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Ein lesbischer Liebesroman, der zeigt, dass mit der richtigen Chemie aus Freundschaft Liebe werden kann. Kylie und Regan sind schon beste Freundinnen, seit sie zurückdenken können. Freunde und Familie sind sich längst sicher: Die beiden würden das perfekte Paar abgeben. Regan und Kylie hingegen glauben, dass die Chemie für eine Beziehung zwischen ihnen nicht stimmt – und Regan sollte das eigentlich beurteilen können, denn sie ist von Beruf Chemielehrerin. Um zu beweisen, dass sie recht haben, lassen sich Regan und Kylie auf ein Chemie-Experiment ein: Sie werden auf drei Dates miteinander gehen. Dass sich ihre Blicke und zufälligen Berührungen immer weniger platonisch anfühlen, hat nichts zu bedeuten. Daran ist nur die romantische Atmosphäre schuld. Zumindest glauben das die beiden – bis ein Gute-Nacht-Kuss unter Freundinnen plötzlich ihre Leidenschaft entfacht. Können sie weiter einfach nur befreundet sein? Oder haben sie den Mut, ihre lebenslange Freundschaft aufs Spiel zu setzen, um gemeinsam ihr Glück zu finden?
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Seitenzahl: 385
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Inhaltsverzeichnis
Von Jae außerdem lieferbar
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Epilog - Ein Jahr später
Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen
Über Jae
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Von Jae außerdem lieferbar
Falsche Nummer, richtige Frau
Eine Mitbewohnerin zum Verlieben
Tintenträume
Ein Happy End kommt selten allein
Alles nur gespielt
Aus dem Gleichgewicht
Hängematte für zwei
Herzklopfen und Granatäpfel
Vorsicht, Sternschnuppe
Cabernet und Liebe
Die Gestaltwandler-Serie:
Vollmond über Manhattan
Die Hollywood-Serie:
Liebe à la Hollywood
Im Scheinwerferlicht
Affäre bis Drehschluss
Die Portland-Serie:
Auf schmalem Grat
Rosen für die Staatsanwältin
Die Serie mit Biss:
Zum Anbeißen
Fair-Oaks-Serie:
Perfect Rhythm – Herzen im Einklang
Beziehung ausgeschlossen
Oregon-Serie:
Westwärts ins Glück (Bd. 1 & 2)
Angekommen im Glück
Verborgene Wahrheiten (Bd. 1 & 2)
Kapitel 1
Wo zum Teufel steckte Regan? Eine Überraschungsparty war schwer zu bewerkstelligen, wenn der nichts ahnende Ehrengast zu spät kam.
Kylie ging in ihrem Zimmer auf und ab und warf zum fünften Mal einen Blick auf ihr Handy.
Ihre beste Freundin hatte sich noch immer nicht gemeldet.
Bevor sie ihr eine weitere SMS schreiben konnte, drang die Titelmelodie von Rizzoli & Isles aus ihrem Handy. »Regan! Na endlich! Wo bist du?«
»Immer mit der Ruhe. Ich bin schon auf dem Weg.« Verkehrslärm verriet, dass Regan im Auto saß und ihr Handy mit der Freisprechanlage verbunden hatte. »Seit wann bist du so erpicht darauf, schnell zum Baumarkt zu kommen?«
Sie würden nicht zum Baumarkt fahren; das war nur der Vorwand, den Ky benutzt hatte, um Regan zu ihrem Lieblingsrestaurant zu locken, wo ihre Freundinnen bereits warteten. »Tja, was soll ich sagen? Das ist wohl typisch Lesbe.«
Regan lachte. »Tut mir leid, dass du meinetwegen noch etwas auf deinen Ort der Glückseligkeit warten musst. Aber es war nicht meine Schuld. Mrs Kallmaker wollte mit mir reden, als ich gerade gehen wollte.«
»Du wurdest ins Büro der Rektorin gerufen?« Ky musste lachen und jegliche Anspannung fiel von ihr ab. »Manche Dinge ändern sich scheinbar nie.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, sagte Regan, schaffte es aber nicht, sonderlich unschuldig zu klingen.
»Ach ja? Mal sehen … Ich erinnere mich an den Vorfall, als du mich überredet hast, alle Tafelstifte gegen Tampons auszutauschen. Dann war da noch deine brillante Idee, die Autos der Lehrer mit Klopapier einzuwickeln. Und ich habe aufgehört zu zählen, wie oft wir nachsitzen mussten, weil wir zu spät gekommen sind oder uns im Unterricht ständig Zettel geschrieben haben.«
Regan kicherte. »Okay, okay, vielleicht habe ich ein- oder zweimal Ärger bekommen.«
»Ein- oder zweimal?«, wiederholte Ky. »Ha! Der einzige Grund, warum du als Kind nicht jeden Tag Ärger bekommen hast, waren deine großen, braunen Augen, deine süße Stupsnase und deine engelsgleichen Locken, durch die dich alle für unschuldig gehalten haben! Ich kann immer noch nicht fassen, dass du Lehrerin geworden bist, geschweige denn, dass man dich zur Lehrerin des Jahres in unserem Bezirk gewählt hat!«
»Was soll ich sagen? Das muss an meinen großen, braunen Augen liegen.«
Selbst ohne sie zu sehen, wusste Ky, dass Regan gerade übertrieben mit den Wimpern klimperte.
Zwar war Ky zugegebenermaßen nicht ganz unvoreingenommen, doch ihrer Meinung nach hatte niemand diese Auszeichnung mehr verdient als Regan. Sie war eine großartige Lehrerin, die sich sehr für ihre Schüler einsetzte und oft bis spät abends arbeitete, um ihren Unterricht interessant zu gestalten. Wenn Ky eine solche Lehrerin gehabt hätte, hätte sie vielleicht nicht beinahe die Schule abgebrochen.
»Alles in Ordnung bei dir?«, fragte Regan, als würde sie spüren, woran Ky gerade dachte.
Ky räusperte sich. »Ja, klar.« Sie verließ ihr Zimmer, um ihre Jacke zu holen. Da sie keine zwei Kilometer von der Hamilton Highschool entfernt wohnte, müsste Regan jeden Moment da sein. Ihre Mitbewohnerin saß mit Kopfhörern auf der Couch, sodass Ky nur winkte, als sie an ihr vorbeiging. »Also, was wollte Mrs Kallmaker? Du steckst doch nicht wirklich in Schwierigkeiten, oder?«
»Kommt drauf an, was man unter Schwierigkeiten versteht.«
Ky grinste. »Was hast du angestellt?«
»Nichts. Ich habe vor Kurzem unserer Schulzeitung ein Interview gegeben. Anscheinend hat der Mutter eines Schülers meine Antwort auf eine der Fragen nicht gefallen.«
»Lass mich raten.« Ky verließ ihre Wohnung im Erdgeschoss, um draußen auf Regan zu warten. »Die dramatische Schlagzeile des Artikels lautete: Die beliebte Chemielehrerin Ms Romano hat eine heimliche Affäre mit Kylie Wells, der unwiderstehlichen Küchenhilfe.«
Regans dröhnendes Lachen schallte durch das Handy.
Selbst nach fünfundzwanzig Jahren erstaunte es Ky noch immer, dass ein solches Lachen von einer so zierlichen Person stammen konnte.
»Nein«, sagte Regan, nachdem sie aufgehört hatte zu lachen. »Es ist schon ein paar Jahre her, dass die Schulzeitung zuletzt über unsere angebliche Affäre berichtet hat. Scheinbar sind wir Schnee von gestern.«
Ein Hupen ertönte und Regans Toyota bog auf den Parkplatz ein.
