Zwei Historische Sagas August 2023 - W. A. Hary - E-Book

Zwei Historische Sagas August 2023 E-Book

W. A. Hary

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: (499) Die Sarazenenbraut 1: Miranda und Jaffar (Alfred Bekker & W.A.Hary) Die Sarazenenbraut 2: Ein Prinz aus Damaskus (Alfred Bekker & W.A.Hary) Die Sarazenenbraut 3: Assassinnen in der Wüste (Alfred Bekker & W.A.Hary) Der Nonnen-Aufstand (W.A.Hary, Alfred Bekker und Hendrik M. Bekker) Anno 1689… "Es wird Sturm geben", hatte der Kapitän schon vor einer ganzen Weile gesagt. "Das habe ich im Gefühl. Vielleicht wird der Sturm noch nicht heute oder morgen kommen. Aber er liegt in der Luft." Niemand glaubte ihm. Ein warmer Tropenwind blähte die Segel des Dreimasters "Saint Denis". Man hatte Marie de Perrin davor gewarnt, sich zu häufig an Deck aufzuhalten, da die Sonne in diesen Breiten viel stärker schien, als in den Gärten von Versailles und Sonnenschirme eine Dame nicht davor bewahren konnten, ihre vornehme Blässe zu verlieren. Aber Marie de Perrin war das in diesem Augenblick gleichgültig. Die junge Frau freute sich nach der wochenlangen Überfahrt in die Karibik einfach zu sehr auf den Anblick festen Landes. Tagelang war ihr schlecht gewesen. Das dauernde Schwanken der "Saint Denis" hatte sie seekrank gemacht. Sie hatte zwar davon gehört, wie strapaziös die Überfahrt war, hatte aber zuvor keine richtige Vorstellung von dem gehabt, was sie erwartete. Wie jene Männer das aushielten, deren Beruf es war, im Dienste des Sonnenkönigs zur See zu fahren und Verbindung zu den überseeischen Besitzungen zu halten, war ihr ein Rätsel. Es schien ihr, als ginge das über die Möglichkeiten der menschlichen Natur hinaus. Marie de Perrin hatte noch immer ein flaues Gefühl in der Magengegend. Aber wenn sie ehrlich zu sich selbst war, so lag der Grund dafür nur zum Teil in der unruhigen See des Atlantiks… Es gab da noch etwas anderes, was ihr auf der Seele lag. Die Sehnsucht nach jenem Mann, in den sie sie sich unsterblich verliebt hatte – auch wenn sich alle Welt gegen dieses Glück verschworen zu haben schien. Sie trat an die Reling auf dem Achterdeck des Dreimasters und ließ den Blick schweifen. Eine geradezu paradiesisch wirkende Insel hob sich vom hellen Blau des Himmels und dem etwas dunkleren, mit grün durchmischten Blau der karibischen See ab. "Das ist St.Kitts, Mademoiselle", sagte Kapitän Jacques Bonneau, der neben Marie getreten war, ohne dass sie es zunächst bemerkt hatte.

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Alfred Bekker, W.A.Hary, Hendrik M. Bekker

Zwei Historische Sagas August 2023: Die Sarazenenbraut & Der Nonnen-Aufstand

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Inhaltsverzeichnis

Zwei Historische Sagas August 2023: Die Sarazenenbraut & Der Nonnen-Aufstand

Copyright

Miranda und Jaffar: Die Sarazenenbraut 1

Ein Prinz aus Damaskus: Die Sarazenenbraut 2

Assassinen in der Wüste: Die Sarazenenbraut 3

Der Nonnen-Aufstand

Zwei Historische Sagas August 2023: Die Sarazenenbraut & Der Nonnen-Aufstand

Alfred Bekker, W.A.Hary, Hendrik M. Bekker

Dieser Band enthält folgende Romane:

Die Sarazenenbraut 1: Miranda und Jaffar (Alfred Bekker & W.A.Hary)

Die Sarazenenbraut 2: Ein Prinz aus Damaskus (Alfred Bekker & W.A.Hary)

Die Sarazenenbraut 3: Assassinnen in der Wüste (Alfred Bekker & W.A.Hary)

Der Nonnen-Aufstand (W.A.Hary, Alfred Bekker und Hendrik M. Bekker)

Anno 1689…

„Es wird Sturm geben“, hatte der Kapitän schon vor einer ganzen Weile gesagt. „Das habe ich im Gefühl. Vielleicht wird der Sturm noch nicht heute oder morgen kommen. Aber er liegt in der Luft.“

Niemand glaubte ihm.

Ein warmer Tropenwind blähte die Segel des Dreimasters

„Saint Denis“. Man hatte Marie de Perrin davor gewarnt, sich zu häufig an Deck aufzuhalten, da die Sonne in diesen Breiten viel stärker schien, als in den Gärten von Versailles und Sonnenschirme eine Dame nicht davor bewahren konnten, ihre vornehme Blässe zu verlieren.

Aber Marie de Perrin war das in diesem Augenblick gleichgültig. Die junge Frau freute sich nach der wochenlangen Überfahrt in die Karibik einfach zu sehr auf den Anblick festen Landes. Tagelang war ihr schlecht gewesen. Das dauernde Schwanken der „Saint Denis“ hatte sie seekrank gemacht. Sie hatte zwar davon gehört, wie strapaziös die Überfahrt war, hatte aber zuvor keine richtige Vorstellung von dem gehabt, was sie erwartete. Wie jene Männer das aushielten, deren Beruf es war, im Dienste des Sonnenkönigs zur See zu fahren und Verbindung zu den überseeischen Besitzungen zu halten, war ihr ein Rätsel. Es schien ihr, als ginge das über die Möglichkeiten der menschlichen Natur hinaus.

Marie de Perrin hatte noch immer ein flaues Gefühl in der Magengegend. Aber wenn sie ehrlich zu sich selbst war, so lag der Grund dafür nur zum Teil in der unruhigen See des Atlantiks…

Es gab da noch etwas anderes, was ihr auf der Seele lag. Die Sehnsucht nach jenem Mann, in den sie sie sich unsterblich verliebt hatte – auch wenn sich alle Welt gegen dieses Glück verschworen zu haben schien.

Sie trat an die Reling auf dem Achterdeck des Dreimasters und ließ den Blick schweifen. Eine geradezu paradiesisch wirkende Insel hob sich vom hellen Blau des Himmels und dem etwas dunkleren, mit grün durchmischten Blau der karibischen See ab.

„Das ist St.Kitts, Mademoiselle“, sagte Kapitän Jacques Bonneau, der neben Marie getreten war, ohne dass sie es zunächst bemerkt hatte.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER A. PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Miranda und Jaffar: Die Sarazenenbraut 1

Roman von W. A. Hary & Alfred Bekker

nach einem Exposé von Alfred Bekker

Zur Zeit der Kreuzzüge...

Prinz Jaffar von Damaskus ist in diplomatischer Mission unterwegs, er führt mit Albert de Montagnac, dem Anführer der Normannen in Antiochia Verhandlungen über ein Bündnis. Alberts Sohn Roger soll die schöne Miranda heiraten. Durch Zufall begegnen sich Miranda und Jaffar, zwischen ihnen schlägt es ein wie ein Blitz. Das führt zu mehr als nur diplomatischen Verwicklungen, es kann Krieg bedeuten.

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Alles rund um Belletristik!

1

Zeit der Kreuzzüge … im Heiligen Land!

Outremer …

Das Fest in der Burg von Antiochia war in vollem Gang. Bier und Wein flossen in Strömen. Betrunkene normannische Ritter fuchtelten mit ihren Waffen herum oder spießten mit einem Parierdolch ein Stück Fleisch auf.

Albert de Montagnac führte den Kelch zum Mund und nahm einen tiefen Schluck. Der Wein rann ihm den Hals entlang.

„Ein ausgelassenes Fest feiert Ihr hier!“, meinte der Gesandte aus Konstantinopel.

Albert rülpste.

„Das Leben ist kurz!“

„Fürwahr!“

„Wer den Tag nicht genutzt hat, ist am Abend tot, ohne etwas erlebt zu haben!“

Gejohle kam auf. Es wurde in die Hände geklatscht.

„Euer Sohn Roger lässt sich von seinen Freunden beim Geschlechtsverkehr mit einer Straßenhure anfeuern!“, stellte der Gesandte fest. „Soll er nicht bald heiraten?“

Albert de Montagnac lachte.

„Ihr klingt so empört wie ein sittenstrenger Muslim!“

„Ich dachte, die Ritter mit dem Kreuz widmen sich in erster Linie dem Kampf gegen die Ungläubigen und der Bekehrung der Heiden mit dem Schwert … und nicht der Wollust!“

„Wie ich schon sagte: Das Leben ist kurz und gefährlich. Ganz besonders hier, in diesem umkämpften Land.“

Der Lärm wurde jetzt so laut, dass man sich für einige Augenblicke nicht mehr verständigen konnte. Der Gesandte aus Konstantinopel war derart derbe Feierlichkeit offenbar nicht gewöhnt.

Er rümpfte die Nase.

Als es wieder etwas leiser wurde, wandte sich Albert kauend und schmatzend an ihn.

„Ich hoffe, Ihr könnt mir gute Nachrichten aus Konstantinopel überbringen.“

„Nun …“

„Zumindest solche, die etwas Hoffnung bringen.“

„Ich fürchte, ich muss Euch enttäuschen.“

„Soll das heißen, dem Kaiser ist das Schicksal der Christen in Outremer gleichgültig?“

„Das soll heißen, dass der Kaiser seine eigenen Probleme hat.“

„Keine Hoffnung auf Unterstützung?“

„Unterstützung im Gebet, mein Herr Albert!“

„Pah!“

„Aber er wird Euch keine Truppen gegen die Bedrohung aus Damaskus zur Unterstützung schicken können.“

„Ach so?“

„Und abgesehen davon gibt es ein paar Grenzstreitigkeiten zwischen Eurem Reich und dem des Kaisers, bei denen Ihr Euch bisher wenig nachgiebig gezeigt habt.“

„Ich bestehe auf verbrieften Rechten!“

„Das tut der Kaiser auch!“

Das Gesicht Alberts wurde jetzt sehr finster.

Missmutig warf er den nur halb abgenagten Knochen auf den Teller. So heftig tat er das, dass der Knochen vom Teller sprang.

„Es tut mir Leid, Albert. Ich habe getan, was ich konnte, um Eurem Standpunkt Gehör zu verschaffen.“

„Natürlich!“

„Es ist die Wahrheit.“

„Ja …“

In diesem Augenblick erschien Roger de Montagnac bei ihnen, der Sohn des Burgherrn. Er schien noch etwas außer Atem zu sein und ordnete seine Kleider.

