Where Good Intentions Go To Die - Mia Kingsley - E-Book

Where Good Intentions Go To Die E-Book

Mia Kingsley

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Beschreibung

 Some things are better left in the dark …  Niemand glaubt, dass mein Algorithmus funktionieren kann und wirklich dazu in der Lage ist, die nächsten Taten von Serienkillern vorherzusagen – nicht mein Professor, nicht mein Freund, nicht meine Familie. Nur die Weirdos aus den Internetforen, die mich mit Daten versorgen, vertrauen in meine Fähigkeiten. Dann passiert es endlich. Mein Programm sagt einen Mord voraus. Selbstverständlich muss ich überprüfen, ob die Vorhersage stimmt, allerdings kann ich wohl kaum guten Gewissens einen Mord beobachten. Also muss ich ihn verhindern. Und ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich das bitte machen soll, ohne das nächste Opfer des Killers zu werden …   Dark Romance. Düstere Themen. Eindeutige Szenen. Deutliche Sprache. In sich abgeschlossen. 

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WHERE GOOD INTENTIONS GO TO DIE

MIA KINGSLEY

DARK ROMANCE

Copyright: Mia Kingsley, 2023, Deutschland.

Covergestaltung: Mia Kingsley

Korrektorat: http://www.korrekturservice-bingel.de

ISBN: 978-3-910412-36-1

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.

Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

Black Umbrella Publishing

www.blackumbrellapublishing.com

INHALT

Where Good Intentions Go To Die

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

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Über Mia Kingsley

WHERE GOOD INTENTIONS GO TO DIE

Niemand glaubt, dass mein Algorithmus funktionieren kann und wirklich dazu in der Lage ist, die nächsten Taten von Serienkillern vorherzusagen – nicht mein Professor, nicht mein Freund, nicht meine Familie. Nur die Weirdos aus den Internetforen, die mich mit Daten versorgen, vertrauen in meine Fähigkeiten.

Dann passiert es endlich. Mein Programm sagt einen Mord voraus. Selbstverständlich muss ich überprüfen, ob die Vorhersage stimmt, allerdings kann ich wohl kaum guten Gewissens einen Mord beobachten. Also muss ich ihn verhindern. Und ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich das bitte machen soll, ohne das nächste Opfer des Killers zu werden …

Dark Romance. Düstere Themen. Eindeutige Szenen. Deutliche Sprache. In sich abgeschlossen.

KAPITEL1

Mit einem Lächeln berührte Jude meinen Nasenrücken. »Ich liebe die kleinen Sommersprossen, die du hier hast.«

Er beugte sich näher zu mir und ich spürte seinen Atem auf meinen Lippen. Es war eindeutig, was er wollte. Dazu musste er eigentlich nicht noch seine Hand um meinen Nacken schlingen und mich in seine Richtung ziehen. Er presste seine Lippen auf meine, ließ mich probehalber seine Zunge spüren und verharrte dann, um abzuwarten, ob er meine Erlaubnis hatte oder nicht.

Ich öffnete den Mund für ihn, berührte seine Zunge mit meiner und hörte, wie er leise seufzte. Es dauerte wie immer nicht lang, bis sich Jude in einen achtarmigen Kraken verwandelte. Er knetete meinen Nacken, küsste mich atemlos, zog mich auf seinen Schoß und schaffte es wie durch ein Wunder im gleichen Moment, seine Hand auf meinen Rücken zu legen, direkt auf meine nackte Haut unter meinem Shirt.

Ich erwiderte den Kuss, schob die Finger in sein Haar und fuhr hindurch, weil ich wusste, dass er das mochte.

Jude biss sanft in meine Unterlippe und ich spürte, wie meine Gedanken abschweiften. Es lag nicht an Jude. Oder zumindest nicht nur. Es war eher … die Routine zwischen uns.

Ich wusste genau, was jetzt kam. Jude würde seine Hand zu meinen Brüsten bewegen, die harten Nippel als Zeichen meiner ultimativen Erregung sehen und anfangen, mich aus meiner Kleidung zu schälen, bevor er nach meiner Klit tastete, sie so gerade eben verfehlte, aber nah genug daran herumrieb, um mich wenigstens ein bisschen feucht werden zu lassen, ehe er mich fickte. Immer und ausnahmslos in der Missionarsstellung. Für ihn war der Sex bereits kinky, wenn ich oben war – was in unserer zweijährigen Beziehung exakt einmal vorgekommen war. Wir waren beide nach einer Party ein wenig angetrunken gewesen und ich hatte seine Hose geöffnet, ehe Jude überhaupt daran gedacht hatte, mich wie eine kostbare Porzellanpuppe auf den Rücken zu legen.

