Wenn Peter zu der Hure geht - Lele Frank - E-Book

Wenn Peter zu der Hure geht E-Book

Lele Frank

0,0

Beschreibung

Ausgerechnet den stadtbekannten, in die Jahre gekommenen Lebemann Peter, ereilt die Diagnose "Peniskarzinom." Bis auf ein paar wenige Zipperlein, und hin und wieder Rückenschmerzen, meinte es das Leben bisher gut mit ihm. Peter war groß und attraktiv. Nicht wirklich gut aussehend, aber mit einem umwerfenden Charme ausgestattet. Sein Lächeln brachte Steine zum Schmelzen. Schon in jungen Jahren wurde er zum erfolgreichen Unternehmer, der über ein stattliches Vermögen verfügen konnte. Er war zum richtigen Zeitpunkt am genau richtigen Ort. Obwohl er vorzeitig die Hauptschule abgebrochen hatte, fehlte es ihm zu keiner Zeit an Ideen und Innovationen um erfolgreiche Geschäfte auf den Weg zu bringen. Mit der nötigen Bauernschläue ausgestattet, marschierte er unaufhaltsam immer größerem Reichtum entgegen. Das Glück war ihm immer wohl gesonnen. Was er auch auf die Beine stellte, es gelang. Auch in den Spielcasinos des ganzen Landes war er als Besucher mit "einer guten Hand" gefürchtet. Frauen musste er nie umwerben, notfalls kaufte er sie. Mit einer Ausnahme: …Eine, die sein Weltbild ins Wanken brachte. Eine die ihm entglitt, ihn verließ. Die Beziehung zu seinen Kindern war eher von Dissonanz als von Harmonie geprägt. Nach außen hin wurden die Probleme totgeschwiegen, und mit Geld unter den Teppich geregelt. Wenn man immer das macht was man immer macht, bekommt man auch immer das was man immer bekommt. Einzig und alleine zu seinen beiden Freunden führte er eine wirkliche Beziehung. Und verehrt hat er in seinem Leben nur eine Frau. Seine Mutter.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 252

Veröffentlichungsjahr: 2015

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Lele Frank

WENN PETER ZU DER HURE GEHT

Buch 3

Das Buch

Ausgerechnet den stadtbekannten, in die Jahre gekommenen Lebemann Peter, ereilt die Diagnose „Peniskarzinom.“

Bis auf ein paar wenige Zipperlein, und hin und wieder Rückenschmerzen, meinte es das Leben bisher gut mit ihm. Peter war groß und attraktiv. Nicht wirklich gut aussehend, aber mit einem umwerfenden Charme ausgestattet. Sein Lächeln brachte Steine zum Schmelzen.

Schon in jungen Jahren wurde er zum erfolgreichen Unternehmer, der über ein stattliches Vermögen verfügen konnte. Er war zum richtigen Zeitpunkt am genau richtigen Ort. Obwohl er vorzeitig die Hauptschule abgebrochen hatte, fehlte es ihm zu keiner Zeit an Ideen und Innovationen um erfolgreiche Geschäfte auf den Weg zu bringen. Mit der nötigen Bauernschläue ausgestattet, marschierte er unaufhaltsam immer größerem Reichtum entgegen. Das Glück war ihm immer wohl gesonnen. Was er auch auf die Beine stellte, es gelang. Auch in den Spielcasinos des ganzen Landes war er als Besucher mit „einer guten Hand“ gefürchtet. Frauen musste er nie umwerben, notfalls kaufte er sie. Mit einer Ausnahme: …Eine, die sein Weltbild ins Wanken brachte. Eine die ihm entglitt, ihn verließ. Die Beziehung zu seinen Kindern war eher von Dissonanz als von Harmonie geprägt. Nach außen hin wurden die Probleme totgeschwiegen, und mit Geld unter den Teppich geregelt. Wenn man immer das macht was man immer macht, bekommt man auch immer das was man immer bekommt. Einzig und alleine zu seinen beiden Freunden führte er eine wirkliche Beziehung. Und verehrt hat er in seinem Leben nur eine Frau. Seine Mutter.

WENN PETER ZU DER HURE GEHT

Die Angst vor der Angst.

Lele Frank

Impressum

© 2015 Lele Frank

Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-2746-0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Oh, ein Gott ist der Mensch wenn er träumt, ein Bettler wenn er nachdenkt.

Wenn alles Sinn verliert.

Er sitzt in dem jadegrünen, alten Ohrensessel, den er vor zwei Jahren als seine Mutter verstorben war, aus purer Sentimentalität aus ihrer Wohnung in sein Haus mitgenommen hatte. Dies war schon der fünfte neue Bezug. So lange war dieses Möbelstück aus den vierziger Jahren schon im Hause der Schneiders. Ein Geschenk von Gretels zweitem Gatten zur Geburt ihres Sohnes Peter. Dort saß Gretel tagein, tag- aus nach getaner Arbeit und hörte Musik, oder schlief ein.