„Darf ich Euch meinen Sohn vorstellen? Roger …“, sagte Albert de Montagnac.

„Es freut mich, Euch kennenzulernen“, sagte der Gesandte.

„Ganz meinerseits!“, erklärte Roger.

„Wie ich gesehen habe, stellt Ihr Euch jeder Herausforderung – genau wie Euer Vater!“

„Nun …“

„Hauptsache, Ihr übernehmt Euch nicht eines Tages.“

Rogers Blick glitt zur Seite.

Er bemerkte eine junge Frau. Ihr Name war Miranda de Lêtange und es war eine ausgemachte Sache, dass Roger sie heiraten sollte.

2

Manchmal muss man sich einfach in das Geschick des Herrn fügen, dachte sie.

Seit Miranda de Lêtange am normannischen Hofe von Antiochia verweilte, gegen ihren eigenen Willen, versuchte sie, das Beste aus dieser Situation zu machen.

Es war ja durchaus so üblich zu jener Zeit, dass die eigenen Kinder auf der Burg eines befreundeten oder verwandten Adeligen ausgebildet wurden. Hier also sollte Miranda vom adeligen Fräulein zur Hofdame erzogen werden. Doch viel lieber wäre sie jetzt in ihrem eigenen Zuhause gewesen, auf der Burg ihres geliebten Vaters, des Grafen von Lêtange. Er besaß als Lehen eine Burg im normannisch-syrischen Grenzgebiet.

Es war ja auch die Zeit der sogenannten Kreuzzüge, und nach der Eroberung von Teilen des Heiligen Landes durch die Kreuzfahrer hatten die christlichen Ritter verschiedene Staaten gegründet, die sich inzwischen allerdings erbittert bekämpften, statt solidarisch zusammenzuhalten, und gelegentlich sogar Bündnisse mit den muslimischen Nachbarstaaten eingingen. So gab es ständig wechselnde Koalitionen.

Gerade weil Mirandas Vater der Lehnsherr im normannisch-syrischen Grenzgebiet war, wollte der normannische Fürst Albert de Montagnac sich seiner unverbrüchlichen Loyalität versichern. Nicht nur indem er mit dem Grafen von Lêtange fortgesetzt freundschaftliche Beziehungen unterhielt, sondern auch über dessen Tochter Miranda. Indem beide sich nämlich darüber geeinigt hatten, dass – sobald Mirandas Ausbildung zur Hofdame als vollendet gelten durfte – sie selbstverständlich mit Roger de Montagnac, dem jüngsten Sohn des normannischen Fürsten, verehelicht werden sollte.

Eine gute Partie war das.

Oder auch eine politische Vernunftehe.

Miranda war sich dessen bewusst.

Aber, es gab Schlimmeres.

Und doch …

Wenn es nach ihr ging, dann musste der Tag der Hochzeit nicht allzu bald kommen.

„Ihr seht nicht glücklich aus“, stellte die Zofe fest, mit der Miranda sehr vertraut war. Sonst hätte sie es sich auch niemals herausgenommen, so offen mit ihr zu reden.

Miranda seufzte.

„Ich bin nur zurückhaltend.“

„Nein, ich kenne Euch! Und ganz ehrlich, ich verstehe Euch nicht.“

„So?“

„Wenn mich Roger de Montagnac heiraten wollte, dann würde ich jedenfalls in anderes Gesicht machen. Ich würde sagen … er ist doch ziemlich galant!“

„Galant?“

„Für einen Normannen – ja!“

Miranda lächelte. „Für einen Normannen.“

„Aber Ihr liebt ihn nicht?“

„Nein.“

Beinahe hoffte Miranda daher, dass diese Ausbildung, so sehr sie von ihr auch gehasst wurde, noch möglichst lange dauern würde. Wobei gewissermaßen jeder Tag, den sie dazu gewann, für sie ganz besonders zählte.

Wie hätte sie Roger je lieben können? Diesen verwöhnten Zögling des Fürsten, der wegen seines unsteten Lebenswandels genauso berüchtigt war wie durch seine aufbrausende Art?

Er galt für nicht wenige als ein Raufbold, mit dem man sich besser nicht anlegen sollte. Wie also hätte Miranda es wagen können, ihre Abneigung gegen ihn auch nur im Ansatz geltend zu machen und sie nicht noch weiterhin zu verschleiern? Sie, die allzu schlanke, um nicht zu sagen zierliche Frau, die sich gern der Muse hingab, dem Minnesang und da vor allem den lieblichen Klängen schwermütiger Lieder, die von Liebe und Glück erzählten, was es in der Realität eher selten zu geben schien?

Sie hätte sich nie vorstellen können, tatsächlich einmal auf so einen Mann zu treffen, von denen diese Lieder schwärmten, um sich diesem einen voll und ganz und ohne Reue hingeben zu dürfen.

Stattdessen war also dieser Roger für sie bestimmt? Ausgerechnet?

Sie liebte ihren Vater trotzdem. Wohl wissend, dass er keine andere Wahl hatte, als der Vermählung letztlich zuzustimmen. Allein schon, um seine Freundschaft mit Fürst Albert nicht zu gefährden, dem er womöglich alles verdankte, was er besaß und was er darstellte.

Dass umgekehrt Fürst Albert durchaus seine Gründe hatte für eine solche Verbindung, um sich eben endgültig der Loyalität des Grafen zu versichern, tat da sogar noch ein Übriges.

Ja, sie hatte durchaus alles versucht, es ihrem Vater auszureden. Doch sie hatte dabei erkennen müssen, wie sehr dieser selbst unter der Situation litt, ohne sich das allzu offensichtlich anmerken lassen zu dürfen. So waren nun einmal die Regeln an den Höfen des Mittelalters. Regeln, die sie mitgebracht hatten in das sogenannte Heilige Land.

Obwohl zu den bestehenden mittelalterlichen Regeln durchaus auch Neues hinzu gekommen war, wie eben der Minnesang und sogar die Falkenjagd, was die Europäer, allesamt von den Muslimen als Franken bezeichnet, besonders gern übernommen hatten.

Zumal es sich herausgestellt hatte, dass gerade die Muslime gegenüber den wackeren christlichen Rittern zwar militärisch als eher unterlegen bezeichnet werden mussten, allerdings keineswegs zivilisatorisch. Da war nämlich das genaue Gegenteil der Fall. Denn die Muslime jener Zeit waren den christlichen Eroberern sogar haushoch überlegen, was Medizin, Literatur und Musik anging. Kein Wunder also, dass die Ritter aus dem fernen Europa solches gern übernahmen.

Miranda war besonders froh um diesen Umstand. Half es ihr doch sehr, ihre Traurigkeit zu überwinden, gepaart mit der Furcht vor einer nicht allzu rosig erscheinenden Zukunft an der Seite eines Roger de Montagnac, der nicht müde wurde, ihr seine Avancen zu machen. Siegessicher, um nicht zu sagen prahlerisch. Wobei er nach Meinung Mirandas den Kavalier nur heuchelte. Weil sie sich nicht vorstellen konnte – ja, nicht wollte!–, dass er zu so etwas tatsächlich fähig gewesen wäre.

Es kam inzwischen immer häufiger vor, dass Miranda sich wünschte, ihr Vater hätte sich doch anders entschieden. Auch wenn er dadurch die Freundschaft des Fürsten Albert verloren hätte. Vielleicht hätte Otto Graf de Lêtange dabei die Gelegenheit genutzt, den größten Alptraum des Fürsten wahr werden zu lassen und ein Bündnis mit den Syrern einzugehen, die sich ja unmittelbar vor seiner Grenze befanden? Oder auch nur mit den christlichen Staaten im Libanon? Es wäre jedenfalls wahrlich bedrohlich geworden für das kleine Normannenreich, da es derzeit keine Unterstützung aus Konstantinopel gab.

Es blieb bei diesem Wunsch, da sie gleichzeitig wusste, dass ihr Vater tatsächlich zu loyal war gegenüber Fürst Albert, um ihn dermaßen zu hintergehen, obwohl er dadurch das Glück seiner eigenen und einzigen Tochter hätte retten können.

Er war nun einmal ein Kreuzritter der alten Schule, der seine Freunde und Kampfgefährten niemals hinterging, ja, noch nicht einmal hinterfragte.

Zu Mirandas Leidwesen.

3

Prinz Jaffar, einer der Söhne von Ahmad, dem Herrscher von Damaskus, war eine beeindruckende Erscheinung. Seine dunklen Augen konnten regelrecht Blitze verschießen. Zum einen, um Gegner zur Vorsicht zu gemahnen, zum anderen, um Frauenherzen höher schlagen zu lassen.

Jaffar hatte jedoch nicht wirklich Interesse daran, also an beidem nicht. Er nutzte sein Auftreten, seine imposante Erscheinung und sein Verhandlungsgeschick viel lieber zur Diplomatie. Er wollte keine Gegner in ihre Schranken verweisen, sondern ganz im Gegenteil Gegnerschaft von vornherein auf diplomatischem Wege verhindern. Er wollte keine Frauenherzen dahin schmelzen lassen, sondern seine Augen suchten in Wahrheit und ausschließlich nach jener einen, der er sein Herz schenken durfte und die leider bis heute nicht in sein Leben getreten war.

Er war jedoch höchst zuversichtlich, dass es eines Tages geschehen würde. Ja, eines Tages. Das konnte heute sein, vielleicht erst morgen oder gar in zehn Jahren. Aber er würde geduldig darauf warten und war sich sehr sicher, dass er sogleich merken würde, ob es tatsächlich die einzig Richtige war. Um nur ihr Herz dahinschmelzen zu lassen. Um sie festzuhalten und niemals mehr loszulassen. Was auch immer sich ihnen entgegenstellen sollte.

Wenn er den Raum betrat, verstummten Gespräche, erregte er höchste Aufmerksamkeit, allein nur mit seiner Anwesenheit. So auch an diesem Tag, als er den großen Rittersaal am Hofe von Antiochia betrat.

Nicht nur, weil man ihn bereits erwartete auf seiner diplomatischen Mission, ausgesandt von seinem Vater Ahmad, vom Herrscher über Damaskus höchstpersönlich also, sondern eben weil er eine solche Erscheinung war.

Seine Begleiter, die nicht nur seinem Schutz dienten, sondern auch Geschenke für Gastgeber Fürst Albert mitbrachten, wurden dabei gar nicht mehr beachtet. Noch nicht einmal besagte Geschenke. Als wären sie unwichtig geworden. Als würde eben nur der Prinz selbst zählen.

