Wer einmal lügt, dem folgt man nicht - Erin J. Steen - E-Book

Wer einmal lügt, dem folgt man nicht E-Book

Erin J. Steen

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Beschreibung

Wenn all deine Freunde tot sind und deine Familie dir mehr Bürde als Stütze ist, gibt es nur zwei Dinge, die du tun kannst: Aufgeben oder komplett neu anfangen. Deshalb folgt der junge Polizist Tyler dem Jobangebot einer Kollegin in die Modemetropole Fairfield. Kaum tritt er seinen ersten Dienst an, wird er einem Team zugeteilt, das Ungereimtheiten in der Ermittlung um das Verschwinden einer stadtbekannten Journalistin aufklären soll. Von der Frau fehlt seit Wochen jede Spur – ein Umstand, den Tyler einfach nicht akzeptieren kann. Da muss etwas sein. Doch bevor er diese Aufgabe lösen kann, muss er ein Geflecht aus Geheimnissen entwirren und stellt fest, dass in dieser Stadt scheinbar jeder etwas zu verbergen hat. Manche würden sogar töten, um ihre Sünden unter Verschluss zu halten. Dieser Sammelband enthält die ersten drei Episoden der Serie: Aller Laster Anfang Nichts bleibt ohne Folgen Hinter den Masken

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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DAS BUCH

Wenn all deine Freunde tot sind und deine Familie dir mehr Bürde als Stütze ist, gibt es nur zwei Dinge, die du tun kannst: Aufgeben oder komplett neu anfangen.

Deshalb folgt der junge Polizist Tyler dem Jobangebot einer Kollegin in die Modemetropole Fairfield. Kaum tritt er seinen ersten Dienst an, wird er einem Team zugeteilt, das Ungereimtheiten in der Ermittlung um das Verschwinden einer stadtbekannten Journalistin aufklären soll.

Von der Frau fehlt seit Wochen jede Spur – ein Umstand, den Tyler einfach nicht akzeptieren kann. Da muss etwas sein. Doch bevor er diese Aufgabe lösen kann, muss er ein Geflecht aus Geheimnissen entwirren und stellt fest, dass in dieser Stadt scheinbar jeder etwas zu verbergen hat.

Manche würden sogar töten, um ihre Sünden unter Verschluss zu halten.

DIE AUTORIN

Erin J. Steen wurde im Herbst 1983 in Niedersachsen geboren. Dort lebt und arbeitet sie auch heute wieder, nachdem sie einige Jahre in verschiedenen Orten im In- und Ausland verbracht hat. Sie liebt große Städte, möchte aber nicht mehr längere Zeit in einer Großstadt leben. Das Haus teilt sie mit einem Mann, einer Tochter und zwei tierischen Gefährten.

Ihre Freizeit verbringt sie nicht nur mit dem Schreiben, sondern auch mit Spaziergängen im Wald, der Familie und stetig wechselnden kreativen Hobbys. Sie fotografiert, näht und denkt hin und wieder daran, das Töpfern zu erlernen.

Ankündigungen neuer Projekte, exklusive Infos und aktuelle Termine gibt es im Newsletter. (Anmeldung über www.erinjsteen.com)

WER EINMAL LÜGT, DEM FOLGT MAN NICHT

SAMMELBAND 1 (EPISODE 1-3)

BAD HABITS

ERIN J. STEEN

INHALT

Aller Laster Anfang

Bad Habits 1

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Nichts bleibt ohne Folgen

Bad Habits 2

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Hinter den Masken

Bad Habits 3

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Nachwort

1. Auflage, 2023

© Erin J. Steen – alle Rechte vorbehalten.

Erin J. Steen

Zum Fuhrenkamp 12

38448 Wolfsburg

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, unterliegen der Zustimmung des Rechteinhabers.

Personen und Handlungen in dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

[email protected]

www.erinjsteen.com

ALLER LASTER ANFANG

BAD HABITS 1

PROLOG

Auf der anderen Seite des schweren Moltons brummte es wie in einem Bienenstock. Obwohl der Theatervorhang schalldämpfend wirkte, spürte sie die Unruhe im Publikum bis zum Bühnenaufgang.

Seit Tagen machte der Stadt eine Hitzewelle zu schaffen. Auch im modernen Theater Fairfields ließ sich die feuchte Luft nur um wenige Grad herunterkühlen. Die Klimaanlage lief auf Hochtouren.

Dennoch hatten die in edle Abendkleider gewandten Damen damit zu kämpfen, dass ihnen die Kleidung auf der schweißnassen Haut klebte. Mit jeder Bewegung riskierten sie, dass der zarte Stoff riss. Der Saal war voll und sie alle waren gekommen, um an diesem Abend der alljährlichen Preisverleihung der National Broadcasting Society beizuwohnen und die Preisträger zu bejubeln. Die geladenen Gäste trugen bodenlange Roben und hochgeschlossene Anzüge, wie es dem Anlass gebührte.

Teagan Osbournes Bauch rumorte. Das rührte nicht nur von den zwei Margaritas, die sie auf leeren Magen getrunken hatte. Vielmehr lag es daran, dass sie es allein getan hatte.

Sie war mit ihrer besten Freundin Delia in ihrem Stammrestaurant verabredet gewesen. Gemeinsam wollten sie auf den Abend anstoßen, an dem sie ihr einen bedeutenden Preis überreichen durfte. Jahrelang hatte Delia darauf hingearbeitet und endlich war es so weit. Nie zuvor hatte eine Modejournalistin diese Auszeichnung der NBS entgegennehmen dürfen. Doch ihre Freundin war weder in der Bar aufgetaucht noch hatte sie sich abgemeldet.

»Guten Abend, sehr geehrte Damen und Herren«, erklang die rauchige Stimme des prominenten Moderators von CFB One aus den Lautsprechern und das Gemurmel der rund sechshundert Gäste verstummte auf einem Schlag. Mit seinen einführenden Worten machte er Appetit auf den Rest des Abends und sorgte für erste Lacher, bis die Band ihren Platz auf der Bühne eingenommen hatte.

Teagan fuhr mit dem Daumen über ihre klammen Fingerspitzen. Es fühlte sich an, als gehörten sie einer Fremden.Sicher wartete Delia schon an ihrem Platz im Publikum auf sie und hatte ihr Date bei all der Aufregung nur vergessen. Wenn sich ein Mensch auf dem Planeten eine derartige Verfehlung erlauben durfte, dann sie.

»Sind Sie so weit, Miss Osbourne?«, fragte sie eine Regieassistentin, die mit ihrer dezent schwarzen Kleidung mit dem Hintergrund verschwamm. Sie und ihre Kollegen sollten nicht auffallen, sondern wie hilfreiche Elfen unsichtbar den Zauber wirken, der eine landesweit übertragene Preisverleihung wie ein Kinderspiel aussehen ließ.

Teagan sah an dem mitternachtsblauen Kleid mit den lichtreflektierenden Seidenfäden hinunter auf ihre makellosen Stilettos. Sie würde auf der Bühne schimmern wie der Sternenhimmel in dieser betörenden Julinacht. Alles an ihrem Auftritt war bis ins letzte Detail durchgeplant, doch die ungewohnte Nervosität blockierte sie. Sie lag wie ein Gewitter über ihr und mochte jeden Moment mit Blitz und Donner über sie hereinbrechen.

»Selbstverständlich«, bestätigte sie kraftvoll. Aufgeben war in ihrer Familie nie eine Option gewesen. Routiniert straffte sie die Schultern und legte ihr schönstes Medienlächeln auf, während sie auf das Signal wartete.

»Kommen wir zur Verleihung des Grünen Schlüssels, dem Preis für die beste Nachwuchsjournalistin oder den besten Nachwuchsjournalisten des Jahres. Bitte begrüßen Sie mit mir die wundervolle Teagan Osbourne.«

Sie zählte bis drei und ließ dem Applaus Raum, um anzuschwellen. Dann trat sie auf die Bühne und strahlte dem Publikum entgegen. Mit federleichten Schritten stieg sie das kleine Podest empor. Oben angekommen wartete sie einen Moment, damit sich wieder andächtiges Schweigen über den Raum legen konnte.

»Liebe Gäste, ich habe heute an meines Vaters Stelle die große Ehre, einen der begehrtesten Preise des Abends zu verleihen. Bitte gestatten Sie mir jedoch zunächst, Ihnen die Nominierten und ihre Arbeiten vorzustellen.« Die Präsentation der Journalisten lief hinter ihr über die Leinwand, während Teagans Augen unauffällig durch das Publikum wanderten. Die Zuschauer konzentrierten sich ganz auf die Bilder hinter ihr, sodass sie nach ihrer Freundin Ausschau halten konnte.

Alle Preisträger sollten in der Nähe der Gänge sitzen, damit sie ungehindert auf die Bühne kamen, wenn ihre Namen genannt wurden. Doch auf keinem der Plätze sah jemand ihrer Freundin auch nur ähnlich. Sie trug die kurzen Anmoderationen der einzelnen Reportagen vor, die an diesem Abend auf der Shortlist gelandet waren. Keiner der anderen Beiträge hatte auch nur im Entferntesten ihr Interesse geweckt. Das ließ sie sich in ihrer Moderation natürlich nicht anmerken.

