Herbststurmküsse - Erin J. Steen - E-Book
SONDERANGEBOT

Herbststurmküsse E-Book

Erin J. Steen

0,0
5,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 5,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In der Liebe hat Studentin Sarah nicht viel Erfahrung, was insbesondere ihre Freundin Evy in diesem Wintersemester unbedingt ändern will. Sarah hingegen interessiert sich nur für einen und der scheint nicht einmal zu wissen, dass sie existiert, bis er sie eines Tages aus einer misslichen Lage rettet. Matteo hat flüchtigen Bekanntschaften abgeschworen, weil sie sein ohnehin schon schwieriges Leben nur verkomplizieren. Doch dann platzt sie in seine Welt und will sich allen Problemen zum Trotz nicht abwimmeln lassen. Blöd nur, dass er Gefühle für sie entwickelt. Aber wenn sie alles wüsste, würde auch sie schreiend davonlaufen… Dies ist der zweite Roman in der Stadt.Land.Kuss Reihe. Alle Romane dieser Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden, allerdings erscheinen mehrere Figuren in allen Romanen der Reihe.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Impressum

Triggerhinweis

1. Der Prinz und sein fauler Esel

2. Pocahontas geht von Deck

3. Wilde Hunde und schlechte Manieren

4. Auch blinkende Zaunpfähle schützen nicht vor Idioten

5. Vielleicht so leicht

6. Besondere Talente

7. Warum willst du jetzt schon gehen?

8. Von Pilzen und anderen unterschätzten Arten

9. Mit dir im Regen

10. Denkanstöße und Zweifel

11. Ich mag Steine

12. Jeder hat ein Geheimnis, oder?

13. Trophäen und Swipes

14. Keine Nordlichter über Kiel

15. Naivität ist ein Geschenk

16. Betrunkene lässt man nicht fahren

17. Nach der Sturmflut

18. Epilog

Danksagung

Triggerwarnung

Weitere Bücher der Autorin

Impressum

Buchbeschreibung:

In der Liebe hat Studentin Sarah nicht viel Erfahrung, was insbesondere ihre Freundin Evy in diesem Wintersemester unbedingt ändern will. Sarah hingegen interessiert sich nur für einen und der scheint nicht einmal zu wissen, dass sie existiert, bis er sie eines Tages aus einer misslichen Lage rettet.

Matteo hat flüchtigen Bekanntschaften abgeschworen, weil sie sein ohnehin schon schwieriges Leben nur verkomplizieren. Doch dann platzt sie in seine Welt und will sich allen Problemen zum Trotz nicht abwimmeln lassen. Blöd nur, dass er Gefühle für sie entwickelt. Aber wenn sie alles wüsste, würde auch sie schreiend davonlaufen…

Über die Autorin:

Erin J. Steen wurde im Herbst 1983 in Niedersachsen geboren. Dort lebt und arbeitet sie auch heute wieder, nachdem sie einige Jahre in verschiedenen Orten im In- und Ausland verbracht hat. Sie liebt große Städte, möchte aber nicht mehr längere Zeit in einer Großstadt leben. Das Haus teilt sie mit einem Mann, einer Tochter und zwei tierischen Gefährten. 

Ihre Freizeit verbringt sie nicht nur mit dem Schreiben, sondern auch mit Spaziergängen im Wald, der Familie und stetig wechselnden kreativen Hobbys. Sie fotografiert, näht und denkt hin und wieder daran, das Töpfern zu erlernen. 

Ankündigungen neuer Projekte, exklusive Infos und aktuelle Termine gibt es im Newsletter. (Anmeldung über www.erinjsteen.com)

HERBSTSTURMKÜSSE

Von Erin J. Steen

1. Auflage, 2021

©  Erin J. Steen – alle Rechte vorbehalten.

Erin J. Steen

Zum Fuhrenkamp 12

38448 Wolfsburg

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, unterliegen der Zustimmung des Rechteinhabers.

Personen und Handlungen in dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

[email protected]

www.erinjsteen.com

Triggerhinweis

DIESES BUCH ENTHÄLT Passagen und Inhalte, die für sensible Leser*innen möglicherweise nicht geeignet sind. Einen Hinweis auf mögliche Trigger findest du am Ende des Buches.

1. Der Prinz und sein fauler Esel

DER EXERZIERPLATZ WAR an diesem trockenen Samstagmorgen einmal mehr der Treffpunkt der Generationen. Der Wochenmarkt war in vollem Gange und der Verkehr floss stockend um die Insel, die an anderen Wochentagen von Innenstadtbesuchern als Parkfläche genutzt wurde. Das frühherbstliche Wetter lockte an diesem Septembertag viele Marktgänger vor die Tür. Eine erfrischende Brise wehte vom Meer in die Stadt an der Förde herein, die ich seit jeher mein Zuhause nannte. Der zarte Hauch von Salz würde für mich immer nach Heimat riechen.

Der Stand des Coffeeshops, für den ich neben dem Studium arbeitete, war ein beliebter Treffpunkt in einer Ecke des Marktplatzes. Vielleicht weil der mobile Kaffeewagen so urig aussah. Vielleicht aber auch, weil wir als einzige auf dem Markt ein paar Tische und Stühle hatten, die zum Verweilen einluden. In jedem Fall war der Kaffeeverkauf auf dem Wochenmarkt bei gutem Wetter ein lohnendes Geschäft. Viele Gäste gaben hier sogar Trinkgeld - ganz anders als in der Hauptfiliale, in der höchstens mal ein paar Cent Wechselgeld in eine Plexiglasbox neben der Kasse wanderten.

Seit einigen Wochen stand ich samstags mit meinem Kollegen Tobias auf dem Markt, obwohl ich die Schichten am liebsten allein absolvierte. Doch über den Sommer hatte mir meine Chefin Isabell jemanden zur Seite stellen wollen, damit sich keine langen Schlange bildeten und potenzielle Kunden vertrieben. Und um ehrlich zu sein, hatten wir auch zu zweit dieser Tage alle Hände voll zu tun. 

Mein Kollege war ein Mann, der viel besser in eine Boyband gepasst hätte als in eine Schürze. Er war ausgesprochen attraktiv mit seiner gepflegten Kurzhaarfrisur, den schokoladenbraunen Augen und der makellosen Haut. Seine Statur deutete sogar unter dem locker sitzenden T-Shirt definierte Konturen an und er hatte dieses charmante Lächeln, dank dem ihm die Herzen nur so zu flogen.

Tobias war ein paar Jahre älter als ich und schien weibliche Aufmerksamkeit stets zu genießen. Neben ihm kam ich mir oft vor wie ein ahnungsloser Trampel, obwohl er nie etwas in der Richtung andeutete. In seiner Anwesenheit agierte ich noch ungeschickter, als ich ohnehin schon war. 

Meist stand er während unserer gemeinsamen Schichten an der Siebträgermaschine und ich bediente die Gäste an den Tischen. So hatte ich ein wenig Abstand und konnte mich besser auf mich selbst konzentrieren. 

Oftmals verweilten junge Frauen länger als unbedingt notwendig bei ihm und warteten auf Getränke, die er ihnen bereits übergeben hatte. Manche waren richtig offensiv und schrieben ihm sogar ihre Nummern auf.

