die du beim Mitverfolgen ihrer Abenteuer in der anderen Reihe hattest. Mit dieser Reihe stürzt du dich mitten hinein ins Geschehen – Gnade gibt es keine, und die Überlebenschancen sind gering.
Keine Sorge, falls du völlig neu im Universum des Extinction Cycle bist! Du musst kein Experte für die Welt der ursprünglichen Reihe sein. Vertrau einfach deinem erfahrenen Führer. Durch eine Kombination aus rasanter Handlung, militärischem Realismus und glaubwürdiger Wissenschaft – was die Sache nur noch eine Spur gruseliger macht – liefert Smith sowohl für alte als auch für neue Leser ab.
Vertrau also deinem altgedienten Führer und begib dich in die Wildnis von Extinction Shadow. Aber vergiss nicht, rundum Ausschau zu halten. Und achte in der Luft auf den Geruch von faulendem Obst …
Viel Glück da draußen.
D. J. Molles, New York Times-Bestsellerautor der Reihe Unter Toten
1
Das Knistern eines Lagerfeuers war ein vertrautes Geräusch im Außenposten Turkey River. Da mittlerweile der Herbst angebrochen war, würde es noch häufiger zu hören sein. Der Rauch sollte Insekten fernhalten, was jedoch nicht immer funktionierte.
Master Sergeant im Ruhestand Cedric Long schlug nach einer Stechmücke an der Höhle, die früher sein linkes Auge beherbergt hatte. Prompt verschmierte er das verfluchte Vieh auf seiner Wange. Es war bereits randvoll mit Blut gewesen. Die winzigen Vampire erinnerten ihn an die Monster jenseits der Mauern. Die Monster, die ihm während des Krieges das Auge genommen hatten.
Abartige.
Die Folge eines Fehlschlags einer chemischen Waffe. Die ehemaligen Menschen, die sich in perfekte Raubtiere verwandelt hatten, würden viel Schlimmeres anrichten als ein Schwarm blutrünstiger Moskitos, sollten sie es in den Außenposten schaffen.
Aber das würde nicht passieren.
Nicht an diesem Abend und auch nicht an einem anderen Tag, an dem Cedric Wache hielt.
Der Außenposten Turkey River zählte zu den sichersten Gemeinden der nunmehr Alliierte Staaten genannten Nation – dank der Männer, die vor Cedrics Ankunft hier gedient hatten. Durch seine Gegenwart war der Ort nur noch stärker geworden.
Das hatte ihm Commander Justin Bell gesagt, und Commander Bell war kein Lügner. Mittlerweile ging Bell auf die 40 zu, doch während des großen Krieges gegen die Ausrottung, der vor acht Jahren geendet hatte, war er ein junger Mann gewesen. Die Monster, die tief in den ehemaligen Vereinigten Staaten von Amerika lauerten, waren ihm alles andere als fremd.
Der Befehlshaber hatte gekämpft und geblutet, um für die Sicherheit dieses Außenpostens zu sorgen.
Cedric kniff in der Dunkelheit die Augen zusammen. Seit über drei Monaten hatte kein Angriff stattgefunden. Er wusste, dass die Abartigen immer noch in den Schatten hausten. Sorgen bereiteten ihm jedoch vor allem Menschen.
Banditen. Plünderer. Überläufer.
Wie man diese Leute auch nannte, sie wollten sich lieber etwas nehmen, das ihnen nicht gehörte, statt dafür zu arbeiten. Und die Bösartigsten unter ihnen hatten sich mit den Abartigen verbündet.
Viele Außenposten hatten weniger Glück als Turkey River, wo es durch das fruchtbare Land reichlich frische Nahrungsmittel und klares Wasser gab. Durch die reichen Vorräte wurde der Ort zur Zielscheibe – und zu einem politischen Brennpunkt.
Präsidentin Jan Ringgold war vor einer Woche mit Vizepräsident Dan Lemke vorbeigekommen. Da ihre zwei Amtszeiten fast vorüber waren, kandidierte Lemke als ihr Nachfolger. General im Ruhestand Mark Cornelius, Lemkes Gegner und Vorsitzender der Freiheitspartei, hatte sich für einen Besuch in einer Woche angekündigt.
Cedric saß an einem Picknicktisch in der Mitte des Gemeindegebiets und genoss ein spätes Abendessen aus Kartoffelbrei, Mais, Brot und Wasser aus dem angrenzenden Fluss, dem die Gemeinde ihren Namen verdankte.
Zwei Pick-ups parkten auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Ladeflächen quollen beinahe über vor geerntetem Mais von den umliegenden Feldern. Die Lebensmittel innerhalb der Mauern reichten locker aus, um die 300 auf dem Areal lebenden Menschen zu ernähren. Der Löwenanteil an Getreide, Mais und Bohnen, die sie produzierten, wurde per Bahn zu den fast 100 anderen Außenposten in den Alliierten Staaten befördert.
Cedric dachte an die Massenmigration aus den westlichen Staaten zu Orten wie Turkey River vor mehr als acht Jahren. Damals hatte sich die Regierung auf Konsolidierung sowie Schutz und Wiederaufbau der Agrarindustrie im Mittelwesten und der Produktionsbetriebe an der Ostküste konzentriert.
Mittlerweile lebte der größte Teil der Bevölkerung in Gemeinden wie Turkey River. An den anderen Tischen um ihn herum aßen still die Familien derer, die diese Migration mitgemacht hatten.
Cedric saß allein und genoss seine Mahlzeit. Die Einsamkeit störte ihn nicht. Allerdings war es nicht immer so gewesen. In seinem früheren Leben hatte er sich auf gemeinsame Mahlzeiten mit seiner Frau und seinen Söhnen gefreut. Sie gab es inzwischen nicht mehr. Nur noch ihn. Abgesehen davon hatten die meisten Kinder hier Angst vor ihm und flüsterten hinter seinem Rücken über den »Piraten« mit der Augenklappe.
Auch das störte ihn nicht. Er war selbst mal ein Kind gewesen und konnte sich gut vorstellen, wie seine eigenen Jungs reagiert hätten. Sie hätten ihn mit seiner vernarbten Haut und dem fehlenden Auge vielleicht für ein Monster gehalten. Tatsächlich jedoch waren sie mit dem Wissen gestorben, dass es weitaus schlimmere Monster gab als einen entstellten alten Mann.
Die meisten der Kinder unter acht Jahren im Außenposten Turkey River hatten das Glück, dass sie noch nie die Kreaturen sehen mussten, gegen die Cedric gekämpft hatte. Bestimmt hörten sie die Schüsse und die einsamen Schreie von sterbenden Abartigen. Aber sie waren noch nie einem der von Schorf überzogenen, mit Fängen bewehrten Geschöpfe von Angesicht zu Angesicht begegnet.
Im Gegensatz zu seinen Söhnen.
Cedric verdrängte die schmerzlichen Erinnerungen. Seine Aufgabe bestand nicht mehr darin, Vater und Ehemann zu sein. Er war nur ein einfacher Soldat, der die Menschen beschützte, die hier lebten, und die Lebensmittel, die sie ernteten. Zumindest gab ihm das einen Sinn im Leben.
Eine Glocke bimmelte, als der Mond höher in den Herbsthimmel stieg. Cedric verschlang den Rest seines Abendessens. Er holte einen Flachmann aus seiner Schutzweste hervor und spülte es mit einem Schluck Whiskey hinunter.
Der Alkohol wärmte seine Eingeweide. Satt und entspannt stand er auf. Er griff sich seinen M4A1-Karabiner und trat mit einem halben Dutzend anderer Männer den Weg zur nächtlichen Patrouille an. Das Team war nur ein Rädchen im Getriebe der Sicherheitsvorkehrungen des Außenpostens.
Zwei Soldaten bemannten die Kampfposition mit dem M240 vor dem Rathaus. Wachen liefen auf Flachdächern auf und ab, die Waffen vor der Brust, während sie die Blicke über den schlafenden Außenposten wandern ließen. Wohin Cedric auch sah, die Soldaten wirkten entspannt.
Es gab hier draußen nicht viel, was für Aufregung sorgte.
Die meisten Männer hatten außer kleineren Geplänkeln mit Plünderern seit Jahren keine Action mehr erlebt.