Sie kommentierte die Beitragsreihe über die Schicksale der Obdachlosen in der Stadt mit der gleichen gespielten Begeisterung wie die Reportage über die Blumenzucht des Jahres. Als alle Beiträge ihre dreißig Sekunden Ruhm erhalten hatten, richtete sie sich nochmal zu ihrer vollen Größe auf und setzte zur Verkündung an.

»Der diesjährige Grüne Schlüssel für den besten Nachwuchsjournalisten geht an Delia Gupta für ihren Einblick in die verborgene Welt hinter der Designermode. Herzlichen Glückwunsch, liebste Delia. Du hast es dir verdient«, beendete Teagan ihre Rede und strahlte weiter, während nun die Scheinwerfer durch das Auditorium wanderten. Sie würden mehr Erfolg haben.

Die Reportage, mit der Delia diesen Preis gewonnen hatte, war eine atemberaubende Geschichte, bei deren Entstehung Teagan hautnah dabei gewesen war. Sie wusste, was es ihre Freundin gekostet hatte, den ersten Artikel zu dem Thema zu veröffentlichen, und wie sehr sie sich diesen Preis erarbeitet hatte. Gleich würden die Beleuchter Delia finden und die Lichter sich an ihrem Sitzplatz sammeln. Ihre beste Freundin würde mit ihrem herzlichen Lächeln in die Kameras strahlen, winken und zu ihr hinauf kommen. Dann würde endlich auch dieses Unwohlsein in ihrem Magen verschwinden.

Ganz sicher. Hoffentlich.

Die Lichtkegel kreisten und kreisten. Die Kameras blieben auf die Bühne gerichtet. Auf diesen Fall waren weder sie noch die Kameraleute vorbereitet. Die feinen Härchen in Teagans Nacken stellten sich auf und ein eisiger Luftzug streifte sie. Panik wallte in ihr auf und ließ sich nur schwer hinter der Fassade verbergen.

* * *

Delia verpasste ihre eigene Preisverleihung.

Auch am nächsten Tag tauchte sie nicht auf. Weder in der Redaktion ihres Magazins, noch in ihrem Freundeskreis wusste jemand, wo sie sich aufhielt. Schließlich ließ ihre Familie die Wohnungstür öffnen. Dort war ebenfalls keine Spur von der Vermissten zu finden.

Es war, als hätte sich an ihrem wichtigsten Tag der Erdboden unter ihr aufgetan und Delia Gupta verschluckt. Nicht einmal ein Riss blieb an der Stelle zurück. Nichts.

Selbst Wochen nach jenem Tag gab es keine Informationen zu ihrem Verbleib. Ganz Fairfield suchte nach ihr, doch niemand fand einen einzigen brauchbaren Hinweis.

Weil keiner wusste, was mit ihr geschehen war, breitete sich besonders unter den jungen Frauen in der Metropole Sorge aus. Delia war oft und gern ausgegangen. Konnte ihr das zum Verhängnis geworden sein?

Niemand konnte diese These entkräften, weshalb haltlose Gerüchte die Runde machten. Hinter vorgehaltener Hand wurde gemunkelt, man müsse eine Ausgangssperre einrichten, um die jungen Frauen zu schützen. Doch letztlich blieb alles, wie es war. Das Nachtleben zeigte sich unbeeindruckt – sowohl von ihrem Verschwinden als auch von den Gerüchten. Irgendwann verstummten auch die Rufe der Medien nach Aufklärung.

Einzig, dass keine Leiche gefunden wurde, gab Familie und Freunden Anlass zur Hoffnung. Unter ihnen regte sich Unmut, dass die Polizei so gar keine Ahnung zu haben schien, was mit Delia passiert war.

War es Mord? Eine Entführung? War sie davongelaufen? Oder steckte etwa ein Unfall hinter ihrem Verschwinden?

Erst ein Brief an den Fairfield Chronicle brachte schließlich wieder Bewegung in die Ermittlungen. Der anonyme Autor drohte, er würde nicht ruhen, ehe nicht alle Wahrheiten ans Licht gekommen waren, die mit Delias Verschwinden in Zusammenhang stehen mochten.

Bei jenen, die noch keine Angst hatten, führte diese Ankündigung zu Schweißausbrüchen. Denn die eigenen Geheimnisse blieben besser unangetastet. Schließlich gab es einen Grund, warum man sie geheim hielt.

Keinen der Bewohner der Stadt ließ Delias Schicksal unberührt. Manche hatten sogar mehr damit zu tun, als allen anderen bewusst war...

KAPITELEINS

QUINN

»Wirklich erstaunlich, dass in diesen Koffer mein gesamtes Leben passt«, murmelte sie beim Anblick des braunen Lederkoffers, dessen durchdringender Geruch das ganze Kinderzimmer erfüllte. Ein Zimmer, dem sie längst entwachsen war. Dennoch waren der kleine Raum und das hellhörige Haus ihre Heimat.

An diesem Samstagmorgen zog Quinn von Zuhause fort und wagte den ersten Schritt in ihr eigenes Leben. Alles, was sie kannte, ließ sie hinter sich, um sich neuen Herausforderungen zu stellen. Ihre Mum und ihr älterer Bruder Logan blieben zurück. Ebenso ihre beste Freundin Kate, die sie in- und auswendig kannte.

Manchmal empfand sie ihr Leben am Rand der Welt als langweilig und doch waren die schönen Bilder ihrer eigenen Jugend unmittelbar mit allem hier verbunden.

Die Großstadt, in die sie aufbrach, machte ihr Angst. Sie betrat ein neues Umfeld, in dem sie weder die Wege noch die Regeln kannte. Ihre ganze Welt würde sich verändern, ob sie die Veränderung im Detail nun wollte oder nicht. Sie hatte sich dafür entschieden, diesen Schritt zu wagen.

Der einzige Hoffnungsschimmer in der Fremde war die Wohngemeinschaft, in die sie zog. Da war irgendwo jemand, der sich zwangsläufig mit ihr befassen musste. Jemand, der sie hoffentlich aufsammelte, wenn sie unter der Last zusammenbrach. Am Telefon hatte ihr zukünftiger Mitbewohner sehr nett geklungen. Aber die Wahrheit würde sie erst vor Ort erfahren. Vielleicht sogar erst nach Wochen.

Der Job bei Brooks & Shore war der Grund, aus dem sie ihre Heimat hinter sich ließ. Nirgendwo anders hätte sie eine so phänomenale Chance bekommen, ihr Handwerk zu perfektionieren, wie bei ihnen.

Ihr war das Risiko allzu bewusst. Noch nie in ihrem Leben hatte sie Angst vor dem Scheitern gespürt. Doch langsam wurde ihr klar, dass Misserfolg durchaus im Rahmen der Möglichkeiten lag.

So verließ sie ihre Heimat mit tausend Schmetterlingen im Bauch, die von winzigen Trommelsteinen begleitet wurden. Es zog sie hinab, obwohl sie fliegen wollte. Und sie flog trotz des tonnenschweren Gewichts, das sie am Boden halten wollte. Flügel und Ballast.

Seufzend sank sie auf die hölzernen Dielen und strich über die ordentlich gefalteten Kleidungsstücke im Koffer. Es war Zeit zu gehen. Sonst würde sie den Absprung nie schaffen. Natürlich konnte sie noch ein Jahr bleiben, aber es würde nur schwerer werden sie zurückzulassen.

Ein weiteres Jahr mit Logan, Kate, Mum und ihrem wohligen Alltagstrott, in dem sie nichts, aber auch gar nichts Neues dazu lernte.

Vergeudete Zeit.

Jahre des Stillstands.

Das hatte sie nun schon lange genug ausgehalten. Sie musste aus ihrem geliebten Kokon ausbrechen, um ihre schönen Flügel ausbreiten zu können. Dieser Job glich dem Riss in der Puppe. Er war ihre Tür. Sie musste nur heraustreten und sich der Welt stellen.

Noch einmal ging sie alles durch, damit sie auch nichts Wichtiges vergaß. Sie hatte sämtliche Kleidung, die sie gerne trug, ihre Badezimmerartikel, alle regelmäßig genutzten Schuhe und einige persönliche Gegenstände eingepackt. Trotzdem war noch so viel Platz im Koffer, dass es sie ganz nervös machte.

Ihr Werkzeug und die Werke, an denen ihr etwas lag, waren in dem Aluminium-Koffer, der neben der Zimmertür stand.

»Bist du so weit?«

Das Zittern in der sonst so melodisch sanften Stimme ihrer Mum verriet Quinn, dass auch sie unsicher war. Mit den Händen auf den üppigen Hüften lugte sie ins Zimmer. Es gelang ihr nicht, die Traurigkeit zu verbergen, die sie darüber empfand, dass ihre einzige Tochter das Haus verließ.

Sie alle wussten, wie schwer Verlust wog.

Energisch zog Quinn den Reißverschluss des Koffers zu, stand auf und straffte die Schultern.

»Kate wartet schon auf dich, Liebes!«

»Ich kann es kaum erwarten«, hörte sie sich sagen. Seltsamerweise folgte ihr Gefühl dem gesprochenen Wort. Ihre Mum schenkte Quinn ein aufmunterndes Lächeln und nahm ihr den Lederkoffer ab. Auf dem Weg durch den Flur vertrieben die flatternden Insekten langsam das Schweregefühl.

