Das Haar in der Suppe - Lele Frank - E-Book

Das Haar in der Suppe E-Book

Lele Frank

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Beschreibung

Was alles kann die Erziehung in einem Menschen anrichten? Fatal, mit welchen Folgen ein dominanter Elternteil den Charakter eines Kindes prägt. Die Hierarchie als Mörder eines gesunden Selbstbewusstseins? Erwartungsdruck schiebt alles förmlich in die falsche Richtung. Und dann passiert es: … Genau das was von den strengen Eltern erwartet wird - wie beispielsweise eine adäquate Frau für ihren Sohn - geht dann sprichwörtlich in die Grütze. Claus-Konrad heiratet nicht standesgemäß eine Tochter aus gutem Hause, oder eine Akademikerin, nein, er macht einem Mädchen aus der "Unterschicht" ein Kind. Er drangsaliert seine Frau so lange, bis das Schicksal zu einer Maßnahme greift, die sie befreien wird. Endgültig.

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Seitenzahl: 241

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Lele Frank

Das Haar in der Suppe

Buch 5

Das Buch

Was alles kann die Erziehung in einem Menschen anrichten? Fatal, mit welchen Folgen ein dominanter Elternteil den Charakter eines Kindes prägt. Die Hierarchie als Mörder eines gesunden Selbstbewusstseins?

Erwartungsdruck schiebt alles förmlich in die falsche Richtung. Und dann passiert es: …

Genau das was von den strengen Eltern erwartet wird - wie beispielsweise eine adäquate Frau für ihren Sohn - geht dann sprichwörtlich in die Grütze.

Claus-Konrad heiratet nicht standesgemäß eine Tochter aus gutem Hause, oder eine Akademikerin, nein, er macht einem Mädchen aus der „Unterschicht“ ein Kind.

Er drangsaliert seine Frau so lange, bis das Schicksal zu einer Maßnahme greift, die sie befreien wird.

Endgültig.

Das Haar in der Suppe

… oder der perfekte Mord?

Lele Frank

Impressum

© 2015 Lele Frank

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-2937-2

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Um aus einer Sackgasse herauszufinden, muss man sie zu Ende gehen.

Jean Paul Sartre

(Juni 1905 – April 1980)

Ich werde noch verrückt.

Abgewiesen, abgewiesen, abgewiesen. Zum x-ten Mal abgewiesen. Zitternd, schweißüber-strömt und vor Übelkeit schon ganz schwach, steht er in der eleganten Diele seines großzügigen Flachdachhauses, und hält den Brief des Verlages in der Hand, der ihm soeben eine Absage - ohne Begründung - erteilt hat. Genauso wie die vorhergehenden Absagen auch. Allesamt. „Was bilden die sich eigentlich ein diese Verlage? Eines Tages sind sie sowieso alle weg vom Fenster, eines Tages geht alles nur noch digital. Eines Tages …“ Mit irrem Blick stiert er den aufgerissenen Umschlag an. Ein langgezogener, schmerzvoller Aaah-Laut von einer unglaublichen Lautstärke entweicht seiner trockenen Kehle. Die Augen sind fiebrig, das Gesicht vor Wut verzerrt. Er wankt. Claus-Konrad muss sich setzen, sonst fällt er noch in Ohnmacht. Er lässt sich auf den dicken, pastellblauen Nepalteppich sinken, beugt sich vorn über, und fängt an bitterlich zu weinen. Machtlos, hilflos, ausgeliefert und ungerecht behandelt fühlt er sich.

So. Genauso mussten sich früher seine Kläger, Verklagten, Nebenkläger und Anwälte der Verliererpartei gefühlt haben, wenn er sein Urteil geurteilt, gefällt, gemutmaßt nach seinem Gusto herabsausen ließ. Wenn er seine Macht ausgekostet hat wie den Verzehr einer unbeschreiblich köstlichen Köstlichkeit. Geradezu orgastische Gefühle hatten ihm seine kalkulierten Dehn-Urteile bereitet. Die Gesichter der Fassungslosigkeit, die entsetzt aufgerissenen Augen, die Fragen im Blick. Die Wut, der Hass, die Verständnislosigkeit die ihn auf seinem Stuhl ohnehin nicht erreichen konnten. Nichts berührte ihn - immun wie er war. Nur selten gab jemand weiteres Geld aus um in Berufung zu gehen, so geschockt waren sie noch von dem Rechtsempfinden dass er ihnen um die Ohren schlug. Sein Amt als Richter hatte seinen ausgeprägten Sadismus reichlich genährt. Jahrelang. Seine Macht hat seine Wut auf Frauen reichlich entschädigt. Bis …, ja, bis die Dämonen ihm heimsuchten, und ihm den Schlaf raubten. Nacht für Nacht. Woche für Woche. Monat für …

Wo die Wiege steht.