»Hey Sarah, was gibt es Neues?«, überfiel mich meine Studienfreundin Evy hinterrücks, als ich gerade das Geschirr von einem verlassenen Tisch einsammelte.

»Evy«, quiekte ich auf und schlug mir mit der Hand auf die Brust. »Hast du mich erschreckt.«

»Das gehört alles zu meinem geschickt ausgetüftelten Plan.« Evy grinste und gewährte mir einen dezenten Blick in ihre Einkaufstasche eines angesagten Modelabels. »Hier, schau mal.«

Ich erkannte bunt bedruckten Stoff, doch für mehr fehlte mir die Fantasie. 

»Was ist das?«

Anstatt wie ich zu arbeiten, verbrachte meine Freundin den Samstag regelmäßig beim Shoppen und seit einigen Wochen besuchte sie mich dann auch auf dem Wochenmarkt. Der Zeitraum deckte sich verdächtig mit dem Auftauchen von Tobias auf dem Marktplatz. Sie kommentierte jedes kleinste Missgeschick meinerseits mit einer Spitze, denn sie war der festen Überzeugung, ich hätte mich in meinen Kollegen verguckt. Allerdings konnte ich mit Bestimmtheit sagen, dass sie sich irrte. Tobias war absolut nicht mein Fall.

»Ich habe mir ein neues Kleid gekauft. Für die Party zu Semesterbeginn.«

Ihre Eltern hatten genug Geld, um sich ein Leben im Luxus zu leisten, und Evy dachte nicht daran, diesen Status freiwillig aufzugeben. In meiner Familie gab es sowas nicht. Meine Eltern führten einen soliden Handwerksbetrieb in Altenholz, einen Steinwurf weit nördlich von Kiel, und hatten nicht einmal Verständnis dafür, warum ich nicht bei ihnen wohnte, während ich studierte. Schließlich kostete das nichts extra und die Fahrtzeit hielt sich aufgrund der geringen Distanz ebenfalls ins Grenzen. 

So hatte ich mir einen Job gesucht, mit dem ich einen Teil zu meinem Lebensunterhalt beitrug, und sie überzeugt, dass dies der richtige Weg war, um aus mir einen verantwortungsbewussten Erwachsenen zu formen. Das war ihnen nämlich immer wichtig gewesen. 

»Schick«, heuchelte ich zwischen zwei Handgriffen an der Spülstation.

Evy war der Typ extrovertierte Partyqueen, während ich lieber meine Nase in ein Buch steckte und die Abende in meinem WG-Zimmer verbrachte. Manchmal, wenn Partys bei uns stattfanden, fügte ich mich dem Druck der Massen und gesellte mich dazu. Richtig blühte ich aber erst auf, wenn die Gäste wieder gegangen waren und ich anschließend in Ruhe die Ordnung in der Wohnung wiederherstellen durfte. Meine Mitbewohner fielen entweder erschlagen ins Bett oder zogen mit den Gästen weiter in einen Club in der Nähe, sodass ich die große Wohnung für mich allein hatte.

Manchmal überlegte ich, was Evy eigentlich an mir fand. Ich mochte ihre Energie und dass sie mich in Unsinn hineinzog, den ich allein niemals entdeckt hätte. Aber wenn es nach mir ginge dürfte sich das gerne auf ein- bis zweimal im Jahr beschränken. Meine größte Sorge war, dass ich sie eines Tages langweilte und sie mich plötzlich fallen ließ. 

Wahrscheinlich hatte ich in ihr irgendeinen Instinkt geweckt, der ihr den Impuls einimpfte, mich an den Mann zu bringen. Wenn dies klappte oder sie wahlweise erkannte, dass es zwecklos war, es zu versuchen, würde sie das Interesse an mir verlieren. 

»Warte ab, bis du siehst, wie es geschnitten ist. Ich wette, an dem Abend werde ich sicher nicht allein nach Hause gehen.« 

Ich konnte mir nicht vorstellen, auf einer Party einen Kerl ausreichend kennenzulernen, um überhaupt mit ihm nach Hause gehen zu wollen. Evy hingegen fand das aufregend. Sie liebte es, neue Menschen kennenzulernen, und war im Augenblick nicht auf der Suche nach dem Partner fürs Leben. Ihr Vorsatz für das Studium lautete, das Leben in vollen Zügen genießen und daraus machte sie kein Geheimnis.

»Ersti-Partys sind doch öde«, mischte sich mein Kollege Tobias ein. Er trug ein herbes Rasierwasser, das mich immer an alte Männer bei unseren Familienfeiern erinnerte. Grundsätzlich mochte ich das, aber ich hasste es, wenn der Geruch näher kam und sich aufdrängte. »Komm lieber mal mit mir. Dann zeige ich dir, wie Erwachsene feiern.«

Evy sah mich mit einer erhobenen Braue an und ich meinte, eine Spur Neid in ihrem Blick zu erkennen, weil Tobias mich angesprochen hatte anstatt sie. Manchmal glaubte ich tatsächlich, sie besuchte mich nur wegen meines attraktiven Kollegen. Vielleicht wollte sie mit ihren Sticheleien in meine Richtung auch nur ausloten, ob ich an ihm interessiert war, weil sie selbst auf ihn stand, grübelte ich. Mir war das alles viel zu kompliziert. Meinetwegen konnte sie ihn gerne haben. 

»Ich bin nicht so die Partymaus. Wahrscheinlich wüsste ich das gar nicht richtig zu schätzen«, versuchte ich, seine Aufmerksamkeit auf meine Freundin umzulenken. »Nimm doch Evy mit.«

»Ach was«, verwarf er meinen Vorschlag sofort. »Komm doch einfach heute Abend mit ins Ben Briggs.« 

Ein Windhauch wehte Bratdüfte zu uns herüber und erinnerte mich daran, dass ich noch keine Frühstückspause gemacht hatte. Von frischen Fischbrötchen über Bratwurst und einen Bäckerwagen gab es um uns herum alles, was das Herz der meisten Besucher begehrte. Mich persönlich interessierten die Obst- und Gemüsestände stets mehr, aber auch die gab es zu Genüge.

Ganz besonders einer dieser Stände hatte es mir angetan. Ich durfte jedoch nicht zu oft und vor allem nicht zu auffällig hinüberschauen, denn was mich an dem Stand am meisten interessierte, waren weder Äpfel noch Tomaten.

»Der Club ist echt cool, oder? Ich wollte da auch immer schon mal hin, aber meine Mädels zieht es eher zu House und RnB«, erklärte Evy in der gewohnten Art, in der sie stets die Kommunikation an sich riss. In diesem Moment war ich dafür ausgesprochen dankbar, denn ich hatte nicht vor, mich von Tobias zum Ausgehen überreden zu lassen.

»Das wird lustig«, versprach er an mich gewandt. »Du wirst schon sehen.«

»Ja, Sarah, geh doch mit. Lern mal ein paar neue Leute kennen. Das wird dir gut tun.« Nun klang es, als bemühte sie sich um mich, dabei versuchte sie bestimmt nur, Tobias' Aufmerksamkeit auf eine andere Art auf sich ziehen. Ihm zuzustimmen schien immer eine gute Idee zu sein, denn Tobias mochte seine eigene Meinung ganz besonders gern. Ich konnte allerdings nicht leiden, wenn andere Menschen entschieden, was gut oder schlecht für mich war. »Du bist doch den ganzen Sommer kaum rausgekommen. Immer nur arbeiten. Das ist doch kein Leben.«

Aha, als wenn sie das so genau wüsste. Gearbeitet hatte sie in ihrem Leben sicher noch nicht einen Tag lang. Auf einen Streit hatte ich jedoch keine Lust. Sollte doch jeder so leben, wie es ihm gefiel. Mir gefiel mein Leben mit seinen geregelten Abläufen und ich brauchte wirklich kein Liebeschaos.

