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»Manche Geheimnisse sind so prickelnd wie Eiswürfel auf nackter Haut…« Eine Einladung zu einer exklusiven Party katapultiert Eventmanagerin Madison in eine ganz neue Welt. Namenlose Fremde bevölkern von nun an ihre Fantasien, doch auch die Realität erfordert ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, denn die Fairfield Fashion Show rückt täglich näher. Welches Geheimnis Olivias neue Liebschaft hat, würde die Modebloggerin, die beim Fairfield Chronicle die Nachfolge der verschwundenen Delia angetreten hat, nur zu gern erfahren. Gibt es wirklich so perfekte Männer oder spielt er ihr nur etwas vor?
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Veröffentlichungsjahr: 2021
»Manche Geheimnisse sind so prickelnd wie Eiswürfel auf nackter Haut…«
Eine Einladung zu einer exklusiven Party katapultiert Eventmanagerin Madison in eine ganz neue Welt. Namenlose Fremde bevölkern von nun an ihre Fantasien, doch auch die Realität erfordert ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, denn die Fairfield Fashion Show rückt täglich näher.
Welches Geheimnis Olivias neue Liebschaft hat, würde die Modebloggerin, die beim Fairfield Chronicle die Nachfolge der verschwundenen Delia angetreten hat, nur zu gern erfahren. Gibt es wirklich so perfekte Männer oder spielt er ihr nur etwas vor?
Erin J. Steen wurde im Herbst 1983 in Niedersachsen geboren. Dort lebt und arbeitet sie auch heute wieder, nachdem sie einige Jahre in verschiedenen Orten im In- und Ausland verbracht hat. Sie liebt große Städte, möchte aber nicht mehr längere Zeit in einer Großstadt leben. Das Haus teilt sie mit einem Mann, einer Tochter und zwei tierischen Gefährten.
Ihre Freizeit verbringt sie nicht nur mit dem Schreiben, sondern auch mit Spaziergängen im Wald, der Familie und stetig wechselnden kreativen Hobbys. Sie fotografiert, näht und denkt hin und wieder daran, das Töpfern zu erlernen.
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
2. Auflage, 2023
© Erin J. Steen – alle Rechte vorbehalten.
Erin J. Steen
Zum Fuhrenkamp 12
38448 Wolfsburg
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, unterliegen der Zustimmung des Rechteinhabers.
Personen und Handlungen in dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
www.erinjsteen.com
Nach einem knapp dreistündigen Friseurbesuch schimmerte ihr Haar am Freitagabend endlich in genau dem satten Goldbraunton, den sie passend zu ihrem neuen Kleid ausgewählt hatte. Auch wenn sich Yasmine bei der Arbeit nichts hatte anmerken lassen, so war Madison doch überzeugt, dass das mysteriöse Päckchen und die zugehörige Einladung irgendwie auf ihre Kollegin zurückfielen. Sicher handelte es sich dabei um eben jene Party, von der sie nur etwa eine Woche zuvor im Hangar 9 gesprochen hatte. Auf der Einladungskarte hatte als einzige Ortsangabe gestanden, dass ein Wagen zur angegebenen Uhrzeit vor ihrer Wohnung vorfahren würde, um sie abzuholen. Eine Zusage war gar nicht notwendig. Sonderbar und reizvoll zugleich, wie sie fand. Lehnte etwa niemand diese Gelegenheit ab? Was passierte, wenn jemand anderweitig beschäftigt oder krank war?
In ihrem Bauch kribbelt es angenehm. Sie liebte Abenteuer. Ganz besonders solche wie dieses. Wenn sie nicht wusste, was auf sie zukam, lief sie oft zur Höchstform auf. Das war der Grund, warum es sich zu leben lohnte. Das ungewisse Ergebnis war der Inbegriff jeglicher Hoffnung.
Was dieser Abend bringen mochte, konnte sie sich kaum ausmalen. Sie hoffte, dass ihr Kleid den Geschmack der mysteriösen Gastgeber traf. Denn sie hatte sich etwas ganz Besonderes ausgesucht. Ein Kleid, das in hellen Goldtönen schimmerte und ihr gerade mal bis knapp über die Knie reichte. Am Saum lief es locker aus, sodass es beim Gehen ihre Schenkel umspielte und ihren üppigen Po zur Geltung brachte. Zu der Maske aus dem Päckchen passte es jedenfalls wunderbar.