Sogar Fürst Albert war im höchsten Maße beeindruckt. Es war das erste Mal, dass Prinz Jaffar ihm die Ehre gab. Dabei war der Anlass sogar noch als eher nichtig zu bezeichnen, obwohl das Erscheinen des Prinzen deutlich vermittelte, wie wichtig es für seinen Vater jetzt schon war, für den Herrscher von Damaskus, der sich bedrängt sah von den christlichen Byzantinern und sich nun von Fürst Albert die nötige Unterstützung erhoffte. Zumal das normannische Reich von Antiochia ebenfalls Probleme mit Konstantinopel hatte, die beinahe schon über reine Grenzstreitigkeiten hinausgingen.

Erst einmal sollte es lediglich um Sondierungsgespräche gehen. Trotzdem. Ein erstes gegenseitiges Abtasten ergo, wenn man so wollte. Aber dass er eben dafür schon seinen Sohn Jaffar vorgeschickt hatte, stufte Fürst Albert durchaus als besonders bedeutsam ein.

Er neigte ja längst selbst dazu, einem solchen Bündnis zum gegenseitigen Vorteil zuzustimmen, doch es wäre von seiner Seite aus gesehen strategisch sehr unklug erschienen, jetzt schon so etwas auch nur durchblicken zu lassen. Auch wenn der Herrscher von Damaskus so offensichtlich sein eigenes Interesse betonte.

Fürst Albert nahm sich auch noch weiterhin vor, auf jeden Fall standhaft zu bleiben, um für sich und das normannisch-syrische Reich das Allerbeste mittels eines solchen Bündnisses zu erreichen. Da mochte Prinz Jaffar noch so überzeugend auftreten. Fürst Albert durfte sich nicht allzu sehr davon beeindrucken lassen.

Mit einem charmanten Lächeln und einer gekonnt höfischen Verbeugung, so galant, wie sich niemand noch eine Steigerung hätte vorstellen können, zeigte der Prinz schließlich seine Ehrerbietung, sobald er im schicklichen Abstand zum Thron des Fürsten gestoppt hatte, während seine Begleiter zu einer viel tieferen Verbeugung auf die Knie fielen, den Kopf tief, bis fast zum Boden, senkten und dabei gleichzeitig die mitgebrachten Geschenke vorhielten.

Fürst Albert winkte läppisch mit der Linken und gab mit der Rechten einen Fingerzeig, um seine Saaldiener anzuweisen, die Geschenke entgegen zu nehmen.

„Euer Besuch als der Besuch des Prinzen von Damaskus soll mir zur Ehre gereichen!“, versprach der Fürst dabei auch noch mit getragener Stimme, doch die Nase gerümpft, wie man es von seinem hohen Amt erwartete.

Prinz Jaffar blieb vor ihm stehen, den Kopf gesenkt.

Beinahe vorsichtig wirkte es, als er den Kopf schließlich hob, sogleich jedoch wieder die Augen niederschlug, um mit eher gedämpfter Stimme und dennoch deutlich verständlich zu sagen: „Es gereicht vor allem mir und meinem Volk zur größten Ehre, von Euch empfangen zu werden!“

Dabei sprach er die Sprache der Normannen dermaßen perfekt, dass ein leises Raunen durch den Saal ging.

Es war ja nicht nur die Delegation um Prinz Jaffar und Fürst Albert und seine Saaldiener anwesend, sondern alles von Rang und Namen am Hofe des Fürsten. Wie es opportun war während eines diplomatischen Empfangs, obwohl es offiziell eben nur um erste Sondierungsgespräche zweier Reiche gehen sollte.

Fürst Albert hatte nun nur noch Augen für den Prinzen, der jetzt die Knie beugte, bis sein linkes Knie den Boden berührte. Sein rechtes Knie behielt er oben, während er sich halb verbeugte, den linken Arm dabei leicht angewinkelt. Mit seinen sogenannten Pumphosen und den Puffärmeln entstand dabei ein buntes Bild, als würde sich ein junger Gott vor einem noch Mächtigeren beugen. Wobei sein Blick jedoch ruhig und keineswegs unterwürfig auf den Fürsten gerichtet blieb.

Fürst Albert sah in diese abgrundtiefen Augen und spürte ein leises Erschauern. Das war ihm noch niemals in seinem bisherigen Leben widerfahren. Und jetzt erschien ihm endgültig klar, wieso der Herrscher von Damaskus genau diesen Sohn zu ihm entsandt hatte.

Das also war Prinz Jaffar? Wurde nicht gemunkelt, dass sein Vater ihn als seinen Nachfolger vorgesehen hatte, obwohl er nicht der Älteste seiner Söhne war? Sicherlich ein Umstand, der seinem ältesten Bruder Yussuf ganz und gar nicht gefallen dürfte. Allerdings eine Entscheidung, die Fürst Albert just in diesem Moment durchaus nachzuvollziehen verstand.

Und das, obwohl Prinz Jaffar sogar von allen seinen Söhnen der Jüngste war.

Hätte er ebenfalls so gehandelt, wäre der Prinz einer seiner Söhne gewesen?

Es war kein Zufall, dass Fürst Albert in diesem Moment an seinen Sohn Roger denken musste. Der Jüngste seiner eigenen Söhne, geradezu vergleichbar eben, weil Jaffar der Jüngste war unter den Brüdern von Damaskus.

Nein, da verbot sich ansonsten eigentlich jeglicher Vergleich, obwohl Fürst Albert de Montagnac trotzdem große Stücke auf seinen Jüngsten hielt. Und das, auch wenn ihm hin und wieder Dinge zu Ohren kamen, die ihm nicht so recht gefallen wollten, weil Roger das Leben anscheinend noch immer nicht ernst genug nahm. Genauso wenig wie seine Rolle als jüngster Sprössling des Fürsten von Antiochia, somit des mächtigsten Mannes des ganzen Reiches.

Er hoffte daher sehr, dass die irgendwann zu erfolgende Vermählung mit Miranda de Lêtange aus ihm endlich den verantwortungsbewussten Mann werden ließ, den er sich als Vater so sehr wünschte.

Sein Blick irrte ein wenig unstet umher, bis er Roger gefunden hatte, der zumindest seiner Pflicht nachgekommen war, anwesend zu sein bei einem solchen Empfang.

Seine Blicke irrten weiter. Miranda de Lêtange war nicht anwesend. Das durfte sie erst, wenn ihre Ausbildung zur Hofdame vollendet war. Bis dahin musste sie bescheidene Zurückhaltung üben und den bereits bewährten Hofdamen und Hofherren den Vortritt lassen.

Fürst Albert erhob sich von seinem Thron und wies Prinz Jaffar mit beiden Händen an, sich ebenfalls zu erheben.

Jetzt standen sie sich gewissermaßen gegenüber, Prinz Jaffar am Fuße des Aufgangs, Fürst Albert oben, vor seinem erhabenen Thron. Ebenfalls eine durchaus beeindruckende Persönlichkeit.

Sie sahen sich gegenseitig an. Bis der Fürst empfahl, dass sie sich doch beide gemeinsam in den angrenzenden Speisesaal begeben möchten, um ein erstes Gespräch beim gemeinsamen, bereits vorbereiteten Festmahl zu beginnen.

4

Mirandas Ausbildung zur Hofdame duldete keine Pausen. Sie musste sich an genau vorgeschriebene Abläufe halten. Das waren für sie immer wiederkehrende Rituale, bis wirklich jede Kleinigkeit, jegliche Nuance des Verhaltens, sogar die Art, wie sie zu gehen hatte, in Fleisch und Blut übergegangen waren. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Es war anstrengend. Sehr anstrengend sogar. Mit nichts vergleichbar, was sie in den vorangegangenen Jahren als Tochter eines Grafen und Lehnsherrn hatte tun müssen.

Klar, sie war eben auch vorher die Tochter eines Grafen gewesen. Also hatte sie von Kindesbeinen an in ihre Rolle hineinwachsen müssen, wie die Etikette es verlangte. Doch ihr Vater war darin eher lasch geblieben. Dadurch hatte sie mehr Freiheiten genossen, als einzige Tochter von Otto Graf de Lêtange, als für ihre jetzige Ausbildung hätte nützlich sein können.

Hinzu kam auch, dass sie absichtlich alles verzögerte, um noch möglichst viel Zeit herauszuschinden, ehe es wirklich ernst wurde und sie Roger de Montagnac nicht mehr länger abweisen durfte, obwohl sie gerade diesen am liebsten für immer in seine Schranken verwiesen hätte. Gewissermaßen: Jeder andere, aber bloß nicht dieser!

Und jetzt der Empfang. Der Prinz von Damaskus in diplomatischer Mission, wie die Hofdamen munkelten. Natürlich hinter vorgehaltener Hand, wie es sich gehörte, und bloß nicht in Anwesenheit eines Mannes, denn eine solche hätte genau vorgeschriebene Verhaltensweisen von ihnen gefordert. Die natürlich jede von ihnen perfekt beherrschte.

Miranda war alles andere als neidisch auf diese Art von Fertigkeiten. Das ganze höfische Gehabe und Getue ging ihr ganz im Gegenteil gehörig auf die Nerven. Was sie allerdings niemals hätte laut werden lassen dürfen.

Der einzige Trost bei alledem war eigentlich, dass sich natürlich auch die Herren am Hofe an genau vorgeschriebene Verhaltensweisen halten mussten. Kein Mann durfte sich so verhalten, wie man es nicht von einem Herrn erwartete, der für sich Respekt vor Rang und Namen reklamierte. Sonst war er eben kein Herr und vor allem keiner, der an den Hof eines Fürsten de Montagnac gehörte.

Hinzu kam auch noch die zwingend vorgeschriebene Kampfausbildung der Herren, der sich keiner entziehen durfte. Und wehe, wenn er dort nicht brachte, was man von ihm verlangte. Wenn er dadurch gar zum Gespött aller anderer werden sollte.

Nein, beneidenswert waren auch nicht die Herren am Hofe. Sie hatten es keineswegs leichter als die Damen. Vor allem auch, weil genau sie permanent unter Beobachtung waren, während die Damen immerhin nur dann ihr Rolle spielen mussten, wenn sie nicht unter sich waren.

Obwohl es durchaus einige Damen gab, die eigentlich immer so waren. Als wäre es ihnen regelrecht angeboren. Genauso wie es Herren gab, die stets und ständig als das erschienen, was man vielleicht abfällig als blasiert bezeichnen konnte.

Ein Wort, das anscheinend niemand hier am Hofe kannte außer Miranda, die allerdings niemals dieses Wort in den Mund genommen hätte. Sie war bloß froh, wenn man sie halbwegs in Ruhe ließ, damit alles vielleicht doch ein wenig erträglicher blieb.