Das einzig freudige Ereignis in ihrem Leben war die Erfindung des Radiogerätes. Nur so konnte sie die Welt bereisen und die täglichen Pflichten abends aus ihrem Kopf verbannen.

1945, während der Kanzler über Rheuma klagte, und die Stadt Lübeck kampflos den britischen Besatzern nachgab, klagte Gretel über Wehen, ihr Muttermund öffnete sich, und gab ebenso kampflos den Weg für Peter frei. Eine hurtige Angelegenheit ohne viel Aufhebens, denn Gretel war eine robuste Natur. Das Neugeborene war knappe siebenundfünfzig Zentimeter lang, und nur dreieinhalb Kilo schwer. Mit einer stark geröteten Haut gab es den Anschein als handele es sich um ein abgezogenes Karnickel. Diese Umstände ließen darauf schließen, dass Peter einmal ein großer, schlanker Mann werden würde. Er hatte diese Erwartungen die man damals hatte, erfüllt, und jetzt saß er hier mit Einmeterfünfundneunzig stattlicher Körpergröße in eben diesem jadegrünen Ohrensessel und sah mit starrem Blick durch das bodentiefe, breite Fenster hinaus in seinen ver-schneiten, parkähnlichen Garten. Es dämmerte bereits, und der frisch gefallene Neuschnee verschluckte alle Geräusche. Es war viel Schnee in diesem Jahr gefallen. Man konnte die Konturen der sorgsam beschnittenen Buchsskulpturen nur noch erahnen. Kein Schlappschnee wie im letzten Jahr, der die Stimmung der Menschen ins bodenlose zog und sie über das schlechte Wetter klagen ließ. Es sah wunder schön aus.

Die Stadt war so sauber, und stiller als sonst. Das Haus - ein großer, hässlicher Kasten aus den Sieb-zigern - mit annähernd dreihundertfünfzig Quadratmetern Wohnfläche, war innen mondän und luxuriös ausgestattet. Am Ende des großen Grundstücks war durch eine Buchshecke getrennt, ein unbefestigter Fußweg. Dahinter floss die Wakenitz die man aber vom Haus aus nur aus dem oberen Stockwerk sehen konnte. Eine gute und teure Wohngegend. Er hatte es gekauft als die Beziehung zu einer Frau - die ihm alles an Geduld abverlangt hatte - unwiederbringlich zu Ende war. Einer Frau, die ihm heute noch immer ab und an im Kopf herumspukte, und ihn seine jetzige Beziehung in Frage stellen ließ. Die Be-ziehung mit einer guten Frau. Treu, fleißig und unscheinbar, sich ihrer Rolle an der Seite eines erfolgreichen Geschäftsmannes bewusst, und nicht nach unliebsamer Emanzipation strebend. Fraglos alles hinnehmend und still drängte sie nicht auf Heirat. Denn dazu war er nicht bereit. Eine Wohngemeinschaft de Luxe. Mehr nicht.

Im Haus brannte kein Licht. Er hatte es beim Betreten nicht eingeschaltet. Eigentlich wusste er nicht einmal genau wie er hierhergekommen war. Nachdem der Termin im Krankenhaus beendet war, fuhr er nicht wie gewohnt zurück in seine Firma, sondern wie von Ferne gesteuert - einem seltsam schützenden Automatismus unterworfen - durch die Stadt nach Hause.

Alle Geräusche auf dem Weg dorthin waren dumpf und verzerrt, so als würde jemand versuchen mit einem großen Daumen die Erde an ihrer Umdrehung zu hindern. Die Aktentasche lag noch im Auto das nicht - wie gewohnt - in der Garage stand, sondern vor dem Haus auf der Straße abgestellt war. Seinen dunkelblauen Kaschmirmantel hatte er noch an. Ohne es zu registrieren hatte er die Haustüre geöffnet, durchquerte die großzügige Diele, vorbei an kostbaren Bildern, von denen er bis heute nicht wusste, wie die Maler hießen. Es war ja auch egal, dienten sie doch lediglich dazu zu repräsentieren. Und schön bunt waren sie auch. Die schweren Teppiche im Wohnzimmer verschluckten seine Schritte. Bei der Anrichte angelangt, nahm er die Flasche Ziegler No.1, die zwischen kostbaren Karaffen stand, gezielt heraus, und leerte die viertelvolle, elegante Flasche in einem Zug, ohne sich eines Glases zu bedienen. Dann nahm er in dem jadegrünen Ohrensessel, der vor dem großen, bodentiefen Fenster zum Garten stand, Platz. Seine Hände waren rechts und links von ihm auf den Armlehnen platziert. Der Blick in den Garten gerichtet, ging ins Leere. Die Wärme in seinem Inneren, erzeugt von diesem edlen Tropfen, spürte er nicht.

Die Reise nach „rückwärts“ begann.

Wie sag´ ich´s meinem Kinde.