Dieses Accessoire befand sich nun sicher verstaut in ihrer Handtasche. Sie würde sie erst aufsetzen, wenn sie bei der Location angekommen war, denn irgendwie hatte sie das Gefühl, dass die Maske als Eintrittskarte diente.
Das Gefühl, einem schlechten Scherz aufgesessen zu sein, hielt sich hartnäckig. Immer wieder spähte sie durch ihr Schlafzimmerfenster hinunter auf die Straße vor dem Haus. Als exakt zur angegebenen Uhrzeit eine schwarze Limousine vor dem Haus hielt, konnte sie es noch immer kaum fassen. Langsam wurde es kostspielig. So weit würde selbst Yasmine nicht gehen, um ihr einen Streich zu spielen, oder?
Mit dem sonoren Summen von hundert dicken Hummeln im Bauch stieg sie die Treppe hinab und trat vor die Haustür. In dem Kleid fühlte sie sich wie eine lasterhafte Prinzessin auf dem Weg zu einem Ball am Hof. Hoffentlich war sie nicht vollkommen overdressed oder zu aufreizend gekleidet. Aus dem Wagen stieg ein Fahrer in Uniform, der eine dieser albernen Mützen trug, wie sie es nur aus alten Filmen kannte. Die Fenster zum Fahrgastraum waren getönt. Sie ertappte sich bei einem nervösen Schmunzeln. Der Chauffeur umrundete das Chassis und öffnete ihr die Tür zur hinteren Sitzreihe.
Ihre Skepsis gegenüber der Einladung wurde von Sekunde zu Sekunde geringer. Alles erschien ihr vollkommen professionell und absolut seriös, ganz egal, wie groß die Heimlichtuerei um diese Veranstaltung auch war. Sie ließ sich in die kühlen Ledersitze sinken und legte den Gurt an. Eine getönte Wand trennte den Fahrer vom Gastbereich. Sie hatte noch nie in einer solchen Limousine gesessen und fragte sich, was auf dieser Party wohl auf sie wartete. Es würde zweifellos ein spannender Abend werden.
»Wo fahren wir denn hin?«, wollte sie halblaut wissen. Die Trennwand schien jedoch zu dick, um ihre Worte hindurch zu lassen. Ohne jegliche Antwort fuhr der Chauffeur an. Gezielt steuerte er auf eine der Hauptstraßen, die durch das Viertel führten. Vorbei am Krankenhaus und auf den Highway. Nach wenigen Minuten hatten sie den Stadtrand hinter sich gelassen und fuhren zügig aufs Land hinaus.
Der Mann mit der Mütze schien ganz genau zu wissen, wo er sie hinfahren sollte, weshalb sich Madison in dem Sitz zurücklehnte und den Blick aus dem Fenster schweifen ließ. Nach einer Weile verließ er den Highway, fuhr eine weitere Meile auf einer Landstraße und bog dann auf ein Privatgrundstück ab. Die gewundene Auffahrt führte zu einem herrschaftlichen Anwesen, das von einer Vielzahl von Lichtern erhellt wurde. Vor einer breiten Treppe, die von dutzenden Kerzenlichtern gesäumt war, kam der Wagen sanft zum Stehen.
Ein weiterer Mann in einer altmodischen Uniform öffnete die Tür und half ihr beim Aussteigen. Sie fühlte sich wie eine echte Lady, obwohl ihr Benehmen normalerweise nicht besonders ladylike war.
