Am Ende des Tunnels ist nichts - Lele Frank - E-Book

Am Ende des Tunnels ist nichts E-Book

Lele Frank

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Beschreibung

Hellwach ist sie jetzt. Vollgepumpt mit Adrenalin bis oben hin. Das Gefühl kennt sie schon, sie ist gewappnet. Nur noch ein paar Schritte bis zur Haustür, dann wird sich der Knoten in ihrer Brust auflösen und im Nichts verschwinden. Immer noch versperren alte Bilder in ihrem Kopf den unbeschwerten Gang. Immer noch folgen ihr die Dämonen aus der Vergangenheit, die zur Gegenwart geworden ist. Immer noch hält sie an ihren konditionierten Zweifeln fest: Ist er wirklich nicht mehr da? Bin ich frei oder ist alles nur eine trügerische Illusion aus immerzu wiederkehrenden Wünschen heraus, es möge doch endlich zu Ende sein? Sie tut sich schwer, die Gegenwart zu verstehen. Applaus, spricht sie sich eigenes Lob zu: Dieser Tag wäre überstanden. Dieser Tag wäre vorbei. Nur nicht an morgen denken. Frei sein für ein paar ungestörte Augenblicke. Atmen. Dieses Buch erzählt von einem Leben nach der Hölle. Fast dreizehn Jahre lang war Neela ihrem Peiniger schutzlos ausgeliefert. Er spielte mit ihr das teuflische Spiel der Existenzvernichtung.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 288

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Die Autorin Lele Frank – sie selbst bezeichnet sich als Schreibwerkerin - wurde 1957 in Bad Kreuznach geboren, ist Bauingenieurin und hat über 35 Jahre in dieser Ellbogen-Branche gearbeitet. Ende 2012 gab sie Beruf und Firma aus persönlichen und gesundheitlichen (ausgebrannt) Gründen auf. Nach dem Ende einer dramatischen Beziehung entdeckte sie die Liebe und Leidenschaft Bücher zu schreiben. Mit ihrem ersten Buch „Tanz der Optimisten“, welches eigentlich nur einen therapeutischen Zweck erfüllen sollte, hat sie sich ins Leben zurückgeschrieben.

Sie lebt an der Ostsee und bezeichnet ihre jetzige Tätigkeit als:

„Das Leben genießen.“

 

Das Buch:

Ist es möglich, nach so vielen Jahren Isolation und De-sozialisierung, wieder ein ganz normales Leben zu leben? „Geh` weg“, sagt Neela zu jedem Mann der sich ihr nähert. „Wir haben keine gemeinsame Vergangenheit, keine gemeinsame Gegenwart und schon gar keine Zukunft.“ Sie resümiert ihre Ansichten schroff und zeigt unverhohlen ihr Misstrauen. Und es stört sie offensichtlich nicht, dass sie mit ihrer verallgemeinernden Haltung alle Menschen, um sich herum und anderswo, damit vor den Kopf stößt.

Was zum Teufels stimmt nicht mit mir, fragt Neela sich Tag für Tag. Alleine die Beschädigungen aus der Vergangenheit reichen doch nicht aus, um derart ins Abseits zu geraten. Warum ist es nicht möglich seine ganz persönliche Lebensart glaubhaft zu machen. Warum wird man nicht erst genommen und ohne Neid und Ablehnung einfach nur akzeptiert, ohne diese ewigen Hintergedanken die man in den Gesichtern ablesen kann wie aus einem abgenutzten Lexikon. Haltlose Unterstellung, man sei ja letztlich doch auf der Suche nach einem adäquaten Gegenstück, oder - wenn dies nicht zuträfe sei man anderweitig schräg und gesellschaftlich inkompatibel, das ist trauriger, frustrierender Alltag. Und wenn dies nicht der Fall sei, hätte man vermutlich die Fraktion gewechselt und sei heimlich homosexuell. Man selbst weiß nichts von seinen eigenen Absichten und Neigungen, aber die anderen - die sich moderne Gesellschaft nennen und immerzu von Nächstenliebe reden, die wissen es.

 

© 2018 Lele Frank

© Umschlag, Illustration: Lele Frank

© Coverfoto: Liane Hinkelmann

Verlag: Tredition GmbH, Hamburg

Paperback    ISBN    978-3-7469-7559-7

Hardcover    ISBN    978-3-7469-7560-3

e-Book          ISBN    978-3-7469-7561-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

 

 

Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht begriffen…

Johannes 1:5,9

Kapitel 1: Besuch der Schwester

Freitag war gestern, erinnerte sich Neela diffus. Sie war gerade, in dieser Sekunde, von einem ihrer schmerzvoll gedanklichen Ausflüge wieder zurück-, wieder zu sich selbst zurückgekehrt. Immer dann, wenn sie diese unwillkommenen Reisen in die zurückliegenden Geschehnisse spontan und unwillkommen überfielen, ging es ihr anschließend tagelang nicht gut. Ihr Ton veränderte sich, in dem sie sprach, und ihre Haltung zeigte deutliche Resignation. Die Frage, wann das endlich aufhören- wann ealles endlich wieder alltäglich sein könnte und normal, die stellte sie sich schon lange nicht mehr. Zu Selma, ihrer jüngeren Schwester sagte sie immer, dass dies alles wie ein genetischer Defekt sei der in ihr wohne. Sie müsse sich nur einfach daran gewöhnen und sich mit ihm, diesem unangenehmen Defekt versöhnen, dann ginge es schon… irgendwie.

