Lost in Ridge Valley - Erin J. Steen - E-Book
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Lost in Ridge Valley E-Book

Erin J. Steen

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Beschreibung

Geplant… gepackt… verloren… Bis zu ihrem dreißigsten Geburtstag will Tara ihren Traummann heiraten, anschließend mit ihm ein paar süße Kinder kriegen und die Arbeit bei der Versicherung an den Nagel hängen. Nun steht dieser Tag kurz bevor und der vermeintliche Prinz entpuppt sich als Frosch. Auch ihr Job ist futsch und der einzige Ausweg führt sie von der südenglischen Küste ans andere Ende der Welt: Australien Statt pulsierendem Großstadtleben und zügellosen Strandpartys erwartet sie eine Kleinstadt im Outback, in der sie lernt, wie man eine Ziege über die Hauptstraße treibt und welche sonderbaren Dinge Hunde anstellen, wenn man sie unbeobachtet lässt. Als sie Rob, den Finanzberater mit dem geheimnisvollen Lächeln, kennenlernt, beginnt ihr Hirn erneut wilde Pläne zu schmieden. Aber sie hat die Rechnung ohne Jack gemacht, an den sie nach einem unangenehmen Zwischenfall zumindest für einige Wochen gebunden ist. Also muss sie sich irgendwie mit dem verschlossenen Kerl arrangieren, der einen emotionalen Vulkan in ihrer englischen Seele erwachen lässt… Leserstimmen: "Lost in Ridge Valley war nicht das, was ich erwartet hatte. Es war viel mehr. Witz, Chaos, Liebe, Erwartungen, Enttäuschungen und am Ende ganz viel Tränen. Einmal angefangen kam ich aus Ridge Valley nicht mehr raus und sog die Geschichte in mich hinein, wie trockener Boden den Regen." Tilly Jones bloggt "Ein Stück meines Leserherzens ist ganz ungeplant „Lost in Ridge Valley“ und hat sich in all die kleinen Finessen dieser Geschichte verliebt." Sarah von Trimagie

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Buchbeschreibung:

Geplant… gepackt… verloren…

Bis zu ihrem dreißigsten Geburtstag will Tara ihren Traummann heiraten, anschließend mit ihm ein paar süße Kinder kriegen und die Arbeit bei der Versicherung an den Nagel hängen. Nun steht dieser Tag kurz bevor und der vermeintliche Prinz entpuppt sich als Frosch. Auch ihr Job ist futsch und der einzige Ausweg führt sie von der südenglischen Küste ans andere Ende der Welt: Australien

Statt pulsierendem Großstadtleben und zügellosen Strandpartys erwartet sie eine Kleinstadt im Outback, in der sie lernt, wie man eine Ziege über die Hauptstraße treibt und welche sonderbaren Dinge Hunde anstellen, wenn man sie unbeobachtet lässt.

Als sie Rob, den Finanzberater mit dem geheimnisvollen Lächeln, kennenlernt, beginnt ihr Hirn erneut wilde Pläne zu schmieden. Aber sie hat die Rechnung ohne Jack gemacht, an den sie nach einem unangenehmen Zwischenfall zumindest für einige Wochen gebunden ist. Also muss sie sich irgendwie mit dem verschlossenen Kerl arrangieren, der einen emotionalen Vulkan in ihrer englischen Seele erwachen lässt…

 

 

Über den Autor:

Erin J. Steen wurde im Herbst 1983 in Niedersachsen geboren. Dort lebt und arbeitet sie auch heute wieder, nachdem sie einige Jahre in verschiedenen Orten im In- und Ausland verbracht hat. Sie liebt große Städte, möchte aber nicht mehr längere Zeit in einer Großstadt leben. Das Haus teilt sie mit einem Mann, einer Tochter und und zwei tierischen Gefährten.

Ihre Freizeit verbringt sie nicht nur mit dem Schreiben, sondern auch mit Spaziergängen im Wald, der Familie und stetig wechselnden kreativen Hobbys. Sie fotografiert, näht und denkt hin und wieder daran, das Töpfern zu erlernen. Wie die Hauptfigur ihrer Yoga-Krimi-Reihe mag sie Yoga, wird aber voraussichtlich in diesem Leben keine Selfies in akrobatischen Posen veröffentlichen.

 

Bereits erschienen:

Martins Hütte

Unter Verdacht: Moorkamps erster Fall

Sündenfeuer: Moorkamps zweiter Fall

 

 

 

 

 

 

LOST IN RIDGE VALLEY

 

(UN)GEPLANT VERLIEBT

 

 

 

 

Von Erin J. Steen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.. Auflage, 2019

© 2019 Erin J. Steen – alle Rechte vorbehalten.

 

Erin J. Steen

c/o

Papyrus Autoren-Club,

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

[email protected]

www.erinjsteen.com

 

Covergestaltung: Wolkenart - Marie-Katharina Wölk, www.wolkenart.com

Lektorat: Anita Ehlers

 

 

 

 

 

Für alle, die sich ihr eigenes Glück schmieden.

1. GLITZERNDE STEINE

 

Es war nur noch eine Frage von Minuten, ehe die Gebäude auf der anderen Straßenseite wie jeden Nachmittag ihre Schattenarme nach ihr ausstreckten. Mit geschlossenen Augen genoss Tara Delaware die Sonne vor ihrem Fenster in der Norton Road. Das gelbliche Licht wärmte ihre Lider. Sie führte die Tasse an die Lippen und nahm einen Schluck von dem viel zu schnell kälter werdenden Tee. Das kräftige Aroma gehörte für sie zu einem perfekten Feierabend einfach dazu. Jeden Tag versuchte sie, sich Zeit für dieses nachmittägliche Ritual am heimischen Wohnzimmerfenster zu nehmen, auch wenn es nicht immer pünktlich um fünf klappte.

Das Smartphone auf dem Beistelltisch vibrierte und zeigte damit den Eingang einer Nachricht an. Sie hob es auf und überflog die Zeilen.

 

Brad 17:35

ZIEH DIR MORGEN ETWAS HÜBSCHES AN. ICH WERDE DICH ENTFÜHREN UND DAFÜR SORGEN, DASS DU DIESE NACHT NIEMALS VERGISST.

 

Ihre Finger begannen vor lauter Vorfreude zu zittern. Schon seit Wochen fieberte sie darauf hin, dass ihr Freund ihr endlich die eine entscheidende Frage stellte. Nun hatte er also ihren 29. Geburtstag für diesen Anlass auserwählt. Ihr sollte es recht sein, denn binnen eines Jahres konnte sie die Feier sicherlich auf die Beine stellen. Hauptsache sie war bis zu ihrem 30. Geburtstag unter der Haube. Diesen Wunsch trug sie schon seit Jahren mit sich, obwohl sie es eigentlich besser wusste. Es war keine reale Angst, dass sie als Frau ihren Marktwert verlor, sobald sie die Dreißig erreichte. Trotzdem wollte sie eben in dem Alter verheiratet sein. Außerdem diente eine solche Hochzeit schließlich auch der finanziellen Absicherung. Ihre Mutter hatte sie Zeit ihres Lebens gelehrt, dass sie sich einen Mann suchen sollte, der für sie sorgen konnte. Und Brad konnte das sicherlich.

Das perfekte Hochzeitskleid hatte sie schon vor einigen Wochen zufällig in einem Magazin entdeckt. Na ja, so ganz zufällig war dieser Fund vielleicht doch nicht, denn sie schaute seit Jahren immer wieder in diese Hochzeitsmagazine, um auf dem Laufenden zu bleiben. Das Kleid hatte sie dabei förmlich angesprungen. Weil sie es sich nicht leisten konnte, es zu kaufen, würde sie es nachschneidern. Die Arbeit würde sie viele Stunden kosten und das Material zu beschaffen war sicher nicht ganz einfach, aber das perfekte Kleid war es ihr wert. Darin würde sie einfach fantastisch aussehen. Ihre schlanke Silhouette wurde durch den taillierten Schnitt noch einmal betont und ihr nordisch blasser Teint käme mit der Farbe wunderbar zur Geltung, ohne sie krank aussehen zu lassen. Sie musste nur noch einen Friseur finden, der irgendwas mit ihrem Haar anfangen konnte. Es reichte ihr etwa bis zum Ende der Schulterblätter und war von einem fast ebenso farblosen Blond wie ihr Gesicht. Irgendwie blieb es immer nichtssagend - egal, was sie auch versuchte.