Ich war bereits in der Nähe der Zielgeraden gewesen, als Jude sein vermeintlicher Fehler aufgefallen war. Ich hatte protestiert, als er mich unter sich befördert hatte, doch sein absolut ungläubiger Blick hatte dazu geführt, dass ich prompt den Mund gehalten und es gar nicht wieder versucht hatte.

Danach hatte ich im Grunde aufgegeben und auch jetzt ließ ich ihn mehr oder weniger machen, was er wollte. Manchmal, wenn die Voraussetzungen stimmten, konnte ich auch so kommen, weshalb es mir im Grunde egal war, was wir machten, solange Jude zufrieden war.

Er küsste meinen Hals und ich drehte den Kopf, damit er besseren Zugang hatte. Dabei fiel mein Blick auf meine Beweismittelwand – oder die Serienmörderwand, wie Jude sie immer nannte.

Hier sammelte ich Infos und Hinweise, hatte alles wie in Polizeiserien mit roten Fäden verbunden. Vor dem Einschlafen starrte ich gern dorthin und arbeitete an den unzähligen Rätseln.

Obwohl Jude Kriminalistik studiert hatte – genau wie ich aktuell noch an meinem Abschluss im gleichen Fach arbeitete –, störte er sich an der Wand, besonders an den Tatortfotos. Dabei hatte er selbst einen True-Crime-Podcast mit gar nicht mal wenigen Hörern.

Doch aus irgendeinem Grund konnte er die Rätsel nicht sehen, die mir die ungelösten Fälle boten.

Ich bewegte den Mund und streifte seine Lippen, während ich darüber nachdachte, ob ich nicht letztens noch etwas über den Würger von Delaware gelesen hatte. Oder war es eine E-Mail gewesen, die ich bekommen hatte? Wann war das gewesen? Letzte Woche? Hatte ich die Daten eingetragen?

Das Bild von Lucas Kelly, der eine Zeit lang der Hauptverdächtige gewesen war, hing mitten in den Zeitungsausschnitten.

Wenn mir bloß einfallen würde, ob ich die Daten bereits verwendet hatte oder nicht.

Es dauerte lange, beschämend lange, bis mir klar wurde, dass Jude mich nicht länger küsste.

Stattdessen starrte er mich mit Abscheu auf dem Gesicht an, seine warmen Hände lagen auf meinen Hüften, doch ich spürte nicht wie sonst seine harte Erektion zwischen uns.

»Du hast es schon wieder gemacht, Macy.« Er seufzte und hob mich von seinem Schoß, als würde ich nichts wiegen.

»Nein, habe ich nicht«, beteuerte ich.

Jude warf mir einen ungläubigen Blick zu, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und stand auf. Er schüttelte den Kopf. »Ich kann das nicht mehr.«

Ich runzelte die Stirn. Ein unangenehmes Kribbeln lief über meinen Rücken, doch ich ignorierte es. »Du kannst was nicht mehr?«

»Das hier.« Er deutete mit der Hand zwischen uns hin und her. »Du hast ganz eindeutig einen …«

»Einen was?«

»Einen Fetisch.« Mit einer abgehackten Bewegung nickte er in Richtung der Wand. »Einen Serienmörderfetisch.«

»Das ist absoluter Unsinn!« Ich verschränkte die Arme. »Nichts davon erregt mich sexuell.«

Jude hob bloß eine Augenbraue. Es war offensichtlich, dass er mir nicht ein Wort glaubte. »Und warum schielst du dann immer dahin? Du hast fast zwei Minuten gebraucht, um überhaupt zu merken, dass ich mich zurückgezogen habe.«

Ich presste die Lippen aufeinander, weil mir klar war, dass ich schlecht mit der Wahrheit herausrücken konnte. Jude wäre für immer am Boden zerstört, wenn ich ihm sagte, dass ich mich halt langweilte.