Neela fröstelte. Sie hatte wieder einmal, isoliert von sämtlicher Außenwelt- von sämtlichen Menschen sogar von Selma, die vorbeistreichende Zeit aus den Augen aus dem Sinn verloren, weil sie heute, an diesem stillen Spätsommertag in den letzten Akt ihrer alles verändernden, bitteren Vergangenheit zurückgereist war. So vehement und fordernd wie schon lange nicht mehr, tanzten Bilder dieser Zeit, vor ihrem inneren Auge herum und neckten sie bösartig. Antons lautes, diabolisches Lachen torkelte durch den Raum in dem sie bewegungslos saß. Dabei ging es immer und immer wieder um endlose Wiederholungen von Situationen, die sich partout in Neelas Kopf nicht verarbeiten ließen. Dabei ging es aber auch, um das unerwartete, faszinierende, dramatische und so plötzliche Ende einer fast dreizehn Jahre andauernden Leidensgeschichte, in der sich Neela so alleine- so hilflos und ausgeliefert gefühlt hatte wie ein ausgesetzter Hund, den man an einen Laternenpfosten angebunden, lieblos zurücklässt, weil demjenigen der diese Sünde beging, das Schicksal des Hundes völlig gleichgültig war. Bis heute- bis zum heutigen Tage gelang es ihr nicht das Ergebnis, das tatsächliche Ende als real zu akzeptieren. Neela war von Ängsten derart tief beschädigt, dass sie den Blick für positive Dinge gänzlich eingebüßt hatte. Und die Intoleranz der bestehenden Gesellschaft, die tat alles dafür, dass es so blieb.

Damals – siebzehn Jahre ist das jetzt schon her – verlangte Neela sogar von ihrer Halbschwester Selma, dass sie den offensichtlichen Kontakt zu ihr einstellte, um nicht noch selbst zum Ziel dieses perfiden Stalkers zu werden, der damit sogar gedroht hatte, Selma notfalls auch nicht zu schonen, als sein grenzenloser Hass über seinen bisherigen Aktionsradius schwappte. Auch Neelas Mutter wäre ihm – notfalls, wenn Neela sich ihm durch einen Umzug entzogen hätte, durchaus zu pass gekommen; Hauptsache Leid und große Schäden verursachen, so seine kranke Intension. An seiner Unzurechnungsfähigkeit hafteten längst keine Zweifel mehr. Er war gefährlich und unkalkulierbar blind in seiner Wut.

Selma folgte den liebevollen Aufforderungen ihrer großen Schwester, weil sie Angst um ihre einzige Tochter, und um sich selbst und ihr kostbares Ladengeschäft hatte, welches sich für eine Vandalismus-Attacke - wie Neela sie schon zwei Mal in ihrem eigenen Geschäft hatte hinnehmen müssen, trotz Überwachungskameras und einbruchsicheren Glasscheiben, ebenso gut geeignet hätte, Antons Zerstörungswut zu befriedigen. Lediglich das Telefon, womit in dieser Zeit Neelas Einsamkeit oft überbrückt wurde, bildete den einzigen seidenen aber zuverlässigen, hilfreichen Faden zwischen den beiden Halbschwestern, die sich im Leben erst sehr spät kennengelernt hatten, weil man in ihren jeweiligen Familien nicht unbedingt großen Wert auf Wahrheitsfindungen legte. Neela und Selma teilten sich einen gemeinsamen Vater. Ihre beiden Mütter hätten unterschiedlicher nicht sein können, was aber letztlich kaum eine wirkliche Rolle spielte. Bei beiden Frauen hatte der Vater seine Gene erfolgreich durchgesetzt. Die Ähnlichkeit war geradezu verblüffend.

Die unfassbar lange- sich hinziehende, schreckliche Leidenszeit von fast dreizehn Jahren dieser ungeahndeten Stalking-Bedrohung in Neelas kleinem Leben, sorgte dafür, dass Selma von ihren klugen, nutzlosen Ratschlägen letztlich absah. Irgendwann musste selbst sie, die immer einen guten Weg und einen guten Rat zu wissen glaubte einsehen, dass nichts, rein gar nichts helfen konnte, was diesen Menschen zur Einsicht brächte. Anton wog sich in bequemer, komfortabler Sicherheit, weil niemand – weder die Polizei, noch die Staatsanwaltschaft, noch die Gerichte, Neela wirkungsvollen Beistand leisteten. Solange es an stichhaltigen Beweisen fehlte, unterstellte man Neela beinahe eine erfundene Hysterie. Und wenn sie keine stichhaltigen Beweise vorlegen könnte, solange könne man halt auch nichts tun. Die Gesetze für solche Fälle, hätten schließlich ihre Existenzberechtigung und seien schließlich von klugen, verantwortungsvollen Menschen der Regierungen aufgestellt und verabschiedet worden, hieß es. Was Neela mit einem lauten, bitterbösen, vulgären Lachen quittierte. Womit sie sich bei dieser stinkfaulen, desinteressierten, oft sehr unfreundlichen Exekutive natürlich alles andere als Freunde schaffte. Am liebsten hätte man ihr die Türen vor der Nase zugeschlagen, wenn sie, Neela, wieder ein Vorkommnis zur Anzeige bringen musste, weil sonst die Versicherungen ihre Zahlungen verweigert hätten. Ein trauriger, absurder Kreislauf in dem sie feststeckte. Diese zahlreichen, schweren Sachbeschädigungen, die könnten auch von einem gerissenen Neider oder gar einem Feind gemacht worden sein, belehrte man Neela, und dass sie sich womöglich alles nur einbildete oder Anton sogar absichtlich schaden wolle. Diese dumme, haltlose Unterstellung trug letztlich dazu bei, dass Neela Zeit ihres Lebens jeglichen Respekt und Achtung vor diesen Behörden verlor und gegen tiefste Ver-achtung austauschte.