Verdammt, es war der beste Posten in Cedrics Laufbahn. Seitdem das Blutervirus zum ersten Mal um die Welt gerast war, hatte er verschiedenste Aufgabengebiete gehabt, von einem Kreuzfahrtschiff, das im ersten Jahr des Ausbruchs im Atlantik kreuzte, bis hin zum Sicherheitsdienst im Weißen Haus, das ins Greenbrier Hotel übersiedelt war.
Cedric hatte sogar Captain Reed Beckham, dessen Frau Dr. Kate Lovato Beckham und deren gemeinsamen Sohn Javier Riley bewacht, als der Junge noch ein Kleinkind war. Als Cedric das Rentenalter erreicht hatte, wurde er hierher versetzt.
»Turkey River ist eine moderne Ruhestandsgemeinde, mein Freund«, hatte Beckham gemeint und Cedric mit seiner Handprothese auf die Schulter geklopft. »Reichlich zu essen, gute Nachbarn und so friedlich, dass man sich am Nachmittag tatsächlich ein wohlverdientes Nickerchen genehmigen kann.«
Präsidentin Ringgold hatte Cedric sogar persönlich für seine Dienste gedankt. In der Woche darauf war er in einen Zug nach Nord-Iowa gestiegen.
Feld der Träume schien gar nicht so weit weg von der Wahrheit zu sein.
Cedric spielte mit dem Gedanken, seinen Flachmann erneut herauszuholen und sich einen zweiten Schluck Whiskey zu gönnen. Aber er war alt und klug genug, um zu wissen: Das Böse schlief nie. Die Abartigen mochten in letzter Zeit nicht angegriffen haben, aber jenseits der Mauern, der Wachtürme, der Stacheldrahtzäune, der Sensoren und der Minenfelder lauerten sie nach wie vor dort draußen.
Und warteten …
Cedric setzte den Marsch über den Hauptplatz und vorbei an den Häusern und Geschäften fort. Wie in den meisten Außenposten gab es auch in diesem alles vom Gemischtwarenladen bis hin zum Postamt mit Solarzellen, die man auf den meisten Dächern montiert hatte. Er ging an beiden Gebäuden vorbei und begab sich auf den Bürgersteig, um auf der schmalen Straße den Platz für einen Pick-up freizugeben.
Eine sechs Meter hohe Stahlmauer umgab die kreisförmig angelegte Gemeinde. Cedric verließ sie durch ein Tor, das zu einer Brücke über einen Bach führte. Auf der anderen Seite warteten sechs Soldaten. Zwei Deutsche Schäferhunde saßen auf den Hinterbeinen und konnten es kaum erwarten, mit den Nasen an die Arbeit zu gehen.
»Abend, Sarge«, grüßte ihn ein Private namens Malcom.
»Abend«, gab Cedric zurück.
Die Männer machten sich auf den Weg. Sie alle kannten den Ablauf. Das Alpha-Team ging nach rechts, das Bravo-Team nach links. Jedes nahm einen Hund mit. Cedric bildete eine Ausnahme. Commander Bell hatte ihm als einer Art Einzelkämpfer eine eigene Route gegeben. Er marschierte auf die nächste Verteidigungslinie zu, mehrere Stacheldrahtzäune.
Auf der anderen Seite erfasste das Mondlicht ein Meer von Mais und Sojabohnen, gepflanzt in der fruchtbaren Erde jenseits der Minenfelder.
Das Tor an der Straße war geschlossen, da die Erntearbeiten für diesen Tag beendet waren. Niemand durfte nach Einbruch der Dunkelheit nach draußen, es sei denn, Commander Bell erteilte den Befehl dazu.
Wachtürme ragten über die Zäune auf, und Cedric hob die Hand in Richtung der Männer in Turm 4. Die beiden Soldaten dort waren ungefähr so alt wie er damals, als er vor über 40 Jahren ursprünglich in die Armee eingetreten war. Beide zu jung, um im Krieg gegen die Monster gekämpft zu haben.
Die Chancen standen gut, dass keiner der beiden je auch nur annähernd einem Abartigen von Angesicht zu Angesicht begegnet war. Cedric hingegen hatte Narben, die von seinen Kämpfen zeugten, darunter die leere Augenhöhle.
Er lächelte, als er daran zurückdachte, wie er die Bestie tötete, die ihm das angetan hatte. Wer hätte gedacht, dass eine Leuchtfackel so viel Schaden anrichten konnte, wenn man sie an der richtigen Stelle platzierte?
»Seht ihr mit Infrarot etwas?«, rief Cedric zu den Wachen hinauf.
»Negativ, Sarge, nur Hirsche.«
»Ach du Scheiße, dann sollten wir vielleicht jagen gehen«, gab Cedric zurück. Es war lange her, dass sie einen Hirsch auch nur aus der Ferne gesehen hatten. Wie die Menschen waren auch die Tiere von den Abartigen beinahe ausgelöscht worden.
Cedric setzte den Marsch entlang der Umzäunung fort, suchte die Umgebung auf der Außenseite nach aufblitzenden Bewegungen ab und schnupperte in der Luft nach dem Geruch von faulendem Obst, den die Bestien verströmten.
Die Abartigen hatten eine rasante Evolution und Anpassung auf ihrer Seite. Epigenetische Veränderungen hatten diese Ausgeburten der Hölle in perfekte Raubtiere verwandelt – sie konnten ihre Haut tarnen und im Dunkeln sehen. Einige hatten sich in Europa in furchterregende Kreaturen verwandelt, von gigantischen Käfern bis hin zu monströsen, fleischfressenden Würmern.
Die meisten dieser Bestien waren mittlerweile bloß noch Staub. Nur die erste Generation der Abartigen hatte die Munition und die Biowaffen überlebt, die von der Regierung entwickelt worden waren, um sie zu töten.
Amerika befand sich auf dem Weg zurück zur Normalität. Auch einige europäische Länder erholten sich allmählich. Über Südamerika, Afrika und Asien wusste Cedric zwar nicht viel, aber die spärlichen Neuigkeiten, die es nach Turkey River schafften, erfüllten ihn mit der Hoffnung, dass die Menschheit mit der Zeit zu voller Blüte wiederauferstehen würde.
Cedric ging eine Stunde lang, bis seine Gelenke allmählich zu schmerzen anfingen und die Kälte des Abends letztlich durch seine Kleidungsschichten drang. Er ließ das Gewehr auf dem Riemen hängen und rieb die Handschuhe aneinander.
Dann marschierte er weiter, ignorierte die Schmerzen im Kreuz und die hartnäckige Arthritis in den Fingern. Es machte ihm nichts aus, den Ruhestand mit dem zu verbringen, was er am besten konnte. Allerdings fragte er sich, wie viele Jahre ihm noch blieben, bevor ihn Commander Bell in irgendeinen langweiligen Wachturm versetzte.
Das wird so bald nicht passieren.
Als die Wirkung des Whiskeys nachließ, kroch ihm die Kälte in die Füße. Seine Zehen wurden nach und nach taub. Er fand einen Sitzplatz auf einer Schaukel, die am soliden Ast einer Eiche hing, überaus beliebt bei den Kindern, die im Ort lebten.
Cedric setzte sich und wackelte mit den Zehen, um das Blut zum Zirkulieren zu bringen. Er holte sein Funkgerät heraus und kontaktierte die Teams Alpha und Bravo. Beide hatten keinerlei Feindkontakt gesichtet. Als Nächstes ersuchte er um Berichte von den Wachtürmen.
Alles klar, lauteten die Rückmeldungen.
Eine weitere ruhige Nacht im Außenposten Turkey River.
Cedric stand auf und nahm den Weg zu seiner nächsten Zwischenstation in Angriff. Die Scheunen mochte er bei seinen Rundgängen immer am meisten.
Ein Farmer namens Will schlief auf einem Stuhl vor dem Scheunentor. Der Kopf war auf eine Schulter gesunken. Cedric räusperte sich und weckte den Mann.
Will schoss hoch und hob abwehrend eine Hand. »Was … Was ist los?«
»Bleib locker«, beruhigte ihn Cedric. »Ich schau nur nach dem Rechten.«
Will sah sich um, dann schien er sich zu entspannen und setzte sich wieder.