Ky joggte zu ihr hinüber, schwang die Beifahrertür auf und ließ sich auf den Sitz fallen. Sie steckte das Handy ein und griff nach dem Sicherheitsgurt. »Wenn es daran nicht lag, worüber hat sich die Mutter des Schülers denn dann aufgeregt?«
Regan lenkte den Wagen auf die Division Street und warf Ky einen Blick aus dem Augenwinkel zu. Ihr dunkles, lockiges Haar war noch zerzauster als sonst. »Die Schüler wollten wissen, wie ich meine Liebe zur Chemie entdeckt habe.«
»Oh nein. Du hast ihnen erzählt, wie du Unonnals Kind geholfen hast, Wein zu machen, stimmt’s?« Regans italienischer Großvater war ein wortkarger Mann gewesen, aber er hatte den besten Rotwein gemacht, den Ky je gekostet hatte.
»Ich habe der Schulzeitung erzählt, wie viel Spaß es gemacht hat, das richtige Verhältnis von Zucker und Hefe für den Gärungsprozess herauszufinden. Das wurde mir dann als Förderung von Alkoholmissbrauch unter Minderjährigen ausgelegt.« Regan nahm eine Hand vom Steuer und gestikulierte wild.
Nervös beäugte Ky das Lenkrad und hoffte, Regan würde nicht auch noch die andere Hand vom Steuer nehmen. »Hast du jetzt Ärger mit deiner Chefin?«
»Nein. Zum Glück hat sie mir den Rücken gestärkt. Ich wünschte nur, manche Eltern würden dem Verhalten ihrer Kinder so viel Aufmerksamkeit schenken wie meinem.«
»Das kenne ich nur zu gut. Erinnerst du dich noch an den Vater von unserem Fünftklässler mit der Milcheiweißallergie?«
Regan schnitt eine Grimasse. »Klar. Miranda hatte letzte Woche Aufsicht in der Mensa. Sie hat gesagt, sie konnte vom anderen Ende des Speisesaals hören, wie er dich angebrüllt und behauptet hat, du hättest angeblich nicht sauber gearbeitet und das Essen beim Zubereiten kontaminiert.«
Ky beugte sich auf dem Beifahrersitz nach vorn, um ihre angespannten Schultern kreisen zu lassen. »Dreimal darfst du raten, was heute passiert ist. Ich habe den Sohnemann mit einer Tüte Käsechips auf seinem Tablett erwischt.«
Regan schnalzte mit der Zunge. »Bist du sicher, dass du die Beförderung annehmen willst, die sie dir angeboten haben? Als stellvertretende Leiterin der Mensa wirst du wahrscheinlich regelmäßig mit Eltern zu tun haben.«
Um ehrlich zu sein, war sich Ky überhaupt nicht sicher. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu diskutieren. Heute sollte Regan im Mittelpunkt stehen, deshalb zuckte Ky nur mit den Schultern und konzentrierte sich darauf, Regan zu überraschen.
Als sie sich der Washington Street näherten, wo Regan rechts in Richtung Baumarkt abbiegen musste, fing Ky an zu schwitzen. Natürlich hatte sie sich eine Ausrede ausgedacht, um Regan stattdessen in die Stark Street zu locken, aber würde es ihr gelingen, ohne dass Regan Verdacht schöpfte? Das war der einzige Nachteil ihrer schon seit der Vorschule bestehenden Freundschaft: Regan konnte ihr meistens ansehen, wenn sie schwindelte.
Gerade als Ky den Mund öffnete, um vorzuschlagen, kurz an einem Café anzuhalten und Regans Lieblingskekse zu besorgen, deutete Regan auf die nächste Kreuzung. »Macht es dir etwas aus, wenn wir kurz beim Nähladen anhalten? Denny hat mich gefragt, ob ich ihr etwas Nähmaschinenöl mitbringen könnte, wenn wir daran vorbeikommen.«
Wow, das war ja ein toller Zufall! Der Nähladen war nicht weit vom Restaurant entfernt. Ky verkniff sich ein Grinsen. »Klar. Kein Problem.« Sie klappte ihren Mund zu, bevor sie sich verraten konnte, indem sie zu viel sagte.
»Oh, ein Parkplatz!« Regan ballte die Hand zur Siegerfaust und bog rasch nach links in die Stark Street ein.
Ähm, war der Nähladen nicht auf der rechten Seite? Aber Ky sagte nichts, denn die Parklücke, die Regan gefunden hatte, lag direkt vor dem Observatory, ihrem Lieblingsrestaurant. Sie konnte ihr Glück kaum fassen.
Als Regan um das Auto herumging, um sich Ky auf dem Bürgersteig anzuschließen, war sie nur wenige Meter vom Eingang des Restaurants entfernt und damit in der perfekten Position für die Überraschung.
Mensch, das lief ja fast schon zu gut!
»Überraschung!«, rief Ky.
»Überraschung!« Regans laute Stimme übertönte Ky beinahe. »Wir gehen nicht zum Baumarkt!«
Sie starrten einander an.
Was war denn jetzt los? Ky musterte ihre beste Freundin verblüfft. »Ach nein? Ich meine, ich weiß, dass wir nicht zum Baumarkt gehen, aber woher weißt du davon?« Wenn eine ihrer Freundinnen etwas verraten hatte, würde sie diejenige umbringen.
»Was? Natürlich weiß ich davon. Es war schließlich meine Idee.«
Ky schüttelte den Kopf, aber das half ihr nicht, die Situation klarer zu sehen. »Wovon redest du?«
Ein schelmisches Glitzern trat in Regans Augen. »Ich habe dich hierhergelockt und ein Überraschungsessen geplant, um deine Beförderung zu feiern!« Sie grinste und schwang ihren Arm in einer ausladenden Geste in Richtung des Restaurants. »Tatatata!«
Ky starrte sie an. Das gibt’s doch gar nicht! Wie standen die Chancen, dass sie beide eine Überraschungsparty für die jeweilig andere geplant hatten – zur selben Zeit und am selben Tag, im selben Restaurant?
Regan stupste ihre Schulter an. »Du hast doch nichts geahnt, oder?«
»Himmel, nein! Ich dachte, ich hätte dich hierhergelockt, um deine Auszeichnung zur Lehrerin des Jahres zu feiern.«
»Oh mein Gott!« Regan brach in schallendes Gelächter aus, sodass die Leute an den Tischen im Außenbereich herübersahen. »Deshalb haben mich unsere Freunde so seltsam angeschaut, als ich ihnen gesagt habe, dass wir uns hier treffen.«
Beide bogen sich vor Lachen und klammerten sich aneinander fest.
Nach einer Weile schwang die Glastür auf und Eliza trat heraus. Wie immer trug sie die gelben Sportschuhe, die ihr Markenzeichen waren. »Scheinbar sind eure Überraschungen gelungen. Ich nehme mal an, ihr habt inzwischen gemerkt, dass ihr beide dieselbe Idee hattet?«
Immer noch atemlos vor Lachen nickte Ky nur.
»Kommt ihr mit rein oder sollen wir die Partyhüte draußen aufsetzen und hier das Konfetti werfen?«
Ky warf ihr einen strengen Blick zu. »Ich habe doch gesagt kein Konfetti, keine Partyhüte, keine Luftballons. Nur ein nettes Essen unter Freunden. Daran habt ihr euch doch gehalten, oder?«
Eliza grinste und hielt ihnen die Tür auf. »Kommt rein und findet es heraus.«
~ ~ ~
Als die Kellnerin den Teller mit dem Hühnchen-Curry-Salat-Wrap vor ihr abstellte, lief Regan das Wasser im Mund zusammen. »Das sieht toll aus, danke.«
Die junge Frau beugte sich über den Holztisch zu Ky herüber, die ihren gewohnten Platz neben Regan in der Fensternische eingenommen hatte. Sie stellte das Pulled-Pork-Sandwich vor Ky ab und schenkte ihr ein Lächeln. »Cooler Augenbrauenschlitz.« Sie tippte sich dicht oberhalb ihres Augenbrauenpiercings an die Stirn.