Selma konnte in dieser bösen Zeit des Leidens nichts weiter tun, als hilflos zuzusehen, wie ihre Schwester hilflos zu einer zurückgezogenen Außenseiterin mutierte. Dieser schreckliche Wandel vollzog sich übergangslos aber gut sicht- und spürbar für alle Menschen die Neela von früher als lebenslustige, fleißige, höchst belastbare und hilfsbereite Person kannten. Neelas Herz wurde immer weiter und weiter so hart wie Stein, ihre Be-urteilungen messerscharf, direkt und gnadenlos ehrlich. Diplomatie wurde ausrangiert wie ein altes Kleidungsstück und machte direkten, harschen Worten Platz, ohne Rücksicht auf bleibende Schäden. Erst im letzten Akt dieser Tragödie sollte die finale Erlösung liegen. Im letzten Akt sollte der Tod eines Menschen zum schönsten Tag in Neelas Leben werden, wenn sie es denn verstanden hätte, dass es tatsächlich so war. Und so absurd dies alles klingen mag, aber dieser Tod war glückbringend für alle Beteiligten, um- und neben Anton herum. Einzig für Neela war es zu spät.

Der September zeigte sich zwar zärtlich mit seiner noch milden Temperatur, dennoch vermochte er Neelas gefrorene Seele nicht wirklich zu erwärmen und für sich zu begeistern. Sie sah lustlos auf die digitale Uhr unter dem großen Fernseher und las die Zahlen 16:08., die den späten Nachmittag bestätigten. „Na dann“, sagte sie laut, als hätte jemand das Zimmer betreten mit dem sie sich unterhalten könnte. Bevor Neela - aus Gewohnheit - die Terrassentür zuzog, schickte sie noch einen letzten Gedanken durch die schmale Öffnung hinaus. Eine Art ritueller Abschluss den sie, jedes Mal, nach solchen Gedanken-Flashs, wie sie es ratlos nannte, wenn die Vergangenheit sie mit dieser immensen Wucht einholte und überrollte, zelebrierte, um wieder zur inneren Ruhe und fragiler Normalität zurückzufinden. Ähnlich einem Schlussakkord für ein spezielles Lied das Seele hieß; die malträtierte und gequälte, schickte sie diesen Gedanken an Gott, den sie damit um Kraft für die Zukunft bat. „Momentan ist richtig“, flüsterte Neelas innere Stimme. „Momentan ist gut. Nichts ist wirklich wichtig. Nach der Ebbe kommt die Flut.“ Die Zeilen aus Grönemeyers Album "Mensch" gefielen Neela von Mal zu Mal mehr; beschrieben sie doch mit einfachen und wenigen Worten auf eine ganz banale Art und Weise das eigene Hier und Jetzt, welches man leben musste, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gab. Es gab sie nicht… diese andere Möglichkeit. Dazu hätte Neela ihre Sicherheitszone verlassen müssen, was völlig ausgeschlossen schien.

Rückblick auf die letzten- die finalen Geschehnisse, auf den letzten Akt entglittener, schmerzvoller Vergangenheit, bevor der angeflehte Gott die ersehnte Hilfe schickte:

Die Trennung von Anton war im Grunde vollzogen. Neela hatte keine Zukunft mehr, wie es schien. Sie würde vermutlich alles verlieren, weil er auf der Stelle das geliehene Geld zurückforderte, wozu sie aber zuerst das Haus verkaufen musste, was sie auch wollte. Ab und an übernachtete er sogar noch im Haus, um die Kontrolle zu behalten und Neela psychisch zu terrorisieren, perfide zu stalken und vor allem, um sie ausgiebig zu schikanieren. Die Staatsanwaltschaft räumte ihm dieses absurde Wohn-Recht ein, weil Anton einen rechtskräftigen Mietvertrag in Neelas Haus- mit einem Jahr Kündigungsfrist besaß. Darüber nachzudenken lohnt nicht, weil man solche Regelungen ohnehin nicht erklären- oder verstehen kann. Eine andere Frau war, um Neela zu provozieren, schon länger an Antons Seite. Eine Art Rache, wie er glaubte. Insgeheim hoffte er sogar Neela damit zurückzugewinnen. Anton wohnte nur temporär bei dieser Frau, die keine Skrupel kannte. Neela nannte sie verächtlich „Trudchen.“

Neela hatte die Zeiten, in denen das Unglückshaus ausgebucht war dazu benutzt, am Strand zu liegen, um sich von ihrer harten Arbeit zu erholen. Sie war so braun wie noch nie in ihrem Leben. Trotz der vielen Arbeit und des Kummers mit Anton, sah sie ganz gut aus. Ein Fremder würde nicht sehen können durch welches Tal der Tränen siegerade schritt. Sie hatte unten am Strand eine Frau kennengelernt, die einen Dobermann besaß und sich mit ihr für Spaziergänge verabredet. Sie musste auch mal wieder raus – „Sonst verblöde ich noch“, sagte sie sich. Der große Hund war ganz verrückt nach ihr. Dass er ihr eines Tages einen großen Dienst erweisen würde, konnte Neela zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Heute wollte sie erst einmal mit der Frau zum Strandfest gehen. Darauf freute sie sich. Freundschaften in der Nachbarschaft waren nicht möglich. Außer einem Ehepaar, das noch mehr trank als Anton, und einer Friseurin die so falsch war wie Katharina die Große, war weiter niemand da, der vom Alter her zu ihr gepasst hätte. Im Großen und Ganzen stand sie alleine da. Im Herbst würden ihre Eltern zu Besuch kommen, das war es dann auch schon an Abwechslung.