Die Hebamme war kalkweiß im Gesicht. Gerade in dem Augenblick als Richter Eisvogel die

Treppe zu seinem Haus in der Lessingstraße empor schritt, öffnete sie die wuchtige, alte Haustüre um mit ihrem Fahrrad nach Hause zu fahren. Sie wurde nicht mehr gebraucht. Gesine, das Hausmädchen, hatte alles im Griff. Sie hatte während des Krieges im Lazarett gearbeitet, und war mit großer Leidenschaft eine halbe Medizinerin. Den fragenden Blick des Richters beantwortete die Hebamme mit einem knappen Kopfnicken, und murmelte etwas von einem strammen Jungen, und einer schweren Geburt. Das war auch schon der ganze Inhalt der Konversation. Im Hause Eisvogel wurden nicht viele Worte gemacht. Jeder richtete sich danach.

„Ja ist es den die Möglichkeit“, maulte Richter Eisvogel in seinen Mantelkragen hinein. Im Kalender war der siebte April zu lesen, und er war soeben in einen Schneesturm geraten. Zwar war dieses letzte aufbegehren des Winters nicht wirklich ernst zu nehmen – der Schnee blieb nicht mehr liegen – aber es war unangenehm nasskalt. Es drückte ihm auf die Stimmung, da vermochte die gute Nachricht auch für den Augenblick nicht viel daran zu ändern. Er sorgte sich um die teuren, neuen Lederschuhe die e

hatte anfertigen lassen. Guten Mutes hatte er sich am Morgen dazu entschlossen, sie heute zum ersten Mal auszuführen, und jetzt sowas. Er klopfte das Wasser seiner Schuhe am Gitterrost ab, das eigens dafür im Treppenpodest eingelassen war, und ergriff die Klinke der geöffneten Haustüre um einzutreten. Für Richter Eisvogel war die Pflicht seiner Frau, ihm einen Erben zu gebären, somit erfüllt.

Er legte seinen Mantel in der geräumigen Diele auf den Sessel, stellte seine Aktentasche in seinem Arbeitszimmer neben seinen schweren Schreibtisch aus der Gründerzeit, so dass die schmale Kofferseite genau mit der Kante des Schreibtisches abschloss – Richter Eisvogel war ein Pedant – und ging anschließend in die große Küche um sich die Hände am Spülbecken zu waschen. Es gab zwar in der unteren Etage ein eigens dafür vorgesehenes Gäste Bad, aber dieses Vorgehen es in der Küche zu tun, ent-stammte noch seinen Kindertagen, und er konnte es sich einfach nicht abgewöhnen. Am Abend lag immer zu diesem Zweck ein kleines Handtuch neben dem Spülstein, dass nur er benutzen durfte. Jetzt konnte er sich im Esszimmer einen Feierabendsherry gönnen. Tief ausatmend prostete er dem schweren Kronleuchter aus Böhmen zu. „Es ist vollbracht“, sagte er. „Auf das Wohl meines Erben. Möge er gelingen.“ Aus der oberen Etage hörte er den neuen Erdenbürger herzhaft seine Anwesenheit kundtun. Richter Eisvogel registrierte jedoch nur, dass so ein kleiner Wurm bereits über ein beträchtliches Organ verfügte. Im Gegensatz zu seiner Arbeit im Gericht, konnte er zu Hause allerdings alles ausblenden was er nicht zu hören wünschte. Häufige Klagen seiner Frau Gemahlin bekam er nicht in vollem Umfang mit, wenn er nicht wollte. Richter Eisvogel hatte ein selektives Gehör. Erst viel später würde er seinen Besuch im Geburtszimmer machen, denn der Anblick von Schweiß und Schmerz war ihm zuwider. Das war Sache der Weibsleute. Es betraf ihn nicht. Erleichterung breitete sich wohlig in ihm aus. Zur Feier des Tages schenkte er sich noch einen Sherry ein, nahm das Glas mit zu seinem Schreibtisch, und nahm Platz um vor dem Abendbrot noch ein paar wichtige Akten für den morgigen Prozess zu sichten. Es wäre nicht auszudenken, wäre er heute Vater einer Tochter geworden. Dann wäre diese ganze Plackerei wieder von vorne losgegangen. Ein Kind zu zeugen ist kein Leichtes, wenn man sein Weib nicht begehrt. Aber es war seine Pflicht, und er ist ihr mit größten Opfern nachgekommen. Eine stolze Leistung für einen Mann, der erst mit Ende Vierzig endlich zum Ziel gelangt. Der Heilige Geist schien an seiner immerzu kränklichen Gattin auch kein Gefallen gefunden zu haben, und verweigerte eine unbefleckte Empfängnis. Er musste gezwungenermaßen selbst Hand anlegen. Sehr zu seinem Ärgernis. Seine Frau Gemahlin entstammte einem Adelsgeschlecht, und war Zeit ihres Lebens schwächlich, was sie jedoch nicht daran hinderte zänkisch zu sein. Sie entzog sich ihm in jungen Jahren, und kurierte immerzu imaginäre Beschwerden aus. Wäre da nicht die beträchtliche Mitgift gewesen, hätte er sich für Margarete - die Senatorentochter - entschieden. Aber ihr Vater – der Herr Senator – war ein Spieler, und hatte Haus und Hof durchgebracht. So verhinderte der Verlust von Haus, Hof und Reputation, dass seine Tochter Margarete eine angemessene Partie machen konnte. In Lübeck nahm man es damit sehr genau. Gesine war für heute Abend nicht abkömmlich um das Abendessen aufzutragen. Sie hatte mit der Gattin des Richters noch alle Hände voll zu tun. Verärgert über die spontane Abänderung der Gepflogenheiten im Hause Eisvogel, musste er sich in die unvorhergesehene Situation fügen. Es wäre ihm lieber gewesen der ganze Zauber hätte am Tage stattgefunden, und man hätte ihn nicht mit den Begleiterscheinungen behelligen müssen. Er wünschte feste Abläufe im Haus, nach denen er sich richten konnte, und keine unerwarteten Varianten. Aber heute wollte er eine Ausnahme machen, denn schließlich war er jetzt Vater eines Sohnes. Das war es wert.