»Weiß deine Frau, dass du hier draußen bist?«, fragte Cedric.
Ein schiefes Grinsen breitete sich über Wills Züge aus. »Sie ist der Grund, warum ich hier draußen bin.«
Cedric schmunzelte. »Bist du wieder in die Hundehütte verbannt?«
»Besser als die Scheune, oder?« Will stand auf und streckte sich.
Cedric verkniff sich ein Lachen.
In einer so kleinen Gemeinde wusste jeder über die Angelegenheiten des anderen Bescheid. Daher galt es als gemeinhin bekannt, dass Will und seine Frau seit Monaten auf Kriegsfuß standen.
Ein Tumult aus den Pferchen lenkte Cedric ab, und Will begleitete ihn auf dem Weg zum Vieh. Die Tiere drängten sich alle in die Ecken ihrer Gehege.
Will spuckte einen Pfropfen Kautabak auf den Lehmboden.
»Was zum Teufel hat die denn so aufgescheucht?«, fragte er.
Cedric holte sein Funkgerät heraus. »Alpha, Bravo, tut sich bei euch was?«
»Negativ.«
»Negativ.«
Sämtliche Wachtürme meldeten dasselbe. Nichts auf Infrarot, keine Bewegung durch die Nachtsichtgeräte. Cedric wusste, dass sich die Abartigen manchmal der Erkennung entziehen konnten. Aber sie konnten weder den Minen noch den Zäunen ausweichen. Ebenso wenig waren sie gegen Kugeln gefeit.
Cedric richtete das Gewehr auf die Getreidefelder hinter den Stallungen und bedeutete Will mit einer jähen Kinnbewegung, dass er in die Sicherheit des umzäunten Areals zurückkehren sollte.
»Geh nach Hause zu deiner Frau und verriegelt die Türen«, sagte er.
Will entfernte sich rückwärts von der Scheune, stolperte beinahe, drehte sich um und rannte los. Die meisten Männer hätten dasselbe getan, Cedric jedoch spannte die Kiefermuskulatur an und suchte die Felder nach Monstern ab.
Mondlicht erhellte die weißen Rotorblätter zweier gewaltiger Windturbinen, die sich in der Ferne drehten und den Außenposten mit Energie versorgten, indem sie Windenergie nutzbar machten.
Sein Funkgerät knisterte an der Weste, als er nach Feinden Ausschau hielt.
»Master Sergeant, was ist da draußen los?«, ertönte die barsche Stimme von Commander Bell.
»Bin mir nicht sicher, Sir. Irgendwas hat die Tiere verschreckt.«
»Kommen Sie zu mir auf die Brücke«, antwortete Bell.
Cedric fluchte.
So viel zu einer ruhigen Nacht.
Er lief zurück in Richtung der Brücke.
Als sich das Tor öffnete, kamen zehn weitere Männer und drei Hunde heraus. Von der Ostseite des Außenpostens ertönte das kehlige Gebell der anderen Deutschen Schäferhunde bei den Teams Alpha und Bravo. Eine Leuchtrakete schoss in den Himmel, explodierte über den Getreidefeldern und tauchte sie in einen roten Schein.
»Alle, die nicht in einem Wachturm sind, zurückziehen zur Brücke«, befahl Bell über Funk.
In den Türmen wurden Suchscheinwerfer eingeschaltet. Die Strahlen wanderten über die Felder, über denen die Leuchtrakete detoniert war. Die Stängel raschelten im Wind.
Bell, einen guten Kopf größer als fast jeder Mann auf der Brücke, trat vor die Gruppe hin. Alle fünf Hunde knurrten. Ihr Fell sträubte sich zu Borsten.
Cedric straffte den steifen Körper.
»Zeig dich, du verseuchter Mistkerl«, murmelte Bell.
Der Scheinwerfer von Turm 4 strich über das Feld. Cedrics Auge bewegte sich mit dem Licht. Der Wachmann hielt den Strahl plötzlich über einer Stelle des Maisfeldes an. Kurz darauf kehrten die Teams Alpha und Bravo mit ihren Hunden zurück.
»Commander, ich hab ’ne Wärmesignatur im Nordwesten, nahe dem Bereich, in dem ich vorhin einen Hirsch gesichtet hab«, ertönte die Stimme von Isaac in Turm 4. »Bin nicht sicher, was es ist.«
»Können Sie schießen?«, gab Bell zurück.
»Sir … ist ziemlich weit draußen.«
Bell kehrte zu den Männern auf der Brücke zurück. »Macht euch bereit. Ich will, dass ein Team mit Hunden rausgeht und nachsieht, sobald es tot ist«, sagte er. »Wenn’s ein Abartiger ist, lasst ihr ihn dort. Dann versuchen wir morgen früh herauszufinden, woher er gekommen ist.«
»Und wenn’s Wild ist?«, fragte Cedric.
»Dann kriegen wir ein feines Hirschsteak«, erwiderte Bell.
Bei der Äußerung schien sich die Stimmung der anderen Männer zu bessern.
»Geben Sie den Schuss ab, T4«, ordnete Bell über Funk an.
Ein Knall zerriss die Stille der Nacht.
Krähen stoben überall um das Gelände herum auf. Einen unheimlichen Moment lang bildete das Krächzen der Vögel das einzige Geräusch weit und breit.
»Ziel am Boden«, meldete Isaac über Funk.
»Guter Schuss, T4«, lobte Bell. Er ließ den Blick erneut über die ihn umstehenden Soldaten wandern. »Wer geht raus, um nachzusehen?«
Cedrics Hand schoss in die Höhe. »Ich gehe, Sir.«
»Wer noch?«, fragte Bell.
Die Männer mieden seinen Blick und sahen beschämt auf den Boden. Cedric konnte ihnen keinen Vorwurf daraus machen. Schon ein Abartiger genügte, um ein Team von Grünschnäbeln zu erledigen, und vermutlich fürchteten sie, dass sich da draußen mehr Bestien herumtreiben könnten.
»Malcom, Agan, Kelly, ihr begleitet Cedric. Nehmt zwei Hunde mit. Der Rest von euch zieht sich in die Anlage zurück«, ordnete Bell an.
Cedric führte die drei anderen Soldaten über die Brücke. Die Hunde zogen an den Leinen die Straße hinunter zum Haupttor. Sie blieben stehen, als sie den Wachturm erreichten, der das Minenfeld hinter dem Tor überblickte.
»Bist du sicher, dass du das Ziel erwischt hast?«, rief Cedric hinauf.
Isaacs Kopf tauchte oben auf. »Es rührte sich nicht, Sarge.«
Cedric blickte die Straße hinab, die durch die Maisfelder verlief. Ein Schauder ging durch seinen Körper. Er schrieb es der Kälte zu, sorgte sich jedoch, dass es Angst sein könnte.
»Weiter, Cedric«, befahl Bell. »Führen Sie Ihr Team raus und sehen Sie nach, was da los ist.«
»Ja, Sir«, erwiderte Cedric.
Sie entriegelten das Haupttor und schoben es auf.
Cedric führte das Team nach draußen und hörte, wie sich das Tor mit einem Klicken hinter ihnen schloss.
»T4, gib Bescheid, wenn sich die Wärmesignatur bewegt«, verlangte er über Funk.
»Verstanden«, meldete Isaac zurück.
»Gefechtsabstände, wachsam bleiben«, sagte Cedric. Dann trat er den Weg auf die Straße mit den Hunden an beiden Seiten an. Sie schnupperten am Boden und in der Luft, während ihre Schnauzen nach dem Gestank der verseuchten Bestien suchten, der an faulende Zitronen erinnerte.
Cedric hielt Ausschau nach Bewegung. Außer dem Wogen der Getreidestängel im Wind sah er nichts. Sie brauchten nur wenige Minuten zu dem Bereich, den der Scheinwerfer von Turm 4 erfasst hatte.
Das Team hielt vor der Reihe der Maispflanzen. Keiner der Hunde fletschte die Zähne oder knurrte.
Vielleicht wirklich bloß ein Hirsch, dachte Cedric. Er setzte das Gewehr an der Schulter an. Die anderen drei Soldaten folgten seinem Beispiel, richteten die Mündungen auf den Mais.
