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Das Buch/ die Idee …handelt vom steinigen Weg, sich sein eigenes Leben endlich nicht mehr schönreden zu müssen. Damals, als junger Mensch, hätte ich im Leben nicht daran gedacht mit jemandem zusammenzuziehen. Trotzdem ist es passiert… damals. Weil alle es taten, weil´s erwartet wurde, von den Eltern, vom Chef, von den Nachbarn, dem Pfaffen, dem Amt. Hochzeit! (Heute nicht mehr modern?). Wenn ich lachte, wurde ich missverstanden, war ich traurig, wurde ich verhöhnt, wenn ich weinte, wurde ich gemieden, wenn ich krank war, war ich unsichtbar, wenn ich kochte, wurde ich verglichen, wenn ich arbeitete, wurde ich beneidet undsoweiterundsoweiter. War ich alleine, war ich glücklich. Es geht schnell bergab, wenn man es gewohnt ist, all diese Dinge alleine zu tun. Natürlich kam was kommen musste: Scheidung! Nun kann ich´s genießen alleine aufzuwachen, kein Wort sprechen zu müssen, nicht immerzu blendend aussehen zu müssen, keine zielorientierten Zärtlichkeiten am Morgen er-tragen zu müssen, kein Frühstück machen zu müssen, nicht drei Mal Eier kochen zu müssen, bis es endlich passt; weich, hart, mittel…, meinen Kaffee nicht am Tisch trinken müssen, sondern im Schneidersitz, vor dem PC sitzend. Männergesichter sind am Morgen übrigens auch kein überwältigend schöner Anblick, glaub´ das mal nicht. So ungerecht ist es Gott sei Dank dann doch nicht. Auch das "Mann" hat so seine Problemzonen, und nicht nur im Gesicht…
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Seitenzahl: 395
Veröffentlichungsjahr: 2021
Die Autorin Lele Frank – sie selbst bezeichnet sich als Schreibwerkerin - wurde 1957 in Bad Kreuznach geboren, war Bauingenieurin und hat über 35 Jahre in dieser Ellbogen-Branche gearbeitet. Ende 2013 gab sie Beruf und Firma aus persönlichen und gesundheitlichen (ausgebrannt) Gründen auf. Nach dem Ende einer dramatischen Beziehung, entdeckte sie die Liebe und Leidenschaft Bücher zu schreiben. Mit ihrem ersten Buch „Tanz der Optimisten“ (Teilbiographie als Roman verfasst), welches eigentlich nur einen therapeutischen Zweck erfüllen sollte, hat sie sich ins Leben zurückgeschrieben.
Nach 22 Jahren, in denen sie an der Ostsee lebte, zog sie einen Schlussstrich; zu viele Menschen. Ende 2020 zog sie zur anderen Seite, an die rauere Nordsee. Lele Frank bezeichnet ihre jetzige Tätigkeit als:
„Das Leben genießen.“
Lele Frank
RATGEBER
oder:„Wie redet man sich das Leben schön.“
© 2021 Lele Frank
© Umschlag, Illustration: Lele Frank
Verlag: Tredition GmbH,
Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
Paperback
ISBN
978-3-347-42589-7
e-Book
ISBN
978-3-347-42591-0
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung
Schlimmer als blind sein ist nicht sehen wollen.
Wladimir Iljitsch Lenin
(1870 - 1924), eigentlich Wladimir Iljitsch Uljanow,russischer Revolutionär und sowjetischer Staatsmann
Das Buch/ die Idee
…handelt vom steinigen Weg, sich sein eigenes Leben, endlich nicht mehr schön reden zu müssen.
Damals, als junger Mensch, hätte ich im Leben nicht daran gedacht mit jemandem zusammenzuziehen. Trotzdem ist es passiert… damals.
Weil alle es taten, weil´s erwartet wurde, von den
Eltern, vom Chef, von den Nachbarn, dem Pfaffen,
dem Amt. Hochzeit! (Heute nicht mehr modern?).
Wenn ich lachte, wurde ich missverstanden,
war ich traurig, wurde ich verhöhnt,
wenn ich weinte, wurde ich gemieden,
wenn ich krank war, war ich unsichtbar,
wenn ich kochte, wurde ich verglichen,
wenn ich arbeitete, wurde ich beneidet undsoweiterundsoweiter.
War ich alleine, war ich glücklich.
Es geht schnell bergab, wenn man es gewohnt ist, all diese Dinge alleine zu tun.
Natürlich kam was kommen musste: Scheidung!
Nun kann ich´s genießen alleine aufzuwachen,
kein Wort sprechen zu müssen,
nicht immerzu blendend aussehen zu müssen,
keine zielorientierten Zärtlichkeiten am Morgen ertragen zu müssen,
kein Frühstück machen zu müssen,
nicht drei Mal Eier kochen zu müssen, bis es endlich passt: weich, hart, mittel…,
meinen Kaffee nicht am Tisch trinken müssen, sondern im Schneidersitz, vor dem PC sitzend. Männergesichter sind am Morgen übrigens auch kein überwältigend schöner Anblick, glaub´ das mal nicht. So ungerecht ist es Gott sei Dank dann doch nicht. Auch das „Mann“ hat so seine Problemzonen, und nicht nur im Gesicht…
Uns werfen sie vor, dass wir zu viel reden, vor allem über die eigene Beziehung als solches. Aber sie selbst, sie kriegen die Zähne nicht auseinander; was ist also schlimmer? Eigentlich nehmen sie uns nur dann ernst, die Männer, die auch noch von sich überzeugt sind die Besten zu sein, wenn sie frische Wäsche, etwas zum Essen, oder, einen Sparringspartner für die lästigen vier Quadratmeter Jazz brauchen. Letzteres ist die einzig wichtige Begegnung. Es ist die Begegnung die zählt: der Reibungskoeffizient. Darüber hinaus sind wir eine Belastung, vor allem wenn wir mal ausgiebig shoppen gehen wollen:
„Geh´ doch alleine Schatz (aber gib nicht so viel Geld aus, dass du selbst verdient hast), ich habe gerade keine Zeit, muss an meine Drehbank, Datenbank an meinen Schreibtisch, ins Büro, Rasen mähen etc.“
Ans Auswandern denke ich, wenn ich ein Doppelbett sehe, ans flüchten über den Jordan, ans fliehen von diesem Planeten; wenn, dann richtig weit weg.
Ich schätze mich überglücklich alleine zu leben. Der einzig erträgliche Zustand auf Dauer. Keine Heucheleien mehr, keine Rechenschaft, kein Mundgeruch und kein kognitiver Griff an alleingelassene Hoden.
In die Reihe drauflosgebärender Frauen habe ich mich nie eingereiht. Es gibt längst genug Menschen auf dieser Welt. Zu viele gibt es, zu viele. Nachdem wir dem lieben Gott fast sämtliche totbringenden Krankheiten aus der Hand genommen haben, ist die Vermehrung unnützer Menschen geradezu grenzenlos. Was dabei rauskommt kann man überall sehen. Schalte den Fernseher ein, da gibt es nicht nur Lügen, wie so mancher Ignorant uns weismachen will. Viel Ausschussware. Viel Hirnlosigkeit. Wenn man nicht von moralischen oder religiösen Korsagen beherrscht wird kann man selbst entscheiden, ob man sich vermehrt oder nicht. Von mir reicht Eins. Eins Unikat, Eins, zur Duplikation ungeeignet. Eins, das ist mehr als genug, mehr als die Menschheit verkraften kann. Unterentwickelte Völker, mit wenig Industrialisierung und wenig Verstand, die sehen das nicht so. Je mehr Kinder, je mehr Aufmerksamkeit in den Medien. Die vereinten Nationen werden ihren zukunftslosen Kindern schon etwas zu fressen spendieren, bis dahin lebt man lethargisch entspannt. Arbeit ist etwas für Frauen und Dumme.