Tobias sah mich erwartungsvoll an. In seinen braunen Augen lagen eine Spur Hoffnung und joviale Freude. Ob Evy ihre Kuppelversuche endlich aufgab, wenn ich ein einziges Mal mit ihm ausging? Was konnte dabei schon schiefgehen? Ich wollte schließlich nichts von ihm.

»Okay, wenn ihr meint«, erklärte ich mich achselzuckend einverstanden.

»Super, soll ich dich irgendwo abholen oder kommst du direkt dorthin?« Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein echtes Lächeln ab.

»Ich komme direkt dorthin. Das ist doch hier gleich um die Ecke, oder?« Ich deutete grob in die Richtung, in der ich die Diskothek vermutete.

»Ja, genau. Du wirst sehen, meine Freunde sind alle nett.«

Normalerweise ging ich nicht mit irgendwelchen Männern aus, aber Tobias war ein Kollege und ich hatte nicht das Gefühl, er wäre auf beängstigende Weise an mir interessiert. Aber wer konnte schon ahnen, ob nicht ein toller Kerl unter seinen Freunden auf mich wartete. Ich würde den Abend auf mich zukommen lassen und schließlich konnte ich jederzeit wieder nach Hause gehen, wenn ich genug hatte. Alles ganz easy.

Eine Dame, die sich in Begleitung einer jüngeren Frau an einen Tisch gesetzt hatte, winkte dezent zu mir rüber und gab mir eine perfekte Gelegenheit, die beiden eine Weile allein zu lassen. Ich nahm in Ruhe die Bestellung auf und sammelte den zwei frei gewordenen Tischen das Geschirr ein, damit sich die nächsten Gäste setzen konnten. 

Tobias bereitete die Getränke zu, während ich Tassen und Gläser spülte.

»Ich muss mal kurz in den Laden, die Espressobohnen sind alle«, informierte er mich. Er legte seine Schürze ab und hängte sie an den Haken neben seinem Arbeitsplatz. »Kannst du kurz allein die Stellung halten?«

»Ich bin ja auch noch da«, sagte Evy, um sich in Erinnerung zu rufen, was offenbar nicht so sehr fruchtete, wie sie sich erhofft hatte, denn Tobias wartete auf meine Aussage.

»Klar, geh ruhig.« Ich nahm die beiden Kaffee und brachte sie routiniert zu den Frauen an den Tisch. Den Job machte ich nun schon seit einem Jahr und an manchen Samstagen war ich allein am Kaffeewagen. 

***

Mein Blick huschte erneut über den Asphalt des Exerzierplatzes in die verbotene Zone hinter die Theke am Obst- und Gemüsestand von Hof Falkenau. Leider schien der blonde Junge mit dem abwesenden Ausdruck auf dem Gesicht mich nie zu bemerken. Er arbeitete schon eine ganze Weile am Stand gegenüber. Vor gut zwei Monaten war er mir zum ersten Mal aufgefallen und seitdem lauerte ich darauf, eines Tages seinen Blick aufzufangen oder mit ihm zufällig ins Gespräch zu kommen. 

Doch das würde nicht passieren. Ich kam mit niemandem so zufällig ins Gespräch und er, wie mir schien, ebenso wenig. Inzwischen hatte ich viel Zeit gehabt, ihn verstohlen zu beobachten. Ich kannte jeden seiner Handgriffe. 

Er behandelte das Obst und das Gemüse stets mit einer gewissen Ehrfurcht. Nie warf er etwas achtlos hin. Im Gespräch mit den Kunden war er zurückhaltend, aber er schien gut anzukommen. Einige Stammgäste ließen sich immer wieder von ihm bedienen und warteten sogar auf ihn, selbst wenn ein anderer Mitarbeiter Zeit für sie hätte.

Das Haar trug er extravagant geschnitten. An den Seiten war es kurz rasiert und den Rest band er stets zu einem festen Zopf zusammen. Seine Gesichtszüge waren scharfkantig und gleichermaßen jungenhaft. Manchmal lächelte er versonnen und es bildeten sich feine Grübchen auf den Wangen. Alles an ihm war in höchstem Maße unkonventionell und das gefiel mir. 

Nur sein Alter konnte ich schwer einschätzen. Manchmal nahm ich an, er könnte sogar jünger sein als ich, ein anderes Mal nahm ich an, es sei einige Jahre älter. Er schien im Gegensatz zu Evy und Tobias überhaupt keinen Wert darauf zu legen, was andere Menschen von ihm und seinem Auftreten hielten, sondern konzentrierte sich stets auf seinen Job. 

Einmal hatte ich beobachtet, wie er einen Apfel gerettet hatte, der von einem sorgsam drapierten Stapel davon kullerte. Er hechtete hinterher, damit er nicht auf den Boden fiel und fing das Obst kurz vor dem Aufprall auf wie ein Gemüsewächter. Er schien Achtung vor den Dingen zu haben, mit denen er arbeitete. Das imponierte mir wohl am meisten an ihm. Aber natürlich war mir auch aufgefallen, wie süß er war.

»Vielleicht solltest du einfach mal rübergehen und ihn anquatschen«, schlug Evy zum wiederholten Mal vor. Seit dem Ende des vergangenen Semesters hatte sie versucht, mich davon zu überzeugen, den ersten Schritt zu wagen. Damals hatte ich noch Hoffnung, dass er mich sicher irgendwann von ganz allein bemerkte. Aber das war bis heute nicht passiert und so langsam schwand meine Zuversicht. Ich war niemand, der auf einen Jungen zuging. Wenn er keinen Kontakt aufnahm, hatte er wohl schlicht kein Interesse an mir.

»Ich weiß nicht. Sicher will er überhaupt nichts von mir wissen. Er weiß nicht mal, dass es mich gibt.« Ich tat die Angelegenheit mit einer wegwerfenden Handbewegung ab, als sei es mir nicht wichtig, ob sich dieser Status irgendwann änderte. »Sag mal, ist es für dich wirklich in Ordnung, wenn ich mit Tobias ausgehe?«

Ich fühlte mich nicht so recht wohl dabei, mit einem Mann auszugehen, an dem meine Freundin offensichtlich mehr Interesse hatte als ich selbst. Tobias war objektiv gutaussehend und er konnte charmant sein, wenn er sich bemühte, aber ich stand nicht auf ihn. 

»Klar, geh nur«, winkte nun sie ab, als wäre nichts dabei.

»Ich dachte, du magst ihn vielleicht ein bisschen. Immerhin besuchst du mich seit Wochen regelmäßig bei der Arbeit und unterhältst dich dann doch fast nur mit ihm«, schilderte ich ihr meinen Eindruck, um die Wahrheit aus meiner Freundin herauszukitzeln. Wenn sie einverstanden war, würde ich für einen Abend so tun, als wäre ich eine normale Studentin meines Alters und ausgehen.