»Setzen Sie bitte Ihre Maske auf«, forderte er sie noch vor einer Begrüßung auf. Das Gefühl einen unverzeihlichen Fehler gemacht zu haben überfiel sie wie Eiswasser, das ihr den Rücken hinab lief. Sie wollte hier keine Fehler machen, also nickte sie ergeben, öffnete die Handtasche und nahm ihre Maske heraus. Erst als sie die Kostümierung fest auf die Augen gesetzt hatte, leitete er sie die Treppe hinauf. »Bitte behalten Sie die Maske den ganzen Abend auf. Sie werden sehen, Sie sind damit in bester Gesellschaft.«
Am oberen Treppenabsatz ließ er sie los und bedeutete ihr, ihren Weg allein fortzusetzen und das Haus zu betreten. Sie blickte sich ein letztes Mal zum Wagen um, der nun einem weiteren Fahrzeug Platz machte. Madison betrat die großzügige Vorhalle des Gebäudes. Vor lauter Sinneseindrücken wusste sie nicht, wohin sie sich wenden sollte. Der Anblick der Halle war einfach überwältigend. Geschwungene Treppen führten in das obere Stockwerk und von der Decke hing ein riesiger Kronleuchter herab. Überall brannten Kerzen und es duftete nach Rosen und frischer Wäsche. Klassische Musik drang aus den angrenzenden Räumlichkeiten und wurde von herzhaftem Lachen und dem Gemurmel von Gesprächen begleitet.
Sie fühlte sich wie die Hauptfigur in einem verdammten Märchenfilm. Gleich würde sich herausstellen, dass sie die lang verschollene Prinzessin war, die als Baby zu einer gewöhnlichen Familie gekommen war. Vertauscht. Ja, das wäre wohl der Titel für ihren Märchenfilm.
Weitere ebenfalls schick gekleidete Gäste, von denen jeder eine individuelle Maske trug, durchquerten die Halle und verschwanden entweder in einem der zwei angrenzenden Räume oder über die breite Treppe ins Obergeschoss. Madison folgte einer kleinen Gruppe in einen der Räume im Erdgeschoss und fand sich in einem prunkvollen und absolut überdimensionierten Wohnzimmer wieder. An einem Ende des Raumes befand sich eine Bar, hinter der ein rotblonder Kellner in einem schwarzweißen Anzug die Gäste bediente. Den Rest des Raumes nahmen zahlreiche Sitzmöbel in Anspruch, auf denen sich Besucher tummelten.
»Da bist du ja«, begrüßte sie eine vertraute Stimme. Sie drehte sich in Richtung der Stimme um und erkannte hinter einer violett schwarzen Maske die Gesichtszüge ihrer Kollegin. Yasmine war also auch hier. Welche der Gäste sie sonst noch kannte, konnte sie aufgrund der aufwändigen Masken ohne Hilfe nicht erkennen. Darin schien auch einer der Reize dieser besonderen Party zu liegen. Was das wohl für den weiteren Verlauf ihres Abends bedeutete?
»Hi, das hier ist wirklich eine exklusive Party«, befand sie. Das Ambiente war atemberaubend. Überall hingen altmodische Gemälde und in den Ecken standen Skulpturen einer längst vergangenen Ära. Alles Dinge, die sie sich niemals leisten konnte. »Wem verdanken wir diese Location?«
»Das ist leider geheim. Wie so einiges auf diesen Partys«, erklärte Yasmine mit einem wissenden Grinsen auf den knallig roten Lippen. »Komm, wir trinken erst mal was zusammen.«
Yasmine packte sie am Arm und zerrte sie mit sanftem Druck hinüber zur Bar. Dann wurde es ihr zu bunt, so herumgeschubst zu werden und sie machte sich von der Hand ihrer Kollegin los. Sie folgte der jüngeren Kollegin aus eigenem Antrieb mit eiligen Schritten auf ihren High Heels. Yasmine legte ein gehöriges Tempo vor und erreichte die Bar vor ihr.
»Einmal Höhlenstaub für mich und meine Freundin, bitte«, flötete sie dem rotblonden Kellner zu, der kaum alt genug schien, Alkohol ausschenken zu dürfen.
»Was ist denn das?«, wollte Madison von ihr wissen, die den Namen des Drinks noch nie gehört hatte.
»Etwas, das du ganz bestimmt noch nicht probiert hast«, antwortete Yasmine geheimnisvoll und zwinkerte ihr unter der eleganten Maske zu. »Trink nur nicht zu viel davon. Starte erstmal mit einem und dann schauen wir weiter. Vielleicht kannst du beim nächsten Mal mehr davon vertragen.«
Madison schnaubte durch die Nase. Sollte ihr das etwa eine Warnung sein? Sie trank, so viel sie wollte. Und das praktizierte sie schon seit Jahren ziemlich erfolgreich. Alkohol macht ihr nur selten etwas aus. Was sollte an diesem Drink denn so besonderes sein?