»Ich geh da nicht rein«, flüsterte Malcom.
Cedric spielte mit dem Gedanken, dem jungen Soldaten zu befehlen, sich zusammenzureißen und trotzdem reinzugehen. Stattdessen jedoch sagte er: »Dann bleib auf Position.« Er konnte kein verängstigtes Kind gebrauchen, das im Dunkeln hinter ihm Projektile abfeuerte.
Der böige Wind nahm zu, während sie dort standen. Er wehte heftig durch die Felder und drehte die Windturbinen schneller. Die Äste der Eichen in der Ferne schwankten und knarrten.
»Seht ihr das?«, fragte Kelly leise. Er zeigte auf die Spitzen der Stängel, die sich zu teilen schienen, als bewegte sich etwas zwischen ihnen hindurch.
»T4, hast du was auf Infrarot?«, fragte Cedric.
»Negativ.«
»Irgendetwas kommt da …«, sagte Kelly.
Cedric hob eine Hand. »Nicht schießen.«
Der Wind beruhigte sich, und die Maisstängel richteten sich auf.
»Ich geh rein«, kündigte Cedric an. »Agan, hast du den Mumm, mir zu folgen?«
Der große Mann nickte und betrat hinter Cedric das Feld. Sie ließen sich vom Scheinwerferlicht leiten. Die Stängel streiften kratzend ihre Haut am Hals und im Gesicht.
Durch die Lücken dazwischen sichtete Cedric etwas, das unter dem Schein des Lichts in Embryonalhaltung auf dem Boden lag.
Er richtete die Mündung seiner Waffe darauf und legte den Zeigefinger auf den Abzug.
Ein plötzliches Kreischen in der Ferne ließ ihn zusammenzucken.
»Da draußen ist noch einer«, flüsterte Agan.
Cedric bewegte sich auf die im Dreck liegende Gestalt zu. Seine Eingeweide krampften sich zusammen. Es handelte sich nicht um eine der Kreaturen – sondern um einen verdreckten Menschen. Blut hatte die Erde durchtränkt, aber der Mann schien noch am Leben zu sein, denn seine Rippen hoben und senkten sich langsam.
Agan ließ das Gewehr sinken.
Cedric setzte dazu an, über Funk Meldung zu erstatten. Ein weiteres schrilles Geheul hallte durch die Nacht.
Der Ruf eines Monsters.
»Hilf mir mit ihm«, sagte Cedric.
Gemeinsam trugen die beiden Soldaten den Verletzten zurück zur Straße, wo Malcom und Kelly mit den Hunden standen. Die Tiere kauerten dort mit dem Schwanz zwischen den Beinen.
»Reißt euch zusammen«, befahl Cedric den anderen Männern. »Da draußen ist nur eine dieser Kreaturen, und wir sind zu viert. Wenn ihr wegrennt, geht ihr drauf.«
»Scheiß drauf, das Risiko geh ich ein«, sagte Kelly.
Damit ließ er die Hundeleine los und machte sich aus dem Staub.
Aus dem Funkgerät drangen knisternd verwirrte Stimmen. Cedric ignorierte sie, als sie den Verwundeten vorsichtig hinlegten.
»Er ist schwer verletzt«, meinte Agan.
Ein weiteres Kreischen ertönte, diesmal aus der entgegengesetzten Richtung.
Da ließ sie auch Malcom im Stich und lief hinter Kelly her.
Die beiden zurückgebliebenen Hunde knurrten und bellten wild.
Schüsse knallten durch die Nacht. Aus dem Funkgerät dröhnten explosionsartig panische Stimmen.
»Agan, gib uns Rückendeckung«, sagte Cedric.
»Okay, Sarge.«
Cedric bückte sich und drehte den Mann vorsichtig um. Blut bedeckte seine Seite. Die Kugel hatte ihn knapp unter den Rippen getroffen. Der Unbekannte war jung, vielleicht Mitte 30 – Schlamm verkrustete seine Züge dermaßen, dass es sich schwer abschätzen ließ.
Cedric wusste, dass sie ihn nicht zurücktragen konnten. Aber er würde ihn auch nicht hierlassen. Sie mussten ihn auf die Beine hieven und bewegen.
Er schlug dem Mann mit einer behandschuhten Hand auf die Wange und versuchte ihn zu Bewusstsein zu bringen. Der Unbekannte zuckte vor Schmerz zusammen und atmete schwer.
»Du musst aufstehen«, sagte Cedric. Er presste eine Hand auf die Wunde und schaute zu Agan hoch.
»Du gibst uns auf dem Weg zurück zum Tor Deckung«, ordnete er an.
Agan nickte sofort.
Als Cedric dem Verwundeten auf die Beine helfen wollte, packte der Mann sein Handgelenk und drückte fest zu. Seine Augen wurden groß, als hätte ihn Wahnsinn umfangen.
»Es ist zu spät …«, murmelte er. »Ihr könnt nicht dorthin zurück …«
Weitere Schüsse fielen, und das Kreischen eines zweiten Abartigen ertönte.
Dann setzten die Schreie ein.
Cedric warf einen Blick über die Schulter zum Tor, wo Malcom und Kelly immer noch darauf warteten, wieder hineingelassen zu werden. In der Ferne detonierte eine Landmine. Die Explosion dröhnte wie die einer Granate.
Als Cedric zurück zu den beiden Soldaten am Tor schaute, waren sie verschwunden. Schatten rasten mit ihnen ins Feld. Ein menschlicher Schmerzensschrei erhob sich wie das Geheul des Windes.
Agan bewegte sich rückwärts. »Sarge«, flüsterte er.
Zwei Abartige kletterten an Turm 4 hinauf. Sie griffen aus entgegengesetzten Richtungen hinein und überraschten Isaac und den anderen Wachmann.
Die Bestien rissen die Soldaten heraus und warfen sie ins Minenfeld auf der anderen Seite des Zauns. Ein weiterer dumpfer Knall ertönte, als die beiden Männer in Stücke gesprengt wurden.
Die Bestien kletterten höher auf den Turm, bevor sie sich auf der Spitze hinkauerten. Dünne Haare wehten auf der bleichen Haut der Kreatur auf der linken Seite. Der Form der nackten Brust nach handelte es sich um ein Weibchen. Das Männchen auf der anderen Seite legte den Kopf in den Nacken und stimmte Geheul an.
Mehrere andere Abartige antworteten auf den Ruf.
»Wir müssen weg«, murmelte der Verwundete.
Cedric befreite sich aus dessen Griff und richtete sich auf. Im Inneren der Anlage kletterten Dutzende Monster auf die Dächer.
»W-wie …«, stammelte er. »Wie haben Sie es nach drinnen geschafft?«
»Ich bin von draußen gekommen … um zu warnen …« Der Verletzte zeigte in die entgegengesetzte Richtung des Außenpostens. »Ich wollte euch warnen«, wimmerte der Mann.
Cedric zögerte, während er versuchte, die Lage zu verarbeiten. Der Mann musste einer der Siedler sein, die versuchten, sich unabhängig von den Außenposten durchzuschlagen.
»Sarge, was machen wir?« Agans Stimme kippte vor Angst.
Die beiden Schäferhunde nahmen Reißaus und liefen in die Felder, so schnell sie konnten.
Von Grauen zeugende Schreie erfüllten die Nacht. Cedric malte sich aus, wie die Ungeheuer durch den Außenposten wüteten und die Menschen im Inneren der Anlage verschlangen.
»Sarge«, drängte Agan. »Was sollen wir tun?«
Zum ersten Mal in seiner Laufbahn tat Cedric, wofür er andere Männer immer verurteilt hatte. Er wandte sich vom Kampfgeschehen ab und folgte den Hunden in die Dunkelheit.
2
Im Morgengrauen spazierte Kate Lovato die Küste von Peaks Island in der Casco Bay in Maine entlang. Dieselbe Routine wie fast jeden Morgen. Das bescheidene Haus, das sie mit ihrem Ehemann Reed Beckham und ihrem achtjährigen Sohn bewohnte, lag nur 150 Meter vom Wasser entfernt – nahe genug, dass Beckham nichts gegen ihre morgendlichen Ausflüge einzuwenden hatte.