»Bist du etwa eifersüchtig? Ich bin nur wegen dir hier. Ich schwöre es.« Sie hob die Finger zu einem Peace-Zeichen und zeigte mir ihr hübsches Lächeln mit den geraden weißen Zähnen.

Ich gab mich geschlagen und akzeptierte ihre Zustimmung zu meiner Verabredung. Das hieß nun also, dass ich wirklich mit ihm ausging und das ließ jetzt schon meine Finger schwitzen. Ich hielt sie schnell unter das kalte Wasser der Spülstation.

Meinen bislang einzigen Freund hatte ich für knapp drei Monate im zarten Alter von 15 Jahren. Seitdem war in meinem Liebesleben nicht mehr viel passiert, was nicht mit Enttäuschungen und unerwiderten Gefühlen zusammen hing. Dem Schicksal als ewige Jungfrau war ich damals gerade noch entronnen, aber über viel Erfahrung auf dem Gebiet verfügte ich dennoch nicht. 

Sogar meine gleichaltrigen Freundinnen an der Uni wussten so viel mehr über Jungs als ich. Aber das gehörte nicht zu den Dingen, die ich meinen Mitmenschen erzählte. Evy schon gar nicht. Sie würde mich für völlig verkorkst halten. Vielleicht flüchtete ich mich nur in die Illusion von Verliebtheit in einen Unbekannten, weil ich Angst davor hatte, es könnte zu konkret werden. 

So hing mein Leben nicht davon ab, ob mich der Junge vom Gemüsestand zur Kenntnis nahm. Ich träumte dennoch davon, dass er mich eines Tages ansprach. In meiner Fantasie spielte ich diese Szene oft durch. Er kam herüber und gestand, dass ich ihm schon länger aufgefallen war und dass er mich gerne besser kennenlernen wollte. Ganz nett und zurückhaltend, aber er war es, der in meinem Traum die Initiative ergriff. Mehr passierte selbst in meinen kühnsten Tagträumen nicht.

Ich wollte nicht sofort mit ihm in irgendeiner dunklen Ecke knutschen. Nur dass er mich bemerkte und Interesse zeigte, wünschte ich mir von Herzen.

In den vergangenen Wochen hatte sich jedoch in unserer nicht-existenten Beziehung absolut nichts verändert. So begann ich langsam aber sicher anzunehmen, dass er eine Freundin hatte oder sich nicht für mich interessierte. Man konnte nichts erzwingen und das war vollkommen okay. Eines Tages würde mein Traumprinz kommen, mich auf sein weißes Ross heben und mit mir in den Sonnenuntergang reiten – oder eben so ähnlich.

2. Pocahontas geht von Deck

SEIT ZWEI STUNDEN überlegte ich hin und her, wie ich aus dieser komischen Verabredung wieder herauskam. Aber ich hatte keine Kontaktmöglichkeit, um Tobias abzusagen und ohne Absage nicht aufzutauchen, war extrem unhöflich. Sowas brachte ich nicht übers Herz. Um abzusagen, müsste ich in den Laden laufen und irgendwen um Tobias Nummer bitten. Das sähe dann aus, als sei ich an ihm interessiert. 

Und welche Ausrede hatte ich überhaupt, um nicht kommen zu können? Mir tat nichts weh, es gab kein Drama, mir war - von ein wenig Nervosität mal abgesehen - noch nicht mal übel.

Andererseits tat es mir vielleicht ganz gut, mal mit neuen Leuten an neue Orte zu gehen. Tobias war sicher kein Unmensch. Wir kannten einander und der Club war direkt um die Ecke. Ich konnte jederzeit gehen, wenn es mir nicht gefiel. Es war nicht so, als besuchte ich einen Fremden zu Hause.

Genauso zerrissen wie zu Beginn meiner Überlegungen seufzte ich. Kaum war ich von der Arbeit nach Hause gekommen, hatte es ein Teil von mir bereut, überhaupt zugesagt zu haben. Es war nicht mein Ding. Ich wollte nicht mit einer Horde älterer Kerle ausgehen. Sicher waren alle eher in seinem Alter als in meinem und ich suchte doch gar nicht wirklich nach einem Freund - schon gar nicht so verzweifelt und in einen Club, in dem ich sonst niemanden kannte.

Ich wollte lieber mit meinen Freundinnen unterwegs sein oder besser noch allein mit einem Buch im Bett liegen. Vielleicht konnte ich Evy überreden mitzukommen, überlegte ich. Was würde allerdings Tobias dazu sagen? Ich war mir ziemlich sicher, dass sie sich in gewisser Weise für ihn interessierte, aber bei ihm war ich absolut unsicher. 

Manchmal glaubte ich, er unterhielte sich gern mit meiner Kommilitonin, beim nächsten Mal ignorierte er sie vollständig. Ich wurde aus den Beiden nicht schlau. Mit ihr an meiner Seite würde ich mich jedoch weniger verloren fühlen, auch wenn das vielleicht Tobias störte. 

Andererseits interessierte es mich überhaupt nicht, ob Tobias irgendwas störte. Er hatte mich in diese Sache reingequatscht und wenn ich eine Freundin mitnehmen wollte, dann tat ich das. Es war schließlich nicht so, als wäre es eine Hausparty mit geladenen Gästen oder ein Date. Es war ein öffentlicher Club und da konnte hingehen, wer den Eintritt bezahlte.

Ich schrieb Evy eine Nachricht und bettelte, sie möge mitkommen. Während ich auf eine Antwort wartete, raffte ich mich von meinem kuscheligen Bett auf und wagte mich auf den breiten Flur, der alle Zimmer verband. Sämtliche Türen bis auf meine waren geschlossen.

Aus dem Zimmer gegenüber dröhnte Musik. Bei meiner Mitbewohnerin Becky lief mal wieder Akustikabfall. Sie behauptete zwar vehement, es handele sich um Dubstep und das sei eine anerkannte Musikrichtung, aber das konnte mich nicht täuschen. 

Doch es war egal, was ich sagte. Ich würde sie ohnehin nicht davon abbringen, dieses blechern klingende Zeug abzuspielen. Mit Becky legte man sich nicht an, wenn man nicht unbedingt verlieren wollte. Die beiden Jungs, die ebenfalls die Wohnung mit uns teilten, hielten sich bei dem Thema vornehm zurück, weil sie wussten, dass Becky sowohl lauter und als auch sturer sein konnte als sie zusammen.

Marc bemerkte man nicht einmal, wenn er zuhause war. Er hatte in geräuschdämpfende Kopfhörer investiert und saß oft tage- und nächtelang in seinem Zimmer und brütete über medizinischen Lehrbüchern. Manchmal glaubte ich, ich sei komplett allein, bis er irgendwann durch den Flur schlurfte, um ins Bad zu gehen oder sich in der Küche einen Snack zu holen.

Finn, der vierte Bewohner in meiner WG, der mir zugleich von allen der liebste war, verbrachte gerade seinen Sommerurlaub mit seiner neuen Liebe irgendwo am Meer. Portugal, wenn ich mich richtig erinnerte. Seine Freundin Jana war süß und studierte ebenfalls an meiner Uni.