Der junge Barkeeper reichte ihnen zwei Gläser mit einer milchig schwarzen Flüssigkeit darin, die aussah, als käme sie direkt von einem fernen Stern. Wollte sie das Zeug überhaupt probieren?
Die Substanz erinnerte sie an einen dieser ultragesunden Aktivkohledrinks, den jemand mit schimmernden Partikeln versetzt hatte. Chen war mal für eine Weile auf einem extremen Gesundheitstrip gewesen und hatte den Kühlschrank mit solchem Zeug vollgestopft. Nicht im Traum hätte sie damals davon probiert, aber Yasmine stellte ihr immerhin eine berauschende Wirkung in Aussicht.
»Vertrau mir, es ist echt lecker und die Wirkung ist der absolute Hammer!«, forderte Yasmine sie mit einem zartem Klaps auf den nackten Arm auf.
Madison stutzte einen Moment. Vertrauen? Ausgerechnet der Kollegin, die für kindische Scherze bekannt war? Sie beobachtete, wie Yasmine selbst an dem Strohhalm saugte und einen Schluck der schimmernden Flüssigkeit in den Mund nahm. Es schien nicht schlecht zu schmecken, also entschied sie sich für das Vertrauen und nahm ebenfalls einen Schluck aus dem kühlen goldenen Metallhalm.
Die Flüssigkeit prickelte dezent in ihrem Mund. Ein sonderbares Gefühl, das sich kaum jemandem beschreiben ließ, der es noch nie probiert hatte. Ganz entfernt erinnerte es sie an die Popping Candys ihrer Kindheit. Dabei schmeckte es nach schwarzer Johannisbeere mit einer dezenten Schärfe, die wahrscheinlich auf den enthaltenen Alkohol zurückzuführen war.
Welche Art von Alkohol es genau war, ließ sich allein am Geschmack nicht feststellen. Sonst hätte sie das Zeug gern zuhause einmal für ihre Freunde gemacht. Denn es war wirklich lecker und die sonderbare Konsistenz wäre auf jeden Fall ein Highlight auf jeder Party.
Es dauerte nicht lang, bis sie bemerkte, dass ihr Strohhalm auf Grund gestoßen und der Drink ausgetrunken war. Auch Yasmines Glas war inzwischen leer. Madison fühlte sich leicht beschwingt und die anfängliche Nervosität hatte sich gelegt. Was auch immer in diesem Drink war, machte seinen Job ausgezeichnet. Ein attraktiver blonder Mann, der ebenfalls eine der obligatorischen Masken trug, trat zu ihnen und begrüßte Yasmine.
»Einen wunderschönen Abend, meine Teure. Wen hat die Lady denn heute mitgebracht?«, drückte er sich gestelzt aus und hauchte ihr einen Kuss auf die filigrane Hand. An jedem anderen Ort und in jedem anderen Aufzug hätte sie das albern gefunden, aber hierher passte es. Manche der Kleider der Gäste hatten ein klares historisches Thema und seine Sprache hielt die Illusion einer kleinen Zeitreise aufrecht.
»Eine Freundin«, antwortete Yasmine und ließ sich nicht mehr entlocken. Madison erinnerte sich an die Mahnung des Portiers, die Maske den ganzen Abend über zu tragen. Anonymität war den Leuten hier wichtig. Außer Yasmine würde also niemand je erfahren, wer hinter ihrer Maske steckte, wenn sie sich nicht selbst verriet und das hatte sie nicht vor.
»Dürfte ich Sie um einen Tanz bitten?«
Seine Stimme klang merkwürdig vertraut. Doch gänzlich neu war der kribbelnde Widerhall, den sie in ihrem Körper erzeugte. Ihr Kopf schien mit einem Mal von Seifenblasen erfüllt. Sie schimmerten in allen Farben des Regenbogens und immer wenn eine von ihnen platzte, fuhr ihr ein wohliger Schauer über den ganzen Rücken.
Yasmine stupste sie an und grinste, als wüsste sie genau, wie sie sich fühlte.