»Ich war … abgelenkt«, sagte ich. »Sorry.«

»Du bist immer abgelenkt. Manchmal habe ich wirklich den Eindruck, dass es gar keine Rolle spielt, ob ich hier bin oder nicht.« Er seufzte und massierte seinen Nasenrücken. »Und du willst immer nur über Mord und Totschlag reden.«

»Ist das verwunderlich? Wir haben uns in der Uni kennengelernt. Du unterrichtest inzwischen und arbeitest an deinem Doktor, ich mache gerade meinen Abschluss – da sollte es nicht überraschend sein, dass Kriminalistik ein großes Thema für uns ist.«

Jude stand auf. »Ich möchte aber auch über andere Dinge reden. Nette Dinge, hübsche Dinge, lustige Dinge. Doch du interessierst dich nur für makabre und morbide und abgefuckte Dinge.«

»Das stimmt nicht! Ich interessiere mich für jede Menge andere Sachen.«

»Ach ja?« Er ließ den Blick schweifen – von meiner Mörderwand zu meinem Nachttisch, auf dem sich die Bücher über Serienmörder stapelten, zu meinem aufgeklappten Laptop, da ich vorhin erst einen meiner unzähligen abonnierten True-Crime-Podcasts pausiert hatte. Von den ganzen offenen Youtube-Videos ganz zu schweigen.

Und als hätte Jude nicht bereits genug Beweise angeführt, ertönte genau in diesem Moment ein helles Läuten.

Mein Freund presste die Zähne aufeinander, auf seiner Wange zuckte ein Muskel. »War das eine Benachrichtigung aus dem Forum?«

Ich kaute auf der Innenseite meiner Unterlippe herum, obwohl ich das bereits in ein paar Stunden bereuen würde. Ich spielte mit dem Gedanken, Jude schlicht anzulügen, aber er war kein Idiot. »Ja.«

»Ich dachte, du wolltest nicht mehr jeden Tag online sein. Da hängen nur Freaks ab«, stieß er hervor. »Ich kann das nicht mehr. Wir sollten eine Pause machen.«

»Eine Pause? Mit unserer Beziehung?«

»Wenn man es überhaupt so nennen kann.« Er wandte das Gesicht ab. »Vielleicht solltest du mal überlegen, ob das hier wirklich ist, was du vom Leben willst.«

Jude verließ mein winziges Appartement mit einem theatralischen Seufzen und ich fragte mich kurz, ob das nur eine Masche war, damit ich ihn aufhielt, Besserung gelobte und seinen Penis in den Mund nahm, um es wiedergutzumachen.

Dafür sprach auch, dass er einen Moment in der geöffneten Tür verharrte und einen Blick über seine Schulter warf.

Allerdings piepte mein Laptop erneut und ich schaute dorthin, weil mir die Neugier unter den Nägeln brannte und meine Finger praktisch bereits zuckten. Ich wollte wissen, was es Neues gab.

Jude zog die Tür unnötig laut hinter sich zu – eindeutig sauer, dass er wieder einmal den Kürzeren gezogen hatte. Ein paar Sekunden überlegte ich, ob ich ihm hinterhergehen wollte. Ich spielte das Szenario in Gedanken durch und kam zu dem Schluss, dass ich gerade eh keine Lust hatte, auf dem Rücken zu liegen und die Deckenlamellen zu zählen.

Mit einem Achselzucken setzte ich mich an den Schreibtisch und vergrößerte das Browserfenster. Ich tippte eine schnelle Begrüßung. Ein Lächeln breitete sich – gefühlt zum ersten Mal heute – auf meinen Lippen aus.

Es waren alle da, unsere übliche Crew war vollzählig.

[lilahassbär] Hey, glatter_kaktus, wie sieht’s hiermit aus?

Ich nahm an, dass lilahassbär eine Frau aus Utah war, weil sie im Laufe der Zeit ein paar kleine Hinweise darauf hatte fallen lassen. Interessiert bewegte ich die Maus zu dem Link, den sie mir geschickt hatte, und klickte darauf.

[lilahassbär] Ist noch ziemlich frisch. Erst vor ein paar Stunden lokal passiert.

[glatter_kaktus] Danke. Wird direkt als Futter verwendet.

Sie antwortete bloß mit einem Smiley und wie auf Befehl überschütteten mich auch die anderen Forenmitglieder mit neuen Häppchen aus der Welt der Serienmörder, damit ich meinen Algorithmus füttern konnte.

[carl123] Wie läuft es mit deinem Professor?

Ich seufzte und griff nach der Flasche Wasser auf meinem Schreibtisch, um einen Schluck zu trinken. Bescheiden lief es mit Professor Morrison. Extrem bescheiden.