Sie kannten sich seit ein paar Monaten und sogar dem lokalen Rockstar war es schwer gefallen, Jana von sich zu überzeugen. Dass sie Finn aber nicht ewig widerstehen konnte, war absolut nachvollziehbar. Er war der Hammer. Für mich war er seit meinem Einzug in die WG der große Bruder, den ich nie hatte. Als einziger von uns arbeitete er als Erzieher, anstatt zu studieren.

Es war noch ein paar Tage hin, bis endlich wieder der Unialltag begann und ich meine Freunde wieder regelmäßig sah. Viele von ihnen waren über den Sommer zu ihren Familien gefahren oder machten ein Praktikum in einem Unternehmen. Nur ich war hier und jobbte in dem Coffeeshop in der Kieler Innenstadt. So langweilte ich mich in letzter Zeit oft und fühlte mich einsam. 

Evy war nach ihrem Sommerurlaub zwar wieder in der Stadt, aber sie war mir allein über längere Zeit meist zu anstrengend. In der Gruppe war das kein Problem, dann verteilte sich ihre entfesselte Energie gleichmäßig auf alle. Wenn ich allein im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stand, passiert so etwas wie an diesem Morgen auf dem Markt. Irgendwie hatte ihr Erscheinen dazu geführt, dass ich nun diese Verabredung ausbaden musste, die eigentlich sie haben wollte, anstatt einen ruhigen Abend mit einem Film oder einem Buch im Bett zu verbringen. 

Wenn ich ausging, dann doch bitte mit dem Jungen vom Falkenau-Marktstand, der immer nur samstags auf dem Markt war. Alles, was ich über ihn wusste, war optischer Natur. Ich wusste, dass er ausgesprochen schöne Hände und Unterarme hatte. Im Gegensatz zu Tobias hatte er keinen breiten Kiefer, keinen Bart und nicht diese nervige Aura des Allwissenden. Seine Nase war schmal und die Lippen lagen meist ausdruckslos aufeinander, als wäre er mit den Gedanken an einem ganz anderen Ort. Ich mochte seine kleinen Ohren, die sich eng an seinen Kopf schmiegten. 

Wie gern hätte ich mich mal mit ihm unterhalten, aber einfach so rübergehen und ihn ansprechen konnte ich beim besten Willen nicht. Unter einem Vorwand wie dem dringenden Bedürfnis nach frischen Möhren hätte ich wohl etwas bei ihm kaufen können. Doch selbst dann liefe mein Gesicht feuerrot an und er wüsste sofort, dass ich an ihm interessiert war. Das kam überhaupt nicht in Frage. Also musste ich meine Möhren weiterhin im Discounter kaufen und sprach nicht mit ihm.

Ich starrte in den offenen Kühlschrank und suchte nach einer Idee, Hilfe, Rat, Gesellschaft oder etwas zu essen. Es war an der Zeit, mal wieder einen anständigen Einkauf zu planen. Normalerweise fuhren Finn und ich dafür gemeinsam mit seinem Wagen zu einem der Supermärkte mit großem Parkplatz und besorgten alles, was der Haushalt brauchte. 

Das leere Gurkenglas stand noch immer gut gekühlt im Zentrum des Schranks und zeigte das Ausmaß des Elends sehr eindrucksvoll. Da Finn mit dem Wagen im Urlaub war, musste ich diese Woche entweder allein zum Einkaufen gehen oder Becky und Marc überreden mit mir zu kommen. Welches davon mochte wohl das kleinere Übel sein? Noch eine dieser schwierigen Fragen, die eine Antwort suchten. Vielleicht entschied ich mich einfach für einen Hungerstreik, bis Finn wieder da war.

Ich schlich zurück in mein Zimmer und ließ mich aufs Bett fallen. Meine Gedanken verließen den notwendigen Einkauf und wandten sich erneut dem hübschen Gesicht zu. Wie gern wüsste ich, welche Farbe seine Augen hatten und ob sie strahlten, wenn er mich ansah. Oder wie seine Stimme klang, wenn er mit mir sprach. Aber diese Gedanken sollte ich mir schleunigst wieder aus dem Kopf schlagen, denn für ihn existierte ich überhaupt nicht.

Objektiv betrachtet war ich ein farbloses Mädchen mit blasser Haut, die von langweiligem dunkelblondem Haar eingerahmt wurde. Meine Haare waren weder lockig noch glatt, sondern irgendwas dazwischen. Zwar war ich schlank, aber ich hatte keine hervorstechenden Reize, wie viele andere junge Frauen, denen ich begegnete. Alles in allem war ich ziemlich durchschnittlich.

Das einzig halbwegs Interessante an mir waren vermutlich meine hellblauen Augen, aber das erregte nicht gerade viel Aufmerksamkeit, wenn man sich nicht bereits dicht gegenüber stand. Sicher hätte ich mit pinken Haaren oder mit Piercings wie Becky größere Chancen darauf, bemerkt zu werden, aber das war eben nicht ich. Farbig war an mir nur mein Gesicht, wenn mir etwas peinlich war. Der knallige Rotton, den meine Haut in diesen Momenten annahm, biss sich mit jedem Pink, das ich mir in die Haare hätte färben können.

Ich würde mich auch sicher nicht in den nächsten Wochen zu einem schönen Schwan entwickeln, wie die Mädchen in den Filmen und Büchern, deren Geschichten ich so gern verfolgte. Weder kam ein attraktiver enthaltsamer Vampir daher, um meine Schönheit mit einem Kuss zu erwecken, noch würde mich eine neue Mitbewohnerin, die zufällig Visagistin beim Film war, in einen strahlenden Stern verwandeln. Wir lebten in Kiel und nicht in Hollywood, außerdem waren bereits alle Zimmer in unserer WG belegt. Hier war überhaupt kein Platz für die Visagistin und ihr ganzes Equipment.

Über meinem Bett hin ein gerahmter Schwarz-Weiß-Druck von New Yorks Straßen, über den ich eine Lichterkette gespannt hatte. Immer wenn ich meinen Tagträumen nachhing, sah ich mir dieses Bild der Großstadt an und wünschte mir meinen Prinzen herbei. Seit ich den Jungen vom Markt zum ersten Mal gesehen hatte, trug der Prinz sein Gesicht. Okay, vielleicht war ich ein bisschen verknallt, aber es war trotzdem totaler Schwachsinn, mir einzubilden ausgerechnet er könnte der männliche Hauptdarsteller in meiner Geschichte werden. 

Woher sollte ich wissen, ob er nicht eigentlich ein unerträglicher Typ war, nach faulen Eiern stank und zudem üblen Mundgeruch hatte? 

Ich wusste nichts über ihn. Wie konnte er bloß derart meine Gedanken und meine Träume beherrschen? Ich war 21 und nicht mehr 14. Für solche Fantasien war ich mittlerweile zu alt. Vielleicht war es also wirklich keine schlechte Idee, heute Abend mal auszugehen und den Kopf frei zu bekommen. Zumal ich ohnehin nicht absagen konnte.

Endlich vibrierte mein Smartphone und zeigte die ersehnte Antwort meiner Freundin an. Leider war der Inhalt der Nachricht weniger erfreulich. Sie hatte inzwischen eine andere Verabredung und wünschte mit unverschämt viel Spaß. Na, toll!