»Hast du deine Papiere? Ich habe dir alles zusammen auf deinen Schreibtisch gelegt.«

Unwillkürlich zog Quinn den Kopf ein. Natürlich hatte sie die Papiere nicht. Sie lief noch einmal zurück in ihr Zimmer und griff sich den Stapel Unterlagen. Dabei fiel ihr Blick auf den Spiegel, der über dem Schreibtisch hing. Ihre Augen wirkten wie die eines verschreckten Rehs, was die große Brille nur noch betonte. Das kurze, schokoladenbraune Haar lag strubbelig und wollte sich auch durch wiederholtes in Form ziehen nicht bändigen lassen. Ein typischer Bad Hair Day. An normalen Tagen lagen ihre Haare brav, wo sie hingehörten, und rahmten ihr ovales Gesicht ein. Heute erinnerte sie ihr eigener Anblick an jemanden, den ein Feueralarm aus dem Bett gerissen hatte und der immer noch nach dem Ausgang suchte.

»Dann eben nicht«, grummelte Quinn und zog trotzig den Lippenstift aus der Tasche ihrer Jacke. Mit einem Hauch Rubinglanz auf den Lippen fühlte sie sich gleich viel wohler.

»Jetzt ist es ein Look!«, erklang Kates Stimme vom Flur und Quinn ertappte ihr Spiegelbild bei einem Schmunzeln.

»Stil ist Konsequenz«, wiederholte sie, was die Freundinnen sich schon so oft gegenseitig vorgehalten hatten. Sie beide liebten es, gut auszusehen, aber keine von ihnen wollte ein Vermögen dafür ausgeben müssen. So hatten sie beschlossen, stets das Beste aus dem zu machen, was sie hatten. »Ist Logan nicht da?«

»Doch, er steht in der Küche und fummelt an seinem Telefon rum«, gab Kate achselzuckend zurück.

»Er weiß nicht, was er verpasst«, entgegnete Quinn kopfschüttelnd. »Habt ihr schon irgendwas verabredet?«

»Ach, wir sehen uns doch zwangsläufig. Du weißt selbst, wie klein dieser Ort ist. Wahrscheinlich begegnen wir uns ständig an den unmöglichsten Orten.«

»Aber das ist doch kein Date. Ihr solltet euch verabreden«, insistierte Quinn. »Sonst wird das nie etwas.«

Sie öffnete das große Fach des Rucksacks und verstaute die Papiere darin, ohne sie übermäßig zu knicken. Gemeinsam durchquerten sie den kurzen Flur und traten in die geräumige Küche des alten Bungalows. Ihre Mum klammerte sich an Logans Arm und versuchte erfolglos, ihre Tränen mit dem Handrücken abzutupfen.

»Oh Ma, jetzt hör doch auf. Es ist niemand gestorben«, grummelte Logan und löste sich aus der Umklammerung seiner Mutter.

»Danke, Brüderchen, du wirst mir auch fehlen.« Grinsend hauchte sie ihrem zwei Jahre älteren Bruder einen Kuss auf die Wange. »Aber er hat Recht, Mum. Ich komme doch wieder.«

Seufzend ließ sie Logan los und zog stattdessen ihre Tochter in den Arm. Das unterdrückte Schluchzen verstummte.

»Du wirst das toll machen, das weiß ich ganz sicher.« Sie schob Quinn auf Armlänge von sich und sah ihr fest in die Augen. »Mach deinen Vater stolz.«

»Ich gebe mein Bestes«, erwiderte Quinn gegen einen dicken Kloß im Hals, der ihre Stimme verzerrte. Das freundliche, runde Gesicht ihrer Mutter zierte ein trauriges Lächeln. Selbst nach so vielen Jahren war der Tod ihres Mannes ein schwieriges Thema für sie und die beiden mittlerweile erwachsenen Kinder. Es war ein Umstand, an den sich niemand von ihnen gewöhnen konnte.

»Kinder, ihr müsst los, sonst verpasst Quinn noch den Flug!«, entschied ihre Mutter. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass sie keineswegs spät dran waren.

»Okay, macht’s gut.«

Kate schnappte sich den Lederkoffer und marschierte damit durch die Tür. Quinn sah ihr nach. Sie brauchte nur eine Sekunde, um zu entscheiden, ob sie Logan einen Schubs gab oder nicht. Kate würde ihr deshalb nicht ewig böse sein – zumindest nicht, wenn es funktionierte.

Vielleicht war es eine hübsche Anekdote, die sie auf der Hochzeit der beiden eines Tages zum Besten geben konnte, wenn sie sich wegen ihrer Einmischung doch irgendwann fanden.

»Pass bitte für mich auf Kate auf, ja?« Es war nicht ganz der Schlag mit dem Zaunpfahl aber mit etwas Glück eine Aufforderung, die ihn zum Nachdenken brachte. Sein verdutzter Gesichtsausdruck verhieß zumindest, dass er sie gehört hatte und versuchte, die Worte irgendwo in seinem Gehirn einzuordnen. Er war nicht blöd, doch in Bezug auf Kate zeigte er sich reichlich begriffsstutzig. »Falls du eine Gebrauchsanweisung brauchst, ruf mich an.«

Sie griff nach dem Werkzeugkoffer, warf den kleinen Rucksack mit ihrem Handgepäck über die Schulter und lief Kate nach. Der Motor des roten Pickups am Straßenrand lief bereits, als sie hinaus trat. Auf der Ladefläche lag ihr brauner Koffer, doch das kostbare Werkzeug behielt sie lieber nahe bei sich. Quinn stieg auf der Beifahrerseite ein, stellte den Aluminiumkoffer zwischen ihre Beine und nahm den Rucksack auf den Schoß.

Kate warf ihr einen prüfenden Blick zu.

»Ist das bequem? Du musst bis Cheyenne so sitzen.« Quinn machte eine wegwerfende Handbewegung. Dass es unbequem werden konnte, war so ziemlich ihre letzte Sorge auf der Fahrt zum Flughafen. Wehmut breitete sich in ihrem Herzen aus, als sie durch das offene Fenster noch einmal ihrer Familie zuwinkte, die ebenfalls nach draußen getreten war. »Fahren wir?«

»Ja, ich bin bereit«, gab Quinn das Signal zur Abfahrt. Aus dem Radio drang einer ihrer Lieblingssongs von Taylor Swift, bei dem Kate normalerweise mit heruntergelassenen Fenstern laut mitsang. Heute schwieg sie. Ihr Blick war starr auf die Straße gerichtet und Quinn kannte ihre Freundin gut genug, um zu wissen, dass sie alles versuchte, um nicht zu weinen.

»Du musst unbedingt mit Logan reden«, empfahl Quinn ihr eindringlich. »Der Junge blickt gar nichts, wenn du es ihm nicht sagst. Schau, er mag dich doch offenbar!«

»Meinst du wirklich?« Das tränenverschleierte Glitzern in ihren Augen wich Aufregung.

»Ja, unbedingt!«, bestätigte Quinn. Dass Kate in Logan verliebt war, wusste Quinn seit Jahren. Er jedoch ließ sich nicht so leicht in die Karten schauen. In Gefühlsdingen war ihr Bruder immer verschlossen gewesen. Selbst wenn er mal eine Freundin hatte, waren ihre Mutter und sie in der Regel die letzten Menschen, die davon erfuhren. Nie im Leben hätte er zugegeben, dass er in ihre beste Freundin verliebt war.

Möglich war es dennoch.

Kate war optisch sein Typ und Quinn war überzeugt, dass sie auch vom Charakter gut zu ihm passen würde, aber Gefühle ließen sich nicht herbeireden. Kate musste irgendwann den Sprung ins kalte Wasser wagen und ihn einfach konfrontieren, wenn sie jemals wissen wollte, wie er zu ihr stand.

»Was ist das Schlimmste, das passieren kann?«

»Dass er mich auslacht und ich ihm jeden Tag wieder begegne«, antwortete Kate wie aus der Pistole geschossen. »Das wäre der Horror.«

»Dann ist jetzt auf jeden Fall der richtige Zeitpunkt, das Risiko einzugehen, weil du ihn in den nächsten 12 Monaten nicht täglich sehen musst«, versuchte Quinn, es ihrer Freundin so leicht wie möglich zu machen. »Wenn ich wiederkomme, ziehe ich bestimmt sowieso in eine eigene Wohnung. Vielleicht ziehen wir zusammen. Also falls du bis dahin nicht schon mit Logan zusammenwohnst.«

Ihre Worte ließen Kate genug Hoffnung schöpfen, um die Musik lauter zu drehen und summend in den nächsten Song einzustimmen. Im Brustton der Überzeugung schmetterte Quinn den Text zu Alannah Myles‘ Achtzigerjahre-Hit Black Velvet, bis ihre Freundin laut loslachte.

»Du wirst mir so fehlen.« Kate seufzte.

»Du mir auch«, beteuerte Quinn, als der Regionalflughafen von Cheyenne in Sicht kam und ihre Gedanken zu wandern begannen.

Wie es wohl war, in Fairfield zu leben? Sie betete, sie würde in der Großstadt zurechtkommen und sich nicht vollkommen verloren fühlen, aber das konnte wohl nur die Zeit zeigen. Wenn Jonah so nett war, wie er sich anhörte, würde es schon klappen.

»Ich beneide dich echt. Das ist eine Wahnsinnschance. Du wirst unglaublich viel lernen und faszinierende Menschen kennenlernen.«

Die Freundinnen verabschiedeten sich in der Haltezone vor dem Terminal mit einer innigen Umarmung. Der blumige Duft von Kates Lieblingsparfüm stieg Quinn in die Nase und weckte so viel Nostalgie, dass nun auch ihr Tränen in die Augen stiegen.