Mit Brad an ihrer Seite wollte sie so gut wie nur irgendwie möglich aussehen. Er war ein echter Traummann – groß, gutaussehend und maskulin. Sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit diesem Schauspieler aus dem Film »Die Tribute von Panem«, den sie so toll fand, war nicht zu leugnen. Sein solides Einkommen aus dem Job als Projektmanager würde sie zwar nicht mit einem Schlag in die Oberschicht katapultieren, aber sie konnte wenigstens beruflich kürzertreten oder mit späteren Kindern zuhause bleiben. Denn Kinder wollte sie natürlich auch so schnell wie möglich.

Seit die britische Wirtschaft in so unsicheres Fahrwasser geraten war, ging es bei ihr in der Versicherung auf und ab. Wellenförmig wechselten Entlassungswellen sich mit Expansionsplänen ab und nichts schien lange Bestand zu haben. Die Stimmung in der Firma wurde wöchentlich schlechter. Viele ihrer früheren Kollegen waren inzwischen gegangen oder gegangen worden. Ihr Job als Produktentwicklerin, bei dem sie Risiken bezifferte und Preise für bestimmte neue Versicherungskonzepte fand, war zwar grundsätzlich ganz nett, um ihre Rechnungen zu bezahlen, erfüllte sie jedoch nur selten mit echter Freude. Außerdem war längst nicht klar, wie lange sie ihn noch behalten würde, wenn die Dinge weiterhin so verfahren blieben. Nach der Hochzeit würde sie sich etwas anderes suchen, womit sie ihren Teil zum Haushaltseinkommen beitragen konnte. Vielleicht machte sie sich doch eines Tages noch als Schneiderin selbstständig. Das tat sie wenigstens mit voller Leidenschaft.

Vor ihrem inneren Auge sah sie es bereits vor sich. Ein Ring im Champagnerglas, während der Hummer serviert wurde und Brad ihr seine unsterbliche Liebe erklärte. Oder würde er sie gar nicht in ein Restaurant ausführen, sondern sie mit einem Picknick an einem romantischen Ort überraschen? Er war ein Mann, dem alles zuzutrauen war. Er war kreativ und die Luft um ihn herum vibrierte nur so von der sexuellen Spannung, die er ausstrahlte. Sie wusste, wie es manchmal mit ihm war. Wie sie es kaum bis durch die Tür schafften, bevor sie übereinander her fielen. Vielleicht war es deshalb sogar besser, wenn sie ein wenig für sich waren. Allerdings könnte er den Antrag auch in aller Öffentlichkeit zelebrieren. Ging er auf einer Bühne vor ihr auf die Knie und wollte er deshalb, dass sie sich hübsch anzog? Welche Großveranstaltungen gab es eigentlich an diesem Abend?

***

Auf gar keinen Fall würde sie auf ihren High Heels rennen. Das sah nicht nur vollkommen bescheuert aus, es führte auch zu komplizierten Verletzungen. Tara hatte absolut keine Lust, sich schon wieder eine Bänderdehnung oder sogar Schlimmeres einzufangen. Auch der Bus, der viel zu früh an ihrer Haltestelle stand, änderte nichts an ihren Grundsätzen. Als kleines Zugeständnis an die Dringlichkeit ihres Weges ging sie ein wenig schneller, aber das war natürlich vergebene Liebesmühe. Der unbeeindruckte Bus setzte sich seufzend in Bewegung, scherte aus der Haltebucht aus und fädelte sich in den morgendlichen Berufsverkehr in Richtung Innenstadt ein.

Dann eben nicht, dachte sie schnaubend. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass der Bus keinesfalls zu früh war. Eigentlich war sie nur mal wieder zu spät dran. Auch nicht das erste Mal in dieser Woche. Aber immerhin das letzte Mal, denn es war Freitag und ihr bedeutsames Date stand bevor. Nicht zuletzt wegen der großen Vorfreude auf den Abend war sie nicht gewillt, sich von irgendwas den Tag versauen zu lassen. Sie ließ sich auf die Bank im Bushäuschen sinken und rieb sich die beanspruchten Knöchel.

Mit zehnminütiger Verspätung erreichte sie den imposanten Glaspalast in der Innenstadt Brightons, den die Optimus Versicherung als ihr Hauptquartier angemietet hatte. So unauffällig wie möglich versuchte sie, sich an ihren Kollegen vorbei zu mogeln. Doch sie hatte die Rechnung ohne Valeria gemacht. Die eingebildete polnische Sekretärin ihres Bereichsleiters saß demonstrativ auf der Kante von Taras Schreibtisch und lauerte ihr auf. Ihr latent genervter Blick glitt auf das Ziffernblatt ihrer zarten Armbanduhr. Doch obwohl sie genauso golden schimmerte wie das Teil, das sie aus den aktuellen Anzeigen in den Modemagazinen kannte, war sich Tara fast sicher, dass es sich um eine Fälschung handelte. Woher hätte ausgerechnet Valeria so viel Geld haben sollen, sich dieses Schmuckstück als Original zu kaufen? Hatte sie etwa einen neuen Lover mit Kohle?

»Fisher erwartet dich«, erklang ihre abschätzige Ansage. »Genaugenommen wartet er bereits seit fünfzehn Minuten auf dich. Wenn ich du wäre…«

»Bist du aber nicht«, schnitt Tara ihr das Wort ab. »Ich wünsche dir auch einen wunderschönen guten Morgen.« Auch von Miss Oberkorrekt würde sie sich nicht den Tag vermiesen lassen. Innerlich grinste sie bereits darüber, wie sie Valeria am Montag ihren Verlobungsring unter die neugierige Nase halten würde. Was auch immer Brad für einen Stein ausgesucht hatte, sie war sicher, er würde mächtig Eindruck hinterlassen. Dann wäre Valeria endlich einmal still und Tara ginge als Siegerin vom Platz. Natürlich war ihr bewusst, dass es verhältnismäßig ungünstig war, wenn sie sich ausgerechnet an dem Tag verspätete, an dem ihr Chef beschloss, sie zu einem frühen Termin zu bitten. Was Corvin Fisher wohl von ihr wollte?

In der letzten Zeit gab es immer wieder spontane Termine für einzelne Mitarbeiter und selten kamen die Betroffenen mit guten Nachrichten wieder heraus. Meistens packten sie anschließend ihre Sachen und kamen nie wieder. Verdammte Wirtschaftskrise. Allerdings wusste sie, dass Fisher sie mochte und viel von ihren Fähigkeiten hielt. Warum sollte er nun also auch sie vor die Tür setzen?

Sie sah der Sekretärin nach, wie sie mit Tippelschritten weiter in Richtung der Teeküche ging. Wenigstens musste sie an diesem Wachhund nun nicht noch einmal vorbei, wenn sie zum Chef ging. Mit einem tiefen Atemzug versuchte sie, sich zu beruhigen, und zupfte sich noch einmal den Rock zurecht, den sie selbst auf ihre Figur angepasst und mit hübschen Ziernähten versehen hatte. Die Handtasche wanderte an ihren üblichen Platz hinter dem kleinen Schränkchen, wo sie vor neugierigen Blicken geschützt stand. So viel Zeit musste sein.

Mit gespielter Zuversicht straffte sie die Schultern und marschierte erhobenen Hauptes den Gang hinauf zu Fishers Büro. Die Tür stand offen, doch sie klopfte trotzdem an. Es gehörte zum guten Ton, dass man sich ankündigte. Etikette war wichtig. Wenn er sich gerade in der Nase bohrte, wollte sie lieber nicht hineinplatzen.

»Ah, da sind Sie ja, Miss Delaware. Bitte schließen Sie die Tür und nehmen Sie Platz.« Er lehnte sich in seinem wuchtigen Schreibtischstuhl zurück und wippte leicht auf und ab, während sie sich sortierte und sich ihm gegenüber auf den Gästestuhl setzte. »Wie geht es Ihnen?«

Er war viel höflicher als sonst. Sie kannte ihn schon einige Jahre. Sein jüngster Sohn hatte gerade mit dem Studium begonnen und sie plauderten gelegentlich darüber, weil sie an der gleichen Universität gewesen war. Dennoch war er kein Typ, der sie nur deshalb zum Gespräch bat, um sie zu fragen, wie es ihr ging. Sie war unsicher, ob es sich um eine bloße Floskel handelte oder ob er wirklich an ihrem Wohlergehen interessiert war.

»Bestens, danke«, antwortete sie unvollständig, denn die kleinen Unpässlichkeiten gingen ihn wirklich nichts an. Langsam stieg die Nervosität in ihr auf. Noch immer hatte er nicht einmal angedeutet, weshalb sie hier war. Konnte er nicht einfach sagen, was Sache war? Sein Blick glitt über ihr Outfit, das wie immer tadellos war. Doch was immer er wollte hatte gewiss nichts damit zu tun, was für Kleidung sie trug und wie sie ihr Make-up auflegte. Warum nur zögerte er es so hinaus?