Wir reden uns derweil das Leben schön, während unsere unterdrückten Frauen, weit entfernt, Wasser holen. Wir können nix, aber ficken. Wozu Brunnen bauen? Sie haben keine Angst und keine Hoffnung, diese Kindermacher und Gebärmaschinen, weil sie nichts im Hirn haben womit sie denken könnten. Wassermangel hat alles ausgetrocknet. Statt etwas dagegen zu tun, wird munter weitergevögelt.
Doch keine Angst, liebe Leser:
Dieses Buch soll unterhaltsam sein, die Realität mit Humor und einer Brise Zynismus betrachten, nicht politisch oder religiös werdend, nicht zotig und polemisch. Den Menschen ins fragile Beziehungs-Leben geschaut, das ist mein Ziel.
Dabei bleibe ich aber im Lande, weil hier mein Platz ist, nicht woanders, wo ich nur ein Gast wäre. Hier! Denn hier, bei uns, ist es (noch) schön.
Der Auslöser:
„Sage mir wer deine Freunde sind, und ich sage dir wer du bist“, posaunte dieser dicke Mann, der, schon ganz blöd vom Erfolg, beide Hände unhöflich tief in seine Hosentaschen vergraben- ein wenig zu breitbeinig für sein gereiftes Alter, herablassend blickend und leicht spöttisch lächelnd, unangenehm nahe vor mir stand und sachte, fast unmerklich hin und herschaukelnd, um sein Übergewicht möglichst ausgewogen zu verteilen, unverfroren und allen Ernstes in mein baff erstauntes Gesicht.
Wir kennen uns von früher, und leider hatte ich den Fehler gemacht ihm irgendwann einmal zu erzählen, dass ich mit einem Ex-Knacki befreundet bin, für den ich früher gearbeitet hatte. Seine Frau und ich, wir waren uns damals sehr zugetan, weil sie so ein tierlieber Mensch gewesen sei, rechtfertigte ich mich auch noch überflüssiger Weise vor diesem Halbgott. Und nun sollte ich mich dafür schämen, dass ich so frag- und unwürdige Freunde habe? Wie bitte? Menschen die er - laut seinen trüb vorurteilig- vom Konservatismus und tausend engen Korsagen und unzähligen Konventionen, die jener viel zu eng geschnürt an sich trug, schon ganz blind seine Augen für alles Schöne – für wertlos hielt, mindestens aber drittklassig, weil gescheitert, wie er voller Abscheu sagte, die wolle er nicht um sich herum haben.
Ruck Zuck war mein Zorn von der Leine. Was fiel ihm eigentlich ein, diesem Bitscherich (die männliche Form von „Bitsch“, soeben von mir erfunden). Was glaubte er wer er sei, dass er sich so erhob, um über andere Menschen, die er noch nicht einmal kannte, so ein vernichtendes Vor-Urteil zu fällen?
Was? Was glaubte er denn wer er sei, der langweilig konservative Herr Saubermann? Falscher Fuß heute, was? Dummerweise wusste ich eine ganze Menge über sein schales Leben und seine brachliegende Zweck-Ehe, was mich natürlich umgehend dazu bewog, ihn als scheinheiligen, eingebildeten und ekelhaft überheblichen Pharisäer zu bezeichnen. Er predige Wasser und saufe literweise und pausenlos billigen Wein, weil er sich selbst noch nicht einmal ein gutes Tröpfchen wert wäre, knallte ich ihm an seinen schlauen Schädel. Geizhals, schoss ich eine gemeine Beleidigung hinterher. Geizhals und Lebensfeigling. Unsere Begegnung war daraufhin schneller zu Ende wie ein Bär einen Fisch frisst.
Und… was soll ich sagen: Schwuppdiwupp war, ein paar Tage später, eine nagelneue Idee für ein nagelneues Buch geboren. Dieses Buch hier…:
Auf meinem Zettel stand: „Lügen aufdecken“, mit dreizehn fetten Ausrufezeichen am Ende.
Na also. Dieses Buch, dieser Ratgeber ist aus aufgezwungen unfreiwilligen Beobachtungen heraus entstanden. Man will das alles nicht sehen und sieht es doch, wenn es dunkel wird, wenn man die Augen für innen schließt. Man kann noch so absichtlich wegschauen, sie holt uns immer wieder ein, die klare Erkenntnis, dass einiges nicht so läuft wie geplant.
Dieser kleine Ratgeber ist dennoch eher eine laienhafte Psychoanalyse und daher nicht so ganz ernst zu nehmen. Deshalb weise ich, prophylaktisch natürlich, vorsorglich schon mal jede kommende Kritik entschieden zurück. Ein Klugscheißer bin ich nämlich selber, von daher…
Kapitel 1: die Sinne betäuben
Man nehme eine modische rosa Designerbrille, setze diese sich auf die Nase und ziehe etwas Hübsches, etwas was schon lange nicht mehr an der frischen Luft gewesen- und eigentlich auch mittlerweile viel zu eng über die Hüften spannt, mit großer Sorgfalt an. Dafür, im Gegenzug sozusagen, ziehe man alle Sinne eines gesunden Menschenverstandes bis aufs letzte Quäntchen Sachlichkeit möglichst vollkommen aus und bequeme Schuhe an. Denn hier und da muss Frau in- oder aus der Küche gehen, und dabei einen Fuß vor den anderen zu setzen, ohne dass sie sich der Länge nach unsexy hinlegt. Standfestigkeit sollte gewährleistet sein. Dann zünde man in der Dämmerung, also am besten am Abend - morgens sieht man nämlich noch so scheiße aus - weil es doch ultraromantisch werden soll, das letzte Abendmahl, eine feine Duft- oder eine ganz normale Kerze an, und stelle sie, gut positioniert, auf den liebevoll gedeckten Tisch. Anschließend, wenn der/die/das Gegenüber (Geschlecht egal) mit unbeschreiblichen Erwartungen und von seiner eigenen Angst geflasht, was wohl nach dem Essen noch Unfassbares kommen mag bei all dem überdekorierten Aufwand, wenn also er oder sie oder es Platz genommen hätten, betrachte man, während eines hoffentlich gelungenen köstlich üppigen Abendessens – drei Gänge machen sich immer gut – mit reichlich und ausnahmsweise, weil sonst eher verpönt, gemiedenen Kaloriensünden die es im ordinären Alltag für gewöhnlich nicht gäbe - betrachte man liebevoll und aufrichtiges Interesse geheuchelt, sein hungrig- ungeduldig angetrautes oder, auch nicht angetrautes Er/Sie/Es-Gegenüber, weil es dabei sehr wichtig ist Augenkontakt aufzunehmen. Anschauen ist wichtig, sehr wichtig. Anschauen, aber nicht glotzen. Glotzen wäre nicht angemessen. Dann lächle man verheißungsvoll und ein bisschen geheimniskrämerisch, verspielt und angedeutet kokettierend, weil sich das immer gut macht wenn das jeweilige Gegenüber völlig auf dem Schlauch steht und nicht weiß wohin der ganze Aufwand noch führen soll. Manchmal, auch oft manchmal, wenn man ausgesprochenes Pech- oder einen ausgesprochen schlechten Tag für dieses gewagte Unternehmen erwischt hat, ist der Appetit dann auch schnell vorbei. Manchmal, wenn man besagt schlechten Tag erwischt hat, könnte es sein, dass man beim Anschauen (nicht glotzen) beim Er/Sie/Es Dinge wahrnimmt, die einem zu anderen Gelegenheiten völlig entgangen sind. Das wäre dann, in diesem Moment, eine ziemlich dumme Sache. Aber bleiben wir mal optimistisch und spinnen unsere Geschichte hemmungslos weiter:
Man übersehe charmant seine (hier geht leider nur männlich) zahlreich schlechten Tischmanieren und ärgere sich nicht über seine ständige Ignoranz und auch nicht über seine verschwindend geringe Wertschätzung, derer es sehr dringend an etwas Korrektur bedürfte, um ein derart gutes Essen nicht am Ende auch noch als selbstverständlich zu betrachten, weil: so ein ausgiebig delikates Abendessen schließlich nicht vom himmelblauen Himmel direkt auf den heimischen Esstisch fällt. Dann serviere man das beste und größte Stück vom makellosen Fleisch - ihm zuerst natürlich - und denke unbedingt daran: Wein einzuschenken brauchst du ihm nicht, er trinkt lieber ein kühles Bier (aus der Flasche, wenn möglich). Wünsche ihm einen, von ihm leider selten erwiderten, „Guten Appetit“, und sehe (not amused) dabei zu, wie er die ersten- viel zu großen Brocken gierig in seinen weit aufgerissenen Mund schaufelt. Wie er dabei seine Gabel viel zu weit vorne anfasst, was ihm den Hauch eines Neandertalers verleiht, das ärgert dich natürlich. Aber du sagst, weil du glaubst es würde den Moment ruinieren, darüber keinen Ton und siehst gekonnt vorbei.