»Ich bin gespannt, was du erlebst. Das wird großartig für dich. Du wirst schon sehen.«

Betreten nickte Quinn und drängte die aufsteigende Traurigkeit zurück. Es war nur für ein Jahr.

»Hoffentlich hast du recht.«

Eigentlich hatte sie die Entscheidung genau deshalb getroffen, aber sie hatte auch Angst. Angst davor, allein zu sein. Angst davor, ihren Fokus zu verlieren und sich ablenken zu lassen. Die Großstadt mit all ihren Verlockungen war möglicherweise nicht der beste Platz für das letzte Intensivstudium vor ihrer Selbstständigkeit, aber es war der eine Ort, an dem ihr diese Chance geboten wurde.

»Absolut. Ich würde so gern mitgehen, aber das kann ich Logan nicht antun.« Sie schmunzelte über ihren wiedererwachten Optimismus. »Du musst mir alles erzählen, was du erlebst, versprochen?«

»Ich rufe dich gleich an, wenn ich gelandet bin«, versprach Quinn, während sie nach ihren Koffern griff. Ihre beste Freundin winkte ihr nach. Dann schlossen sich die automatischen Türen hinter ihr und Quinn fand sich im klimatisierten Terminal wieder.

Nur noch 6 Stunden, bis ihr neues Leben begann.

KAPITELZWEI

TYLER

»Ich begreife nicht, warum du das tust.« Die Anklage in ihren Worten war sogar über hunderte Meilen unverkennbar. Die blassblauen Augen seiner Mutter hätten ihn missbilligend gemustert, hätte er in diesem Moment vor ihr gestanden.

Vielleicht war das einer der Gründe, warum Tyler ihr nicht von Angesicht zu Angesicht von seinem spontanen Umzug berichtet hatte. Ein anderer war, dass sie die Einzige war, die ihn hätte umstimmen können. Er wusste, dass es ihr gegenüber nicht fair war, aber er musste es tun. Für sich. Endlich ein unabhängiges Leben führen, das war er sich schuldig. Nach allem, was in den letzten Monaten passiert war, war dieser Schlussstrich notwendig.

»Ma, ich hole dich nach«, versprach er, während er ein Straßenschild nach dem anderen inspizierte. Langsam rollte er mit dem geliehenen Transporter durch die fremde Stadt an einem fremden Ende der Welt. Erst bei seiner letzten Pause auf der Reise hatte er sein Telefon endlich mit der Freisprecheinrichtung des Wagens verbunden, um seiner Mutter von seinen Plänen zu erzählen. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits zu weit gefahren, um umzukehren. Er musste es durchziehen.

»Du bist nicht der erste Mann, der mir das verspricht und es nicht einhält, also behalt deine leeren Worte für dich«, ereiferte sie sich und legte auf, ehe er etwas erwidern konnte.

Ihre Wunden waren schon immer das Argument gewesen, mit dem sie alles niederschlug, was ihr zuwiderlief. Aber hier ging es ausnahmsweise einmal nicht um sie. Ihr das zu erklären, wäre jedoch vergebene Mühe.

Es tat weh, dass sie mit seiner Entscheidung nicht einverstanden war, aber er hatte genau das kommen sehen. Sie würde sich beruhigen. In spätestens zwei Wochen konnte er erfahrungsgemäß wieder normal mit ihr reden und ihr seine Beweggründe darlegen. Falls er das wollte.

Er steuerte das Gefährt inzwischen durch eine ihm vollkommen fremde Innenstadt. Es war gut, dass er das Gespräch mit seiner Mutter über den Umzug endlich hinter sich gebracht hatte, denn er brauchte nun all seine Konzentration, um sich zurechtzufinden. Als er die richtige Straße fand, ließ er den Blick über die Häuser schweifen. Die Fassaden waren frei von Graffiti und anderen Schmierereien. Alles wirkte sauber und geordnet. Eisenzäune säumten die Vorgärten der Mehrfamilienhäuser.

Auf einer Seite der Fahrbahn lagen die Gebäude, auf der anderen lag der Eingang zu einer riesigen Parkanlage, mit der er so zentral in der Stadt nicht gerechnet hatte.

Sein Kopf fühlte sich mit einem Mal so leicht an, als hätte man an seiner Stelle einen Ballon mit Helium befüllt. All seine Sorgen lösten sich angesichts dieses wundervollen Anblicks auf. Dass er hier wohnen sollte, war kaum zu glauben.

Ein echter Glücksgriff.

Er steuerte den Wagen in eine Parkbucht und erwartete jeden Moment aus seinem Tagtraum zu erwachen. Aber die Hausnummer stimmte. Das mit beige-braunem Klinker verkleidete Gebäude, vor dem er parkte, war sein neues Zuhause. Tyler fuhr sich mit der Hand über die brennenden Augen. Endlich konnte er sie schließen, ohne dabei einen Unfall zu riskieren.

Nur zwei Minuten nichts tun. Die perfekte Stille, die sich ausbreitete, als der Motor des Wagens einmal schwieg, klang nach diesem Tag paradiesisch. Wenn er ganz genau hinhörte, vernahm er das Zwitschern von Vögeln von irgendwo jenseits der Karosse. In seinem alten Wohnviertel, das er am frühen Morgen hinter sich gelassen hatte, gab es keine Vögel, kein Gezwitscher und keinen Gesang – außer den schrägen Tönen von Mrs. Hoover, wenn sie backte, aber daran wollte er sich lieber nicht so genau erinnern.

Die Vibrationen in seinen Armen, die er zu Beginn der Fahrt nur vage gespürt hatte, waren während der stundenlangen Fahrt mit ihm verwachsen. Noch immer kam es ihm vor, als zitterten sie. Dutzende Nadeln stachen in den Bereich um seine Ellenbogen und machten es unmöglich, länger still zu sitzen. Er musste sich bewegen. Tyler schüttelte die Arme aus und richtete seinen Blick in die Ferne. Langsam neigte sich dieser lange Tag dem Ende entgegen. Die Sonne ging hinter den Wipfeln der Bäume jenseits des Parks unter. Als er die Augen wieder öffnete, tauchte sie die Straße in goldenes Licht.

Er kostete den Moment aus, so lange er währte.Leider war mit seiner Ankunft die Arbeit für diesen Tag längst nicht erledigt. Zunächst hatte er seine alte Wohnung leergeräumt, alles in den Transporter verfrachtet, war hierher gefahren und nun musste er den ganzen Krempel wieder ausladen. Wenn er damit fertig war, musste er den Transporter bei der hiesigen Filiale der Mietwagenfirma abgeben. Wenn alles gut lief, war er damit fertig, bevor der neue Tag begann. An erholsamen Schlaf war dann jedoch immer noch nicht zu denken, weil er dafür erstmal ein Bett kaufen müsste. Für diese Nacht blieben ihm nur ein Schlafsack und seine Isomatte.

Ein Klopfen an der Seitenscheibe riss ihn aus seinen Abendplanungen. Ein Kerl mit dunkelbrauner Haut und raspelkurzen schwarzen Haaren stand neben der Fahrertür und bedeutete ihm, die Scheibe runterzulassen. Stand er etwa im Halteverbot? Das fehlte gerade noch.

»Hey, bist du Tyler?«, fragte er in einem sonderbaren Südstaaten-Singsang. Blitzschnell schaltete Tyler. Nur wenige Leute hier wussten, dass er kommen wollte.

»Ähm ja, dann musst du wohl Simon sein?«

»Yeah, freut mich, dich endlich kennenzulernen. Ich habe schon auf dich gewartet. Soll ich dir beim Ausladen helfen? Nachher zeige ich dir gerne ein bisschen was von der Stadt, wenn du möchtest.«

Seine Glückssträhne wollte noch kein Ende nehmen. Er hatte sich bereits mental darauf vorbereitet, mit einen griesgrämigen Pfleger oder einem missmutigem Aktenschieber zusammenzuwohnen, der pausenlos über die Missstände im amerikanischen Gesundheitssystem lamentierte. Doch der freundliche Kerl da draußen, hatte mit dieser Schreckensvision auf den ersten Blick nichts gemein.

Das Einzige, was er über Simon wusste, war, dass er im Krankenhaus arbeitete, aber kein Arzt war. Über mehr Persönliches hatten sie sich bei dem kurzen Telefonat vor einer Woche nicht ausgetauscht. Es ging um eine Wohnung und nicht um die Liebe fürs Leben. Wenn sie sich nicht verstanden, suchte sich einer von ihnen eine andere Unterkunft. Und wahrscheinlich würde Tyler es sein, der wieder auszog – so einfach war das.

»Klar, gerne, wenn es dir keine Umstände macht«, nahm Tyler das Angebot seines neuen Mitbewohners gerne an.

»Nö, überhaupt nicht. Ich helfe dir gern. Es ist stressig genug, so einen Umzug zu zweit zu stemmen, aber alle mal besser als allein.«

Simon trat beiseite und ließ ihn aus dem Wagen klettern. Er sprang die Stufen hinab und musste neidvoll feststellen, dass Simon einen Kopf größer und deutlich breiter war als er. Wie gern hätte er auch einen so imposanten Körperbau. Das würde ihm im Alltag einiges ersparen.