Das Arbeitszimmer des Richters war vom großen Wohnraum mit einer doppelten, lederge-polsterten Türe abgeschirmt. Eine der beiden Türen ließ sich in den Raum öffnen, die andere nach außen. Beide Türen standen offen, und Marta – die Köchin – trampelte ohne angemessen anzuklopfen in den Raum. Der Anblick dieser grobschlächtigen, kleinen Frau mit dem einfachen Gemüt war ihm ein Graus. Hätte sie nicht über geradezu virtuose Kochkünste verfügt, dann hätte er sie ohne Skrupel an die frische Aprilluft gesetzt. Die meiste Zeit aber bekam er sie nicht zu Gesicht, und ertrug wütend ihre ständige Anwesenheit im Haus. Ganze zweiundzwanzig Jahre schon. Nicht auszudenken, hätte seine Frau sich damals durchgesetzt und Marta in der Angestelltenwohnung des Hauses leben lassen. Dort lebten jetzt die jeweiligen Hausmädchen, je nachdem wie lange sie es aushielten. Für Marta hatte er damals bei einem befreundeten Staatsanwalt, unweit vom Haus entfernt, eine kleine Souterrainwohnung angemietet. Das war eine gute Lösung, mit der er leben konnte. Die Angestellten hatten den Seiteneingang der großen Jugendstilvilla zu benutzen, und während er sich im Haus aufhielt, unsichtbar zu sein.

„Euer … euer, euer Ehren. Das … das Essen ist, ähm. Ist auf … aufgetragen. Bi …“ „Ja, ja schon gut Marta. Ich komme schon“, unterbrach er sie. Dieses gestotterte Gesabbel war dann doch Zuviel für seine angespannten Nerven. Er bat sie schon zu servieren, und sich für heute zu entfernen. Er käme schon zurecht. Richter Eisvogel wartete bis Marta sich aus dem Speisezimmer wieder entfernt hatte, stand dann erst auf und nahm am Tisch Platz, so wie er es gewohnt war. Konventionen hatten für ihn eine mächtige Magie der er sich einfach nicht entziehen konnte. Unkonventionelle Menschen wurden in seinem Umfeld nicht in Betracht gezogen, nicht geduldet. Sie hätten sein Weltbild vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht. Er schenkte sich aus der alten Weinkaraffe einen Lübecker Rotsporn ein, und prostete sich noch einmal selber zu. Vorher kontrollierte er noch einmal den Knoten seiner Krawatte. Ein von ihm unbemerkter Griff, eine Manie.

