Zum Tod verführt - J.D. Robb - E-Book
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Zum Tod verführt E-Book

J.D. Robb

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Beschreibung

Sie kennen den Täter, die Methode, sein Motiv – doch nicht sein nächstes Opfer ...

Thanksgiving steht vor der Tür, und Eve Dallas vom New-York-Police-Department hat alle Hände voll zu tun – denn die große, irische Familie ihres geliebten Ehemanns Roarke hat sich angekündigt. Doch dann wird sie zu einem Tatort gerufen: Die Reinholds wurden in ihrer Wohnung gefunden – auf brutale Weise ermordet. Alle, die sie kannten, sind fassungslos, denn der Täter, das wird schnell klar, war deren eigener Sohn, der aus Rache handelte. Eve und ihr Team wissen also, wer es war, wie es passierte und was die Gründe für den Mord waren. Was sie nun herausfinden müssen, ist, wo der Mörder als Nächstes zuschlagen wird …

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Buch

Thanksgiving steht vor der Tür, und Eve Dallas steckt mitten in den Vorbereitungen für den Besuch von Freunden und Verwandten, allen voran die große irische Familie ihres Ehemannes Roarke, die einen fröhlichen Kontrast zu ihrer eigenen dunklen Vergangenheit bildet. Andere Familien haben nicht so viel Glück. Die Reinholds zum Beispiel, die tot in ihrer Wohnung gefunden werden – bis fast zur Unkenntlichkeit entstellt und erschlagen. Die, die sie kannten, sind fassungslos, vor allem, weil der Täter ihr eigener Sohn war. Eve und ihr Team müssen erkennen, dass der sechsundzwanzigjährige Jerald nicht nur eine sehr brutale Seite hat, sondern auch noch Gefallen daran findet. Die Ermittler wissen also wer es war, wie es passierte und was die Gründe für den Mord waren. Was sie nun herausfinden müssen, ist, wo Jerald als Nächstes zuschlagen wird …

Autorin

J. D. Robb ist das Pseudonym der international höchst erfolgreichen Autorin Nora Roberts, einer der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht sie seit Jahren erfolgreich Kriminalromane.

Liste lieferbarer Titel

Rendezvous mit einem Mörder · Tödliche Küsse · Eine mörderische Hochzeit · Bis in den Tod · Der Kuss des Killers · Mord ist ihre Leidenschaft · Liebesnacht mit einem Mörder · Der Tod ist mein · Ein feuriger Verehrer · Spiel mit dem Mörder · Sündige Rache · Symphonie des Todes · Das Lächeln des Killers · Einladung zum Mord · Tödliche Unschuld · Der Hauch des Bösen · Das Herz des Mörders · Im Tod vereint · Tanz mit dem Tod · In den Armen der Nacht · Stich ins Herz · Stirb, Schätzchen, stirb · In Liebe und Tod · Sanft kommt der Tod · Mörderische Sehnsucht · Ein sündiges Alibi · Im Namen des Todes · Tödliche Verehrung · Süßer Ruf des Todes · Sündiges Spiel · Mörderische Hingabe · Verrat aus Leidenschaft · In Rache entflammt · Tödlicher Ruhm · Verführerische Täuschung

Mörderspiele. Drei Fälle für Eve Dallas · Mörderstunde. Drei Fälle für Eve Dallas

Nora Roberts ist J. D. Robb

Ein gefährliches Geschenk

J. D. Robb

Zum Tod verführt

Roman

Deutsch von Uta Hege

Die Originalausgabe erschien 2013

unter dem Titel »Thankless in Death« bei G. P. Putnam’s Sons,

a member of Penguin Group (USA) Inc., New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © der Originalausgabe 2013 by Nora Roberts

Published by Arrangement with Eleanor Wilder

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe

by Blanvalet Verlag,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Regine Kirtschig

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Umschlagabbildung: plainpicture/Cristopher Civitillo

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

LH · Herstellung: sam

ISBN: 978-3-641-24017-2V003

www.blanvalet.de

Um wie viel schärfer es noch nagt als einer Schlange Zahn, hat man ein undankbares Kind.

William Shakespeare, König Lear

Wer auf Rache sinnt, reißt seine eigenen Wunden auf.

Francis Bacon

1

Er konnte ihr Genörgel auf den Tod nicht ausstehen.

Jammern, nörgeln, jammern, nörgeln … etwas anderes kam, wenn sie ihren verdammten Mund aufmachte, einfach nicht heraus.

Am liebsten hätte er ihr ein für alle Mal das blöde Maul gestopft.

Jerald Reinhold saß am Küchentisch, während die Alte ihre nicht endende Litanei aus Forderungen und Beschwerden auf ihn niederprasseln ließ.

Es war jeden verdammten Tag dasselbe, dachte er erbost. Als ob es seine Schuld wäre, dass er den blöden, langweiligen Job verloren hatte und dass seine Freundin – ebenfalls ein blödes Weib, das sein verdammtes Maul einfach nicht zubekam – ihn rausgeworfen hatte, nur weil er ein bisschen Geld in Vegas auf den Kopf gehauen hatte und ihm die Kreditkarte gekündigt worden war. Weshalb er jetzt gezwungenermaßen bei seiner quengeligen Mutter und bei seinem großmäuligen Alten eingezogen war.

Himmel! Warum konnte ihn die alte Hexe nicht einfach in Ruhe lassen? Warum hackte sie die ganze Zeit auf ihm herum?

Hatte er ihr nicht schon tausend Mal gesagt, dass er die Arbeit nicht verloren hätte, hätte ihn das Arschloch, das sein Chef gewesen war, nicht einfach grundlos an die Luft gesetzt? Okay, er hatte ein paar Tage blaugemacht, na und? Und war gelegentlich zu spät gekommen, aber das waren andere schließlich auch.

Nur dumpfe Arbeitsbienen wie sein schwachsinniger Vater tauchten immer pünktlich bei der Arbeit auf.

Was sollte also das Geschiss? Er hatte diesen Job von Anfang an gehasst und nur gemacht, damit die blöde Lori ihm nicht länger in den Ohren lag, trotzdem gaben seine Eltern allein ihm die Schuld daran, dass er jetzt auf der Straße saß.

Um Himmels willen, er war sechsundzwanzig Jahre alt und hatte etwas deutlich Besseres verdient, als für ein paar Kröten Essen auszufahren.

Lori setzte ihn einfach vor die Tür, nur, weil er – vorübergehend – keine Arbeit hatte, und rastete völlig aus, nur, weil er während eines Trips mit seinen Freunden ein paar Mäuse auf den Kopf gehauen hatte.

Er könnte und er würde eine deutlich Bessere finden als den Breitarsch Lori Nuccio. Die blöde Fotze hatte ihm am Schluss sogar wegen ein paar lächerlicher Ohrfeigen mit einer Anzeige gedroht. Dabei hätte sie viel mehr als ein paar leichte Klapse hinters Ohr verdient, Gott, er wünschte sich, er hätte ihr am Ende noch richtig eine reingehauen.

Denn sie war schuld, dass er jetzt wieder in der Wohnung seiner Eltern saß und dem Gejammer seiner Mutter ausgeliefert war.

Schließlich stemmte Barbara Reinhold auch noch ihre Hände in die Hüften und bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. »Hörst du mir überhaupt zu, Jerry?«

Im Grunde hatte er versucht, sich bei einem Spiel auf seinem Handcomputer zu entspannen, aber jetzt hob er den Kopf und starrte seine besserwisserische, dürre, flachbrüstige Mutter böse an.

»Mir bleibt ja keine andere Wahl, da du nicht einen Augenblick die Klappe hältst.«

»So redest du mit mir? So zeigst du deine Dankbarkeit dafür, dass du von uns ein Dach über dem Kopf und Essen auf den Tisch gestellt bekommst?« Sie zeigte auf den Teller mit einer Scheibe Brot und einer dünnen Scheibe Veggie-Putenbrust. »Ich mache dir ein Brot, nachdem du wieder mal erst gegen Mittag aus dem Bett gekommen bist, und dafür bist du noch frech zu mir? Kein Wunder, dass Lori dich rausgeworfen hat. Du wohnst inzwischen seit fast einem Monat hier und hast dich bisher nicht mal nach einer neuen Arbeit umgesehen. So kann es nicht weitergehen.«

Er dachte, halt dein Maul, wenn ich es dir nicht stopfen soll, sagte aber nichts, denn schließlich wollte er das Brot essen.

»Du hast keinerlei Verantwortungsgefühl. Da hat dein Vater recht, trotzdem habe ich gesagt, dass wir dir helfen müssen, weil wir deine Eltern sind. Wobei ich wirklich gerne wüsste, ob du dir nicht vielleicht irgendwann auch einmal selber helfen willst.«

»Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich mir eine Arbeit suchen werde. Aber erst wäge ich verschiedene Möglichkeiten ab.«

»Was für Möglichkeiten sollen das sein?« Schnaubend wandte sie sich wieder seinem Sandwich zu. »Du hast allein in diesem Jahr vier verschiedene Jobs gehabt. Welche Möglichkeiten willst du also abwägen, während du den lieben langen Tag in dem schmuddeligen T-Shirt, in dem du geschlafen hast, herumlungerst und mit dem Computer spielst? Ich habe dir gesagt, dass sie im Supermarkt jemanden zum Befüllen der Regale suchen, aber warst du schon mal dort und hast nach einer Anstellung gefragt?«

»Ich fülle ganz bestimmt keine Regale auf.« Er hatte etwas deutlich Besseres verdient. Er war etwas Besonderes oder könnte es sein, wenn ihn die Leute endlich mal in Ruhe lassen würden. »Also nerv mich nicht, okay?«

»Anscheinend haben wir dich längst noch nicht genug genervt.« Sie legte eine Scheibe leuchtend orangefarbenen Käse auf die falsche Putenbrust und fuhr mit dieser ruhigen, aber eindringlichen Stimme, die er hasste, fort.