»Okay, dann lass uns das hier anpacken. Ich habe echt keine Lust mehr, es länger vor mir herzuschieben.« Er öffnete die Tür des Laderaums und drückte dem sportlichen Mann einen Karton in die Hand. Er schnappte sich wahllos einen zweiten und folgte Simon zu dem fünfstöckige Mehrfamilienhaus, dessen Fassade aus einem Mix aus beigem und braunem Klinker bestand. Das Licht der untergehenden Sonne schmeichelte der Straße. Überall lag das Laub der Straßenbäume, bedeckte den Bürgersteig und sammelte sich im Rinnstein, wo es golden schimmerte.

»Warte mal kurz«, bat er seinen neuen Mitbewohner, als er den Obdachlosen am Zaun bemerkte, der sich in einigen Metern Entfernung hingesetzt hatte. Er stellte den Karton neben dem Eingang ab und ging zu dem Mann hinüber. Es war so ein schöner Tag, doch für ihn war er grau wie jeder andere. Tyler zückte seine Geldbörse und rechnete, wie viel von ihrem Inhalt er für den Tag noch brauchen würde. Er hatte nie viel Bargeld dabei – gerade genug um damit notfalls über die Runden zu kommen, wenn irgendwo keine Kreditkarte akzeptiert wurde. Als er es grob überschlagen hatte, nahm er den Rest und drückte es dem Obdachlosen in die Hand. Es handelt sich um knapp zwanzig Dollar – das war alles, was er heute erübrigen konnte. »Hier, Mann, mach dir nen schönen Abend.«

»Danke, Sir«, erwiderte der verlebt aussehende Mann, dessen Alter irgendwo zwischen vierzig und sechzig liegen musste. Es war schwer zu sagen. »Vielen Dank.«

»Wenn du irgendwas brauchst, sag Bescheid, okay?« Tyler sah ihn eindringlich an und versuchte, sich das Gesicht gut einzuprägen. Als er den skeptischen Blick registrierte, wiederholte er sein aufrichtig gemeintes Angebot. »Meld dich einfach. Ich wohne jetzt hier und komme täglich vorbei.«

Er deutete auf den Treppenaufgang, an dem Simon auf ihn wartete, und machte sich auf den Rückweg. Das Leben auf der Straße war ein härteres Los, als es irgendjemand verdient hatte.

»Was hast du da gemacht?«, fragte Simon neugierig.

»Ich habe ihm meine Hilfe angeboten.«

Tyler zuckte die Achseln und nahm seinen Umzugskarton wieder auf.

»Das finde ich gut«, gab Simon nachdenklich zurück. »Vielleicht hätte ich das längst tun sollen. Ich sehe so viele Schicksale in meinem Job. Irgendwie fühle ich mich davon schon ganz abgestumpft.«

»Ich sehe auch viel Mist, Simon. Viel mehr als ich ertragen kann, aber ich will nicht lernen, es zu ignorieren, verstehst du?«

»Yeah.«

Unter beständigem Nicken stieg Simon vor ihm die Stufen der eleganten Holztreppe hinauf in den zweiten Stock. Dort befand sich zu seiner großen Erleichterung bereits die neue Wohnung. Er stellte seinen Karton in der Eingangstür ab, um diese offen zu halten, während sein neuer Mitbewohner mit seiner Kiste weiter durch den Flur marschierte.

»Dann wartet ja nur noch ein halber Marathon auf uns. Das sollten wir zügig schaffen – ich hoffe, du bist so fit wie du aussiehst«, scherzte er.

»Mach dir mal um meine Fitness keine Sorgen«, gab Simon mit einem Augenzwinkern zurück. »Dein Zimmer ist das da.«

Er zeigte auf eine geschlossene Tür, die von der offenen Wohnküche abging. Wie ferngesteuert trat er darauf zu und warf einen Blick in sein neues Leben. Ein heller, kahler Raum erwartete ihn. Genauso leer wie seine Zukunftsplanung.

Das Einzige, was er über die nächsten Monate wusste, war, dass er nun hier seiner Berufung folgen würde. Mit wem er das tat und was ihm dabei widerfuhr, stand in den Sternen.

In Detroit hatte der Fall Martini seiner Ermittlerkarriere ein jähes Ende gesetzt. Zwar hatte er ihn gelöst und war dafür belobigt worden, aber sein Ruf war ruiniert. Niemand würde ihn dort noch einmal auf die Gesellschaft loslassen. Er hatte sich mächtige Feinde gemacht, weil er schonungslos alle Spuren verfolgt hatte – auch die, die seine Chefs gern vertuscht hätten.

Zu seinem großen Glück hatte ihn eine unbekannte rothaarige Frau mittleren Alters nach Abschluss des Falles angesprochen und ihm einen Job in ihrer Behörde angeboten. Er habe sich mit seiner herausragenden Arbeit empfohlen, hatte sie gesagt.

Tyler hatte keine Ahnung gehabt, was genau das heißen sollte, denn überregional hatte sein Name bis zu diesem Zeitpunkt keine Schlagzeilen gemacht. Warum sie nach Detroit gekommen und auf ihn aufmerksam geworden war, blieb ihm deshalb ein Rätsel.

Es gehörte zu den kleinen Mysterien, die er aus Gründen seiner persönlichen Neugier gern aufgeklärt hätte. Aber zunächst gab er sich damit zufrieden, dass sie ihm die Chance bot, die er in dem Moment so dringend brauchte. Wegen ihres Angebots hatte er alle Zelte abgebrochen und war nach Fairfield gefahren, wo ihm nun die untergehende Sonne ins Gesicht strahlte.

Sein neues Zimmer hatte einen eigenen Balkon, von dem aus er einen Teil des Parks überblicken konnte. In einem Wohnungsforum für öffentliche Angestellte war er auf die Anzeige aufmerksam geworden, hinter der sich diese Wohnung verbarg. Dass er sie mit jemandem teilte, war nicht nur in seinem finanziellen Interesse. Er fand die Idee auch schön, bereits jemanden zu kennen, wenn er an seinem ersten Tag zum Dienst aufbrach.

»Machen wir weiter?«, fragte Simon und riss ihn aus seinen Gedanken.

Mit einem Nicken verließ er das Zimmer und ging mit seinem Helfer hinunter zum Wagen. Schließlich konnte er ihn nicht ewig mit offenen Türen an der Straße stehen lassen und ernsthaft erwarten, dass sein Krempel keine Beine bekam. Er war nicht Polizist geworden, weil er an das Gute in jedem glaubte, sondern um das Böse in die Schranken zu weisen. Mit jedem Weg zum Wagen wurden seine Beine schwerer und der Laderaum leerer. Der Obdachlose war verschwunden.

Simon war mit der vorletzten Kiste gerade auf dem Weg nach oben, als er den letzten Karton auf dem Knie balancierte und schwungvoll die Schiebetür zuschlug. Er hatte sich verkalkuliert und zu viel Kraft in die Bewegung gelegt. Der Karton segelte in Richtung Bordstein und schlug hart auf. Sein Inhalt verteilte sich wenig dekorativ auf mindestens zwei Quadratmetern Bürgersteig. Entnervt sammelte er auf Händen und Knien seine Habseligkeiten wieder zusammen.

»Oh, Remsberg? Ein echter Klassiker«, sprach ihn eine sanfte Stimme an. Er richtete den Blick auf ihren Ursprung und hielt den Atem an. Eine Elfe. Ziemlich düster für eine Elfe, aber eindeutig eine Elfe.

Ihre zarte Gestalt war in schwarze Kleidung gehüllt. Millionen wilder, dunkler Locken standen in alle Richtungen von ihrem Kopf ab. Ihr Gesicht zeigte die Unschuld eines Engels und schon beim ersten Blick in ihre hellen Augen war es um ihn geschehen. Warum er bei diesem Anblick überzeugt war, eine Elfe vor sich zu sehen, konnte er sich nicht rational erklären.

Was hatte sie noch gleich gesagt?

Sie legte das Buch in den ramponierten Karton und sah ihn aus diesen unfassbar grauen Augen an.

»Wie auch immer«, setzte sie achselzuckend nach. »Willkommen in Fairfield.«

Tyler blickte ihr atemlos hinterher, bis sie um die nächste Ecke verschwunden war. Er war nie der Typ gewesen, der Mädchen schamlos anbaggerte, aber dass er überhaupt kein Wort herausbekam, wenn eine umwerfende Frau vor ihm stand, war ihm noch nie passiert.

Vielleicht war sein Umzug nach Fairfield nicht seine schlechteste Idee gewesen. Obwohl seine Mutter damit nicht einverstanden war, hatte er doch hier einen Job gefunden und vielleicht hielt die Stadt noch viel mehr für ihn bereit.

Kopfschüttelnd packte er die letzten verlorenen Teile ein und marschierte in die Wohnung, die nun alle Kartons mit seinen Kleidern, Büchern, Filmen und sonstigen Dingen des täglichen Bedarfs enthielt.

»Okay«, schloss er diesen Teil des Abendprogramms ab. »Ich muss jetzt noch den Wagen wegbringen. Soll ich uns auf dem Rückweg etwas zu Essen besorgen? Ich habe echt Hunger.«

Simon lag in einer Ecke des riesigen Sofas im Wohnzimmer und verfolgte mit mäßigem Interesse die Bilder einer Nachrichtensendung auf dem Fernseher. Er sah auf und nickte schließlich.