Sie stand im Bad und machte sich fein. Ein Kleidchen, das ihre braunen Beine zeigte. Mal wieder ein wenig Schmuck anlegen und schminken. Fertig. Sie ging hinaus und … Anton saß am Tisch und glotzte die Tischplatte an. Na, der hat mir gerade noch gefehlt, dachte sie.

Anton hob den Kopf und betrachtete sie eingehend. Sie grüßte ihn freundlich und erkundigte sich nach dem Wohlbefinden von seiner Frau Königin. Anton gab keine Antwort. Es schürte ihm das Herz zusammen Neela so zu sehen. Sie war und blieb seine Traumfrau. Vielleicht hätte er irgendwann doch noch eine Chance, hoffte er vergebens. Aber so, wie die Lage aussah, konnte er das vergessen. Sie hatte sich bisher nicht kleinkriegen lassen. Woher sie die Kraft nahm, war ihm schleierhaft. Er musste sie vernichten, wenn sie nicht zu ihm zurückkommen würde, so viel stand fest. Dazu musste er möglichst viele Kräfte sammeln. In Trudchens Haus und Bett hatte er sich ganz schön verausgabt. Der Alkohol erledigte den kümmerlichen Rest.

Neela rief fröhlich: „Tschühüüüs, lieber Anton“, und rauschte die Treppe hinunter. Weg war sie. Hätte sie geahnt was an diesem Abend noch auf sie zukommen würde- hätte siegewusst, dass sie leichtsinniger Weise Anton unterschätzte, wäre sie nicht so unbeschwert zu diesem Fest aufgebrochen. Ganz wohl war ihr zwar nicht in der Haut, Anton jetzt alleine im Haus zu wissen. Aber sie hatte vorgesorgt. Alle wichtigen Sachen und Dokumente hatte sie gut versteckt. Die würde Anton nie finden. Dazu brauchte man ein bisschen Verstand. Den, hatte sie nicht zu befürchten. Verstand fiel ja nicht vom Himmel. Neela dachte darüber nach, was wäre, wenn sie keine Schulden bei ihm hätte. Vielleicht hätte er schon das Haus angezündet. So aber musste er ja irgendwie wieder an sein Geld kommen. Und das war nur über den Verkauf möglich. Vorerst. In gewisser Weise war es für sie sogar ein Schutz. Gut, dass er so monetär gesteuert war. Es machte ihn so berechenbar, außer, wenn er besoffen war, dann musste sie sehr aufpassen. Dann war er nicht mehr so ganz bei sich und tickte gefährlich aus.

Das Fest war ganz nett, aber nichts Besonderes. Die Nachbarn beäugten sie neugierig und fragten sich, woher sie die Nerven nahm. Jeder wusste Bescheid. Das ließ sich in so einem kleinen Kaff nicht vermeiden. Neela war es egal, was sie von ihr dachten. Das war schon immer so gewesen. In dieser Beziehung war sie schon immer selbstbewusst und stolz. Jeder hatte vor seiner eigenen Tür genug zu kehren.

Kurz nach einundzwanzig Uhr war sie wieder zu Hause. Sie war erleichtert Antons Auto nicht mehr vor dem Haus stehen zu sehen. Neela ging nach oben und schenkte sich einen Brandy ein. Am Strand wollte sie nichts trinken, jeder ihrer Schritte wurde beobachtet. Am Ende würden sie noch erzählen, dass sie auch saufe. Das wollte Neela natürlich vermeiden. Alles andere war ihr vollkommen egal. Eine letzte Zigarette noch, dann war Schluss für heute. Sie stand auf und wollte die Terrassentür schließen. Es war bereits Mitte September und schon ganz schön kühl am Abend.

Bevor sie den Türgriff in die Hand nehmen konnte, hörte sie ein leises „klick“ vom Erdgeschoß herauf. Neela war zwarkurzsichtig wie ein Maulwurf und trug Kontaktlinsen, aber Ohren hatte sie wie ein Luchs.

Sofort stellten sich ihre Nackenhaare hoch. Dieses Mal wusste sie intuitiv, dass es nichts Gutes zu bedeuten hatte. Sie verhielt sich ganz ruhig und hielt den Atem an. Da! Ganz deutlich! Sie hörte Anton atmen. Er war unten und hatte sich wohl im Keller versteckt. Das leise „klick“ war die Tür die nach unten in den Keller führte. Es gab nur diese eine im unteren Dielenbüro. Clever, wie Anton war, hatte er sein Auto ein paar Straßen weiter versteckt.