Als Holger am Morgen mit fünfminütiger Verspätung die ultramoderne, schwarz-weiße Küche betrat, trug er eine Grabesmine zur Schau. Die Stirn in tiefe Falten gelegt, nahm er am Tresen Platz um seinen Kaffee zu trinken. Dem Käsebrot schenkte er keine Beachtung. Seine Frau Christel, die ebenso wenig kochen wie still sein konnte, feuerte auch sogleich ihre erste Frage – was denn los sei? – auf ihn ab. Auch wenn sie nicht unbedingt sensibel im Gemüt war, so bemerkte sie doch sofort, dass die Stimmung äußerst betrüblich war. -Sie solle ihn doch erst einmal einen Schluck Kaffee trinken lassen. Er käme schon noch ins Reden. Es sei nicht so einfach hier einen Anfang zu finden. Christel spürte die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme, und hielt ihren Mund. Jedoch ließ sie ihren Blick keine Sekunde von ihm ab. Holger ergab sich diesem stillen Drängen, und begann ihr seine Besorgnis mitzuteilen. Erst noch zaghaft, dann aber sprudelte es aus ihm heraus. Peter - sein Tennisfreund seit vielen Jahren - darüber hinaus jedoch trennten sich ihre Wege, sei vor kurzem, auf Anraten seines Hausarztes Dr. Hille-brich, bei ihm in der Klinik gewesen. Es wurde ein Verdacht geäußert, dem auf den Grund gegangen werden müsse, und zwar schnellstens. Dieser Verdacht habe sich nun, nach Abschluss der Unter-suchungen leider bestätigt. Mehr noch. Es war höchste Eile geboten die Symptome in ihre Schranken zu weisen und sie zu bekämpfen. Das Ergebnis duldete keinerlei Aufschub, so auch die Meinung seiner Kollegen in der onkologischen Abteilung des Universitätsklinikums zu Lübeck. Nun hob Holger seinen Blick, und sah seiner Frau hilflos in die Augen. Sie stand mit dem Rücken an die gegen-überliegende Arbeitsplatte gelehnt, und schien die Tragweite seiner Auskunft nicht recht zu verstehen. Ihr Mund war zu einem Strich zusammengepresst, die Augen weit geöffnet. Nach einer längeren, bedrückenden Pause stellte sie die Frage wie sie Laien zu formulieren pflegten. „Hat er etwa Krebs?“

Holger beantwortete diese simple Frage, deren Antwort einen lebensverändernden Inhalt für den Betroffenen mit sich führte, mit einem stillen Nicken.

Nach einer Weile des Verstehens ließ er sie wissen dass er nicht wüsste was er tun solle. Peter käme heute Nachmittag zu ihm in die Klinik um das Ergebnis der Untersuchungen zu erfragen. Am liebsten würde er sich kurzerhand krank melden. Dies jedoch sei ausgeschlossen, weil er für die bevorstehenden Operationen eingeteilt sei, und seine Kollegen nicht im Stich lassen wolle. Worauf hin seine Frau Christel meinte, dass es zwar eine niederschmetternde Diagnose sei, aber doch wohl nicht hoffnungslos in Anbetracht der vielen Siege die man über den Krebs, sogar routinemäßig schon, erringe. Natürlich sei es wichtig in welchem Stadium sich die Krankheit bereits befände. Sie stockte und hielt inne als sie ihrem Mann in die Augen blickte. „Oh mein Gott. So schlimm schon?“ Holger erzählte ihr – in Sachen Schweigepflicht konnte er sich auf seine Frau verlassen – dass er bei der zurückliegenden Untersuchung die der endgültigen Diagnose vorausgegangen war, einen völlig anderen Menschen vor sich hatte als er ihn bisher zu kennen glaubte. Der souveräne, eloquente Geschäftsmann sei vor seinen Augen zu einem ängstlichen Kind zusammengeschrumpft. Zuerst habe er die Untersuchungen gänzlich ver-weigert, dann aber wollte er das Ergebnis sofort nach dem er sich wieder angekleidet hatte. Ignoranz gab sich hier mit Panik ein Stelldichein.

Und nun sah es so aus, als hätte der Lübecker Richard Luckner und Automatenkönig, wie er in der Stadt auch gerne genannt wurde, in der nächsten Zukunft nicht einmal mehr die Kraft für einen Spatz, geschweige denn für einen Kolibri. Holger überschlug kurz in Gedanken den Lebens-wandel seines Tennisfreundes, und dachte bei sich: „es gibt auch noch einen Reichtum jenseits des Geldes.“ Fluch und Segen lagen in dem neuen Medikament, welches nun schon seit Jahren mit dem klagvollen Namen „Viagra“ auf dem Markt war. Als er Peter damals - das erste Rezept welches er überhaupt ausgestellt hatte – den Zettel in die Hand drückte, meinte er scherzhaft zu ihm: „damit kannst du es nicht besser, aber länger.“ Von da an ließ er sich als Dealer missbrauchen.