»Sie fragen sich sicher, warum ich Sie heute zu mir gebeten habe.« Mit einem Mal sah Tara ihn die Entlassungspapiere über den Tisch schieben. Statt am Abend endlich ‚Ja‘ zu Brad zu sagen, würde sie sagen müssen ‚Honey, ich bin arbeitslos‘. Schlimmstenfalls zog er dann seinen Antrag sogar zurück oder er sprach ihn gar nicht aus, weil er auf eine bessere Gelegenheit wartete. Manchmal verstand sie nicht, was in den Männern vorging. Es gab schließlich keinen schlechten Zeitpunkt für eine gute Nachricht. Gute Nachrichten gingen immer. Fisher verschränkte seine sorgfältig manikürten Finger auf der Tischplatte und beugte sich nach vorn. »Wie Sie wissen, gibt es in unserer Firma derzeit einige Umstrukturierungen.«

Sie kehrte wieder aus ihrer Fantasiewelt zurück und erkannte, dass noch immer keine Papiere vor ihrer Nase lagen. Wenn er sie entlassen wollte, sollte er es wenigstens kurz und schmerzlos machen. Souveräner als sie sich fühlte erwiderte sie seinen Blick und legte ebenfalls die gefalteten Hände auf den Tisch. Vor ihm würde sie sich trotz ihrer Angst nicht kleiner machen, als sie war. Sie wusste genau, dass sie eine hervorragende Versicherungsmathematikerin war und dass sie ein Talent dafür hatte, die richtigen Fragen zu stellen. Es würde sein Verlust sein, wenn er sie gehen ließe, nicht ihrer.

»Im Zuge dessen bauen wir Stellen im indirekten Bereich ab. Davon wird früher oder später ein Großteil der Mitarbeiter in der Zentrale betroffen sein. Unser Bereich wird sich vollständig auflösen. Ich selbst übernehme zum nächsten Monat eine Stelle im Vertrieb und würde Ihnen zum Erhalt Ihres Arbeitsplatzes gerne eine Weiterentwicklungsmöglichkeit anbieten.«

Er machte eine Pause, während der Tara verdaute, was er sagte. Also war ihr Job tatsächlich weg. Schade, denn bis auf Valeria und den ganzen Stress mit den ständigen Veränderungen war es doch ganz nett gewesen. Zumindest die Miete hatte er jeden Monat gezahlt und zum Ausgehen sowie für schöne Stoffe blieb noch ausreichend Geld übrig. Was für eine Weiterentwicklung sich hinter seinen Worten wirklich verbarg, konnte sie sich nicht ausmalen. Aber immerhin machte er ihr ein Angebot. Das schien mehr zu sein, als viele Andere bekommen hatten.

»Ich…«, stammelte sie unsicher, was sie eigentlich sagen wollte. »Natürlich würde ich gern bleiben, wenn Sie dafür eine Möglichkeit sehen. Was verbirgt sich denn dahinter?«

Er schmunzelte väterlich. Als hätte er es genauso geplant, klappte er das kleine Mäppchen auf, das neben seinem Unterarm lag. »Wir würden Ihnen gern eine kleine Filiale in einem unserer Expansionsgebiete anbieten.«

»Eine Filiale? Mit echten Kunden?«, rutschte es ihr heraus. Sie hatte noch nie im direkten Kundenkontakt gearbeitet und fand, dass dafür andere Kollegen deutlich geeigneter waren als sie. Na ja, Valeria nicht unbedingt, aber es gab schließlich noch ein paar Andere. Außerdem fragte sie sich, wo dieses ‚Expansionsgebiet‘ wohl liegen mochte. Wollte er sie in irgendeinen Vorort verbannen? Ein kläglich langer Weg zur Arbeit stand ihr bevor. Trotzdem versuchte sie weiterhin, gute Miene zu dem bösen Spiel zu machen. Es war eine Chance, die sie sich wahren wollte und sie brauchte den Job noch mindestens bis zu ihrer Hochzeit.

»Ja, mit echten Kunden und Ergebnisverantwortung«, bestätigte Fisher gelassen.

»Oh, vielen Dank, das klingt fantastisch«, heuchelte sie. »Um welche Filiale handelt es sich denn?«

»Sie haben wirklich Glück, dass Sie diese Chance in Ihrem Alter schon bekommen. Es hat mich einiges gekostet, Sie mit in mein neues Tätigkeitsfeld nehmen zu dürfen, aber ich glaube, Sie sind genau die Richtige für den Job.« Tara musste schlucken. Das alles tat er für sie? Ja, sie wusste, dass er sie schätzte, aber sie schleimte sich nicht ein und hatte auch sonst nie besonders großes Interesse an einer Weiterentwicklung gezeigt. Zumal sie eine Filialleitung nicht unbedingt für eine Beförderung hielt. Sie war Kundenkontakt nicht gewohnt und sie wusste auch nicht, ob sie ihn wollte. Ihre berufliche Welt bestand aus Zahlen und Risiken. »Ich an Ihrer Stelle würde die Chance sofort ergreifen. Wenn man wie Sie mit dreißig noch keine Familie hat, kann man sich auf diese Weise im Job einen ordentlichen Vorsprung erarbeiten.«

Neunundzwanzig. Sie wurde morgen erst neunundzwanzig. Nicht dreißig. Aber sie verkniff sich eine Antwort. Das was er sagte, deutete nicht gerade darauf hin, dass sie die Filiale in Kemptown direkt vor Brads Haustür leiten sollte. Es klang irgendwie unbequemer.

»Es handelt sich um die Niederlassung in Ridge Valley in New South Wales.«

»Wales?«, entfuhr es ihr erschrocken. Das war ja am anderen Ende der Welt – oder zumindest am anderen Ende des Landes. An dem Ende des Landes, an dem nichts los war. Schafsbauern und Schiffswerften…

»New South Wales, Australien«, klärte er sie jedoch sogleich auf und Tara schnappte nach Luft. Ausgeschlossen. Auf keinen Fall würde sie nach Australien ziehen. »Ich übernehme die Region Asien-Pazifik und würde mich freuen, wenn ich auf Sie zählen kann.«

Sie konnte unmöglich sofort absagen. Vielleicht ergab sich noch etwas anderes, daher wollte sie es sich mit ihm jetzt nicht verscherzen. Doch zusagen wollte sie auch nicht. »Sie werden verstehen, dass ich Entscheidungen von solcher Tragweite zunächst mit meinem Lebensgefährten besprechen muss.«

In der Hoffnung, er würde eine Frau mit einem Lebensgefährten nicht einfach so nach Australien schicken, versuchte sie sich aus der Affäre zu ziehen. »Machen Sie das in aller Ruhe und teilen Sie mir am Montag einfach mit, wie Sie sich entschieden haben. Dann können wir alle weiteren Maßnahmen in die Wege leiten. Valeria ist ja noch eine Weile da, um sich um alles zu kümmern.«

Damit beendete er das Gespräch und entließ sie aus dem Raum. In aller Ruhe und bis Montag standen in Taras Kopf einander als zwei unvereinbare Pole gegenüber. Dazu mischte sich ein merkwürdiges Gefühl in ihrer Magengegend. Valeria ist noch eine Weile da? Hieß das, auch ihre persönliche Erzfeindin musste sich einen neuen Job suchen? Das hätte sie ihr nicht gewünscht. Ganz egal, was sie manchmal für eine blöde Ziege war.

***

Sie erwischte sich dabei, wie sie immer wieder ihre frisch lackierten Fingernägel zum Mund führte. Eine lästige Angewohnheit, die sie längst überwunden glaubte. Doch immer wenn sie so richtig nervös war, kam es wieder hoch. Nein, nein, nein, ermahnte sie sich. Es gab überhaupt keinen Grund, nervös zu sein und sich die Nägel zu versauen. Das schwarze Samtkleid mit dem tiefen Rückenausschnitt saß absolut perfekt und betonte ihren knackigen Hintern. Die Haare hatte sie noch einmal gewaschen und auf Lockenwickler gedreht. Mit einer gehörigen Portion Stylingcreme hielten sie deshalb nun die weichen Wellen, die sie sich gewünscht hatte. Natürlich würde sie am nächsten Morgen aussehen wie eine Vogelscheuche, wenn sie die Massen an Klebstoff nicht heute Abend wieder auswusch, aber das war ihr in diesem Moment egal. Manchmal musste man eben zu solchen Tricks greifen. Auch ihr Make-up war gelungen. Sie war abfahrbereit. Es fehlten nur noch der Prinz und seine Kutsche, aber die mussten jeden Moment auftauchen.