»Danke.« Ky erwiderte das Lächeln nicht. Auch erklärte sie nicht, dass die Lücke in ihrer linken Augenbraue nicht etwa ein Schönheitstrend war, sondern von einer Narbe aus ihrer Kindheit stammte. Damals war Ky mit dem Gesicht voran auf die oberste Holzsprosse der Strickleiter gefallen, die hinauf zu ihrem gemeinsamen Baumhaus führte. Noch heute fühlte Regan sich schuldig, denn sie hatte Ky dazu herausgefordert, schneller zu klettern.
Ky strich sich den zur Seite gestylten Pony ihrer ansonsten kurzen, braunen Haare über die Augenbraue und ließ ihre Schulter an Regans ruhen, so als würde sie ihre Schuldgefühle spüren. Flüchtig nickte sie der Kellnerin zu, ohne jedoch Blickkontakt herzustellen.
Regan verkniff sich ein Lächeln. An Ky war oft nur schwer heranzukommen. Ihre witzige Seite zeigte sie nur, wenn sie mit Regan allein war. Wahrscheinlich hatte sie das subtile Flirten der Kellnerin gar nicht bemerkt.
Ein köstlicher Duft stieg auf, als Ky das Ciabatta-Brötchen, das mit Pulled Pork und Krautsalat gefüllt war, in zwei Hälften schnitt.
Lecker. Gut, dass Regan sich nicht zwischen ihren beiden Lieblingsgerichten auf der Speisekarte entscheiden musste.
Wortlos tätigten Ky und sie ihren üblichen Austausch. Regan legte die Hälfte ihres Wraps auf Kys Teller, während Ky den etwas größeren Teil des Sandwichs zu ihr herüberschob.
Heather starrte sie an, während ihre Gabel über ihrem Sesam-Chili-Hühnchen-Salat verharrte. Langsam schüttelte sie den Kopf. »Das ist echt queer!« Sie blickte zuerst zu Denny und Eliza, die sich das letzte Stück Oregano-Brot als Vorspeise teilten, dann zu Miranda. »Machen Heteros das auch?«
Regans Kollegin, die einzige heterosexuelle Person am Tisch, sah von ihrem Veggie-Burger auf. »Was denn?«
Heather winkte mit ihrer Gabel in Richtung Regan und Ky. »Sich das Essen mit dem Partner teilen.«
Ky war gerade dabei gewesen, einen Bissen von ihrer Sandwichhälfte zu nehmen. Jetzt schloss sie den Mund mit einem hörbaren Klacken.
Regan warf ihr einen Blick zu. Nicht schon wieder die Leier. Aus irgendeinem Grund machten ihre Freundinnen ständig solche Bemerkungen.
»Sie ist nicht meine Partnerin«, sagten sie gleichzeitig.
»Natürlich machen Heteros das auch. Zumindest einige.« Miranda lachte. »Aber ich nicht. Wenn ich versuchen würde, meinem Mann die Hälfte seines Essens vom Teller zu nehmen, würde er mich mit der Gabel erstechen!«
Hatten Miranda und der Rest der Clique ihren Protest überhaupt gehört? Im Observatory ging es ziemlich ungezwungen und lebhaft zu, und da alle Tische voll besetzt waren, war der Geräuschpegel ziemlich hoch.
Regan hob die Hand und winkte, um ihre Freundinnen auf sich aufmerksam zu machen. »Sie ist nicht meine Partnerin«, wiederholte sie. Dann grinste sie zu Ky hinüber und fing den Blick ihrer vertrauten Augen ein. Deren Farbe ließ sich schwer genau bestimmen, vor allem im fahlen Schein der sternförmigen Lampe über dem Tisch. »Ich meine, natürlich bedeutet sie mir viel.« Sie stupste Kys solide gebauten Oberschenkel mit ihrem eigenen an. »Aber wir sind kein Paar.«
Miranda zuckte mit den Schultern. »Ach, egal, wie ihr es bezeichnen wollt. Ich bin vielleicht heterosexuell, aber ich bin nicht engstirnig.«
Regan sah hinüber zur Bar und den dahinter aufgereihten Flaschen. Himmel, sie brauchte einen Drink und zwar etwas Stärkeres als den Rotwein, den sie bestellt hatte. Miranda war im September als Sozialkundelehrerin an die Hamilton Highschool gekommen und sie hatten sich rasch angefreundet. Hatte sie die ganze Zeit über angenommen, dass Ky und sie zusammen waren?
»Nein, so hab ich das nicht gemeint.« Regan warf Ky einen flehenden Blick zu. »Sag du auch mal was.«
»Sie hat recht«, sagte Ky. »Wir sind nur befreundet.«
Regan rümpfte die Nase. Sie hasste diesen Ausdruck mit der lodernden Intensität von tausend Supernovas. Für sie waren Freundschaften genauso wichtig wie romantische Beziehungen.
»Vergiss das Nur«, fügte Ky schnell hinzu, bevor Regan etwas sagen konnte. »Ich weiß, du hasst diesen Ausdruck. Ich wollte sagen, wir sind Freundinnen. Beste Freundinnen.«
»Freundinnen, die sich necken, zanken und das Essen teilen wie ein altes Ehepaar«, sagte Eliza lächelnd.
Ky warf ihr einen grimmigen Blick zu. Mit ihrem ernsten Gebaren und ihren Gesichtszügen, die eher markant als traditionell hübsch waren, konnte Ky selbst die rebellischsten Jugendlichen einschüchtern, aber Eliza lächelte weiter unbeirrt, während sie sich an Dennys Schulter lehnte.
»Moment mal!« Miranda wedelte eine mit Parmesan bestreute Knoblauchpommes zwischen Regan und Ky hin und her. »Soll das heißen, ihr beide seid wirklich nicht –?«
»Nein.«
»Oh.« Miranda sah tatsächlich enttäuscht aus.
Eliza griff über den Tisch und tätschelte ihren Arm. »Mach dir nichts draus. Ich habe das auch lange gedacht, als Heather uns letzten Sommer einander vorgestellt hat. Denny und ich haben bis Weihnachten gebraucht, um zu kapieren, dass die beiden kein Paar sind.«
Im Ernst? Regan starrte sie an. Es stimmte tatsächlich, dass sie einander erst seit einem knappen Jahr kannten. Heather hatte im vergangenen Mai angefangen, zwischen ihren Fahrten als Schulbusfahrerin ein paar Stunden in der Mensa zu arbeiten. Obwohl sie sehr verschieden waren, hatten sich Heather und Ky gleich auf Anhieb gut verstanden, und als sie ihre Freunde einander vorgestellt hatten, war schnell das Gefühl entstanden, als würden sie einander alle schon ewig kennen. Aber vielleicht kannte die Clique sie nicht so gut, wie Regan angenommen hatte. »Warum halten uns alle ständig für ein Paar? Warum können zwei frauenliebende Frauen nicht befreundet sein, ohne dass jeder annimmt, dass sie …«
Mehrere Leute schauten von den Nachbartischen zu ihr herüber.
Mist. Hatte sie so laut gesprochen? Regan biss sich auf die Lippe.
»Den Matratzenmambo tanzen«, schlug Heather vor, als Regan nicht weitersprach.
»Miteinander Schlitten fahren«, fügte Eliza hinzu.
Miranda grinste. »Ein Nümmerchen schieben.«
Alle sahen zu Denny, der schüchternsten Person in ihrer Clique, um zu sehen, ob sie etwas beitragen würde.