Peter hatte ein neues Geschenk für sich und seine Freunde entdeckt. Zur Entschuldigung dieser „männlichen Krücke“ muss man aber beifügen, dass es nicht die Ursache der jetzigen Diagnose war. Hier handelte es sich um eine genetische Disposition, oder um eine Strafe „von oben.“

Für einen Mediziner natürlich eine verwegene Er-klärung, aber in diesem Fall nicht von der Hand zu weisen. Sein Tennisfreund Peter war ein Avatar in der Welt der Frauen mit geringer Intelligenz. Kein Vorurteil, gewiss nicht. Tatsächlich waren alle seine Frauen – zumindest diese von denen er Kenntnis hatte – bis auf Eine, von bescheidener Begabung.

Holger wurde von seiner Frau aus seinen Gedanken gerissen. Er hatte nicht verstanden was sie gesagt hatte und fragte noch einmal nach. „Wenn man einen Berg besteigen will, glaube ja nicht, dass warten ihn kleiner macht“, hatte sie gesagt. Seine Frau war lebensklug? Holger sah sie erstaunt an und nickte schweigsam. Er stand auf und ging.

Freunde lasst uns ewig leben.

Am anderen Ende der Stadt schälte sich am späten Vormittag Calle aus den warmen Kissen. Gähnend schielte er zur Uhr und kratzte sich dabei ausgiebig an einem Körperteil welches ausschließlich Männern vorbehalten ist. Heute hatte er keine Kaffeefahrt auf dem Tagesprogramm, und konnte sich Zeit lassen. Damit verdiente er das Geld welches er dazu be-nötigte seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die anderen Luxusgüter wie ein Motorrad, häufiges essen gehen, Clubbesuche und kostspielige Urlaube, wurden von seinem Freund Peter finanziert, der ohne ihn nur ein halber Mensch war. Diese Freundschaft war für Calle ein Glückstreffer. Peter brauchte auf seinen Streif-zügen einen Begleiter um den Tatbestand der Jagd nach leicht zu überzeugenden Frauen zu vertuschen. Calle war Peter treu und loyal ergeben. Ohne ihn hätte er vom „Dolce Vita“ in der Stadt nicht viel mitbekommen. Auch wenn er als „Heizdeckenverkäufer“ - wie ihn viele abfällig bezeichneten - ganz gut Geld verdiente, so blieben ihm nach Zahlung der Alimente und Unterhaltskosten für seine Exfrau, nicht genügend übrig um große Sprünge zu machen. Auf geistiger Ebene waren Calle und Peter als Gespann so ausgewogen wie eine im Gleichgewicht erstarrte Waage. Das machte es einfach, und gab ihm nicht gänzlich das Gefühl ein Loser zu sein. Außer einem langjährigen Geschäftsfreund von Peter brauchte er keine große Konkurrenz zu fürchten. Peter war zwar ein schwerreicher Geschäftsmann, aber die Branche durch die er es zu Wohlstand gebracht hatte, hielt die honorigen davon ab, mit Peter im Privaten zu verkehren. Zumal Peter den Ruf eines Playboys hatte, was natürlich die gut situierten Ehefrauen auf den Plan rief um ihre Ehemänner davon abzuhalten, näheren Kontakt zu pflegen. Peters Lebenswandel war für alle Bewohner der Stadt ein offenes Geheimnis. Man hatte sich daran gewöhnt, und sprach kaum noch darüber. Nur gelegentlich, wenn die Damen in seiner Begleitung allzu jung erschienen, dann zerriss man sich kurz das Maul, aber nur kurz, weil es eben sehr häufig vorkam. Calle wurde aus seinen Gedanken gerissen, als in seiner Zwei-Zimmerwohnung in der Geniner Straße das Telefon läutete. Er nahm das Gerät von der Basisstation und meldete sich mit einem müden „Hallo, wer da?“ Am anderen Ende fragte Peter ihn, ob er ihn geweckt habe. Nein, er sei gerade eben aufgestanden, erwiderte er wahrheits-getreu. Peter ließ ihn wissen, dass er am Nachmittag doch wohl lieber alleine ins Krankenhaus fahren wolle. Es sei ihm lieber so, zumal er nicht wüsste wie lange sich dieser unselige Termin hinauszöge.

Wenngleich Calle auch erleichtert war über diese Entscheidung, so wollte er sich doch nichts anmerken lassen, bot erneut – wenn auch halbherzig – seine Dienste an, und wahrte den Schein. Peter bekräftigte seinen Entschluss erneut, und vereinbarte mit ihm ein Treffen auf den kommenden Freitagabend. Wenn es etwas Erwähnenswertes zu berichten gäbe was den heutigen Krankenhaustermin anginge, wolle er sich kurz melden, und legt auf. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend ging Calle zurück auf sein Couchbett und setzte sich nieder. Er kannte seinen Freund in- und auswendig, und wusste, dass Peter dazu neigte etwas wehleidig zu sein. Deshalb maß er dem Unwohlbefinden seines Freundes, welches er in letzter Zeit registriert hatte, keine große Bedeutung bei. Das wird schon wieder, tröstete er sich selbst. Mit dreiundsechzig Jahren kann es schon einmal hie und da zu kleineren Unpässlichkeiten kommen.