An diesem heutigen Tag war allerdings alles ein wenig anders. Die Hofherren und nur mit solchen liierte Hofdamen mussten beim Empfang zwingend mit anwesend sein. Auch nach dem anschließenden Bankett. Lediglich als Staffage, wie Miranda die diesbezüglichen Bemerkungen der davon ausgeschlossenen Hofdamen wertete. Keineswegs, weil sie sich auch nur im Geringsten an den Verhandlungen zwischen diesem Prinzen Jaffar und Fürst Montagnac hätten beteiligen dürfen oder sogar müssen.

Nein, die Verhandlungen wurden einzig und allein von den beiden Verhandlungspartnern geführt. Sozusagen in vorgetäuscht lockerer Runde, beim Einnehmen eines opulenten Mahles, bei dem kaum eine Köstlichkeit fehlte.

Die Damen und Herren, die nicht den Rang oder die Bedeutung hatten, daran teilnehmen zu müssen, durften höchstens heimlich beobachten, was da ablief. Falls es ihnen nicht doch viel zu langweilig war. Weil eben nur diese beiden sprachen, wenn überhaupt. Jeder andere hatte gefälligst zu schweigen, bis es einem von beiden einfiel, um das Wort des einzelnen zu bitten.

Das traf auf alle Anwesenden vom Hofe des Fürsten genauso zu wie für alle Teilnehmer der Delegation aus Damaskus.

Wobei das Schweigen naturgemäß nicht vollkommen war, trotz aller höfischer Ausbildung. Es blieb jedoch auf ein eher unterschwelliges Raunen und Murmeln begrenzt, das von Jaffar und seinem Gastgeber geflissentlich überhört wurde.

Dabei blieb das Gefolge des Prinzen auch noch ganz besonders zurückhaltend, zumal es sich nur teilweise überhaupt an diesem Mahl beteiligen durfte. Den meisten erging es so wie denjenigen am Hofe, die draußen bleiben mussten. Und sie vermieden dabei tunlichst, mit den Herren und Damen vom Hofe auch nur in Kontakt zu kommen.

Das fiel nicht allzu schwer, weil sowieso jeder sie mied. Weil jeder am Hofe wusste, wie er sich verhalten musste in einer solchen Situation. Nichts durfte geschehen, was die Verhandlungen hätte gefährden können. Einzig und allein die Verhandlungsführer durften bestimmen oder auch nur sich offen äußern. Wenngleich sogar das nur innerhalb dessen, wie es diplomatisch opportun erschien.

Darin zumindest waren sich Prinz Jaffar und Fürst Albert schon von vornherein völlig einig. Wobei beide voneinander höchst beeindruckt erschienen. Fürst Albert nicht nur deshalb, weil sein Gast sich so flüssig seiner eigenen Sprache befleißigte, gerade so, als wäre er hier am Hofe aufgewachsen, sondern vor allem auch, weil er deutlich spürte, wie sehr beide Parteien verbunden waren im Ideal des wahren Rittertums.

Denn genau das gab es nämlich auf allen Seiten. Nicht nur eben auf der Seite der Europäer, also denjenigen, die von den Muslimen allesamt Franken genannt wurden, sondern natürlich auch bei allen muslimischen Staaten im Umkreis, obwohl sich die sogenannten Franken als Eroberer fühlen durften. Zumindest was das Heilige Land betraf und da jene Gebiete, die sie besetzt hielten und zu ihren eigenen hatten machen können.

Wären die Umstände andere gewesen, so glaubte Fürst Albert während des Gesprächs mit Prinz Jaffar, hätte der junge Prinz durchaus als ein Freund bezeichnet werden können. Nicht nur als ein Freund von Antiochia, sondern auch als ein persönlicher Freund des Fürsten selbst.

Eine Sympathie, die durchaus gegenseitig war, obwohl sich beide dennoch sehr bemühten, darüber nicht das eigentliche Ziel aus den Augen zu verlieren: Ein zukünftiges Verhandlungsergebnis nämlich, das beiden Seiten im idealen Sinne zugute kommen würde.

Fürst Albert schien sich jetzt, während dieser Vorverhandlungen, denn mehr war das ja nicht, was sie hier taten, schon auf weitere Verhandlungen mit dem Prinzen von Damaskus zu freuen.

Allen Anwesenden war dies alles natürlich keineswegs entgangen. Sogar jenen nicht, die heimlich hereinspähten, wenngleich nur kurzzeitig, weil andere bereits nachdrängten, die ebenfalls unbedingt einen Blick riskieren wollten.

Vor allem unter den angehenden Hofdamen war inzwischen sogar eine gewisse Unruhe entstanden, denn es gab kaum eine unter ihnen, die den Prinzen nicht für besonders attraktiv hielt.

Das entlockte Miranda allerdings lediglich ein leichtes Lächeln. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es einen Mann geben könnte, für den es auch nur im Ansatz so sehr zu schwärmen lohnte. Zumal es sich hier wohl um einen Mann handelte, der im wahrsten Sinne des Wortes viel zu weit weg war von allem, was eine angehende Hofdame je hätte erreichen können.

Und selbst wenn es einer gelungen wäre, das Herz des Prinzen zu erobern: Es war gar nicht auszudenken, welche diplomatischen Verwicklungen dies verursacht hätte. Immerhin stand bei diesen Verhandlungen möglicherweise die Zukunft von Antiochia ebenso auf dem Spiel wie die Zukunft von Damaskus.

Trotzdem und obwohl Miranda sich standhaft weigerte, kam sie am Ende nicht umhin, doch einmal selber einen Blick zu riskieren. Vielleicht ja nur einen allzu flüchtigen Blick, weil sie sich nicht vorstellen konnte, etwas zu sehen zu bekommen, was für mehr als nur einen flüchtigen Blick taugte.

Doch dann sah sie selbst Prinz Jaffar, der sich ausgerechnet in diesem Augenblick ein charmantes Lächeln gestattete, das sogar irgendwie von Fürst Albert erwidert wurde.

Das allein schon war eigentlich recht ungewöhnlich bei der gewohnten Strenge, mit der sich Fürst Albert normalerweise seinem Hof präsentierte.

Allerdings kam Miranda gar nicht dazu, dies überhaupt bewerten zu wollen, weil sie bei ihrem ersten Blick, mit dem sie Prinz Jaffar erfasste, nicht mehr von diesem Anblick loskam. Es war, als würde die Zeit für sie stillstehen. Nichts schien sich mehr im großen Speisesaal zu rühren, in dem das Gelage zu Ehren der diplomatischen Delegation unter der Führung von Prinz Jaffar stattfand. Jegliches Geräusch wurde zu einem fernen Rauschen und kaum wahrnehmbaren Raunen gedämpft.

Es war, als würde das Gesicht von Prinz Jaffar auf Miranda zurasen, so dass sie ihn dermaßen deutlich betrachten konnte, als würde er sich direkt vor ihr befinden.

Dabei vergaß sie nicht nur zu atmen, sondern ihr Herz vergaß, weiter zu schlagen.

Ja, gewiss, es gab kaum eine angehende Hofdame und sicherlich auch kaum eine der im Speisesaal offiziell anwesenden Hofdamen, der es nicht ähnlich erging wie den allzu verzückten angehenden Hofdamen und heimlichen Beobachtern. Und doch war das bei Miranda noch völlig anders. Denn Miranda geriet keineswegs dadurch lediglich ins Schwärmen. Sie war noch nicht einmal entzückt. Sie war einfach nur wie zu Stein erstarrt und hatte alle Mühe, wieder zurückzufinden in die eigentliche Realität.

Als ihr das endlich gelang – nach welcher Zeit? – musste sie erst einmal nach Luft schnappen wie der sprichwörtliche Fisch auf dem Trockenen. Und hätte ihr Herz sich nicht auch endlich wieder darauf besonnen, gefälligst zu schlagen, wäre sie womöglich trotzdem in Ohnmacht gefallen.

Die angehenden Hofdamen in ihrer Begleitung sahen das natürlich und kicherten amüsiert. Zumal Miranda ja vorher großspurig so getan hatte, als würde sie das alles sowieso nicht im Geringsten interessieren können.

Sie blinzelte jetzt verwirrt, ignorierte den Spott, den sie erntete, und musste sich mit einer Hand an der Wand abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dabei krampfte sich die freie Hand vor ihrer bebenden Brust zusammen. Das sah so aus, als wollte sie sich das eigene Herz herausreißen, weil es auf einmal so schrecklich schmerzte.

Es war nicht nur dieser Schmerz, sondern es war andererseits, als hätte sie irgendein Gift geschluckt, das ihren zitternden Körper flutete, um ihn zu lähmen und ihm jegliches andere Gefühl zu nehmen. Außer eben diesem Schmerz in ihrer Brust, der sich in die Magengegend auszubreiten anschickte. Wo aus dem Schmerz ein Kribbeln wurde, wie Miranda es noch niemals zuvor erlebt hatte. Ja, sie hätte so etwas noch nicht einmal für möglich gehalten.

Und sie hatte nicht die geringste Ahnung, was da überhaupt mit ihr los war.

Die angehenden Hofdamen umso mehr, denn eine von ihnen flüsterte entsetzt: „Die hat sich Hals über Kopf verliebt in den Prinzen!“

Miranda hörte es sehr wohl, doch sie wollte sogleich angemessen erzürnt solches weit von sich weisen.

Allein, ihre Stimme versagte ihr nachhaltig den Dienst.

5

Der Palast von Damaskus mit dem riesigen Eingangstor, das allen Vorbeigehenden zu verstehen zu geben schien, dahinter könnten sich nur Giganten befinden, stach aus allem hervor, was Damaskus zu jener Zeit ausmachte. Doch der eigentliche Prunk war dennoch erst im Innern so deutlich, wie Ahmad von Damaskus es gerade noch zuließ. Alles war nach seinem eigenen Gusto, seinen eigenen Bedürfnissen und Wünschen eingerichtet. Und seinem Willen hatten sich gefälligst alle unterzuordnen. Vor allem seine Söhne.

Wenn er also bestimmte, dass ausgerechnet sein jüngster Sohn von ihm zur Nachfolge bestimmt werden sollte, dann duldete das keinerlei Widerspruch. Auch nicht von seinem Ältesten namens Yussuf.

Allah hatte ihm die Gnade erwiesen, nur Söhne haben zu dürfen. Das war für Ahmad von Damaskus gewissermaßen die freie Auswahl, was eine mögliche Nachfolgeschaft betraf. Und da nahm er keinerlei Rücksicht auf höfische Traditionen. Es zählte eben nur sein eigener Wille.

Wann immer er darüber nachdachte, um jeden seiner Söhne zu beurteilen, nach seinen jeweiligen Fähigkeiten, Vorzügen, Schwächen und auch nach dem jeweiligen Verhalten, schnitt nur einer hervorragend ab, eben sein jüngster Sohn Jaffar.