[glatter_kaktus] Nicht gut. Er versucht immer noch, mir einen Strick daraus zu drehen, dass es extrem viel Zeit kostet und enorm schwierig ist, meinem Baby den Unterschied zwischen Spekulation und Fakten beizubringen.

Meine Finger verharrten, weil ich nicht wusste, ob ich weiter ins Detail gehen sollte. Ich wollte meine Freunde nicht langweilen, bevor sie die Lust daran verloren, mich mit Infos und Gerüchten zu versorgen.

Die Basis meines Algorithmus war solide, das wusste ich, aber mir fehlte schlicht die Zeit und die Kapazität, um sämtliche Kinderkrankheiten auszumerzen. Ich arbeitete an einem Programm, das hoffentlich in wenigen Monaten dazu geeignet war vorherzusagen, wann ein Serienkiller das nächste Mal zuschlug – damit die Polizei ihn vorher stoppen konnte. Oder wenigstens auf frischer Tat ertappen konnte.

Doch natürlich musste ich ihn dazu mit riesigen Datensätzen und bestätigten Fakten füttern. Und es war nicht gerade leicht, an handfeste Fakten über Serienmörder zu kommen, die aktiv waren und nicht längst im Gefängnis saßen.

Mein Algorithmus konnte bereits alte Fälle lösen. Ich hatte ihn beispielsweise mit jedem noch so kleinen Hinweis über den geschätzt zweihundertfünfzigfachen Serienmörder Harold Shipman aus England versorgt und er hatte die letzten Taten präzise vorhergesagt. Nur leider hatte ich davon nicht viel, denn er sollte immerhin zukünftige Taten verhindern.

[lilahassbär] Das wird schon.

[pink1e] Ja, lass dich nicht unterkriegen! Wir glauben an dich!

[hoellenhund] Und wie wir an dich glauben.

Mir lief ein Schauer über den Rücken, denn hoellenhund war das einzige Forenmitglied, das dazu neigte, mir ein bisschen zu sehr helfen zu wollen. Jeden Tag schrieb er mir Privatnachrichten und schickte mir Links, die alle anderen einfach posteten, aber ich ahnte, dass hoellenhund mit mir flirtete.

Ich studierte die Mitgliederliste, um zu sehen, ob welcheseele7 online war. Mit ihm redete ich am liebsten, nur leider beteiligte er sich relativ selten. Aber wenn er mir Links oder Artikel schickte, dann waren es solide Informationen, die mir massiv weiterhalfen.

Hinter seinem Usernamen leuchtete der grüne Punkt, er war also online.

Nur die_einzig_wahre_4nna und lebensmuede waren nicht da. Aber heute war Mittwoch, da hatte 4nna Tanzunterricht, weil sie bald heiratete und sich auf der Feier nicht blamieren wollte, und lebensmuede war ohnehin bloß ab und zu online.

Ich überlegte, ob ich welcheseele7 eine Nachricht mit einem Link zu einem Mord in Albuquerque schicken sollte, weil er bestimmt eine interessante Perspektive zu bieten hatte. Jude hatte sich leider geweigert, den Fall mit mir zu diskutieren.

Doch bevor ich eine Entscheidung getroffen hatte, tauchte das Privatnachrichtenfenster sowieso auf, weil hoellenhund mir geschrieben hatte. Gleich drei Links und zwei Youtube-Videos hatte er mir weitergeleitet und ich seufzte, weil ich bereits ahnte, dass er heute wieder besonders viel Aufmerksamkeit brauchte.

Ich sah nach rechts zu dem großen Display, das zu dem Rechner mit meinem Algorithmus gehörte. Für simples Surfen und Onlineshopping reichte mein uralter Laptop locker aus, doch der Algorithmus brauchte etwas mehr Leistung. Ich tippte auf der Tastatur herum, sah mir die letzten Ergebnisse an und entschied dann, dass mein Baby es mir wert war, hoellenhund unnötig Honig um den Bart zu schmieren.

Ich hasste mich ein wenig, während ich tippte.

[glatter_kaktus] Danke! Du bist wirklich der Beste!

[hoellenhund] Ich weiß. ;)

KAPITEL2

Ich wippte mit dem Fuß und riss mich zusammen, um nicht auch noch an meinem Daumennagel zu knibbeln. Professor Morrison hatte augenscheinlich schlechte Laune und würde vermutlich nicht gut reagieren, wenn ich nach dem Unterricht um eine Verlängerung der Abgabefrist bat. Schon wieder.