»Dein Vater und ich haben jeden Cent gespart, damit du aufs College gehen konntest, wo man dich dann wegen schlechter Noten rausgeworfen hat. Dann hast du gesagt, du wolltest lernen, wie man die Computerspiele, die du selbst so gerne spielst, entwickelt, und wir haben dich auch dabei unterstützt. Als das nicht funktioniert hat, hat dein Dad dir einen Job in seinem Büro besorgt. Er hat sich dort für dich verbürgt, Jerry, aber auch das hast du vermasselt und am Ende haben Sie dich wegen deines frechen Mundwerks an die Luft gesetzt.«

Sie nahm ein Messer aus dem Block und schnitt das Sandwich in der Mitte durch. »Dann hast du Lori kennengelernt, ein wirklich süßes Ding. Ein fleißiges, intelligentes Mädchen, das aus einer sehr netten Familie kommt. Wir hatten große Hoffnungen in sie gesetzt, denn schließlich hat sie dir eine Stelle in dem Restaurant, in dem sie selber arbeitet, besorgt, und dich nicht aufgegeben, als du diesen Job verloren hast. Dann meintest du, mit einem anständigen Fahrrad könntest du dich als Kurier verdingen, also haben wir dir wieder Geld geliehen. Aber auch mit diesem Job war schon nach ein paar Wochen wieder Schluss, und statt unser Geld zurückzuzahlen, stehst du jetzt schon wieder ohne Arbeit da.«

»Ich bin es einfach leid, dass du mir deshalb ständig Vorhaltungen machst und tust, als wäre alles meine Schuld.«

»Diese Vorfälle wiederholen sich, Jerry, ich habe das Gefühl, dass alles immer schlimmer wird.«

Er presste die Lippen aufeinander, als sie eine Handvoll seiner heiß geliebten Zwiebelringe auf den Teller gab. »Du bist schon wieder arbeitslos und kannst dir keine eigene Wohnung leisten. Außerdem hast du die Miete und das Trinkgeld, das Lori gespart hat, einfach genommen, bist mit Dave und diesem Nichtsnutz Joe nach Vegas abgehauen und hast das Geld von deiner Freundin verprasst.«

»Das ist eine verdammte Lüge.« Er sprang wütend auf. »Es war mein Geld, und ich hab doch wohl das Recht, mit meinen Freunden übers Wochenende wegzufahren und ein bisschen Spaß zu haben, oder etwa nicht?«

In ihren Augen blitzten weder Zorn noch Tränen, sondern Trauer und Enttäuschung, am liebsten hätte er so lange auf sie eingedroschen, bis von diesem Ausdruck nichts mehr übrig war.

»Sie hat dieses Geld gespart und wollte damit unter anderem eure Miete zahlen. Das hat sie mir erzählt.«

»Dann glaubst du Lori also mehr als mir?«

Seufzend faltete sie eine billige Papierserviette so zu einem Dreieck wie sie es bereits gemacht hatte, als er ein Kind gewesen war. Dem Geräusch war deutlich anzuhören, dass ihr seine permanenten Misserfolge irgendwann das Herz gebrochen hatten, aber alles, was er hörte, war der vorwurfsvolle Ton, in dem sie sprach.

»Du lügst und nutzt die Leute aus, Jerry, ich befürchte, dass wir dir das viel zu lange haben durchgehen lassen, statt dir deutlich zu verstehen zu geben, dass es so nicht weitergehen kann. Wir geben dir immer wieder eine Chance, ohne dass du auch nur das Geringste daraus machst. Vielleicht ist das auch unsere Schuld, vielleicht denkst du deswegen, dass du in einem solchen Ton mit deiner Mutter sprechen kannst.«

Sie stellte ihm den Teller hin und schenkte etwas von dem Eiskaffee, den er so gerne trank, in ein bereitstehendes Glas. »Dein Vater und ich hatten gehofft, du würdest heute eine Arbeit finden oder wenigstens mal morgens aufstehen und losgehen, um dich nach einer neuen Stelle umzusehen. Wir haben uns gestern Abend lange unterhalten, nachdem du, ohne mich zu fragen, einen Teil von meinem Haushaltsgeld genommen hast und mit deinen Freunden ausgegangen bist.«

»Wie bitte?« Er hoffte, dass es ihm gelang, entgeistert und betroffen auszusehen. »Ich war ganz sicher nicht an deinem Haushaltsgeld. Behauptest du jetzt etwa auch noch, dass ich stehle? Ma!«

»Es wäre nicht das erste Mal.« Ihre Stimme schwankte, und sie presste kurz die Lippen aufeinander, bevor sie mit allem Nachdruck weitersprach.

»Wir haben darüber gesprochen und beschlossen, dass wir etwas unternehmen müssen, wenn noch etwas aus dir werden soll. Wir hätten es dir eigentlich erst sagen wollen, wenn dein Vater von der Arbeit kommt, aber ich sage es dir jetzt, damit du schon heute handeln kannst. Wir geben dir für deine Jobsuche noch bis zum Ersten nächsten Monats Zeit. Wenn du bis dahin keine Arbeit hast, fliegst du hier raus.«

»Ich brauche mehr Zeit.«

»Du hattest jetzt schon einen Monat, Jerry, aber in der ganzen Zeit hast du nichts anderes getan, als den halben Tag zu schlafen und bis in die frühen Morgenstunden auszugehen. Du hast dich bisher nicht mal annähernd um einen neuen Job bemüht. Du bist erwachsen, Jerry, aber du benimmst dich wie ein hoffnungslos verwöhntes, undankbares Kind. Wenn du mehr Zeit willst und wenn wir dich weiter unterstützen sollen, iss dein Brot, dann geh los und such dir einen Job. Geh runter in den Supermarkt und frag, ob du dort die Regale füllen darfst. Solange du was tust und uns auf diese Art beweist, dass du es wenigstens versuchst, setzen wir dich auch nicht vor die Tür.«

»Du verstehst nichts«, stieß er aus und war froh, dass er es schaffte, auf Kommando tränenfeuchte Augen zu bekommen, denn dann wurde seine Mutter immer weich. »Lori hat einfach mit mir Schluss gemacht. Sie hat mir die Welt bedeutet und hat mich einfach wegen eines anderen Typen vor die Tür gesetzt.«

»Wegen was für einem anderen Typen?«

»Keine Ahnung, vielleicht jemand aus dem Restaurant. Auf alle Fälle hat sie mir das Herz gebrochen, Ma, deswegen brauche ich noch etwas Zeit, bis ich wieder der Alte bin.«

»Du hast gesagt, sie hätte mit dir Schluss gemacht, weil du deinen Job verloren hast.«

»Das war auch ein Grund. Dieses Arschloch bei Americana hatte mich vom ersten Tag an auf dem Kieker, aber statt zu mir zu halten, macht sie mit mir Schluss, weil ich ihr keine tollen Sachen kaufen kann. Und dann tischt sie dir auch noch alle diese fiesen Lügen auf, weil sie dich, obwohl du meine Mutter bist, auf ihre Seite ziehen will.«

»Iss dein Brot«, bat Barbara ihn matt. »Dann wasch dich, zieh dich an und geh runter in den Supermarkt. Wenn du das tust, geben wir dir mehr Zeit, Jerry.«

»Und wenn nicht, werft ihr mich raus? Dann setzt ihr mich einfach vor die Tür, als ob ich ein Niemand wäre? Euren eigenen Sohn?«

»Das tut uns auch weh, Jerry, trotzdem sind wir darin übereingekommen, dass das nur zu deinem Besten ist. Damit du endlich einmal lernst, das Richtige zu tun.«

Er konnte seine Alten praktisch vor sich sehen, wie sie abends zusammensaßen und sich gegen ihn verschworen. »Vielleicht hast du recht.«

»Wir möchten, dass du deinen Platz im Leben findest, Jerry, und uns zeigst, dass du erwachsen bist.«

Nickend trat er auf sie zu. »Ich soll meinen Platz im Leben finden und erwachsen werden? Also gut.« Er nahm das Brotmesser vom Tisch und rammte es seiner Mutter in den Bauch.

Entgeistert riss sie Mund und Augen auf.

Er hatte diesen Angriff nicht geplant, sich das Messer nicht einmal bewusst geschnappt. Aber Gott, es fühlte sich fantastisch an! Besser als Sex, eine gewonnene Pferdewette oder sonst etwas, was ihm im Leben jemals widerfahren war.

Er riss das Messer aus dem mütterlichen Fleisch.

Sie stolperte zurück, warf beide Hände in die Luft, stieß gurgelnd seinen Namen aus und wieder drang die Klinge in sie ein.

Er liebte das Geräusch, mit dem der Stahl die schlaffe Haut durchdrang.

Liebte das Entsetzen, das in ihren Augen lag und liebte, wie sie schlaff mit ihren Händen nach ihm schlug, als kitzele er sie.