Kinder, Kinder.

Zu diesem Zeitpunkt lag Peters Sohn, Peter jun. noch im Bett und schlief seinen Rausch aus. Bei diesem Sohn war Hopfen und Malz, sowie jegliche Hoffnung auf irgendeine Besserung verloren.

Seine Mutter – die ehemalige Edelhure und Exfrau seines Vaters – deckte ihn, und wies alle Schuld von sich am Misslingen der Erziehung beteiligt gewesen zu sein. Schließlich sei „das Kind“ ja so gut wie ohne Vater aufgewachsen. Immer sei sie alleine gewesen, auf sich gestellt, weil der Vater – und damals noch Ehemann – sich viel lieber bei seinen Huren herumgetrieben hätte. „Das Kind“, nunmehr an die Dreißig, hatte wenig Erfolg in der Schule, wenig Erfolg in der Schule, und danach alle Lehrstellen abgebrochen. Eine Ausbildung im väterlichen Betrieb kam nicht in Betracht, weil dort mit großen Geldsummen hantiert wurde. Als er damals den Führerschein nach dem dritten Anlauf geschafft hatte, und als Belohnung für diesen Erfolg natürlich einen Dreier-BMW-Jahreswagen wunschgemäß zum Geburtstag bekam, hatte er nichts Besseres zu tun als seinem Vater, der damals noch mit seiner Mutter verheiratet war und zu Hause lebte, in der Nacht den Tresorschlüssel aus seiner Jacke zu stehlen, und sich aus dem Haus zu schleichen. Danach fuhr er ins Bürogebäude und öffnete - ohne Spuren zu hinter-lassen - den prall gefüllten Tresor und bediente sich großzügig. Danach verschloss er alles ordnungs-gemäß, fuhr nach Hause und schlich sich unbemerkt in sein Zimmer. Ein leichtes Spiel, da der Vater fast jede Nacht erst spät und angetrunken nach Hause kam, und sofort einschlief. „Kundensaufen“, nannte er es, wenn er die Pächter seiner Gaststätten reihum besuchen musste. Nicht nur dass seine Spielautomaten dort aufgestellt waren, sondern dass ihm die Immobilien auch gehörten.

Dieses Spiel der nächtlichen Beutezüge betrieb der kleine Peter über einen langen Zeitraum. Es fiel zwar mit der Zeit auch auf das Geld fehlte, aber man verdächtigte in der Firma eine Mitarbeiterin, die daraufhin entlassen wurde. Wochen danach wurden erneut Fehlbeträge entdeckt, worauf man sich keinen Reim mehr machen konnte. Ohne sein Wissen ließ der Vater in der Firma eine nahezu unsichtbare Kameraüberwachung installieren. Dieser Umstand bereitete seinem Treiben ein jähes Ende.

Peter sichtete die Filme hinter verschlossenen Türen, weil er schon so eine leise Ahnung hatte was hinter diesem Geldschwund stecken könnte. Auf dem Videofilm war sein Sohn zu sehen, wie er sich in aller Seelenruhe bediente. Selbstsicher jeder Handgriff. Routiniert der Ablauf ohne Hast. Am Abend stellte er seinen Sohn zu Hause zur Rede. Es gab keine Recht-fertigungen und nur wenig Anklage. Eine schallende Ohrfeige war die Strafe, und somit der Diebstahl von über hunderttausend Mark abge-golten. In der Firma erklärte er seinen Mitarbeitern einen Irrtum der Fehlbeträge seinerseits, und deckte seinen Sohn. Niemand hätte es angezweifelt dass alles seine Ordnung zu haben schien. Zumal es in der Folgezeit zu keinen Unstimmigkeiten mehr kam. Nur den Sohn in die Firma zu holen, damit aus ihm was würde, dazu konnte Peter sich nicht durchringen. Er bezahlte für ihn auch noch mit dreißig seinen Lebensunterhalt um nach außen den Schein der schönen, heilen Welt zu wahren. So wurde aus dem „kleinen Peter“ ein Faulenzer, der sich nach wie vor mit den Geldscheinen seines Vaters seine Identität polierte. Er verbrachte die Zeit damit darauf zu warten irgendwann ein Vermögen zu erben. Das war anstrengend genug. Hätte er geahnt in welch einer misslichen Lage sich derzeit sein Vater befand, wären seine Träume leichtfüßiger gewesen. Die Mutter, verbittert immer noch weil sie damals wegen dieser Frau verlassen wurde, kümmerte sich nicht darum. Sie hatte zwar einen neuen Freund und genoss ihr Leben so gut es eben ging. Aber der Status war verloren. Sie war nicht mehr die große Frau Schneider von einst. Im ehemals gemeinsamen Haus hatte sie des Sohnes wegen wohnen bleiben dürfen, das Mercedes-Cabrio war auf sie umgeschrieben worden, und der Richter der die Scheidung aussprach gestand ihr monatlich die hübsche Summer von Zwanzigtausend Mark zu um den hohen Lebensstandard halten zu können, den sie bisher führte.

