Dark Age - Buch 2 - Nicholas Sansbury Smith - E-Book

Dark Age - Buch 2 E-Book

Nicholas Sansbury Smith

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Beschreibung

Wenn es in Büchern jemals Horror und Spannung gab, dann in dieser Bestsellerserie. Willkommen im dunklen Zeitalter. Vor acht Jahren verwüstete ein manipuliertes Virus den Globus und verwandelte Menschen in monströse Raubtiere. Milliarden starben, die Zivilisation brach zusammen und die Menschheit stand kurz vor dem Aussterben. Nationen schlossen sich zusammen und Helden erhoben sich, um diese Gräuel zu bekämpfen. Buch 2: Die Regierung hatte versichert, dass die Mutierten in wenigen Jahren aussterben. Dass die alliierten Staaten bald zu Wohlstand und Freiheit zurückkehren ... Aber die Politiker lagen absolut falsch. Tief unter den Städten brüten die Mutierten mit Hilfe von menschlichen Überläufern einen finsteren Plan aus. Sie bauen ein gewaltiges unterirdisches Netzwerk auf, um mit ihrer Armee der Monster auf dem Boden der Alliierten Staaten einen Vernichtungskrieg zu starten …

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Seitenzahl: 513

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Aus dem Amerikanischen von Michael Krug

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe Extinction Cycle: Dark Age 2 – Extinction Inferno

erschien 2019 im Verlag Great Wave Ink Publishing.

Copyright © 2019 by Nicholas Sansbury Smith & Anthony J. Melchiorri

Copyright © dieser Ausgabe 2021 by Festa Verlag, Leipzig

Titelbild: Arndt Drechsler-Zakrzewski

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-931-2

www.Festa-Verlag.de

Für alle, die beim Militär der Vereinigten Staaten dienen oder gedient haben: danke für die Opfer, die ihr zum Schutz unserer Freiheit gebracht habt.

Wir sind euch ewig dankbar.

»Der Preis der Freiheit ist immer hoch, aber die Amerikaner haben ihn immer bezahlt. Einen Weg werden wir niemals wählen, und zwar den Weg der Kapitulation oder Unterwerfung.«

– John F. Kennedy

1

Der Black Hawk kreiste tief über dem Luftwaffenstützpunkt Scott 15 Kilometer östlich der apokalyptischen Ruinen von St. Louis. Ein Mannschaftsleiter öffnete die Seitentür und offenbarte den Anblick von Abartigen. Die Bestien strömten über die Straßen zu den Mauern der vorgerückten Operationsbasis.

»Mein Gott, die sind überall!«, entfuhr es dem Mannschaftsleiter.

Master Sergeant Joe »Fitz« Fitzpatrick hielt sich mit einer Hand fest und lehnte sich hinaus. Seine Beinprothesen aus Kohlefaser knarrten. Der Rest von Team Ghost saß ungeduldig hinter ihm.

Sonnenstrahlen drangen durch die vereinzelten Wolken und erhellten die grauenhafte Freakshow, die sich in Richtung des Luftwaffenstützpunkts ausbreitete. Die gepanzerten Körper von Jung-Abartigen schimmerten im Licht. Die Monster galoppierten auf allen vieren wie ein Rudel ausgehungerter Löwen.

Einige der Bestien hatten es bereits bis zur Umfriedung des Stützpunkts geschafft, wo sie sich gegen die Maschendrahtzäune warfen. Schanzkörbe und Wachtürme bildeten eine weitere Verteidigungsschicht. Aber die erste Linie war bereits gefallen.

Rauchsäulen stiegen aus frischen Kratern auf, hinterlassen von Minen und anderen Sprengkörpern. Zerfetzte Fleischbrocken und Knochensplitter schwelten auf der Erde. Verletzte Bestien krochen durch die Felder. Einigen fehlten Beine, anderen Arme. Trotzdem schleppten sie sich weiter voran.

Maschinengewehrnester entfesselten Feuergewitter, Explosionen blitzten in Fitz’ Sichtfeld auf.

Specialist Justin Mendez bekreuzigte sich. Sergeant Yas Dohi starrte wie eine Statue hinaus, das Gewehr in der Armbeuge.

»Wie zum Teufel sollen wir so viele aufhalten?«, rief Sergeant First Class Jenny Rico.

Corporal Bobby Ace zupfte an seinem grauen Bart, schaute zu Fitz und wartete gespannt auf dessen Antwort.

»Dr. Lovato wird sich ’ne weitere Biowaffe einfallen lassen müssen«, meinte Ace. »Könnte das einzige Heilmittel für diesen Ausbruch von Freaks sein.«

»Ich hab das Heilmittel gleich hier!«, rief Mendez und tätschelte sein Gewehr.

Fitz diente bereits lange genug mit den beiden, um zu wissen, dass die großspurigen Sprüche des Latinos und Ace’ schwarzer Humor nur den Schmerz tarnten, den sie mit sich herumtrugen, und die Angst, die ihnen in den Knochen saß.

Fitz wollte es nicht zugeben, aber sie konnten nicht auf ein weiteres Wunder von Kate und ihrem Wissenschaftsteam warten. Die einzige Möglichkeit, diese Kreaturen aufzuhalten, bestand darin, sie auf althergebrachte Weise mit Kugeln und Klingen zu erledigen.

Oder sie zumindest zu verlangsamen, dachte er.

Der Nachschub an Munition und Granaten, den der Mannschaftsleiter an Team Ghost verteilt hatte, würde dabei helfen.

»Diese Mission ist für Lincoln!«, brüllte Fitz.

Mendez bekreuzigte sich erneut. Der Rest des Teams stimmte nur verhalten zu, während alle durch die offene Tür betrachteten, was ihnen bevorstand. Alle hatten dunkle Ringe unter den Augen und Blutflecken auf der Kleidung und der Haut. Nur wenige Stunden waren seit ihrer Evakuierung aus Minneapolis vergangen. Sie hatten keine Gelegenheit gehabt, sich mental oder körperlich zu erholen.

Auf dem Deck hinter ihnen lag der verhüllte Leichnam ihres verstorbenen Waffenbruders, Specialist Will Lincoln. Der Helikopter hatte den Kurs geändert, nachdem er verblutet war. Statt nach Hause waren sie direkt zum Luftwaffenstützpunkt Scott geflogen, um dabei zu helfen, ihn vor dem Angriff der Abartigen zu retten.

Es blieb keine Zeit zum Trauern, keine Zeit, Lincoln zur letzten Ruhe zu betten, keine Zeit für das Team, sich auszuruhen.

Für sie ging es geradewegs zurück ins Gefecht.

»Ghost«, wandte sich der erste Pilot des Black Hawk über Funk an das Team. »Ich bringe euch über den Parkplatz vor dem Hauptquartier.«

Fitz sichtete das Kommandogebäude in der Mitte des Stützpunkts. Der quadratische Bau hob sich von den anderen Gebäuden um ihn herum durch ein weißes Dach und einen riesigen Parkplatz mit Humvees und Truppentransportern ab.

Fitz wandte sich an sein Team: »Wir helfen, das Kommandogebäude zu verteidigen. Da unten sind haufenweise VIPs, sowohl Zivilisten als auch Militärs. Sie organisieren die Evakuierung.«

Fitz deutete weiter nach draußen. Busse und Transportfahrzeuge rasten zu den Startbahnen, wo Flugzeuge auf den Start warteten.

»Unsere Mission hat zwei Aspekte. Erstens sorgen wir dafür, dass so viele Menschen wie möglich von hier wegkommen. Wir gehen zwischen den Evakuierungslinien und den Abartigen rein, schließen uns mit den örtlichen Streitkräften zusammen und sorgen für Feuerschutz«, erklärte Fitz. »Zweitens verhindern wir, dass dieser Stützpunkt den Abartigen in die Hände fällt. Fragen?«

Mendez hob die Hand. »Wenn’s darum geht, den Stützpunkt zu halten, warum evakuieren wir dann die Leute, als wär er schon verloren?«

»Weil die hohen Tiere genau das glauben«, antwortete Fitz. »Wir werden ihnen zeigen, dass sie falschliegen.«

»Gebt einfach alles, was ihr habt!«, brüllte Rico.

Das Motto ihres gefallenen Waffenbruders Sergeant José Garcia motivierte das Team nach wie vor bei harten Einsätzen. Und die Worte hatten sich noch nie so richtig angefühlt.

Der Hubschrauber sank auf den Parkplatz zu und der Mannschaftsleiter gab Team Ghost das Zeichen für den Ausstieg durch die offene Tür.

Fitz schaute ein letztes Mal zu Lincolns Leiche und der Jacke über seinem Gesicht.

Es tut mir leid, dass ich dich nicht retten konnte, Bruder.

»Los, los, los!«, rief der Mannschaftsleiter und winkte das Team raus.

Dohi ging als Erster, gefolgt von Rico. Sie sprangen hinaus und setzten sich geduckt zu einer Reihe von Humvees und Transportfahrzeugen in Bewegung. Als Fitz aussteigen wollte, durchlief den Helikopter ein Ruck und er zog hoch. Fitz verlor das Gleichgewicht und krachte aufs Deck.

»Was zum Teufel soll das?«, stieß er hervor.

Ace half ihm auf und Mendez rief: »Tunnel!«

Der Helikopter zog sich von einer Erhebung auf dem Parkplatz zurück. Asphalt bröckelte von einer entstehenden Öffnung. Aus einer Staub- und Trümmerwolke tauchte eine riesige Bestie mit sehnigen Armen und fledermausähnlichen Ohren auf. Lange seilartige Ranken ragten von ihrem Rücken. Mit milchig-weißen Augen sah sie sich um und stieß dabei hohe, klickende Schreie aus, die das Wummern der Hubschrauberrotoren durchdrangen.

»Alpha!«, rief Ace.

Dohi und Rico gingen hinter einem Auto in Deckung und nahmen die Flanke des Alphas unter Beschuss. Weitere Abartige strömten durch das frische Loch im Boden aus einem der vielen Tunnel, über die es den Monstern gelungen sein musste, in den Stützpunkt einzudringen.

»Bringen Sie uns wieder runter!«, brüllte Fitz.