Alle paar Sekunden warf sie einen Blick in den Spiegel, um noch einmal zu kontrollieren, ob alles seine Ordnung hatte. Waren die Zähne auch sauber? Nichts war peinlicher als ein Mohnkorn oder Spinat zwischen den Zähnen oder Lippenstiftflecken darauf. Aber auch die Zähne sahen makellos aus. Endlich erlöste sie die Türklingel aus ihrem Hamsterrad. Jetzt wollte sie alles vergessen, was der Tag bislang an bösen Überraschungen für sie gebracht hatte. Nur noch den Moment genießen und abschalten. Wenn gleich alles lief wie geplant, war auch der Rest nicht mehr von Bedeutung. Brad und sie würden in den Sonnenuntergang reiten und alle Probleme ihres bisherigen Alltags wären vergessen.

Nun schlüpfte sie in die ebenfalls mit Samt bezogenen schwarzen High Heels, schnappte sich das schmale Täschchen und fiel noch im Türrahmen ihrem Traummann in die Arme.

»Hui, nicht so stürmisch, mein dunkler Engel«, stieß er überrascht hervor. »Bist du bereit?«

Seine Stimme klang wie ein verheißungsvolles Flüstern, das sie ganz kribbelig machte. Einen Augenblick lang war sie gewillt, ihn noch einmal kurz aus seinem italienischen Maßanzug zu schälen. Dann fiel ihr wieder ein, wie ihre Haare hinterher aussehen würden und sie ließ von der Idee ab.

»Und wie«, gab sie stattdessen atemlos zurück. Er bot ihr seinen Arm und sie hakte sich bei ihm ein, sobald sie die Tür ins Schloss gezogen hatte. »Auf geht’s.«

Er führte sie die Treppe hinunter und sie spürte, dass auch von ihm eine gewisse Nervosität ausging. Dabei musste er doch gar nicht fürchten, sie könnte ‚Nein‘ zu ihm sagen. Für die letzten Stufen auf der schmalen Treppe vor dem Haus konnte er ihr nur noch seine Hand als Stütze bieten. Aber sie kannte die ausgetretenen Steine bereits gut genug, um auch ohne zusätzlichen Halt sicher auf dem Fußweg anzukommen. Sie wusste seine charmante Geste jedoch zu schätzen.

Direkt vor der Haustür stand ein schwarzer SUV für sie bereit. Es war nicht sein Wagen. Er musste ihn extra für diesen Anlass geliehen haben. Ein Sportwagen hätte ihr zwar besser gefallen, aber wer wusste schon, wohin sie darin fahren würden? Frisch gewaschen war der Wagen auf jeden Fall. Der schwarze Lack funkelte im Licht der Laterne.

»Dürfte ich bitten?«, fragte er heiser an ihrem Hals. Seine Hand streifte ihre nackte Haut, als er ihr ein breites schwarzes Tuch vor die Augen legte. Vorsichtig zog er es fest und nahm ihr damit die Sicht.

»Pass mit meinen Haaren auf«, bat sie leise. Er meinte es sicher nur als romantische Geste, hatte jedoch nicht bedacht, wie sich solche Accessoires auf andere Gewerke auswirkten. Und natürlich hatte sie weder beim Auflegen ihres Lidschattens noch bei der aufwändigen Haarbehandlung eine Augenbinde eingeplant. Nicht auszudenken, wenn sie nun bei der Ankunft plötzlich eine hässliche Beule in der Frisur hatte. Aber sie wollte ihn auch nicht aus dem Konzept bringen, weshalb sie ihm seinen Willen ließ.

»Keine Sorge, meine Schöne, ich kümmere mich um dich«, flüsterte er, während er sie sanft auf den Sitz bugsierte. Mit den Fingerspitzen fuhr er genüsslich ihren Hals hinab und sie durchfuhr wieder dieses wohlige Kribbeln der Vorfreude. Er gab sich auf jeden Fall Mühe, diesen Abend für sie von Anfang an einzigartig zu gestalten. Die Tür fiel zu und es dauerte einige Sekunden, bis auf der anderen Seite die Fahrertür geöffnet wurde.

Einen Moment überkam sie Sorge, ihr könnte auf der Fahrt schlecht werden. Doch als sie bereits nach wenigen Minuten erneut anhielten, zerstreute sich die Besorgnis wieder. Ihr Magen kribbelte zwar immer noch ein wenig, aber das lag sicher an der Aufregung. Sie waren also gar nicht weit von ihrer Wohnung entfernt. Welche Restaurants oder Veranstaltungen gab es denn an diesem Abend in so kurzer Distanz. Zugegeben, sie wohnte nicht weit von der Innenstadt entfernt, aber der Weg hatte sich nicht angefühlt, als wären sie in diese Richtung gefahren. Hach, was für ein Abenteuer.

Brad stieg aus und schloss die Tür. Sie hörte ihn mit jemandem reden, doch die Worte drangen nur gedämpft ins Fahrzeug. Außer ein paar Fetzen verstand sie nichts von dem Gespräch. Wahrscheinlich war es ohnehin nur ein Junge vom Parkservice irgendeines Hotels, dem er sagte, er solle auf den Wagen Acht geben, weil er nur geliehen war. Also ein Restaurant mit Parkservice. Davon gab es im näheren Umkreis nur eins, das ihr bekannt war, und ihre Informationen diesbezüglich waren immer auf dem neusten Stand, denn sie musste schließlich wissen, wo sich die Elite traf.

Dass Brad dort einen Tisch reserviert hatte, gab Aufschluss darüber, wie lange er sich schon mit der Planung dieses Abends beschäftigte. Als gewöhnlicher Angestellter bekam man dort nur einen Tisch, wenn man entweder über entsprechende Verbindungen verfügte oder sich Monate vorher anmeldete. Monate. Das hieß, er hatte wirklich weit im Voraus geplant. Immerhin kannten sie sich noch nicht ganz ein Jahr. Er musste sich seiner Gefühle wirklich sicher sein.

Auf ihrer Seite wurde die Tür geöffnet. Brad griff nach ihrer Hand und zog sie sanft hinaus in seine Arme. Der erfrischende Duft seines Rasierwassers stieg ihr in die Nase und verstärkte das erotische Knistern zwischen ihnen noch einmal mehr. Sein warmer Arm um ihre Taille gab ihr das Gefühl, zu ihm zu gehören. Seine zweite Hälfte zu sein. Ihre Angst vor der drohenden Arbeitslosigkeit löste sich endgültig in Wohlgefallen auf. Sie würde seine Frau werden. Kein Job am anderen Ende der Welt konnte sie davon abhalten.

Vorbei an einem unsichtbaren Portier, dessen Gruß sie hörte, führte Brad sie in das Gebäude hinein. Ein gleichmäßiges Murmeln verriet, dass sich noch anderen Menschen in dem Restaurant befanden. Doch die Geräusche waren nur als entferntes Murmeln wahrzunehmen, als müssten sie zunächst durch dicke Stoffballen dringen, um ihre Ohren zu erreichen. Sonderbar. Ihre Schuhe traten auf Teppich. Hochflorigen Teppich. Sie stutzte und erstarrte in der Bewegung. Der Laden, den sie meinte, hatte keinen Teppich. Oder irrte sie sich? Der Mann an ihrer Seite blieb ebenfalls stehen.

»Noch ein paar Schritte, meine Göttin«, lockte er sie weiter. Übertrieb er es nicht ein bisschen mit den Kosenamen? Er war doch sonst nicht so. Vielleicht war es die Aufregung, überlegte sie. Immerhin machte er auch nicht jede Woche einen Antrag vor einer solchen Kulisse. Aber wo zur Hölle waren sie gelandet?

Er schob sie sanft noch ein paar Schritte weiter durch den Raum. »Okay, stop«, erklärte er und fuhr mit seiner Hand an ihrer Schulter hinab. Irgendwo nahe neben ihrem Körper hielt der Arm in der Bewegung inne. War das eine Stuhllehne? Alles andere ergab nun wirklich keinen Sinn.

»Setz dich, mein heißer Engel«, flüsterte er an ihrem Ohr. So nannte er sie normalerweise nur im Bett, wo sie alle möglichen Spielchen miteinander spielten und so langsam wurde es ihr ein wenig zu viel. Hatte er etwa ihren Namen im Eifer des Gefechts vergessen? Sie wollte die Situation in vollen Zügen genießen und damit sie das konnte, musste er irgendwie mit diesen blöden Kosenamen aufhören. Vielleicht waren es aber auch nur ihre Nerven, die nach diesem Tag langsam mit ihr durchgingen.

»Bist du bereit für deine Überraschung?«

Seine Worte jagten einen Schauer über ihren nackten Rücken. Eine Überraschung. Dieses Wechselbad der Gefühle. Sie liebte Überraschungen, aber lange hielt sie das alles nicht mehr aus. Bebend nickte sie, damit er ihr endlich die Augenbinde abnahm. Noch immer stand er direkt hinter ihr und sie biss sich auf die Unterlippe, weil sie es kaum erwarten konnte.