„Das ganze blöde Volk ist beim Saisonabschlussfest. Keiner wird mich sehen, wenn ich zu Fuß wieder zurückgehe. Keiner wird mich sehen, wenn ich das Haus wieder verlasse“, überlegte Anton. Er hatte sich Mut angetrunken. Das war aber im Moment eher ein Nachteil, denn er atmete zu laut. Er konnte ja nicht ahnen, dass Neela ihn hören würde. Er musste ganz leise die Treppe hochschleichen und den Überraschungsmoment abpassen. Tot wollte er sie nicht machen, aber so zurichten, dass kein anderer Mann mehr an ihr Gefallen finden würde. Er hatte da auch schon ein paar kleine Tricks auf Lager das sie nie wieder vögeln könnte. Anton grinste irre. Niemand würde etwas beweisen können. Neela stand oben am Tisch und hatte sich Gott sei Dank noch nicht gesetzt und Gott sei Dank noch nicht die Terrassentür verschlossen. Sie überlegte kurz, wie weit sie auf der Dachterrasse kommen würde. Aber es war zu hoch, um hinunterzuspringen. Ihr klopfte das Herz bis zum Hals. „Bleib cool“, sagte sie sich immer wieder.

Sie zog ihre Schuhe aus und schlich in den Hauswirtschaftsraum. Leise drehte sie den Schlüssel herum und zog ihn ab. Der Schlüssel musste verschwunden bleiben, sonst hätte er sofort bemerkt, dass sie sich hier eingeschlossen hatte. Aber genau genommen hatte sie sich selbst in eine Falle gesperrt. Sie war sicher, dass er die Tür aufbrechen würde. Wenn er aber keinen Schlüssel sah, könnte er annehmen, sie hätte den Raum wegen der Sicherungen abgeschlossen. IhreGedanken überschlugen sich. Sie sah sich um und registrierte den schmalen Hochschrank, in dem Besen und Staubsauger verstaut waren. Er war nur fünfzig Zentimeter breit und zwei Meter hoch. Sie öffnete ihn leise und stellte den Staubsauger an die Wand, so als wäre es Absicht. Sie nahm Besen und Eimer heraus und stellte sie vor die Waschmaschine. Scheiße, scheiße, scheiße. Sie hörte Anton die Treppe hochkommen. Sie musste sich beeilen. Neela packte die Sprühflasche mit dem Fleckenreiniger und quetschte sich atemlos rückwärts in den schmalen Schrank. Damit würde sie ihm in die Augen sprühen, falls er sie fände.

Anton kam leise um die Ecke und bellte laut: „Pah…“, um sie mit diesem Schrecken einzufrieren. Aber da saß keine Neela die er hätte überraschen können. Er ging hinaus auf die Terrasse. Dort musste sie sein. Es dauerte einen Moment, bis er die hundertsechzig Quadratmeter abgesucht hatte. Neela hörte jeden seiner Schritte. Ihr rauschte das Blut in den Ohren. Sie musste versuchen, ruhiger zu atmen. Das Schlimmste stand ihr noch bevor, denn Anton kam wieder zurück. Er rief wie der Satan persönlich: „Neeela! Neelalein, wo bist du? Ich werde dich finden, du Dreckstück.“

Dann sah er in ihrem Zimmer nach. Es stand offen. Er bückte sich, um unters Bett zu sehen, aber da war sie nicht. Dann öffnete er alle Schranktüren und fasste wild hinein. Auch da war sie nicht. Im Bad war sie nicht, hier konnte man sich auch nicht verstecken. Jetzt ging er zum Hauswirtschaftsraum. Der war abgeschlossen. Das war in letzter Zeit öfter der Fall, weil sie die Sicherungen für die Stereoanlage abgedreht hatte. Damals nach dem Vorfall hatte er am nächsten Tag sofort eine neue besorgt. Ab und an brauchte er laute Musik. Er ging leise nach oben. Dort musste sie sein. In seinem Zimmer war sie nicht, das war abgeschlossen. In ihrem Büro gab es auch keine Ecke, in der sie sich verbergen konnte, blieben nur noch das Bad und die Sauna. Er öffnete die Tür und suchte den Raum ab. Mitten im Raum standen zwei Badewannen mit Blick aufs Meer. Er sah dahinter. Dorthätte sie auf dem Boden liegen können, man hätte sie von vorne nicht gesehen. Aber auch hier war sie nicht.

„Jetzt muss ich doch noch einen Blick in den Hauswirtschaftsraum werfen. Sicher ist sicher.“ Sie musste im Haus sein. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, wieso sie ihn gehört hatte. Er war doch so leise gewesen. Wütend ging er die Treppe runter und holte sich aus der Küchenschublade einen großen Schraubenzieher. Seine Geduld war am Limit. Wenn er sie erwischte, würde er ihr den Hals umdrehen. Mit roher Gewalt rammte er den Schraubenzieher in das Leibungsholz. Beim ersten, unerwarteten Schlag spürte Neela, wie sie sich in die Hose machte. Sie musste alle Kraft zusammennehmen, um nicht laut zu weinen.

Rums, rums, rums. Pause. Rums, rums … die Tür sprang auf. Anton stand breitbeinig im Raum. Sie konnte durch die Lamellen seine Hosenbeine sehen.

„Neeela! Neelalein! NeelaNeelaNeelalein!“, rief er bedrohlich. Sein Blick fiel wütend auf das Schloss. Es steckte kein Schlüssel darin. Sie musste also woanders sein. Er gab auf und ging zurück ins Esszimmer, holte sich eine Flasche Wein und machte es sich bequem, um auf den Tisch zu starren. Irgendwann würde sie auftauchen, wo immer sie auch sein mochte. Nach zwei Stunden war Anton, mit dem Kopf auf der Tischplatte liegend, fest eingeschlafen.