Es war ja nicht gerade ein Zufall, dass er ausgerechnet diesen auf eine so wichtige diplomatische Mission nach Antiochia entsandt hatte. Jedem anderen seiner Söhne hätte er niemals auch nur annähernd genügend Verhandlungsgeschick zugetraut, um für Damaskus das Beste dabei erreichen zu können. Immerhin bei einem so schwierigen Verhandlungspartner wie Fürst Albert.

In der Tat gab es natürlich auch keinen Widerspruch, den ja zumindest offiziell sowieso niemals jemand gewagt hätte. Besonders nicht sein ältester Sohn Yussuf, obwohl dieser sich seit der Bekanntgabe, dass ausgerechnet Jaffar auch noch als höchster diplomatischer Vertreter von Damaskus entsandt werden sollte, in tiefstem Zorn verzehrte. Einem Zorn, der inzwischen längst zu mörderischem Hass geworden war. So sehr, dass er nicht weiter an sich halten konnte und längst alles getan hatte, um seine Brüder ebenfalls gegen Jaffar einzunehmen.

Jedem von ihnen war klar geworden, dass die Ernennung Jaffars als höchster Diplomat nichts anderes bedeuten konnte, als dass er nun unwiderruflich der Nachfolger des kränkelnden Vaters werden sollte. Eine Nachfolge, die vielleicht noch Jahre auf sich warten lassen könnte, die aber auch schon morgen Realität zu werden drohte. Falls es Ahmad von Damaskus nicht gelang, die Krankheit mit Hilfe der sehr bemühten Ärzte, die alles für ihn taten, zu überwinden.

Ausgerechnet die Abwesenheit Jaffars sorgte dafür, dass seine eigenen Brüder ungestört unter der Führung des Ältesten darüber nachsinnen konnten, wie sie darauf reagieren mussten. Denn keiner von ihnen, da hatte Yussuf auf jeden Fall ganze Arbeit geleistet, wollte das so einfach hinnehmen.

Offiziell konnte niemand etwas tun, denn das Wort ihres Vaters war Gesetz, und jedes Widerwort war Gesetzesbruch und wurde gnadenlos bestraft. Dabei machte Ahmad von Damaskus auch vor den eigenen Söhnen nicht Halt. Er duldete keine Ausnahmen, in der Annahme, ansonsten sein Gesicht zu verlieren.

Einerseits war er durchaus beim Volk beliebt und konnte durchaus ein gerechter und im Einzelfall sogar barmherziger Herrscher sein. Nicht jedoch, wenn jemand den Pfad der unverbrüchlichen Loyalität ihm gegenüber zu verlassen wagte. Dann musste er rigoros ein solches Verbrechen, wie er es nannte, sühnen.

Angesichts dessen würde keiner seiner Söhne eigentlich etwas gegen eine solche Entscheidung unternehmen können. Eben auch Yussuf nicht. Es sei denn …

Yussuf wagte es als einziger, es laut auszusprechen: „Jaffar muss sterben!“

Sie sahen ihn alle an, in einer Mischung von Entsetzen und Nachdenklichkeit. Denn einerseits wusste jeder von ihnen, dass ein Brudermord das schlimmste Verbrechen war, das man begehen konnte. Andererseits jedoch schien dies tatsächlich die einzige Möglichkeit zu sein, die ihnen allen noch blieb, um der Entscheidung ihres Vaters doch noch jegliche Grundlage nehmen zu können.

Es konnte wohl niemand Nachfolger werden, wenn er nicht mehr lebte.

Blieb also eigentlich nur noch die entscheidende Frage, wie, wann und unter welchen Umständen dies geschehen sollte. Immerhin durfte nichts jemals darauf hinweisen, dass ausgerechnet die eigenen Brüder dahinter steckten. Wirklich gar nichts! Denn es war ihrem Vater durchaus zuzutrauen, dass er sie allesamt blutig zur Rechenschaft gezogen hätte für diese wahrhaft schändliche Tat.

So sie denn tatsächlich vollendet werden sollte.

„Keine Angst!“, beruhigte Yussuf seine verbündeten Brüder und kniff seine Lippen so fest zusammen, dass sie nur noch einen schmalen weißen Strich bildeten. „Wir werden den richtigen Zeitpunkt erfahren, denn es ist mir gelungen, in seiner eigenen Delegation einen wichtigen Verbündeten zu finden. Er wird uns auf dem Laufenden halten. Durch ihn werden wir genug erfahren, um eine endgültige Entscheidung treffen zu können.“

6

Dieser eine, der nicht würdig genug erschien, um gemeinsam mit dem Prinzen am Festmahl teilnehmen zu dürfen und stattdessen draußen bleiben musste bei all den anderen Unwürdigen, hörte auf den Namen Ali. Dabei war er sich ziemlich sicher, dass Prinz Jaffar ihn gar nicht mit Namen hätte benennen können, obwohl er dem Prinzen schon so lange treu ergeben war. Eine Treue, die ihm bis jetzt jedoch selber nichts eingebracht hatte. Und wenn er dann sah, wie der Prinz seine wahrhaft Getreuen bei sich versammelt hatte, dort im Festsaal, schien es ihm, als würde sich eine eisige Hand um sein pochendes Herz klammern. Er konnte dabei nicht verhindern, dass seine Zähne zu knirschen begannen.

Doch dann dachte er wieder an das großzügige Angebot von Prinz Yussuf. Dieser allein hatte die wahren Fähigkeiten Alis erkannt und war bereit, ihn angemessen zu behandeln. Ganz im Gegensatz zu Prinz Jaffar. Von daher gesehen rührte ihn keinerlei schlechtes Gewissen, weil er sich bereit erklärt hatte, für Yussuf den Spion zu spielen.

Ganz im Gegenteil: Er freute sich bereits auf die angemessene Belohnung. Mehr als angemessen sogar, denn wenn alles gut verlief, war der Prinz ihm Dankbarkeit schuldig, und gewiss würde er sich dafür erkenntlich genug zeigen, auch für die weitere Zukunft.

Aber noch war es nicht so weit. Er war hier, um zu beobachten, zu analysieren und zu berichten, nicht, um zu handeln. Vorerst jedenfalls nicht. Alles Weitere musste sich erst noch ergeben.

Ali war dabei sogar ein verteufelt guter Beobachter, dem wirklich nichts zu entgehen schien. Auch nicht die Reaktion Mirandas, als diese des Prinzen ansichtig wurde.

Er verfolgte die angehenden Hofdamen, die Miranda anschließend zu deren Gemach begleiteten.

Ausgerechnet diese Miranda galt sogar als zukünftige Gattin des Sohnes von Fürst Albert. Mit seinen stets wachsamen Ohren hatte er dahingehend zumindest fragmentarisch etwas vernommen. Den Rest hatte er sich sehr gut selbst zusammenreimen können. Und deshalb durfte diese Miranda wohl auch allein ihr Gemach bewohnen, während andere angehende Hofdamen ihre Gemächer miteinander teilen mussten.

Dabei hatte es auch für Ali so ausgesehen, als sei Miranda angesichts des Prinzen regelrecht in eine Schockstarre gefallen. Ohne Zweifel hatte sie sich wie vom Blitz getroffen in ihn verliebt.

Noch war ihm nicht klar, ob dies wirklich von Nutzen sein konnte für seine besondere Mission, aber auch das musste sich erst noch zeigen. Denn einerseits hatte Miranda zwar Prinz Jaffar gesehen, aber umgekehrt ahnte der Prinz noch nicht einmal, dass sie überhaupt existierte. Geschweige denn, dass sie sich hier am Hofe befand.

Ali überlegte. Dabei fühlte er sich ganz ruhig. Um nicht zu sagen nüchtern. Er kalkulierte die Zusammenhänge und hatte auf einmal eine Idee: Was passierte wohl, wenn Prinz Jaffar dieser Miranda begegnete, so richtig von Angesicht zu Angesicht?

Aber wie sollte dies überhaupt möglich werden?

Ihm wollte ausgerechnet dazu zunächst nichts Brauchbares einfallen. Doch er nahm sich vor, nicht locker zu lassen.

Und dann beobachtete er, dass Miranda nicht lange in ihrem Gemach blieb. Kaum hatten die anderen angehenden Hofdamen sie verlassen, da erschien sie wieder in der Tür. Sie wirkte inzwischen so ruhig und irgendwie abgeklärt, wie schon, bevor sie Jaffar gesehen hatte, und doch jetzt auch ein wenig grüblerisch. Da stahl sich sogar eine leichte Denkfalte auf ihre hübsche Stirn. Was ihrer Schönheit keineswegs Abbruch tat.

Ein wirklich schönes adeliges Fräulein, musste Ali neidlos anerkennen. Und eigentlich hätten sie und Prinz Jaffar doch gut zusammengepasst, obwohl sie aus zwei verschiedenen Kulturen und vor allem verschiedenen Religionskreisen stammten. Was die Angelegenheit natürlich enorm erschwerte.

Aber genau deshalb erschien es Ali so besonders interessant, vielleicht dabei ein wenig so etwas wie das Zünglein an der Waage zu spielen. Denn was, wenn sich nun beide tatsächlich ineinander verlieben sollten? Also nicht nur einseitig, sondern gegenseitig? Wie würde darauf Jaffars Vater reagieren?

Ein hässliches Grinsen verunzierte seine Visage. Beinahe hätte er sich in Vorfreude darauf schon die Hände gerieben, aber er konnte es noch rechtzeitig unterdrücken.

Bisher war Ali stets unscheinbar geblieben, eine unbedeutende Randfigur, die kaum jemand wahrnahm. Ein Umstand, unter dem er praktisch sein Leben lang gelitten hatte. Der ihm aber in seiner jetzigen Rolle in einem Maße von Nutzen war, wie er es sich niemals zuvor hätte erträumen können.

Nicht nur deshalb war er dem Prinzen Yussuf schier unendlich dankbar, dass er ausgerechnet ihn mit dieser besonders wichtigen Aufgabe betraut hatte. Und er würde wirklich alles tun, um Prinz Yussuf nicht zu enttäuschen.

Wenn Yussuf dann irgendwann die Nachfolge des Herrschers von Damaskus antreten würde, dann würde er sich an die wertvolle Hilfe seines Getreuen namens Ali erinnern müssen.

Auf jeden Fall.

7

Miranda war ärgerlich, und zwar auf sich selbst. Was war bloß los mit ihr? Hatte sie schon jemals auch nur annähernd so die Fassung verloren? Sie konnte sich jedenfalls nicht erinnern. Und allein schon beim Anblick eines solch fremden Mannes? Ausgerechnet? Das war doch nicht sie selbst. Das durfte sie gar nicht sein.