Begeistert stieß er immer wieder zu, erst in den Bauch und schließlich in den Rücken, als sie versuchte, aus dem Wohnzimmer zu fliehen. Er ließ auch nicht nach, als sie vornüberstürzte und sich wie ein Fisch an Land auf dem frisch gewischten Fliesenboden in der Küche wand, sondern rammte ihr das Messer selbst, als sie sich nicht mehr rührte, immer wieder in den Leib.

»Du hast doch selbst gesagt, ich sollte das tun, was für mich das Beste ist.«

Er sah auf seine blutverschmierten Hände, auf die große rote Pfütze auf dem Boden und die wilden roten Spritzer an den Wänden, die wie ein abstraktes Kunstwerk wirkten.

Ja, genau, ein Kunstwerk, dachte er. Ein Kunstwerk, das von ihm geschaffen worden war.

Lächelnd legte er das Messer auf den Tisch, wusch seine Hände und die Arme in der Spüle und verfolgte, wie das rote Wasser durch den Abfluss rann.

Sie hatte recht gehabt. Er brauchte einen Platz im Leben und musste erwachsen werden, da stimmte er ihr zu. Seinen Platz im Leben hatte er gefunden, jetzt würde er beweisen, dass er durch und durch erwachsen und vor allem ein ganzer Kerl mit echten Eiern war.

Von jetzt an würde er sich alles nehmen, was er wollte, und falls irgendwer ihm dabei in die Quere käme, würde er den Preis dafür bezahlen. Er würde diese Leute dafür zahlen lassen, denn in seinem ganzen Leben hatte sich noch nie etwas so gut, so echt und rundherum fantastisch angefühlt.

Er setzte sich, sah zu der Leiche seiner Mutter auf dem Boden und freute sich schon auf die Heimkehr seines alten Herrn.

Bis der Alte endlich käme, äße er erst mal in Ruhe das für ihn gemachte Brot.

Schwungvoll legte Eve ihr Waffenholster an. Der Lieutenant der New Yorker Polizei hatte ein phänomenales Waffelfrühstück hinter sich und lächelte zufrieden. Ihr Ehemann, der zweifelsohne schönste Mann auf Erden, saß gemütlich in der Sitzecke des Schlafzimmers und trank die zweite Tasse wunderbaren Kaffee, während Galahad, der Kater, nach einem fehlgeschlagenen Versuch, sich Richtung Tisch zu schleichen, auf dem Boden saß und seine fette Flanke leckte.

Es war ein wirklich schönes, anheimelndes Bild: Roarke mit seiner Mähne schwarzen Haars, das locker um das feingemeißelte Gesicht mit dem perfekt geformten, sanft lächelnden Mund und den wilden blauen Augen fiel, ihrer beider Teller auf dem Tisch und Galahad, der tat, als hätte er nicht liebend gerne seine Nase in das Glas mit Sirup eingetaucht.

»Du siehst ziemlich selbstzufrieden aus, Lieutenant.«

»Das bin ich auch«, erklärte sie und fügte ihrer Liste morgendlicher Freuden noch den melodiösen, irischen Akzent, in dem ihr Liebster sprach, hinzu. »Denn schließlich hatte ich zwei Tage ohne neuen Fall, was heißt, dass der Papierkram, den ich sonst nicht schaffe, fast erledigt ist. Angeblich wird es heute nicht so kalt, dass ich mir den Arsch abfriere, und vor allem habe ich den Bauch voll frischer Waffeln, wenn ich gleich zur Arbeit muss. Das heißt, bisher war es ein wirklich guter Tag.«

Sie zog eine Roarke genehme braune Weste über das ihm ebenfalls genehme Hemd und setzte sich, um Stiefel anzuziehen.

»Normalerweise ziehst du heiße, neue Fälle dem Papierkram doch vor«, bemerkte er.

»Das Jahr 2060 ist jetzt bald vorbei, und so kurz vor den Feiertagen wird die Zeit allmählich knapp. Deshalb bin ich froh, wenn mir ein bisschen Zeit für den Bericht zum Jahresende bleibt. Die letzten beiden Tage waren echt locker, wenn es noch zwei Tage so weitergeht, bekomme ich …«

»Jetzt hast du es getan.« Er schüttelte den Kopf und bedachte sie mit einem mitleidigen Blick. »Man sollte sein Glück niemals beschreien.«

»Warum müsst ihr Iren nur so abergläubisch sein?«

»Mit Aberglaube hat das nichts zu tun. Ich weiß, dass es so ist. Aber wenn wir schon von Iren und von Feiertagen sprechen, sollte ich dir vielleicht sagen, dass am Mittwoch die Familie kommt.«

»Am Mittwoch?«

»Ja, schließlich ist Donnerstag Thanksgiving«, rief er ihr in Erinnerung. »Diesmal kommen einige Cousins mit, die letztes Jahr zu Hause bleiben mussten. Du hast gesagt, dass das für dich in Ordnung ist.«

»Das ist es auch. Nein, wirklich, es ist o.k., denn sie sind echt nett.« Er hatte diese Menschen erst vor Kurzem ausfindig gemacht, nachdem er den Großteil seines Lebens wie sie selbst ohne Blutsverwandte und den Trost oder auch die Probleme, die Familie mit sich brachte, zugebracht hatte. »Auch wenn ich mir nicht sicher bin, was ich mit derart vielen Zivilisten anstellen soll.«

»Du brauchst gar nichts mit ihnen anzustellen, denn sie werden auch so beschäftigt sein. Anscheinend haben sie ausgedehnte Shoppingtouren, Sightseeing, Theater und so Zeug geplant, außer an Thanksgiving sind sie sicher nur sehr selten alle gleichzeitig im Haus. Wobei an Thanksgiving auch noch all die anderen eingeladen sind.«

»Ja.« Auch diesem Vorschlag hatte sie in einem Augenblick der Schwäche zugestimmt. All die Leute, die bereits im Vorjahr an Thanksgiving da gewesen waren, nähmen diesmal wieder an dem großen Essen teil. Genau wie ihre Partnerin, die treue Peabody, und der mit ihr verbandelte McNab, die sich entschieden hatten, dieses Jahr nicht heimzufahren.

»Letztes Jahr war echt okay.« Achselzuckend stand sie wieder auf. »Je mehr Gäste, desto irrer wird das Fest.«

»Ich denke, mit den ganzen Leuten wird es nicht nur irre, sondern auch oder vor allem irre nett. Wobei mir noch vier Leute eingefallen sind, die meiner Meinung nach dazugehören.«

»Und zwar?«

»Die Familie DeBlass. Elizabeth hat gestern angerufen und erzählt, sie kämen mit den Kindern wegen der Parade nach New York.«

»Was ja wohl völlig daneben ist. Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, dass irgendwer sich freiwillig in das Gedränge stürzt.«

»Was offenkundig Tausende von Menschen anders sehen. Sonst gäbe es dort schließlich kein solches Gedränge, oder was meinst du? Sie gehen ins Hotel, aber ich dachte, dass es nett ist, sie zu fragen, ob sie an Thanksgiving mit uns essen wollen. Vor allem Nixie würde dich gerne sehen.«

Eve dachte an das Mädchen, das bei einem Einbruch in das Haus seiner Familie als Einzige nicht abgeschlachtet worden war. »Denkst du, es ist gut, sie ausgerechnet über einen Feiertag noch einmal an den Ort zu bringen, an dem ihre Eltern und ihr Bruder ebenfalls an einem Feiertag brutal ermordet worden sind?«

»Du weißt genauso gut wie ich, dass sie sich inzwischen in ihr neues Leben eingefunden hat, trotzdem braucht sie noch eine Verbindung zu dem Ort, an dem ihr altes Leben stattgefunden hat. Richard, Elizabeth, Kevin und sie sind inzwischen eine Familie, trotzdem wollen sie nicht, dass Nixie die Familie, die sie verloren hat, vergisst.«

»Das wird sie auch nicht tun.«

»Oh nein, das wird sie nicht.« Genauso wenig, wie er selbst jemals vergessen würde, wie das kleine Mädchen seinen Kopf im Leichenschauhaus auf der Brust des Vaters hatte liegen lassen, um dem Herzschlag nachzuhorchen, der für alle Zeit verklungen war.

»Vor allem ist ihr Besuch hier in New York was anderes als dein Besuch in Dallas.« Er stand auf und trat entschlossen auf sie zu. »Sie kommt nicht hierher zurück, um die erlittenen Schmerzen und das Trauma nochmals zu durchleben, sondern weil sie hier eine Familie hatte, die sie abgöttisch geliebt hat und mit der sie glücklich war.«

»Das heißt, dass die Verbindung hierher wichtig für sie ist. Meinetwegen, aber zu dieser Parade gehe ich ganz sicher nicht.«

»Okay.« Er zog sie sanft an seine Brust und presste ihr die Lippen auf den Mund. »Wir haben beide allen Grund, dankbar zu sein, nicht wahr?«

»Ein Haus voll irischer Verwandter und dazu noch eine Horde Freunde und Bekannte, die sich wie die Wilden auf den Truthahn stürzen werden, sind deiner Meinung nach Grund, dankbar zu sein?«

»Auf jeden Fall.«

»Ich werde dir am Freitag sagen, ob ich deiner Meinung bin. Und jetzt muss ich allmählich los.«

»Pass gut auf meine Polizistin auf.«

»Und du auf meinen Milliardär.«

In Erwartung der bevorstehenden Invasion in ihr geliebtes Haus machte sie sich auf den Weg.