Neela spürte ihre Knochen nicht mehr. Sie musste sich dringend hinstellen. Dieser Schmerz war unerträglich. Langsam schob sie sich mit dem Rücken an der Innenwand des Schrankes hoch. Sie atmete noch immer ganz flach. Als Anton direkt vor dem Schrank stand, wäre sie um ein Haar durchgedreht. Es hatte nicht mehr viel gefehlt. Etwas sehr Merkwürdiges war plötzlich mit ihrem Körper geschehen. Sie spürte ihn nicht mehr. Es war ganz friedlich um sie herum. Es fühlte sich so an, als würde sie schweben. Vielleicht wird Adrenalin zur Droge, wenn man nur genug davon intus hatte, dachte sie. Aber normal war das nicht. Genau in demAugenblick, als die Situation am brenzligsten war. Jetzt aber waren die Schmerzen höllisch, kaum noch zu ertragen. Ich muss hier raus und mich waschen. Ich muss hier raus und dieses Untier töten. Er wird mich nicht in Ruhe lassen. Sie spürte schon wieder den Drang, zur Toilette zu gehen. Aber so viel Mut rauszugehen hatte sie dann doch nicht. Wenn er wach würde, dann würde er alles daran setzen sie zu erwischen. Sie konnte auch nicht sicher sein, dass er nicht vielleicht nur simulierte, um sie in Sicherheit zu wähnen. Nein. Das hat keinen Zweck, dachte sie. Du musst durchhalten. Er kann nicht ewig dort sitzen.

Neela glitt langsam wieder auf den Boden des Schrankes. Sie musste aufpassen, dass sie die Tür nicht mit den Beinen aufdrückte. Würde er draußen stehen, könnte er es sehen. Die Tür vom Hauswirtschaftsraum stand noch immer weit offen. Sie hörte jeden verdammten Atemzug von ihm.

Neela wurde von Antons lauter Stimme geweckt. Sie war in dieser Position tatsächlich eingenickt. Unfassbar, was ein Mensch so alles ertragen kann, dachte sie. Sie hörte jedes Wort, das er sagte. Er telefonierte mit seiner Königin. Sie wollte wohl wissen, wann er heute zu ihr kommen würde. Neela wurde den Eindruck nicht los, dass die Dame seines Herzens von der Aktion wusste und enttäuscht war, keine Informationen zu bekommen. Immer wieder sagte Anton: „Das erzähle ich dir nachher.“ Er legte auf und ging nach oben. Neela hörte ihn herumpoltern. Das wäre eine Möglichkeit gewesen, aus dem Schrank zu schlüpfen. Aber sie hatte keine Kraft. Ihre Beine waren abgestorben.

Wenig später kam er die Treppe wieder herunter und blieb still in der Mitte des Raumes stehen. Er reckte den Kopf in die Höhe wie ein Tier das Witterung aufnimmt. Aber seine Sinne hatten ihn schon vor langer Zeit im Stich gelassen. Er ahnte noch immer nicht, wo Neela sich versteckt hielt. Die Haustür fiel mit einem lauten Knall ins Schloss. Anton war weg. Er musste kurz überlegen, wo er sein Auto abgestellthatte, dann lief er los. Sollten ihn doch ruhig alle sehen. Wer nicht erwischt wird, dem passiert auch nichts. Polizisten waren ja solche feigen, unfähigen Luschen.

Mit einem Schmerzensschrei versuchte Neela aufzustehen. Sie ließ sich vor den Schrank fallen und blieb erst einmal einen Augenblick so auf dem Boden liegen. Langsam streckte sie die Beine aus. Es tat so unglaublich weh. Sie brauchte fünf Minuten, um aufzustehen. Langsam schleppte sie sich zum Klo. Ihre Blase war kurz davor zu platzen. Sich hinzusetzen war ebenso schmerzhaft wie wieder aufzustehen. Ich muss unbedingt das Schloss auswechseln lassen, dachte sie. So geht das nicht weiter.

Bevor sie sich duschen wollte, kroch sie im Schneckentempo nach unten und verriegelte von innen das Sicherheitsschloss. Hätte sie geahnt, dass es einen Trick gab, um es von außen zu öffnen, sie hätte ganz sicher nicht geduscht. In all ihrer Naivität und Unachtsamkeit hatte Neela eine ganze Mannschaft Schutzengel. Das war ihr damals allerdings nicht bewusst. Sie glaubte nur an Glück oder Pech. Im Moment war jedenfalls das Pech Dauer- und Stammgast bei ihr. Zur Polizei brauchte sie ohnehin nicht mehr zu gehen. Das Ergebnis kannte sie schon vorher. Die Gesetzeslage in Deutschland war und ist, in Bezug auf häusliche Gewalt, ein lächerliches und wertloses Desaster. Diese Erfahrung würde sich in ihre Gedanken so tief einfressen, dass ihr alle Achtung und Respekt für den Rest ihres Lebens verloren gingen.