»Festhalten!«, rief einer der Piloten.

Der Helikopter senkte sich über einer Gruppe verlassener Fahrzeuge. Fitz sprang hinaus. Seine Klingen landeten auf dem Dach eines Lieferwagens. Mendez und Ace folgten ihm.

Fitz eröffnete sofort das Feuer auf die aus dem Tunnel kletternden Abartigen, den Alpha hatte er jedoch aus den Augen verloren.

Ranken des roten Gespinsts ragten aus dem Loch im Boden wie zerfetzte Blutgefäße aus einer Wunde. Diese blutig aussehenden Stränge übermittelten Signale an die Bestien, die gerade den Luftwaffenstützpunkt angriffen. Team Ghost hatte in Minneapolis eines der Superhirne getötet, aber es gab noch mehr.

Ein Abartiger kletterte an den roten Stricken hoch und streckte den hässlichen, warzenübersäten Schädel aus dem Loch. Die Zunge leckte über wulstige Lippen.

Fitz drückte den Abzug und schoss ihm das Gesicht weg.

Neben ihm zerfetzte ein grauenhaftes Kreischen die Luft. Plötzlich krachte der Alpha gegen die Seite des Wagens und schleuderte Fitz vom Dach. Er knallte erst auf ein Auto, dann hart auf den Asphalt.

Fitz rollte sich auf den Rücken und schoss, als der Alpha auf den Wagen neben ihm sprang. Das Dach des Fahrzeugs bog sich unter dem Gewicht der schweren Bestie durch. Kugeln schlugen in die graue Haut des Brustkorbs ein.

Das Ungetüm gab eine Reihe klickender Laute von sich und sprang zu Boden. Fitz entleerte das Magazin in den Alpha. Blut spritzte aus den Wunden, als der Alpha vorwärtsstapfte und sich nach ihm streckte.

Der dröhnende Donner einer Schrotflinte ertönte.

Ein Teil der Schulter des Alphas wurde weggefetzt und bespritzte Fitz mit Blut und Gewebe.

»Schwing die Hufe!«, rief Ace.

Fitz verlor keine Zeit. Er drehte sich um und huschte zwischen den Fahrzeugen in Deckung. Eine weitere Explosion donnerte hinter ihm. Als er endlich auf die Beine kam und zum Alpha herumwirbelte, war das Monster zusammengebrochen.

»Danke«, rief Fitz.

Ace zupfte sich Fleischbrocken aus dem Bart. Dann rannten beide zurück, um die anderen zu suchen. Immer noch sprangen Abartige aus dem Tunnel hervor. Die Reptilienaugen einer anderen Bestie starrten Fitz an. Das Ungeheuer zog die Lippen zu einem Knurren zurück und offenbarte einen Schlund gespickt mit spitzen Zähnen.

»Volle Deckung!«, schrie Mendez.

Er warf eine Granate in das Loch, als sich die Kreatur herauszog. Weit schaffte es das Ungetüm nicht. Der Boden dahinter hob sich, Erde und Steine spritzten auf. Die Explosion sprengte das Monster in zwei Hälften.

Ein weiteres Grollen erschütterte den Boden. Der Asphalt rings um das Loch brach ein und fiel in die Tiefe.

Staub wallte auf, als ein Teil des Tunnels einstürzte.

»Scheiße, ja!«, brüllte Mendez.

Die verbleibenden Abartigen fielen unter konzertiertem Beschuss, als sich Team Ghost formierte.

Weitere Helikopter sanken in Richtung des Kommandogebäudes. Soldaten und Marines sprangen heraus und rannten zum Vordereingang.

Fitz gab seinem Team das Zeichen, ebenfalls in die Richtung zurückzufallen. In Gefechtsabständen bewegten sie sich vorsichtig um die Löcher zwischen ihnen herum.

Näher am Gebäude umgab ein weiterer Zaun mit Stacheldrahtkrone die Kommandozentrale. Um den Eingang herum hatte man Maschinengewehrnester eingerichtet.

Auf dem Dach kauerten Scharfschützen, deren Mündungen mit berechneten Schüssen aufblitzten. Neben ihnen hockten Männer mit AT4-Panzerabwehrwaffen, die ihr Feuer auf die stärksten Monster konzentrierten.

Ein Maschinengewehr Kaliber 50 erwachte an einem Fenster im zweiten Stock zum Leben.

Inmitten des Lärms ertönte eine knisternde Funkübertragung.

Fitz bemühte sich, etwas zu hören.

»An alle Einheiten in Nähe der Kommandozentrale«, sagte eine Stimme. »Abartigentunnel direkt auf der Westseite des Gebäudes identifiziert. Erbitte sofortige Reaktion. Over.«

Fitz winkte den Rest des Teams zur querenden Straße und zum geschlossenen Tor vor dem Kommandogebäude. Der Schütze im zweiten Stock feuerte auf einen Strom von Abartigen, die aus einem Loch in der Straße unmittelbar hinter der Umzäunung kamen.

Die Leichen – Menschen und Abartige – bildeten bereits einen hohen Haufen um einen Krater, der innerhalb der Umfriedung durch eine Explosion entstanden war.

Ein weiteres Loch verschlang den Asphalt in der Mitte einer Gruppe von Soldaten an der Südseite des Gebäudes. Ein Alpha sprang heraus, direkt in einen Kugelhagel. Die Projektile schlugen so lange in seinen Leib ein, bis er als verrenkter Haufen blutiger Gliedmaßen zusammenbrach.

Gleich darauf rumorte der Boden erneut.

Es würde nicht lange dauern, bis die Zäune und etwa 30 Soldaten von den anstürmenden Horden überrannt würden. Fitz wusste, dass sie etwas Drastisches unternehmen mussten, um die Kommandozentrale zu halten. Allerdings fiel ihm nur etwas ziemlich Gewagtes ein.

»Zentrale, Ghost 1«, sagte er über den öffentlichen Kanal. »Wir brauchen sofort ein R2TD-System!«

Aus früherer Erfahrung wussten sie, dass sich das System zur schnellen Tunnelerkennung perfekt dafür eignete, die Echolotung von Alphas zu stören und sie in den Wahnsinn zu treiben. Chaos unter den Alphas würde den Angriff der Abartigen ins Stocken bringen.

Die Antwort ging im Lärm der Schüsse unter.

Fitz führte das Team zum Tor an der Ostseite des Gebäudes. Zwei Marines hielten hinter einem zweiten Zaun Wache. Sie öffneten beide Tore und ließen das Team in den Sicherheitsbereich.

»Los, los, los!«, rief einer von ihnen.

Fitz packte den Mann am Arm. »Wir brauchen ein R2TD!«

»Was zum Teufel ist das?«, fragte der Soldat.

Fitz ließ ihn los und marschierte auf die verriegelten Türen des Kommandogebäudes zu. Team Ghost folgte ihm durch ein Labyrinth von Sandsäcken. Sie liefen zur Westseite des Gebäudes, wo die meisten Soldaten und Marines die angreifenden Bestien zurückhielten.

Fitz wiederholte seine Forderung nach einem R2TD über Funk. Diesmal hörte er die Antwort.

»Verstanden, Ghost 1. Standort?«

»Wir sind vor dem Westeingang des Kommandogebäudes!«, rief er.

»Verstanden, Ghost 1. Position halten!«

Fitz und der Rest des Teams gingen hinter einem Haufen Sandsäcke in Stellung. Er verbrauchte zwei Magazine gegen die angreifenden Abartigen, bevor sich die Schiebetür aus Metall hinter ihnen öffnete.

Ein Soldat mit einem R2TD-System eilte heraus. Ace hängte sich die Schrotflinte über die Schulter, um das Gerät zu übernehmen.

»Platzier es in einem der Tunnel!«, rief Fitz.

»Lass mich das machen«, schlug Rico vor. »Ich bin schneller.«

»Willst du damit sagen, was ich denke?«, fragte Ace, als er das Gerät einschaltete.

»Ja. Du bist verdammt noch mal zu langsam«, gab Rico zurück.

Fitz hatte nicht die Absicht, Rico oder Ace zum Märtyrer werden zu lassen.

»Wir gehen alle raus«, entschied er.

Während Ace das Gerät in Betrieb nahm, brachte Fitz das Gewehr in Anschlag. Hunderte Abartige hatten auf der Westseite bereits die Zäune erreicht, die sich unter dem Gewicht der Bestien neigten. Sie kletterten daran hoch und rissen die Stacheldrahtrollen weg.

Jemanden dorthin zu schicken, sah nach einem sicheren Todesurteil aus.

Dafür ignorierten die Monster den Bereich, den Fitz und sein Team betreten hatten. Statt die anderen Soldaten um Feuerschutz zu ersuchen, gab Fitz seinen Leuten das Zeichen zum Vorrücken und hoffte, unbemerkt zu bleiben.

Sie traten den Weg zu dem Tor an, durch das sie hereingekommen waren.

Einer der beiden Marines am Tor hob die Hand.

»Wo zum Teufel wollt ihr hin?«, fragte er.

»Wir müssen das Gerät hier in einem der Löcher platzieren«, antwortete Fitz und zeigte hin.

Die Blicke der Marines folgten der Richtung seines Fingers.

»Seid ihr wahnsinnig?«, fragte der andere Mann.

»Durch den Wahnsinn bleiben wir am Leben, also aus dem Weg«, erwiderte Ace.

Die Marines öffneten das Tor ohne weiteren Protest, und Ace stürmte auf eines der Löcher zu, während Team Ghost ihm unterwegs Deckung gab.

Abartige waren bereits aus einem anderen Loch geströmt, rasten auf die Tore zu und erklommen die Zäune. Mehrere schafften es darüber, ließen sich in den Sicherheitsbereich fallen und wurden von Beschuss niedergemäht.

Ein über der Stelle kreisender Black Hawk ließ vom Himmel metallischen Tod auf die dämonische Armee regnen.

Ein weiteres Loch brach auf und spie noch mehr Monster sowie einen der größeren, blinden Alphas aus. Die Bestie stimmte ihr klickendes Kreischen an und wirbelte zu Team Ghost herum, als Ace das aktivierte R2TD in eine Tunnelöffnung warf.