Gesetzte und Regeln waren für Richter Eisvogel das Herz der Welt und seines Lebens. Wurden sie missachtet, geriet der ganze Kreislauf aus den Fugen. Mit Gründung der Demokratie sah er seinen Lebensgrundstock in bedrohliche Gefahr versetzt. Er war verunsichert wenn etwas nicht reglementiert war, weil man sich dann nicht verbergen konnte, und variabel reagieren musste. Es nahm ihm die Orientierung, und die Sicherheit, zwang ihn unter Umständen sogar dazu ein Gefühl zu zeigen, zu dem er doch eigentlich nicht in der Lage war. Gefühle waren etwas für schwache, labile Menschen die ziellos umherirrten, es zu nichts brachten, verwahrlosten. Insbesondere Frauen neigten sehr stark dazu, was ihm immer sehr zu schaffen machte. So gut es sich einrichten ließ, mied er die Gesellschaft von Frauen in seinem Umfeld. Er hatte in seinem Vorzimmer bei Gericht einen männlichen Sekretär beantragt und durchgesetzt. Das erleichterte die Arbeit, machte ihn unbefangener, sicherer. Mit großem Bedacht tupfte er sich die Mundwinkel mit der gestärkten Stoffserviette ab. Alles war ihm recht um den Augenblick hinauszuzögern, in dem er seiner Gattin am Ort der Niederkunft entgegentreten musste. Wäre man ihm gerecht geworden, so hätte ein freundlich geschickter Gruß ausgereicht um sich für ihre Mühe zu bedanken. Aber so? Frauen und Männer sind gleichgestellt? Was für eine fatale Fehlentscheidung. Vollkommen unnötig war das.

Die Anderen.

Im weniger eleganten Stadtteil Moisling wurde zu dieser frühen Abendstunde soeben mit brachialer Gewalt ein Kind gezeugt. Es war noch früh im Monat, und Geld zum Ausgeben oder versaufen noch ausreichend da. Zwei Wochen später würde das schon etwas anders aussehen. Dann waren die Kassen beinahe leer. Aber es war nun einmal erst der siebte April. Hannes Zierske arbeitete am Hafen in Lübeck. Tagein, tagaus schleppte er Ketten und half beim Löschen der Schiffe. Von der schweren körperlichen Arbeit war aus ihm ein gewaltiges Mannsbild geworden. Aber sein Anblick täuschte, denn er war eigentlich ein herzensguter Säufer. Für seine Familie war ihm kein Handgriff zu viel, seine Frau liebte er abgöttisch. Die kleine Schwäche, sich am ersten und zweiten Wochenende des Monats mit seinen Kollegen zu betrinken, sah ihm seine Frau Lore großzügig nach, denn es ging ihr gut bei ihm. Sie musste nicht arbeiten gehen, und konnte sich um die beiden Kinder kümmern. Hannes half in seiner Freizeit bei seinem Freund auf dem Schrottplatz aus. Das brachte der Familie ein ordentliches Zubrot, und die Möglichkeit für Extravaganzen. In der Ecke mit den kleinen Siedlungshäusern waren sie Zierskes geschätzte Bürger, und es gab nichts was zum Nachreden veranlasst hätte. Seinen alten, beigefarbenen Mercedes – sein ganzer Stolz - hatte er pflichtbewusst im Hof ordentlich abgestellt, und war zu Fuß mit seinen beiden Kumpels in die Eckkneipe gegangen um Einen zu heben. Wenn er Tagschicht hatte, dann war ein wundervoller Spätnachmittag ganz für ihn und seine Freunde reserviert, denn morgens drauf hatten die drei ihren freien Tag. Die Luft in der kleinen Kneipe war abgestanden und voll Zigarettenrauch. Man konnte die Eingangstüre nicht aufreißen um ab und an vernünftig zu lüften, weil es so kalt draußen war. Die Aschenbecher auf der Theke liefen – wie immer - über. Hannes bemerkte sofort dass heute etwas anders war als sonst. Ein billiges Parfüm durchwaberte den Raum, und machte ihn ganz schwindelig. Die Drei Freunde setzten sich auf ihren Stammplatz und freuten sich auf ein frisch gezapftes Feierabendbier. Keine Minute später kam der Grund für die ungewohnte Atmosphäre aus der Pendeltür zur kleinen Küche. Eine Fata Morgana? Eine Halluzination, eine Erscheinung aus einem schlechten Heftchen für Erwachsene?