Was war nur mit den Menschen los? Sie drängten sich in Autos, Taxis oder Maxibussen auf den Straßen, verstopften die Kreuzungen, und wälzten sich lawinengleich über die Bürgersteige ihrer Stadt. Weshalb zum Teufel fielen sie an den Feiertagen in noch deutlich größeren Scharen als gewöhnlich im Big Apple ein?

Hatten alle diese Leute etwa kein Zuhause, wohin sie ihre Freunde und Verwandte zum Thanksgiving einladen oder wo sie sich von den Strapazen des vergangenen Jahres erholen konnten?

Auf ihrem Weg zur Wache kämpfte sie sich mühsam durch drei Staus und wurde gleichzeitig von allen Seiten mit der Werbung eines Shoppingcenters außerhalb der Stadt beschallt.

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Sie wünschte sich, die Leute würden alle in das Einkaufszentrum fahren, und sie hätte ihre Stadt wieder für sich.

Während sie inmitten anderer angefressener Fahrer abermals im Stau stand, sah sie, wie ein Straßendieb mit wirklich flinken Fingern einer Gruppe argloser Touristen, die um einen Schwebegrill versammelt waren, die Geldbeutel und Handys aus den Taschen zog.

Wahrscheinlich hätte sie den Kerl auch dann nicht erwischt, wenn sie nicht zwischen einem laut furzenden Maxibus und einem Taxi eingekeilt gewesen wäre. Um mindestens zwei Handys und drei Börsen reicher machte er sich schleunigst aus dem Staub.

Nur der frühe Vogel machte fette Beute, dachte sie und war nur traurig, dass die Leute ohne Geld jetzt erst mal in der City bleiben würden, statt im Einkaufszentrum außerhalb auf Schnäppchenjagd zu gehen.

Sie entdeckte eine winzig kleine Lücke im Verkehr, schob sich, ohne auf das wütende Gehupe aller anderen Fahrer einzugehen, hinein, und bahnte sich entschlossen weiter ihren Weg zum Revier.

Bis sie dort war, hatte sie sich einen Plan gemacht. Als Erstes käme der Papierkram dran, dann ginge sie die offenen Fälle ihrer Leute durch, und wenn sie Peabody die Spesenabrechnungen machen ließe, bliebe vielleicht etwas Zeit, um einen ihrer alten, nicht geklärten Fälle durchzugehen.

Denn nichts war so befriedigend, wie einen Täter zu überführen, der sich in der Überzeugung, dass ihm seine Tat nicht nachgewiesen werden könnte, schadenfroh die Hände rieb.

Wer zuletzt lacht, lacht am besten, dachte sie, als sie vom Gleitband stieg und forschen Schritts den Flur in Richtung ihres Dezernats hinunterging. Sie war eine hochgewachsene, schlanke Frau mit kurzem, wild zerzaustem braunem Haar, einem kantigen Gesicht, einem Grübchen in der Mitte ihres Kinns und wachen goldenen Augen, denen nichts verborgen blieb.

Weder, dass Detective Sanchez seine Füße auf dem Schreibtisch liegen hatte, während er telefonierte, noch, dass Trueheart unschuldig und hübsch in seiner schicken Uniform diensteifrig vor seinem Computer saß. Als ihr dazu der Geruch von widerlichem Kaffee und von billigem Ersatzzucker entgegenschlug, war ihre Welt im Lot.

Jenkinson kam mit einem Riesenbecher widerlichen Kaffees neben einem schlaffen Donut in den Händen aus dem Pausenraum geschlendert, und sie riss verblüfft die Augen auf, weil er zu einem grauen Anzug einen schreiend pinkfarbenen Schlips mit leuchtend blauen und grünen Schnörkeln trug.

»Morgen, Lieutenant.«

»Doller Schlips.«

Er stellte seinen Becher auf den Tisch und sah an sich herab. »Ich dachte mir, der bringt ein bisschen Farbe in die Welt.«

»Den haben Sie doch sicher einem von den Elektronikfuzzis abspenstig gemacht.«

»Den hat seine Mama ihm gekauft«, mischte sich Sanchez ein.

»Oh nein, mit diesem wunderschönen Stück hat deine Mama sich bei mir für letzte Nacht bedankt.«

»Damit sie dich in Zukunft schon von Weitem sehen und rechtzeitig verduften kann.«

Ehe Jenkinson Gelegenheit zur Fortsetzung des Schlagabtauschs bekam, trat Baxter, elegant in einem schokoladenbraunen Anzug und mit sorgfältig gebundener, dezent im selben Ton und in gedämpftem Rot gemusterter Krawatte durch die Tür und riss entsetzt die Augen auf. »Mein Gott, ich werde blind!«

Er setzte eilig eine schicke Sonnenbrille auf und sah sich Jenkinson genauer an. »Was ist das da um Ihren Hals? Lebt das etwa noch?«

»Den hat Ihre Schwester ihm gekauft«, erklärte Trueheart, ohne auch nur einen Augenblick von seiner Arbeit aufzusehen. »Als Zeichen ihrer Wertschätzung.«

Der Junge fügte sich inzwischen wirklich gut in die Truppe ein, erkannte Eve und setzte ihren Weg mit einem gut gelaunten Grinsen auf den Lippen fort.

In ihrem winzigen Büro mit seinem einen schmalen Fenster und dem unbequemen Besucherstuhl marschierte sie direkt zum AutoChef. Die Zeit des widerlichen Kaffees war für sie dank Roarke inzwischen ein für alle Mal vorbei. Fröhlich holte sie sich eine Tasse des rabenschwarzen, dampfend heißen, köstlichen Gebräus und nahm, entschlossen, den verbleibenden Papierkram abzuhaken, hinter ihrem Schreibtisch Platz.

Ehe sie jedoch auch nur den ersten Schluck Kaffee getrunken hatte, klingelte bereits ihr Link.

»Dallas.«

Hier Zentrale, Lieutenant Eve Dallas. Bitte begeben Sie sich in die Downing Street 735. In Apartment 825 haben wir einen toten Mann und eine tote Frau.

»Ich fahre sofort los. Detective Peabody bestelle ich von unterwegs aus ein.«

Verstanden. Zentrale aus.

Verdammt, anscheinend hatte sie es doch beschrien. Eilig trank sie einen großen Schluck Kaffee, verbrannte sich die Zunge, schnappte sich den Ledermantel, den sie erst vor drei Minuten ausgezogen hatte, und marschierte wieder los.

Inzwischen waren noch andere Kollegen angekommen, tauschten ihre Meinungen zu Jenkinsons Krawatte aus, und Peabody, die ihre Jacke noch nicht ausgezogen hatte, stellte anerkennend fest, das Ding wäre echt cool.

Schließlich liebte sie ja auch den schrillen McNab.

»Peabody, Sie kommen mit.«

»Was? Wohin? So schnell?«

Eve marschierte einfach weiter, und die arme Peabody musste beinah in ihren pinkfarbenen Cowgirl-Stiefeln rennen, um sie einzuholen.

Was war nur aus ihrem Dezernat geworden?, dachte Eve. Sie sollte Pink verbieten, denn sonst tauchten ihre Leute früher oder später vielleicht nicht mehr nur in pinkfarbenen Stiefeln und Krawatten, sondern ganz in Rosa bei der Arbeit auf.

»Was haben wir?«

»Anscheinend einen Doppelmord.«

»Oh nein.« Peabody zog einen Schal aus ihrer Tasche und schlang ihn sich um den Hals.

Das Ding war rosa-blau kariert, bemerkte Eve. Sie müsste wirklich überlegen, ob es an der Zeit für ein Verbot der Farbe Rosa war.

»Dabei war es bisher ein wunderbarer Tag«, fuhr ihre Partnerin mit einem breiten Lächeln auf den Lippen und mit einem Leuchten in den Augen fort.

»Sind Sie etwa zu spät gekommen, weil der morgendliche Sex nicht rechtzeitig beendet war?«

»Ich bin gar nicht zu spät. Höchstens zwei Minuten, und das auch nur, weil wir früher aus der U-Bahn ausgestiegen und den Rest des Wegs zu Fuß gegangen sind. Viele so schöne Tage gibt es jetzt bestimmt nicht mehr.«

Sie quetschten sich zu Dutzenden von Polizeibeamten in den Lift. »Ich liebe es, wenn mir im Herbst der frische Wind entgegenbläst und wenn es überall nach Röstkastanien riecht.«

»Sie hatten ganz eindeutig Sex.«

Die andere lächelte vergnügt. »Wir hatten gestern Abend ein spontanes Date. Wir haben uns extra schick gemacht, waren tanzen und haben einen tollen Cocktail nach dem anderen geschlürft. Manchmal haben wir so viel zu tun, dass wir total vergessen, dass wir beide auch noch wichtig sind. Umso schöner ist es, wenn wir daran denken, dass es neben all der Arbeit auch oder vor allem darum geht, dass wir zusammen sind.«

In Höhe der Garage spuckte sie der Fahrstuhl wieder aus.

»Danach hatten wir Sex. Aber auch ohne wäre es ein wunderbarer Tag.«

»Von dem wahrscheinlich keine unserer beiden Leichen noch was hat.«

»Nun … das stimmt. Aber gerade deshalb …«

»Gerade deshalb?«

»Gerade deshalb sollte man so oft wie möglich tanzen gehen, Cocktails schlürfen und phänomenalen Sex mit seinem Liebsten haben, wenn man die Chance dazu hat.«

»So kann man das natürlich sehen«, meinte Eve, bevor sie sich hinter das Lenkrad ihres Wagens schwang.