Während die von dem Gerät abgesonderten Schallwellen zu hoch für das menschliche Gehör waren, bestürmten sie perfekt die empfindlichen Ohren der Alphas.

Die Kreatur stieß einen schrillen Schrei aus, der die Aufmerksamkeit der gegen das westliche Tor anstürmenden Horden erregte. Viele wandten sich von den Zäunen ab.

»O Scheiße«, entfuhr es Mendez.

Eine große Gruppe löste sich von den anderen und sank auf alle viere. Einige stolperten und fielen, als sie die Richtung wechselten.

Mindestens 40 Bestien rasten Team Ghost entgegen.

»LAUFT!«, brüllte Fitz.

Das Team rannte vom Loch weg und zurück zum Tor, wo die Marines schrien und winkten. Ein Kugelhagel fegte in die Abartigen, die Team Ghost verfolgten. Einige wurden niedergemäht, der Großteil der Meute jedoch rannte nur noch schneller.

Fitz passierte das Tor als Letzter. Die Marines schlossen es hinter ihnen, dann wichen sie alle zurück. Sekunden später prallte die Welle der Abartigen dagegen.

»Zurück!«, brüllte Ace.

Während sich Fitz vom Tor wegbewegte, hielt er Ausschau nach Alphas. Schließlich sichtete er einen, der auf das R2TD zusteuerte.

Ein anderer Alpha kletterte aus dem neuesten Loch und lief ebenfalls auf das zurückgelassene Gerät zu. Fitz gab den Soldaten mit den AT4ern auf dem Dach ein Zeichen.

»Schießt auf die Alphas!«, brüllte er.

Fitz hob das Gewehr an und feuerte Salven auf die Abartigen ab, die sich immer noch gegen die Zäune warfen. Eine Granate flog durch die Luft, explodierte unmittelbar hinter einem der Alphas und verschmierte die Bestie über den Asphalt. Ein weiteres Sprenggeschoss schlug auf dem Parkplatz zwischen zwei Fahrzeugen ein. Die Treibstofftanks detonierten und ein Inferno verschlang die Bestien.

Aber ein weiterer Alpha pflügte durch die verkohlten Kadaver seiner Kameraden. Aus Einschusslöchern überall an seinem Körper sickerte Blut. Als er das R2TD-System erreichte, zertrümmerte er es mit klauenbewehrten Fäusten. Das zylindrische Gerät zerbrach in mehrere Teile. Keine Sekunde später zerfetzte eine Rakete den Alpha in blutige Fleischbrocken.

»Juhu!«, jubelte Mendez. »So geht das!«

Der Angriff der verbliebenen Abartigen geriet ins Stocken. Durch den Tod ihrer Anführer orientierungslos, drehten sie krächzend ab. Sie stoben auseinander, als die Soldaten und Marines in ihre fliehenden Reihen schossen.

»Parkplatz geräumt«, ertönte eine Stimme über den öffentlichen Kanal. »Alle Einheiten in der Nähe, zurückziehen zur Kommandozentrale.«

Fitz trat mit Team Ghost den Weg zum Gebäude an. Unterwegs lauschte er dem Knallen der Schüsse. Teilweise stammten sie vom Flugplatz, wo immer noch Menschen von nahen Straßen zu den Maschinen strömten, die darauf warteten, sie zu evakuieren.

Zwei Hubschrauber kreisten. Ihre Kanoniere feuerten Maschinengewehrsalven ab, um die Abartigen zurückzuhalten.

Ein Offizier betrat den Treppenabsatz des Kommandogebäudes.

»Gute Arbeit, Leute!«, rief er.

Die Männer grunzten und riefen: »Hu-ha!«

»Aber Feiern ist vorerst nicht drin«, fügte der Offizier hinzu. »Wir haben noch eine Gruppe, die festsitzt. Wir brauchen Freiwillige, die sie herausholen. Der Rest bleibt hier und verteidigt diese Stellung.«

»Wo sind die Leute?«, fragte jemand.

Der Offizier deutete zu einer Gruppe von Gebäuden etwa anderthalb Kilometer von der Kommandozentrale entfernt.

»Verdammt«, fluchte Mendez leise.

Fitz sah nacheinander jedes Mitglied seines Teams an. Sie konnten unmöglich untätig bleiben, während dort draußen Familien festsaßen. Gleichzeitig wurden sie gebraucht, um das Kommandogebäude zu verteidigen.

»Dohi, Rico …«, sagte Fitz. Er verstummte. Konnte er wirklich seine Geliebte da rausschicken? Es widerstrebte ihm zutiefst, aber sie war seine Stellvertreterin. Wenn sich Ghost in die Teams Alpha und Bravo aufteilte, unterstand ihr immer Bravo.

Er musste ihr so vertrauen, wie sie ihm vertraute.

»Wir kriegen das hin, Fitzie«, beruhigte sie ihn Kaugummi kauend. Sie lief mit Dohi zu einer Gruppe von Freiwilligen, die sich vor dem Offizier versammelten. Es schien für sie selbstverständlich zu sein, sich hinter die feindlichen Linien zu wagen.

Fitz schluckte schwer, ließ den Blick über den Stützpunkt wandern und fragte sich, wie lange sie die Bestien zurückhalten könnten. Wenn der Angriff in der vergangenen Nacht erst der Anfang war, würden die Horden der Abartigen bei ihrer nächsten Rückkehr über die Verteidigung der Alliierten Staaten hinwegwalzen.

2

Marine 1 und Marine 2 flogen nach Norden zur USS George Johnson. Die Helikopter blieben nahe genug am östlichen Ufer, dass Captain Reed Beckham die Brände am Horizont sehen konnte.

Im Außenposten New Boston tobte ein Inferno.

Nach acht Jahren Frieden und Wiederaufbau brach alles zusammen. Wenn sie diese Invasion nicht bald stoppten, würde von den Alliierten Staaten nur Asche übrig bleiben.

»Müssen Überläufer sein«, meinte Master Sergeant Parker Horn.

»Ja«, pflichtete Beckham ihm bei.

Abartige benutzten keine Schusswaffen, Überläufer jedoch sehr wohl. Ihre Überfallkommandos waren vertraut mit Guerillakriegsführung und verwendeten alles Mögliche, von C4 bis hin zu der von den Abartigen produzierten Säure.

Fast alle Gesichter in Marine 1 waren den Fenstern zugewandt. Kate hielt Javier neben Beckham in den Armen, Horn beobachtete die Brände neben Tasha und Jenny. Eine unangezündete Zigarette wippte zwischen seinen Lippen, als er leise fluchte.

»Wir hätten Timothy nicht zurücklassen sollen«, klagte Tasha und wischte sich über die Augen.

»Ihm passiert nichts«, beteuerte Horn.

Beckham nickte. Er wollte glauben, dass sie die einfallenden Monster und Überläufer aufhalten könnten. Aber angesichts der Jung-Abartigen als Ergänzung ihrer Armee war er sich nicht mehr so sicher.

Das Oberkommando kannte nicht einmal mehr die Zahl der Abartigen oder wusste, wo sich die Superhirne aufhielten, die deren Horden kontrollierten.

Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Beckham im Presidential Emergency Operations Center, kurz PEOC, tatsächlich über den Vorschlag von Brigadegeneral Lucas Barnes nachgedacht, Atomwaffen gegen die Städte einzusetzen, in denen die Superhirne vermutet wurden. Aber selbst der Einsatz von Atomwaffen mit geringer Sprengkraft bot keine Garantie dafür, die Superhirne aufzuhalten. Garantiert wäre nur der Tod aller menschlichen Gefangenen bei ihnen und aller Menschen in den umliegenden Außenposten.

Eine Evakuierung dieser Außenposten auf dem Landweg wäre nun, da die Abartigen angriffen und sie umzingelten, nahezu unmöglich. Fast genauso schwierig wäre der Luftweg aufgrund der stark begrenzten Ressourcen, die den Alliierten Staaten zur Verfügung standen, und der gewaltigen Zahl der Menschen, die transportiert werden müssten.

Die Gleichung ging einfach nicht auf. In Orten wie dem Außenposten Boston gab es im Moment nur eine Möglichkeit: bleiben und kämpfen.

»Wir hätten schon früher evakuieren sollen«, meinte Beckham leise.

»Glaubst du, Portland bleibt verschont?«, fragte Kate.

Javier schaute zu seinem Vater hoch und wartete bang auf dessen Antwort.

»Portland liegt weit von den Hauptzielen entfernt und wird gut verteidigt«, sagte Beckham. »Dort sollte nichts passieren.«

Damit versuchte er, sich selbst ebenso zu beruhigen wie die anderen.

»Ich mache mir Sorgen um Donna, Bo und Timothy.« Javiers Blick schnellte von Beckham zu Kate und wieder zurück. »Sie kommen doch in einem anderen Hubschrauber nach, stimmt’s, Dad?«

»Wenn wir Grund zur Annahme haben, dass sie in Schwierigkeiten stecken, holen wir sie da raus«, erwiderte Beckham ausweichend.

Er wechselte einen Blick mit Kate und sah die tiefe Besorgnis in ihren Augen.

»Ich bin gleich wieder da«, kündigte er an.

»Wo gehst du hin?«, fragte Javier.

»Mit der Präsidentin reden.«

Kate zog Javier näher, während sich Beckham den Weg durch Ledersitze mit Technikern, Soldaten und anderen Anwesenden im Passagierraum bahnte. Der Helikopter war randvoll.

Zwischen Beckham und der Präsidentin standen Dr. Jeff Carr und zwei Labortechniker.

Die Gruppe sprach über die Superhirne und die Jungen der Abartigen.

Beckham zwängte sich an ihnen vorbei. Ihn interessierte eher, worüber das Team der Präsidentin sprach, das in der Nähe des Cockpits beisammensaß. Stabschef James Soprano und der nationale Sicherheitsberater Ben Nelson berichteten Präsidentin Ringgold und Vizepräsident Dan Lemke, während Stabschefin Elizabeth Cortez an einem Satellitentelefon sprach.

Den verdrossenen Blicken nach waren die eingehenden Meldungen alles andere als gut.