»Na los, geh schon. Er beißt nicht.«
Schließlich ergriff Madison die ausgestreckte Hand des Mannes. Sie fühlte sich warm an, war jedoch nicht schwitzig. Er bewegte sich ganz selbstverständlich durch die Räume. Die Musik wurde lauter und sie erreichten eine geräumige Fläche, auf der bereits mehrere Paare tanzten. Für einen Augenblick ergriff sie eine Welle der Panik. Sie beherrschte überhaupt keine klassischen Tänze. Wie sollte sie sich bloß zu dieser Musik bewegen?
Der galante Fremde nahm ihre Hand in seine und legte die zweite an ihre Taille, sodass ihr nur noch seine Schulter blieb, um sich daran festzuhalten. Dann begann er, sie so souverän über die Tanzfläche zu führen, als hätte sie nie etwas anderes getan. Ihre Augen konnten sich an den Bildern nicht sattsehen, die ihre Netzhaut einfing, während sie sich durch den Raum drehten. Das kleine Orchester stand auf einem Podest und spielte einen makellosen Ton nach dem anderen und ihr Körper reagierte in sonderbaren Wellen darauf.
»Bist du zum ersten Mal hier? Ich habe dich noch nie hier gesehen«, raunte ihr Partner, den sie in all dem Überfluss fast vergessen hätte, in ihr Ohr, während er sie über das gewachste Parkett schob. Der Druck, den er bei jeder Berührung auf sie ausübte, war anregend. Ein klassischer Tanz war alles andere als sexy, doch seine Hände, sein Körper und seine Augen schienen so verdammt genau zu wissen, was sie taten. Worauf sollte das hinauslaufen? Was passierte hier mit ihr?
»Ja«, gab sie zu, legte ein unentschlossenes Lächeln auf und versuchte, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. »Es ist tatsächlich mein erstes Mal.«
»Dann wirst du heute zweifellos einen aufregenden Abend erleben«, prognostizierte er heiser. Sie fixierte seine Lippen, um die Worte davon ablesen zu können, während der Rest ihrer Sinne in Flammen stand. Die Seifenblasen platzten in rasender Geschwindigkeit und ständig wuchsen neue nach. Sie wollte berührt werden und gleichzeitig auch nicht, um dieses Prickeln zu bewahren.
Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem verheißungsvollen Lächeln. Jegliche Erinnerung an ein bekanntes Gesicht war verflogen und vor ihr stand ein Fremder, dessen Form beinahe fließend war. In einem Moment war er groß, im nächsten schien er zu schrumpfen. Sein Lächeln wurde breiter und wieder schmaler. Seine Augen wechselten die Farben. So ungewohnt diese Empfindungen auch waren, so wenig fürchtete sie sie. Das hier war kein Alkohol - zumindest nicht nur das. Es war bei weitem nicht ihre erste Drogenerfahrung, doch diese hier war überraschend anders als alle zuvor.
Während sie tanzten, fuhr ein angenehm kühler Luftzug unter ihr Kleid und ließ den Saum fliegen. Das Musikstück endete und die Tänzer hielten inne, um dem Orchester zu applaudieren. Auch der mysteriöse Mann löste sich sanft von ihr und blickte ihr eindringlich in die Augen.
»Nächstes Mal gehörst du mir, einverstanden?« Seine filigranen Finger strichen ihr über die Seite und lösten kaleidoskopische Emotionswellen in ihr aus. Keins dieser schillernden Gefühle veranlasste sie auch nur im Mindesten zu Flucht. Im Gegenteil – sie spürte eine unwiderstehliche Anziehung.
Stumm nickte sie und ergab sich der Willenlosigkeit, die sie übermannte. Der Reiz des Fremden und das Mysterium, das sich um diese Masken entwickelte, befeuerten ihre Fantasie. Ihr Blick glitt durch den Raum und registrierte, dass so manche Hand seinen Tanzpartner erkundete. Ganz unbefangen und bar jeder Hemmung knöpften Finger Hemden auf und rieben über intime Stellen, als wären sie ganz allein. Trotz des sonderbar enthemmten Verhaltens der Gäste machte die Party nicht den Anschein einer zügellosen Orgie.
Alles blieb stilvoll und elitär. Forschend fuhr nun auch sie mit den Fingerspitzen die Knopfleiste seines Hemdes entlang. Doch er machte ihre Hand los und deutete einen Handkuss an.