»In ein paar Tagen ist Thanksgiving«, meinte ihre Partnerin.

»Das habe ich bereits gehört.«

»In meiner Familie gibt es eine Tradition. Wir schreiben alles auf, wofür wir dankbar sind, heben diese Zettel bis Thanksgiving auf, werfen sie in eine große Schale und ziehen dann jeder einen Zettel wieder raus. Das erinnert uns zum einen an all das, wofür wir dankbar sind, und zeigt uns zum anderen, was anderen Menschen wichtig ist. Ich finde diese Tradition sehr schön, und da wir dieses Jahr beschlossen haben, in New York zu bleiben, schicke ich meiner Familie meine Dankeszettel einfach mit der Post.«

Während Eve sich abermals durch das Gedränge auf den Straßen kämpfte, dachte sie darüber nach. »Als Mordermittlerinnen sollten wir für jede Leiche dankbar sein, die unseren Arbeitsplatz erhält. Auch wenn die Leichen selbst wahrscheinlich keine Dankbarkeit dafür empfinden, dass sie uns auf diese Weise nützlich sind.«

»Wahrscheinlich nicht. Wir selbst sollten vor allem dafür dankbar sein, dass wir die Fähigkeit und die Intelligenz besitzen, um die Menschen aufzuspüren und festzunehmen, die für unsere Leichen verantwortlich sind.«

»Wofür uns diese Menschen ganz bestimmt nicht dankbar sind. Was heißt, dass immer irgendjemand der Verlierer ist.«

»So kann man das natürlich auch sehen«, griff Peabody Eves Worte auf.

»Wobei ich selbst immer gewinnen will.« Inzwischen hatten sie die Downing Street erreicht, und Eve hielt hinter einem Streifenwagen an. »Am besten sehen wir also zu, dass wir auch dieses Mal am Schluss die Siegerinnen sind.«

Sie griff nach ihrem Untersuchungsset, marschierte Richtung Tür und wies sich dort bei dem Kollegen aus.

»Achter Stock, Lieutenant.«

»Ich weiß. Wie kommt man in das Haus?«

»Man muss klingeln, damit jemand aufmacht, aber Sie wissen ja auch, wie so was läuft. Außerdem gibt’s eine Kamera über der Eingangstür, aber keine im Foyer.«

»Besorgen Sie die Aufnahmen.«

»Der Verwalter des Gebäudes bringt sie uns.«

Nickend ging sie Richtung Lift. Das Gebäude wirkte durchaus anständig, nicht wirklich gut gesichert, aber mit dem ordentlich gewischten Boden und den frisch gestrichenen Wänden in der Eingangshalle sauber und gepflegt. Und die Fahrstuhltür ging ohne Quietschen oder Scheppern auf und wieder zu.

»Hier reinzukommen ist das reinste Kinderspiel«, erklärte sie. »Man braucht nur jemandem zu folgen oder jemanden dazu zu bringen, dass er auf den Öffner drückt. Wenn man erst mal drin ist, kann man sich vollkommen frei bewegen, weil das Innere des Hauses nicht durch Kameras gesichert ist.«

»Und genauso einfach kommt man wieder raus.«

»Stimmt. Das Haus wirkt sehr gepflegt, das heißt, die Mieter und auch die Verwaltung scheinen durchaus anständig zu sein.«

Inzwischen hatten sie den achten Stock erreicht und sahen vor der Tür der Wohnung 825 einen Streifenpolizisten stehen. »Was können Sie mir berichten, Officer?«

»Ma’am. Die Bewohnerin der Nachbarwohnung hat kurz vor halb acht die Wohnungstür mit ihrem eigenen Schlüssel aufgeschlossen und die beiden Toten in der Wohnung liegen sehen.«

»Warum war sie in der Wohnung?«

»Sie und das weibliche Opfer gehen ihrer Aussage zufolge jeden Montag um Punkt sieben Brötchen holen. Als niemand an die Tür kam und auch niemand reagierte, als sie anrief, hat sie die Wohnung mit ihrem eigenen Schlüssel geöffnet und die beiden Toten dort liegen sehen. Sie hat sie als Carl und Barbara Reinhold, die Bewohner, identifiziert.«

»Wo ist die Zeugin jetzt?«

»Wir haben gesagt, dass sie in ihrer eigenen Wohnung warten sollen. Eine Kollegin kümmert sich um sie. Sie ist ganz schön fertig, Lieutenant. Was aufgrund des Anblicks, der sich ihr da drin geboten hat, durchaus verständlich ist.«

»Die Zeugin soll sich weiter zur Verfügung halten. Sie selber bleiben an der Tür.« Eve sprühte sich die Hände und die Stiefel ein, machte das Aufnahmegerät am Kragen ihres Mantels fest, ging in die Wohnung und sah sich dort um.

Das Wohnzimmer war aufgeräumt. Die Sofakissen waren aufgeschüttelt, auf dem Couchtisch lagen Zeitschriftendisketten ordentlich zu einem kleinen Stapel aufgetürmt, und der Teppichboden wirkte frisch gesaugt. Was ein gespenstischer Kontrast zum alles andere als frischen, süßlichen Geruch des Todes war, der ihr entgegenschlug.

Ein paar Schritte weiter hatten die Bewohner des Apartments einen Tisch als Grenze zwischen Wohnbereich und Küche aufgestellt.

Der jetzt auch gleichzeitig als Grenze zwischen ordentlichem Leben und hässlichem Tod zu sehen war.

Der Mann lag halb unter dem Tisch, wobei die blutige Masse Mensch in dem wahrscheinlich einmal dunkelblauen Anzug fast nicht mehr als solcher zu erkennen war. An den Wänden und den Küchenschränken klebten Blut und eine graue Masse, der Baseballschläger, mit dem jemand auf den Mann eingedroschen hatte, lag in einer Lache trockenen Bluts.

Die Frau lag bäuchlings auf dem Boden zwischen Tisch und Kühlschrank, ihr Hemd und ihre Hose waren derart mit Blut getränkt, dass die ursprünglichen Farben nicht mehr zu erkennen waren. Der Mörder hatte beide Kleidungsstücke regelrecht zerfetzt, wahrscheinlich mit dem Küchenmesser, dessen Klinge noch im Fleisch der Frau vergraben war.

»Die beiden wurden richtiggehend abgeschlachtet«, stellte Peabody mit rauer Stimme fest.

»Ja. Der Täter war anscheinend völlig außer sich vor Zorn. Übernehmen Sie die Frau«, bat Eve und beugte sich über den Mann.

Sie gestattete sich einen kurzen Augenblick des Mitleids, atmete tief durch, zog den Untersuchungsbeutel auf und fing mit der Arbeit an.

2

»Das Opfer wurde als Carl James Reinhold identifiziert. Männlich, weiß, sechsundfünfzig Jahre alt«, las sie auf ihrem Identifizierungspad. »Verheiratet mit Barbara Reinhold, geborene Myers, vierundfünfzig Jahre alt.«

Sie wandte sich an ihre Partnerin, die nickend meinte: »Das ist die Frau.«

»Die beiden haben einen Sohn. Jerald Reinhold, sechsundzwanzig Jahre, wohnhaft in West Houston.«

Carl hatte noch beide Eltern, die nach Florida verzogen waren, einen Bruder in Hoboken, und als Arbeitgeber wurden Beven und Son’s Bodenbeläge mit Büros sowie einem Verkaufsraum einige Blocks entfernt genannt.

»Das Opfer wurde auf den Kopf, ins Gesicht, auf die Schultern, auf die Brust und die Gliedmaßen geschlagen. Die Verletzungen wurden ihm offenbar mit einem Baseballschläger zugefügt, der noch am Tatort liegt und an dem Blut und eine graue Masse angetrocknet sind. Das Gesicht des Opfers wurde unkenntlich gemacht, das heißt, es war etwas Persönliches.«

»Die Frau hat derart viele Stichwunden, dass ich sie gar nicht alle zählen kann«, erklärte Peabody. »Sie wurde regelrecht in Stücke gehackt.«

»Die Todesursache steht also fest. Lassen Sie uns sehen, wann sie gestorben sind.«

Eve zog das Messgerät hervor. »Er ist seit circa zweiundsiebzig Stunden tot, das heißt, er wurde Freitagabend ungefähr um 18.30 Uhr umgebracht.«

»Sie war schon fast sechs Stunden früher tot. Freitagmittag gegen 12.40 Uhr.«

»Fast sechs Stunden«, wiederholte Eve. »Heißt das, er hat die Frau schon mittags umgebracht und dann gewartet, bis der Mann nach Hause kam? Es gibt keine Kampfspuren, und bisher deutet nichts auf einen Einbruch hin.«

Sie richtete sich wieder auf. »Bestellen Sie die Leichenwagen und die Spurensicherung.«

Dem Aussehen nach ein grundsolides Mittelklassepaar, sagte sie sich und sah sich in der Wohnung um. Hatte die Frau mitten am Tag jemandem die Tür geöffnet? Hatte sie den Täter freiwillig hereingelassen, der danach in ihrer eigenen Küche erst auf sie und Stunden später auch auf Mr. Reinhold losgegangen war?