Als sie mit der Gewohnheit angefangen hatte, zum Wasser zu gehen, war er nicht begeistert davon gewesen. Ihr Leben vor Peaks Island war voll von Bedrohungen gewesen, und Beckham war in all den Jahren immer auf der Hut geblieben. Aber sie vertrauten einander, und es würde schon eines Wunders bedürfen, damit es einem Abartigen gelänge, die sicheren Barrieren der Insel zu überwinden.
Peaks Island lag mitten in einer sicheren Zone, umgeben von fortschrittlichen Sensoren, Soldaten, Matrosen und Freunden. Für den Fall, dass wirklich etwas passierte, bildete ein unterirdischer, versteckter Bunker im Gesundheitszentrum der Gemeinde, das gleichzeitig Kates Labor beherbergte, eine letzte Verteidigungslinie.
Sie ließ sich auf einer Bank nieder, um den orangefarbenen Sonnenaufgang am Horizont auf sich wirken zu lassen. Während sie einen Schluck aus ihrer dampfenden Tasse trank, schwelgte sie in diesem kleinen Vergnügen. Die vergangenen acht Jahre waren extrem schwierig gewesen. Aber trotz aller Widrigkeiten hatten sie begonnen, sich zu erholen und Basisgüter wie Kaffee zurückzugewinnen, der in Florida angebaut wurde. Schmeckte zwar nicht so gut wie die Bohnen aus Südamerika und Afrika, die Kate vor dem Krieg genossen hatte, aber unbestreitbar besser als nichts.
Dennoch erinnerte sie das Leben auf einer Insel ständig an Plum Island. Die geheimen Regierungslabors dort hatten den Ausgangspunkt für die von ihr mitentwickelte Biowaffe gebildet. Am Ende hatte die Waffe nicht nur Milliarden von infizierten Menschen getötet – sie hatte auch die Abartigen erschaffen.
Sie haben getan, was Sie tun mussten, Kate. Um uns zu retten – um die Menschheit vor dem Aussterben zu bewahren, hatte Präsidentin Jan Ringgold ihr vor über sieben Jahren vor Augen gehalten.
Die Schuldgefühle darüber, was ihre Forschung hervorgebracht hatte, nagten trotzdem immer noch an Kate.
Die meisten Länder kämpften sich nach dem Ende des Krieges mühsam aus völliger Anarchie. Sogar in den Alliierten Staaten flohen immer noch Menschen vor Armut, Hunger und Gewalt. Peaks Island und der Außenposten Portland nahmen nach wie vor fast täglich Flüchtlinge auf.
»Guten Morgen«, ertönte eine Stimme.
Sie drehte sich um und lächelte, als sie Beckham auf sich zukommen sah. Er trug ein graues Sweatshirt aus Armeebeständen und eine Tarnhose. Beckham hob die Prothesenhand, strich sich das dichte, lange Haar hinter ein Ohr zurück und nahm neben ihr Platz.
Diese Hand erinnerte daran, was Beckham vor über acht Jahren bei einem Säureangriff durch einen Abartigen neben einem Teil seines Beins verloren hatte. Aber trotz der künstlichen Teile seines Körpers war der Mann hinter den Prothesen noch genauso stark wie damals. Wahrscheinlich sogar noch stärker.
»Kaffee?«, fragte sie und bot ihm ihren an.
»Gern.«
Er trank einen Schluck und richtete den Blick aufs Wasser. Auf dem rechten Auge war er praktisch blind, hatte jedoch leichte Verbesserungen dank der Steroide und des pharmazeutischen Cocktails erzielt, den sie in ihrem Labor auf der Insel zusammengebraut hatte.
»Du bist früh auf«, stellte Kate fest.
»Mir geht ’ne Menge durch den Kopf.«
»Das Treffen mit Präsidentin Ringgold?« Kate rutschte dicht zu ihm, fühlte seine Wärme. »Hat sie dir gesagt, warum sie persönlich mit dir reden will?«
»Nein, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass es politische Gründe hat. Egal wie oft ich ihr sage, dass ich dafür nicht geschaffen bin, sie ermutigt mich immer wieder, noch mal darüber nachzudenken.« Beckham trank einen weiteren Schluck. »Ich glaube, sie will, dass ich gegen Senator McComb antrete.«
Kate zog die Augenbrauen zusammen. »Aber McComb ist doch ein Unterstützer von Ringgold, oder?«
»Anscheinend nicht so sehr, wie sie es gern hätte. Oder er unterstützt die Kandidatur von Vizepräsident Lemke für die Präsidentschaft nicht.«
»Mich überrascht, dass man dich nicht als Lemkes Kandidat für die Vizepräsidentschaft vorgeschlagen hat«, meinte Kate und scherzte damit nur halb. Das Verfahren hatte sich geändert. Mittlerweile wurde der Vizepräsident erst nach der Wahl ausgewählt.
Beckham erwiderte nichts, war eindeutig tief in Gedanken versunken. Kate legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Du hast genug für dein Land getan, Reed. Es ist nicht nötig, eine zweite Karriere in der Politik zu starten«, sagte sie.
So egoistisch es sein mochte, Kate war aufrichtig davon überzeugt. Allerdings hatte sie einen besonderen Mann, und sie wusste, dass vielleicht eine Zeit kommen könnte, in der er woanders als auf der Insel gebraucht würde.
»Was beunruhigt dich sonst noch?«, fragte sie, da sie spürte, dass ihm noch etwas auf dem Herzen lag.
»An den Grenzen ist die Lage ruhig … zu ruhig.«
»Ruhig ist gut. Das bedeutet, dass die Abartigen allmählich sterben. Wir können in Frieden leben und uns auf den Wiederaufbau konzentrieren.«
»Mir macht die Ruhe eher Angst«, entgegnete Beckham. »Im Krieg bedeutet das in der Regel, dass der Feind etwas plant. Aber ich bin nicht nur wegen der Abartigen besorgt … Da die Wahlen bevorstehen, bereitet mir auch Kopfzerbrechen, was nach dem Ausscheiden von Präsidentin Ringgold aus dem Amt geschieht.«
Er trank einen weiteren Schluck und hielt inne, um nachzudenken. »Ihr Vermächtnis und unser Land sind in Gefahr, wenn die Freiheitspartei die Macht übernimmt.«
»Wird sie nicht«, meinte Kate zuversichtlich.
Beckham gab ihr den Kaffeebecher zurück und stand auf. Seine Beinprothese knarrte dabei. »Ich würde da nicht so optimistisch sein. Laut den jüngsten Umfragen liegt General Cornelius um fast vier Punkte vor Vizepräsident Lemke.«
»In Umfragen gibt es immer Spielraum für Fehler«, sagte Kate. »Und der Vorsprung liegt deutlich innerhalb der Fehlertoleranz.«
»Na ja, es gibt noch andere Anzeichen dafür, dass es für die Neue Koalition Amerikas nicht gut aussieht.«
»Ich weiß«, räumte sie ein. »Vizepräsident Lemke hat fast so viele Feinde wie Präsidentin Ringgold. Vielleicht sogar mehr.«
Was Kate nicht überraschte, wenn man bedachte, dass der ehemalige Admiral der Marineflotte vor acht Jahren dabei geholfen hatte, das Land vom Widerstand gegen Tyrannei, kurz WGT, zurückzuerobern.
»Das größte Problem scheinen die Städte an der Grenze zu sein«, sagte Beckham. »Die Freiheitspartei schlägt die Einberufung aller Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren vor. Immer mehr Menschen sind der Meinung, wir sollten versuchen, uns die Städte zurückzuholen, statt den Abartigen zu überlassen, was einst uns gehört hat.«
Kate widerstrebte der Gedanke, noch mehr junge Männer und Frauen hinaus in den Fleischwolf zu schicken. Diejenigen, die inzwischen nach und nach volljährig wurden, waren während des Krieges noch Kinder gewesen. Sogar Parker Horns Töchter Tasha und Jenny hatten fast schon das diensttaugliche Alter erreicht. Der Sohn des ehemaligen Polizisten Jake Temper, Timothy, und der Sohn von Donna Tufo, Bo, könnten dem Militär bereits beitreten.