Als es Beckham bis direkt hinter Nelson geschafft hatte, schnappte er einige Gesprächsfetzen auf. Cortez sagte etwas darüber, dass die Horden von den Mauern des Außenpostens Chicago zurückgedrängt würden und das U. S. Bank Stadium in Minneapolis vernichtet worden sei.

»Unsere Streitkräfte haben auch den Angriff auf das Weiße Haus abgewehrt«, meldete Lemke. »Das Gebiet wird gerade gesichert.«

»Gott sei Dank.« Ringgold atmete mit einem hörbaren Seufzer der Erleichterung aus.

»Wir sind heute Nacht gerade noch mal davongekommen, vor allem in Portland«, meinte Cortez.

Ringgold bemerkte Beckham und winkte ihn zu sich.

»Captain Beckham, kommen Sie zu mir«, lud sie ihn ein. »Wie viel über die aktuelle Lage haben Sie mitbekommen?«

»Das Weiße Haus ist gesichert, so viel hab ich gehört«, antwortete Beckham.

Ringgold nickte. Ihre Züge wurden milder. »Team Ghost hat es zum Luftwaffenstützpunkt Scott geschafft und hilft dort, die Horden der Abartigen zurückzuhalten. Aber ich fürchte, ich habe schlechte Neuigkeiten über den Außenposten Portland.«

Beckhams Magen krampfte sich zusammen.

»Dort hat vor wenigen Minuten ein Angriff begonnen«, kam von Lemke.

»Berichten zufolge haben Überläufer von innen zugeschlagen«, fügte Nelson hinzu.

Beckhams Gedanken rotierten um Donna, Bo, Timothy und die anderen.

Er hätte sie nie zurücklassen dürfen.

Er hätte bleiben sollen, um zu kämpfen.

Wieder einmal war er vor einem Gefecht geflohen, um seine Familie zu beschützen.

»Es muss eine Schläferzelle der Überläufer im Spiel sein«, sagte Nelson. »Diese Arschlöcher haben es viel zu leicht in den Außenposten geschafft.«

»Nach allem, was wir gerade erleben, wäre ich nicht überrascht, wenn das auf viele der Außenposten zutrifft«, merkte Lemke an.

»Das würde erklären, wie die ersten Plünderer auf Peaks Island wissen konnten, wo das Labor war«, warf Beckham ein. Nein, er wusste, dass es keine schlichten Plünderer gewesen waren.

Sondern Überläufer.

Vor seinem geistigen Auge tauchten die beiden verhinderten Attentäter bei der Wahlkampfkundgebung auf. Einer hatte unmittelbar vor seinem Tod gemurmelt: »Adiós, Reed.« Unwillkürlich fragte er sich, ob bei der Sache etwas Persönliches mitspielte. Er hatte beinahe den Eindruck, die Überläufer und die Abartigen hegten einen Groll gegen ihn.

Nur konnte das nicht sein. Oder?

Er versuchte den Gedanken abzuschütteln, indem er sich darauf konzentrierte, wer im Außenposten Portland mit den Überläufern zusammenarbeiten könnte.

War jemand, den er als Freund betrachtete, in Wirklichkeit ein Verräter?

Höchstwahrscheinlich hatten die Täter ihre Nachbarn nicht bloß aus schierer Bosheit verraten. Viel eher dürften die Überläufer ihre Familie bedroht oder irgendein Druckmittel gegen sie gehabt haben. Vielleicht hatten sie ihnen auch eingeredet, der Sieg der Abartigen stehe praktisch fest und die Monster würden ihr Leben verschonen, wenn sie kooperierten.

Was immer sie getan hatten, um die Menschen in den Außenposten zu verführen, etwas stand für Beckham fest: Es waren alles Lügen.

»Wie lange noch bis zur Landung?«, fragte er.

Nelson sah auf die Armbanduhr. »Ungefähr 30 Minuten. Vielleicht etwas weniger.«

Beckham schaute über die Schulter zu seiner Familie. Er sah, wie sich Big Horn vorbeugte, um mit Tasha und Jenny zu sprechen. Horn musste wohl dasselbe durch den Kopf gehen wie ihm – dass die Rückkehr zum Kampfgeschehen die Gefahr barg, ihre Kinder zum gleichen Schicksal wie Timothy Temper zu verdammen.

Vaterlos aufzuwachsen.

Genau wie Timothy könnten Tasha und Jenny zu Waisen werden.

Beckham wusste nicht, was er tun sollte. Er fand den Gedanken unerträglich, dass Kate alle drei Kinder allein aufziehen müsste. Andererseits konnten sie Bo, Donna und Timothy nicht einfach den Monstern und Überläufern überlassen. So könnte er nicht mit sich leben.

»Madam President, würden Sie in Erwägung ziehen, Marine 1 und Marine 2 zurück nach Portland zu schicken, um mehr Menschen zu evakuieren?«, fragte Beckham.

»Ist bereits geplant«, erwiderte Ringgold. Sie verengte die Augen und musterte Beckham eindringlich. »Ich hoffe nur, Sie überlegen nicht, mit den Hubschraubern zurückzufliegen. Wir haben dort bereits reichlich Kämpfer auf dem Boden.«

Beckham sammelte sich kurz.

»Der Außenposten Portland ist mein Zuhause«, sagte er schließlich. »Es würde sich falsch anfühlen, wenn ich nicht wenigstens bei der Evakuierung helfe.«

»Ich wünschte, Sie würden sich das noch mal überlegen«, entgegnete Ringgold. »Wir haben andere, die absolut fähig sind, Ihren Freunden und Nachbarn zu helfen.«

Cortez beendete gerade ein weiteres Telefonat. Sie wandte sich an die anderen und unterbrach die Unterhaltung.

»Ich habe gerade neueste Informationen über die Außenposten rund um die Zielstädte erhalten«, begann sie. »Unsere Bomber kehren für einen weiteren Überflug zurück.«

Niemand sprach ein Wort, als sich Marine 1 von der Küste entfernte und weiter hinaus aufs Meer flog. Die dunkelgrauen, durch das Wasser pflügenden Umrisse bestätigten, dass sich der Rest der Ersten Flotte um die USS George Johnson versammelt hatte.

Nelson brach das Schweigen. »Ist es hier draußen wirklich sicher?«

»Ist es, sofern die Überläufer kein Kriegsschiff erbeutet haben«, antwortete Lemke.

»Wäre nicht das erste Mal«, merkte Ringgold an.

Vermutlich dachte sie dabei an den WGT – den Widerstand gegen Tyrannei – und wie es Lieutenant Andrew Wood gelungen war, die Kontrolle über Kriegsschiffe der Navy zu erlangen, um einen Putsch gegen Ringgolds Regierung zu starten.

»Auch wenn wir glauben, die Kontrolle über die gesamte Flotte zu haben«, begann Beckham. »Was, wenn ein Überläufer unsere Reihen infiltriert und es an Bord eines Schiffes geschafft hat?«

»Das ist ausgesprochen unwahrscheinlich«, sagte Lemke. »Jeder Seemann der Ersten Flotte wurde auf Herz und Nieren überprüft.«

»Noch vor zwei Wochen hätten wir auch die Angriffe überall im Land als höchst unwahrscheinlich eingestuft«, gab Ringgold zu bedenken. »Captain Beckham hat recht. Wir haben die Monster und ihre Überläufer unterschätzt. Jetzt zahlen wir den Preis dafür.«

Lemke wirkte nicht erfreut. Seine Lippen verzogen sich zu einem mürrischen Ausdruck. Schließlich räumte er ein: »Sie haben recht. Ich lasse General Souza ein Team damit beauftragen, jeden auf den Schiffen gründlich zu durchleuchten.«

»Ich würde raten, die USS George Johnson an einen geheimen Standort zu verlegen, abgekapselt von den anderen Schiffen. Zumindest so lange, bis wir bestätigen können, dass es an Bord der restlichen Flotte keine Überläufer gibt«, sagte Beckham.

Ringgold sah Lemke an, forderte ihn stumm zu einer Wortmeldung auf.

»Klingt nach keiner schlechten Idee«, räumte er ein.

»Dann tun wir es«, entschied Ringgold.

Sie gab Nelson ein Zeichen, der das Satellitentelefon von Cortez entgegennahm, um den Befehl zu erteilen.

»Vorbereiten zur Landung«, sagte einer der Piloten.

Die Maschine tauchte durch kabbelige Luft ab und bereitete sich zum Aufsetzen auf dem Hubschrauberlandeplatz am Heck des Zerstörers der Zumwalt-Klasse vor. Beckham kehrte zu seiner Familie zurück. Javier klammerte sich an ihm fest, als der Helikopter landete.

»Ist schon gut, Kumpel«, beruhigte Beckham den Jungen. »Es kommt alles wieder in Ordnung.«

Ein Marine öffnete die Seitentür. Kalter Wind blies in die Maschine. Die Passagiere stiegen nacheinander aus, angefangen mit der Präsidentin und dem Vizepräsidenten. Beckham erhaschte einen flüchtigen Eindruck vom organisierten Chaos auf den Decks der Schiffe, die den Tarnkappenzerstörer flankierten.

Versammelte Gruppen von Marines und Soldaten warteten darauf, an Bord von Maschinen zu gehen, die sie zu Einsätzen im ganzen Land fliegen würden.

Mehrere F-22 Raptors starteten und stiegen von einem Flugzeugträger in den Himmel auf. Mit glühenden Hecks rasten die Jets über den Horizont. Sie würden sich den Bombern dabei anschließen, die Horden der Abartigen unter Beschuss zu nehmen.

Beckham half seiner Familie aufs Deck und führte sie zu einer Luke, an der Marines die Leute hineinwinkten.

»Zivilisten hier lang!«, rief einer der Männer.

»Das Wissenschaftsteam folgt mir!«, brüllte ein anderer.

Kate und Beckham blieben mit Javier im Gang stehen und ließen andere vorbei.

»Du hast diesen Blick aufgesetzt, Reed«, stellte Kate fest. »Was geht dir gerade durch den Kopf?«

Horn löste sich aus dem Strom der Leute und blieb neben ihnen stehen. Tasha und Jenny stellten sich hinter ihn und hielten die Halsbänder ihrer Deutschen Schäferhunde, Ginger und Spark.