 

2. BÖSES ERWACHEN

 

Das war nicht das Blue Oyster. Nein, definitiv nicht. Nichts in dem Raum kam ihr bekannt vor. Alles war irgendwie düster. Nur ein paar Kerzen hier und da schienen den Raum zu beleuchten. Ein paar Meter weiter gab es eine Bar, die dezent hinterleuchtet war, aber sonst gab es keinen Hinweis auf elektrisches Licht. Das war sicher auch keins der anderen edlen Hotels mit gehobener Gastronomie in der Stadt. Es gab nicht einmal Fenster. Die Leute an den anderen Tischen machten auch nicht den Eindruck, als wäre dies ein teures Restaurant. Sie sahen fast sogar ein wenig billig aus.

Nun gut, es war kein Laden, den sie kannte, aber vielleicht wurde es dennoch ganz interessant. Auf dem Tisch vor ihr stand immerhin ein Sektkühler mit einer Flasche Champagner. Die dünne Schicht aus Wassertröpfchen auf dem undurchsichtigen Glas verhieß schon einmal eine gute Temperatur. Ein guter Anfang – obwohl er nicht im Oyster stattfand.

Brad entledigte sich mit einer anmutigen Bewegung seines Jacketts, hängte es über die Lehne des zweiten Stuhls und schenkte ihnen beiden noch im Stehen aus der bereits geöffneten Flasche ein. Sie ertappte sich dabei, wie sie das Glas in dem schummrigen Licht auf Fingerabdrücke und andere Spuren untersuchte, doch sie konnte nichts erkennen. Sie nahm die von ihm angebotene Champagnerflöte an und schwor sich, sicherheitshalber beim nächsten Mal selbst den Ort auszuwählen.

Dann nahm auch er Platz und prostete ihr mit diesem hungrigen Blick zu, den sie so unwiderstehlich an ihm fand. »Auf uns und auf einen unvergesslichen Start in deinen Geburtstag.«

Das Klirren der Gläser ließ das wohlige Kribbeln in ihren Bauch zurückkehren. Das hier würde noch ein zauberhafter Abend werden. Zwar nicht so, wie sie ihn sich ausgemalt hatte, aber das musste ja nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Sie nippte an dem feinperligen Getränk und sah sich derweil genauer im Raum um. Kräftige Farben dominierten die Polster und Teppiche. Dunkelrot. Violett. Orange. Teilweise hingen die dicken Stoffe sogar von den Wänden herab. Am Boden lag hochflorige Auslegware und sie entdeckte nach und nach immer mehr Kerzen im Raum. Das dunkle Holz und das beständige Flackern der Flammen ließen den Raum warm und edel wirken. Konnte es sich hierbei um eine orientalische Bar handeln? Irgendwie würde das, was sie hier sah, zu ihrer Vorstellung einer solchen Lokalität passen. Aber die Leute passten nur bedingt in ein persisches Restaurant. Auf keinem der Tische konnte sie Speisen sehen. Es liefen auch keine eifrigen Kellner umher. Es roch noch nicht einmal nach Essen. Viel eher lag ein schwerer Duft von Parfüm in der Luft. Oder Duftkerzen. Auf jeden Fall deutlich zu stark, um natürlichen Ursprungs zu sein.

»Wo sind wir hier?«

Brad hatte sie die ganze Zeit fest im Blick. Bei ihrer Frage schmunzelte er kopfschüttelnd. »Jetzt tu doch nicht so. Du kennst doch das Euphoria. So viel hat sich seit dem letzten Jahr hier nicht verändert.«

Euphoria? Den Namen hatte sie noch nie gehört. Das klang auch nicht so richtig orientalisch. Trotz der als kurz empfundenen Fahrt war sie sich inzwischen nicht einmal mehr sicher, ob sie sich überhaupt noch in Brighton befand. Wildrosen. Der Duft stammte von Wildrosen, doch es war weit und breit keine Rose zu sehen.

»Nie davon gehört«, gab sie abgehackt zurück und versuchte zu begreifen, was hier gespielt wurde. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein Paar auf und kam auf sie zu. Die Frau hatte bei der Auswahl ihres Kleides kein besonders gutes Händchen gehabt. Sie trug etwas, das aussah wie ein Negligée aus einem dieser Billigmodegeschäfte für junge Mädchen, war aber garantiert schon deutlich älter als die sonstige Zielgruppe des Ladens. Sowas konnte man vielleicht noch in den eigenen vier Wänden tragen, aber doch nicht in der Öffentlichkeit.

»Ach komm, gib es ruhig zu«, insistierte er. »Nachdem ich dich damals hier gesehen hatte und zu feige war, dich anzusprechen, war ich wahnsinnig froh, als ich dich am Royal Pavillion wiedergefunden habe.«

Am Royal Pavillion, einer touristischen Attraktion im Zentrum der Stadt, hatten sie sich vor rund neun Monaten kennengelernt. Tara schlenderte an den Wochenenden gern dort entlang, weil ihr die Häuser in der Gegend so gut gefielen. Eines Tages wollte sie auch so schick wohnen. Aber sie hatte keine Ahnung, auf welche vorangegangene Begegnung er anspielen könnte. Wäre sie jemals in diesem Laden gewesen, könnte sie sich daran doch gewiss erinnern, oder? Na gut, es gab schon ein paar Abende in ihrem Leben, die eher im Nebel lagen. Wenn sie feiern ging, konnten die Nächte auch mal unvorhergesehen enden. Aber einen kompletten Blackout hatte sie in den letzten zwei Jahren nicht erlebt.

Eine maskierte Brünette mit üppigen Kurven ging an ihrem Tisch vorbei und warf dabei Brad einen lasziven Blick zu. Was war das bitte für eine Frechheit, dass diese Tussi ihren Freund anbaggerte, während sie neben ihm saß? Auch ihr Outfit war bestenfalls als aufreizend zu bezeichnen. Es setzte alles in Szene, was sie zu bieten hatte, und ließ kaum Raum für Fantasie. Aber die Krönung war diese venezianisch anmutende Maske. War das hier eine Bad Taste Party, oder was? Es fehlte eigentlich nur noch ein Kerl mit Dauerwelle und Jogginganzug.

Als Taras Blick zu Brad zurückkehrte, ertappte sie ihn dabei, wie auch er der Frau mit der Maske hinterher sah. Langsam ging ihr auf, dass hier irgendwas absolut nicht so ablief, wie sie es sich erträumt hatte. Von einem Heiratsantrag fühlte sie sich noch meilenweit entfernt. Trotzdem versuchte sie, weiter mitzuspielen. Vielleicht hatte sie einfach nur einen vollkommen falschen Eindruck von der Situation gewonnen, obwohl sie sich im Augenblick nicht vorstellen konnte, was an seinem schmachtenden Blick sie missverstanden haben könnte. Aber die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt.

»Was meinst du damit?« Ihre Worte klangen durch den Stich, den ihr sein Blick zu der anderen Frau versetzt hatte, eine Spur zu scharf für eine bloße Reaktion auf seine unerklärliche Aussage, aber Brad schien das nicht zu bemerken. Er konzentrierte sich wieder ganz auf sie.

»Es ist ziemlich genau ein Jahr her, da warst du mit einem anderen Mann hier.« Sein Blick verklärte sich und Tara fühlte sich, als schnürte ihr etwas die Luft ab. »Du trugst dieses rote Paillettenkleid, das gerade mal deinen süßen Knackarsch bedeckte – wirklich verteufelt heiß. Schade, dass du es heute nicht an hast. Aber der Fummel da ist auch ganz nett, wenn auch ein bisschen zu züchtig für den Anlass.« Bei dem roten Paillettenkleid war alles klar. Die Frau, die er beschrieb, war garantiert nicht sie gewesen. Weder besaß sie ein Paillettenkleid, noch hielt sie Rot für eine besonders angemessene Farbe zu ihrem eher nordischen Teint. Außerdem mochte sie es, wenn ihr Hintern in der Öffentlichkeit etwas besser bedeckt war. »Ich wollte dich unbedingt kennenlernen. Aber ich habe mich einfach nicht getraut und dann warst du plötzlich verschwunden. Vor dem Pavillion wusste ich dann – das muss Schicksal sein.«

Sie erinnerte sich, dass Brad, dieser attraktive Fremde, an jenem Tag zielstrebig auf sie zu kam und sie fragte, wo man in Ruhe einen Kaffee trinken könnte. Erst hatte sie geglaubt, er wollte mit jemand anderem Kaffee trinken, aber sie hatte ganz frech erwidert, sie trinke nur Tee. Nach einem lockeren Schlagabtausch hatte er sie in das edelste Teehaus der Stadt ausgeführt. Damals konnte sie ihr Glück kaum fassen. Heute durchfuhr sie die Erkenntnis wie eisiges Wasser. Das war nie ihr Glück gewesen, sondern das einer Anderen. Was bedeutete das jetzt für sie?