Anton ließ sich daraufhin die ganze Woche nicht mehr blicken. Er holte nicht einmal mehr die restlichen Sachen ab. Aber das Wochenende stand vor der Tür. Neela war sich sicher, dass er auftauchen würde. Er konnte ja nicht für immer wegbleiben. Sie hatte ihre Bekannte angerufen und ihr die Geschichte erzählt. Sie bat sie darum, den Hund fürs kommende Wochenende haben zu dürfen. Sie würde auch gut auf ihn aufpassen. Zuerst wollte sie sich nicht einverstanden erklären, aber dann sagte sie: „Gut. Ich nutze danndie Gelegenheit dazu, meine Schwester in Hannover zu besuchen. Dort darf ich den Hund nämlich nicht mitbringen. Sie hat eine Katze.“ Neela dankte der Schwester im Stillen. Ihre Bekannte würde den Hund Freitagnachmittag vorbeibringen. So geschah es dann auch. Wie verabredet kam sie am Freitag und hatte allerlei Utensilien und Anweisungen im Gepäck. Sie tranken Kaffee. Neela musste noch einmal alles ganz genau erzählen. Nachdem sie sich verabschiedet hatten, ging Neela erst eine große Runde mit dem Hund. Es machte ihr großen Spaß. Er war ein so schönes Tier, und er liebte sie. Sie ließ ihn, entgegen aller Anweisungen, sogar ohne Leine laufen. Er gehorchte aufs Wort.

Wieder zurück, machte Neela was zu essen für sie beide und legte sich mit dem Hund auf die Couch. Friedlich schliefen sie zusammen ein. Dass der Hund in ihr Ohr atmete, störte Neela nicht im Geringsten, im Gegenteil. Sie fühlte sich so beschützt wie lange nicht mehr. Schade, dachte sie. Ich werde mir bald sicher wieder eine Arbeit suchen müssen. Dann kann ich keinen Hund gebrauchen. Aber schön wäre es schon. Sie kuschelte sich noch ein wenig näher an ihn heran.

„Wuff!“ Mit einem Satz stand der Hund kerzengerade auf dem Sofa auf und blickte konzentriert auf den Treppenabgang. Neela schreckte auf. Sie war vom Vorabend noch angezogen. Das war Absicht. Es war höchstens acht Uhr. Es war so weit. Sie packte den Hund am Halsband und leinte ihn an. „Pssst“, zischte sie. „Bitte nicht bellen.“

Ihr Beschützer verstand sie. Leise ging sie zum Treppenabsatz. Unten ging die Tür auf und Anton starrte nach oben. Aus einem Reflex heraus machte er einen Schritt zurück. „Tu den Köter weg“, brüllte er nach oben. „Tu sofort den Köter weg.“ Ein dunkles Brummen war zu hören. Der Hund stand mit den Pfoten an der äußersten Treppenkante und blickte mit geducktem Kopf nach unten. „Wenn du noch ein einziges Mal einen Fuß in dieses Haus setzt, Anton, lasse ich dich in Stücke reißen. Hast du mich verstanden?“

„Meine Sachen“, schnauzte Anton. Was ist mit meinen Sachen? Ich will meine Sachen holen.“

„Du hast genau bis Sonntag zwölf Uhr Zeit den Rest hier abzuholen. Danach wandert alles auf den Müll. Ab Montag wird das Schloss ausgetauscht. Dann kannst du nicht mehr rein. Wie du das anstellst, ist mir egal. Eine längere Frist kann ich dir nicht gewähren“, sagte Neela ruhig.

„Das wirst du noch bitter büßen, du falsche Schlange.“ Anton schickte ihr noch einen hasserfüllten Blick nach oben und schloss wütend die Tür.

Neela ging hinaus auf die Terrasse, um zu sehen, was Anton jetzt machte. Sie klopfte dem Hund auf die Flanke und bedankte sich bei ihm. „Das hast du fein gemacht.“ Anton stieg in sein Auto und verschwand. Stille…!

Neela machte Frühstück für sie beide. „Danach machen wir einen schönen Spaziergang“, sagte sie zu ihrem treuen Beschützer. „Heute gibt es eine Extrawurst. Auch wenn dein Frauchen mich dafür schimpfen würde. Guten Appetit.“ Sie hielt ihm eine ganze Wiener Wurst vors Maul.

Am späten Nachmittag fuhr Anton mit einem fremden Auto vor. Es hatte einen Anhänger. Er stand unten und rief Neela auf dem Handy an. Er sagte ihr, dass er jetzt seinen Keller leer machen würde, dass zwei Männer bei ihm wären, die keine Angst vor Hunden hätten, und dass er gleich rauf käme, um sein Zimmer vollständig zu räumen.

„Ja“, sagte Neela. „Selbstverständlich kannst du deinen Keller leeren. Das können die Männer auch ohne dich. Aber hier ins Haus kommt mir niemand. Schon gar nicht zwei Männer. Dein Zimmer wirst du gefälligst alleine räumen. Es ist ja ohnehin nicht mehr viel da. Ich war schon drin.“

Jetzt stutzte er kurz. Es war doch abgeschlossen.

Anton wollte nicht alleine raufkommen. Neela versprach ihm, den Hund an der Leine zu halten. „Auf einen anderen Deal lasse ich mich nicht ein, Anton“, sagte sie. „Du hast die Wahl. Leer machen oder Müll. Ganz, wie du willst. AndereOptionen gibt es nicht. Ach ja, noch was…: den Schlüssel kannst du nachher gleich dalassen, auch wenn das Schloss ausgetauscht wird. Er gehört zur Schließanlage. Ich möchte ihn haben wenn ich das Haus verkaufe.“

Das war’s dann also, dachte Anton. Wenn sie das Haus verkauft, dann bin ich sie für immer los. Ein Anflug von Traurigkeit überkam ihn. Er hatte doch nichts falsch gemacht.