Aber sie war unzufrieden. Hatte sie nicht nur an Bedeutung verloren, nein, es wäre auch noch mehr rauszuholen gewesen, hätte sie damals nicht diesen Unüberlegten, fatalen Fehler begangen. Nach außen überdeckte sie ihr Versagen als Ehefrau und Mutter mit immer neuester Designermode. Und um nicht vollkommen zu verblöden, arbeitete sie sogar bei Ihrem Freund in der Firma stundenweise als Aus-hilfe für ganz einfache Tätigkeiten. Wenn sie be-trunken war - und das war häufig der Fall - dann kam die Edelhure von einst zum Vorschein.

Seine Tochter Dörthe indes, hatte sich berappelt. Sie war als uneheliches Kind einer Münchnerin – auch eine Hure – zur Welt gekommen. Mit Erreichen der Volljährigkeit zog sie nach Norden um ihren Vater aufzusuchen, von dem sie genau wusste dass er sehr vermögend war. Sie bekam eine Dreizimmer- Eigentumswohnung geschenkt, und erhielt fortan eine monatliche Apanage von der sie leben konnte. Noch einen Kleinwagen dessen Unterhaltskosten ebenfalls der Vater trug, und fertig. Von da ab sah sie ihren Vater nur noch zufällig in der Stadt, wenn er mit seiner großen Limousine an ihr vorbei fuhr. Hier und da ein Pflichtanruf, wie es denn ums Wohl-befinden bestellt sei, das war`s. Zugang zur Familie, oder eine Einladung etwa zu Weihnachten, bekam sie nicht. Man überließ sie ihrem Schicksal. Unter dieser Lieblosigkeit leidend mauserte sie sich zum Hardcore-Messi. Niemand durfte ihre Wohnung betreten. Erst als der Vater wegen dieser unbeug-samen Frau die Familie verlassen hatte, änderte sich ihr Leben um hundertachtzig Grad. Diese Frau hatte in Erfahrung gebracht dass Peter auch noch eine Tochter hatte. Sie bestand darauf sie kennen zu lernen. Danach bestand sie darauf die Wohnung zu sehen. Zu dieser Frau hatte sie Vertrauen gewonnen, und gestattete ihr nach monatelangem Zögern den Zutritt in ihre Mülltonne. Den Zustand der Wohnung zu beschreiben würde den Rahmen sprengen. Man stelle sich einfach nur unvorstellbar Unvorstellbares vor.

Zuvor hatte sie „dieser Frau“ gestanden dass sie schwanger sei, was diese zu rigorosen Maßnahmen veranlasste. Sie wurde gebeten für ein paar Wochen zu einer Freundin zu ziehen, weil man diesen Zuständen Einhalt gebieten musste. Würde das Kind erst da sein, und das Jugendamt einen Fuß in die Türe setzen, wäre das Neugeborene im nu Geschichte.

Sie zog also für Wochen zu einer Freundin, und nach der Rückkehr fand sie eine nagelneue, saubere Wohnung vor, wie sie es nur von anderen Leuten her kannte. Diese Frau verpasste ihr noch eine stramme Gardinenpredigt und erschien von da an zu unangemeldeten Kontrollbesuchen. Allerdings wurde sie auch durch diese Frau in die Familie geholt. Ihr Vater war nach einer Weile dieser Beziehung zu ihr gezogen, und hatte wegen ihr die Scheidung eingereicht. Es war ihr Glück, und ein bis dahin unbekanntes Leben. Nicht nur zu Weihnachten und Geburtstagen wurde sie jetzt eingeladen, sondern auch zu den sonntäglichen Essen. Dörthe blieb diesem neuen Leben auch noch treu als ihr Vater und diese Frau nicht mehr zusammen waren, was sie sehr bedauerte. Nachdem das Kind alt genug war um in den Kindergarten zu gehen, bekam sie eine Stelle bei der Sparkasse. Zum Missfallen des Vaters heiratete sie später einen Mann aus Georgien, den der Vater dazu nutzte um wieder ein wenig auf Abstand zu gehen. Nach einiger Zeit fand er sich jedoch mit der Entscheidung seiner Tochter ab, und unterhielt einen lockeren Kontakt zu ihr. Was nutzte es ihm seinen Zorn von der Leine zu lassen, er war ein herzensguter Kapitalist mit einer stadtbekannten Sucht.