Regan nutzte den Moment, um zu versuchen, die Gewürzgurke von Kys Teller zu stehlen.
Ohne auch nur in ihre Richtung zu schauen, versetzte Ky ihr einen Klaps auf die Finger, gab dann aber nach und reichte ihr die Gurke.
Dennys Wangen röteten sich, als sie spielerisch hinzufügte: »Einander die Briefmarkensammlung zeigen.«
Regan und Ky tauschten einen Blick aus, der eindeutig besagte: Warum sind wir eigentlich mit diesem Haufen befreundet?
»Wir machen nichts von alledem miteinander.« Regan sprach langsam, als würde sie den Schülern in der letzten Reihe das Konzept der Thermodynamik erklären.
»Oder überhaupt mit irgendjemandem«, warf Heather ein. »Es ist schon ewig her, dass eine von euch beiden ein Date hatte. Du nimmst Kylie sogar zu all deinen Familienfeiern mit und versuchst nicht einmal, eine andere Begleitung zu finden.«
»Na und? Meine Familie liebt Ky. Sie würden mich enterben, wenn ich sie nicht mitbringen würde. Das heißt aber nicht, dass wir ein Paar sind. Warum denken das immer alle?« Regan biss von der Gurke ab und kaute energisch.
»Ach, ich weiß auch nicht.« Eliza deutete auf die Essiggurke, an der Regan mampfte. »Vielleicht liegt es daran, wie ihr euch vom Teller der anderen bedient.«
»Aber …« Regan hatte Mühe, mit vollem Mund zu sprechen.
»Das machen Freunde doch auch«, sagte Ky für sie.
»Oder an der Art und Weise, wie ihr die Sätze der anderen beendet«, fügte Heather schmunzelnd hinzu.
Denny nahm einen Schluck von ihrem Bier. »Oder an dem Lesekreis, den ihr letztes Jahr gegründet habt.«
»Warum können zwei befreundete Frauen keinen Lesekreis gründen?«, fragte Ky.
»Es liegt nicht an der Tatsache, dass ihr einen Lesekreis gegründet habt, sondern daran, dass es ein Lesekreis für zwei ist. Ihr seid gar nicht auf den Gedanken gekommen, jemand anderen einzuladen.«
Ups. Regan rieb sich das Ohrläppchen. Sie sah Ky an und beide zuckten mit den Schultern.
Als sie Kinder gewesen waren, hatten sich ihre Eltern immer Sorgen darüber gemacht, dass sie kaum andere Freunde gehabt und nur miteinander gespielt hatten, doch Regan hatte nie geglaubt, etwas zu verpassen. Und jetzt, als Erwachsene, hatte sie einen wundervollen Freundeskreis – der aber leider partout nicht von dieser lächerlichen Vorstellung von Ky und ihr als Paar ablassen wollte.
»Aber nicht, weil Ky und ich unbedingt allein sein wollten, um ungestört miteinander flirten zu können oder so«, sagte Regan. »Es ist nur so, dass …« Wie sollte sie es erklären? Warum musste sie es überhaupt erklären?
Ky warf die Pommes frites, die sie gerade hatte essen wollen, zurück auf ihren Teller. »Wir sind kein Paar. Punkt.«
»Schade«, sagte Eliza leise. »Ihr wärt perfekt füreinander.«
»Kommt schon!« Regan gestikulierte zu Eliza und Denny hinüber. »Nur weil ihr zwei Turteltäubchen wahnsinnig glücklich miteinander seid, heißt das nicht, dass alle anderen auch ein Paar werden müssen. Ky und ich haben eine tolle Freundschaft, aber zwischen uns stimmt die Chemie eben nicht. Zumindest nicht für eine Beziehung.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein, obwohl ihr es noch nie ausprobiert habt?«, fragte Miranda. »Ähm, ich rede von einem Date. Nicht von …«
»Gemeinsamen Leibesübungen«, sagte Heather.
Ky schüttelte den Kopf. »Du fragst ausgerechnet Regan, ob sie sich bei einer Chemie-Sache sicher ist? Natürlich ist sie das. Wenn sich jemand mit Chemie auskennt, dann ja wohl Regan. Immerhin unterrichtet sie Chemie und ist gerade als Lehrerin des Jahres ausgezeichnet worden.« Ihr grimmiger Blick verwandelte sich in ein stolzes Lächeln. Sie hob ihr Weinglas. »Lasst uns darauf anstoßen und diese fruchtlose Diskussion beenden.«
Als sie miteinander anstießen, trafen sich ihre Blicke über ihre Gläser hinweg.
»Auf dich und deine Auszeichnung«, sagte Ky. »Ich bin unglaublich stolz auf dich.«
Der Ausdruck in Kys Augen erfüllte Regan mit Wärme. »Nicht halb so stolz wie ich auf dich, Frau Stellvertretende Leiterin der Schulmensa.«
Ky senkte den Kopf. »Ähm, na ja, eigentlich …«
Heather streckte die Hand über den Tisch und schlug Ky spielerisch auf die Schulter. »Das ist typisch Ky! Bescheiden wie immer.«
Ky sah auf. »Kylie«, sagte sie fest.
»Aber sienennt dich ständig Ky.« Heather zeigte mit ihrer Gabel auf Regan.
»Ja. Ich weiß nicht, warum, aber bei ihr ist das etwas anderes. Es fühlt sich falsch an, wenn mich jemand anderes so nennt.«
Heather schüttelte den Kopf. »Und ihr wundert euch darüber, dass euch alle für ein Paar halten oder glauben, ihr solltet eins sein?«
»Neue Regel, Leute!« Regan setzte ihre Lehrerinnenstimme ein, um die Aufmerksamkeit aller auf sich zu lenken. »Der Nächste, der das Thema anspricht, bezahlt am Ende des Abends die Rechnung.«
Als alle eilig begannen, sich über andere Dinge zu unterhalten, nickte Regan Ky zufrieden zu. Es machte ihr nichts aus, für Kys Partnerin gehalten zu werden. Ihrer Meinung nach konnte sich die Frau, die Ky irgendwann einmal heiraten würde, glücklich schätzen. Aber sie würde nicht diejenige sein. Ky und sie waren wie zwei Substanzen, die nicht miteinander reagierten, zumindest nicht auf romantische Weise. Man konnte sie zusammenmischen, aber es würde keinerlei chemische Reaktion geben.
Es stellte sich nur die Frage: Wie sollte sie ihren sturen Freundinnen diesen grundlegenden chemischen Sachverhalt beibringen?
Kapitel 2
Scheiße, Scheiße, Scheiße. Regans flache Schuhe quietschten auf dem Linoleumboden, als sie den Flur hinunterrannte, der das Hauptgebäude der Schule mit dem Westflügel verband.
Von wegen Morgenstund hat Gold im Mund. Sie hasste es, früh aufzustehen, vor allem am Montagmorgen. Selbst nach sechs Jahren als Lehrerin hatte sie sich noch nicht daran gewöhnt, dass um halb sechs ihr Wecker klingelte. Sobald sie dann in der Schule war, machte es ihr nichts mehr aus. Sich auf den Unterricht vorzubereiten und die Kinder zu begrüßen, gab ihr immer einen Energieschub.
Normalerweise kam sie mindestens eine Stunde vor den Schülern in der Schule an, damit sie die Materialien für den Unterricht zusammenstellen konnte, aber heute hatte sie die Schlummertaste einmal zu oft gedrückt. Na schön, vielleicht auch ein paarmal zu oft.
Jetzt hatte sie nicht einmal mehr Zeit, im Lehrerzimmer noch einen Kaffee zu trinken.