Ich konnte praktisch bereits jetzt seinen wertenden Blick über den Rahmen seiner Brille sehen. Dann würde er schwer seufzen, seine Brille abnehmen, ein Tuch aus der Hosentasche holen und sie putzen, ehe er mich tadelte.

Er glaubte ebenso wenig an mein Baby wie Jude.

Ich tippte das Display meines Handys an, da ich gerade beim Thema war. Hm, komisch. Es waren bereits zwei Tage vergangen, aber bisher hatte sich Jude nicht wieder gemeldet. Normalerweise reichte es, wenn ich ihm ein bisschen Zeit gab, um sich abzuregen, ehe er ein weiteres Mal vor meiner Tür stand und so tat, als wäre nichts passiert.

Ich überlegte, ob ich ihm schreiben sollte. Aber wenn ich ehrlich war, hatte ich ihm nichts zu sagen. Oder zumindest nicht die Wahrheit. Wenn ich behauptete, ihn zu vermissen, würde ich schlicht lügen.

Es war eine bittere Erkenntnis, doch ich hatte in den letzten zwei Tagen wesentlich ungestörter arbeiten können, weil ich nicht ständig durch Textnachrichten unterbrochen worden war. Jude war sehr kommunikativ. Unglaublich kommunikativ.

Und dann war da noch der Sex. Das zog sich auch jedes Mal hin.

Vielleicht hatte ich Glück und er würde eine Weile schmollen – möglicherweise lang genug, um meinen Algorithmus so richtig voranzutreiben.

Ich zwang mich, das Handy wegzulegen und nicht einmal schnell im Forum vorbeizusehen, ob es etwas Neues gab.

Jude hielt mich für besessen, doch ich hatte einfach bloß den Eindruck, dass sich dort nun einmal meine Gleichgesinnten herumtrieben. Meine Freunde und Verbündeten, die sich für die gleichen Themen wie ich interessierten. Die mich nicht schräg ansahen, wenn ich meine Bewunderung für einen makellos gestalteten Tatort zum Ausdruck brachte.

Natürlich wusste ich, dass Mord falsch und verwerflich war – sonst würde ich wohl kaum Kriminalistik studieren und an einem Algorithmus arbeiten, der das Schlimmste verhindern sollte. Aber das änderte nichts daran, dass ich harte Arbeit und die Liebe zum Detail wertschätzen konnte. Für mich war das nichts anderes, als nichts mit klassischer Musik anfangen zu können, aber trotzdem zu wissen, wie verdammt beeindruckend Leute waren, die Klavier und Geige spielen einfach aussehen ließen. Mühelos.

Aber sobald ich mit der gleichen Anerkennung über Mord sprach, wurde ich angesehen, als hätte ich vollkommen den Verstand verloren.

»Das war es für diese Woche.« Professor Morrison presste die Lippen aufeinander und mein Magen rutschte prompt in Richtung Kniekehlen.

Die Innenseite meiner Wange schmerzte bereits, weil ich nicht aufhören konnte, meine Nervosität auf diese Weise zu kanalisieren. Ich holte meinen Notizzettel aus der Hosentasche, weil ich mir knapp die wichtigsten Argumente notiert hatte.

Leider war ich nicht die Einzige, die mit ihm sprechen wollte, und seine Laune schien nicht besser zu werden, als er die Schlange von Studenten sah, die auf ihn wartete.

Zu allem Überfluss war ich nicht einmal schnell genug gewesen und musste mich hinten anstellen.

Als ich endlich an der Reihe war, schien die große Uhr an der Wand so laut zu ticken, dass ich praktisch nichts anderes mehr hörte.

»Hallo, Professor Morisson.« Ich rang mir ein schwaches Lächeln ab.

»Miss Oswin.« Er seufzte, nahm seine Brille ab und begann direkt, die Gläser mit dem hellgelben Tuch aus seiner Hosentasche zu polieren. »Sagen Sie es nicht, Miss Oswin. Ich flehe Sie an.«

Mich beunruhigte, dass sein Tonfall weniger ungehalten und mehr mitleidig war. »Ich … ähm … bräuchte eine kleine Fristverlängerung.«

»Wie lang?« Er hielt die Brille gegen das Licht und steckte das Putztuch wieder ein.