Deshalb hatte sie sich entschlossen, sich nicht länger zurückzuhalten. Sie empfand es nachgerade als eine Art Herausforderung, die sie durchaus gewillt war anzunehmen. Jetzt erst recht sogar.

Man würde jedenfalls sehen, was mit ihr geschah, wenn sie noch einmal diesen Prinzen von Damaskus zu Gesicht bekam. Sie war jetzt schon fest davon überzeugt, dass es sie das nächste Mal völlig kalt lassen würde. Was denn sonst? Dieses eine Mal, das war sicherlich der besonderen Situation geschuldet gewesen. Denn einerseits war sie ja nur eine angehende Hofdame von einigen, jedoch mit gewissen Privilegien, weil sie eben für Roger de Montagnac vorgesehen war. Das wussten alle. Also hielten sie sich in gewissem Sinne auf Distanz zu ihr.

Das war zwar vorhin anders erschienen, weil sich die angehenden Hofdamen wirklich rührend um sie gekümmert hatten, aber vielleicht hatte bei denen dabei sogar ein wenig so etwas wie Schadenfreude eine Rolle gespielt? Ausgerechnet die zukünftige Gattin des Fürstensohnes verliebte sich derart in einen Prinzen aus fremdem Land?

Er war nicht einmal Christ.

Ein Heide von der Sorte, wie die Kreuzritter sie bekämpften.

Das hatte sie einerseits vielleicht ein wenig schockiert, andererseits aber auch gefreut. Möglicherweise sogar, weil man ihr diese „gute Partie“ mit dem Fürstensohn Roger nicht wirklich gönnte.

Dabei hätte Miranda liebend gern mit jeder dieser Damen getauscht. Sie alle hätten Roger haben können. Wenn sie ihn dadurch nur endlich los geworden wäre.

Aber selbst wenn sie das ihnen gegenüber zugegeben hätte: Das hätte ihre Situation nur noch mehr erschwert. Denn wer garantierte ihr denn, dass nicht zumindest eine von ihnen sie verraten hätte? Was sicherlich nicht ohne böse Folgen geblieben wäre. Denn ein stolzer Fürstensohn wie Roger de Montagnac würde so etwas vielleicht nicht auf sich sitzen lassen. Nicht so ohne Weiteres jedenfalls.

Selbst wenn er zunächst weiterhin gute Miene zum bösen Spiel gemacht hätte: Sobald sie erst einmal seine Ehefrau geworden war, konnte er frei über sie verfügen. Die Gemahlin eines Ritters hatte nicht wirklich Rechte. Zumindest nicht in den eigenen vier Wänden. Höchstens in der Öffentlichkeit. Und dort hatte sie sich gefälligst ganz nach Vorschrift zu benehmen. Wie es sich gehörte für eine Hofdame von solchem Rang. Gerade so, wie sie es gelernt hatte.

Das würde ihr einziges verbrieftes Recht sein.

Miranda schauderte es unwillkürlich, und es fiel ihr schwer, solch düstere Gedanken wieder abzuschütteln. Das war nicht so leicht hier am Fürstenhof, wo alles wirklich permanent genau darauf hinwies.

Sie überlegte, wie sie das jetzt anstellen sollte. Das mit Prinz Jaffar. Sie würde ihn ja nur noch ein einziges Mal von Angesicht zu Angesicht erleben müssen, um sich selbst beweisen zu können, dass dies in Wahrheit völlig ohne Belang für sie war. Das musste ja nicht lange sein. Da genügten schon Sekunden, um sich selbst restlos zu überzeugen.

Soweit zumindest ihr Plan.

Doch wie nun anstellen?

Sicherlich würde der Prinz nach dem Festmahl und den dabei geführten Vorverhandlungen die Burg wieder verlassen. Zwar gehörte der Prinz von Damaskus mitsamt seiner Gefolgschaft längst nicht mehr zu den Nomaden, wie sie durch die Wüsten und Steppen zogen, aber sie bewahrten sich außerhalb ihres Herrschaftsgebietes durchaus noch eine alte Tradition. Und natürlich hatten sie dazu alles Nötige mitgebracht. Also würden sie vor den Toren der weitläufigen Burganlage ein Zeltlager beziehen, das von Getreuen schon während des Banketts dort draußen aufgebaut worden war. Der Prinz musste also nur sein besonders herrschaftliches Zelt beziehen, und es würde ihm dort an nichts fehlen.

Um jedoch dorthin zu gelangen, musste er den Weg zum Haupttor beschreiten, und am Rande dieses Weges gab es keine Beschränkung mehr nach Rängen, sondern dort durfte wirklich jeder stehen, der Lust dazu hatte, Prinz Jaffar und seinem Gefolge zuzujubeln. Sogar die niedrigsten Ränge und alle Bediensteten, die dafür die Zeit fanden. Etwas, was von Fürst Albert sicherlich auch so erwünscht war. Weil es eindeutig die Gastfreundschaft von Antiochia unterstrich.

Es würde also genügend Möglichkeiten geben, ganz neutral am Straßenrand stehend, Jaffar nahe genug zu kommen, um ihn sich noch einmal und diesmal sogar noch viel genauer zu betrachten.

Mit grimmiger Entschlossenheit machte sich Miranda auf den Weg. Sie beeilte sich, um auch wirklich einen guten Platz zu erwischen. Denn sie wollte – ja, sie musste! – jetzt ganz sicher gehen, dass es in ihr keine weiteren dermaßen dummen Regungen mehr geben würde bei einer solchen Begegnung. Zumal Prinz Jaffar sowieso nicht all jene betrachten konnte, die da am Straßenrand standen. Es wäre schon ein wirklich bemerkenswerter Zufall, wenn er Miranda überhaupt bemerken würde. Wie denn auch, wenn sie eingequetscht zwischen anderen stand und er dadurch vielleicht gar nicht viel von ihr zu Gesicht bekommen konnte?

Noch näher heran ging natürlich nicht, weil Absperrungen für Abstand zum Prinzen sorgten. Allein schon aus Sicherheitsgründen. Nicht auszudenken, wenn einem so wichtigen Gast ausgerechnet innerhalb der Burgmauern von Antiochias Fürsten Albert etwas widerfahren würde. Ja, wirklich nicht auszudenken. Das konnte sogar Krieg zwischen Antiochia und Damaskus bedeuten. Es musste also unter allen Umständen vermieden werden.

Und so bezog Miranda nun Stellung und wappnete sich mit Geduld, die allerdings auf keine große Probe mehr gestellt wurde, denn inzwischen waren die Sondierungsgespräche zwischen beiden Reichen abgeschlossen, und Prinz Jaffar verließ mit seinen engsten Vertrauten den Speisesaal, der als Festsaal gedient hatte, um über den großen Rittersaal, wo man ihn zunächst empfangen hatte, nach draußen zu gehen. Dabei schlossen sich ihm alle weiteren seiner Gefolgschaft an, die am Bankett nicht hatten teilnehmen dürfen und die außerdem nicht am Aufbau des Zeltlagers hatten beteiligt sein müssen.

Dass bei diesem regelrechten Ausmarsch ein gewisser Ali fehlte, fiel niemandem auf. Weil er eben so unscheinbar und eigentlich auch unwichtig war. Zu seinem Glück, wie er inzwischen selber fand.

Er hatte Miranda längst entdeckt, aber Miranda ihrerseits ahnte noch nicht einmal, wer das war, der da hinter sie trat und so nah kam, dass sie beinahe seinen heißen Atem in ihrem Nacken spüren konnte.

Aber sie war voll und ganz fixiert auf die Begegnung mit Prinz Jaffar. Sie wollte ihn einfach nur sehen. Wie gesagt, um sich selbst zu beweisen, dass dieser Anblick rein gar nichts in ihr auslöste.

Bis er den Rittersaal verließ und ins Freie trat.

Da war er. Tatsächlich eine beeindruckende Erscheinung, wie sie zugeben musste. Aber das hätte sie auch zugegeben, wenn sein Anblick nicht schon wieder in ihr eine Reaktion ausgelöst hätte, die sie wirklich mit aller Macht zu unterdrücken versuchte.

Aber wie sollte sie das überhaupt schaffen, ohne dabei atmen zu können?

Sie stand da mit halb heruntergeklappter Kinnlade und unnatürlich geweiteten Augen, kam sich unendlich fehl am Platz vor, hatte das Gefühl, vor Scham schier im Erdboden versinken zu müssen, und wollte eigentlich nur noch von hier fliehen.

Noch nicht einmal dies konnte ihr gelingen, weil ihr Körper nicht mehr ihrem Willen gehorchte. Sie war regelrecht paralysiert, starrte diesen Prinzen an wie das naivste Mädchen, das ihr jemals im Leben begegnet war, ihren allergrößten Schwarm.

Dabei kannte sie diesen Prinzen doch gar nicht. Sie wusste gerade mal seinen Namen. Mehr nicht. Sie hatte keine Ahnung, was für ein Mensch er tatsächlich war, denn nach dem Aussehen konnte man niemanden beurteilen, wie sie längst wusste.

War sie denn nicht die mehr als würdige Tochter von Graf de Lêtange? Wie konnte ausgerechnet ihr so etwas geschehen? Konnte denn eine Blamage noch größer sein?

Aber es wäre ja nur dann eine Blamage für sie gewesen, falls es jemand bemerkt hätte. Und wie sollte das überhaupt jemand bemerken, wenn sie hier dicht bedrängt stand und darauf wartete, dass Prinz Jaffar endlich an ihr vorbeizog, damit sie ihm nicht mehr so unmittelbar ins Antlitz blicken musste?

Nicht auszudenken, hätte er ausgerechnet jetzt seine Augen auf sie gerichtet. Was hätte er sich denn bei einem solchen Anblick gedacht? Hätte er denn nicht sogar darüber gelacht? Darüber, dass sie sich total lächerlich machte mit ihrem überaus unreifen Benehmen? Und ausgerechnet so jemand wie sie wollte hier auf der Burg von Fürst Albert zur Hofdame reifen?

Das Chaos in ihrem Kopf erreichte seinen Höhepunkt just zu dem Augenblick, da er beinahe auf ihrer Höhe war. Es handelte sich nur noch um Sekundenbruchteile, dann würde er vorbeigegangen sein und alles würde sich hoffentlich wieder normalisieren. Vor allem für Miranda.

Wäre da nicht ein gewisser Ali gewesen, der dicht hinter ihr stand und zum genau richtigen Zeitpunkt genau das tat, was er sich vorgenommen hatte: Er gab Miranda unvermittelt einen Stoß. Kräftig genug, um sie die Absperrung durchbrechen und direkt vor Prinz Jaffar hin taumeln zu lassen.

Sie konnte gerade noch verhindern, direkt vor seinen Füßen der Länge nach hinzufallen, und wirbelte erschrocken herum.