Danach rede man sich, mit einer üppig besoffenen und sinnlosen Brise längst ausgelatschtem Optimismus, ein wundervoll glückliches und erfülltes Leben ein: „Was geht es uns gut… Sooo gut geht es uns.“ Man sollte etwas alkoholisches- etwas mit wenigstens ein paar Umdrehungen trinken, dann geht es leichter. Aber nicht übertreiben, sonst ist am nächsten Morgen von diesem Event nämlich nicht mehr viel übrig. Frühstücksgesichter können unter Umständen gefährliche Traumata auslösen.
Es ist alles in bester Ordnung. Wir sind ja so glücklich. Wir sind schon ganz dement vor lauter glücklich, so glücklich sind wir.
DIAGNOSE: hoffnungslos aber lebbar, weil, weiß Gott keine Ausnahme sondern eher gängige Praxis und somit auch nicht schlimm, nur völlig verlogen.
RAT: Macht weiter so, es wird sich nichts mehr ändern. Es geht euch doch gut. Es geht Euch sooo gut.
Aus, Amen, Empty, Fertig, Finito, Ende. Das war´s. Fertig ist das ganze komplette Ratgeber-Buch, der ganze ratende und beratende und ratlose Ratgeber. Das kürzeste Buch der Welt, Hurra. Das allerkürzeste, ganz sicher. Ein kürzeres Buch ist Euch nie begegnet, wetten? Im Grunde gäbe es nichts mehr hinzuzufügen, weil: die Ursache, wie es soweit kommen konnte, dass man sich gegenseitig nicht mehr wertschätzt- wenig bis nichts mehr zu sagen hat, tatsächlich doch keine Sau interessiert, außer, dass dieses Debakel, sämtliche Sinne bis ins Koma zu betäuben, in mannigfaltigen Ausgaben und Varianten, (the fifteen thousand shades of live) täglich in unzähligen Partnerschaften mit Fleiß am leblosen Leben erhalten wird, weil es dafür reichlich an den Haaren herbeigezogene Gründe gibt, wie zum Beispiel, die feige Inkonsequenz und eigene Bequemlichkeit, lässt man Besitz und Finanzen mal außer Acht.
Vielleicht lohnt es sich aber doch, rein der Unterhaltung wegen die ein- oder andere amüsante Facette, die ein- oder andere optisch angeblich perfekte Beziehung etwas näher zu durchleuchten. Und wenn wir dabei einfach nur ab und an ganz herzhaft über etwas lachen müssen, dann hat sich der ratlose Ratgeber doch schon irgendwie gelohnt.
Außerdem: so ein ultradünnes Büchlein würde ohnehin niemand kaufen. Man will was in der Hand haben für sein Geld. Obwohl: Es gibt einseitige Dokumente, die haben durchaus eine krass verändernde Schlagkraft, denkt man doch nur einmal, zum Beispiel, an einen totschicken, vielversprechenden Erbschein- an ein einseitiges Testament, kurz und knackig aber Hallo. Doch nein, daran denke ich natürlich hierbei nicht. Ein einseitiges Buch zu schreiben und es dann auch noch kackfrech als Buch zu bezeichnen, keine Angst, so etwas würde ich niemals tun. Man würde mich gewiss nicht ernst nehmen und womöglich nach Veröffentlichung sogar wegsperren, wer weiß. Zu groß das Risiko der gerichtlichen Betreuungsverfügung. Schon alleine deshalb werde ich doch ein paar Worte zu ganzen Sätzen – Wort für Wort - aneinanderfügen, um Sie, liebe Leser, hoffentlich ein wenig zu amüsieren und Ihre kostbare Lebenszeit auszugestalten. Ablenkung ist die reinste Form der Medizin für den Alltag.
Und was sagte der olle Nietzsche, dieser alte Nazi:
„Denn was ist Freiheit! Das man den Willen zur Selbstverantwortlichkeit hat. “
Kommt, glaube ich, als Zitat in der „Götzendämmerung“ vor, weiß aber nicht mehr wo.
Da fällt mir ein: Dieses Büchlein sollte wohl eher Ratgeberin statt Ratgeber heißen. Männer geben keinen Rat, sie wissen alles besser oder werden Arzt. Ein wahrhaft geöffnetes, geduldiges Zuhör-Ohr, das findet sich, befürchte ich, nur bei einer Frau die sich Zeit nimmt für dich; nur für dich…, die zuhört und so. O.k. Schwule Männer ausgenommen.
BEATCHEN
Würde alles, was in Bezug auf die Begegnung mit einem Partner oder Partnerin, im Laufe des Zusammenlebens- des befreundet- oder verheiratet seins, in weit auseinandergezogenen Abständen passieren, wäre alles halb so schlimm. Aber nein, es kommt immer alles dicke, immer alles in geballten Zeitentwürfen, so richtig hübsch massiv, wie man es auf keinen Fall gebrauchen kann und schon gar nicht dann wenn es gerade passiert. Jenes Gesetz, welches besagt, ein Unglück komme selten mutterselenalleine daher, trifft leider immer und immer wieder zu. Ohne Hoffnung auf die Zukunft wäre eine disharmonische Beziehung - wovon es leider so viele an der Zahl gibt - überhaupt nicht möglich. Ohne Hoffnung wäre man aufgeschmissen, aber sowas von aufgeschmissen. Hinter einem vermurksten „Heute“ gibt es ganz bestimmt ein besseres „Morgen“, denkt sich Beatchen und schnieft absichtlich laut in ihr Tempotaschentuch. Derart stoisch in nur diese eine, optionsangereicherte Richtung blickend, denkt sie schon seit ihrer Pubertät. Ihr etwas verwischter Blick in die eigene Zukunft ist eine feine Übertünchungsdroge, um das Wesentliche, mit kalkulierter Absicht und gezielt zur eigenen Schonung zu übersehen. Ihr verwischter Blick, der immer weit vorausschweift, sieht von weitem schon die falsche Richtung und sie macht blitzschnell die Augen zu: Oh nee! Haste nich gesehen was da auf uns zukommt… Haste nich?
Beatchen begreift es nicht, sie nicht; nie und nimmer. Sie tut alles dafür, um geliebt zu werden. Sie tut es ohne Gegenleistung, weil sie es nicht besser kennt. Natürlich war nicht alles für die Katz, denn aus ihrer Ehe sind zwei prachtvolle Kinder entstanden. Immerhin: in grauen Vorzeiten hatten sie Sex. So lange, wie die beiden Kinder noch im elterlichen Endreihenhause wohnten, so lange fiel nicht auf, dass nichts zurückkommt was sehnlichst erwünscht ist. Die Tochter des Hauses nannte Beatchen genervt eine Klebemum. Sie konnte nicht früh genug, weil sie Hunger auf Selbstverantwortung verspürte, ihr spießiges Elternhaus verlassen. Das Pascha-Söhnchen hingegen, es verdrehte weibisch seine Äuglein, wenn das Beatchen nicht zu ihm hinsah, wenn sie ihrem kreuzverzogenen- bis in den Arsch hinein verwöhnten Söhnchen-Sohn, was selten genug vorkam, mal den schmerzenden Rücken zuwandte. Herrmännchen jedoch, der hatte zu diesen Themen schon lange keine eigene Meinung mehr. Herrmännchen war meistens, wie immer, in seinem über allem geliebten, mit alten Sachen vom Vater, minimalistisch möblierten, schlecht beheizten Büro. Diese Klarheit tat ihm gut. Hier, weil ab von jeglichem Deco-Wahn, hier konnte entspannen, Luft holen, seinen eigenen Bedürfnissen ungestört nachgehen.