»Ich wünsche dir einen unvergesslichen Abend. Vielleicht sehen wir uns beim nächsten Mal wieder«, verabschiedete er sich.
Verdattert sah sie ihm nach. Warum ließ er sie ausgerechnet in diesem Moment zurück? Hatte er nicht auch diese intensive Verbindung gespürt? Wollte er sie nicht ebenso?
Mitten auf der Tanzfläche blieb sie zurück und sah ihm nach, als er durch die Tür in den Nachbarraum verschwand.
Sie hätte keine Pause zur Auffrischung ihres Outfits benötigt. Schließlich hatte sie sich im Voraus intensiv Gedanken darüber gemacht, was sie an diesem Abend tragen würde. Deshalb hatte sie das pfirsichfarbene Kleid mit dem tiefen Rückenausschnitt am Körper getragen, als sie abfuhren - nur für den Fall, dass sie direkt gemeinsam zum Essen gehen würden.
Dennoch hatte sie in dem herrlichen kleinen Bad noch einmal ihr Make-up aufgefrischt und für eine Weile den Ausblick von dem Balkon des Zimmers in die wunderschöne Landschaft von Floral Hills genossen. Sie konnte über weite Felder in die Berge sehen, die nur noch eine kurze Autofahrt entfernt waren. Floral Hills lag in den hügeligen Ausläufern des Gebirges, in das es jeden Winter zahlreiche Städter zum Skifahren zog.
Die zwanzig Minuten auf dem Balkon hatten sich angefühlt wie eine kleine Ewigkeit. Entweder tickten die Uhren außerhalb der stressigen Stadt anders oder die Aufregung beeinträchtigte ihr Zeitgefühl. Bis in die Fingerspitzen spürte sie das Kribbeln, als sie im Fahrstuhl hinab fuhr, wo sie sich mit Robert zum Essen traf. Sie musste so viel über ihn erfahren und durfte ihn gleichzeitig nicht bedrängen, damit er keine Panik bekam. Männer waren furchtbar empfindliche Pflänzchen.
»Hallo meine Schöne«, begrüßte er sie in der großen Halle, wo er in einem knitterfreien dunkelblauen Anzug auf sie wartete. Er bot ihr seinen Arm und führte sie ins Restaurant. Das gestärkte Tuch schmiegte sich perfekt auf einem großzügigen Tisch, der für zwei Personen eingedeckt war. Unaufdringlich brannten drei kleine Kerzen in einem Arrangement mit Strandfliederzweiglein und Baumwollästchen. Olivias Augen liefen über vor Schönheit. All diese wundervollen Details waren noch so viel reicher, als sie es sich in ihren kühnsten Träumen erhofft hatte. Sie bemerkte, wie Robert dem Kellner ein Trinkgeld zusteckte, ehe er den Stuhl für sie ein wenig hervor zog.
»Ich habe deinen Geschmack getroffen«, stellte er fest, als er sie mit diesem Blick ansah, der gleichzeitig alles bedeuten konnte. Liebe, Zuneigung, Stolz. »Ich kann es am Glanz in deinen Augen sehen.«
»Du hast gar keine Vorstellung davon, wie sehr«, gab sie seufzend zurück.
Er hatte sich so viel Mühe gegeben, nur um sie zu beeindrucken. Perplex ließ sie sich auf den Stuhl sinken, dessen samtiges Polster sich an ihren nackten Rücken schmiegte. Es war wie im Märchen. Wenn er nicht der Prinz war, wer könnte es dann sein? Obwohl er sie kaum kannte, hatte er ihren Geschmack exakt getroffen. Konnte man ihr den Blumenspleen so sehr am Gesicht ablesen oder hatte er das eingefädelt, nachdem sie angekommen waren? Dieses Hotel, dieser Ort und diese Dekoration waren wie eigens für sie gemacht.
»Dann hoffe ich, dass auch meine Speisenauswahl deinen Geschmack treffen wird. Ich habe mir erlaubt, bereits vorab für uns zu bestellen.« Was für andere Frauen ein Grund wäre, sich aufzuregen, empfand Olivia als fürsorgliche Geste. Sie wusste genau, wie allergisch Amber darauf reagierte, wenn jemand anders Entscheidungen für sie traf, aber sie mochte genau das.