Mit drei offenen Mündern wurde die Schwester der Wirtin bestaunt und begafft. Hannes hielt sich noch das Feuerzeug vor sein Gesicht, und war außer Stande sich seine Zigarette vernünftig anzuzünden. „Pfff …“ Neben ihm war ein zweites „Pfff …“ zu hören. Jens hatte offensichtlich die Sprache verloren. Von Herbert vernahm er nur ein lautes schlucken, und beobachtete aus dem Augenwinkel heraus, wie sein Adamsapfel hin und her sprang. „Moin,“ quetschte er gepresst hervor. „Wer bist du denn, wollte er wissen.“ Hannes erfuhr von der Fata Morgana das der Wirt mit seiner Frau ins Krankenhaus gefahren sei, weil die Wirtin sich auf der Sauerei des Küchenbodens bei einem Sturz die Hüfte gebrochen hätte. Sie sei die Schwester der Wirtin, aber nur für drei Tage zu Besuch. Was bliebe ihr denn übrig, außer dass sie aushalf – jetzt wo doch Not am Manne sei - erzählte sie. Dabei hob und senkte sich theatralisch das sehr üppige Dekolleté. Die Fantasie brauchte man nicht weiter zu bemühen, denn man konnte alles sehen was von Belang war. „Jo. Not am Mann. Do magst du dann wohl recht hoben“, stöhnte Herbert. Ihm war ganz plümerant zumute, man sah es ihm an, und warm war ihm jetzt auch. Sehr warm. Aus den sonst üblichen zwei Stunden wurden heute aus gegebenem Anlass vier Stunden Feierabend-Bierzeit. Man konnte doch die fesche Deern nicht so abrupt alleine lassen, das hätte sie dann als unfreundlich auffassen können. Schließlich hatte man doch Erziehung oder so etwas in der Art genossen. „Es nutzt alles nix, Freunde, ich muss jetzt die Biege machen, sonst ist zu Hause Dampf in der Hütte.“ Hannes stand auf uns ächzte wie ein alter Mann nach einem Tag Grubenarbeit. Herbert und Jens taten es ihm – wenn auch ungern – gleich. Die Deern war ja nicht alleine, der Laden war so voll wie sonst nur bei der Übertragung eines Fußballspiels.

Lore saß auf der Couch und sah sich eine Frauensleutesendung an. Seit dieser Kasten im Haus war, blieben einige Dinge auf der Strecke. Aber im Großen und Ganzen konnte er sich nicht über sie beklagen. Lore schenkte ihm keinen Blick. Sie war erzürnt, weil Hannes nicht zum Abendessen erschienen war. Früher hätte sie ihn in der Kneipe abgeholt, aber heute mit dem Kasten in der Wohnstube … Er setzte sich neben sie hin, und tat als bemerke er nichts von ihrer schlechten Laune. Die Kinder waren schon im Bett - was ihm gerade recht war - denn er hatte ein Bedürfnis wobei er mit seinem Weib alleine sein musste. Er pikste sie in die Seite um sie zu kitzeln. Lore reagierte aber nicht. Er tat es wieder, und Lore reagierte wieder nicht. Jetzt schnappte er sie, zog sie sich über seinen Schoß, und tat spielerisch als würde er ihr den Hintern versohlen. Lore musste kichern, und gab ein wenig nach. Schnell war ihr klar was es geschlagen hat, und wonach ihrem Gatten gelüstete. Aber Strafe muss sein. Sie entzog sich ihm geschickt. In der Seitwärtsdrehung stieß sie das Glas auf dem kleinen Wohnzimmertisch um, was bei Hannes augenblicklich einen Schalter umlegte. Jetzt packte er sie grob, und drapierte sie sich so vor sich hin, wie er es komfortabel hatte. Lore versuchte sich zu wehren, was ihr eine schallende Ohrfeige einbrachte. Die erste in neun Ehejahren. Mit stählernem Griff nahm er sie, und fackelte nicht lange herum. Die Hitze musste auf der Stelle aus seinem Körper wieder hinaus. Lore war so fassungslos, dass sie nicht mehr reagieren konnte. Was war mit ihrem liebevollen Mann los? So kannte sie ihn nicht. Das waren ja böse Neuigkeiten. Hannes stand vom Fußboden auf - auf dem er vor seiner Frau gekniet hatte - und brummelte sich eine Entschuldigung in den Bart. Schließlich hatte er sie zum Plie´ ja gezwungen. Ein spitzfindiger Anwalt hätte daraus eine Vergewaltigung kreiert. Aber in der Ehe … Zwei Monate später stand fest, dass Lore schwanger war. Geplant war das so nicht.

Die Hierarchie klar machen.

Im Hause Eisvogel gab es nach der Geburt des Sohnes eine erste unerfreuliche Debatte. Der Patriarch war auf Traditionen in seiner Familie bedacht - die Gattin allerdings auch. Aber auf die der eigenen Familie, und nicht der der angeheirateten. Hier klafften also die Ansichten weiter auseinander als der Andreasgraben. Schlimm genug dass sie ihren Geburtsnamen beider Eheschließung ablegen musste, denn wer wollte schon Eisvogel heißen, wo doch Elisabeth von Sengen um so Vieles klangvoller daherkam. Jetzt sollte der mühsam in die Welt berufene Sohn auch noch Heinrich heißen? Nur über ihre Leiche. Das kam nicht in infrage. Niemals.