»Brad, das war ich nicht«, erklärte sie tapfer. Sie konnte ihre Verunsicherung nicht länger verbergen, aber die Tränen, die in ihren Augen aufstiegen, wollte sie nicht gewähren lassen. »Ich war garantiert noch nie hier.«

Verdutzt lehnte sich Brad in seinem Stuhl zurück und sah sich ebenfalls um. Ihre Hoffnung auf einen Ring am Finger schwand mit jeder Sekunde mehr. Falls er es jemals geplant hatte, würde er nun, da er wusste, dass er sich geirrt hatte, den Plan sicher nicht mehr durchziehen. Er hatte in diesem Laden eine Frau gesehen, mit der er sie verwechselt hatte. Damit konnte sie leben. Fehler passierten. Und wenn er sich dennoch in sie verliebt hatte, war das doch alles, was zählte, oder?

»Das heißt, du kennst das Euphoria wirklich nicht? Hast du sowas noch nie gemacht?«

Als eine Frau an ihren Tisch trat, konnte sich Tara keinen ungünstigeren Zeitpunkt für ihre Bestellung vorstellen. Die nuttige Kellnerin legte Brad in einer vollkommen distanzlosen Geste eine Hand auf die Schulter und fuhr damit hinab zu seiner Brust, die nur von einem dünnen weißen Hemd bedeckt wurde. »Hey Süßer, wen hast du uns denn heute mitgebracht?«, hauchte sie mit rauchiger Stimme. Ein Sexclub. Das war ein verdammter Sexclub.

»Gehst du etwa öfter hierher?«, entfuhr es ihr im Moment der Erkenntnis. Wenn der Mann, den sie heiraten wollte, Stammgast in einem Sexclub war, änderte das die Lage dramatisch. Sie machte ja wirklich allerhand Spielchen mit, aber das ging eindeutig zu weit.

»Nein«, stritt er sofort ab und hob abwehrend die Hände. Die Frau bemerkte offenbar, dass dies ein ungünstiger Zeitpunkt für ihre Art von Smalltalk war, und entfernte sich ohne weiteren Kommentar vom Tisch. »Nur wenn ich Single bin oder eine Partnerin habe, die mit mir herkommen möchte.«

In Taras Verständnis war das vielmehr ein Ja als ein Nein. Er war vielleicht in den letzten Monaten nicht hier gewesen und hatte sie nicht betrogen, obwohl sie natürlich nicht genau wusste, in wie weit sie ihm diesbezüglich tatsächlich trauen konnte. Offenbar fühlte er sich in die Ecke gedrängt und versuchte, sich zu verteidigen. Mit allem, was er hatte.

Kannte sie ihn überhaupt? Wenn ihr schon solche wichtigen Informationen über ihn fehlten, was wusste sie überhaupt über den Mann, den sie noch vor wenigen Minuten bedenkenlos geheiratet hätte? Sie hatte Monate an einen Mann verschwendet, der eigentlich eine ganz andere Frau in ihr sah. Der mit ihr vielleicht niemals gesprochen hätte, wenn er sie nicht verwechselt hätte. Was sagte das über ihre Beziehung aus? Sie hatte auf jeden Fall genug. Es war Zeit, dass dieser Tag ein Ende nahm.

»Also ich bin auf jeden Fall nicht die Frau, für die du mich hältst. Und deshalb werde ich jetzt besser gehen.« Die Worte sprudelten nur so aus ihrem Mund. Sie hatte keine Chance, sie aufzuhalten, ehe sie sich wirklich über die Folgen im Klaren war. Sie machte Schluss mit ihm. Ganz einfach. Beim Aufstehen geriet sie beinahe ins Wanken, weil ihre hohen Absätze in dem Teppich versanken. Doch sie fing sich rechtzeitig und marschierte erhobenen Hauptes auf die Feuerschutztür zu, durch die sie reingekommen sein mussten. Es war die einzige Tür in Sichtweite. Es musste die richtige sein. Sie riss die schwere Metalltür auf und ließ Brad zurück.

Mit einem satten Knall fiel sie hinter ihr wieder zu. Brad und das Gemurmel der freizügigen Clubmitglieder waren dahinter eingesperrt. Sie hielt inne. Die dicke Stahlwand zwischen schützte sie vor weiterem Kontakt mit ihnen. Es gab so einige Dinge in ihrem Leben, die sie nun neu sortieren musste. Aber erstmal musste sie hier raus. An die frische Luft. Irgendwo hier musste der Ausgang sein. Sie marschierte einige Schritte voran. Die Wände des Flurs schienen ausschließlich aus diesen sonderbaren Wandteppichen zu bestehen, die scheinbar jedes Geräusch schluckten. Vielleicht lag dahinter ja die Tür. Sie schob einen Teppich zur Seite und hörte ein animalisches Grunzen, ehe sie einen Blick auf das Geschehen hinter der Trennwand werfen konnte. Ach du heilige Kuh auf Toast. Wo war sie hier bloß reingeraten?

Jetzt hörte sie es auch aus den anderen Ecken des Raumes. Überall hinter dicken Stoffbahnen wurde gestöhnt und geschrien oder es wurden andere tierische Laute ausgestoßen. Das wäre ihr bei ihrer Ankunft garantiert aufgefallen. Nein, sie war hier falsch. Sie stolperte zurück und geriet ins Straucheln. Dieser verfluchte Teppich. Zwei warme Hände fingen sie auf. Sie sah hoch. Ausgerechnet er?

»Willst du es dir nicht noch einmal überlegen? Ich meine, wir hatten doch viel Spaß miteinander.« Verärgert darüber, dass ihr nicht einmal ein würdiger Abgang gelungen war, stampfte sie auf.

»Nein, verdammt, ich will mir überhaupt nichts überlegen. Wo zur Hölle ist hier der beschissene Ausgang?«

***

Eigentlich waren sie erst für den nächsten Vormittag verabredet, aber so lange konnte Tara unmöglich diese Flut an Emotionen für sich behalten. So stand sie um kurz nach elf barfuß mit den High Heels in der Hand vor Cynthias Haustür und klingelte unermüdlich. Sie war hungrig, frustriert und am Boden zerstört. Auch wenn sie ihre beste Freundin aus dem Schlaf reißen musste, würde diese ihr kaum böse sein, wenn sie erst erfuhr, was passiert war. Der Traummann hatte ihr Leben binnen weniger Minuten in einen Albtraum verwandelt.

»Herrgott, was ist denn los?«, fragte eine genervte Stimme aus der Gegensprechanlage.

»Ich bin’s«, schluchzte Tara. »Es ist etwas Furchtbares passiert.«

Es folgte keine Antwort. Nur dass Summen des Türöffners ließ erkennen, dass Cynthia sie gehört hatte. Am oberen Treppenabsatz stand die Brünette mit zerwühltem Haar und in den niedlichen lavendelfarbenen Morgenmantel gehüllt, den ihr Tara im vergangenen Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte.

»Ist jemandem etwas passiert?«, fragte sie besorgt.

»Ja, mir. Brad. Es war einfach fürchterlich«, erklärte sie von dramatischen Gesten begleitet.

»Komm erstmal rein.« Sie schlurfte auf ihren Filzpantoffeln durch die Tür der kleinen Wohnung in einem der mittelpreisigen Viertel der Küstenstadt. Die studierte Geologin, die in einem Fitnesscenter als Kinderfrau arbeitete, gab sonst nur wenig Geld aus und legte den Großteil ihres Einkommens für die Miete an. Für Tara vollkommen unvorstellbar, hatte sie doch unstillbare Bedürfnisse was modische Kleidung und gutes Essen anging. Dennoch fanden die beiden immer einen gemeinsamen Nenner, wenn sie Zeit miteinander verbrachten. Cynthia war eine gute Zuhörerin und wusste immer einen Rat. Außerdem war sie mit einem unverbesserlichen Optimismus gesegnet, der ihr nie abhanden zu kommen schien. Eine kleine Dosis von dem Zeug konnte Tara jetzt auch gebrauchen.

»Tee oder Wein?«, fragte die Gastgeberin in ihrer Küche angekommen, während Tara sich auf den Stuhl mit dem Rücken zur Tür fallen ließ. Auf dem Tisch lag ein verpacktes Geschenk. Es war ziemlich flach. Ein kleiner Bildband vielleicht, spekulierte sie. Aber mit ziemlicher Sicherheit würde sie es demnächst erfahren, denn außer ihr hatte morgen niemand Geburtstag, den sie kannte.