»Sechs Wochen.«

»Sechs Wochen?« Und da war er, der mahnende Blick über den Rand seiner Brille. »Das ist nicht Ihr Ernst, Miss Oswin.«

»Ich habe inzwischen große Fortschritte gemacht, wirklich.«

Mein Professor verschränkte die Arme und setzte sich auf die Kante des Tisches, auf dem auch seine Aktentasche stand. »Warum höre ich da bloß ein dickes, fettes ›Aber‹?«

»Aber ich brauche mehr Zeit. Ich bin so weit, dass mein Algorithmus alte Fälle lösen kann. Das Problem sind …«

Professor Morrison hob die Hand. »Das Problem sind die ganzen Gerüchte, die im Internet zu finden sind. Ihr Algorithmus macht keinen Unterschied zwischen Fakten und Vermutungen. Und wenn nicht genug Fakten vorhanden sind, fabriziert er sie eben selbst. Na, wie mache ich mich, Miss Oswin?«

»Ich habe ihm abgewöhnt, die Fakten selbst zu schreiben.«

»Nein.« Professor Morrison schüttelte den Kopf. »Keine weiteren Fristverlängerungen.«

»Aber …« Mein Herz klopfte ganz hinten in meiner Kehle und ich suchte nach einem Argument, das ihn umstimmen würde. Ich musste etwas sagen. Irgendetwas.

»Nein, Miss Oswin.« Nun klang er so streng, wie ich es mir anfangs ausgemalt hatte. Streng und wesentlich älter, als er war. Ich schätzte Professor Morrison auf Anfang vierzig, weshalb ich noch weniger verstand, warum er von vornherein gegen mein Thema gewesen war. Sollte er nicht halbwegs technikversiert sein? Er war immerhin nicht über achtzig und hielt Faxgeräte für das Nonplusultra der modernen Technik. Er hatte immer sein iPad dabei und Sarah, eine Bekannte, war sich sicher, dass sie zufällig seinen Tiktok-Account gefunden hatte. Wenn es wirklich Professor Morrisons Account war, folgte er einer ganzen Reihe Kriminologen, True-Crime-Podcasts und Wissenschaftsaccounts. Ich wusste einfach nicht, warum er sich so anstellte.

»Ich brauche bloß ein bisschen mehr Zeit. Bitte.« Ich starrte die Schuhspitzen meiner Doc Martens an, weil ich zu viel Angst hatte, versehentlich in Tränen auszubrechen. Konfrontationen waren nicht gerade meine Stärke und ich bat nicht gern um Dinge.

Professor Morrison griff nach seiner Tasche und holte sein iPad raus. Er tippte die Kalender-App an, wischte über das Display und schüttelte den Kopf.

»Nur ein bisschen«, wisperte ich und hasste, wie schwach meine Stimme klang.

»Das ist die letzte Ausnahme, Macy. Ich mache das nur – und wirklich nur –, weil deine Noten exzeptionell sind. Allerdings fürchte ich, dass du dich in deine Idee verrannt hast und den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr siehst. Aufgeben gehört zum Leben leider dazu.«

Ich zwang mich, den Blick zu heben. »Es wird funktionieren. Ich weiß es. Ich weiß es einfach.«

Er rollte mit den Augen. »Vier Wochen – und das auch nur unter einer Bedingung.«

»Welche Bedingung?« Ich sah mich bereits am Ziel. Vier Wochen waren nicht viel, aber immerhin.

»Du lieferst mir jede Woche ein detailliertes Update und ich will nach der nächsten Vorlesung zumindest eine alternative Idee für eine mögliche Abschlussarbeit von dir hören.«

Ich schluckte schwer. »Okay.«

»Ein richtiges Thema, Macy. Ich weigere mich, dich durchfallen zu lassen, nur weil du eine unverbesserliche Idealistin bist, die sich zu sehr auf Serienkiller fixiert. Ich will eine Gliederung sehen.«

»Ja, Professor Morrison.« Seine Worte trafen mich wie ein Faustschlag – nicht etwa, weil sie gemein oder ungerecht gewesen wären, sondern weil es nicht seine waren.

Exakt das hatte Jude bereits mehrfach zu mir gesagt. Wortwörtlich. Und das hieß nichts anderes, als dass mein toller sogenannter Freund, der immerhin als wissenschaftliche Hilfskraft für Professor Morrison arbeitete, über mich getratscht hatte. Die Vorstellung war … demütigend. Anders konnte ich es nicht beschreiben. Was fiel Jude ein, mit seinem Boss über mich zu reden, womöglich sogar zu jammern? Vor allem wenn der besagte Boss mich persönlich kannte?