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch ging Anton mehrmals die Treppen rauf und runter. Der Köter ließ ihn nicht aus den Augen. Neela hatte sich auf Antons Platz gesetzt, um alles im Blick zu behalten. Der Hund saß neben ihr wie eine Statue. Er spürte, dass er auf Neela aufpassen musste. Jetzt erst fiel ihr auf, was man von hier aus für eine perfekte Übersicht über den ganzen unteren Raum hatte. Einzig die Ecke im Wohnzimmer, in der Neela oft saß, konnte man nicht sehen. Dass es nachts, wenn es draußen dunkel war, aber nicht so war, würde sie nie erfahren. Dann spiegelte sich die Ecke nämlich in dem großen Fenster gegenüber. Anton hatte sie also immer im Blick gehabt.

„So, das ist die Letzte“, sagte Anton. Er blieb zögernd stehen und kramte seinen Schlüssel heraus, um ihn auf die Küchenarbeitsplatte zu legen. „Ich hoffe, ich habe bald mein Geld auf dem Konto. Nicht, dass du das vergisst.“

„Gut, dass du es sagst, Anton. Rechne bitte alles zusammen und schicke mir deine Aufstellung. Ich kann dich erst ausbezahlen wenn das Haus verkauft ist. Das weißt du. Es sei denn, ich verkaufe eine meiner Immobilien in Süddeutschland. Dann kommst du als Erster dran. Ich verspreche dir jeden Cent. Halte mir die Daumen, dass der Verkauf schnell geht. Ich bin daran interessiert wieder Ruhe zu haben.“

„Einen Scheißdreck werde ich tun. Ich hoffe, du kannst es nicht verkaufen. Dann werde ich es ersteigern und mit meiner Freundin hier einziehen. Diese Kreditraten wirst du nicht durchstehen“, sagte er.

Er packte seine Umzugskiste unter den Arm und ging. Kurz bevor er die Treppe hinunterstieg, drehte er sich nocheinmal um und sagte: „Ich werde nicht eher Ruhe finden, bis ich dich vernichtet habe.“

Neela sah den Hund an, blickte aber durch ihn hindurch. Was hat er da gerade gesagt? Er wird nicht eher Ruhe finden, bis er mich vernichtet hat? Soll das denn nie vorbei sein? Was hat er denn davon?

Die Anzeige im Internet sah toll aus, aber keiner meldete sich darauf. Die Lage stimmte, der Preis stimmte, das Haus stimmte. Trotzdem nichts. Das Problem war ganz einfach: Niemand wollte sich mit einem so großen Haus so viel Arbeit kaufen. Es war einfach zu groß. So viel Luxus hätte man auch in einem solchen Kaff nicht vermutet, obwohl die Feriengäste das Haus annahmen. Die Saison war prächtig gelaufen, der Umsatz stimmte. Neela hatte so viel Geld gebunkert, dass sie locker bis zur nächsten Saison durchhalten würde. Anton hatte inzwischen die Bank darüber informiert, dass er nicht mehr dort wohnen würde. Sie sollten ihn gefälligst aus der Kredithaftung entlassen.

Diese Kredithaftung war Neelas Lebensversicherung. Das wusste sie nur nicht. Sie befürchtete zu Recht, dass man ihr den Kredit kündigen könnte. Bis jetzt hatte sie zwar alle Raten alleine bezahlt, aber wenn Anton weiterhin Stress machte, dann könnte das geschehen. Neela intervenierte bei ihrer Bank, damit sie Anton rausließen. Nichts zu machen. Es ging nicht. Hätte sie geahnt, wie wichtig es war, dass Anton nicht so einfach aus der Nummer rauskam, hätte sie alle Bemühungen eingestellt eine andere Bank zu finden, um eine Umfinanzierung zu machen.

Jetzt aber hatte sie ein ganz anderes Problem. Es war so was von schäbig, was Anton da angestellt hatte, dass sie ihm die Schwindsucht an den Hals wünschte. Vor zwei Wochen hatte sie morgens losfahren wollen, um einen Anwaltstermin wahrzunehmen, aber ihr Auto sprang nicht an. Es gab nur ein ganz merkwürdiges Geräusch von sich. Sie rief einen ADAC-Mann zur Hilfe, aber der kam auch nichtdahinter, was es sein könnte. Er hatte den Schaden nur noch verschlimmert, indem er den Wagen immer wieder startete. Das Auto musste abgeschleppt werden. Ihr Liebling, ihr liebster Liebling. In der Werkstatt suchten sie eine geschlagene Woche nach der Ursache. Erst nachdem man die Benzinpumpe ausgebaut hatte, wurde die Ursache entdeckt. Ein Kfz-Schlosser hatte die Pumpe auf einen Arbeitstisch gelegt, um sie später zu reinigen. Als er sie wieder hochnehmen wollte, sah er, dass die Werkbank verätzt war. Jetzt war alles klar, da hatte jemand Buttersäure in den Tank gekippt. Als Neela das erfahren hatte, rief sie sofort den Harley-Dealer an, damit er ihr Motorrad abholen sollte. Tatsächlich. Es stellte sich schnell heraus, dass auch hier im Tank Buttersäure war. Der Tank war von innen schon total verätzt. Gut, dass niemand den Motor gestartet hatte. So war der Schaden nicht ganz so dramatisch wie bei ihrem Auto. Neela wäre nie auf die Idee gekommen, ihre Ersatzschlüssel von ihren Fahrzeugen zu verstecken. So viel Schlechtigkeit traute sie niemandem zu. An so etwas dachte sie überhaupt nicht.