… Mudders (85) ruft an:
Sie sagt, es geht ihr schön.
Nachdem Vadders vor vier Jahren das Zeitliche gesegnet hat, mit siebenundneunzig - wir hatten schon Bedenken er wolle für immer bleiben -, meinte sie, dass hundertsiebzig Quadratmeter Wohnfläche sie nicht im Geringsten stören. Sie bleibt, sagt sie.
Beatchen, die immerzu in alles Mögliche alles Mögliche hineininterpretierte, forderte ihm viel Verständnis ab. Von ihm, ihrem Gatten und von ihrer Familie und ihrem gesamten Freundeskreis und den Nachbarn und dem Familienhund, einem desinteressiert lethargischen, beigefarbenen Labrador, erwartete sie verstanden, respektiert und geschätzt- ja sogar ein bisschen verehrt zu werden. Schließlich war sie diejenige, die den ganzen Laden am Laufen hielt und für Sättigung und saubere Wäsche sorgte. Dennoch…: In samt und sonders, sonders in besonders banale, unwichtige, alltägliche Dinge und Ereignisse des alltäglichen Lebens, interpretierte sie hinein was es nur hineinzuinterpretieren galt. Vom Scheitel bis zur Sohle auf Esoterik eingestellt, enthielt alles und jedes einen hinweisenden und bedeutungsschwangeren Sinn oder Hinweis, selbst wenn es der größte Nonsens, wie Zehe anstoßen, gewesen ist. Sie trieb es oft, womöglich merkte sie selbst nichts von sich selbst, so sehr auf die Spitze, bis alle Ohren im Raum, weidwund und überfordert vom eigenen unüberwindbarem Unverständnis, Zusehens taub und auffällig durchlässig wurden. Man blendete kollektiv kurzerhand einfach aus, was nicht gehört werden wollte. Niemand hörte ihr mehr zu. Ihre ersehnte, unersetzbare Bedeutung des eigenen Daseins, blieb somit bis heute aus. Über ein „wahrgenommen werden“ kam Beatchen bis heute nicht hinaus, obwohl die komplette Familie die fürsorgliche Mutter über alles liebte. Sie ist einfach da; für alle nur liebevoll und etwas abgedreht, einfach nur da, an dem Platz, wo man sie haben wollte. Ihre abstrusen Fantasien und angelesenen Weisheiten versickerten ungehört im Treibsand des familiären Alltags. Beatchen sah sogar (in ihrer Fantasie) überall stilisierte Kreuze und Augen des Allmächtigen, als Zeichen für die Anwesenheit einer Entität, vermutlich ihrer eigenen Mutter, die sie partout nicht hatte loslassen wollen, als sie starb. Beatchen war und blieb ihr kleines rosa Mädchen über ihren Tod hinaus, was wiederum die Richtigkeit ihrer schrulligen Esoterik-Ansichten bestätigen sollte. Ja, die Mutter war tatsächlich schwer gegangen, weil sie ihr erwachsenes, verheiratetes Kind, dass selbst schon zweifache Mutter war, einfach nicht loslassen wollte und an das eigene ewige Leben glaubte. Stieß Beatchen sich also einen Zeh an, an einem willkürlich herumstehenden Hindernis, dass ihr, absichtlich wie sie glaubt, absichtlich im Wege stand, behauptete sie steif und fest, ihre eigene Schusseligkeit leugnend, sie ginge gerade ganz bestimmt den falschen Weg und ihre Mutter hätte das Hindernis zu ihrer Warnung dorthin gestellt. Der Schmerz, welcher diesen Zusammenprall mit einem x-beliebigen Gegenstand verursacht habe, sei ein eindeutiger Hinweis von ganz oben. Ihr Mutter-Schutzengel habe diese Art der Kommunikation schon des Öfteren praktiziert; sie wisse meistens was gemeint sei, Aua.
Beatchen war, durch ihre festen Überzeugungen von denen sie nicht abzubringen war, natürlich für einen aufrichtigen Ratschlag von außen nicht offen. Nicht einmal von der besten Freundin ließ sie sich etwas sagen, die ja nun auch noch die Biege gemacht hatte, weil sie sich nach einem neuen Hamsterrad sehnte, und ihren Traum, im hohen Alter von beinahe Mitte sechzig, noch einmal ganz von vorne anfangen zu wollen, tatsächlich in die Tat umgesetzt hatte. Karin, die vor sich selbst geflüchtete Freundin, sie hätte ihrer Freundin Beate zu gerne gesteckt, dass sie unbedingt vorher sterben müsse, bevor man sie bedingungslos liebe. So sei das nun einmal im Leben. Man könne die bedingungslose Liebe nicht mit pausenloser, nicht enden wollender Freundlichkeit und Harmonie und Esoterik anziehen wie einen Magneten, weil die Bedürfnisse aller Menschen höchst individuell seien. Was sie, Beatchen, sich vorstelle, dass gäbe es nur für bereits bestattete Menschen, nicht vorher, keinen Tag vorher, weil bedingungslos, das wäre ein Begriff für nach dem Tode, nicht für Leute die noch am Leben seien. Und was ihren schmerzenden Zeh beträfe, würde sie Beatchen gerne sagen, dass sie einfach nur zwei linke Füße hat und sich dumm anstellt, wo immer sich die Gelegenheit dazu böte. So sei sie nun einmal, so schusselig. Das wäre schlicht und einfach ihr Schicksal, Karma hin oder her. Überhaupt…: die Sache mit dem Karma ist so eine Sache, hätte Karin Beatchen gerne einmal gesteckt. Sie hielt dann aber doch lieber ihren Mund und sagte nichts. In brenzligen Situationen, zum Beispiel schlechter Stimmung bei Beatchen zu Hause, aus welchem Grunde auch immer, ging man stattdessen lieber ausgiebig in die Stadt, um völlig sinnlose und nicht benötigte, völlig überflüssige Dinge einzukaufen. Nach ein paar Stunden Shoppingvergnügen, schmerzenden, glühenden Füßen und fünfzehn gut gefüllten Einkaufstüten mit kaum noch beachtetem Inhalt, war die Welt dann wieder in Butter.
Am Tage von Karins endgültiger Abreise ließ Beatchen sich nicht blicken, weil sie nicht wusste, was genau sie fühlen sollte. Plötzlich fühlte sie wieder etwas negatives, und das passte ihr ganz und gar nicht in den Heile-Welt-Kram. Immer wenn sie so genau hinfühlte, wie bei der bevorstehenden Trennung mit der allerallerallerbesten Freundin, schlich sich mitunter eine unerwünschte Traurigkeit ein, von der sich nichts wissen wollte, weil diese Traurigkeit nicht in ihr „wie-rede-ich- mir-mein-Lebenschön-Konzept hineinpassen würde. Traurigkeit gab es in dieser Lebensarchitektur nicht; dafür war kein Platz im rosa Schlafzimmer.
Winnenden, 11. März 2009
Tim K. tötet 15 Menschen und am Ende sich selbst.
ES GEHT UNS GUT…
Ein paar… zwei, drei Monate des sich nicht sehen Könnens vergingen. Sogar das Telefon blieb wochenlang stumm, aus Furcht vor Tränen am Telefon. Man hatte Angst, und zwar auf beiden Seiten, es könnte sich, bezüglich Karins Entscheidung in Sachen Neuanfang, eine Fehlentscheidung herausstellen.