Wenn ich Jude in die Finger bekam, konnte er etwas erleben!

»Danke, Professor Morrison.« Ich presste meine Tasche enger an meine Brust, weil ich mich schon die ganze Zeit dahinter versteckt hatte, und drehte mich auf dem Absatz um, damit ich endlich die Flucht ergreifen konnte.

»Vier Wochen«, sagte er hinter mir. »Und ich brauche die Gliederung von dir. Dienstag spätestens.«

»Ja, Professor.« Ich lief schneller. Sechs Wochen wären bereits knapp gewesen, doch jetzt musste ich mit vier arbeiten. Ich durfte nun keine Minute mehr verschwenden.

Ich stieß die Tür nach draußen auf, durchquerte den stickigen Flur und holte gierig Luft, als ich endlich vor dem Gebäude stand. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich gemacht hätte, wenn Professor Morrison abgelehnt hätte.

Nächstes Mal sollte ich es wahrscheinlich sicherheitshalber mit einem kurzen Rock und einer tief aufgeknöpften Bluse versuchen. Wobei er nicht geklungen hatte, als würde es ein nächstes Mal geben.

So ein Mist!

Vier Wochen. Okay, okay, das würde ich schon hinbekommen.

Ich eilte mit gestreckten Schritten nach Hause und rechnete dabei durch, wie viel Zeit ich sparte, wenn ich mir nur noch einmal in der Woche die Haare wusch, bloß vier Stunden pro Nacht schlief und mich ausschließlich von Mikrowellenfraß ernährte.

Wahrscheinlich mussten drei Stunden Schlaf reichen. Zwei, sollte ich wirklich parallel ein anderes Thema für meine Abschlussarbeit vorbereiten müssen.

Mein Handy klingelte und ich verzog das Gesicht, als ich den Namen meiner Mutter im Display las. Ich hatte mit einem Anruf von Jude gerechnet und mit ihm hätte ich schon nicht reden wollen, den Anschiss konnte er sich mal schön persönlich abholen.

Aber meine Mutter? Ich ging nur ran, weil ich wusste, dass sie sonst erbarmungslos wieder und wieder und wieder anrufen würde.

»Hey, Mom.« Meine Stimme glich einem übertriebenen Zwitschern, damit ich sie direkt davon überzeugen konnte, dass es mir gut ging.

»Macy. Du rätst nie, wen ich im Supermarkt getroffen habe.«

»Wahrscheinlich nicht.« Wenn ich ehrlich war, hatte ich nicht einmal Lust zu raten.

Die Stille dehnte sich aus, bis meine Mutter den Hinweis verstand.

»Jude«, sagte sie triumphierend. »Ich muss schon sagen, Macy, dass ich wirklich enttäuscht von dir bin.«

»Ähm, bitte was?«

»Du hast mich schon verstanden«, tadelte Mom vorwurfsvoll. »Was höre ich da von einer Pause? Warum brauchst du denn eine Pause von dem armen Jude? Er ist doch wundervoll. Wun-der-voll!«

Bald würde ich eine Liste führen müssen, damit ich den Überblick über all die Dinge behielt, für die ich Jude gern anschreien würde. Die ganze Sache mit der Pause war immerhin seine Idee gewesen, aber natürlich stellte er es meiner Mutter gegenüber dar, als hätte ich ihn abserviert, damit sie mir ein schlechtes Gewissen machte und ich zu Jude zurückkroch.

Nicht mit mir. Schon gar nicht, nachdem ich gehört hatte, was mein Ex-Freund seinem Boss erzählt hatte. So, es war offiziell. Ex-Freund. Ich war wieder single.

»Ich bin einfach zu dem Schluss gekommen, dass Jude und ich nicht zusammenpassen. Und abgesehen davon, habe ich auch gar nicht die Zeit, gerade eine Beziehung zu führen. Meine Abschlussarbeit verlangt nach meiner gesamten Aufmerksamkeit.«

»So ein Unsinn.« Meine Mutter schnaubte. »Abschlussarbeit. Du solltest lieber zusehen, dass die guten Männer nachher nicht alle weg sind. Du wirst nicht gerade jünger, Macy.«

»Ich bin dreiundzwanzig!« Dieses Mal schaffte ich es nicht, meine Empörung zu verbergen.