»Yeah, Mann, lass uns fahren.« Noch immer perplex von der Begegnung mit seiner persönlichen Dunkelelfe hatte Tyler ganz vergessen, dass Simon ihn begleiten wollte. Sein Mitbewohner griff nach einer schwarzen Lederjacke und hielt mitten in der Bewegung inne. »Nimm dir lieber auch eine Jacke mit, es wird nach Sonnenuntergang schnell etwas kühl.«

»Wenn ich wüsste, wo die ist...«, kopfschüttelnd winkte Tyler ab. »Ich werde es schon überleben.«

»Willst du eine von meinen?«

»Das ist sicher nett gemeint, aber darin sehe ich noch kleiner aus, als ich bin.«

Objektiv betrachtet, waren 1,73m wirklich nicht klein, aber wenn dieser Körper in Kleidung für einen 1,90m großen Sportler steckte, wirkte er fast winzig.

»Lieber friere ich ein bisschen.«

KAPITELDREI

JASPER

Er schleuderte das Gamepad auf die Couch. Während er grummelnd beobachtete, wie das schwarze Kunststoffgehäuse über die Polster hüpfte, stand er auf und streckte sich. Überall knackte sein Körper, als hätte er sich seit Stunden nicht bewegt.

Moment, er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Er hatte sich seit Stunden nicht bewegt. Außer den Fingern auf dem Pad, hatte er nichts bewegt, sondern nur starr auf dem Sofa gesessen und auf den übergroßen Bildschirm geglotzt.

Dort war der Held seines Spiels nun mitten in der Kampfbewegung eingefroren und, egal welchen Knopf Jasper drückte, nichts vermochte, das zu ändern. Entweder hatte die Konsole nun das Ende ihrer Lebenszeit erreicht oder das Spiel war gar keine Beta-Version, wie sein Kumpel Carter ihm versichert hatte, sondern eine Alpha voller elementarer Bugs. Darauf hätte sich Jasper im Augenblick nicht wissentlich eingelassen. Vielleicht hatte Carter ihm deshalb vorher nichts gesagt und ihn in dem Glauben gelassen, er erhielte eine solide lauffähige Beta, aus der es lediglich die letzten Kinderkrankheiten auszumerzen galt.

Er liebte Spiele. Einem seiner Freunde zu helfen, indem er ein Spiel testete, war eins seiner liebsten Hobbys.

Nach dem Design-Studium oder noch währenddessen waren viele seiner Freunde in der Spieleentwicklung gelandet. Carter hatte sich mit seiner eigenen kleinen Gaming-Firma selbstständig gemacht, als sein Spiel SteamPower zu einem Überraschungserfolg auf den Download-Plattformen geworden war. Darin ging es um die fiktive Lebensgeschichte eines Arbeiters im Zeitalter der Industrialisierung.

Überall gab es Dampfmaschinen und eine düstere Atmosphäre schwebte in jeder Szene über den Bildschirm. Das Ziel des Spiels konnte vom Spieler gewählt werden – man entschied sich entweder für Wohlstand oder für Familie, wobei sich beides gewissermaßen sowohl bedingte als auch ausschloss.

Inzwischen war der Nachfolger seit drei Jahren auf dem Markt und die Gamerwelt wartete sehnsüchtig auf den dritten Teil der Reihe, die vor allem durch die vielfältige Storywelt bestach. Daedalus Entertainment hatte das neue Spiel lange im Voraus angekündigt und der Termin rückte gnadenlos näher.

Durch die geschlossenen Rollläden drang nur wenig Licht. Sie schirmten auch die erbarmungslose Sonne bestmöglich ab, damit sich die Wohnung nicht noch weiter aufheizte. Trotz der angenehmen Wirkung der Verdunklung, war es an der Zeit, die Fenster endlich mal wieder zu öffnen. Inzwischen lag die Fassade des Hauses im Schatten, weshalb hoffentlich nicht zu viel warme Luft hineinkommen würde. Jasper öffnete den Flügel weit und atmete tief ein.

Ja, das brauchte er jetzt. Als er sich wieder zum Zimmer umdrehte, drängte sich der Mief von Essensresten und dreckigen Klamotten in seine Nase. Noch so ein unangenehmer Nebeneffekt der Sommerhitze, die sich nicht mit seinem persönlichen Chaos vertrug.

Mit einer kaputten Konsole war er Carter keine Hilfe und falls es am Spiel lag, war ohnehin nicht mehr viel zu retten. Ein paar Stunden Abstand vom Bildschirm taten Jasper gut, denn er hing schon wieder das halbe Wochenende davor und vertrödelte wertvolle Lebenszeit mit einem Spiel, das ihn zur Weißglut trieb. Ein bisschen Bewegung und irgendetwas Produktives zu tun, wäre gut.

Es war nicht so, dass er keine Alternativen hatte, wie er sein Wochenende verbringen konnte. Aber er hatte sich Carter gegenüber verpflichtet gefühlt, einen ersten Bericht zu SteamPower 3 abzuliefern.

Das Klingeln seines Telefons riss ihn aus seinen Grübeleien. Abwechslung – na endlich. Mit Carter würde er sich später befassen. Als er den Namen des Anrufers auf dem Display sah, war er kurz versucht, doch nicht zu antworten. Novalee war nicht nur seine Kollegin, sondern auch die härteste Bewährungsprobe für seine Frustrationstoleranz, die jemals geboren wurde.

»Ja«, brummte er passiv aggressiv in den Hörer, ehe er wusste, was sie dieses Mal von ihm wollte.

»Jasper, wir haben den Auftrag«, quietschte sie euphorisch.

Er verstand zwar ihre Worte, konnte sie jedoch nicht einordnen.

»Was für einen Auftrag und warum rufst du mich deshalb an einem Samstagabend an?«

»Die Eventagentur FU.Ture, du Bergtroll«, erklärte sie ohne jeglichen Charme. »Die Bestätigung für den ersten Termin kam gerade per Mail.«

»Schön, und wieso rufst du nun an?« Jasper begann in seinem Wohnzimmer auf und ab zu tigern. Irgendwo musste die angestaute Energie des Tages hin. Stundenlang hatte er gesessen und immer wieder die Konsole neu starten müssen, weil das Bild eingefroren war wie wenige Minuten zuvor.

»Weil ich dachte, das bedeutet dir etwas. Aber da habe ich mich wohl geirrt«, fauchte sie nun ebenfalls gereizt. Er konnte sich bildlich vorstellen, wie ihr kleines, bleiches Gesicht unter dem zerzausten, dunklen Haar vor Zorn rot anlief. Es amüsierte ihn, dass sie jedes Mal wie eine Rakete durch die Decke ging, wenn er sie provozierte.

»Wow, bist du mal wieder empfindlich, Prinzessin. Hast du deine Pillen nicht genommen?«

»Wie kann man nur so selbstgerecht sein?«, blaffte sie zurück. »Warum habe ich angenommen, dein Job würde dir irgendwas bedeuten?«

»Jetzt dreh mal nicht so hoch. Das war weder der erste Auftrag, den wir kriegen, noch wird es der letzte sein.« Er wusste, dass es in letzter Zeit ein bisschen dürftig um neue Aufträge bestellt war, aber seine Kollegin tat gerade so, als stünden sie nächste Woche deshalb auf der Straße. Dann machten sie also die Medienarbeit für diese Eventagentur. Kein Grund, so einen Aufriss zu veranstalten. Es war einfach nur irgendein Job. »Oder hoffst du auf Einladungen zu exklusiven Events?«

»Das interessiert mich nicht im Mindesten. Aber, Jasper, ich warne dich, bau dieses Mal keinen Scheiß.«

Der virtuelle Zeigefinger des Grauens zeigte genau auf seine Stirn. Novalee hatte diesen Tick. Immer wenn sie die Augen zusammenkniff und ihm drohte – was sie häufiger tat, als glaubwürdig war – zeigte sie für gewöhnlich mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand wie mit einer schmalen Pistole auf seine Stirn. Sicher tat sie das auch in dieser Sekunde.

»Ich werde ganz brav sein, wie immer«, versprach er grinsend.

»Brav hat dich sicher noch niemand genannt. Mir würde reichen, wenn du es einfach nicht versaust«, gab sie zurück und legte ohne ein Wort des Abschieds auf.

Novalee war zugegebenermaßen ein sehr spezieller Mensch. Ein stetiger Quell des Dramas und immer für etwas Entertainment gut. Jedes Gespräch mit ihr endete mehr oder weniger in einem Streit, aber sie arbeiteten dennoch zusammen wie zwei eingespielte Zahnräder in einem Schweizer Uhrwerk.

Auf dem Weg zum Kühlschrank überdachte er seine Möglichkeiten zur Abendgestaltung. Das Wohnzimmer sah aus wie ein Schlachtfeld. Geschirr, Verpackungen von Snacks, zahllose Flaschen und Dosen und mehr Kleidungsstücke als in ein durchschnittliches Wohnzimmer gehörten.

Auf dem Weg zur Küche wurde es eher schlimmer als besser. Aufräumen wäre also eine sehr angebrachte Tätigkeit.

Andererseits war es Samstagabend – die perfekte Zeit für Geselligkeit. Wo war eigentlich Milo schon wieder den ganzen Tag?