Es dauerte aber nicht mehr sehr lange und Karin fuhr regelmäßig zu Beatchen nach Lübeck, um einen der ausgiebigen Freundinnen-Besuche abzustatten und die nagelneue, telefonisch angekündigte Schlafcouch, live und in Farbe, ausgiebig mit dem eigenen Leib zu testen. Die Sehnsucht war auf beiden Seiten gleichgroß, die neue Couch vor kurzem, eigens zu diesem Zwecke, extra angeschafft worden, auch wenn Beatchen das nicht zugab. So war sie halt, die beste Ehefrau von allen: bloß nix zugeben.
Nun… wie das mit Besuchen bei Freunden und Verwandten so ist - man erinnere sich an die Geschichte mit dem stinkenden Fisch - geht die Zeit in einen unaufhaltsamen Renn-Modus wenn es schön- und in einen kaugummiartigen Schleich-Modus, wenn es beschissen, unangenehm, langweilig und anstrengend ist. In diesem Falle jedoch, kannte die Uhr keine Freundinnen-Gnade, keinen Sonderbonus aus dringlichem Anlass, denn schon wieder stand ein ungeliebter Abschied bis auf weiteres an. Auf weiteres hieß, man wusste nie genau wann es ein nächstes Mal geben würde, weil Beatchen schließlich familiäre Verpflichtungen hatte, im Gegensatz zu Karin, die ihren Beziehungsstatus mehr liebte als Nutella auf Zimmertemperatur. Die Besuchszeit ist zu Ende, verehrte beste Freundin. Dieser Tag kommt immer, und das ist gut so.
Beatchen brachte Karin persönlich zum Bahnhof.
„Werde bloß nicht glücklich“, rief sie ihrer besten Freundin lautstark hinterher. Soeben hatte sie sich aus einer herzlichen Abschiedsumarmung gelöst und winkte ihrem Karinchen ein letztes Mal, bevor diese in den Intercity nach Bremen einstieg, bockig schniefend hinterher. Abschiede, so behauptete sie, wären der größte Scheißdreck überhaupt. Und würde ihr Karinchen womöglich in diesem verregneten Bremen auch noch glücklich werden, dann hätte sie aber ganz schön das Nachsehen, weil die Besuchsabstände unweigerlich immer größer würden. Nein! Der Freundin kann und darf und soll es ja gutgehen, aber glücklich werden sollte sie nicht. Dumm war nur das ihr nicht auffiel, wie sehr sie den Zustand des glücklich seins mit einer andern Person, nämlich mit einem x-beliebigen Partner verknüpfte. Glück war nur zu zweit möglich, so ihre unabänderliche Meinung und felsenfeste Überzeugung. Keine Woche wäre sie, Beatchen, alleine geblieben, wäre ihr ihr Herrmännchen abhandengekommen. Der Rhythmus in Beatchens Ehe war zwischenzeitlich gnadenlos getaktet. Dann auch noch einen Abschied über sich ergehen lassen zu müssen, das ginge über alle Maßen erträglicher Ungerechtigkeit hinaus. Abschiede waren, im Falle der besten Freundin, wie gesagt, der reinste Scheißdreck und schlichtweg unerträglich.
Beatchen bemerkte die entsetzten Gesichter der Fahrgäste, die auf dem Bahnsteig umherstanden und ihrerseits auf ihren Zug warteten deshalb nicht, weil sie nur verheulte Augen für ihre einsteigende, abreisende, hoffentlich nicht auch noch glücklich werdende Freundin hatte. Am liebsten hätte sie sich gewünscht, dass das Karin wieder nach Lübeck ziehen würde, damit ihre Treffen nicht so umständlich- vor allem aber häufiger stattfinden könnten, so wie früher, wöchentlich oder am besten mehrmals.
Seit Karin, nach vorzeitiger Pensionierung mit jugendlichen Zweiundsechzig (sie hatte keinen Bock mehr) urplötzlich und ohne lange Vorankündigung nach Bremen gezogen war, sahen sie sich nur noch acht- bis zehn Mal im Jahr. Viermal Beatchen nach Bremen und umgekehrt, viermal Karin nach Lübeck. Würde Karin jetzt auch noch unverhofft glücklich werden, womöglich mit einem leibhaftigen Mann der aufrecht- mit Messer und Gabel essend, wie ein zivilisierter Mensch am Tisch sitzen könnte, und echte Worte zu ganzen Sätzen bildete, sich also wirklich unterhalten könnte, ja, dann wären ihre Treffen aber hurtig in wirklich ernsthafter Gefahr, überhaupt noch stattfinden zu können. Dann hätte sie, das Beatchen, aber ganz schön schnell womöglich Nachsehen, ganz schön… vernachlässigt und so.
Beate war schon drei Tage, bevor ihre liebste Freundin überhaupt anreiste, ganz hibbelig, weil bis obenhin angefüllt mit Neuigkeiten. Endlich mal wieder über absolut alles reden und lästern können, auch über schmutzige und pikante Dinge, über die man für gewöhnlich nicht redet; mit wem denn auch. Sich mal wieder so richtig innerlich säubern und auskotzen, das tat hin und wieder unbeschreiblich gut. Mann, tat das gut, so gut.
Niemand wusste über Beatchen alles, außer Karin. Im Suff hatte sie einmal angefangen Wahrheiten aus ihrem Mund zu entlassen, und dann gab es kein Halten mehr. An diesem einen Abend, nach einer alljährlichen Betriebsfeier die an der Hotelbar endete, da hatte sie mal so richtig vom Leder gezogen und alle Fakten ihres langweiligen Halbtagsjob-Daseins auf den Bartresen gepackt. Drei Mal hatten sie Nüsschen nachbestellt. Ihr „Hugo“ ohne Eiswürfel, wurde gar nicht erst warm. Beatchen war so von sich selbst begeistert, dass sie nicht einmal bemerkte, dass ihr Abteilungsleiter, Herr Seltsahm mit „h“, gerne ein Tänzchen mit ihr gewagt hätte. Nein, Beatchen genoss ihren ausgewachsenen Rausch in kindlicher Euphorie und mit freundlich gelockerter Zunge. Mit ihrer Freundin-Ex-Kollegin-Seelenverwandten konnte und durfte sie sogar über Sex- über echte Tabus reden, beziehungsweise über das, was noch davon übrig war. Das war nicht viel.
Ihr geliebtes Herrmännchen, verriet Beatchen damals mit schwerer Zunge, habe nämlich schon lange Frieden mit seinen Kronjuwelen geschlossen und seinem Hobbykeller einen verbindlichen Heiratsantrag gemacht. Ihre Eifersucht hielte sich zwar in überschaubaren Grenzen, aber der Kleine, wie sie sein Genital liebevoll nannte, der dürfe leider nur noch zum pinkeln an die frische Luft. Das sei ja wohl zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig, lallte sie, damals… nach dem neunten Hugo.
Aber sonst, nuschelte sie in ihr leeres Glas und kippte beinahe vom Hocker, sonst, während eines gemeinsamen, sündteuren Wellness-Kurzurlaubs in einem Fünf-Sterne-Schuppen (drei Tage, zwei Übernachtungen) im Harz, sonst würde man sich wirklich lieben wie am ersten Tag. „Hicks.“
(„Hugo“ wurde ihr jedes Mal zum Verhängnis.)
Pirmasens, 14.06.2020 Betrunkener fährt in Menschengruppe - ein Toter, sechs Verletzte.
ES GEHT UNS GUT.
Das Herrmännchen war Beatchens zweite Runde, nachdem sie ihren ersten Mann in flagranti mit einer deutlich jüngeren Frau im eigenen, frisch bezogenen Ehebett erwischt hatte. Das war bitter damals. Echt bitter und irreparabel.