»Werdet ihr Donna, Bo und Timothy retten?«, fragte Javier.

»Bitte«, flehte Tasha. »Bitte bringt sie hierher.«

Beckham und Kate wechselten einen Blick.

»Mom, du gehst zurück ins Labor, um Menschen zu retten, oder?«, fragte Javier. »Tja, Dad ist Soldat und muss zurück, um für unsere Freunde zu kämpfen und sie zu retten.«

»Ja, das muss er.« Kate beugte sich vor und umarmte Beckham. »Ich liebe dich, Reed.«

»Ich liebe dich auch.«

»Das machst du nicht ohne mich, Bruder«, sagte Horn. »Außerdem hat Tasha mir ’ne Standpauke angedroht, wenn ich Timothy nicht hole.«

»So hab ich das nicht gesagt.« Tasha lief kurz rot an, dann schaute sie besorgt drein. »Bitte lasst nicht zu, dass ihm was passiert, Dad.«

»Werden wir nicht«, erwiderte Horn.

»Versprichst du’s?«

»Versprochen.« Horn küsste Tasha auf die Stirn und bückte sich hinunter zu Jenny. »Ich hab euch beide lieb. Wenn wir uns wiedersehen, habe ich Timothy, Donna und Bo dabei.«

Die Mädchen gingen mit Kate und Javier, als Beckham und Horn zum Hubschrauber aufbrachen. Ein Team von Marines schloss sich ihnen an. Nachdem ein Mannschaftsleiter die Türen hinter ihnen zugezogen hatte, hielt sich Beckham mit der Handprothese an einer Griffstange fest.

Als er aus dem Fenster schaute, sah er ihre Familien auf dem Deck. Tasha, Jenny und Javier winkten ihnen zu. Kate schaute mit verkniffener Miene zum abhebenden Helikopter auf. Der Abwind der Rotoren peitschte ihr das Haar um den Kopf.

»Bereit für den Scheiß, Boss?«, fragte Horn.

Beckham nickte. »Ist an der Zeit, dass wir uns wieder in den Kampf stürzen.«

Ein Mann kroch über den Erdboden in die dunkle Kammer. Er schleifte zwei zerfetzte Beine hinter sich her. Blut strömte von den losen Muskelsträngen und Knorpeln an den Stellen, wo sich seine Füße befinden sollten. Er streckte eine zitternde Hand nach S. M. Fischer aus.

»Helfen Sie … mir …«, stammelte der Mann mit bebenden Lippen.

Fischer erkannte in der Dunkelheit das Gesicht. Es handelte sich um Aaron Galinsky, den ehemaligen israelischen Soldaten. Fischer hatte ihn dafür engagiert, die Abartigen auf seinem Grundstück aufzuspüren.

Aus den Schatten hinter Galinsky tauchte ein massiger Alpha auf.

Fischer hob das Gewehr an und zielte.

Er drückte den Abzug, aber das Magazin war leer.

Das Ungetüm packte Galinsky am Kopf und stach ihm die Finger in die Augen. Sie platzten mit Übelkeit erregenden, matschigen Lauten.

Der darauffolgende Schrei klang unmenschlich, als stammte er von einem Tier.

Mit zittrigen Fingern holte Fischer ein neues Magazin heraus, legte es ein und lud durch. Dann zielte er erneut und drückte den Abzug.

Wieder nur ein Klicken.

Die Waffe feuerte nicht.

Fischer setzte dazu an, das Magazin noch einmal zu wechseln. Aber als er nach unten schaute, entpuppten sich alle seine Magazine als leer.

Was zum …

Der gewaltige Alpha warf Galinsky beiseite und streckte sich nach Fischer. Klauen legten sich um seinen Kopf und quetschten seinen Schädel. Schmerzen blendeten Fischer.

Er erwachte in einem dunklen Zimmer.

Ein Moment lähmenden Grauens erfasste ihn, als er sich zu erinnern versuchte, wie er hierhergelangt war. Die Ereignisse der letzten Tage tauchten aus seinem Gedächtnis auf. Diese Albträume waren nicht bloß Träume. Sie waren echt. All diese Erinnerungen brachen über ihn herein: die Angriffe auf seine Ölfelder, der Verlust seines Viehs, der Tod so vieler seiner Männer.

Fischer schnappte sich die Armbanduhr vom Nachttisch. Es war der Morgen, nachdem er aus den Tunneln geklettert war, und die Ereignisse des Vortags suchten ihn noch heim.

»Scheiße«, murmelte er.

Fischer schlüpfte in eine Hose, zog ein Hemd an und griff sich die 357er Magnum, die er unter das Kopfkissen gelegt hatte. Das M4, mit dem er zig Abartige getötet hatte, lehnte an der Wand. Er schlang sich das Sturmgewehr über den Rücken.

Dann stieg er die Treppe hinunter zur Kommunikationszentrale, die man in seinem Wohnzimmer eingerichtet hatte. Eine Gruppe Soldaten bemannte an den Tischen Satellitentelefone und Computer. Der zuständige Lieutenant hatte von General Cornelius den Befehl, mit einem Platoon die Ölfelder zu schützen.

Er hatte Fischers Ranch über Nacht praktisch in eine vorgerückte Operationsbasis verwandelt.

Sämtliche Soldaten trugen normale Kampfanzüge und Ausrüstung. Etwas jedoch unterschied sie vom Militär, wie Fischer es kannte: blaue Armbinden mit dem Logo eines Orcas.

Fischer überraschte nicht, dass sich der General diese superintelligenten Raubtiere als Symbol für seine Armee ausgesucht hatte. Und er war verdammt froh, sie auf seinem Land zu haben.

»Sir«, ertönte eine vertraute Stimme.

Tran winkte von einem Schreibtisch aus. Auch Chase war da. Beide trugen frische Kleidung und hatten die Gesichter von dem Blut befreit, das sie in der vergangenen Nacht abbekommen hatten. Aber keiner der beiden wirkte ausgeruht.

»Sir, konnten Sie ein bisschen schlafen?«, fragte Tran.

»Ein paar Stunden«, antwortete Fischer. »Ihr zwei seht mitgenommen aus. Kein Auge zugetan?«

Tran nickte. »Nur eine Stunde.«

»Wie geht’s der Verletzung?«

Ein Schulterzucken von Tran. »Ich werd’s überleben.«

»Und du?«, wandte sich Fischer an Chase.

»Ich hab geschlafen und es geht mir gut, aber ich will ehrlich sein: Ich könnte echt diesen Flug mit dem Privatjet zu irgendeinem Strand gebrauchen.«

Fischer rang sich ein Grinsen ab und bemühte sich, die Albträume zu ignorieren, die ihm immer noch durch den Kopf spukten. »Damit sind wir schon zu zweit, Junge.«

Eine andere Stimme dröhnte durch den Raum.

Lieutenant Marcus Dees, der Zugführer, bahnte sich einen Weg durch das Labyrinth aus Metalltischen und Kommunikationsausrüstung. Dees hatte einen grauen Schnurrbart, der dem von Fischer ähnelte.

»Lieutenant«, sagte Fischer. »Kann ich Sie kurz sprechen?«

»Ich bin gleich bei Ihnen«, gab Dees kurz angebunden zurück. Er setzte den Weg zu einem anderen Tisch fort.

Fischer war es nicht gewohnt, so abgefertigt zu werden. Schon gar nicht in seinem eigenen Haus. Andererseits wusste er es zu schätzen, dass endlich Soldaten hier waren, um seine Felder zu schützen.

Sergeant Sharp kam aus einem anderen Gang. Er nickte Fischer zur Begrüßung zu, bevor er zu Dees ging.

»Sir, es ist schlimmer, als wir dachten«, meldete Sharp. »Abartige und Überläufer haben die Hälfte unserer Außenposten angegriffen.«

»Die Hälfte der Außenposten?«, fragte Fischer. »Bei den Zahlen überrascht mich, dass General Cornelius einen ganzen Zug für uns abgestellt hat.«

»Ihr Öl ist unerlässlich für die Kriegsanstrengungen«, erklärte Sharp.

Kriegsanstrengungen …

»Sind wir jetzt also im vollwertigen Krieg?«, murmelte Fischer.

»Diese verseuchten Freaks haben sich im Untergrund vermehrt«, sagte Sharp. »Von höherer Stelle heißt es, dass sie so was wie ›Superhirne‹ haben, die mit einer Art Netzwerk die kleineren Monster kontrollieren. Die Wissenschaftler denken, dass sie dieses Gespinst, das wir in den Tunneln gesehen haben, wie ein bizarres Internet verwenden.«

Fischer hatte das Gefühl, beim Erwachen aus einem Albtraum in einen noch schrecklicheren gestürzt zu sein. Dass sich die Bestien so organisierten, hätte er vorher nie für möglich gehalten.

»Wir haben die meisten Abartigen in diesem Gebiet eliminiert«, fuhr Sharp fort. »Sie scheinen ungefähr in südöstliche Richtung unterwegs zu sein.«

»Zum Außenposten Houston?«, fragte Tran.

»Das ist ein weiter Weg«, meinte Fischer. »Houston sollte fast eine Woche Zeit bleiben, bevor die Abartigen dort ankommen.«

»Ein Riesenhaufen Jung-Abartiger greift dort bereits an«, erwiderte Sharp. »Bin mir nicht sicher, ob man sie aufhalten kann. Der Außenposten Houston könnte längst gefallen sein, bis die anderen Monster überhaupt dort eintreffen.«

»Mr. Fischer«, rief eine Frauenstimme. Fischer drehte sich um und erblickte seine Haushälterin Maddie. Sie stand zwischen den Tischen in der Mitte des Raums und hatte die Arme um sich geschlungen. Die Frau zitterte.

»Ich bin gleich wieder da«, sagte Fischer.

Er bedeutete Maddie, ihm zurück in den Flur zu folgen.

»Alles in Ordnung?«, fragte er.