»Lass uns mit Tee anfangen«, antwortete Tara, deren Gelüste auf berauschende Getränke zunächst abgeebbt waren. Eigentlich hatte sie erwartet, sie würde sich bei Cynthia volllaufen lassen und ihr dabei ihr Leid klagen, aber irgendwo auf dem langen Fußmarsch hatte sie diese Lust verloren. »Du wirst es echt nicht glauben. Ich habe es selbst nicht ganz begriffen.«

Der Wasserkocher begann dieses Geräusch zu machen, das nach harter Arbeit klang, aber das Wasser kaum zu beeindrucken schien. Es dauerte noch einen Moment, ehe es heiß genug sein würde. Cynthia setzte sich ihr gegenüber auf den Stuhl, auf dem sie immer saß.

»Ich nehme an, es gab keinen Antrag?«, spekulierte ihre beste Freundin.

»Richtig.« Tara sah auf ihre schmucklosen Finger, als könnte das etwas an den Tatsachen ändern. »Und es wird wohl auch keinen mehr geben. Das war ...« Ihr fehlten von einem Moment auf den anderen die Worte. Sie schüttelte den Kopf und beobachtete, wie Cynthia wieder aufstand, um den Tee aufzugießen. Ihre Gedanken wollten sich nicht sortieren lassen. »Brad hat mich verwechselt.«

»Hä, wie das denn?« Sie kehrte mit zwei Tassen Minztee zurück an den Tisch. »Hat er die falsche Frau abgeholt und dich vergessen?«

»So ähnlich. Damals als wir uns getroffen haben, hat er geglaubt, ich sei eine Andere. Und das hat er bis heute angenommen. Nur bin ich das leider nicht.«

»Aber er kennt dich doch so, wie du bist.«

»Nein, er hat in mir immer jemand anderen gesehen. Und ich wollte gerne die Frau sein. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Ich war nie die, die er wollte und das weiß ich jetzt.«

»Sorry, ich begreife es immer noch nicht«, gab Cynthia zu. Vermutlich war ihrer Geschichte schwer zu folgen, wenn man nicht mitten in einem geheimen Sexclub saß und unterbreitet bekam, dass man doch gewiss schon einmal hier gewesen sei.

»Also ganz von vorn.« Tara holte noch einmal weit aus und berichtete von den Ereignissen der vergangenen Stunden. Immer wieder schüttelte ihre Freundin ungläubig den Kopf.

»Jetzt ergibt sein Spleen mit den Sexspielchen auch einen Sinn«, meinte sie abschließend.

»Ja, und ich habe es nie wahrhaben wollen. Es war aufregend, aber das war alles nicht ich.« Ohne es selbst zu bemerken hatte sich Tara für den Mann verbogen, den sie so gern geheiratet hätte. »Er war so ein toller Kerl, bis ich bemerkte, wer er wirklich ist.«

»Und du hast Schluss gemacht?«

»Ich weiß nicht, ob das noch nötig war. Ich bin einfach abgehauen. Vermutlich hat das gereicht, um meinen Standpunkt klar zu machen. Aber was mache ich denn jetzt?«

Schweigen breitete sich in der kleinen Wohnung aus. Cynthia nahm den letzten Schluck Tee aus ihrer Tasse und ihr Blick schien in die Ferne zu schweifen.

»Hm, was willst du denn machen?«

»Ich wollte heiraten, Kinder kriegen und das perfekte Vorstadtglück. Mit Brad«, jammerte Tara. »Wie soll ich denn erklären, dass er mich nicht wollte? Valeria wird hässliche Sachen über mich erzählen. Die war sowieso schon immer der Meinung, ich sei nicht gut genug für einen Kerl wie ihn. Und ich blöde Kuh, habe mich hinreißen lassen, ihr gegenüber was von Heiraten zu erwähnen. Ich wollte so gern ihr blödes Gesicht sehen, wenn sie checkt, dass ich den Ring bekomme, den sie schon seit Jahren vor mir bekommen will.«

Mit ihrer Kollegin lieferte sie sich einen erbitterten Wettstreit um das Erreichen der großen Lebensziele. Valeria schien immer an Männer zu geraten, die ihr teure Geschenke machten - nur bei dem aktuellen Mann hatte sie die falsche Wahl getroffen. Im Augenblick kaufte sie billige Imitate, um Tara zu beeindrucken, aber ihr geschultes Auge erkannte Plagiate sofort. Als Valeria neulich mit der neuen Handtasche ankam, hatte Tara zuversichtlich angedeutet, dass bei ihr wohl bald die Hochzeitsglocken klingen würden und nun musste sie eingestehen, dass alles nur ein schöner Traum war. Sie konnte das hämische Hexenlachen der anderen schon hören. Von dem mitleidigen Blick ihrer Mutter ganz zu schweigen. Hat die arme kleine Tara wieder mit Zitronen gehandelt? Sie sollte sich endlich einen Kerl suchen, der es ernst mit ihr meint, bevor sie auch in Brighton zur Dorfschlampe wurde.

Cynthia konnte mit der Rivalität zwischen ihnen nichts anfangen. Sie war nicht der Typ, der sich in einen Wettkampf verstrickte. »Verstehe«, erklärte sie dennoch. »Das ist wahrscheinlich unangenehm.«

»Unangenehm ist gar kein Ausdruck. Baxter und Irene hatte ich sogar schon zur Hochzeit eingeladen. Oh, das ist alles so peinlich«, Tara vergrub das Gesicht in den Händen. »Ach, und zu allem Überfluss bin ich übrigens auch noch arbeitslos.«

Die Erinnerung an ihr Gespräch mit Fisher kam ihr sauer wieder die Speiseröhre hoch. Sie kippte rasch den abgekühlten Tee hinunter und schluckte gegen die Ausweglosigkeit an.

»So langsam ruft die Situation nach stärkeren Maßnahmen, findest du nicht?« Cynthia öffnete die Kühlschranktür und zog eine Flasche Prosecco hervor. »Die wollte ich eigentlich für morgen aufheben, aber es ist ja schon fast morgen.«

Die Uhr an der Wand zeigte kurz vor Mitternacht. Wenn das mal nicht der mieseste Geburtstag ihres Lebens wurde. Sie nickte, weil Cynthia noch immer auf eine Bestätigung wartete. Mit einem leisen Plopp und einer feinen Nebelwolke löste sich der Korken aus dem Flaschenhals. Die feinperlige Flüssigkeit lief wie schon zuvor im Euphoria in die Gläser.

»Lass uns anstoßen«, schlug die Freundin vor und reichte ihr ein Glas. »Happy Birthday, BFF!«

Die dunkelhaarige Geologin sprach immer wieder in solchen Abkürzungen der Jugendsprache, was sie noch jünger wirken ließ, als sie mit ihren siebenundzwanzig Jahren tatsächlich war. Auch Begriffe wie lol oder rofl kamen manchmal in der Öffentlichkeit aus ihrem Mund. Klar, wusste sie zumindest grob, was gemeint war, aber Tara fand dennoch, dass sich solche Abkürzungen auf Kurznachrichten beschränken sollten. Gesprochen klang das einfach nur peinlich, aber so war ihre beste Freundin eben. Die Gläser klirrten, als sie aneinanderstießen. Das Geräusch klang fast genauso wie in dem orientalisch eingerichteten Club, aber hier war sie sicher und hier war sie die Tara, die sie wirklich sein wollte.

»Danke, Liebes«, brachte sie mit einem gequälten Lächeln hervor.

»Du musst verzeihen, dass ich dir dein Geschenk heute nicht gebe.« Tara wusste nicht, dass sich noch mehr Enttäuschung in ihr breitmachen konnte, aber die Aussicht, dass es noch nicht einmal Geschenke gab, war traurig. Cynthia nahm das flache rosa Geschenk und legte es in einen Küchenschrank. »Es passt gerade absolut nicht in die Situation. Ich lade dich morgen stattdessen zum Frühstück ein, einverstanden?«

»Na gut«, erklärte Tara einsichtig. Wahrscheinlich hatte Cynthia recht. Sie hätten in diesem Augenblick nur wenige Geschenke aufmuntern können und sie bezweifelte, dass ihre beste Freundin einen besseren Mann als Brad gebacken und mit einer hübschen Schleife verziert hatte. Außerdem hätte der perfekte Mann sicher nicht in dieses kleine Paket gepasst.

***

»Wieso bist du denn arbeitslos?«, knüpfte Cynthia nach einer Weile wieder an die Hiobsbotschaften des vergangenen Tages an.