Das käme davon wenn man jemanden, der nichts davon ahnte, pausenlos wegen schlechten Betragens und überhaupt, jedes Mal zum Teufel wünschte, hatte Karin Beatchen eindringlich ermahnt. Sie hätte es sich so oft gewünscht ihn loszuwerden, dass der liebe Gott es offensichtlich Leid hatte ihr andauernd bei ihren Beschwerden zuhören zu müssen. Der, also dieser Gott, der hätte dann kurzerhand Nägel mit Köpfen gemacht und ihrem Ex-Gatten ein frisches Stück Fleisch ins Bett gelegt, weil sie ja nicht aus der Hüfte käme den Schlussstein auf ihr gehörntes, frisch frisiertes Haupt zu setzen. Die neue Frisur sähe übrigens scheiße aus, sagte Karin, und mache sie keineswegs jünger. Das hatte Karin damals tatsächlich erbarmungslos in Beatchens Gesicht gesagt. Und weiter hatte sie gesagt, das nenne man, betrachte man es von der esoterischen Seite, Energiearbeit, nenne man das. Und überhaupt, warnte Karin belehrend: hinterher hätte man den Salat und bereue womöglich. Pure Energiearbeit eben. Außerdem habe sie schon vor der Ehe mit diesem Arsch gewusst, dass ihr erster Gatte ein Schwerenöter gewesen sei. Einem Mann, der nach sechs Wochen Kennenlernzeit, schon mit seinem C&A Köfferchen vor der Haustüre aufschlägt, dem könnte man doch sowieso nicht über den Weg trauen. Schon damals hätte sie, das Beatchen, nicht gewusst, dass Missachtung und Unverständnis der gleichen Familie entstammen würden. Schon damals hätte sie weggesehen.
Aus lauter überschwänglich- und unkontrollierbarer Freude über so einen gutmütig liebevollen Mann, wie das Herrmännchen damals und bis heute einer gewesen war und geblieben ist, und den sie noch am gleichen Tage, nach dem lausigen Gerichtstermin ihrer schmutzigen, sündteuren Scheidung kennengelernt hatte, übernahm sie, Beatchen, nach nur wenigen Jahren einer rasant übereilten Eheschließung Herrmännchens infantil nervige Art, alles, was eventuell einmal zu einem Problem heranreifen könnte, schon an der Wurzel zu verniedlichen, damit bloß nichts mächtiges daraus erwüchse. Mit dem Omlettchen und dem Salätchen hat alles angefangen. Herrmännchen war schon immer so verfressen wie ein Iltis, gab es aber nicht zu, vertuschte es, tat immer als sei er satt und überlud seine Teller wie ein Hochregal. Er bettelte quasi um Essen außerhalb der Essenszeiten und hoffte, Tag für Tag, auf die unerschöpfliche Liebe und Großzügigkeit seiner Ehefrau, die, noch am Traualtar, während sie auf den Beginn der Zeremonie warteten, von ihm ins kleine „Beatchen“ umgetauft worden war (wie schrecklich, so klein gemacht zu werden), um eventuellen Wachstumsschüben vorzubeugen, zu denen Frauen oft nach dem „Wechsel“ neigten. Er, das Herrmännchen, wusste, sein liebstes Beatchen würde ihn schon nicht umkommen und vom Fleische fallen lassen. Das Salätchen, an dem er eher weniger und nur als Alibi interessiert war, das bestellte er nur zur Ablenkung- zur Täuschung seiner göttlich üppigen Gattin. Damit, so hoffte er, könnte er nämlich den Eindruck erwecken, sich ihretwillen gesund und angemessen zu ernähren. Aber Herrmännchens Kalkulation war nicht von großer Dauer. Schon bald darauf pustete es Pustekuchen durch die Küche. Beatchen, die sich durch jene absurde Verniedlichung gebauchpinselt- weil, wie ein Kind geliebt fühlte, durschaute seine raffinierte Taktik bereits nach dem verflixten siebten Jahr ganz genau. Rums! Leider war es da schon zu spät. Rums! Seine Adipositas war längst so offensichtlich, dass man sich sogar für ein größeres Auto entschied. Dann stellte Beatchen, in Anbetracht der Tatsache das Herrmännchens unübersehbar gewordene Körperfettanteile, auch BMI genannt, außer Kontrolle geraten waren, ihre normalüblich außerordentlich liebevolle Nahrungsversorgung, strikt und mit aller Härte konsequent und unverzüglich ein, woraufhin das Herrmännchen litt wie ein getretener Hund.
Nachdem Beatchen, ein paar Tage später, ihren gerissenen Gatten des heimtückischen Einbruchs in die üppig gefüllte Vorratskammer überführt fand, und diese von da an, ähnlich wie Fort Knox, abgeschlossen wurde – nur sie wusste wo der Schlüssel des Sicherheitsschlosses versteckt war – verschwand Herrmännchen immer öfter in der angebauten Doppelgarage, einer zusätzlichen Filiale seines im Keller befindlichen Hobbyraums, um dort etwas ungeheuer Wichtiges nachzusehen oder handwerkliches zu erledigen oder zu reparieren oder Neues zu erschaffen, was aber nie der Fall war. Dem reinen, puren zufälligen Zufall war es zu verdanken, dass Beatchen, weil ihr alter Mini mal wieder streikte, das heimliche Futter-Depot im sonst eher leeren Kofferraum von Herrmännchens Firmenwagens entdeckte. Das war also der Grund, warum er diesem Wagen neuerdings so viel Zeit und Aufmerksamkeit schenkte, obwohl in seiner Firma eigens eine zugehörige Firmenwerkstatt für sämtliche Reparaturen zuständig war. Von da an- seit diesem niederschmetternden Tag, von diesem Moment an kam plötzlich eine schmerzvolle Kapitulation seitens Beatchen auf ihren ungeplanten Plan: Sie gab es auf ihren Gatten zu bekehren.
„Soll er sich doch mit Messer und Gabel suizidieren“, klagte sie ihrer besten Freundin am Telefon, die nun leider (immer noch und wohl noch längere Zeit) in Bremen wohnte. Als sie beide früher noch Nachbarinnen waren, hätte sie vor so einer peinlichen Aussage zurückgeschreckt. Aber so… Aus den Augen, Scham verloren? Sich zu schämen, ohne dabei jemandem, selbst wenn es vertraute Augen sind, in die Selbigen sehen zu müssen, das war eigentlich gar nicht so schwer wie sie anfangs dachte.
Kompensiert wurden, nach vollzogener Kapitulation, unbemerkt eingeschlichene Defizite, fortan mit kurzen und etwas längeren Reisen, um sich weltoffen mobil und beweglich zu zeigen. Neuerdings reiste man viel, kurz und lang, auch mal nur einen Tag oder einen halben. Damit war man angenehm beschäftigt und oberflächlich fürs Erste abgelenkt. Man schaute nicht mehr so ins ehetechnische Detail, glaubte zumindest das Beatchen, die, naiv wie sie immer noch war, Herrmännchens Vorschlag, ab sofort mit einem Campingwagen zu reisen, beinahe sofort zustimmte, nachdem sich die Kreuzfahrerei doch zu drastisch in den Kleidergrößen niedergeschlagen hatte. Kreuzfahrten stellten sich nämlich ziemlich schnell als ziemlich schlechte Idee heraus. Beatchen verlor auf so einem schwimmenden Luxus-Fresstempel im Nu sämtliche Kontrolle über ihren verfressenen Gatten, der urplötzlich, was er sonst zu Hause nie tat, gerne auf ausgedehnten Wanderschaften umherpilgerte, währen seine Frau an Deck, unwissend wie ein Neugeborenes, ihr Doppelkinn in die Sonne hielt. Herrmännchen brachte siebeneinhalb Kilo zusätzliches Gepäck mit nach Hause. Um die Anschaffung divers neuer Kleidungsstücke, welche im Nachgang zusätzliche Kosten verursachte, kam man, am Ende solcher Außer-Saison-Super-Schnäppchenpreis-Billigkreuzfahrten dann wirklich nicht mehr herum. Jedes Mal musste anschließend neue Kleidung angeschafft werden. Diese schwimmend dekadente Reisevariante ging zusätzlich derart massiv ins Geld, das es so auf Dauer nicht weitergehen konnte. Eine Lösung musste her; ein komfortabler Wohnwagen musste her, Bewegung musste her, notfalls sogar Sport. Nicht zu groß und nicht zu klein sollte sie sein, die rollende Wohnstube, aber groß genug zum Angeben.