Ohne ein Ergebnis dieser Debatte wollte sie ihrem Mann keine Nachtruhe gönnen, denn dann bliebe sie ihr schließlich ebenso versagt, das wusste sie. Auf der Stelle musste seine Zusage gesichert sein, denn schließlich kümmerte Richter Eisvogel sich um die Formalitäten. Nachdem Richter Eisvogel das Zimmer des Ereignisses betreten hatte, war er über das was er vorfand sofort entrüstet. Er musste sich zusammenreißen um seine Bemängelung nicht sofort anzubringen. Vergeblich suchte er bei seiner Frau das Neugeborene auf ihrer Brust liegend. Stattdessen hatte Gesine das Kleine schon in eine Wiege gepackt, wo es jämmerlich vor sich hinquäckte. So kannte er diesen Vorgang nicht aus seiner Familie. Es machte für ihn den Eindruck, als würde seine Frau mit dem Kleinkind nicht zu tun haben wollen. Sie blickte nicht einmal in Richtung des Bettchens, nein, sie sah ihn scharf an, eine giftige Rüge im Blick liegend, und sogleich ging das Gezänke los, den Namen des Buben betreffend. Einen Claus- Konrad wollte sie haben – dem Namen ihres Vaters gleich. „Ja in wessen Familie leben wir denn nun hier im Hause“, wollte der Richter darauf hin erklärt wissen. Es sei doch seine Familie unter seinem Dach, oder etwa nicht? Es sei doch sein Stammhalter, und nicht die Fortsetzung der Schwiegereltern. Zumal es einen Bruder gab der die Chance gefälligst noch selbst nutzen könne einen Stammhalter zu zeugen. Das der Bruder aber – wie hinreichend allen bekannt – mehr dem männlichen Geschlecht zugeneigt war, dass interessierte Richter Eisvogel im Moment herzlich wenig. Als Unverschämtheit bezeichnete er das Ansinnen seiner Gemahlin. Geradezu ein Affront gegen ihn. Das komme nicht infrage, basta.

Zwei Monate später wurde der Neubürger auf den Namen Claus-Konrad Eisvogel getauft.

Die Anderen.