Mit ihrem Halbbruder - dem „kleinen Peter“ - kam sie so leidlich aus. Hatte sie doch immer noch das Gefühl ein wenig wie ein unwillkommener Parasit betrachtet zu werden. Man arrangierte sich zwar mit ihr, aber mehr auch nicht. Ihr selbst war gar nicht klar, dass sie eines Tages eine reiche Frau sein würde. Aber ihr war klar, dass sie es mit einem anderen unehelichen Vater hätte schlechter treffen können.

Er sagt es seinem Kinde.

Am Nachmittag des besagten Tages stürmte Peter aus seinem eleganten Chefbüro und dem großen Gebäudekomplex hinaus, vorbei an seiner Sekretärin Frau Bäcker. Er murmelte etwas von einem wichtigen Termin und gab ihr keine Gelegenheit eine Frage zu stellen. Etwas überrascht blickte sie ihm nach, und blätterte dann mit erhobenen Augenbrauen in seinem Terminkalender nach, den ausschließlich sie führte. Einen Termin konnte sie dort nicht ausfindig machen. Ein überraschend ungewohntes Verhalten ihres Chefs. Musste sie doch schon alleine aus organisatorischen Gründen über seinen Tagesablauf genauestens Bescheid wissen. Sie stand auf, und ging in das gegenüberliegende Büro in dem die Kassiererin mit dem Spitznamen „Bluna“ ihren Arbeitsplatz hatte. Auf die Frage, ob sie wüsste wo der Chef so eilig hinwollte, und wie lange er denn weg sei, erntete sie nur ein unmissverständliches Kopfschütteln. „Bluna“ hatte gerade den Mund voll mit Marzipan, und konnte nicht antworten. Nachdem sie alles untergeschluckt hatte, meinte sie sich doch so leise an einen Zahnarzttermin erinnern zu können. Frau Bäcker gab sich mit dieser Auskunft zufrieden, und machte einen roten Querstrich über den Nach-mittag im Terminplaner.

Die Schranke bei der Einfahrt zum Universitäts-klinikum öffnete sich, und eine dunkelblaue Mercedeslimousine passierte das Pförtnerhäuschen. Gewöhnliche Patienten mussten auf der Rückseite des Klinikums auf dem großen, gebührenpflichtigen Parkplatz ihre Fahrzeuge abstellen. Nicht so Peter. Einer der reichsten Männer der Stadt, wenn auch mit fragwürdigem Gewerbe. Ihm war klar, dass er von den honorigen der Stadt auf sein Geld reduziert wurde, aber er verdrängte es ebenso erfolgreich wie die Tatsache, dass sein Sohn ein Versager war und tröstete sich mit dem Gedanken, dass er viel davon besaß. Sehr viel. „Was taten die, die keinen Geld hatten“, stellte er sich die Frage. Gleich in der Nähe des Eingangs erblickte er eine freie Parklücke. Es kam ihm für einen Augenblick so vor, als würde der Boden des Parkplatzes hämisch grinsen, und ihn willkommen heißen. „Unsinn“, schalt er sich selbst. Schließlich hatte er noch nie im Leben irgendwelche Ambitionen zu Unerklärlichem. Geschweige denn Botschaften aus dem Universum oder ähnlichem esoterischem Nonsens. Genau so ging ihm auch der Glaube an Gott völlig ab. Für so etwas hatte er überhaupt keinen Sinn. Die Götter die er anbetete hießen Geld, und Promiskuität. Er schloss sich viel lieber den Meinungen der Naturwissenschaft an, denn Glaube lässt sich für den Natur-wissenschaftler nicht quantifizieren. Trotzdem bemerkte er, dass er feuchte Handflächen hatte. Sein Magen zog sich zu einem heißen Klumpen zusammen, und für einen kurzen Moment litt er an einer Atemdepression ohne es sofort zu bemerken. Er stieg aus seinem Wagen aus, uns stellte fest, dass seine Beine ohne erkennbaren Grund schmerzten. Oh, wie er Krankenhäuser hasste. Als seine Mutter vor zwei Jahren starb, reduzierte er seine Besuche bei ihr auf ein Maß welches er gerade noch vertreten konnte, um nicht als herzlos abgestempelt zu werden. Stolze Vierundachtzig Jahre alt war sie geworden, obwohl sie sich ein Leben lang krumm gemacht hatte im elterlichen Gasthaus. Als Kind wurde sie 1917 mitten in den ersten Weltkrieg hinein geboren, und einen Zweiten hatte sie annähernd schadlos überstanden. Und er? War er jetzt unterwegs um sich eine Fahrkarte ins Jenseits abzuholen? Steht ab sofort der Sensenmann am Straßenrand und bittet um Einlass in seinen Wagen? „Nimm dich zusammen, du alter, blasser Sack“, rief er sich zur Raison. Wird schon nicht so schlimm werden. Wer Geld hat, lebt länger. Das weiß doch jeder. Vor Gott sind alle gleich, und wer Geld hat ist noch ein bisschen gleicher. Charmant lächelte er einer ausgesprochen hübschen, blonden Frau entgegen, die an einem Wegweiser Schild einen etwas unbeholfenen Eindruck machte. Für einen Moment trafen sich ihre Augen. „Leichte Beute“, dachte er bei sich, aber nicht heute. Danach steht mir gerade nicht der Sinn. Weder seine farblose Lebensgefährtin, noch seine Angestellten, auch nicht seine Freunde Calle und Eddi, die Kinder oder sonst jemand wussten von seinen Beschwerden irgendetwas. Nichts von diesem Termin der vorausgegangen war, nichts von heute. Nur sein Hausarzt Dr. Hillebrich und sein Tennisfreund Holger – und Onkologe – wussten Bescheid. Sie unterlagen der ärztlichen Schweigepflicht und konnten kein Unheil anrichten. Stellte sich die ganze Aufregung als unbegründet heraus, würde er niemals ein Wort darüber verlieren. Keine Silbe. Er wollte nicht bedauert werden. Keine Gefühle anderer Menschen womit er sich auseinandersetzen müsste, oder ihn gar peinlich berührte, sei es Mitleid oder Freude über den guten Ausgang des Verdachtes. Sei es Zuneigung oder schlimmstenfalls Liebe. Liebe, lieber nicht. Fehlte ihm doch die ererbte Erinnerung an Liebe. Gefühle hatte man nicht zu zeigen, oder – noch schlimmer – darüber zu reden. Am besten man spürte sie erst gar nicht.