***

Die Absätze meiner Schuhe klackerten auf dem feuchten Pflaster der Gasse, die vom Vorplatz der großen Veranstaltungshalle zum Ben Briggs führte. Es hatte am frühen Abend geregnet und ich hatte erneut überlegt, ob ich mich aus dieser Verabredung herauswinden konnte, weil es regnete. Doch das hatte ich mir nicht durchgehen lassen. Nun hallten meine einsamen Schritte durch die Nacht. Ich war unterwegs. Das Pflichtgefühl hatte gewonnen, aber in so eine Lage würde ich nie wieder geraten. 

So eine Komfortzone war etwas sehr Schönes. Man konnte sich hineinkuscheln, darin zudecken und friedlich einschlummern, wenn einem danach war. Niemand störte einen darin. Dass dafür auch nichts Aufregendes passierte, konnte ich verkraften.

Von meiner Wohnung waren es weniger als fünf Minuten in den Club, aber wenn ich mit Freundinnen ausging, verschlug es uns dennoch in andere Lokalitäten, die meist ebenso nah lagen. Das Ben Briggs, so hieß es unter meinen Bekannten, war eher etwas für ältere Studenten und nun war ausgerechnet ich, das Küken, auf dem Weg dorthin. 

Das einzige richtige Partyoutfit, das ich besaß, war ein locker sitzendes schwarzes Longtop mit kurzen Ärmeln und schwarze Leggings. Für einen Farbtupfer hatte ich einen breiten Gürtel mit silbernem Glitzer um meine schmale Taille gebunden und Schuhe in dem gleichen Farbton mit hohen Absätzen angezogen. Gürtel und Schuhe stammten von einem Einkauf mit Evy, weil sie es unmöglich fand, dass ich in Jeans und T-Shirt auf die Ersti-Party gekommen war. Sie hatte mich sofort unter ihre Fittiche genommen und war mit mir shoppen gegangen, damit ich bei nächster Gelegenheit partytauglicher angezogen war.

Allein unterwegs zu sein, fand ich nach Einbruch der Nacht immer etwas beängstigend. Obwohl alles beleuchtet war, fühlte ich mich eventuellen Angreifern gegenüber nicht nur durch meine schmale Statur, sondern auch durch meine hohen Schuhe im Nachteil. Konnte ich auf diesen Absätzen rennen, wenn es nötig war? Andererseits war das selten notwendig – ich wollte schließlich keinen Bus erwischen und hier passierte garantiert nichts. Dafür sorgten schon die beiden Türsteher vor der Disco, die ich bereits von Weitem als solche erkannte. 

Ich schob meine Paranoia beiseite und stolzierte vorsichtig durch die Gasse. Als ich mich dem Eingang näherte, straffte ich die Schultern und strich eine verirrte Strähne zurück hinter mein Ohr. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, ich schlich mich illegal in den Club, dabei war ich schon lange alt genug zum Ausgehen. Wie jedes Mal fragte man mich auch hier nach meinem Ausweis, weil ich noch immer mehr wie eine 16-jährige Schülerin aussah als nach der 21-jährigen Studentin, die ich war. Ich fischte den Altersnachweis aus der Umhängetasche, passierte die Einlasskontrolle und hielt Ausschau nach meinem Kollegen.

Der Bug eines Schiffes ragte in den hohen Raum hinein. Endlich ergaben das Logo des Clubs und die Holzverkleidung des Gebäudes einen tieferen Sinn. Auf dem Abbild war ein stilisiertes Segel zu sehen, was ich allerdings erst jetzt kapierte. 

Zu meiner Freude war es nicht übermäßig voll, aber die Stimmung trotzdem ausgelassen. Ich mochte keine Menschenmassen, weshalb es mir sehr entgegenkam, dass ich mit Leichtigkeit einen Weg durch die anderen Gäste fand, ohne ständig Fremde zu berühren. Auf der Tanzfläche tollten Feierwütige herum, wie ich es sonst nur von Festivals kannte. Die Lautsprecher bebten von Beats, die vielleicht in meiner Jugend oder in meiner frühen Kindheit angesagt waren. 

Alles in allem war dies keine Party, die ich freiwillig besucht hätte. Aber jetzt war ich hier und wenn ich Tobias fand, trank ich meinen Anstandsdrink mit ihm, lernte seine Freunde kennen und verzog mich wieder nach Hause. So weit zumindest mein vorläufiger Plan. Wenn es nett war, konnte ich noch bleiben, aber wenigstens kurz sehen lassen musste ich mich.

Auf der Tanzfläche war er nicht zu finden. Er kam mir ohnehin nicht vor wie jemand, der ausgelassen tanzte. Tobias war eher der Typ, der am Rand der Menge stand und trank, während er die Mädchen abcheckte. 

Vielleicht war mein bisheriger Eindruck von ihm auch völlig daneben. Ich kannte ihn überhaupt nicht und nur, weil er gut aussah, musste er kein Weiberheld sein. Vielleicht war ihm die ganze Aufmerksamkeit sogar peinlich. Mir wäre sie das an seiner Stelle, deshalb war ich ganz froh, dass ich außer den Sommersprossen keine auffälligen Merkmale hatte. Ich mochte es nicht, wenn mich die Leute zu sehr beachteten. Im Hintergrund gefiel es mir deutlich besser.

Ich stieg die Treppe hinauf, weil ich oben eine Bar entdeckt hatte. Von dort konnte man die Tanzfläche bei einem entspannten Drink überblicken. Das war genau der Ort, an dem ich Tobias erwarten würde und genau dort fand ich ihn Sekunden später. Er kehrte gerade mit einem Arm voller Getränke zu einer Gruppe Männer zurück. Wie ich erwartet hatte, waren sie tatsächlich alle deutlich älter als ich.

»Hey, da bist du ja«, begrüßte er mich mit einer ungewohnten Umarmung. Dass er mir plötzlich körperlich so nahe kam, war mir unangenehm. Der aufdringliche Duft seines Rasierwassers kitzelte mich in der Nase. »Jungs, das ist meine Freundin Sarah.«

Das war ja wohl die Übertreibung schlechthin. Wir waren Kollegen, keine Freunde und seine Freundin war ich schon mal gar nicht. Trotzdem lächelte ich so freundlich, wie ich konnte, in die Runde und sah mich um. 

»Hallo Zusammen«, murmelte ich und empfing vereinzelte Grüße von den Fremden. Mein erster Eindruck aus der Ferne bestätigte sich, als ich näher hinsah: Sie waren alle viel zu alt und absolut nicht mein Typ. 

Evy hatte Unrecht, diese Jungs waren nicht der richtige Umgang für mich. Niemand entsprach auch nur ansatzweise dem, was ich mir bei meinem Freund wünschte. Ich suchte einen liebevollen Menschen, der mir keine Angst machte und bei dem ich ich selbst sein konnte. Diese Anforderungen waren definitiv nicht überhöht. Ich war genügsam und wusste, dass er Kerle gab, die außerhalb meiner Liga spielten - was völlig okay war. Ich suchte kein männliches Supermodel oder einen Boybandstar.