»Ach, ich habe dir doch neulich schon mal erzählt, dass sie bei uns alles umstrukturieren, oder?« Neben der Tatsache, dass ihr Leben im Augenblick einem Albtraum glich, war die drohende Arbeitslosigkeit fast nur noch eine Lappalie. »Meine Stelle ist jetzt auch dran. Aber man hat mir einen Job am Arsch der Welt angeboten. Pah, als ob ich den annehmen würde.«

»Was denn nun?«, fragte ihre beste Freundin irritiert. »Arbeitslos oder Jobwechsel?«

»Die Pistole auf der Brust. Entweder Jobwechsel oder arbeitslos.« Tara zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf. »Die wollen mich nach Australien schicken. Da kenne ich keinen Menschen und zu allem Überfluss soll ich dort in den direkten Kundenkontakt gehen. Dafür bin ich überhaupt nicht ausgebildet. So ein Quatsch. Das kann doch nur in die Hose gehen.«

Innerlich fand sie sich langsam damit ab, dass sie in Kürze ihren Schreibtisch räumen und auf Jobsuche gehen würde. Ein Umzug auf diese riesige Insel mit lauter gefährlichen Tieren und wildfremden Menschen stand zur Zeit denkbar weit unten auf ihrer Hitliste. Fisher würde ihr auch keinen weiteren Aufschub der Entscheidung gewähren. Es schien dringlich zu sein und irgendwie war das sogar verständlich. Wenn es am anderen Ende der Welt eine Stelle zu besetzen gab, konnte man in der Zentrale schließlich nicht ewig darauf warten, dass sie endlich Nein sagte.

Am liebsten hätte Tara sich einen anderen Job organisiert, bevor sie Fisher ihre Absage mitteilte. Aber die aktuelle Wirtschaftslage war schwierig. Seit dem verflixten Brexit-Votum war die wirtschaftliche Lage insgesamt angespannt. Firmen und Fachkräfte verließen das Land, Universitäten fürchteten Einkommensrückgänge und überhaupt wusste niemand so recht, wie es in den nächsten Jahren weitergehen würde. Nur wenige Unternehmen stellten noch neue Mitarbeiter ein. Große Teile des Finanzsektors, in dem sie mit ihrer Ausbildung hätte Fuß fassen können, waren bereits über den Ärmelkanal abgewandert. Da spielte es kaum eine Rolle, ob sie für die Neuorientierung eine oder zwei Wochen mehr zur Verfügung hätte.

»Aber das wäre die Lösung für dein anderes Problem«, deutete Cynthia an.

Tara, die mit ihren Gedanken schon wieder in anderen Gefilden unterwegs war, verstand nicht, was gemeint war. »Wie soll mir das denn helfen?«

Ihre beste Freundin drehte grinsend das Glas in der Hand und lehnte sich im Stuhl zurück. »Hast du nicht gerade gesagt, dass du nicht weißt, wie du den Leuten deine Trennung erklären willst?«

»Natürlich weiß ich das nicht. Man geht schließlich nicht mal eben los und posaunt rum, dass der Kerl, den man heiraten wollte, einen mit einer Schlampe im Sexclub verwechselt hat und die ganze Beziehung auf einem dämlichen Irrtum basierte.« Sie geriet schon wieder in Rage. Wie hatte Brad sie nur so bloßstellen können? Jetzt musste sie nicht nur darüber hinwegkommen, dass sie als alte Jungfer versauern würde, sondern sich auch noch einen glaubhaften Trennungsgrund überlegen. Dieser sexsüchtige Mistkerl.

Sie schenkte sich und ihrer Freundin die Gläser noch einmal voll. In Cynthias braunen Augen lag noch immer ein verschmitztes Grinsen, obwohl man es ihrem Gesicht sonst nicht mehr ansah. Irgendwas ging in ihrem hübschen Köpfchen vor und sie würde Tara gewiss gleich daran teilhaben lassen. Doch so lange musste sie schmoren. Das Spielchen kannte sie bereits zu Genüge.

Seufzend ließ sie die Schultern hängen. »Ach nein, verdammt. Wir waren für nächstes Wochenende mit Linda und Harvey verabredet. In London feiert ‚British Love‘ Premiere und wir hatten Karten über Brads Firma. Jetzt werde ich den Beiden wohl absagen müssen. Schade, den Film hätte ich echt gern gesehen.«

»Dann gehst du halt eine Woche später mit mir oder du schaust ihn auf DVD. Ist doch kein Weltuntergang«, munterte ihre Freundin sie auf. »Willst du nun meine Idee hören oder nicht?«

»Natürlich. Jetzt hör doch auf mich zu foltern!«

»Okay«, begann sie betont zaghaft. »Also wenn du dieses Jobangebot hast, könntest du dich ja auch für die Karriere und von allein gegen die Beziehung entscheiden.«

»Das nimmt mir doch keiner ab!«, prustete Tara los.

»Die kennen dich doch alle nicht so gut wie ich. Wer sind die, dass sie dir erzählen könnten, wie du bist?« Die philosophische Erklärung brauchte einen Moment, ehe sie in Taras vernebeltes Hirn vordrang. Das konnte wirklich funktionieren. Aber die Sache hatte diesen einen gewaltigen Haken.

»Dafür müsste ich nach Australien ziehen. Und was soll ich bitte in Australien?«

»Was hält dich denn hier?« Cynthia hob die Arme und sah sich überflüssigerweise im Raum um. »Dein Kerl ist fort, dein Job ist futsch. Was hast du schon zu verlieren, wenn du es ausprobierst?«

Da war er wieder. Dieser unverbesserliche Optimismus, dem Tara nichts entgegenzusetzen hatte. Obwohl sie keine Argumente hatte, war sie nicht überzeugt. Sie hatte noch nie woanders gelebt und konnte sich nicht vorstellen, ihre Freunde und Familie zurückzulassen, um sich in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang zu stürzen.

»Mal ehrlich, was hält dich hier?«, hakte die Freundin nach. Vor dem Fenster hatte es zu regnen begonnen. Gott sei Dank war sie nicht mehr dort draußen unterwegs. Der typische englische Herbst stand vor der Tür und drückte Regentropfen wie harte Küsse an die Scheiben. »Dort hast du wenigstens Sonne, Strand und heiße Surferboys.«

Ein sehr ansprechendes Bild begann sich in Taras Kopf zu formen. Attraktive Männer, mit durchtrainierten Körpern in Badeshorts am Strand. Beachpartys mit Lagerfeuer und Cocktails im Sonnenuntergang. Die schöne Vorstellung wurde jäh zerstört, als einer der heißen Typen sich umdrehte und sie Brad in ihm erkannte. Mit einem Plopp verschwand die Seifenblase und es blieb nur der Regen.

»Ach, ich weiß nicht.«

 

3. UNENTDECKTE WELTEN

 

Nach einem Wochenende vor dem Laptop, an dem sie alle Suchmaschinen in Bewegung setzte, um ihren beruflichen Marktwert in Anbetracht der aktuellen Lage zu bewerten, blieb eigentlich nur eine Lösung. Auf keinen Fall wollte sie arbeitslos in England bleiben. Ihr erarbeiteter Lebensstil wäre dahin und sie würde sozial wieder dahin rutschen, wo sie vor dem Studium war. Selten war ihr so bewusst, welches wahnsinnige Glück sie gehabt hatte, dass sie überhaupt hatte studieren können. Ihre Familie hätte sich das niemals leisten können. Das alles aufzugeben, nur um in ihrer Heimat bleiben zu können, kam nicht in Frage.

Folglich sagte sie Fishers Angebot zu. Noch am gleichen Tag räumte sie ihren alten Schreibtisch und Valeria buchte für sie ein ganzes Fortbildungspaket, das ihr die Sorgen vor dem neuen Aufgabengebiet wenigstens ein bisschen nehmen konnte. Kurse wie ein Verkaufstraining, Business-Knigge und Mitarbeiterführung begleiteten sie durch die nächsten Wochen. Die Firma kümmerte sich um die Reiseplanung und ihre Papiere. Ihr neuer Arbeitsvertrag sah sogar eine Gehaltserhöhung vor. Und auch die Kosten, die durch ihren Umzug entstanden, wurden vollständig von der Versicherung übernommen. So konnte Tara es sich leisten, ihre Möbel einzulagern und nach Australien zu verschiffen, wenn sie dort eine geeignete Wohnung gefunden hatte.

Gemeinsam mit Cynthia packte sie auch die letzten persönlichen Gegenstände in Kartons und hoffte, sie bald wiederzusehen - die Gegenstände aus ihrem beschissen perfekten Leben genauso wie die beste Freundin, die sie jemals hatte. Wehmütig sah sie sich in der kahlen Wohnung um. Jegliche persönliche Note war in den braunen Pappkartons verschwunden. Alles was blieb, waren ein paar Löcher in den Wänden und die Abdrücke der Möbel in der Auslegware.

---ENDE DER LESEPROBE---