Sie schwang die Tür auf und schlitterte in ihr Klassenzimmer.
Die grellen Leuchtstoffröhren gingen an, als sie im Vorbeigehen den Lichtschalter betätigte. Sie nahm sich nicht die Zeit, den Postern von Marie, Alice, Rosalind und den anderen berühmten Chemikerinnen einen guten Morgen zuzunicken.
Doch dann zwang sie sich, langsamer zu machen. Methodisch suchte sie die Utensilien zusammen, die sie für das geplante Experiment benötigen würde: Bechergläser, Spatellöffel und Reagenzgläser. Schließlich nahm sie die Chemikalien aus den verschlossenen Schränken im Vorbereitungsraum. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie fünf Stationen im Laborbereich des Chemieraums aufgebaut hatte.
Ein Grinsen umspielte ihre Lippen, als sie mehrere Stücke von einem Magnesiumband abschnitt. Sie konnte es kaum erwarten, die Gesichter der Kinder zu sehen, wenn das Magnesium mit der Salzsäure reagierte.
Ihre Schüler liebten solche Experimente. Aber natürlich würde ihre Begeisterung schnell nachlassen, sobald Regan sie auffordern würde, die chemischen Gleichungen für die beobachteten Reaktionen aufzuschreiben.
Regans Magen gab ein lautes Knurren von sich, als sie die Zuckerpakete auf einem der Übungstische platzierte. Sie hatte es so eilig gehabt, dass sie ohne Frühstück das Haus verlassen hatte. Das ist kein Snack, sagte sie ihrem Bauch. Das Auflösen von Zucker in Wasser sollte den Schülern zeigen, dass nicht jede Verbindung zweier Stoffe eine chemische Reaktion hervorrief.
Genau wie bei Ky und mir.
Wenn es doch nur ein derart einfaches Experiment gäbe, das ihren Freundinnen beweisen würde, dass die Chemie, was Beziehungen anging, zwischen ihnen tatsächlich nicht stimmte.
Fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn hatte Regan alle Experimente aufgebaut. Mist. Das reichte nicht, um sich einen Kaffee zu holen.
Sie ging zum Lehrerpult hinüber, um ihren Laptop einzuschalten, und blieb plötzlich stehen.
Ein silberner Thermobecher stand dort neben einem Zimt-Mandel-Müsliriegel und einem Zettel.
Auch ohne ihn zu lesen, wusste Regan sofort, wer ihr dieses Notfallfrühstück hinterlassen hatte. Ky war einfach die Beste. Sie war immer für Regan da, selbst wenn sie dafür noch früher aufstehen musste, als das ohnehin schon der Fall war.
Mit einem zufriedenen Seufzen lehnte Regan sich gegen das Lehrerpult und griff nach dem Zettel.
Du bist zu lange aufgeblieben und hast verschlafen, stimmt’s?, stand dort in Kys unordentlicher Handschrift, die nur sie lesen konnte.
Obwohl Ky es nicht sehen konnte, nickte Regan reumütig. Sie hatte noch bis spät abends eine Übungsklausur für ihre Abschlussklasse zusammengestellt und die Arbeitsblätter für die heutigen Experimente überarbeitet, um den Unterricht für die Kinder interessanter zu gestalten.
In den letzten Jahren hatte sie gelernt, besser auf sich zu achten und nicht zuzulassen, dass ihr Job ihr Leben bestimmte, aber trotzdem passierte es noch ab und zu, dass sie bis tief in die Nacht an der Unterrichtsvorbereitung saß. Ky schien einen siebten Sinn dafür zu haben, wann sie verschlafen würde und Kaffee oder einen Snack brauchte.
Eigentlich war es nicht erlaubt, im Chemieraum zu essen, und Regan achtete zumindest immer darauf, es nicht in der Nähe des Lehrerpults zu tun, da dieses gleichzeitig als Experimentiertisch diente.
Rasch ging sie zum Bücherregal in der Ecke, verschlang den Müsliriegel in drei Bissen und spülte ihn mit einem großen Schluck Kaffee hinunter.
Lecker. Ky hatte den Kaffee genau so gemacht, wie Regan ihn mochte, stark und süß.
Sie nahm noch einen Schluck ihres Lebenselixiers, stellte den Becher dann aufs Bücherregal und zog ihren Laptop und einen Stapel Arbeitsblätter aus ihrer Aktentasche.
Das oberste Blatt glitt zu Boden.
Als sie sich bückte und es aufhob, fiel ihr Blick auf eine der Fragen, die ihre Schüler später beantworten mussten: Gibt es Hinweise darauf, dass eine chemische Reaktion stattgefunden hat?
Hm. Hinweise. Vielleicht brauchten auch ihre Freundinnen eindeutige Hinweise – oder vielmehr die Abwesenheit sämtlicher Hinweise – um endlich zu glauben, dass die Chemie für eine Beziehung zwischen Ky und ihr nicht stimmte.
Grinsend klappte sie ihren Laptop auf, gerade als die ersten Schüler den Raum betraten.
Ja, ein kleines Experiment war angesagt, auch wenn die Ergebnisse weit weniger spektakulär aussehen würden als die der heutigen Unterrichtseinheit.
~ ~ ~
Dampf stieg auf, als Ky die Tomatensoße in der 120-Liter-Kippbratpfanne mit einem riesigen Pfannenwender umrührte. Sie atmete tief das Aroma von Tomaten und Basilikum ein.
Der Pasta-Tag in der Schulmensa versetzte sie immer in ihre Kindheit zurück. Damals hatte sie mehr Zeit in Regans Haus verbracht als in ihrem eigenen, um den ständigen Streitereien ihrer Eltern zu entgehen. Sonntags hatte sie erst Anonnund später Regans Vater geholfen, neapolitanisches Ragù zuzubereiten.
Natürlich konnten die einfachen Nudelgerichte auf der Speisekarte der Schule nicht mit den wunderbaren Rezepten mithalten, die Regans Großmutter aus Italien mitgebracht hatte.
Ky fragte sich oft, was Anonnvon ihrem Job als Küchenhilfe gehalten hätte. Wäre sie stolz gewesen oder hätte sie sich bekreuzigt und wäre entsetzt gewesen über die wenig anspruchsvolle Zubereitung? Sicherlich hätte sie das Tomatenmark aus der Dose und die getrockneten Gewürze zum Verbrechen erklärt.
Unzählige Vorschriften und Richtlinien schränkten Ky in der Auswahl ihrer Zutaten ein, und sie hatte auch nicht die Zeit, die Soße sechs Stunden lang köcheln zu lassen, wie Anonns Rezept es verlangte. Aber zumindest wurden an der Hamilton Highschool nicht wie in vielen anderen Schulmensen nur vorgegarte Tiefkühlgerichte aufgewärmt, sondern das meiste wurde noch selbst gekocht.
Ky tauchte einen Löffel in die Soße, um sie zu probieren. Die süßsauren Aromen mischten sich auf ihrer Zunge und entlockten ihr ein zustimmendes Brummen.
Die Arbeit in der Schulmensa war zwar nicht ihr Traumjob, aber ansonsten ganz okay. Zumindest waren ihre Kolleginnen nett. Traumjobs wurden sowieso überbewertet. Ihr Vater hatte ständig nach mehr Geld, mehr Anerkennung, mehr Luxus gestrebt, und am Ende hatte sein Ehrgeiz ihn alles gekostet. Ky würde nicht denselben Fehler machen.