Diese Jungs trugen alle ähnlich teure Kleidung wie mein Kollege, hatten ähnlich modische Frisuren und schienen ähnlich viel Wert auf ihr Äußeres zu legen. Das war zwar nichts Schlechtes, aber auf mich wirkte das einschüchternd. Vielleicht urteilte ich zu schnell und vielleicht lag es nur daran, dass in meinem Kopf der Eine herumspukte, der leider an diesem Abend nicht hier war. Dennoch war ich mir sicher, dass ich mich in keinen der Anwesenden verlieben würde.

»Was trinkst du?«, fragte Tobias mit hochgezogenen Brauen. »Wir wollten gerade auf den Abend anstoßen.«

»Ich mag Wodka Orange«, antwortete ich mechanisch und begriff erst in der nächsten Sekunde, dass er vorhatte, mich einzuladen. Das fühlte sich falsch an. Ich stand nicht gern in der Schuld anderer Menschen. Hin- und hergerissen zwischen den Impulsen ihn aufzuhalten und mich in die ungewohnte Situation zu fügen, sah ich abwechselnd zu ihm und seinen Freunden.

Die Gruppe junger Männer war in ein Gespräch vertieft, von dem ich nur Fetzen mitbekam. Niemand sprach mich an oder stellte sich vor. Ich gehörte hier nicht her. Tobias kehrte mit meinem Getränk zurück, drückte mir das Glas in die Hand und erhob seine Bierflasche. Was kostete so ein Drink hier? 5€ oder mehr? Ich würde es ihm einfach zurückzahlen, wenn sich die Gelegenheit bot.

»Auf den besten Abend seit Langem«, prostete er seinen Freunden zu. Ich stand unentschlossen neben ihm und hielt mich an meinem Glas fest. Es waren keine fünf Minuten vergangen und ich kam mir bereits vor wie ein Fremdkörper. Ein Parasit, der sich in ihre Clique einschlich. Das alles lief nicht so, wie es laufen sollte. 

Die Gefäße gaben ein atonales Klirren von sich, als sie aneinanderstießen. Ich konnte es kaum erwarten, mich wieder in mein kuscheliges Zimmer zu verkriechen. Diesen einen Drink und dann würde ich mich höflich verabschieden.

Dennoch hallten mir Evys Worte durch den Kopf. 'Nutz die Chance und genieß den Abend.' Aber was sollte das heißen? Welche Chance sollte das sein? Ich fühlte mich wie ein Anhängsel. 

Ich war nicht wie sie. Für meine Freundin wäre eine Gruppe älterer Jungs wahrscheinlich das Beste, was sie sich vorstellen konnte. Lauter Kerle, die sich um die hübsche Evy rissen und ihr einen kostenlosen Abend im Club bescherten. Sie stand gern im Mittelpunkt und wusste genau, wie sie dorthin kam. 

»Schön, dass du gekommen bist.« Tobias strahlte mich an, als hätte ich ihm damit ein persönliches Geschenk gemacht, dabei hätte ich ab dem ersten Moment am liebsten abgesagt. Ich wusste nicht, ob es an ihm, dem Altersunterschied oder an mir selbst lag, aber ich hatte das ganz bestimmte Gefühl, dass ich in diesem Moment nicht hier sein sollte.

Ich nippte an meinem Getränk und zuckte die Achseln, weil alles, was ich hätte sagen können, irgendwie unhöflich gewesen wäre. Einer seiner Freunde tippte ihm auf die Schulter und Tobias drehte sich zu ihm. Ich konnte wegen der lauten Musik kein Wort von ihrem Gespräch verstehen, aber es war mir auch egal. Es ging sicher sowieso nicht um mich.

Der Song, der gerade begann, gefiel mir zur Abwechslung. Endlich nicht mehr so ein Zeug, das meine Eltern bei runden Geburtstagen anwarfen. Ich wippte rhythmisch auf den Fußballen hin und her. Ich glaubte, dieses Lied mal bei Finn gehört zu haben, der bedingt durch sein Engagement in einer Indie-Pop-Band fast ausschließlich deutsche Indiemusik hörte. Die meisten Songs auf seinen Playlists waren mir zu sozialkritisch oder traurig. Dieser hier auch ein bisschen, aber irgendwie auch nicht. Der Name der Band wollte mir nicht mehr einfallen, obwohl ich mir sicher war, dass Finn es mir gesagt hatte. Ich fand ihn damals schon cool. Es war ein sehr eingängiger Song über den schönen Schein auf Social Media. Wenn Finn aus dem Urlaub zurück war, musste ich ihn unbedingt danach fragen.

Über den Laden und seine Musik hatte ich schon viel gehört und ich hatte immer geglaubt, dass es mir nicht gefallen würde. Doch es war eigentlich ganz nett hier. Mit den richtigen Leuten und der richtigen Musik war es bestimmt sogar ganz lustig. 

Ich merkte, wie mir eine Last von den Schultern fiel, weil ich zuvor vollkommen verkrampft an diesen Abend herangegangen war. Wenn ich ein wenig locker ließ, würde es mir vielleicht wirklich gefallen. Vielleicht hatte Evy genau das gemeint. Ich hatte keine Ziele an diesem Abend, konnte kommen und gehen, wann ich wollte. Es war alles vollkommen okay.

»Weißt du, wie der Song heißt?«, rief ich Tobias ins Ohr, den sein Kumpel wieder mit mir allein gelassen hatte.

»Nee, keine Ahnung. Ich interessiere mich nicht so für Musik«, gab er zurück. Ob er damit provozieren wollte, dass ich ihn nach seinen Interessen fragte? Keine Ahnung, aber da der Song noch lief, ließ ich es und tanzte weiter dezent auf der Stelle.

»Und ihr geht öfter hierher?«, fragte ich, als wieder eine Rocknummer begann, zu der ich nicht tanzen konnte.

»Ja, fast jedes Wochenende«, bestätigte er. »Gefällt es dir?«

Ich nickte und nahm einen Schluck aus meinem Drink, der sich viel zu schnell leerte.

»Wer sind deine Freunde so?«, versuchte ich es mit einer weiteren Frage. Noch immer kannte ich keinen einzigen Namen und ich bezweifelte, dass sich das noch ändern würde, denn die Horde war auf die Tanzfläche gestürmt und tobte sich dort aus, wie ich von oben beobachten konnte.

»Ach, Kumpels aus dem Studium, Freunde von Freunden und so.« Tobias zuckte die Achseln und strahlte mich an. Vielleicht konnte er mit dem Lächeln die Herzen anderer Mädchen für sich gewinnen, mir jedoch war alles an ihm zu unverbindlich. »Was sich halt in den Jahren so ansammelt.«

Ich verkniff es mir, die Augen zu verdrehen. Eine klare Antwort war das mal wieder nicht. Warum redeten wir überhaupt miteinander, wenn wir uns nichts zu sagen hatten? 

»Wusstest du, dass…«, begann er, doch ich hörte nicht mehr zu. 

Seine Worte verloren sich irgendwo zwischen den Gitarrenriffs des nächsten älteren Rocksongs. Ich begriff auch so, dass er gerade versuchte, mir die Welt zu erklären, die er so viel besser kannte als ich. Er war älter, erfahrener und gefühlt schon eine Ewigkeit an der Uni, während ich das kleine Naivchen war, dem er über die Straße half. Genau das war der Grund, warum ich von Anfang an nicht hatte kommen wollen. Mit dieser Attitüde nervte er mich auch manchmal bei der Arbeit. Wie hatte ich das nur verdrängen können?