»Mr. Fischer, entschuldigen Sie, aber ich habe gehört, worüber Sie gesprochen haben«, sagte sie. In ihre Augen trat ein feuchter Glanz. »Meine Familie ist im Außenposten Houston.«

Scheiße, stimmt …

»Ich möchte gern dorthin und bei meinen Angehörigen sein«, fuhr sie fort. »Wäre es irgendwie möglich, dass ich mitfliegen kann?«

Fischer winkte Sergeant Sharp zu sich.

»Fliegen in nächster Zeit irgendwelche Maschinen zum Außenposten Houston?«

»Morgen früh, Sir«, antwortete Sharp. »Vorausgesetzt natürlich, der Außenposten existiert dann noch.«

Maddie riss die Hand an den Mund. Mittlerweile flossen die Tränen.

»Scheiße. Tut mir leid, Ma’am, ich wollte Sie nicht aufregen«, entschuldigte sich Sharp.

Fischer legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Es wird alles gut.«

Dees meldete sich zu Wort. »Er hat recht, Ma’am. Wir evakuieren derzeit die Menschen aus den am schlimmsten betroffenen Außenposten. Die Chancen stehen gut, dass man Ihre Familie bereits woandershin gebracht hat. Sie müssen nicht nach Houston fliegen.«

Maddie rang sich trotz der Tränen ein verhaltenes Lächeln ab. »Das ist gut zu wissen, Sir.«

»Ich werde versuchen, aus unseren Freunden hier mehr Informationen herauszukitzeln«, versprach Fischer. »Wenn wir etwas über deine Familie herausfinden, gebe ich Bescheid.«

Sie nickte. »Danke, Mr. Fischer. Das wüsste ich sehr zu schätzen.«

»Gern. Jetzt geh und ruh dich aus.«

Sie schloss sich stattdessen dem übrigen Personal in der Küche an, um Mahlzeiten für die Soldaten zu kochen. Grillgeruch drang den Flur herab.

Wohl zum letzten Mal für längere Zeit, da die Monster das gesamte Vieh abgeschlachtet hatten.

Fischer kehrte zu Dees zurück. Er musste offenbar einen anderen Kurs einschlagen, wenn er den Lieutenant dazu bringen wollte, sich ihm zu öffnen.

»Danke für alles, was Sie tun, Sir«, sagte Fischer. »Ich bin aufrichtig dankbar, dass Ihr Zug gerade zur rechten Zeit aufgetaucht ist.«

»General Cornelius hält den Ort hier für immens wichtig, Mr. Fischer.«

»Das sehe ich logischerweise auch so. Dieses Land hier ist mein Lebenswerk.«

»Tja, eine Zeit lang werden Sie mir Ihr Lebenswerk anvertrauen müssen«, gab Dees zurück. »General Cornelius ersucht um Ihre Anwesenheit im Außenposten Galveston.«

Fischer schwieg einen Herzschlag lang, bevor er antwortete.

»Bei allem Respekt, Lieutenant, können wir eine Besprechung nicht über Telefon oder Funk abhalten?«, fragte er schließlich.

»General Cornelius möchte persönlich mit Ihnen sprechen«, gab der Lieutenant unnachgiebig zurück.

»Sir, ich glaube nicht, dass es sicher für Sie wäre, mitten in all der Scheiße quer durch Texas zu reisen«, meldete sich Tran zu Wort.

Dees sah den jungen Bodyguard mit hochgezogenen Augenbrauen an, bevor er den Blick wieder auf Fischer richtete. »Dies ist keine Bitte, Mr. Fischer. Es ist ein Befehl von General Cornelius. Vergessen Sie nicht, wie großzügig er mich und meine Leute geschickt hat, um Ihr Öl zu beschützen.«

»Damit Sie es nach Belieben verwenden können«, konterte Fischer mit zu Schlitzen verengten Augen.

»Ich erwarte, dass Sie den nächsten Flug nach Galveston nehmen«, erklärte Dees ungerührt, bevor er davonging.

Fischer wartete kurz, dann bedeutete er Tran und Chase, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen. Er schloss die Tür.

»Das gefällt mir nicht«, sagte Tran. »Ich hab ein ungutes Gefühl bei dem Kerl.«

»Mit Unbedarftheit bringt man es in der Öl- und Viehzuchtbranche nicht weit.« Fischer nahm an seinem Schreibtisch Platz. »Im Verlauf der Jahre hab ich das eine oder andere gelernt. Ich kann mit Typen wie Dees umgehen, die mit ihrem Rang und ihrem Ego um sich schlagen wie mit einem Hammer. Solche Kerle glauben, alles würde ihnen gehören.«

Fischer strich über seinen Schnurrbart. »Im Moment bereiten mir die Abartigen mehr Kopfzerbrechen als die Möglichkeit, das Militär könnte mein Land übernehmen. Solange es geschützt wird, kann ich damit leben, wenn die ein bisschen Öl zur Verteidigung der Nation abzweigen. Wenn wir alle tot sind, spielt’s keine Rolle mehr, wem das Öl gehört.«

»Also fliegen wir nach Galveston?«, fragte Tran.

Fischer nickte.

»Dann komme ich wohl doch noch an ’nen Strand«, meinte Chase.

»Ich wär schon mit ’ner warmen Dusche und einem ausgiebigen Nickerchen am Strand zufrieden«, sagte Tran.

»Scheiße, nein. Ich will auch meinen Drink und ein paar heiße Bräute, die ich anglotzen kann«, kam von Chase mit einem schiefen Grinsen.

Fischer schmunzelte. Er ergriff die Whiskeyflasche auf seinem Schreibtisch und schenkte Gläser für sie alle ein. »Ist zwar keine Margarita, aber das Beste, was ich im Moment bieten kann.«

»Danke, Sir«, sagte Chase.

Die Männer erhoben die Gläser, um miteinander anzustoßen.

»War wilder als ein Ritt auf ’nem bockigen Gaul«, meinte Fischer. »Und es kommt noch wilder.«

Klirrend stießen sie miteinander an. Als der Whiskey Fischers Eingeweide wärmte, fragte er sich, wohin dieses verrückte Rodeo sie als Nächstes führen würde.

3

Dr. Kate Lovato stand am Eingang zu einem Labor auf der USS George Johnson. Tasha, Jenny und Javier befanden sich in den Quartieren, spielten mit den Hunden und ruhten sich aus. Am Schott stapelten sich Kisten mit Laborausrüstung. Irgendwie hatte sich ein zylindrisches Zentrifugenröhrchen aus Kunststoff aus einer der Kisten gelöst. Es rollte auf dem Deck hin und her, während das Schiff in der Dünung wogte.

»Wird eine Heidenarbeit, alles aufzubauen und in Betrieb zu nehmen«, murmelte sie bei sich.

Sie hätte nichts lieber getan als sich mit den Kindern und den Hunden in ihrer beengten Kabine zurückzulehnen. Ihr Körper verlangte es geradezu. Kate fühlte sich ausgelaugt, nicht zuletzt durch die Rückkehr ihres Ehemanns und Horns in den Einsatz und das ungewisse Schicksal von Donna, Bo und Timothy.

Aber so, wie Beckham und Horn nach Portland zurückkehrten, hatte auch sie eine Pflicht. Die Pflicht, sowohl ihre Lieben als auch ihre anderen Mitmenschen zu schützen. Ungeachtet ihrer emotionalen und körperlichen Erschöpfung musste sie weitermachen.

Vorerst würde sie die Aufgaben untergliedern, sich auf einen Punkt nach dem anderen konzentrieren müssen. Kate bemühte sich, Gedanken an ihre Familie und den Krieg zu verdrängen, als sie mit dem Auspacken der Laborausrüstung begann.

Ihre Muskeln und ihr Rücken protestierten. Vielleicht lag es an ihrer Erschöpfung. Vielleicht war es auch etwas Psychosomatisches, das ihr mitteilen wollte, wie lächerlich es war, schon wieder auf hoher See ein Labor einzurichten. Schon wieder zu hoffen, sie könnten die Abartigen endgültig aufhalten.

Kate musste die Nässe wegwischen, die sich in ihren Augen bildete.

»Dr. Lovato«, sagte eine Stimme. »Entschuldigen Sie die Verspätung. Ich habe ein wenig verschlafen.«

Kate richtete sich auf und erblickte Dr. Carr mit seinem fettigen, dunklen Haar.

»Wenigstens haben Sie ein wenig geschlafen«, meinte sie. »Einer von uns sollte ausgeruht sein.«

Er half ihr, eine schwere Kiste auf einen der Labortische zu heben. Sie spürte, wie er sie mit einem Seitenblick musterte.

»Was ist?«, fragte sie schließlich.

»Nichts. Ich hoffe nur, es geht Ihnen gut.«

»Alles bestens«, log sie. »Wir müssen noch eine Menge herausfinden. Ist bloß schwer, sich auf Wissenschaft zu konzentrieren, während ich mir Sorgen um all die Menschen mache, die wir zurücklassen mussten.«

»Ich weiß, was Sie meinen.«

Das überraschte Kate. Bei Carr ging es in der Regel ausschließlich um Wissenschaft. Ihn Emotionen ausdrücken zu hören, verblüffte sie.

»Mit weniger Labortechnikern müssen wir selbst mehr Arbeit erledigen«, fuhr Carr fort.

Ach, darum geht’s also?, dachte Kate. Ihm bereitet nur Sorgen, wir könnten nicht genug Unterstützung haben.

Sie überlegte, ob sie ihn auffordern sollte, seine Aussage zu präzisieren. Letztlich entschied sie, es wäre besser, keine definitive Antwort zu haben. Kate würde einfach davon ausgehen, dass er sich tatsächlich um das Wohlergehen anderer Menschen sorgte.

Sie begannen, flüssige Reagenzien und Ausrüstungsteile auszupacken.

»Mir ist klar, dass noch einiges zu tun ist, um das Kommunikationsnetzwerk und die Superhirne zu verstehen«, sagte Kate. »Aber ich bin mir sicher, dass wir jetzt auf der richtigen Spur sind.«

»Ja. Ich bin auch überzeugt davon, dass Sie recht haben.« Carr verstummte mit einer Hand auf einer Kiste. »Was ich nicht verstehe, ist, wie sich die Abartigen die ganze Zeit vermehren konnten, ohne dass wir etwas davon bemerkt haben.«

»Die Natur findet immer einen Weg«, meinte Kate. Der Satz aus Jurassic Park ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Noch nie hatte er sich so zutreffend angefühlt.