Eine letzte, eiskalte Orangenlimonade war noch da. Einkaufen musste also auch jemand. Hoffentlich hatte Milo dasselbe gedacht und war deshalb unterwegs. Gut möglich, dass sein Mitbewohner bis vor einer halben Stunde noch zuhause war. Jasper hatte beim Spielen von seiner Umwelt wie so oft nichts mitbekommen. Er zog an der Lasche und ließ den Überdruck zischend entweichen.

Die Tür flog auf und sein vermisster Mitbewohner stolperte herein. Bis zur Nasenspitze mit Einkäufen beladen versuchte er, die gewagte Stapelkonstruktion nicht zusammenbrechen zu lassen. Jasper stellte die Dose beiseite, ohne auch nur einen Schluck davon getrunken zu haben, und nahm Milo etwas von seiner Ladung ab. Trotzdem rutschten einige der undefinierbaren Objekte zu Boden.

»Ups«, kommentierte Milo und zog eine Grimasse. »Okay, es war abzusehen, dass es mir nicht gelingt, damit sicher in die Küche zu kommen. Die Tür ist und bleibt mein Endgegner.«

Er zuckte die Achseln und kaute ungerührt weiter auf seinem Kaugummi. Immer wenn Jasper oder Milo sich um die Einkäufe kümmerten, war es dafür allerhöchste Zeit. Aus Dankbarkeit darüber, dass es dieses Mal Milo getroffen hatte, obwohl er eigentlich dran gewesen wäre, verkniff sich Jasper einen dummen Spruch.

»Was geht denn bei dir heute Abend noch?«, fragte er stattdessen.

Milo schob Limodose um Limodose aus einem Sechserträger in den Kühlschrank und sah Jasper über die Kühlschranktür hinweg an.

»Gib mir mal das da.«

Er deutete auf einige Fertiggerichte, die er offenbar ebenfalls darin lagern wollte.

»Was ist das?«, fragte Jasper nach einem skeptischen Blick auf die eingeschweißte Aluminiumschale.

»Lasagne«, antwortet Milo auf seine zweite Frage zuerst.

Als er die Einkäufe eingeräumt hatte, kam er endlich zu dem Thema, das Jasper viel mehr interessierte.

»Heute Abend muss ich noch zu dem Kampf Burton gegen Dakota und anschließend ins Lace. Willst du mit?«

»Boxen?«

Sein Freund und Mitbewohner nickte wortlos. Eigentlich war die testosterongeschwängerte Luft bei solchen Sportevents nicht sein Fall, aber ehe er sich mühsam mit Milo für eine Zeit danach abstimmte, würde er einfach mitgehen.

Er wusste, dass es für Milo keine Möglichkeit gab, den Kampf ausfallen zu lassen, denn es war eben sein Job, dort hinzugehen und darüber zu berichten. Und Pflicht war eben Pflicht.

»Na gut, wer kommt noch?«

»War ja so klar, dass du das fragst.« Schmunzelnd kratzte er sich die Kopfhaut unter den kurzgeschorenen Haaren, die er als Frisur bezeichnete.

»Nun sag schon«, forderte er mit mehr Nachdruck, während Milo aus der Küche marschierte. Jasper folgte ihm. Ohne Antwort ließ er ihn nicht davonkommen.

»Hey, ist es das? SteamPower 3?«, lenkte sein Mitbewohner ab. Milo hatte den Freezescreen auf dem Fernseher entdeckt und trat interessiert näher.

»Das ist das, was SteamPower 3 hätte werden sollen, aber so kann Daedalus den Releasetermin vergessen. Das Game ist vollkommener Schrott.« Er zuckte die Achseln. »Oder die Konsole ist hinüber.«

Vor Milo musste er die Dinge nicht schön reden. Sein Mitbewohner war ein mindestens ebenso passionierter Gamer wie Jasper selbst. Er wusste, wie gespannt die Fangemeinde der beiden Vorgänger auf den dritten Teil der Reihe wartete, aber in diesem Zustand war das Spiel nicht marktfähig.

Die Story war umwerfend – wie bei jedem von Carter entwickelten Game – aber die Programmierung dahinter überzeugte dieses Mal nicht. Warum das so war und warum ihm Carter ein so unausgereiftes Produkt zum Testen gab, war ihm ein Rätsel.

»Ätzend. Darf ich mal?« Milo hielt die Hand auf.

»Klar, tu dir keinen Zwang an«, Jasper sammelte das Gamepad wieder auf und reichte es ihm. »Aber schmeiß bitte nicht gleich den Controller in den Screen, wenn sich die Krücke wieder aufhängt.«

»So schlimm?«

»Was glaubst du, warum der Bildschirm steht?« Jasper zog die Brauen hoch und startete die Konsole neu. »Ich habe bestimmt nicht auf Pause gedrückt, weil ich mitten im Kampf ne Limo wollte...«

»Mist, ich hatte mich schon so auf das Game gefreut.« Als der Startbildschirm erschien, verschaffte sich Milo mit wenigen Klicks einen Überblick über die Werte der zweijährigen Spielekonsole. »Nö, das Ding ist vollkommen okay. Die CPU ist normal und da sind auch keine Absturzberichte. Es muss am Spiel liegen.«

Jasper fuhr sich durch die Haare und seufzte. Das hatte er befürchtet. Er konnte beim besten Willen nicht begreifen, was da passiert war. Carter führte seinen Laden gewissenhaft. Das Team arbeitete seit drei Jahren nur an diesem Spiel. Solche Fehler passierten einfach nicht.

»Lass uns morgen mal mit Carter sprechen, vielleicht können wir helfen, es zu retten.« Er fühlte sich seinem Auftrag verpflichtet, das Spiel zu testen. Sein Job war es, das Beste aus dem Endprodukt herauszuholen. Obwohl er kein professioneller Entwickler war, wusste er doch bei den meisten Engines, welche Probleme wie behoben werden konnten. Dafür hatte er lange genug mit Hobbyentwicklern herumgehangen. Irgendwas stimmte da ganz und gar nicht.

»Okay, wenn du Hilfe brauchst, kannst du auf mich zählen«, versicherte der dunkelhaarige Journalist mit den tiefliegenden Augen etwas zu motiviert. Milo brauchte seinen Schlaf wie ein Baby, sonst wurde er maulig.

»Musst du nicht gelegentlich auch arbeiten? Du kennst den Release-Termin und da käme sicher eine Menge Arbeit auf uns zu«, warnte Jasper seinen Freund.

»Ach, Schlaf wird überbewertet und ich hab doch eh keine Freundin.«

»Apropos. Du wolltest mir sagen, weshalb wir ins Lace gehen«, erinnerte ihn Jasper an seine eigentliche Frage.

»Meine neue Kollegin Olivia will sich dort mit mir treffen und ich dachte, es wäre nett, sie ein bisschen besser kennenzulernen. Immerhin war ich auch mal neu in dem Job und sie hat es echt nicht leicht«, erklärte Milo ein wenig zu ausführlich. »Wusstest du, dass sie die Nachfolge von Delia Gupta angetreten hat?«

Irgendwas klingelte bei dem Namen in Jaspers Hinterkopf. Dennoch brauchte er einen Moment, um eine Zuordnung herzustellen.

»Die, die vor ein paar Wochen verschwunden ist?«, fragte er schließlich.

»Ja, genau«, bestätigte der Journalist. »Sie bringt übrigens auch noch eine Freundin mit.«

»Oh, oh«, Jasper schmunzelte. »Was das wohl bedeutet? Eine Wundertüte. Hast du dich schon festgelegt?«

Mit einem mitleidvollen Blick schüttelte sein Mitbewohner den Kopf.

»Dir ist echt nicht zu helfen, oder?«

»Nö«, gab Jasper zurück.

KAPITELVIER

QUINN

Zumindest das Viertel müsste eigentlich stimmen. Quinn wanderte mit ihren zwei Koffern und dem Rucksack durch die belebten Straßen der fremden Stadt und suchte nach ihrer neuen Adresse. Auf der Karte hatte es ganz einfach ausgesehen, aber dort waren auch nicht überall Reklametafeln und Neonbeleuchtungen gewesen. All das zog ihren Blick an und ließ sie wie eine Motte um das Licht kreisen. Wahrscheinlich lief sie seit einer halben Stunde im Kreis.

An einem Pfeiler sah sie zum wiederholten Mal das Bild einer unbekannten Frau. Allmählich wurde Quinn neugierig, was es damit auf sich hatte. Sie hielt inne und studierte das Plakat. Die Frau mit dem strahlenden Lächeln galt seit Juli als vermisst und jemand bat um Hinweise auf ihren Verbleib. Eine Internetadresse und eine hohe Belohnung waren angegeben.

»Und, was siehst du?«, fragte Kate aus dem Telefon an ihrem Ohr.

»Eine Straße«, grummelte sie genervt. Die Aufgabe sollte lösbar sein, schließlich suchte sie nicht nach Gleis 9 ¾, sondern nach einer ganz normalen Adresse in einer ganz normalen Großstadt. Aber da lag auch das Problem. Der Ort, aus dem sie kam, bestand aus zwei Durchfahrtsstraßen. Die nächstgrößere Stadt, in der sie zur Schule gegangen war und ihre Ausbildung absolviert hatte, besaß nicht einmal ein Zehntel der Einwohner von Fairfield. Und auf diese Größenordnung beschränkte sich ihr Navigationsgeschick. »Kate, ich glaube, ich muss auflegen, sonst ende ich wie diese vermisste Frau auf den Suchplakaten hier, weil ich meine Wohnung nie finde.«

Sie wollte endlich wieder die Kartenapp aufrufen, um sich zu orientieren. Sie hatte geglaubt, sich den Weg ab der Haltestelle richtig eingeprägt zu haben. Doch in dem Fall hätte sie längst da sein müssen. Vielleicht hatte sie den Maßstab unterschätzt und war zu früh abgebogen.