Unmittelbar vor Prinz Jaffar. Er war noch nicht einmal mehr eine halbe Armeslänge von ihr entfernt und genauso erschrocken wie sie selbst.

Unweigerlich trafen sich ihre Blicke. Das war jetzt wirklich gar nicht mehr anders möglich. Und reflexartig schossen die Arme des Prinzen vor. Er erwischte Miranda an den Schultern und packte zu, um sie aufzufangen.

Es wäre nicht wirklich nötig gewesen, denn Miranda wäre auch so nicht hingefallen, weil sie sich schon selbst abgefangen hatte. Doch Prinz Jaffar war einfach seinen Reflexen gefolgt, und er lächelte jetzt zuversichtlich, weil er doch sah, wie erschrocken Miranda ob ihres Missgeschicks war.

Allerdings war da anscheinend noch mehr als nur Erschrecken ob dieses Missgeschicks, denn sie zitterte am ganzen Körper, was er deutlich spürte, wie er sie so an den Schultern hielt.

Das wurde ihm jetzt erst bewusst, und jetzt selbst wieder erschrocken zog er schleunigst seine Hände zurück. Galt es nicht als höchst unschicklich, eine Dame unaufgefordert an den Schultern zu fassen?

Miranda klopfte mit beiden Händen imaginären Staub von ihrem Kleid, ohne dass ihr dies überhaupt bewusst wurde, und starrte mit ihren geweiteten Augen den Prinzen an, ohne sich davon abwenden zu können. Bis die Ordner ziemlich unsanft nach ihr griffen. Sie kannten so etwas wie Schicklichkeit nicht und nahmen dafür ihre Aufgabe besonders ernst. Miranda war nun einmal dem Gast aus Damaskus viel zu nah gekommen, und genau das mussten sie ändern. Sie rissen Miranda regelrecht von ihm weg, und der gesamte Tross, nur für Sekunden an dieser Stelle aufgehalten, setzte sich sogleich wieder in Bewegung.

Prinz Jaffar konnte gar nicht anders, als sich mittreiben zu lassen.

Er wandte trotzdem den Kopf und sah, wie Miranda recht unsanft zurückgedrängt wurde in die wartende Menschengruppe. Dabei hatte er wirklich nur Augen für sie, und es war ein Anblick, der sich dermaßen in sein Gedächtnis einbrannte, dass er ihn sein Leben lang niemals wieder vergessen würde.

Er richtete seine Blicke wieder nach vorn und sah immer noch Miranda. Nicht nur, wie sie zurückgedrängt wurde, sondern auch, wie sie so plötzlich vor ihm erschienen war.

Es erschien ihm im Nachhinein gerade so, als sei sie regelrecht aus dem Nichts aufgetaucht. Wie ein mystisches Wesen nicht von dieser Welt. Um nur seinetwegen in diese Welt zu kommen.

Jaffar schüttelte den Kopf, um diesen wieder klarer zu bekommen, doch vergeblich: Das Gesicht Mirandas war immer noch da. Direkt vor ihm. Ihre geweiteten Augen, in denen er glaubte versinken zu müssen. Ihr wie zum Schrei geöffneter Mund, den er so gern mit seinen eigenen Lippen berühren wollte.

Ein Ächzen entrann sich seiner Kehle, weil er sich mit aller Macht gegen solche wirklich höchst unpassenden Gedanken wehrte.

Seine Begleiter sahen ihn überrascht an.

Er räusperte sich verhalten und tat so, als sei nichts weiter geschehen. Wenigstens bemühte er sich dahingehend. Ob es ihm wirklich überzeugend gelang, konnte er in diesem Moment nicht beurteilen.

Noch einmal ein Blick zurück. Es war keine Miranda mehr zu sehen. Er war schon zu weit weg, wie es schien.

Dass sich jetzt erst einer aus seinem Gefolge mit Namen Ali wieder zu dem Tross gesellte, entging nicht nur ihm. Eigentlich wurde das keinem bewusst. Als hätte er den Tross nie verlassen. Dabei war er von vornherein gar nicht erst dabei gewesen.

Er war sehr zufrieden mit sich, obwohl er nicht sicher sein konnte, ob Prinz Jaffar wirklich wie von ihm gewünscht auf diese Miranda angesprochen hatte. Ali war zu sehr damit beschäftigt gewesen in diesen entscheidenden Augenblicken unerkannt unterzutauchen, damit niemand ihn in Verdacht nahm, Miranda gestoßen zu haben.

Auch das war jedenfalls bestens gelungen.

Um den Vorfall allerdings seinem Auftraggeber Yussuf mitzuteilen, war es noch viel zu früh. Denn noch war nicht wirklich etwas geschehen, was der Mitteilung bedurfte, wie Ali fand.

Nur gut, dass er keine Gedanken lesen konnte. Vor allem nicht die ausnahmsweise ziemlich verwirrten Gedanken seines Prinzen Jaffar. Des Prinzen, den er verraten wollte. Um der Anerkennung Yussufs wegen.

8

Diesmal benötigte Miranda viel länger, um ihre eigenen Gedanken wieder einigermaßen ordnen zu können. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich längst schon zurückgezogen von all dem Trubel.

Am Hofe des Fürsten Albert wurde gefeiert. Anlässlich anscheinend erfolgreich verlaufender Sondierungsgespräche mit dem Gesandten von Damaskus.

Dies alles interessierte sie herzlich wenig. Sie saß in ihrem Gemach und hatte genug damit zu tun, wieder zu sich selbst zurückzufinden. Ohne auch nur im Entferntesten begreifen zu können, was da überhaupt mit ihr geschehen war.

Natürlich hatte sie als belesene Grafentochter, die nicht nur die Literatur, sondern auch den Minnesang liebte, zumindest eine Ahnung davon, sich ganz einfach nur total verliebt zu haben. Aber genau das wollte sie natürlich unter keinen Umständen jemals zugeben. Vor allem nicht sich selbst gegenüber.

Aber welchen Grund konnten die Verwirrung ihrer Gedanken und noch mehr ihrer Gefühle denn sonst haben?

War es denn mehr als nur eine Erfindung der Dichter und Minnesänger? Gab es denn so etwas auch in der Wirklichkeit?

In einer Wirklichkeit gar, wo niemand seiner Gefühle zuliebe sich mit einem anderen Menschen vereinen durfte? Dies alles war doch strengen Regeln unterworfen, Regeln, an die man sich halten musste, weil viel zu viel ansonsten auf dem Spiel stand.

So wie die Heirat mit Roger de Montagnac, der sie sich auf keinen Fall entziehen konnte. Ihrem Vater zuliebe, ja, zum Wohle von ganz Antiochia.

Sie sah trotzdem das Gesicht von Jaffar vor sich. Egal, ob ihre Augen geöffnet waren oder geschlossen. Es schob sich vor alles Sichtbare und erfüllte die Dunkelheit beim Schließen ihrer Augen mit Licht. Sein charmantes Lächeln. Aber auch sein Erschrecken, als sie so unvermittelt vor ihn hin getaumelt war.

Beide waren erschrocken gewesen.

Und sie spürte immer noch seine Hände an ihren bei jedem Gedanken daran bebenden Schultern. Dabei musste sie alles tun, um nicht schon wieder am ganzen Leib zu zittern wie das sprichwörtliche Espenlaub.

Das konnte doch nicht wahr sein. Das durfte doch nicht wahr sein!

Und dieser Ausdruck seiner Augen … Nein, sie konnte sich nicht geirrt haben. Weil sie es immer noch so deutlich sehen konnte, wie niemals sonst etwas in ihrem ganzen bisherigen Leben. Weil es sich regelrecht in ihrem Gedächtnis eingebrannt hatte.

Ein Ausdruck von Vertrautheit. Als hätte er sie wiedererkannt, obwohl sie sicher sein durfte, dass er sie noch nie zuvor in seinem Leben zu Gesicht bekommen hatte.

Aber ihr ging es umgekehrt doch genauso. Genau das war es ja gewesen, was sie schon beim ersten Mal dermaßen aus der Fassung gebracht hatte: Der Eindruck, als hätte sie ihn endlich wiedergefunden. Wie nach viel zu langer vergeblicher Suche.

War das wirklich Liebe? War es das, was die Dichter beschrieben? Aber woher konnten sie das denn wissen in dieser Welt, in der Liebe überhaupt keine Rolle spielte, ja, auf keinen Fall eben spielen durfte?

Vielleicht beim niederen Volk. Das hatte zuweilen durchaus das Privileg, insofern eigene Entscheidungen zu treffen.

Andererseits, wenn es jemanden so heftig traf wie ausgerechnet sie und vielleicht sogar auch Prinz Jaffar … Daran war buchstäblich nichts mehr freiwillig. Von wegen eigene Entscheidung. Das war eindeutig gegenläufiger Art. Das war derart, dass sie jetzt erst recht der Anordnung ihres Vaters folgen wollte, seinem Versprechen gegenüber dem Fürsten.

Das hieß, eigentlich hatte sie es vor dieser Begegnung keine Sekunde lang gewollt. Doch jetzt empfand sie es als einzige Möglichkeit, vor diesen Gefühlen fliehen zu können, die sie nur so sehr quälten.

Wenn das wirklich Liebe war, dann war Liebe ganz und gar nichts Gutes. Nicht für sie. Dann war sie nämlich ganz im Gegensatz dazu zerstörerisch, brachte unendliche Probleme und zwang ihre Opfer zu Dingen, die nicht nur ihnen selbst weitgehend schadeten, vielleicht sogar bis zur völligen Selbstzerstörung.

Denn wenn sie bloß daran dachte, was wäre, wenn Prinz Jaffar und sie …

Nein, sie durfte sich das nicht ausmalen. Es war einfach viel zu schrecklich.

Würde es denn nicht tatsächlich Krieg bedeuten? Sie, ausgerechnet dem Sohn des Fürsten Albert versprochen, der heute erst erfolgreiche Sondierungsgespräche geführt hatte mit dem Gesandten von Damaskus. Und dann sogar der Gesandte selbst? Wie scheinheilig würde das bei ihm denn wirken? Mehr noch als das: Hätte ein Verrat denn nicht noch größer sein können?

Ein Verrat, den sie letztlich gemeinsam begehen würden. Gegen den Fürsten und somit gegen Antiochia, der das unmöglich auf sich sitzen lassen könnte.

Und Jaffars Vater, der ihn in einer solch wichtigen Mission hierher entsandt hatte? Wie groß würde denn für diesen die Enttäuschung sein?

Sie würden beide ihre Väter und ihre Staaten verraten. Soviel stand jetzt schon fest. Sie würden zusehen müssen, wie die sich gegenseitig angreifen und niedermetzeln würden.