Ein Schauder durchlief Kate bei der Vorstellung, einer von ihnen könnte an die Front geschickt werden.
Eine Weile verfiel sie mit Beckham in Schweigen, während sie über die Auswirkungen der nur drei Monate entfernten Wahl nachdachte. Die Gebiete außerhalb der Sicherheitszonen hatte man nach dem großen Krieg aufgegeben und der Natur überlassen, während die Abartigen allmählich ausstarben. Einige menschliche Überlebende schlugen sich in den gesetzlosen Zonen durch. Sie zogen es vor, auf sich allein gestellt zu sein, statt in den Außenposten und Städten zu leben.
Wenn es nach dem Willen der Freiheitspartei ginge, würden diese Menschen gezwungen werden, die Grenzgebiete zu verlassen. Man würde die Städte ins Nirwana bomben und die jungen Menschen in den Kampf entsenden, wo sie wie in jedem anderen Krieg den Tod finden würden.
Aber die Menschheit stand immer noch am Abgrund, und die Nachkriegsgeneration, zu der Tasha, Jenny, Bo und Timothy gehörten, durfte nicht verschwendet werden.
Deshalb hatte Präsidentin Ringgold eine maßvollere Herangehensweise gewählt, indem sie Team Ghost und andere erfahrene Teams entsandte, um jegliche Abartigen auszuschalten, die eine Bedrohung für die Außenposten darstellten.
Fitz ist gerade da draußen, dachte Kate. Und tut das, was er am besten kann – Abartige jagen.
Beckham brach das Schweigen zwischen ihnen.
»Die Freiheitspartei gewinnt an Unterstützung, vor allem bei den Wählern in den Außenposten, die von Abartigen angegriffen werden«, sagte er. »Die Menschen haben Angst.«
»Sie sollten eher Angst vor Cornelius und der Freiheitspartei haben. Meiner Meinung nach ist sie im Wesentlichen ein getarnter WGT. Die Leute vergessen wohl, dass uns der WGT fast Kopf und Kragen gekostet hätte.«
»Ich würde sie nicht unbedingt mit dem WGT vergleichen, aber ich weiß schon, was du meinst. Manche Dinge ändern sich nie, was?« Beckham schmunzelte. »Ich glaube, die Politik wird die Menschheit noch überleben. Die Leute werden noch in den Gräbern miteinander streiten. Dagegen lässt sich nichts unternehmen.«
Wieder wischte er sich das Haar zurück.
»Richtig. Aber wir können etwas gegen die langen Haare unternehmen.« Sie grinste.
»Irgendwie gefallen sie mir so, um ehrlich zu sein.«
Kate küsste ihn auf die Wange. »Was immer du willst, Liebster. Aber ich sehe das genauso: vorerst keine Politik. Okay?«
»Überhaupt nie Politik, wenn’s nach mir geht.«
Sie beobachteten noch einige Minuten lang den Sonnenaufgang, bevor sie zu ihrem Haus zurückkehrten. Jake, der ehemalige New Yorker Polizist, schloss gerade die Tür seines Hauses und verabschiedete sich von seinem Sohn Timothy.
»Morgen, Jake«, rief Beckham hinüber.
»Guten Morgen!«, rief Jake zurück. Dann trat er den Weg zu seinem Posten auf dem Wachturm in der Nähe der Fähre an. Das Schiff wartete darauf, die Arbeiter am frühen Morgen in die lediglich fünf Kilometer entfernte Stadt Portland zu bringen.
Kate gefiel, dass sie die Insel nur selten verlassen musste. Sie unterrichtete hier an der Schule und betrieb ihr kleines Labor. Aufs Festland musste sie nur für Einkäufe oder zu Versammlungen im Rathaus.
Das Leben war gut.
Besser als seit Langem, wenngleich es überall noch schmerzhafte Erinnerungen an die alte Welt gab. Beckham blieb an einem Baum stehen, der für ein grünes Blätterdach über ihrem Garten sorgte. Er kniete sich ans Grab seines besten vierbeinigen Freundes.
»Er fehlt mir«, sagte der Veteran.
Kate legte ihm eine Hand auf den Rücken. »Apollo hatte ein gutes, langes Leben.«
Beckham nickte. »Er war ein treuer Hund. Der beste.«
»Ja, das war er.«
Beckham hob die Hand und wischte sich eine Träne aus dem Auge. Apollo war erst vor wenigen Monaten an Altersschwäche gestorben. Sie waren nicht sicher, wie alt er gewesen war, als er die Regenbogenbrücke überquerte, aber er entschlief friedlich, umgeben von Freunden und der Familie. Nun lag er neben der einzigen Hündin begraben, die er je geliebt hatte, einem freiheitsliebenden Weibchen, das er kennengelernt hatte, als sie hierhergezogen waren.
Kate legte einen Arm um Beckham, und zusammen gingen sie um das Haus herum in den Vorgarten. Eine Stimme rief ihnen von der anderen Straßenseite zu. Parker Horn, der nur eine Jogginghose trug, hob einen tätowierten Arm und winkte von seiner offenen Haustür.
Man erlebte selten, dass er so früh aufstand, aber Kate sah, was ihn nach draußen geführt hatte. Der große Kerl rauchte eine selbst gedrehte Zigarette, während Apollos Tochter und Sohn bellend aus Horns Haus kamen.
Ginger und Spark huschten über die Straße und steuerten auf Beckham und Kate zu. Die vierjährigen Schäfermischlinge gehörten Horns Töchtern Tasha und Jenny.
Beckham grinste, als er sich hinkniete, um mit den Hunden zu spielen. Es war schön, ihn so glücklich zu sehen. Kate hätte gern auch so empfunden, aber ihr Bauchgefühl ließ es nicht zu.
Irgendetwas veränderte sich an den Grenzen, und es lag nicht nur an den schemenhaft wahrgenommenen Abartigen. Da die zweite Amtszeit von Präsidentin Ringgold in wenigen Monaten enden würde, sah sich das Land mit der Ungewissheit einer neuen Führung konfrontiert.
Die Menschheit war der Ausrottung einmal knapp entgangen. Diesmal ließ sich nicht mit Sicherheit sagen, ob sie dem Schicksal erneut ein Schnippchen schlagen könnte, wenn sich die Wähler für Cornelius und seinen Weg zurück in den Krieg entschieden.
Master Sergeant Joe »Fitz« Fitzpatrick stand auf einem Hügel, der Ellicott City überblickte. Ulmen und Hornsträucher schillerten in spätherbstlichen Farben. Seine Laufprothesen aus Carbonfaser knarrten kaum hörbar, als er das Gewicht verlagerte, um sich für einen umfassenderen Blick zu drehen.
Es fiel ihm schwer zu glauben, dass er seine Beine aus Fleisch und Blut vor so langer Zeit im Irak verloren hatte – lange bevor der Albtraum der Abartigen über den Planeten hergefallen war.
Mittlerweile fühlten sich die Prothesen für ihn so natürlich an wie früher seine Muskeln und Nerven. Vielleicht sogar noch besser. Zumindest gut genug, um ihn bei Bedarf rasant in Richtung des Feindes zu befördern.
Irgendwo da draußen in den Schatten versteckte sich ein Alpha-Abartiger mit seiner Brut. Team Ghost hatte den Auftrag, ihn zu jagen und die drei Menschen zu finden, die von den Bestien aus dem knapp mehr als 30 Kilometer entfernten Außenposten Patapsco Valley entführt worden waren.
Es stand zu befürchten, dass die drei längst tot waren. Aber Team Ghost würde sie nicht aufgeben, bis sie gefunden wären. In den vergangenen acht Jahren hatten sie immer wieder Missionen in den Grenzgebieten und gesetzlosen Zonen durchgeführt, immer mit demselben Ziel: Abartige aufzuspüren und auszuschalten und von diesen Bestien verschleppte Menschen zu retten.
Ein loses Holzbrett an der Kirche neben ihm klapperte. Weiße Farbsplitter flogen wie Staub in einem Windstoß davon, der raschelnd an seiner Uniform zerrte.
»Apollo wäre begeistert von einem Tag wie diesem gewesen«, sagte Fitz.