Sie trat durch eine Tür und rief über die Schulter: »Jemand hat das Schlafzimmer durchsucht.«

»Ein derartiger Gewaltexzess kommt mir für einen Einbruch seltsam vor.« Peabody brach ab und runzelte die Stirn, als sie das Schlafzimmer betrat. »Wirkt doch alles ziemlich aufgeräumt.«

»Ziemlich, aber nicht so wie im Wohnzimmer«, gab Eve zurück. »Die Ordnung hier ist nicht perfekt. Die Bettdecken sind nicht ganz glatt gestrichen, alle Schranktüren sind geöffnet, ein paar Kleider liegen, statt im Schrank zu hängen, auf dem Boden, eine von den Schubladen des Schreibtisches steht einen Spalt breit auf, und wo ist der Computer oder Laptop, der doch sicher auf dem Tisch gestanden hat?«

Eve zog eine andere Schublade des Schreibtischs auf. »Hier drin ist alles durcheinander, obwohl wir in einem ordentlichen, sauberen Haus in einer ebensolchen Wohnung stehen. Wer auch immer das getan hat, hat anscheinend irgendetwas gesucht. Ich wette, dass die Zeugin häufiger in diesem Raum gewesen ist und wüsste, falls was fehlt.«

»Sie wollen noch einmal mit ihr durch die Wohnung gehen.«

»Wenn die beiden Toten auf dem Weg ins Leichenschauhaus sind.« Sie ging wieder in den Flur und öffnete die nächste Tür. »Das zweite Schlafzimmer ist ebenfalls nicht wirklich aufgeräumt. Der Teppich liegt ein bisschen schief und auf den Möbeln liegt etwas Staub. Warum hat sie hier nicht geputzt? Der Schrank ist leer. Wer in aller Welt hat einen völlig leeren Schrank?«

»Ich ganz sicher nicht. Denn wenn man Stauraum hat, benutzt man den am Ende auch.«

»Dann hat also jemand hier gewohnt, der bei seinem Auszug einfach schmutziges Geschirr und leere Pizzaschachteln hat stehen lassen.« Sie schlug die Bettdecke zurück, schnupperte am Laken und erklärte: »Man kann riechen, dass hier irgendwer geschlafen hat. Packen Sie das Bettzeug ein. Vielleicht finden wir daran ja DNA.«

Sie sah sich weiter um. »Hier hat jemand gewohnt. Jemand, den sie kannte. Sie ist in der Küche und bereitet dort um diese Zeit vielleicht das Mittagessen zu. Am besten überprüfen wir das Protokoll des AutoChefs. Vielleicht will er ja irgendwas, was sie ihm nicht gibt.«

Sie ging noch einmal in die Küche, um sich das Geschehen bildlich vorzustellen. »Er ist so wütend, dass er sich das Messer schnappt. Er reißt es aus dem Messerblock und sticht immer wieder damit auf sie ein. Er kann gar nicht aufhören, denn es fühlt sich fantastisch an.«

»Oh Gott. Warum denn das? Warum denken Sie, es hätte sich fantastisch angefühlt?«

»Weil er nicht abgehauen ist. Er ist hiergeblieben, bis der Ehemann nach Hause kam. Auf den er dann ebenfalls wie ein Besessener eingedroschen hat. Also ja, ich gehe davon aus, dass er es regelrecht genossen hat. Sagen Sie den Leuten von der Spusi, dass sie sich auch alle Abflüsse ansehen sollen. Schließlich musste er sich sauber machen, denn er war von Kopf bis Fuß mit ihrem Blut bespritzt. Aber dafür hatte er auch Stunden Zeit, bevor der Ehemann nach Hause kam. Er hatte Stunden Zeit, um sich zu waschen, frische Kleider anzuziehen und die Wohnung zu durchwühlen. Die Frau hatte wahrscheinlich ein paar wertvolle Schmuckstücke, die leicht zu Geld zu machen sind.«

»Bestimmt hatten sie auch ein bisschen Geld für Notfälle im Haus«, fügte Peabody hinzu. »Das hat so gut wie jeder. Schließlich weiß man nie, wann man etwas braucht.«

»In Ordnung. Schmuck und Bargeld. Auch der Geldbeutel des Ehemanns ist weg, er trägt auch keine Uhr. Wenn wir ihre Tasche finden, stellen wir wahrscheinlich fest, dass auch ihr Geldbeutel verschwunden ist. Außerdem habe ich bisher nirgends einen Laptop oder so etwas entdeckt.«

»Weil so was leicht zu tragen ist.«

Noch einmal sah sich Eve die Opfer an. »Wobei der Täter erst im Nachhinein darauf gekommen ist, sich nach diesen Sachen umzusehen. Für etwas Kleingeld und für ein paar elektronische Geräte bringt man niemanden auf diese Weise um. Vor allem nicht, wenn man ihn kennt. So etwas tut man aus einem anderen Grund. Vielleicht gab’s hier ja mehr zu holen, als es bisher den Anschein hat. Lassen Sie uns hören, was die Nachbarin zu sagen hat.«

Eve ging zur Tür und drehte sich noch einmal um. »Überprüfen Sie den Sohn.«

»Sie denken, jemand wäre in der Lage, seinen eigenen Eltern so was anzutun?«

»Wer kann einem schlimmer auf die Nerven gehen als die eigene Familie?«, fragte Eve zurück und wandte sich an den Beamten, der noch immer an der Tür der Wohnung Wache stand. »Die Leichenwagen sind inzwischen unterwegs und die Spurensicherung kann rein. Wie heißt die Frau von nebenan?«

»Sylvia Guntersen. Außer der Beamtin kümmert sich ihr Ehemann um sie. Er hat sich heute freigenommen, weil er seine Frau in dem aufgewühlten Zustand nicht alleine lassen will.«

»Okay.« Sie klopfte an der Tür der Nachbarwohnung und eine junge Frau in Uniform mit straff zurückgebundenem blondem Haar machte ihr auf.

»He, Cardinnini«, grüßte Peabody.

Die Blondine lächelte, und die eisblauen Augen wurden warm. »Hallo, Peabody. Was für ein Morgen.«

»Allerdings. Wir beide hatten früher häufiger zusammen Dienst«, wandte sich Peabody an Eve.

»Bevor du uns im Stich gelassen hast, weil du zum Mord gewechselt bist«, hielt ihr die Streifenpolizistin lachend vor und wandte sich dann ebenfalls an Eve. »Freut mich, Sie persönlich kennenzulernen, Lieutenant, auch wenn ich hätte darauf verzichten können, es unter diesen Umständen zu tun. Die arme Frau ist völlig durch den Wind, und auch dem Ehemann hat diese Sache furchtbar zugesetzt. Sie waren mit den Opfern eng befreundet, lebten seit zwölf Jahren im selben Haus, haben sich oft privat getroffen, zusammen Urlaube gemacht und standen sich echt nah.«

»Verstehe.«

Das Apartment war genau wie das der Opfer aufgeteilt und wenn vielleicht nicht ganz so überladen eingerichtet, so auf jeden Fall genauso aufgeräumt. Die Guntersens saßen mit Tassen an dem viereckigen schwarzen Küchentisch, und Eve nahm an, dass sie im selben Alter wie die toten Nachbarn waren.

Das kurze Haar der Frau war zu modernen Stacheln aufgestellt, während der Mann das Haar lang und ordentlich zu einem Pferdeschwanz gebunden trug. Die beiden sahen Eve aus rot verquollenen Augen an, unter lautem Schluchzen wandte Sylvia Guntersen sich eilig wieder ab.

Eve brauchte Peabody nur anzusehen, damit die einen Schritt nach vorne trat.

»Mrs. Guntersen«, setzte sie an. »Unser Beileid zu Ihrem Verlust. Dies ist Lieutenant Dallas, und ich bin Detective Peabody. Wir werden alles dafür tun, dass die Person, die das getan hat, zur Rechenschaft gezogen werden kann.«

»Sie waren unsere besten Freunde.« Schluchzend tastete die Zeugin nach der Hand des Ehemanns. »Wie konnte ihnen so etwas passieren?«

»Das werden wir herausfinden.« Eve setzte sich zu ihnen an den Tisch. »Wobei allerdings Ihre Hilfe nötig ist.«

»Barb hat nicht aufgemacht und ging auch nicht ans Telefon. Das hatte sie bisher noch nie gemacht, deshalb bin ich mit meinem Schlüssel reingegangen und habe sie dort liegen sehen. Ich habe Barb und Carl dort liegen sehen.«

»Ich weiß, es ist nicht leicht für Sie«, mischte sich Peabody in das Gespräch. »Aber wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen.« Sie musterte die Frau und sagte sich, es wäre einfacher für sie, wenn sie beschäftigt war. »Glauben Sie, wir könnten eine Tasse Kaffee haben, Ma’am?«

»Oh. Ja. Natürlich.« Sylvia riss sich zusammen und stand auf.

»Wann haben Sie das letzte Mal mit Barbara oder Carl gesprochen oder einen von ihnen gesehen?«, fragte Eve.