Mudders ruft an:
Sie sagt, es geht ihr schön.
Sie sagt, dass sie gestürzt sei, wäre aber nur drei Tage im Krankenhaus gewesen und die Treppe sei schuld und die Waschmaschine im Keller. Stünde sie oben, die Waschmaschine, und nicht im Keller, wäre die Treppe nochmal so davon gekommen.
Die Treppe…?
Schaute man allerdings ein zweites- ein ehrlich objektives Mal etwas genauer hin, in diese plötzliche Reisesymbiose, musste man leider zugeben, dass das Glück, dort wo man es gemeinsam hinfantasiert hatte, schon längst nicht mehr vorhanden war. Sich der unaufhaltsamen Reiselust eines launisch instabilen Glückes verwegen- und randvoll abgefüllt mit falscher Hoffnung in den Weg zu werfen, war und ist ebenso sinnlos, als wollte man versuchen ein Hausboot auf der rauen Nordsee in massiver Bauweise - Stein auf Stein oder Beton - an Ort und Stelle, also direkt unter Wasser, wärmegedämmt und von außen vorschriftsmäßig isoliert, nachträglich zu unterkellern. Es half auch kein Wohnwagen nix mehr.
In dieser Ehe gab es schon seit Jahren keine symmetrischen Begegnungen mehr. Driften, in unterschiedliche Sicht- und Fühl- und Betrachtungsweisen, das träfe die allgemeine Lage ganz gut auf den Punkt, wagte man sich nur endlich daran, die sorgsam übertünchte Wahrheit einmal gründlich zu hinterleuchten. Den wahren wunden Punkt, die verlorengegangene Kommunikation und den so wichtigen innigen Kuss mit der Zunge, das wollte niemand wirklich sehen, das wollte keiner von beiden wahrhaben.
Man führe ja so gute- so qualitativ hochwertig und tiefgründig emphatische und sehr lange Gespräche neuerdings, schwärmte Beatchen in höchsten (zu hohen) Tönen, nach jedem noch so kurzen Ausflug in die reinste Euphorie geratend, dass man unwillkürlich, ob man wollte oder nicht, von ihr mitgerissen wurde. Während sie schwärmte und schwelgte, über diese positiven Veränderungen all überall, spreizte sie das linke kleine Fingerchen künstlich kerzengerade weit ab, ohne diese Attitüde selbst zu bemerken, so sehr applaudierte sie sich selbst. Der Begriff „Selbsttäuschung“ wäre ihr niemals in den Sinn gekommen. Man sei zu einem unschlagbaren Team herangewachsen, ginge alles viel ruhiger an, viel intensiver und gelassener, mit mehr Qualität- mehr Tiefgang eben. Und, fabulierte sie begeistert, man lege jetzt allergrößten Wert auf das Wesentliche in einer, wie ihrer, schon alt gewordenen und dennoch stabilen Beziehung; was auch immer das sein sollte, dieses Wesentliche, dem sie neuerdings eine unschlagbare Priorität zugestand.
Niemand fragte nach, nach dem großen unbekannten Wesentlichen. Niemand wollte Genaueres darüber wissen, über das Wesentliche, und niemandem, der danach zu fragen wagte, wurde von Beatchen eine freiwillige Aufklärung zuteil, was genau sie damit meinte, mit dem Wesentlichen. Weder vom Beatchen noch vom Herrmännchen erfuhr man Näheres, Klärendes. So blieb das „Wesentliche“ bis heute leider im Dunkeln.
Eines Tages, als Karin mal wieder ihre ach so geliebte und vermisste Freundin in Lübeck anrief, war das Beatchen leider nicht zu Hause. Karin wechselte ein paar Worte der Höflichkeit mit Gatte Herrmann, zu dem sie eigentlich keinen großartigen Draht hatte, all die Jahre nicht.
Herrmännchen sagte: „O, was geht mir das Beatchen mit ihrer ständigen Spührualität auf den Sack.“
Dann grunzte er noch etwas Unverständliches in den Hörer und legte auf, ohne sich formell von Karin zu verabschieden. Karin war gerührt von so viel plötzlicher Authentizität und Offenheit.
November 1978: Jonestown. Im Dschungel Guyanas (Südamerika) begehen 923 Mitglieder der amerikanischen Volkstemplersekte den größten Massenselbstmord in der Geschichte.
ES GEHT UNS GUT…
Meine Einschätzung, nachdem das Karinchen mir von den beiden neu erfundenen, undicht zusammengewachsenen Ehepartnern ein paar pikante Details und Episoden berichtet hatte, die ging dahin, dass es sich um eine irreparable, ganz normale und für gewöhnlich ungefährliche, alltäglich vorkommende Abnutzungserscheinung handelte, welcher man mit allerlei raffinierten Tünchungsarbeiten, Tag für Tag, kräftig zu Leibe rückte. Tünche das die Wände wackeln, es wird schon keiner sehen, offenbarte sich die simple Vorgehensweise allzu offenkundig vor meinem kritischen Auge. Im Alltag findet dieses Rezept in vielen Beziehungen stets rege Anwendung. Oberflächenveredelung nennt man das gemeinhin. Was bei einem liebgewonnenen Auto gelang, das konnte doch für eine schlaff gewordene Beziehung nicht so falsch sein. Funktioniert es nach mehreren Anläufen trotzdem nicht, kann man immer noch sein sauer verdientes Geld dem nächstbesten Rechtsanwalt in den endlos gierigen Rachen werfen.
Mudders ruft an:
Sie sagt, es geht ihr schön.
Sie sagt, seit die Waschmaschine jetzt oben stünde, fehle ihr der Keller kein bisschen, obwohl dort unten noch so viele Sachen von ihr wären, die sie aber überhaupt (noch) nicht vermisse. Ich (Tochter) hätte aber vielleicht nicht gleich den Treppenabgang zubetonieren lassen sollen, man könne ja nie wissen inwiefern sie den Keller nochmal brauche… eines Tages… in Zukunft.
Später, sehr viel später erfuhr ich von einer anderen gemeinsamen Bekannten deren Namen mir bis heute nicht einfallen will, dass sie, die Gattin, also unser, unser Beatchen, ihren Ehemann abgehängt hatte, weil sie, die Gattin, also un-ser Beatchen, sich aus Resignation und Verzweiflung pausenlos durch esoterische Bücher und Kurse weiterzubilden glaubte, Herrmännchen ihr aber, auf diesem Wege in die inneren Abgründe und Forschungen nach dem fälschlicherweise versprochenen Seelenheil, beileibe das Wasser oder den grünen Tee nicht mehr reichen konnte, weil er, der Gatte, das Herrmännchen, die Pfade der Esoterik partout nicht betreten wollte.
Das Herrmännchen ging neuerdings wieder regelmäßig in seine Garage oder in seinen geliebten Hobbykeller, verriet die gemeinsame, namenlose Bekannte. Sein geliebter Hobbyraum, wo er den Trost fand den er brauchte und der ihm guttat. Trost, wenn sein Zwölfer Schraubenzieher geschmeidig in den Schlitz einer glänzend polierten Schraube eintauchte, oder wenn die nagelneue Schwabbelmaschine lustvoll schwabbelte und all das glättete, was sich vor kurzem noch so rau anfühlte.
Beatchen pilgerte alleine mit Gleichgesinnten an Heiligen vorbei und verlor, mehr und mehr, den hungrigen, einsamen Gatten aus den Augen aus dem Sinn. Herrmännchen hatte seine Systemrelevanz an Beatchens Seite einbüßen müssen. Den Kampf gegen die Kraft der Magie hatte er verloren.