Der Hund hatte sich vor einigen Jahren aus dem Einsatzgeschehen zurückgezogen, um seinen Lebensabend bei Beckham und Kate zu verbringen. Fitz hatte mit dem Gedanken gespielt, um Ginger oder Spark als Teammitglieder zu ersuchen. Aber ihnen war ein Leben als Haustier vorherbestimmt, nicht als Krieger. Außerdem hatten sich die Mädchen auf Anhieb in die beiden verliebt.
Schritte knirschten über den Kies, und Sergeant First Class Jeni Rico schloss sich Fitz an seinem Aussichtspunkt an. Sie lächelte, während sie Kaugummi kaute. Rosa Haarsträhnen lugten unter dem Rand ihres Helms hervor und wehten im Wind. Rico fand immer einen Weg, die Dinge sowohl im übertragenen Sinn als auch buchstäblich bunter zu gestalten.
Nachdem sie schon zuvor zusammen gekämpft hatten, waren sie seit acht Jahren auch ein Liebespaar. Bei all den Kämpfen, all dem Kummer und den Verlusten hatten sie in ihrer Beziehung eine Art Ausgleich gefunden.
Allerdings sorgte sich Fitz jedes Mal, wenn sie hierherkamen, er könnte sie verlieren. Verluste kannte er nur allzu gut. Sie verfolgten ihn. Seine Brüder waren ihm durch Beschuss aus den eigenen Reihen in einem Krieg lange vor dem gegen die Abartigen genommen worden. Seine Eltern waren bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen.
Im Verlauf der Jahre hatte er im Krieg gegen die Abartigen mehr Brüder und Schwestern verloren, als er zählen wollte. Jedes Mal wenn er daran dachte, dass Rico im Kampf fallen könnte, spürte er einen schmerzhaften Stich im Herzen.
Fitz hatte im Leben schon oft am Abgrund gestanden, vor allem zu der Zeit, als Beckham ihn in Fort Bragg gefunden hatte. Der Mann hatte ihn gerettet, indem er ihm eine Waffe und eine Aufgabe gegeben hatte. Von Rico hatte er sogar noch mehr erhalten.
An ihrer Seite verspürte er tatsächlich Optimismus – den Optimismus, dass es etwas gab, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Sie hatte ihm beigebracht, nach einer besseren Zukunft zu streben, für den Rest der Welt und für sie beide.
Durch ihre gemeinsame Zeit konnte sie außerdem in ihm lesen wie in einem offenen Buch.
»Was ist los, Fitzie?«, fragte sie.
»Ich denke bloß gerade an Apollo.«
Rico schaute zum See und schmunzelte. »Weißt du noch, wie er uns mit dreckigem Wasser vollgespritzt hat, als er nach seinem letzten Einsatz in einen Sumpf gesprungen ist?«
»O ja«, sagte Fitz.
»Zumindest ruht er jetzt dort, wo Beckham und Kate sind«, meinte Sergeant Yas Dohi in seinem stoischen Tonfall. Der Navajo-Krieger strich über seinen grauen Kinnbart, den er wesentlich länger als früher beim Militär vorgeschrieben trug.
»Er hat sich seine lange Ruhe definitiv verdient, und ich bin froh, dass er seine goldenen Jahre an einem monsterfreien Ort genießen konnte«, meinte Rico.
Fitz nickte zustimmend. »Bin ich auch. Er war ein guter Junge.«
Der Hund hatte reichlich Monster gejagt, trotzdem trieben sich noch immer genug Bestien an Orten wie diesem herum – in apokalyptischen Landschaften, in denen bei jedem Schritt Gefahr drohte.
Telefonmasten standen schief, dazwischen hingen die Leitungen herab ins schlammige braune Wasser, das durch die Straßen floss. Ziegelsteinhäuser wiesen Fensterrahmen mit Glasscherben auf, die wie die gezackten Zähne von Abartigen anmuteten.
Fitz konnte sich noch daran erinnern, dass hier einst eine malerische Innenstadt existiert hatte. Perfekt für einen Tagesausflug, um die Antiquitätenläden und Boutiquen zu durchstöbern, bevor man eine Pause bei einem Bier und einem Sandwich in der Brauerei einlegte.
Wäre ein toller Ort gewesen, um Rico zu einem Date auszuführen, dachte er.
»Das ist also Ellicott City, was?«, sagte Specialist Justin Mendez und stellte sich neben Fitz.
Mendez’ dichte schwarze Brauen wölbten sich wie Raupen. Er verstummte einen Atemzug lang.
»Heilige Scheiße«, entfuhr es ihm, als er sich ein Zielfernrohr ans Auge hob.
Fitz gab Team Ghost das Zeichen, sich zu ducken.
»Feindkontakt?«, fragte Fitz.
Mendez senkte das Gewehr. »Nein, Mann, ein 69er Mustang GT«, murmelte er. »Ist ’ne verdammte Schande, ein solches Prachtstück von einem Auto verrostet zu sehen.«
»Herrgott noch mal, Mann, du hast mir ’nen Mordsschrecken eingejagt«, klagte Rico und richtete sich wieder auf.
»Ich hatte mal so ’nen Wagen«, verriet Corporal Bobby Ace.
»Im Ernst?«, fragte Mendez.
Ace nickte. »Eigentlich ’nen 67er Camaro. Ist aber im Grunde dasselbe.«
»Ist es gar nicht, Alter.« Mendez schüttelte den Kopf und starrte Ace an.
Ace lachte, ein tiefes Rumoren, das aus seinem mächtigen Bauch aufstieg. Am Kinn trug er einen zottigen weißen Bart, geformt wie die Machete, die an seinem Gürtel hing. Runzeln bildeten Schluchten kreuz und quer über seine ledrige Haut.
Manchmal verblüffte Fitz, dass der Kerl mit den anderen mithalten konnte. Sein Alter und sein Gewicht hätten früher verhindert, dass er überhaupt für Delta Force infrage gekommen wäre. Heutzutage jedoch waren Männer mit seiner Kampferfahrung eine Seltenheit.
Team Ghost konnte sich glücklich schätzen, ihn zu haben.
Ace war ein Künstler mit seiner umgebauten Mossberg 500 Schrotflinte mit Magazinzuführung und besaß genau den Killerinstinkt, nach dem Fitz gesucht hatte. Er hatte den Corporal als Ersatz für Männer ausgewählt, die er bei einem Hinterhalt durch einen Alpha verloren hatte.
Männer wie Staff Sergeant Blake Tanaka und Sergeant Hugh Stevenson.
Fitz schüttelte die Erinnerung ab und konzentrierte sich auf das letzte Mitglied von Team Ghost. Specialist Will Lincoln hielt ein Sturmgewehr M4A1 quer vor der Brust. Er richtete Augen so dunkel wie seine Haut auf Fitz. Der dünne junge Mann war ungefähr zur selben Zeit wie Ace zum Team gestoßen.
Was ihm an Muskeln fehlte, machte er durch einen Verstand wett, der so schnell und scharf wie die Klauen eines Abartigen war. Außerdem sorgte er in düsteren Augenblicken für humorvolle Auflockerung und Musik.
»Ihr Mädels und eure Karren«, brummelte er.
»Mädels?«, hakte Mendez nach und zog eine Braue hoch.
»Ich verarsch euch bloß, Bruder«, sagte Lincoln. »Also, seid ihr bereit, mit der Jagd loszulegen, oder was?«
»Trinkt ein bisschen Wasser, wir brechen bald auf«, sagte Fitz.
Er ließ den Blick erneut über die Stadt wandern und war froh, dass man sie hierher statt nach Baltimore geschickt hatte. Im Vergleich zu der größeren Stadt war Ellicott City trotz der Überschwemmungen in einem vernünftigen Zustand geblieben. Die Stadtzentren Amerikas glichen überwiegend verfallenden Ödlandschaften, zerstört durch den Versuch, die Abartigen aus dem Land zu drängen, vor allem an der Westküste.
Die meisten ihrer Missionen fanden an Orten im Mittelwesten und an der Ostküste statt, da der westliche Teil des Landes als fast vollständig verheert und verlassen galt.