»Richtig. In deinem Alter war ich bereits verheiratet und hatte ein Kind.«

Ich nickte und presste meine Lippen aufeinander, damit ich nicht versehentlich fragte, wie das so für meine Mutter gelaufen war. Mein ältester Halbbruder Robert war nämlich zwanzig Jahre älter als ich und sprach nicht mehr mit meiner Mutter – genau wie der Rest meiner insgesamt sechs Halbgeschwister. Ich war das Produkt einer Affäre meiner Mutter mit ihrem vierten Ehemann, während sie noch mit Ehemann Nummer drei verheiratet gewesen war.

Von meinem Dad hatte Mom sich vor sechs oder sieben Jahren scheiden lassen und ich hatte den Überblick darüber verloren, zum wievielten Mal sie inzwischen verheiratet war.

Aber wenigstens hatte sie nach mir nicht noch mehr Kinder bekommen, sondern ihre Vorliebe für Windhunde entdeckt, von denen sie nun fünf Stück hatte.

»Mom, ich schwöre, dass ich mir einen Ehemann suche, sobald ich mit meiner Abschlussarbeit fertig bin, doch bis dahin brauche ich meine Ruhe, in Ordnung?«

»Das meinst du nicht ernst.« Sie klang pikiert.

»Natürlich nicht. Also nicht den Teil mit dem Ehemann. Meine Ruhe brauche ich wirklich.«

»Wie du meinst. Dann warte ich wohl auf deinen Anruf.«

Es klickte in der Leitung und ich schob das Handy wieder in die Hosentasche. Ich war es gewohnt, dass meine Mutter schmollte, sobald sie herausfand, dass sie nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt der Mittelpunkt meines Universums war. In ein paar Tagen würde sie mich anrufen, sich über etwas anderes beklagen und wieder nicht fragen, wie es eigentlich mit meinem Leben lief. Oder mit meiner Abschlussarbeit. Oder überhaupt mit irgendetwas, das nicht mit einer Heirat endete.

Ich fuhr mir mit den Händen übers Gesicht und zählte die Sekunden, bis ich zu Hause war und mich mit schönen Themen beschäftigen konnte – mit Mord, Totschlag und Serienkillern beispielsweise.

KAPITEL3

Meine Laune war nur geringfügig besser, als ich mich hinsetzte, den Laptop aufklappte und den Browser öffnete, um mich im Forum einzuloggen.

Gezwungenermaßen öffnete ich einen zweiten Tab, weil Professor Morrison sich eindeutig ausgedrückt hatte – unabhängig davon, wie zuversichtlich ich mich fühlte, ich brauchte einen Ersatzplan.

Ich recherchierte eher lustlos vor mich hin, während ich darauf wartete, dass die anderen Forenmitglieder online kamen. Wir hatten uns nie explizit darauf geeinigt, uns gegen einundzwanzig Uhr zu versammeln, es hatte sich bloß im Laufe der Zeit so ergeben.

[glatter_kaktus] Hey, Leute!

[die_einzig_wahre_4nna] Und? Wie ist es gelaufen?

[der_versager] Ja, erzähl mal!

[glatter_kaktus] Nicht gut. Ich habe zwar vier Wochen extra bekommen, doch der Prof will, dass ich mir sicherheitshalber ein alternatives Thema für meine Abschlussarbeit überlege.

[carl123] Wahrscheinlich keine schlechte Idee.

Ich lehnte mich mit gerunzelter Stirn zurück. Was bitte sollte das denn heißen? Ich wollte bereits nachfragen, als die nächste Antwort über meinen Bildschirm rutschte.

[lilahassbaer] carl hat recht. Ich meine, das ist doch eh nur eine Spielerei, oder?

Tränen traten in meine Augen und ich zwinkerte hastig dagegen an. Das Blut rauschte in meinen Ohren, weil ich kaum glauben konnte, was ich da las. Und das wollten meine Freunde und Unterstützer sein?

[lebensmuede] Natürlich ist das ernst gemeint! Was seid ihr denn für ein Haufen? Kaktus’ Algorithmus ist solide und wird funktionieren.

[carl123] Ich weiß nicht. Ich dachte, wir machen das hier nur aus Jux und Dollerei – wie andere Leute mit Schrotflinten auf Dosen schießen oder angeln gehen.