Aus pilgern wurden kostspielige Seminare in ebenso kostspieligen Hotels mit Tagungsräumen unter Anleitung erleuchteter Meister mit strahlenden Bankkonten und liebgemeinten, selbstlosen Zahlungsaufforderungen. Haushaltsgeld floss von nun an nicht nur in den Haushalt sondern auch in das Körbchen jenes erleuchteten Meisters. Herrmännchen bemerkte die Schummeleien seiner Gattin, seines geliebten Beatchens sehr wohl, sagte aber nichts dazu, weil er für ein Veto viel zu feige war. Er bezahlte alles und schwieg und schwabbelte und glättete.
So sah es aus, das Leben im fortgeschrittenen Alter nach getaner Arbeit. Das wollte ich gerne als glaubwürdige Tatsache akzeptieren.
Scheiden ließ man sich aber nicht, der Leute wegen; der Leute wegen und wegen der Rente.
DIE FRAU VOM…
Du kannst die Tage und Wochen der ersten Verliebtheit nie wieder heraufbeschwören. Es sind so viele alltägliche Hautschichten darüber gewachsen, dass man die Anfänge nicht mehr erkennen kann.
Billiges einig sein, im Verfassen von unbegründeten, ungerechten Vorurteilen, rein aus Zeitvertreib und weil man nicht mehr weiß was man sonst noch miteinander reden soll, so etwas läge mir persönlich fern. Billiges einig sein, das wäre mir zu wenig.
Regina hieß sie, die Frau von Konrad. Regina, die Mustergültigkeit in Bezug auf Hausfrauenvorbilder. Regina, die perfekte Gattin. Sie hat eine Frustrationstoleranz die jeder Beschreibung spottet. Verbal geteert und gefedert, steht sie ihrem Gatten bei, als wäre Morgen erst die Trauung nicht das Ende.
No danger at all…
Ob das noch lange gut ginge, würde sich schon bald herausstellen müssen, wenn Ehemann Konrad den gefürchteten Pensionierungsstatus entgegennehmen müsste. Ein Präsentkorb mit lieblos ausgesuchten Fressalien, ein wenig Alkohol den er nicht trank, eine kurze Standardrede von irgendeinem Kollegen zu dem er keine wirkliche Beziehung hatte, einen warmen Händedruck, ein paar verlegen gesenkte Kopfe von Herumstehenden die ihn noch nie leiden konnten, und fertig war die Vorstellung einer Verabschiedung, fertig das Ende einer jahrzehntelangen Tätigkeit als Professor an einer namhaften Universität. Was er danach mit sich anfangen würde, das stand jetzt schon fest: Arbeiten. Er würde arbeiten, egal was; er würde arbeiten und reichlich Überstunden machen, weil er sonst nichts anderes konnte, außer arbeiten. Sie, Mustergattin Regina, sie übte den Beruf als Mustergattin weiterhin aus. Hatte sie Feierabend ging sie mit dem Hund spazieren wenn die Nachbarn auch Feierabend hatten, damit man ihr Pflichtbewusstsein wenigstens visuell registrieren konnte, musste. Alles kein Grund zur Beanstandung; sie war auch nur ein Mensch der wahrgenommen werden wollte. Sie las im Bett die Bibel und Secret und wie rettet man die Welt, er schlief mit Russel Principia Mathematica, halb auf seinem Kinn halb auf seiner Brust liegend, mit offenem Munde und bei brennendem Licht, lange vor ihr ein. Er empfand noch nie etwas als wundervoll, nur als erklärbar. Ein nüchterner Mensch ohne jeden Unterhaltungswert und Glauben. Ein Langweiler.
„Meinetwegen.“ Wenn er das sagte, Meinetwegen, dann hatte sie gewonnen, dann war der Drops gelutscht, dann hatte er kapituliert, der Herr Realist. Genervt von ihren Nervereien ließ er, lustlos und immer lustloser werdend, lästige Pflichten nur noch über sich ergehen, ohne sich wirklich zu beteiligen. Zur Kür kam es nicht, er wusste wie er ihr den Spaß verdarb. Mach’ nur lange genug ein langes Gesicht, dass sie sich lange anschauen muss, ob sie nun will oder nicht, das ist die Rache hilfloser Ehemänner. Meinetwegen…
Den Umgang mit Computern schätzte er mehr als den Umgang mit seiner Frau und den Kindern. Computer würden ihn niemals mit Emotionen, Erwartungen, Hoffnungen oder Angst in die Enge treiben.
Regina wollte ihn damals zum Heiraten überreden und redete ihn in die Bewusstlosigkeit. Als er wieder erwachte war er Vater von Zwillingen.
Und heute? Wenn man Konrad so betrachtete bekam das Wort „Kleidersack“ eine völlig neue Bedeutung. Sport lag ihm ebenso fern wie hochwertige, kalorienarm gesunde Nahrung. Ein viel denkender Kopf muss satt sein, sonst kommt nicht viel dabei raus, beim Denken, rechtfertigte er seine Fleischeslust. Fleisch gehöre auf den Teller, nicht auf die Wiese, so seine unumstößliche Meinung zur Nahrungsgestaltung. Ein voller Teller mit Spätzle und viel Sauce, dafür konnte er sich schon begeistern, der Konrad, der Mann mit dem erstaunlichen IQ, wenn es um Bits und Bytes ging. Der Mann mit ohne Emotionen. Konrad, der Schweigsame.
Zahlen und Fakten 2019/2020
Weltweit hungern etwa 821 Millionen Menschen. Das sind 11 Prozent der Weltbevölkerung.
ES GEHT UNS GUT.
Nina, wie Regina sich gerne nennen ließ, war eigentlich im Grunde mit einer Amphibie verheiratet. Auf zwei Seiten leben, dachte sich Konrad, ist immer besser als jedwede Einseitigkeit. Ein Bit braucht sein Bytes und umgekehrt. Zwei Mal essen macht auch satt, spekulierte er nach jeder Mahlzeit und rief seine langjährige Geliebte an um nachzufragen, was es denn heute bei ihr schönes zu Essen gäbe.
Nach so manchem familiären Abendessen, seine beiden Töchter waren oft noch gar nicht fertig, wischte er seinen Mund ab und behauptete genuschelt, unbedingt noch einmal ins Büro hinüber zu müssen. Sie solle nicht auf ihn warten, die Gattin. Termine. Sie wüsste schon. Dringende Fertigstellungs-Termine die gerade mal wieder solche Probleme machen würden, dass er sich opfern müsse.
Regina nickte jedesmal, sagte aber nichts, weil sie den Mund noch zu voll hatte.
Regina, ohne jegliche intellektuelle Neugierde, zufrieden mit der Rolle als Hausfrau und Mutter, abgesichert durch die Geburt von zwei weiblichen Kindern, zufrieden als „die Frau vom…“
Er und sie. Er, ein mit sämtlichen Auszeichnungen gebildeter Humanist, allerdings ziemlich einspurig auf die unendliche Welt der Arithmetik fokussiert, standen sich von Anbeginn zwei völlig unterschiedliche Welten und Charaktere gegenüber.
Will sie, für ein paar Stunden nur, der tatsächlichen Mittelmäßigkeit entfliehen, kleidet sie sich in ein konservativ langweiliges Business-Outfit, zieht eine strenge Brille auf und glaubt, für den Moment, sich so dazugehörig, zu den erlauchten Kreisen jener Akademikergattinnen. Es genügt doch völlig auf dem Standesamt zu promovieren, dachte sich Regina. Wozu sich überfordern und noch zusätzliche Erwartungen erfüllen müssen, wenn das Geld doch vorne und hinten gut reicht. Wozu?
Mit allem kommt sie klar, die Königin des sich selbst das Leben schönredens, aber nicht mit dem Verlust ihres Dünkels. Damit nicht. Regina legt Wert, allergrößten Wert auf Ansehen, Status und Reputation. Sie ist wer geworden, durch den billigen Ring an ihrer, vom vielen putzen, trockenen und spröden Hand. Sie ist und bleibt „die Frau vom…“
Für immer und ewig gedachte sie an dieser Stellung festzuhalten, „die Frau vom…“ Könnte das Leben auch noch so wunderbar werden…