Fran, die Leiterin der Schulmensa, zwängte sich mit einem Blech heißer Brötchen an ihr vorbei und schreckte Ky aus ihren Gedanken auf. »Ist die Soße fertig zum Anrichten?«
»Ja.« Ky hielt ihr einen sauberen Löffel hin. »Willst du sie probieren?«
»Nein. Du hast bisher noch niemanden vergiftet. Richte sie an.«
Das war das größte Kompliment, das sie von ihrer resoluten Chefin bekommen würde. Ky überprüfte die Temperatur der Soße, schaltete dann die Kippbratpfanne aus und drückte die Kipptaste.
Die Rückseite des rechteckigen Edelstahlbehälters fuhr nach oben und entleerte die Soße in einen großen Behälter, den Ky darunter gestellt hatte.
Lilia Fernandez, ihre Mitbewohnerin und Kollegin, brachte die Nudeln zu ihr herüber. Gemeinsam mischten sie die Tomatensoße und die Pasta in mehreren Gastrobehältern, die sie samt Deckel auf die Warmhalteplatten der Ausgabetheke stellten.
Sekunden später läutete es zur Mittagspause. Die Flügeltüren der Mensa flogen auf und eine Welle von Gelächter und Gesprächsfetzen schwappte über Ky hinweg.
Ky zog ihre Schürze und das Poloshirt mit dem Schullogo glatt. »Da kommen sie.« Sie nahm ihre Position an der Ausgabestelle ein und machte sich auf den Ansturm hungriger Teenager gefasst. Wie auf Autopilot verteilte sie Pasta auf die Kunststofftabletts, überredete die Kinder, eine Portion Obst oder Gemüse zu nehmen, und behielt die Schüler mit Allergien im Auge.
Als ein Jugendlicher vor ihr verharrte, weil er nicht entscheiden konnte, ob eine Portion Brokkoli ihn umbringen würde oder nicht, sah Ky auf. Ihr Blick ging zum Ende der Schlange, wo Regan sich gerade ein Tablett nahm.
Sie war eine der wenigen Lehrkräfte, die gelegentlich in die Kantine kamen, während die meisten ihrer Kollegen es vorzogen, in ihren Klassenräumen oder im Lehrerzimmer zu essen. Ky konnte es ihnen nicht verdenken. Stühle scharrten über den Boden, Tabletts landeten klappernd auf den Tischen und die Kinder erzeugten einen Lärmpegel, der mit dem eines Flugzeugs beim Start mithalten konnte.
Es war immer etwas Besonderes für Ky, wenn Regan vorbeikam. Wenn es nach Ky gegangen wäre, hätte sie jeden Tag für sie gekocht.
Regan lachte über irgendetwas, was ein Schüler in der Schlange vor ihr gesagt hatte. Ihr typisch lautes Lachen hallte durch die Mensa und brachte Ky zum Lächeln. Regan hatte nichts Besonderes an. Sie trug eine olivfarbene Skinny-Jeans und ein langärmliges T-Shirt mit der Aufschrift Ich bin ganz in meinem Element. Ihre Lehrerinnenstrickjacke, wie Ky sie nannte, hatte sie über eine Schulter geworfen. Viele der Schüler um sie herum überragten Regan, aber trotzdem stach sie aus der Menge hervor.
Als ihre Blicke sich trafen, breitete sich ein Grinsen auf Regans Gesicht aus. Sie machte eine Handbewegung, die Trinken mimte, und legte dann die Hände zu einer Dankeschöngeste zusammen. Ihre Lippen formten ein stummes »Danke.«
»Gern geschehen«, erwiderte Ky. Als sie gestern Abend ein paar SMS ausgetauscht hatten, war Regan noch immer bei der Unterrichtsvorbereitung gewesen, deshalb hatte Ky geahnt, dass sie zu lange aufbleiben, verschlafen und zur Schule hetzen würde, ohne Zeit für einen Kaffee zu haben.
Der Schüler vor Ky räusperte sich. »Apfel?« Er zog das Wort in die Länge, als wäre Ky schwer von Begriff – wahrscheinlich, weil er es schon mehrmals wiederholt hatte.
Ups. Ky legte schnell einen Apfel auf sein Tablett und konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit.
Einige Male drang Regans Lachen zu ihr herüber, während diese sich mit Schülern unterhielt. Endlich hatte Regan die Essensausgabe erreicht. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass deine Snacks ein echter Lebensretter sind?«
»Ja, ich glaube, der Kapitän des Footballteams hat vorhin so etwas in der Art gemurmelt.« Ky zeigte mit einem Finger, der in einem Latexhandschuh steckte, auf einen der runden Tische in der Mitte der Mensa.
»Ach, hast du ihm auch Kaffee und einen Müsliriegel ins Klassenzimmer gebracht?«
»Nö. Diesen besonderen Service bieten wir nur unserer Lehrerin des Jahres.«
»Wir?« Regans Stupsnase kräuselte sich, als sie grinste, was die vielen Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken noch deutlicher zur Geltung brachte. »Heißt das, Lilia bringt mir ab sofort auch Kaffee?«
»Nur wenn du mich dafür bezahlst«, rief Lilia von der Obsttheke, die sie gerade auffüllte.
Die Schüler in der Schlange hinter Regan begannen, mit den Füßen zu scharren und ihre Tabletts nach vorn zu schieben.
Mist. Sie musste weitermachen. »Möchtest du Pasta?«
»Was denn sonst?« Regan hielt ihr das Tablett hin.
Ky häufte eine großzügige Portion Spaghetti mit Soße darauf. Dann streute sie Parmesan darüber. »Brötchen?« Mit der Zange hielt sie eines in die Höhe. »Die sind frisch aus dem Ofen.«
»Klar.« Regan zwinkerte ihr spielerisch zu, beugte sich über die Theke und flüsterte: »Du weißt doch, dass ich einem heißen Angebot von dir nie widerstehen kann.«
Oh Gott. Hitze schoss Ky in die Wangen. Warum musste ihre beste Freundin ständig flirten? Die Schüler konnten nicht wissen, dass sie nur Spaß machte und es all die Jahre problemlos geschafft hatte, Ky zu widerstehen. Sie zupfte am Kragen ihres Poloshirts und schielte zu den Jugendlichen, die zum Glück in ihre Handys vertieft waren. Zur Strafe häufte sie grüne Bohnen auf Regans Tablett, wohl wissend, dass diese das Gemüse hasste, und reichte es ihr mit einem Grinsen zurück. »Guten Appetit.«
Regan rümpfte die Nase. »Danke. Wir sehen uns heute Abend.«
»Ach?« Montag war weder ihr Netflix-Abend noch ihr üblicher Zeitpunkt, um The Last of Us zu spielen.
»Ja«, sagte Regan, während sie bereits davonging. »Du kommst bei mir vorbei, damit ich für dich kochen und dir von einer Idee erzählen kann, die ich hatte.«
Ein Stöhnen entwich Ky. Sie war sich nicht sicher, was gefährlicher war: dass Regan kochen wollte oder dass sie eine ihrer berüchtigten Ideen gehabt hatte.
Regans widerspenstige Locken hüpften bei jedem Schritt auf und ab, als sie zur Kasse marschierte. Nachdem sie ihre vierstellige Nummer eingegeben hatte, sah sie ein letztes Mal zu Ky zurück und warf ihr ein schelmisches Grinsen zu – das gleiche Grinsen, das Ky als Kind einige Male Hausarrest eingebracht hatte.
Oh, verdammt. Ky hatte das Gefühl, dass Regans Idee sich als gefährlicher als ihre Kochkünste erweisen würde.
~ ~ ~
Wären Dates mehr wie ein Treffen mit ihrer besten Freundin gewesen, wäre Regan vermutlich öfter mit jemandem ausgegangen. Wenn Ky vorbeikam, musste sie sich nicht schick machen oder in letzter Minute panisch die ganze Wohnung putzen. Sie konnten sich einfach gemeinsam aufs Sofa lümmeln, manchmal sogar in Jogginghosen und ohne BHs. Außerdem brauchte sie nicht versuchen, Ky mit einem extravaganten Abendessen zu beeindrucken.