Einundzwanzig Jahre wären sie jetzt verheiratet - Reinhard und Brunhilde. Das Häuschen in St. Gertrud war bezahlt, die Kinder aus dem gröbsten raus. Die Schwiegermutter endlich bei den Ihren im Jenseits, niemand war ernsthaft krank, auf dem Konto hatte sich ein kleines Polster angesammelt, und der Brennstoffhandel lief so gut, dass er seinem Sohn sogar ein Studium ermöglichen könnte, falls er das Zeug dazu haben würde. Das Haus war in Schuss, der Kühlschrank gefüllt, das Auto im Hof konnte sich sehen lassen, und für einen Urlaub im Jahr langte es ohnehin. Man konnte sagen, dass Reinhard und Brunhilde - obwohl der Krieg erst vor fünf Jahren zu Ende war - ein gutes Leben hatten. Reinhard war dem Wahnsinn Adolf Hitlers entkommen, weil der Bruder im Krieg geblieben war. Der Vater war längst schon vor Jahren schon verstorben. So war er der einzige verbliebene Sohn in der Familie und musste den Brennstoffhandel übernehmen. Kriegswichtiges Unternehmen hieß es in dem Dokument das ihm den „Barras“ erspart hatte. Als Lieferant fürs rote Kreuz und die Universitätsklinik war er somit unentbehrlich, und wurde freigestellt. Außerdem schaffte er vier Arbeitsplätze, was ohnehin gerne gesehen wurde. Wehrunfähige Krüppel und Deppen mussten schließlich auch untergebracht werden. So fielen sie wenigstens nicht dem Staat als unnütze Fresser zur Last. Während des Krieges schufteten auch Frauen in der Kohle. Jetzt konnte er wieder nur Männer einstellen, sofern noch welche unversehrt waren. Alles war gut. Wäre da nicht … Brunhilde hatte vor einem Jahr einen Buchhaltungskursus belegt. Die Kinder waren groß genug um am Nachmittag schon unbeaufsichtigt bleiben zu können, und ein Steuerberater verlangte hohe Gebühren. Wenigstens vorkontieren wollte sie können, und die Löhne nachher selber machen. Reinhard war Feuer und Flamme über das Engagement seiner Frau. „Ein gutes Gespann sind wir“, sagte er mit leuchtenden Augen zu ihr. „Wir werden es noch weit bringen.“ In letzter Zeit allerdings nahm für Reinhards Geschmack die Häufigkeit der Kurse ein wenig Überhand. So viel konnte doch kein Mensch lernen. Da hätte man sich ja gleich zu einer Lehre anmelden können. Langsam beschlich ihn ein Fünkchen Misstrauen, wenn Brunhilde ihm erzählte, dass sie anschließend noch bei Marga - die in der Nähe der IHK wohnte - ein Glas Wein trinken würden. Frauengespräche eben. Die habe sie sich verdient bei dem Pensum da sie täglich leistete. Dagegen sprach ja auch grundsätzlich nichts. Reinhard war großzügig. Aber für das wenige Grundwissen das benötigt wurde, hätte der Kurs schon seit mindestens zwei Monaten zu Ende sein müssen. Eine Bescheinigung hatte sie zwar immer noch nicht, doch normal was das nicht. Irgendwie ließ ihn der Gedanke - es könne etwas nicht mit rechten Dingen zugehen - einfach nicht mehr zur Ruhe kommen. Am Abend des siebten Dezember sollte eine Weihnachtsfeier für die Kursteil-nehmer stattfinden. „Das gehöre auch dazu“, meinte Brunhilde. Man könne nicht nur schuften, man müsse sich auch belohnen um die Motivation aufrecht zu erhalten. So weit so gut. Aber trotzdem …, was eine Intuition ist, wusste Reinhard zwar nicht, aber in seinem Inneren rumorte es, und trieb ihn dazu seiner Frau an diesem Abend zu folgen. Unter einem Vorwand fuhr er mit seinem Auto zu einem angeblichen Kunden um eine Unklarheit in der Rechnung zu besprechen. Brunhilde hörte gar nicht richtig zu, zu sehr war sie damit beschäftigt sich ausgehfein zu machen. Ganz schön dick aufgetragen hatte sie. Überhaupt gab sie in letzter Zeit viel zu viel Geld für sich selbst aus. Das musste einem Blinden mit Krückstock auffallen. Reinhard jedenfalls registrierte diese Veränderungen mit einem ganz flauen Gefühl in der Magengegend. „Wenn es dem Esel zu wohl wird, dann geht er aufs Eis.“ Aber seine Frau? Nein, das konnte nicht … Gegenüber der Bushaltestelle war eine kleine Seitenstraße. Dort hinein parkte er seinen Wagen am Straßenrand, und ging in Deckung. Keine zehn Minuten später stöckelte seine Madam auf neuen Schuhen eilig daher. Sie fasste sich immer wieder nervös in die Haare, so als wollte sie überprüfen, ob die Frisur noch sitzt. Sie bestieg den Bus. Reinhard folgte ihnen. Bis ins Stadtzentrum waren es nur ein paar Minuten zu fahren, aber diese paar Minuten brachten Reinhard in einen großen Konflikt mit sich und seinem Gewissen. Er fühlte sich schäbig, weil er seiner Frau misstraute. „Was bin ich bloß für ein Idiot“, schalt er sich. „Es wird sich alles als vollkommen harmlos herausstellen.“ Tat es aber nicht. Denn erstens fuhr sie eine Station weiter als sie ihm erzählt hatte, und zweites stand an der Haltestelle ein Herr im eleganten Mantel und drehte aufgeregt seinen Hut in der Hand hin und her. Brunhilde stieg aus, und hakte sich bei diesem offensichtlich nervösen Herren vertraut unter. Sie strahlte ihn an, und zeigte beim Lächeln alle ihre schönen, weißen Zähne. Reinhard zog es den Sitz seines Autos unter seinem dem Hintern weg. Um ein Haar hätte er sich übergeben, so schlecht war ihm mit einem mal. Es war ein Schmerz den kann man nicht in Worte fassen konnte. Vorsichtig blieb er am Straßenrand stehen und versuchte die beiden nicht aus den Augen zu verlieren. Er hatte Glück, denn die Herrschaften waren auf dem Weg zur Schiffergesellschaft. Reinhard konnte unbemerkt in der oberen Ecke des großen Vorplatzes stehen bleiben ohne den Wagen verlassen zu müssen. Nachdem sie die Eingangstür hinter sich geschlossen hatten überkam es ihn doch. Er stieg schnell aus, und sauste in die große Straße mit dem Namen Gröpelgrube. An der Hauswand stützte er sich ab und kotzte im hohen Bogen auf den Gehsteig. Schlotternd – nicht vor Kälte, sondern wegen der Enttäuschung – machte er sich eine Zigarette an. Er überlegte fieberhaft was er nun machen sollte. Reingehen, und Rabatz schlagen? Ihr- oder Ihm eine verpassen dass die Glocken im Himmel läuten, und die Englein Halleluja singen? Einen Skandal heraufschreien? Er wusste es nicht. Eine volle Stunde später stand er immer noch gegen die Wang gelehnt, und starrte auf die Eingangstüre der Schiffergesellschaft, als die beiden heraustraten. Der Herr im feinen Mantel mit Hut war nicht mehr nervös, er nahm seine Frau jetzt sogar bei der Taille. Das mochte sie doch sonst nicht leiden, wieso jetzt? Ganz vorsichtig folgte er den Pärchen. Es war schon dunkel, und die Verfolgung leichter als er befürchtet hatte. Im unteren Drittel der Fischergrube verschwanden sie dann in einer Haustüre. Reinhard wartete noch einen Augenblick und schlich dann zum Eingang. Es war aber auch zu dumm dass dort zwölf Briefkästen hingen, denn so viele Namen konnte er sich nicht merken. Jetzt bemerkte er auch wie durchgefroren er war, und dass sein Magen böse schmerzte und zuckte. Reinhard kapitulierte. Er machte sich auf den Rückweg zu seinem Wagen. Immer noch mit sich im Unklaren, stellte er sich schlafend als seine Frau leise das Schlafzimmer betrat. Die ganze Nacht lag er wach neben ihr, und hörte ihr beim Atmen zu.