Meine Gedanken drifteten erneut zum Markt. Ich bildete mir ein, der Junge mit dem Zopf wäre irgendwo hier unter den Gästen. Er würde irgendwie hier rein passen. Wenn ich nur gut genug beobachtete, würde ich ihn bestimmt irgendwo entdecken. Sicher ging er auch aus. Warum sollte er auch nicht? Wohin mochte es ihn verschlagen? Welche Musik hörte er gerne? War er eher der Typ für Konzerte oder für Clubs? Oder trieb er etwas ganz Abgefahrenes wie Rollenspielabende? Wenn es nach mir ging, wären es wohl die Rollenspielabende, auch wenn ich mit Fantasy als Genre nicht so viel anfangen konnte. Aber das klang nach einem überschaubaren Kreis an Teilnehmern in heimeliger Atmosphäre.

»Ja oder nein?«, fragte Tobias und ich erwachte aus meinem Tagtraum.

Peinlich berührt verzog ich die Lippen zu einem entschuldigenden Lächeln. »Wie bitte?«

»Ob du noch etwas trinken willst?«

Froh, dass ich endlich verstanden hatte, nickte ich, obwohl ich eigentlich nichts weiter wollte. Mein Glas war jedoch fast leer. Tobias verschwand in Richtung der Theke und ich blieb allein an der Reling zurück, während unter mir die Gäste tanzten. Er war nicht hier. Ich hatte inzwischen fast jedes Gesicht gescannt.

»Hier, bitte.« Tobias war schnell zurück. »Ich finde, du passt echt gut hierher. Du bringst so etwas süßes Unverdorbenes mit.«

 Ich stutzte über seine Worte und war mir nicht sicher, ob das ein Kompliment oder versteckte Kritik war. Irgendwie klang es total deplatziert. Süß und unverdorben? Na ja, vielleicht war er nur schlecht darin, Komplimente zu machen. Konversation schien allgemein nicht so seine Stärke zu sein. Zumindest nicht mit mir. Evy hätte an meiner Stelle hier sein sollen. Sie lachte über seine Scherze und schien irgendwie auf diese Aura der hochgehaltenen Lebenserfahrung abzufahren. Ich nicht.

»Meiner Freundin Evy würde es hier gut gefallen. Vielleicht nimmst du sie nächstes Mal mit«, schlug ich vor. Ich wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen, aber bei mir war er echt an der falschen Adresse. Nie im Leben würde ich noch einmal mit ihm ausgehen.

»Ich möchte aber lieber dich hier haben.« 

Die Richtung, in die sich das gerade entwickelte, gefiel mir gar nicht. Ich machte einen Schritt zurück und stolperte. Mein Absatz trat ins Leere und ich kippte nach hinten. In meinem Rücken lagen die Stufen, die ich erklommen hatte, um Tobias hier oben zu finden. Sein beherztes Zupacken um meinen Arm rettete mich vor einem gefährlichen Sturz die steile Treppe hinab.

»Pass auf«, rief er halb amüsiert, halb besorgt.

»Sorry«, murmelte ich unbehaglich. Eine Panikreaktion überschwemmte meine Blutgefäße mit Hormonen und ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen. Das Adrenalin vernebelte mir für ein paar Sekunden die Sinne. Das wäre ja mal ein Abgang gewesen, dachte ich. Ein Sturz die Treppe hinunter hätte gewiss einen Krankenwagen auf den Plan gerufen und mich in die Uniklinik befördert. Kein guter Ausgang für diese Geschichte...

Mein Wunsch war es gewesen, mehr Distanz zwischen uns zu bringen, doch nun da Tobias meinen Arm im Klammergriff hielt, war er mir noch näher als zuvor. Außerdem schmerzte mein Arm an der Stelle, an der seine Hand lag.

»Du schuldest deinem Retter einen Kuss, Prinzessin.« Er grinste verwegen. Seine Worte ließen meinen Fluchtimpuls wieder erstarken. Doch ehe ich davonlaufen konnte, näherten sich seine Lippen meinem Gesicht. Ich schaffte es nicht, mich rechtzeitig abzuwenden. 

Sie landeten genau auf meinem Mund und drückten sich fest an mich. Mit der zweiten Hand packte er meinen Nacken und raubte mir jegliche Bewegungsfreiheit, während seine Zunge grob meine Lippen teilte. Er schmeckte nach fadem Bier und kaltem Aschenbecher. Ich versuchte, ihn zurückzustoßen. 

Es schüttelte mich vor Ekel. Er war zwar viel stärker als ich, ließ zum Glück aber sofort von mir ab, als er meine Gegenwehr registrierte.

»Stell dich doch nicht so an, es war nur ein unschuldiger Kuss«, schimpfte er. Tobias verdrehte die Augen, schüttelte den Kopf und löste seine Hände von mir. »Kannst du selber stehen?«

»Ja, klar. Ich muss mal aufs Klo«, stieß ich hervor, stellte mein Glas ab und eilte davon. Erst auf der Suche nach den Toiletten wurde mir klar, dass meine Worte nur eine Ausrede waren. Ich wollte weg von hier. Um jeden Preis und so schnell wie möglich. 

Es war mir egal, dass er mich für unhöflich hielt, wenn ich meinen Drink einfach stehen ließ. Es war mir egal, wenn er mich für prüde hielt, weil ich keine Lust auf angeblich so unschuldige Küsse hatte. Ich fand seine ganze Persönlichkeit abstoßend und pflegte auch sonst nicht das Hobby, in meiner Freizeit Aschenbecher auszulecken. Warum um alles in der Welt sollte ich ihn also küssen wollen?

Ich hätte niemals herkommen sollen. 

Durch die Türsteher schlängelte ich mich ins Freie und rannte davon. Ich folgte der Straße hinauf bis zu dem Platz, an dem der Coffeeshop lag, wegen dem wir uns überhaupt nur kennengelernt hatten. Wäre dieser Job nicht gewesen, hätten sich unsere Wege nie im Leben gekreuzt.

Dann lief ich den kleinen Hügel hinauf, über die nächste Querstraße am Exerzierplatz vorbei und dann um die Ecke. Ich war fast zuhause und rannte noch immer mehr, als dass ich ging. Der kurze Weg war noch viel kürzer, wenn man auf der Flucht war. 

Doch unsere Wohnung erschien mir mit einem Mal nicht mehr weit genug weg von Tobias, seinen schwammigen Lippen und dem kratzigen Bart. 

Was war, wenn er mir nach Hause folgte? Wenn Marc oder Becky ihn ins Haus ließen, weil sie keine Ahnung hatten, dass ich ihn nie wieder sehen wollte? 

3. Wilde Hunde und schlechte Manieren

AM SONNTAG HATTE ich frei. Offenbar hatte auch Tobias meine Telefonnummer nicht, denn er meldete sich weder im Laufe der restlichen Nacht noch am nächsten morgen. Weder stand er vor meiner Tür, noch bekam ich irgendwelche Nachrichten, die mich an den Vorfall erinnerten. Ich mied sicherheitshalber dennoch den Coffeeshop, in dem ich sonst gern an meinen freien Tagen einen Kaffee holte.

---ENDE DER LESEPROBE---