Ihre Bewegungen hatten nichts von Kys geübter Eleganz, als sie die Tomaten schnitt, aber zum Glück versuchte Ky nie, sich als Küchenchefin aufzuspielen. Nachdem sie den ganzen Tag auf den Beinen gewesen war, schien Ky völlig zufrieden damit, auf der Couch zu sitzen und die Füße hochzulegen.
Regan spähte um den Kühlschrank herum und streckte den Kopf aus ihrer kleinen Küche, um das Wohnzimmer sehen zu können. Kys Anblick brachte sie zum Lächeln. Sie war die einzige Person, die Regan kannte, die noch immer Boot-Cut-Jeans trug, aber sie musste zugeben, dass sie Ky gut standen. Die Jeans betonte ihre schlanke Taille, breiten Hüften und kräftigen Oberschenkel.
»Was ist?«, fragte Ky, ohne die Augen zu öffnen. »Soll ich dir helfen?«
»Nein, ich mach das schon.« Regan bestrich zwei Ciabatta-Brötchen mit Paprikaaufstrich und belegte sie mit Schinken. »Ich habe vielleicht nicht die Kochkünste meiner Familie geerbt, aber meine Sandwiches sind Weltklasse.«
Ky gab ein zustimmendes Brummen von sich. »Stimmt. Ich habe nie verstanden, wie du ein Genie in Chemie sein kannst, aber keinerlei Talent zum Kochen hast. Unsere Jobs sind sich im Grunde ziemlich ähnlich, weißt du?«
Regan lachte und spähte erneut am Kühlschrank vorbei ins Wohnzimmer. »Du meinst, sie sind beide schlecht bezahlt?«
Kys kantiges Gesicht wirkte weicher, als sie lachte. »Das auch. Aber ich meinte, das Zusammenmischen von Chemikalien ähnelt dem Kochen, oder?«
»Irgendwie schon, aber wenn man Chemieversuche macht, sollte man lieber nicht …«
»… den Löffel ablecken«, beendeten sie gemeinsam den Satz.
Behagliche Stille machte sich breit, die nur durch das leise Summen des Ofens unterbrochen wurde. Das war ein weiterer Vorteil davon, den Abend mit ihrer besten Freundin zu verbringen: Bei Ky hatte Regan nie das Gefühl, Small Talk betreiben zu müssen, was eine angenehme Abwechslung war, nachdem sie schon den ganzen Tag über reden musste.
»Ach, fast hätte ich’s vergessen.« Ky ging zur Tür, wo sie ihren Rucksack abgestellt hatte. »Ich habe die Salami mitgebracht, die du so magst. Willst du ein paar Scheiben auf dein Sandwich tun?« Sie betrat den hufeisenförmigen Küchenbereich und hielt die Wurst in die Höhe.
»Woher hast du die denn? Die sieht aus wie die Soppressata, die meine Eltern immer für das Restaurant kaufen.« Regan nahm die Salami, schnitt ein Stück ab und steckte es sich in den Mund. »Mmh. Schmeckt auch so.«
Ky grinste. »Das liegt daran, dass es die Soppressata ist. Deine Eltern haben mir letzte Woche ein Paket mit Leckereien geschickt.«
Regan lehnte sich gegen einen der hellbraunen Küchenschränke und machte einen Schmollmund. »Warum schicken meine Eltern dir all meine Lieblingsessen?«
»Wahrscheinlich, weil sie wissen, dass ich die Köchin in der Familie bin.« Ky hielt inne und strich sich mit dem Handrücken den Pony von der breiten Stirn, während sie hinab auf die Fliesen starrte. »Äh, ich meine …«
»Hey.« Regan legte das Messer und die Salami beiseite und stieß Ky sanft mit der Hüfte an, aber da Ky größer und schwerer war, schaffte sie es nicht, diese auch nur einen Zentimeter vom Fleck zu bewegen. »Natürlich gehörst du zur Familie.«
Ky war wie eine Schwester für sie.
Sie dachte einen Moment lang darüber nach. Nein, das stimmte nicht ganz. Ihre Beziehung war anders als die, die Regan mit Mackenzie oder Robbie, ihren älteren Geschwistern, verband. Doch Regan konnte nicht erklären, was die Beziehung zu Ky so anders machte. Es war einfach so.
Regan schlang einen Arm um Ky und lehnte sich an sie. Trauer und Sehnsucht strahlten von Ky ab wie die Hitze von einem Pizzaofen. Sie erwiderte die seitliche Umarmung fester, als ihr vermutlich bewusst war. Regan hielt sie behutsam im Arm und kämpfte gegen den Drang an, laut mit den Zähnen zu knirschen. Sie hätte Kys Eltern umbringen können für das, was sie Ky angetan hatten.
Uff. Gut, dass sie diesen Gedanken nicht ausgesprochen hatte. Das hätte Ky nur daran erinnert, dass ihre Mutter tot und ihr Vater praktisch ein Fremder war. Seit er kurz nach Kys sechzehntem Geburtstag ins Gefängnis gekommen war, hatten sie kaum noch Kontakt, selbst nach seiner Entlassung nicht.
Sanft drückte sie Kys Schulter. »Du weißt, dass meine Eltern dich als die Tochter betrachten, die sie nie hatten, oder?«
Ky sah vom Boden auf. »Sie haben zwei Töchter.«
»Sie haben drei Töchter. Und manchmal glaube ich, du bist ihr Liebling.«
»Bin ich nicht«, brummte Ky, aber der Anflug eines Lächelns umspielte ihre Lippen.
»Bist du doch. Und jetzt komm und hilf mir, die Sandwiches in den Ofen zu schieben, sonst komme ich nie dazu, dir von meiner brillanten Idee zu erzählen.«
Essen zuzubereiten, schien Ky immer aufzuheitern, und Regan hoffte, dass es auch dieses Mal klappen würde.
Ky drückte sie ebenfalls und ließ dann los.
Gemeinsam schnitten sie Salat, Mozzarella und Soppressata, ohne sich dabei in der winzigen Küche gegenseitig in die Quere zu kommen.
Vielleicht hatte Ky recht. Kochen konnte genauso viel Spaß machen wie Chemie – zumindest mit dem richtigen Laborpartner.
~ ~ ~
Als sie sich mit ihren Sandwiches auf der Couch niederließen, hatte Ky ihren Moment der Schwäche schon fast vergessen. Jedem anderen gegenüber wäre es ihr peinlich gewesen, aber Regan hatte alle Höhen und Tiefen in ihrem Leben mit ihr durchlebt. Sie hatte Ky zur Seite gestanden, als Kys Vater beim Veruntreuen einer stattlichen Summe erwischt worden war, als Kys Mutter kurz darauf die Scheidung eingereicht hatte und mit ihr ans andere Ende des Bundesstaats gezogen war und als ihre Mutter am Tag vor Kys einundzwanzigstem Geburtstag an einer Überdosis Xanax und Alkohol gestorben war.
Regan hatte sie immer unterstützt, selbst während ihres letzten Schuljahres, das sie an verschiedenen Orten verbracht hatten, und während der Zeit, in der Regan aufs College gegangen war, während Ky in Fast-Food-Restaurants und Supermärkten gearbeitet hatte. Sie hatte immer einen Weg gefunden, für Ky da zu sein.
Regan hüpfte auf der Couch neben ihr auf und ab, als wollte sie Ky aus ihrer nachdenklichen Stimmung reißen. »Hör auf, trübseligen Gedanken nachzuhängen, und iss. Dein Sandwich wird kalt.«
»Woher weißt du, dass ich trübseligen Gedanken nachhänge?«
»Du bekommst dann immer hier eine Falte.« Regan berührte Kys Stirn oberhalb ihrer Augenbrauennarbe.