»Ich und Barb haben Freitagmorgen ein paar Worte gewechselt, bevor ich und Walt weggefahren sind. Wir haben übers Wochenende unsere Tochter und ihren Verlobten in Philadelphia besucht. Die Verlobung ist erst ein paar Wochen her.«

»Carl und ich haben uns am Donnerstag noch auf ein Feierabendbier getroffen«, mischte sich jetzt auch der Ehemann der Zeugin ein. »Danach habe ich ihn nicht noch einmal gesehen.«

»Wann sind Sie aus Philadelphia zurückgekommen?«

»Sonntagabend. Ich habe gleich nach unserer Rückkehr bei Barb angerufen, aber sie ging nicht ans Telefon. Also dachte ich, dass sie und Carl vielleicht im Kino wären. Das war ihre Leidenschaft.« Ihre Lippen fingen an zu beben, doch sie schaffte es, die beiden Kaffeetassen auf den Tisch zu stellen. »Freitagsabends waren wir häufiger zusammen im Kino, aber diesen Freitag waren wir bei Alice und bei Ben, deshalb …«

»Können Sie uns sagen, wer bei Carl und Barbara übernachtet hat?«

»Ja. Ihr Sohn. Oh Gott, an Jerry habe ich noch keinen Augenblick gedacht. Ich weiß nicht, wo er steckt und ob ihm vielleicht auch was zugestoßen ist.« Sie riss entsetzt die Augen auf. »Ist er … ist er auch dort drüben?«

»Nein.«

»Gott sei Dank.«

»Wann ist er wieder zu Hause eingezogen?«

»Das ist jetzt schon eine ganze Weile her. Vielleicht vor drei, vier Wochen, nachdem seine Freundin sich von ihm getrennt hat.«

»Wissen Sie, wie diese Freundin heißt?«, erkundigte sich Eve. »Und haben Sie vielleicht auch Namen irgendwelcher Freunde oder so, bei denen er jetzt vielleicht ist?«

»Hm, Lori. Nuccio. Lori Nuccio«, meinte Sylvia. »Allzu viele Freunde hat er nicht. Mal, Dave, Joe – Mal Golde, Dave Hildebran, Joe Klein. Das sind die drei, mit denen er am häufigsten zusammen ist.«

»Gut. Wie sieht’s mit Kollegen von der Arbeit aus?«

»Er, tja nun, er hat vor ein paar Wochen seinen Job verloren. Deshalb ist er vorübergehend wieder zu seinen Eltern gezogen, bis er wieder auf die Füße kommt. Jerry, nun, die beiden hatten es nicht immer leicht mit ihm.«

»Er ist ein fauler Schweinehund.«

»Walter!«, fuhr ihn Sylvia entgeistert an. »Wie kannst du so was sagen? Er hat gerade seine Eltern verloren.«

»Das ändert den Charakter dieses Jungen nicht«, stieß Walter mit so rauer Stimme aus, als hätte er etwas im Hals. »Er ist und bleibt ein fauler, undankbarer Kerl, der andere ausnutzt, wo er kann.« Zorn und Trauer zogen wie ein Schleier über sein Gesicht. »Ich habe mich am Donnerstag mit Carl getroffen, weil er jemanden zum Reden brauchte. Er und Barbara wussten einfach nicht mehr, was sie machen sollten. Dieser faule Nichtsnutz ist seit über einem Monat arbeitslos und lungert den ganzen Tag herum, statt sich endlich irgendwo nach einer neuen Arbeit umzusehen. Wobei er bisher sowieso überall nach spätestens drei Wochen wieder rausgeflogen ist.«

»Dann gab es zwischen ihm und seinen Eltern also Spannungen?«

»Barb war seinetwegen furchtbar unglücklich«, gab Sylvia zu und zupfte an dem kleinen Davidstern, den sie an einer Kette trug. »Sie hat sich so gewünscht, dass er endlich erwachsen wird und etwas aus sich macht. Und Lori – seine Freundin – hat sie wirklich gerngehabt. Sie dachte, Lori könnte Jerry vielleicht helfen, ein verantwortungsbewusster junger Mann zu werden, aber leider hat das nicht geklappt.«

»Er hat die Miete für die Wohnung, die sie beide hatten, und das Geld, das er Lori gestohlen hat, in Vegas durchgebracht.«

Sylvia stieß einen Seufzer aus und tätschelte ihm sanft die Hand. »Das stimmt. Er ist entsetzlich unreif und vor allem furchtbar impulsiv. Barb hat mir am Freitagmorgen noch erzählt, dass er an ihrem Haushaltsgeld gewesen ist.«

»Wo hat sie das aufbewahrt?«, erkundigte sich Eve.

»In einer Kaffeedose ganz hinten in ihrem Küchenschrank.«

Auf Eves Blick erhob sich Peabody und ging auf leisen Sohlen aus dem Raum.

»Am ersten Dezember wäre für ihn Schicht im Schacht gewesen.« Walter griff nach einem Löffel und rührte seinen inzwischen kalten Kaffee um. »Das hat mir Carl am Donnerstag erzählt. Natürlich musste er darüber noch mit Barbara reden, aber sein Entschluss stand fest. Wenn er bis zum Ersten keinen neuen Job gefunden hätte, hätten sie ihn vor die Tür gesetzt. Barbara war völlig fertig, seit der Junge wieder eingezogen war, denn täglich gab es irgendwelche Streitereien, was auf Dauer einfach unerträglich war.«

»Sie haben also oft gestritten.«

»Er ist nie vor Mittag aufgestanden, dafür war er dann die halbe Nacht mit seinen Freunden unterwegs. Außerdem hat er sich permanent beschwert, denn niemals war ihm irgendwas, was seine Eltern für ihn taten, auch nur annähernd gut genug. Er hat ihnen keinerlei Respekt oder Wertschätzung gezollt, und nachdem jetzt beide tot sind, hat er jede Chance, sein Verhalten wiedergutzumachen, ein für alle Mal vertan.«

Als er mit den Tränen kämpfte, nahm Sylvia ihn tröstend in den Arm.

»Wissen Sie, wie wir Jerry erreichen können?«, fragte Eve.

»Nicht wirklich.« Sylvia strich zärtlich über Walters Kopf. »Wahrscheinlich ist er mit seinen Freunden unterwegs.«

Das glaube ich nicht, dachte Eve, nickte aber mit dem Kopf. »Es tut mir leid, dass ich Sie danach fragen muss, aber könnten Sie uns sagen, wenn in Carls und Barbaras Wohnung etwas fehlen würde?«

Sylvia klappte unglücklich die Augen zu. »Ja, das könnte ich bestimmt. Ich … ich kenne ihre Wohnung und auch ihre Sachen fast so gut wie meine eigenen.«

»Ich wüsste es zu schätzen, wenn Sie sich drüben umsehen könnten. Vielen Dank schon mal für Ihre bisherige Hilfe. Wenn wir Sie in der Wohnung brauchen, geben wir Bescheid, okay?« Mit diesen Worten stand Eve wieder auf.

»Wir werden alles tun, was Ihnen hilft.« Schluchzend vergrub Sylvia ihr Gesicht an Walters Schulter, und die beiden wiegten sich in einem unglücklichen Rhythmus hin und her.

Eve ging wieder in den Flur, wo Peabody mit Cardinnini sprach.

»Die Kaffeedose ist noch da, enthält aber nicht einen Cent.«

»Ich bin schockiert.«

»Und die Spurensicherung ist auf dem Weg nach oben.«

»Gut.« Eve wandte sich der Streifenpolizistin zu. »Officer, sobald der Tatort wieder frei ist, gehen Sie mit Mrs. Gunterson durch das Apartment und schreiben sich alles auf, was ihrer Meinung nach verschwunden ist.«

»Zu Befehl, Ma’am.«

»Wir beide suchen jetzt den faulen Schweinehund von Sohn, Peabody.«

»Bleib sauber«, rief die Partnerin Cardinnini über ihre Schulter zu.

»Wenn’s gar nicht anders geht …«

Eve erklärte den Kollegen von der Spurensicherung, worum es ging, bevor sie in den Fahrstuhl stieg und mit Peabody wieder nach unten fuhr.

»Erzählen Sie mir von dem Sohn.«

»Der faule Schweinehund scheint durchaus zuzutreffen«, meinte Peabody. »Flog im zweiten Studienjahr vom College und hatte seither diverse Jobs, die alle nicht von Dauer waren. Darunter einen in der Firma, in der auch sein Vater arbeitete. Zuletzt hat er bei Americana Essen ausgeliefert, bis er auch dort gefeuert worden ist. Außerdem ist er ein paar Mal wegen Drogen sowie einmal wegen Trunkenheit und ungebührlichen Benehmens aufgefallen, aber um Gewaltdelikte ging es bisher nie.«

»Dann war das hier vielleicht das erste Mal.«

»Er hat seine eigenen Eltern wegen der paar Kröten in der Kaffeedose umgebracht?«

»Er hat sie umgebracht, weil er es wieder mal vermasselt hatte und sie endgültig die Nase davon voll hatten, ihn immer wieder aus dem Dreck zu ziehen. So sieht’s zumindest für mich aus. Überprüfen Sie, ob er Kreditkarten, die auf die Namen seiner Eltern ausgestellt wurden, verwendet hat.«

Sie blieb kurz stehen, als der Beamte im Foyer ihr die Diskette mit den Aufnahmen der Kamera über dem Eingang gab.

»Hören Sie sich bei den Nachbarn um«, wies sie ihn an. »Finden Sie heraus, ob irgendjemand was gehört oder gesehen hat. Und ob jemand mitbekommen hat, wann Jerry Reinhold aus dem Haus gegangen ist. Beginnen Sie im achten Stock, aber hören Sie sich auch in allen anderen Etagen um.«

»Zu Befehl, Ma’am.«

Im Wagen schob sie die Diskette in den dafür vorgesehenen Schlitz im Armaturenbrett. »Wollen wir doch mal sehen, wann er gegangen ist.«

Sie fing am Freitagmorgen an, schaltete auf Schnelldurchlauf, sah, wie die Guntersons mit lächelnden Gesichtern und mit Koffern in den Händen durch die Tür des Hauses traten und wie andere kamen und gingen, bevor Jerrys Vater Freitagabend um 18.23 Uhr von der Arbeit kam.