»Richtig. Mutter Natur kann … na sagen wir mal, ein stures Miststück sein.«

Beinahe hätte Kate gegrinst.

»Die Jungen müssen in den Tunneln und in den Städten unerreichbar für unsere Überwachung gezüchtet worden sein«, sagte sie. »Die Superhirne und die Überläufer haben wahrscheinlich erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Nachkommen der Abartigen versteckt zu halten.«

»Auf jeden Fall. Und wenn unsere Theorien zutreffen, haben die Alphas mit den Tunneln zwischen den Superhirnen und den Brutstätten der Abartigen nicht nur Angriffslinien geschaffen.«

»Richtig«, pflichtete Kate ihm bei. »Sie sind wie eine Ameisenkolonie. Superhirne als Königinnen und unterirdische Kammern für Aufzucht, Fütterung und Transport. Ähnlich dem, was wir in Europa bei den dortigen Mutationen beobachtet haben.«

»Genau.«

Eine Zeit lang arbeiteten sie schweigend weiter. Ein Klopfen an der Luke erregte Kates Aufmerksamkeit.

Ein großer, gertenschlanker Mann mit zottigem blonden Haar streckte ihr die Hand entgegen.

»Ich bin Sean McMasters. Einer der neuen Labortechniker.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Sean«, sagte Kate. »Wir richten uns gerade ein.«

Sean beauftragte eine Gruppe anderer Labortechniker damit, für die schwereren Geräte wie PCR-Maschinen und Mikroskope einen Platz im neuen Labor zu finden.

Schon mit Sean und wenigen anderen Mitarbeitern war der Raum überfüllt. Es konnten kaum mehr als 80 Quadratmeter sein, das vielleicht kleinste Labor, in dem Kate je gearbeitet hatte.

Sean schob einen weiteren Handwagen mit Material herein.

»Wohin damit?«, fragte er.

»Was ist das?«, erwiderte Kate.

Sean betrachtete eine Reihe von Kartons. »Sieht mir nach Biopsieproben aus.«

»Dann müssen sie in den Tiefkühlschrank«, entschied Kate.

»Der ist schon randvoll.«

»Lassen Sie sich etwas einfallen, um Platz zu schaffen. Konsolidieren Sie die Proben. Was immer nötig ist.«

Carr sah sich in dem Raum um. »Hier ist es kleiner als in meiner ersten Einzimmerwohnung in Boston während meiner Studienzeit. Keine Ahnung, wie wir in so beengten Verhältnissen vernünftig arbeiten sollen.«

»Wir haben keine Wahl«, erwiderte Kate.

Allmählich fing das Labor an, wie ein Labor auszusehen. Trotzdem fühlte sich Kate nicht wirklich bereit, mit der Forschung zu beginnen.

Sie musste ständig an Reed, Horn, Donna, Bo und Timothy denken – und an Tausende andere, die auf dem Festland festsaßen, während sie den Luxus genoss, sich fernab der unmittelbaren Gefahr auf einem US-Kriegsschiff mit Tarnkappentechnologie zu befinden.

»Vielleicht sollten Sie sich ein wenig ausruhen«, schlug Carr unverhofft vor.

Kate sah ihn an.

»Ich will Ihnen nicht vorschreiben, was Sie zu tun haben. Aber eine Portion Ehrlichkeit zwischen Laborkollegen erleichtert die Arbeit ungemein. Ich merke, dass Sie mit dem Herzen und den Gedanken im Außenposten Portland sind.«

Damit hatte er nicht unrecht.

»Ich werde nicht schlafen können«, sagte sie. »Vertrauen Sie mir, ich werde bei der Sache sein. Ich brauche nur etwas Zeit. Ich bewältige meine Sorgen immer am besten, indem ich mich in Arbeit stürze.«

»Mag sein, aber …«

Kate drehte ihm den Rücken zu und schaltete ihre Computer ein. Im Augenblick vermisste sie Pat Ellis mehr denn je. Carr war nicht nur eigen, er schien keine normalen menschlichen Emotionen zu besitzen.

Vielleicht ist das ja gut, dachte Kate. Der Mann konnte arbeiten, ohne sich Sorgen um irgendjemanden zu machen.

Es dauerte eine Weile, aber umgeben von Carr und den Labortechnikern gelang es ihr letztlich, sich in der Arbeit an einem der Computer zu verlieren.

Das Ziel, die Sprache der Superhirne zu entschlüsseln, spornte sie an und half ihr, andere Sorgen vorübergehend zu vergessen. Jeder Vorteil der Abartigen könnte zunichtegemacht werden, wenn es ihnen gelänge, den Kampf im Labor zu gewinnen.

Aber wie immer arbeiteten sie gegen die Zeit. Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrzehnts musste sich Kate mit der Sanduhr des Weltuntergangs messen. Nur stand die Menschheit diesmal viel knapper vor der Ausrottung, und es gab viel weniger Menschen, um die Bestien aufzuhalten.

Die Abdrücke von klauenbewehrten Füßen verliefen über den Rasen vor dem Wohnbereich des Luftwaffenstützpunkts Scott. Sie führten von Kratern im Asphalt weg, von Löchern, durch die Alphas mitten auf der Straße hervorgebrochen waren.

Dohi kauerte mit Rico hinter einem Humvee und suchte die Reihen fast identischer Häuser nach Hinweisen auf Überlebende ab. Etwa zehn weitere Soldaten befanden sich verteilt hinter ihnen. Mutige Männer und Frauen, die sich freiwillig dafür gemeldet hatten, hinter die feindlichen Linien zu schleichen.

»Das könnte es sein«, meinte Rico und zeigte auf ein Haus ein Stück den Block hinunter. Es hatte blaue Fensterläden und beigefarbene Seitenverkleidungen, wie man es ihnen beschrieben hatte. Büsche säumten den Vorgarten und erstreckten sich nach hinten.

Sie hatten den Weg hierher zu Fuß antreten müssen. Deshalb hatten sie den Großteil des Morgens für eine Strecke gebraucht, die in einem Auto in nicht einmal fünf Minuten bewältigt worden wäre. Allerdings hätten Fahrzeuge jeden Nachzügler der Abartigen angelockt, der nicht zurück unter die Erde verschwunden war.

Draußen im Sonnenlicht trieb sich immer noch eine beträchtliche Anzahl der Ungetüme herum. Das Team der Freiwilligen hatte auf dem Weg von der Kommandozentrale bis zur nordwestlichen Ecke des Stützpunkts gegen mehrere Rudel gekämpft. Dabei hatten sie einen Soldaten durch einen Abartigen verloren, der sich unter einem Auto versteckt hatte.

Dohi sichtete zwei Bestien, die auf den Dächern vor ihnen kauerten. Er wies ihre Scharfschützen auf sie hin.

Zwei schallgedämpfte Schüsse schlugen in die warzigen Schädel der Monster ein. Die beiden Kadaver rutschten von den Dächern und plumpsten ins Gras.

Rico gab das Zeichen zum Vorrücken. Das Team bahnte sich den Weg die Straße entlang zwischen den Häusern hindurch.

Einige hatten zertrümmerte Fenster, bei anderen waren die Türen aufgebrochen worden. Verschmierte, blutige Handabdrücke übersäten die Einfahrt des Hauses links von Dohi. Diese Spuren führten direkt zu einem Tunnel.

Er übernahm wieder die Spitze und das Team der Freiwilligen steuerte auf das Zielhaus zu. Alle schwenkten die Waffen hin und her, während sie nach Monstern Ausschau hielten. Als sie das Haus erreichten, warf sich Dohi gegen die Eingangstür und brach sie nach innen auf.

Er sicherte die nahen Winkel, bevor er durch einen Flur in ein großes Wohnzimmer mit Teppichboden rannte. Glasscherben glitzerten auf dem Teppich neben schlammigen Fußspuren. Zwei große Fenster im Wohnzimmer erwiesen sich als zerbrochen. Der Wind zerrte an den Vorhängen.

Rico wies die Hälfte des Teams an, das Erdgeschoss zu sichern, dann bedeutete sie Dohi, dass er das zweite Team nach oben führen sollte. Schon beim ersten Schritt nahm er den Geruch von fauligem Obst wahr.

Scheiße, wir kommen zu spät …

Dohi stieg leise die mit Teppich ausgelegte Treppe hinauf. Oben erwartete ihn ein grausiger Anblick. Blut und sonstige Körperflüssigkeiten waren an die Wände, die Decke und auf den Teppich gespritzt. Er folgte der grausigen Spur in ein Schlafzimmer, wo die Überreste zweier Männer und einer Frau ausgestreckt hinter einer aufgebrochenen Tür lagen.

Zwei Abartige kauerten über den Leichen, rissen Muskeln heraus und stopften sie sich in die Mäuler. Sie kauten geräuschvoll und schmatzten mit den Lippen. Blutige Sehnen hingen ihnen um die Hälse und Brustkörbe.

Dohi ließ das Gewehr auf den Tragriemen fallen und zog stattdessen Messer und Beil. Die ausgehungerten Kreaturen fraßen weiter, bekamen nichts von seiner Anwesenheit mit.

Er stürmte vor, ließ das Beil auf den Kopf der größeren Kreatur niedersausen und schlug es tief in den Schädel. Dann rammte er die Spitze des Messers in ein Auge des anderen Ungetüms.

Beide Monster sackten mit einem dumpfen Aufschlag zu Boden. Dohi wischte seine Waffen am Teppich ab und kehrte zurück in den Flur.

Mehrere Soldaten starrten ihn an, als er und Rico zu einem anderen Raum vorausgingen. Dort fanden sie weitere Leichen, fast bis auf die Knochen abgenagt.

»Unten«, ertönte eine Stimme.

An der Treppe stand ein Soldat und winkte ihnen zu. Das Team folgte dem Mann die Stufen hinunter.

»Wir haben im Keller sechs Kinder gefunden«, berichtete einer der Männer, die das Erdgeschoss gesichert hatten.

Beim Anblick der Kleinen, die durch eine Tür geführt wurden, vollführte Dohis Herz einen Satz.