Er öffnete die Tür der Anmeldung und trat vor den Tresen. Die Mitarbeiterin die dort saß blickte zu ihm auf, und sagte freundlich: „Guten Tag Herr Schneider. Wie sie wissen haben wir hier kein Wartezimmer für Privatpatienten, und es dauert noch fünf Minuten bis der Herr Doktor fertig ist. Aber vielleicht können sie ja trotzdem bei den anderen für einen kurzen Augenblick Platz nehmen.“ Unter dem Vorwand sich die Füße vertreten zu wollen, weil er den ganzen Tag gesessen habe, ging er hinaus auf den Flur um dort zu warten. Das fehlte noch. Sich zu den anderen setzen und deren Leid betrachten? Was ging ihn das an. Er hatte genug mit sich selbst zu schaffen. Beide Hände in den Hosentaschen vergraben, stand er an dem großen Fenster das den Blick in den Krankenhauspark freigab. Noch könnte er gehen. So tun als sei alles in Ordnung. Vielleicht war die Idee gar nicht so schlecht, und es legte sich alles wieder von alleine. Gehört hatte er schon so allerlei. Plötzlich war sein Blick gefesselt von einem Schmetterling, der sich am unteren Holm des Fensters mit langsamen Flügelschlägen niederließ. Er konnte sich nicht daran erinnern wann er zum letzten Mal einen Schmetterling gesehen hatte. Natürlich gab es in seinem park-ähnlichen Garten auch welche, aber er hatte ihnen nie Beachtung geschenkt. Mit der Betrachtung des Schmetterlings flog ihn eine Erinnerung an, die er längst vergessen hatte. Vor ein paar Jahren, als er noch mit dieser unbeugsamen Frau zusammengelebt hatte, war er als Präsident des Automatenverbandes zum sechzigsten Geburtstag eines Automaten-herstellers eingeladen. Eine großartige Feier mit allem Tamtam. Nur das Teuerste war gerade gut genug. So war zur Unterhaltung der Gäste Udo Jürgens als Stargast eingeladen, der mit seinem Flügel auf der Bühne ein einstündiges Konzert gab. Diese Art von Musik sagte ihm eher weniger zu, aber er konnte ihr auch bei diesem Anlass nicht entgehen. Andächtig, zur Zufriedenheit des Gastgebers saß er auf seinem Stuhl, und hoffte dass es schnell vorüber gehen würde. Seine Lebensgefährtin lauschte still und konzentriert neben ihm. Sie rührte sich nicht. Als Jürgens das Lied sang: „hast du heute schon einmal aus dem Fenster gesehen“ bemerkte er dass sie weinte. Der Moment war ihm peinlich, und er hatte gehofft dass es sonst niemand bemerkte. Aber die anderen Gäste am Tisch waren ebenso beschäftigt dem Vortag zu lauschen. Sie drehte sich damals nur kurz zu ihm hin, und schenkte ihm einen merkwürdigen Blick. Damit wollte sie ihm wohl sagen: „hör´ gut zu!“ Er wusste schon worauf sie anspielte, dass er Geld zu viel Bedeutung beimaß, aber er tat so als hätte er ihren Blick nicht bemerkt.

Danach saß sie still und schweigsam neben ihm, und er registrierte einen Kloß den sie im Hals hatte. Dieser weibliche Rowdy neben ihm hatte eine empfindsame Seele, was die Beziehung zu ihr nicht gerade vereinfachte. Damals ging er über diesen Vorfall hinweg, wie über so vieles sonst. Warum erinnerte er sich gerade jetzt daran?