Ky rieb sich die Stelle. Sie hatte dort eine Falte? »Im Ernst?«
Regan grinste und nahm einen Bissen von ihrem Sandwich. »Nein«, sagte sie, nachdem sie geschluckt hatte. »Ich weiß es einfach. Jetzt iss oder ich nehme mir dein Sandwich, sobald ich meins aufgegessen habe.«
Ky wusste, dass es keine leere Drohung war. Regan hatte zwar nicht die Kochkünste ihrer Großmutter oder ihres Vaters geerbt, aber sie hatte definitiv deren Appetit. Ky hielt ihr Sandwich fest umklammert und hob es zum Mund. Der geschmolzene Käse, das knusprige Brot und der würzige Paprikaaufstrich verbanden sich auf ihrer Zunge zu einem perfekten Zusammenspiel verschiedener Aromen. »Oh mein Gott.« Sie ließ den Kopf gegen die Rückenlehne der Couch sinken und stöhnte. »Vergiss, dass ich gesagt habe, du könntest nicht kochen. Ich würde dieses Sandwich jederzeit einem Abendessen in einem Drei-Sterne-Restaurant vorziehen.«
Regan schluckte rasch einen weiteren Bissen ihres Sandwichs. »Ich wette, das sagst du zu allen Frauen, die dir was zu essen machen.«
»Frauen? Welche Frauen denn? Es ist ewig her, dass ich ein Date hatte.« Da sie Regan hatte, fehlte ihr nichts, selbst ohne Verabredungen.
»Ähm, ja, genau darüber wollte ich mit dir sprechen.« Regan legte ihr Ciabatta-Brötchen beiseite und wischte sich die Hände an einer Serviette ab. »Ich gebe es nur ungern zu, aber Heather hatte recht mit dem, was sie gesagt hat.«
Ky verharrte mit dem Sandwich dicht vor ihren Lippen und schielte zu Regan hinüber. Sie meinte doch nicht etwa …? Glaubte Regan wirklich, dass die Beziehungs-Chemie zwischen ihnen doch stimmte? Trotz des warmen Sandwichs in ihren Händen wurde ihr kalt. Ein Eisklumpen schien sich in ihrem Bauch zu bilden. Regan konnte nicht ahnen, dass Ky einst, vor vielen Jahren, ein bisschen in sie verknallt gewesen war. Oder etwa doch?
Regan lachte. »Jetzt hast du hier wirklich eine Falte bekommen.« Sie rieb mit ihrem Zeigefinger über Kys Stirn.
Puh. Ky atmete auf und schob Regans Hand beiseite. Regan ahnte nichts. Es gab auch nichts zu ahnen. Es war nur eine alberne Jugendschwärmerei gewesen und abgesehen von einigen pubertären Fantasien hatte sie nie ernsthaft in Erwägung gezogen, ihren Gefühlen zu folgen. Damals hatte sie nicht einmal gewusst, dass Regan nicht nur auf Jungs, sondern auch auf Mädchen stand. Regan hatte es ja selbst nicht geahnt.
Und dann war Kys Vater verhaftet worden und ihre ganze Welt war ins Wanken geraten. Nur eine einzige Sache in Kys Leben hatte sich nicht verändert: Regan und ihre Familie.
Gott sei Dank war sie selbst mit sechzehn Jahren klug genug gewesen, ihre Gefühle nicht herauszuposaunen und so ihre einzige Zuflucht zu riskieren. Jetzt spielte diese pubertäre Schwärmerei ohnehin keine Rolle mehr. Sie war schon seit Jahren darüber hinweg.
»Ich habe keine Falten.« Ky kämmte sich die Ponyfransen über die Stirn.
»Na ja, immerhin bist du älter als ich.«
Ky schnaubte. »Um einen Monat und sechzehn Tage.« Sie nahm einen Bissen von ihrem Sandwich, um ihren flauen Magen zu beruhigen. »Also«, sagte sie schließlich, »womit hatte Heather denn nun recht?«
»Es ist länger her, als mir lieb ist, seit ich … seit wir beide in einer Beziehung waren.«
Inzwischen war Ky eine Beziehung nicht mehr so wichtig. Keine hatte jemals ihre Erwartungen erfüllt und sie selbst war den Erwartungen ihrer Freundinnen auch nie gerecht geworden. »Warum ist das ein Problem?« Solange sie beide single waren, schrieb ihnen wenigstens niemand vor, wie viel Zeit sie miteinander verbringen durften.
»Es ist kein Problem«, sagte Regan. »Außer, dass es unsere Freunde auf den Gedanken bringt, wir beide sollten es miteinander versuchen.«
Ky starrte sie über ihr Sandwich hinweg an. »Du willst eine Beziehung mit jemandem anfangen, nur damit unsere Freunde endlich Ruhe geben?«
Regan stupste sie mit der Schulter an. »Himmel, nein. Aber als ich heute Morgen einen Versuch für meine Schüler vorbereitet habe, kam mir eine Idee.«
»Hat diese Idee irgendetwas mit Brennnesseln zu tun?«
Regan warf ein Stück Brot nach ihr. »Das wirst du mir nie verzeihen, oder?«
»Nö.« Ky steckte sich das Stück Ciabatta in den Mund. »Immerhin hatte ich wochenlang einen Ausschlag. Fran musste mich zum Brotdienst einteilen, damit ich hinten in der Küche bleiben konnte und die Kinder mich nicht ständig anstarrten.«
»Diesmal ist alles anders. Diese Idee ist wirklich genial. Ich glaube, ich weiß, wie wir alle dazu bringen können, ein für alle Mal mit dem Gerede über uns aufzuhören.«
»Also gut, dann lass mal hören.«
Anstatt sofort loszuschießen, schob sich Regan den Rest ihres Sandwiches in den Mund und kaute gründlich.
Irgendetwas stimmte nicht. Normalerweise war Regan nicht gerade für ihre Zurückhaltung bekannt. Ungeduldig wartete Ky auf eine Erklärung.
»Weißt du, was wir Naturwissenschaftler tun, um zu beweisen, dass zwei Substanzen nicht miteinander reagieren?«
»Das fragst du mich?« Ky tippte sich auf die Brust. »Ich wäre trotz all deiner Nachhilfe fast durch die Chemieprüfung gefallen.«
»Okay, ich sag’s dir. Wir führen ein Experiment durch.«
Ky verschluckte sich fast an dem letzten Bissen ihres Sandwichs. Was in aller Welt hatte Regan vor?
Regans dröhnendes Lachen hallte durch die Einzimmerwohnung. »Zügle deine schmutzigen Gedanken, Kylie Wells. Von der Art Experiment rede ich nicht. Im Chemieunterricht mischen wir zwei Substanzen und halten nach Anzeichen für eine chemische Reaktion Ausschau. Wenn sich keine Wärme, kein Geruch, keine Gasbläschen oder andere Hinweise entwickeln, schließen wir daraus, dass –«
»Die Chemie nicht stimmt«, beendete Ky für sie den Satz.
»So ungefähr. Wenn du und ich also auf ein Date gehen und es keine –«
»Unangenehmen Gerüche gibt?«, warf Ky grinsend ein.
Regan funkelte sie an, aber mit ihren geröteten Wangen, der süßen Stupsnase und ihrer zierlichen Statur war sie nicht gerade einschüchternd. »Wenn keinerlei Hitze entsteht und sich auch sonst nichts verändert …« Sie schwenkte ihren Arm, als würde sie einen Zaubertrick vorführen.