Die Menschen gaben viele der großen Städte auf und überließen sie den jagenden Ungeheuern, die immer noch ständig nach frischem Eiweiß suchten. Team Ghost war das Gerücht zu Ohren gekommen, dass die Freiheitspartei noch mehr von dem zerstören wollte, was übrig war, auch Orte wie diesen, wo die Abartigen nach wie vor eine Bedrohung darstellten.
Fitz mochte Soldat sein, trotzdem hatte er durchaus eine eigene Meinung, die er Beckham bei ihrem letzten Gespräch mitgeteilt hatte. Ähnlich wie früher die Nationalparks mussten auch Orte wie dieser geschützt werden.
Er atmete tief durch, bevor er den Befehl erteilte.
Gib einfach alles, was du hast, dachte Fitz.
»Dohi, du übernimmst die Spitze. Ace, du bildest die Nachhut«, ordnete Fitz an. »Wachsam bleiben, Team Ghost.«
Das entsprach der üblichen Anordnung, denn Dohi war der beste Fährtenleser der Truppe, während Ace noch nie zugelassen hatte, dass sich jemand oder etwas von hinten an sie anpirschte.
Das Team brach auf – mittlerweile hoch konzentriert, da sie in das Gebiet der Abartigen vorrückten. Die Sonne stand noch hoch am Himmel, während sie sich tief geduckt und in der Nähe von Deckung vorwärtsbewegten, die Waffen an den Schultern angesetzt, die Blicke nach Feindkontakt suchend.
Langsam watete Dohi mit gespitzten Ohren und aufmerksamen Augen durch das knöchelhohe Wasser. Fitz blieb hinter ihm, achtete in den Räumlichkeiten von Geschäften und an jedem Fenster auf Anzeichen von Feindkontakt. Tief im nächsten Geschäft sah er, wie Modeschmuck um den Hals einer Schaufensterpuppe das Sonnenlicht reflektierte.
»Verdammt«, fluchte Rico leise. »Im ersten Moment dachte ich, das wäre ein Mensch.«
»Nein. Aber das da war mal einer«, sagte Lincoln. Er hob das Gewehr und zielte auf die Stelle, die auf der anderen Straßenseite sein Interesse geweckt hatte. Die untere Hälfte eines menschlichen Skeletts hing aus einem Fenster. Schimmelpilze kletterten von der überfluteten Straße nach oben, als wollten sie die Überreste erreichen.
Fitz bedeutete dem Team, sich den Kadaver näher anzusehen. Als sie unter das Fenster im ersten Stock gelangten, stellte er fest, dass jegliches Fleisch vollständig verschwunden war. Zahnabdrücke zeichneten sich auf den trockenen Knochen ab. Einige der Knochen waren wie Zweige geknickt, und das Mark war aus ihnen gesaugt worden.
»Schätze, damit wissen wir, dass wir hier richtig sind«, meinte Rico nüchtern.
Fitz warf einen letzten Blick auf die skelettierten Überreste. Das war der schlimmste Teil beim Aufspüren von streunenden Abartigen. Team Ghost kam so gut wie immer zu spät, um noch jemandem zu helfen.
Aber sie würden die Ausgeburten der Hölle finden, die dafür verantwortlich zeichneten.
Nach den Berichten, die sie erhalten hatten, handelte es sich in diesem Fall um einen gerissenen Alpha. Schlauer als ein durchschnittliches Monster, wenn man bedachte, wie es ihm gelungen war, sich in den Außenposten Patapsco Valley und wieder hinaus zu schleichen, ohne dass ihn auch nur ein einziger der Wachleute ins Visier bekommen hätte.
Fitz gab Handzeichen, und das Team setzte den Weg zwischen den Ziegelsteingebäuden fort. Orangefarbene und braune Blätter flatterten über die Straße, landeten im Wasser und trieben in der leichten Strömung davon.
Der frische Herbstduft vermischte sich mit dem Geruch von Moder und Schimmel, der aus den Gebäuden drang. Aber Fitz nahm nicht den säuerlichen Mief von Abartigen wahr.
»Wir haben noch ’nen Dürren«, meldete Mendez. Er zeigte mit dem Gewehr auf eine zweite Leiche, die an einer Bank neben einem umgestürzten Mülleimer lehnte. Verwesende Fleischfetzen hingen von den Knochen.
»Sieht frisch aus«, meinte Dohi.
Die Worte entfachten einen weiteren Anflug von Beklommenheit in Fitz’ Eingeweiden.
Offenbar hatte der Alpha auch in anderen Gebieten gejagt.
Je eher sie ihn töteten, desto sicherer würde diese Gegend sein.
Das Team setzte die Erkundung der Straße fort. Sie näherten sich dem Ende der kleinen, historischen Innenstadt. Eine Eisenbahnbrücke verlief sechs Meter über der Straße. ELLICOTT CITY stand in kantigen weißen Blockbuchstaben darauf.
Ein Güterzug war auf der Brücke entgleist und auf die Straße gefallen. Die umgestürzten Waggons fungierten wie ein Damm. Wasser strömte dagegen und sickerte langsam zwischen den mit Graffiti beschmierten Wagen hindurch. Zerbrochene Kisten und Stahlfässer türmten sich um den Zug herum.
Nicht nur Graffiti bedeckten sie. Dunkle Flecken, bei denen es sich um Blut handeln musste, überzogen die Seiten wie eine makabre Bemalung.
»Wir müssen ziemlich nah sein«, merkte Fitz an. »Bleibt konzentriert.«
Sie verteilten sich in Gefechtsabständen und zwängten sich zwischen den Waggons hindurch. Als Fitz auf der anderen Seite herauskam, strömte Wasser um seine Prothesen in Richtung des Flusses. Vor ihnen erstreckte sich eine weitere Brücke, die früher dem Straßenverkehr gedient hatte.
»Hört ihr das?«, fragte Dohi.
Fitz hob eine Faust, um den Rest der Mannschaft anhalten zu lassen. Er spitzte die Ohren und lauschte, um zu hören, was Dohi bemerkt hatte. Zwischen den Windböen nahm er einen leisen Chor von etwas wahr, das klimpernd aneinanderstieß. Die Geräusche erinnerten ihn an ein Windspiel. Nur nicht aus Metall, es hörte sich beinahe wie Holz an.
»Was zum Teufel ist das?«, flüsterte Rico.
Das Team rückte über die Brücke vor und bahnte sich den Weg um die darauf zurückgelassenen Autos herum. Die Windspielgeräusche wurden lauter.
Fitz legte den Kopf schief und lauschte erneut. Die Laute schienen unter ihnen zu ertönen. Er lehnte sich über den Handlauf und spähte nach unten. Ein Übelkeit erregender Anblick erwartete ihn. Unter der Brücke klapperten an Schnüren aufgehängte Knochen im Wind gegeneinander. Von den gebrochenen Rändern hingen rote Stränge, von denen sich Tropfen lösten.
Fitz brauchte Dohi nicht, um ihm zu sagen, dass es sich auch dabei um frische Überreste handelte.
Team Ghost hatte zwei der menschlichen Gefangenen gefunden.
Fitz ballte die Hand zur Faust und erstarrte, als in der Ferne ein Schrei purer Höllenqualen losbrach. Zu Beginn hörte sich das Geräusch beinahe animalisch an, doch gegen Ende erkannte man, dass es ein menschlicher Laut war. Da draußen lebte noch jemand. Vorläufig zumindest.
Dohi zeigte auf einen bewaldeten Bereich abseits der Straße, und Fitz eröffnete mit einem Nicken die Jagd auf den Alpha. Team Ghost würde nicht nach Hause zurückkehren, bevor diese Bestie erledigt wäre.
3
Präsidentin Jan Ringgold trank einen ausgiebigen Schluck von ihrem kalten Kaffee. Sie würde ihn an diesem Abend noch brauchen. Ihr gegenüber saß Vizepräsident Dan Lemke. Beide warteten angespannt auf die Ankunft ihres Stabschefs James Soprano im Büro der Präsidentin im Greenbrier.
Wenige Minuten später klopfte es, und die Tür öffnete sich.
»Guten Abend«, grüßte Soprano und steuerte mit einem Stapel Aktenordner auf Ringgolds Schreibtisch zu.
»Ich hoffe, Sie haben gute Nachrichten für mich«, sagte die Präsidentin.