»Was für Plakate?«, hakte Kate nach.

»Ach, irgendeine Frau wird vermisst«, erklärte sie das Wenige, was sie wusste. »Sie sieht nett aus, aber das Plakat ist schon älter. Wahrscheinlich hat man sie längst gefunden.«

Quinn zuckte die Achseln und setzte ihren Weg fort. Vorbei an Imbissen, Shops und Versicherungsbüros. Jedes Schaufenster verlockte sie, näher zu treten und zu schauen, was sich dahinter verbarg, aber dafür hatte sie noch das ganze Jahr Zeit, wenn sie nur endlich ihre Wohnung fand.

»Okay, ich drücke dir die Daumen und ruf mich gleich wieder an, ja?«, forderte Kate am anderen Ende der Leitung.

»Ja, mache ich«, versprach Quinn halbherzig.

Sie wollte nach Hause – ganz egal, ob das nun in Fairfield oder in Wyoming war. Sich die Decke über den Kopf ziehen und bis zum nächsten Morgen schlafen, klang nach einer verlockenden Alternative zu der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen.

»Hey, du siehst verloren aus, kann ich dir helfen?«, sprach sie ein Mann an.

Quinn umklammerte ihre Werkzeuge fester. Sie brauchte dringend Hilfe, sonst dauerte ihre Suche noch Tage. Der Fremde war mindestens zehn Jahre älter als sie und hatte einen exzentrischen Look. Er trug eine dunkel gerahmte Brille und eine Anzug-Kombination, die nach Latte Macchiato aussah.

»Ja, ich könnte wirklich etwas Hilfe gebrauchen.« Hoffnungsvoll nannte sie ihm die gesuchte Adresse. »Wissen Sie, wie ich da hinkomme?«

»Klar, kein Problem. Ich bringe dich hin«, antwortete der Fremde, als wären sie alte Freunde.

Sein Lächeln erstrahlte einnehmend. Erleichtert, dass er ihr wirklich helfen konnte, folgte sie dem Mann, auf dem ihre ganze Hoffnung ruhte.

»Du bist neu in der Stadt, nicht wahr?«, vermutete er richtig. »Wo kommst du her?«

War das noch Smalltalk oder fragte er sie aus? Ihr fehlte die Erfahrung mit solchen Situationen. Sicher war es ungefährlich, zumindest eine ungefähre Angabe zu machen. Sie prägte sich sein Aussehen gut ein, damit sie später einem Polizeizeichner verlässliche Angaben machen konnte – ach was, sie würde ihn gleich selbst zeichnen. Seine hohe Stirn und die schmalen Lippen waren ziemlich charakteristisch.

»Ich stamme aus Wyoming und habe hier ein Jobangebot angenommen.«

»Das klingt ja nach einem riesigen Schritt.« Er klang genauso euphorisch, wie sie es vor wenigen Stunden gewesen war. Dabei betraf es ihn nicht einmal. Inzwischen nagten Zweifel an ihr. War es wirklich klug, in die große Stadt zu ziehen und alles hinter sich zu lassen, was sie kannte und liebte? »Du wirst dich sicher schnell einleben. Kennst du hier schon irgendjemanden?«

»Nein, aber ich habe einen Mitbewohner, der am Telefon echt nett klang«, gab sie an, um den Fremden auf Abstand zu halten.

»Das ist schön. Hier wären wir.«

Er deutete auf einen Eingang in einem schmalen, schwarz verputzten Gebäude, dessen Erdgeschoss ein Antiquitätengeschäft beherbergte. War sie hier schon einmal vorbeigekommen? Wahrscheinlich nicht. Das Haus wäre ihr in Erinnerung geblieben.

Hier wohnte sie nun also?

»Dann wünsche ich dir einen guten Start in Fairfield. Vielleicht treffen wir uns mal wieder.«

»Ja, danke fürs Herbringen. Ich hätte wahrscheinlich noch ewig gesucht.«

Der Anblick des Hauses nahm ihre Sinne völlig in Anspruch. Sie merkte kaum, wie sich der Mann entfernte. Dann war er hinter der nächsten Ecke verschwunden. Die Gefahr durch den Unbekannten schien gebannt. Ihr verkrampfter Griff um die Koffer lockerte sich ohne ihr Zutun.

Es war eine traumhafte Gegend. Am Ende der kurzen Sackgasse konnte sie in einen großzügig angelegten Park sehen. In der Ferne schimmerte etwas, das möglicherweise ein Teich war oder ein weggeworfenes Kaugummipapier, das ähnlich im Sonnenlicht glitzerte. Am nächsten Morgen wollte sie sich den Park unbedingt mal näher ansehen.

Es glich einem Wunder, dass sie sich in dieser Lage ein Zimmer leisten konnte. Sie drückte die Klingel von Apartment 4. Jetzt kam der Moment der Wahrheit. War Jonah ein attraktiver Großstadttyp oder doch eher ein glatzköpfiger Alter, der ihr ein Zimmer versprach und sich davon etwas ganz anderes erhoffte?

Oh Mann, hoffentlich weder das Eine noch das Andere.

Sie konnte keinen Kerl gebrauchen, der sich Hoffnungen auf mehr machte, und genauso wenig wollte sie irgendwen vergeblich anschmachten. Sie war zum Lernen und Arbeiten gekommen. Für Männer hatte sie noch genug Zeit, wenn sie wieder nach Hause zurückgekehrt war. Eine Liebe in Fairfield hätte sowieso keine Zukunft. Ihr Pfad war vorgezeichnet.

»Ja?«, fragte die sympathische Stimme, die sie schon vom Telefon kannte. Der Knoten in ihrem Inneren lockerte sich. Sicher war Jonah – ganz gleich, wie er aussah – ein netter Kerl.

»Hey, ich bin Quinn, deine neue Mitbewohnerin«, erklärte sie der Sprechanlage.

»Warte, ich komme runter und helfe dir mit deinem Gepäck. Bin gleich da.« Sie hörte ein Poltern, dann war alles still. Wenige Sekunden später wurde die Tür aufgerissen und ein nerdiger Brillenträger mit beiger Stoffhose und einem weißen Comic-Shirt mit roten Ärmeln stand vor ihr. Das war nicht ganz das, was sie sich unter ihrem neuen Mitbewohner vorgestellt hatte, aber sein verpeiltes Lächeln ließ auch noch den letzten Rest ihres Misstrauens schmelzen.

»Freut mich, dich kennenzulernen«, stammelte er und schien unsicher, wie er sie begrüßen sollte. Nach einigem Zögern fand sie sich in einer halbherzigen Umarmung wieder, die sich anfühlte, als hätte er noch nie eine Frau berührt. Aber das war okay.

Sie erkannte seine Bemühungen um einen guten Einstieg großzügig an und ließ ihn den Koffer mit ihrer Kleidung nach oben tragen. Das Werkzeug behielt sie lieber selbst in der Hand.

Im zweiten Obergeschoss, aus dem eine Treppe noch weiter hinaufführte, betrat sie ihre neue Wohnung. Auf den ersten Blick wirkte alles makellos sauber. Irgendwie hatte sie sich das anders ausgemalt. Sie würde mit einem Studenten zusammen wohnen und erwartete daher eher eine schmuddelige Junggesellenbude. Aber diese Wohnung sah aus, als wäre erst vor fünf Minuten eine Reinigungskolonne rausmarschiert.

Anerkennend nickte sie. Sogar die Polster des Sofas waren fleckenfrei. Später würde sie nach Chipskrümeln in den Ritzen Ausschau halten – irgendwas musste Jonah doch übersehen haben. Es konnte einfach nicht sein, dass er viel ordentlicher war als sie.

»Wow, hier ist alles so sauber. Ich traue mich gar nicht mit Schuhen hier rein.«

»Dann zieh sie aus. Du bist jetzt hier zuhause«, erklärte er mit diesem Lächeln, das ihm ins Gesicht gemeißelt schien. Sie folgte seinem Ratschlag und schlüpfte aus ihren Sneakers. Eine echte Wohltat für ihre Füße. Erst jetzt bemerkte sie, wie wahnsinnig erschöpft sie war. All der Stress und die Ängste fielen langsam von ihr ab.

Sie hatte es geschafft. Mitsamt ihrem wertvollen Gepäck hatte sie ihre neue Wohnung erreicht und ihr Mitbewohner hatte sich nicht als Scheusal entpuppt.

»Komm, ich zeige dir dein Zimmer und alles.«

Am liebsten wäre sie auf der Stelle eingeschlafen, doch Jonahs Enthusiasmus war ansteckend. Quinn zwang sich zu einem Lächeln und ließ sich von ihm durch die Räume führen.

Er zeigte ihr die Küche mit dem hygienischen Kühlschrank, dem es lediglich an Kochzutaten mangelte, und Arbeitsflächen, von denen man ganz ohne Teller hätte essen können. Sogar das Bad glänzte und in den Flächen spiegelte sich das Licht der Deckenbeleuchtung.

---ENDE DER LESEPROBE---