»Er sieht müde aus«, bemerkte Peabody.

»Ja, er denkt an die bevorstehende Auseinandersetzung mit dem nichtsnutzigen Sohn. Aber dass es so schlimm kommen würde, hat er sicher nicht erwartet.«

Eilig spulte sie bis Samstagmorgen, ohne dass der junge Mann im Bild erschien.

»Er ist dort geblieben?«, fragte Peabody entsetzt. »Er hat die ganze Nacht zusammen mit den toten Eltern in der Wohnung zugebracht?«

»Auf diese Weise hatte er genügend Zeit, um alles einzusammeln, was er haben wollte, und zu überlegen, wie es weitergehen soll. Da ist er ja, am Samstagabend um 20.28 Uhr. Mehr als vierundzwanzig Stunden nach der Tat. Er hat zwei Koffer bei sich. Überprüfen Sie, ob er gleich vor der Tür oder an der Straßenecke in ein Taxi eingestiegen ist. Weit hat dieser faule Schweinehund die Koffer sicher nicht geschleppt.«

»Er lächelt«, stellte Peabody mit leiser Stimme fest.

»Das sehe ich. Gehen Sie die Aufzeichnungen weiter durch und gucken Sie, ob er noch mal zurückgekommen ist«, wies Eve sie an und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein.

»Wo fahren wir als Erstes hin?«

»Vielleicht ist er ja dort, wo er zuletzt gemeldet war.«

Während Eve den Wagen fuhr, gab Peabody verschiedene Suchanfragen in den Handcomputer ein. »Die Kreditkarten der beiden Opfer wurden bisher nicht benutzt.«

»Das heißt, dass er nicht völlig dämlich ist.«

»Und in der Wohnung war er nicht noch mal.«

»Dann hat er also alles mitgenommen, was ihm wichtig war.«

»Aber mit dem Inhalt dieser Kaffeedose kommt er doch bestimmt nicht weit. Selbst wenn sie ein paar Tausender enthalten hätte, was ich mir nicht vorstellen kann.«

»Am besten gehen wir die Finanzen beider Opfer durch. Es könnte schließlich sein, dass er etwas von ihren Konten überwiesen oder abgehoben hat. Die meisten Leute schreiben sich die Passwörter, die sie benutzen, auf«, kam Eve dem Einwand ihrer Partnerin zuvor. »Jerry hatte jede Menge Zeit, um die Passwörter zu finden und an die Konten der Familie zu gehen. Aber erst mal hören wir uns bei den Taxiunternehmen um. Vielleicht haben wir ja Glück und finden heraus, wohin er sich hat fahren lassen.«

Eve bog in die Straße, in der Jerrys letzter offizieller Wohnsitz lag, doch ehe sie das Haus erreichte, juchzte Peabody: »Ich habe ihn!«

Ehe Eve sie etwas fragen konnte, hob sie abwehrend den Zeigefinger in die Luft, während sie weiter in ihr Handy sprach.

»Verstehe. Vielen Dank.« Sie legte auf und wandte sich an Eve: »Er ist direkt vor der Haustür in ein Taxi eingestiegen und hat sich ins West Village fahren lassen. Zum The Manor, einem kleinen, aber dafür umso feineren Hotel.«

»Adresse, Peabody.«

Dann schaltete Eve das Blaulicht und die Sirenen ein und machte einen so rasanten Schwenk nach rechts, dass Peabody ein Stoßgebet zum Himmel schickte und den Haltegriff über der Tür so fest umklammerte, dass man das Weiß ihrer Knöchel sah.

The Manor machte seinem Namen alle Ehre, denn es wirkte wie ein elegantes Herrenhaus, das einst der Landsitz eines wohlhabenden Mitglieds der britischen Oberschicht gewesen war. Links und rechts der breiten, überdachten Eingangstür des wunderschönen alten Sandsteinhauses, das anscheinend erst vor Kurzem einer liebevollen Renovierung unterzogen worden war, prangten große Urnen voller leuchtend grüner Hängepflanzen, und natürlich gab es einen Türsteher in schmucker Uniform, der Eve wahrscheinlich Scherereien machen würde, weil sie direkt in der Ladezone hielt.

Sie stieg aus ihrem äußerlich uralten, klapprigen Gefährt, als er in seiner königsblauen Livree mit goldenen Tressen und in blank polierten Stiefeln angetrottet kam.

»Hör zu, Kumpel«, setzte sie an, doch plötzlich setzte er ein distinguiertes, aber durchaus einladendes Lächeln auf.

»Lieutenant Dallas«, grüßte er. »Was kann ich für Sie tun?«

Mit diesen Worten brachte er sie völlig aus dem Gleichgewicht. Sie hasste es, wenn man sie derart überraschte, doch es dauerte nicht lange, bis sie wusste, was der Grund für seinen Sinneswandel war. Das Haus gehörte Roarke, und der Portier hatte wie alle Angestellten seiner Unternehmen Anweisung, der Ehefrau des großen Bosses gegenüber kooperationsbereit zu sein.

Was sicher praktisch, aber irgendwie auch ätzend war.

»Lassen Sie den Wagen, wo er ist, und holen Sie mir den Geschäftsführer.«

»Sofort. Diego!«, rief er nach dem Pagen, der einen gefährlich hoch beladenen Gepäckwagen an ihm vorüberschob. »Achten Sie darauf, dass niemand an den hier geparkten Wagen geht. Bitte treten Sie ein, Lieutenant.« Er öffnete die große, reich mit Schnitzereien verzierte Tür, trat höflich einen Schritt zurück und ließ die beiden Frauen an sich vorbeigehen.

Die Eingangshalle wirkte wie ein Wohnzimmer im Stil der Alten Welt. Das weich glänzende Holz, der warm schimmernde Marmorboden, die wahrscheinlich tonnenschweren Bronzelüster und Vasen voller Blumen waren einfach typisch für Roarke, fand Eve.

In einem hochlehnigen Ledersessel hinter einem langen Tisch saß eine junge Frau in einem schlichten, aber durchaus eleganten schwarzen Hosenanzug mit zu einem Pferdeschwanz gebundenem kastanienbraunem Haar.

»Rianna«, wandte sich der Türsteher an sie. »Dies ist Lieutenant Dallas und … ich bitte um Entschuldigung …«

»Detective Peabody«, half Eve ihm aus.

»Sie müssen dringend mit Joleen sprechen.«

»Natürlich. Einen Augenblick. Bitte nehmen Sie doch Platz.«

»Wir bleiben lieber stehen.«

Lächelnd schaltete die junge Frau ihr Headset ein. »Joleen, hier ist Rianna vom Empfang. Lieutenant Dallas steht hier im Foyer. Ich … natürlich, gern.«

Mit einem neuerlichen Lächeln stellte sie das Headset wieder aus. »Sie kommt sofort. Können wir Ihnen eine Erfrischung anbieten? Wir haben eine große Auswahl wunderbarer Tees.«

»Danke, nein.« Eve hielt ihr ihren Handcomputer hin. »Sehen Sie sich diesen Mann hier an. Er müsste unter dem Namen Jerald Reinhold hier bei Ihnen abgestiegen sein. Ich brauche seine Zimmernummer und …«

»Oh, Mr. Reinhold hat vor gut zwei Stunden ausgecheckt.« Riannas Lächeln machte einem Ausdruck beinah komischer Verzweiflung Platz. »Es tut mir furchtbar leid.«

»Verdammt. Waren Sie vor zwei Stunden schon im Dienst?«, wandte sich Eve an den Portier.

»Ja. Ich habe seine beiden Koffer in den Shuttle eingeladen, der den Gästen unseres Hauses zur Verfügung steht. Er wollte zum Flughafen und hat gesagt, er würde hoffen, dass er seinen Flieger nach Miami noch bekommt.«

»Lieutenant.« Eine Frau mittleren Alters kam durch das Foyer geeilt und reichte ihr die Hand. In dem granatroten Kostüm, den hochhackigen Schuhen und mit den hochgesteckten braungoldenen Haaren wirkte sie äußerst elegant. »Ich bin Joleen Mortimer. Willkommen in The Manor. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich muss Jerald Reinholds Zimmer sehen und wissen, wie der Mann bezahlt, was er unter Umständen bestellt und mit wem er gesprochen hat.«

»Selbstverständlich. Rianna?«

Rianna wischte bereits hektisch auf dem Tablet, das sie in den Händen hielt. »Ich sehe gerade nach. Mr. Reinhold hatte die Gutsherrensuite. Er hat sie Freitagabend online mit Kreditkarte gebucht, aber bei seiner Ankunft Samstagabend bar bezahlt. Genau wie alles, was er sich aufs Zimmer hat kommen lassen, und zwar am Sonnabend um kurz nach neun, gestern früh um 10.30 Uhr, gestern Nachmittag um 17 Uhr und dann noch einmal heute früh um sieben. Dazu kamen noch die Kosten für die Nutzung seiner Minibar.«

»Und was hat er dafür geblecht?«

»Verzeihung?«

»Wie viel hat er für dieses ganze Zeug bezahlt?«