»Gott sei Dank«, flüsterte Rico.

»Wie haben sie überlebt?«, fragte Dohi.

»Die Erwachsenen müssen sie versteckt haben«, meinte der Soldat.

Die meisten Kinder schienen unter Schock zu stehen. Ein etwa achtjähriges Mädchen brach beim Anblick des Bluts an den Wänden in hysterisches Geschrei aus.

»Wo sind Mom und Dad?«, rief die Kleine. »Ich will zu meinen Eltern!«

Rico versuchte sie zu beruhigen, doch es war bereits zu spät. Von draußen drang ein unmenschliches Kreischen herein.

Ein Soldat zog die Vorhänge zurück und spähte hinaus.

»Wir haben Gesellschaft«, verkündete er.

Dohis Herz hämmerte wild, als er den Blick über die Kinder wandern ließ. Zwei davon waren höchstens vier Jahre alt. Das würde nicht einfach werden.

»Ihr müsst alle superleise sein, okay?«, sagte Rico zu den Kindern.

Zwei nickten mit großen Augen und blassen Gesichtern, die meisten jedoch schienen immer noch völlig unter Schock zu stehen.

»Beeilung«, drängte Dohi. Er teilte ein Team von Soldaten dazu ein, die Kinder zu führen, dann ging er durch die Hintertür voraus in einen von Büschen gesäumten Garten. Über die dürren Äste sah er benachbarte Hinterhöfe.

Von der Straße kamen die Geräusche klickender Gelenke und knurrender Kehlen.

»Deckt uns den Rücken«, rief jemand.

Die Soldaten der Nachhut zielten auf die Hintertür des Hauses, das sie gerade verlassen hatten. Nur einen Herzschlag danach pflügte sich explosionsartig der gepanzerte Körper eines Jung-Abartigen heraus.

Schüsse knallten und schlugen in die zähe Haut des Ungetüms ein. Die Kreatur stolperte noch ein paar Meter weiter, bevor sie wie eine Schildkröte mit aufgebrochenem Panzer zusammenbrach. Blut sickerte aus ihren Wunden.

Zwei weitere Jung-Abartige folgten. Sie stürmten so wild an, dass sie den Türrahmen mitrissen, bevor sie in den Beschuss der vier Soldaten der Nachhut gerieten. Ihre Projektile durchdrangen die Panzerung der Monster und beide gingen als verrenkter Haufen blutender Gliedmaßen zu Boden, bevor sie die Kinder erreichen konnten.

Die entfernten Schreie anderer jagender Monster ertönten. Weitere kreischende Rufe antworteten darauf.

Ein Soldat mit krummer Nase schüttelte den behelmten Kopf. »Mit den Kindern schaffen wir es nicht zurück. Nicht ohne Transport.«

Ein anderer Soldat schlang sich das Gewehr auf den Rücken und hob ein schluchzendes Mädchen hoch. Die Kleine klammerte sich mit den Armen um seinen Nacken an ihm fest.

»Jim hat recht«, sagte der Mann. »Zu Fuß schaffen wir es unmöglich zurück zur Kommandozentrale.«

Die Gruppe duckte sich, als ein weiterer Abartiger auf der Straße vor den Häusern einen Ruf ausstieß. Die Bestien suchten eindeutig nach ihnen.

»Rico, sieh zu, dass wir Luftunterstützung kriegen können«, flüsterte Dohi.

Sie nickte und bückte sich.

»Zentrale, Ghost 2«, funkte sie. »Wir brauchen umgehend Exfiltration. Wir haben sechs Kinder im Zielgebiet. Over.«

»Verstanden, Ghost 2«, antwortete eine Stimme über den Kanal. »Halten Sie durch. Ich versuche, einen Black Hawk für Sie aufzutreiben.«

Dohis Magen krampfte sich zusammen, während sie warteten.

Der misstönende Chor der Abartigen fegte durch das Areal der Wohnhäuser. Jede Stimme stammte von einer Bestie, die weitere zur Jagd auf frische Beute rief. Es handelte sich um die Nachzügler, die sich noch nicht in die Tunnel und die Dunkelheit zurückgezogen hatten.

Dohis Einschätzung nach waren sie verzweifelt und hungrig genug, um für eine Mahlzeit selbst im grellen Sonnenlicht alles zu riskieren.

Wenige Augenblicke später kam die Rückmeldung über Funk.

»Ich habe zwei Vögel für Sie in der Luft, Ghost 2. Unterwegs zu Ihrem Standort, over.«

»Verdammt, ja – danke«, gab Rico zurück.

Lächelnd nickte sie Dohi zu.

»Wir sind im Geschäft«, meinte er. »Helft alle mit, die Kinder ruhig zu halten, dann schaffen wir’s vielleicht in einem Stück zurück zum Kommandoposten.«

Aus östlicher Richtung näherte sich das Wummern von Helikopterrotoren und übertönte den Lärm der Monster. Es würde nicht lange dauern, bis die Black Hawks eintrafen. Allerdings würden die lauten Triebwerke auch andere Abartige auf ihre Position aufmerksam machen.

»Wir können nicht hier warten«, sagte Dohi.

»Keine Deckung«, meinte ein anderer Soldat, der einen Jungen trug.

Dohi bereitete außerdem Sorge, dass sich unerwartet ein Tunnel auftun könnte.

»Da«, sagte der Soldat mit der krummen Nase. Er zeigte durch den Hinterhof auf ein anderes Haus, das ihnen direkt gegenüberlag. »Die Veranda. Ist zwar nicht viel, aber wenigstens ein bisschen Deckung, und wir wären weg vom Boden.«

Wieder unterbrach der schrille Ruf eines Abartigen das gleichmäßige Wummern der Hubschrauber.

Dohi setzte sich geduckt in Bewegung. Sein Blick suchte die Umgebung ab. Zwei Soldaten folgten ihm an den Flanken. Die anderen trugen die Kinder oder halfen ihnen. Die Kleinen waren nicht alt genug, um eigenständig in der Kolonne zu bleiben.

Nach einer Reihe von Büschen zwischen zwei Hinterhöfen betrat Dohi eine Holztreppe, die zu einer Veranda fast eineinhalb Meter über dem abschüssigen Boden führte.

Das Team brachte die Kinder nach oben und stellte sie in der Mitte der Veranda ab. Vorsichtig verschoben Dohi und zwei Soldaten die Gartenmöbel aus Metall zu den Holzlatten, die außen um die Veranda verliefen.

Der Ort war alles andere als ideal und bot wenig Schutz. Aber durch die erhöhte Lage hatten sie freies Schussfeld auf die angrenzenden Hinterhöfe und Häuser – und vor allem freie Sicht zu dem nur 50 Meter entfernten Haus, aus dem sie gekommen waren.

»Haltet die Kinder von den Seiten fern und seid bereit loszurennen, sobald die Helikopter landen«, sagte Rico.

Geheul dröhnte aus dem Haus, in dem sie die Kinder gefunden hatten.

Ein Jung-Abartiger streckte das Gesicht durch eines der Fenster heraus. Blut tropfte von seinen widerlichen Lippen. Braune Nasenlöcher blähten sich, als die Kreatur den Gestank ihrer tot im nahen Gras liegenden Brüder einsaugte.

Dohi richtete das Zielfernrohr aus und drückte den Abzug. Rot spritzte es aus einem frischen Loch in der Stirn des Monsters und es geriet fallend aus dem Blickfeld.

Einen Moment lang herrschte Stille. Dohi hielt das Gewehr wartend bereit. Er spürte, dass etwas folgen würde.

Und er behielt recht.

Abrupt wurde die Ruhe erschüttert, als ausgewachsene Abartige aus dem Gebüsch im Hinterhof stürmten. Die sehnigen Bestien galoppierten über das Gras. Mehrere Jung-Abartige schlossen sich ihnen an.

Panzerbrechende Projektile durchschlugen die Hornplatten, die ihre Organe schützten. Ein Monster nach dem anderen fiel und schlitterte über den mittlerweile blutnassen Rasen.

Die Bestien wurden zunehmend wilder, als sie in Richtung der Veranda strömten. Ein Ungetüm stürzte aus einem Gebüsch hervor und schaffte es durch den Beschuss auf Dohis rechte Seite. Es erreichte das Geländer und hieb nach einem Soldaten, der gerade sein Magazin zu wechseln versuchte.

Dohi drehte sich dem Mann zu, um zu helfen, und entfesselte einen Kugelhagel auf die Seite des Monsters. Es kreischte vor Schmerz und stürzte rückwärts, aber der Schaden war bereits angerichtet.

Der Soldat ließ das Gewehr und das Magazin fallen, um seinen Hals zu umklammern. Arterienblut sprudelte zwischen seinen Fingern hervor. Rote Blasen blubberten aus seinem Mund, als er versuchte, etwas zu sagen.

Schreiende Kinder rissen Dohis Aufmerksamkeit von dem grausigen Anblick weg. Zwei der Soldaten mussten ihre Schusspositionen aufgeben, um zu verhindern, dass die Kinder auseinanderliefen.

»Verdammter Mist«, fluchte Dohi.

Er versuchte, sich mit den Worten anzuspornen, die Fitz so oft wiederholte.

Gib einfach alles, was du hast.

Aber diesmal ging es nicht nur um sein Leben oder das seiner Teammitglieder. Sie hatten sechs Kinder dabei.

Eine weitere Minute lang stürmten die Nachzügler der Abartigen durch die offenen Hinterhöfe und aus den Häusern an. Sie kamen in Schüben aus jeder Richtung. Nicht in den unaufhörlichen Wellen, gegen die sie bei der Ankunft auf dem Stützpunkt gekämpft hatten, dafür mit einer Raserei, die Dohi bis ins Mark erschütterte.

Die Minute zog sich eine gefühlte Ewigkeit hin, bis endlich einer der blutverschmierten Soldaten zum Himmel zeigte. Zwei schwarze Silhouetten bildeten einen scharfen Kontrast zum blauen Hintergrund.

Der Lärm der Helikopterrotoren und das Gebrüll der M240er übertönten das Geschrei der Abartigen. Projektile rissen den Erdboden um die Veranda herum auf und mähten die Monster nieder.