War das eine Liebe wirklich wert?

Nein, Liebe konnte unter solchen Umständen unmöglich etwas Gutes sein, wie die Dichter und Minnesänger versprachen. Das genaue Gegenteil war der Fall. Denn Liebe brachte Tod und Verderben, Elend und Leid. Sie zerstritt ganze Völker und verheerte ganze Landstriche.

War sie denn des Teufels? Jede Liebe? Oder eben nur ihre Liebe zu einem Mann, den sie absolut gar nicht kannte, ja, niemals überhaupt kennenlernen durfte?

Obwohl sie es so tief in ihrem Innern spürte, dass sie es unmöglich aus sich herausreißen konnte. Eher wäre sie gestorben, als diese Gefühle wieder los werden zu können. Das Gefühl zum Beispiel, nicht mehr ohne ihn leben zu können. Ohne diesen Prinzen, der allein nur mit seinem schieren Anblick sie zwang, nur noch daran zu glauben, dass sie seinetwegen überhaupt erst auf diese Welt gekommen war.

Und er selbst? Wie empfand er selbst das denn jetzt? Wieso konnte sie sich so sicher sein, dass er umgekehrt genauso empfand? Wie konnte sie das wissen, ja, überhaupt auch nur annehmen?

Nur weil sie immer noch diesen Ausdruck seiner dunklen Augen vor sich sah? Augen, die wie Abgründe wirkten, in denen sie sich hoffnungslos verloren hatte?

9

Der endgültige Abzug der Delegation, einschließlich komplettem Anhang, bestehend aus niederen Bediensteten, aber auch kampferprobten Männern, um den Prinzen zu schützen, war für das nächste Morgengrauen angesetzt. Ursprünglich. Doch als das Morgengrauen kam, wurde kein diesbezüglicher Befehl ausgegeben. Ganz im Gegenteil. Es wurde lapidar mitgeteilt, Prinz Jaffar sei momentan ein wenig unpässlich. Weswegen sich der Abzug verzögern würde.

Der Prinz und unpässlich?

Was immer das zu bedeuten hatte: Ali hatte so seine ganz eigene Meinung dazu.

Ein impertinentes Grinsen stahl sich unwillkürlich in seine Visage. Konnte es denn sein, dass sein Plan bereits aufzugehen begann? Aber was hatte der Prinz jetzt eigentlich als nächstes vor? Er konnte nicht einfach zurück in die Burganlage, wie es ihm beliebte. Er musste die Etikette einhalten. Seine Mission war bis dahin erfüllt. Es musste ein weiteres Treffen zu einem späteren Zeitpunkt anberaumt werden.

Er beobachtete gut, und er ließ sich wirklich nichts entgehen. Wobei er sich alle Mühe gab, dem Prinzen möglichst nah zu kommen. Was bei seiner niederen Stellung nicht so ganz einfach war. Denn die Reihenfolge derer, die sich dem Prinzen auf welche Entfernung nähern durften, war festgelegt, und jegliche Zuwiderhandlung würde als Provokation empfunden werden und nicht ungesühnt bleiben.

Wobei der Prinz selbst gar nichts dazu beitragen musste. Er musste noch nicht einmal etwas davon bemerken. Denn dafür hatte er ja seine höchst persönlichen Leibgardisten, die ihm bis in den Tod hinein treu ergeben waren.

Im völligen Gegensatz zu Ali, dem Verräter.

Doch er kam dank seiner Geschicklichkeit immerhin nah genug heran, um einen ziemlich munteren Prinzen zu erleben. Von wegen Unpässlichkeit. Was er als solches deklariert hatte, konnte nur etwas völlig Gegensätzliches sein. Denn er erschien nicht nur einfach munter, sondern überaus nervös, um nicht zu sagen konfus. Als würde ihn etwas mit aller Macht bedrücken, was ihm immerhin dermaßen zu schaffen machte, dass er vorerst noch hier bleiben wollte.

Sicherlich hatte er längst einen Boten hinüber in die Burganlage entsandt, damit Fürst Albert sich nicht darüber wunderte, wieso die Delegation nicht wie erwartet am frühen Morgen von hier wieder aufbrach in Richtung Damaskus.

Etwas, was Ali allerdings sowieso nur am Rande interessierte. Viel wichtiger erschien ihm eben die Frage, was der Prinz wohl als nächstes zu tun gedachte, außer nervös auf und ab zu laufen in seinem großzügig bemessenen Zelt. Gerade so wie ein gefangener Tiger in seinem Käfig.

Der Vergleich mit einem gefangenen Tiger zauberte abermals ein Grinsen in seine Visage. War er denn tatsächlich gefangen, allein nur von dem Anblick dieser angehenden Hofdame Miranda?

Niemand wusste besser als Ali, welche weitreichenden Folgen damit zu erwarten waren. Falls es den Prinzen dazu bringen sollte, eine Unüberlegtheit zu begehen. Wobei natürlich auch noch Voraussetzung sein musste, dass eine solche Unüberlegtheit auch von Seiten Mirandas erfolgte.

Beinahe rieb er sich wieder in Vorfreude die Hände. Aber das wäre sowieso weit verfrüht erschienen, denn noch war der Prinz hier, unruhig, wie aufgepeitscht, und sicherlich hatte er sich noch lange nicht zu einem Entschluss durchgerungen. Wie auch immer dieser auch ausfallen mochte.

Ali ahnte zumindest, was geschehen würde. Ob er damit richtig lag, würde sich allerdings erst nach dem Ende dieses Tages zeigen können. Denn am helllichten Tag konnte ein so bedeutender Prinz wie Jaffar nicht so einfach das Zeltlager verlassen und hinübergehen zu den Toren der Burganlage von Fürst Albert. Nein, schon deshalb nicht, weil er niemals allein einen Fuß vor das Zeltlager setzen durfte. Seine Leibwächter bürgten mit ihrem eigenen Leben für seine Sicherheit. Sie durften Alleingänge unmöglich zulassen, um sich dadurch nicht selbst in tödlichen Misskredit zu bringen.

Ali war gespannt darauf, wie der Prinz es anstellen würde. Wenn er es wirklich schaffen sollte, ungesehen das Zeltlager zu verlassen, um im Schutz der Dunkelheit hinüber zu eilen zu den Mauern der Burganlage … Eigentlich wäre das ja auch die Gelegenheit gewesen, ihn zu töten. Was sicherlich ganz im Sinn von Prinz Yussuf und seinen verbündeten Brüdern gewesen wäre. Aber wenn sich der Prinz tatsächlich mit dieser Miranda treffen sollte …

Alis Entschluss stand längst schon fest: Er würde keine Hand anlegen an Prinz Jaffar. Zumal er bei einem Hinterhalt für diesen durchaus auch damit rechnen musste, auf Gegenwehr zu treffen, denn Prinz Jaffar war alles andere als ein wehrloses Opfer. Er war nicht allein auf seine Leibgardisten angewiesen, sondern wusste sich sehr gut auch selbst zu verteidigen. Auch in einem Hinterhalt.

Und Ali war nur ein einzelner Gegner. Es würde also ein Kampf werden, Mann gegen Mann. Wobei Ali keineswegs sicher sein konnte, daraus als Sieger hervorzugehen.

Wie er es auch drehen und wenden wollte: Es erschien ihm sowieso wesentlich interessanter, die weitere Entwicklung zu beobachten, die sich da zwischen dem Prinzen und jener Miranda anzubahnen schien.

Er fieberte regelrecht dem Einbruch der nächsten Nacht entgegen, und jede Minute, die inzwischen verstrich, kam ihm geradewegs wie eine kleine Ewigkeit vor.

10

Der Tag war auch für Miranda von Unruhe, Unkonzentriertheit und vor allem deutlicher geistiger Abwesenheit geprägt. Was natürlich auffiel. Und was manche angehende Hofdame zum Tuscheln brachte. Es war ihnen ja keineswegs Mirandas Reaktion auf den ersten Anblick von Prinz Jaffar entgangen, und es war kaum als Zufall zu bezeichnen, dass man dies jetzt als Grund für ihr ungewöhnliches Verhalten am Hofe von Fürst Albert handelte.

Miranda bekam das überhaupt nicht richtig mit. Also musste sie auch noch nicht fürchten, dass ausgerechnet Roger dies zu Ohren bekam.

Aber so weit kam es sowieso noch nicht. Es blieb beim internen Tratsch unter angehenden Hofdamen und breitete sich nicht weiter aus. Was sicherlich auch der Möglichkeit geschuldet war, dass man nun doch irgendwie ein wenig Mitleid hatte mit Miranda. Eben weil sie bereits dem Fürstensohn versprochen war. Und jetzt war sie dermaßen verliebt in einen fremdländischen Prinzen? Darum war wohl niemand zu beneiden.

Miranda musste an diesem Tag einiges an Tadel einstecken, weil ihr Zustand natürlich beim Lernen behinderte. Es machte ihr nichts aus. Sie fühlte sich sowieso bereits dermaßen schlecht, dass es nichts mehr zu geben schien, was jetzt noch hätte schlimmer sein können.

Bis auch der längste Tag endlich zur Neige ging und sich die angehenden Hofdamen zurückziehen durften in ihre Gemächer.

Endlich war Miranda wieder allein. Was allerdings nicht hieß, dass sie dabei ruhiger wurde. Seit dem Mittag nämlich hatte sich das Gerücht hartnäckig verbreitet, dass die Delegation von Prinz Jaffar immer noch vor den Toren der Burganlage zeltete, anstatt längst schon wieder abgezogen zu sein.

Trotz ihrer geistigen Abwesenheit war es ihr nicht entgangen, obwohl sie jetzt erst zuließ, dass diese eine entscheidende Frage in ihr auftauchte:

Wieso hatte sich die Abreise verzögert?

Sie schüttelte den Kopf, wie um einen Albdruck los zu werden.

Doch nicht ihretwegen?

Aber nein, das konnte nicht sein, weil es nicht sein durfte. Egal, was da in ihrem Innern dieses Chaos von Gefühlen verursachte. Selbst wenn es in Prinz Jaffar nicht ganz anders aussah in diesen Stunden … Er konnte es unmöglich wagen, ausgerechnet deshalb den Abzug seiner Delegation zu verschleppen, weil er sie ein einziges Mal auf dem Weg zu den Toren der Burganlage gesehen hatte. So etwas gab es doch nur in Gedichten und Liedern und niemals im richtigen Leben.

Oder?

Beide Hände verkrampften sich vor ihrer bebenden Brust. So fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Dann wischte sie eine imaginäre Träne von der Wange, die glühend heiß erschien, sprang auf und bemerkte, wie sich ihre Beine regelrecht verselbständigten.