Am nächsten Morgen hatte er einen Entschluss gefasst. Sollte es ein einmaliges Ereignis gewesen sein, wollte er die Sache auf sich beruhen lassen. Zu viel stand auf dem Spiel. Ja, so wollte er es machen. Langsam entspannte Reinhard sich wieder. Seine Zweifel betäubte er mit übermäßig viel Arbeit und Plackerei. So entging ihm natürlich auch, dass Brunhilde neuerdings viel öfter an Nachmittagen zu einer Freundin ging um mit ihr Handarbeiten zu machen. Dagegen hatte er auch nichts Grundsätzliches einzuwenden, zumal die Freundin eine vertrauenswürdige, grundsolide Hausfrau war, die sich liebevoll um ihre eigene Familie kümmerte. Er kannte sie seit vielen Jahren, und mochte sie ausgesprochen gerne leiden. Gestern Nachmittag war sie kurz da, und brachte Brunhilde ihre Bücher zurück. Er hatte sich nach den Fortschritten ihrer gemeinsamen Handarbeiten erkundigt. Isolde – so hieß die Nachbarin – meinte: „Der Herr wird schon wissen, wann er dem Ganzen ein Ende setzt.“ Gläubig war sie also auch. Na dann … In der Silvesternacht um Mitternacht, brach Brunhilde in Tränen aus. Sie prostete ihrem Mann zu, konnte ihn aber nicht küssen, so wie es eigentlich bei ihnen Usus war. Sie stand vor ihm, steif wie ein Brett. Als er sie in den Arm nehmen wollte sackte sie in sich zusammen, und ging vor ihm in die Hocke. Sie weinte bitterlich. Perplex und vollkommen irritiert stand Reinhard hilflos vor ihr. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. „Der Herr wird schon wissen wann er dem Ganzen ein Ende…“ Er setzte sich in den alten Schaukelstuhl und sah seiner Frau zu wie sie weinte. „Du liebst ihn also“, sagte er laut und deutlich. Die Kinder saßen wie gebannt vor der Flimmerkiste und bekamen nicht mit das zwischen ihren Eltern gerade eben die Welt in Stücke auseinander brach. Alles war gesagt, alles erklärt, alles entschieden. Mit einem Satz von vier Worten, ein ganzes Leben, eine Existenz.

Seit mehr als vier Monate versuchte Reinhard mit der neuen Situation zurechtzukommen. Redlich bemühte er sich in den Alltag zurückzufinden, sich abzufinden, sich zu finden. Aber der Schmerz über die menschliche Tragödie hatte ihn fest im Griff. Der Sinn seines Lebens war knapp. Am späten Abend des siebten April fand man Reinhard im Schuppen neben dem Haus. Er hatte seinen Wagen dort eingestellt, damit er vor neugierigen Blicken geschützt war. Aus zwei alten Staubsaugern hatte er sich einen Schlauch gebastelt, und ihn über das Auspuffrohr des Autos montiert, ihn ins Fenster gelegt, abgeklebt, sich hineingesetzt und den Motor gestartet, sich leise verabschiedet. Gute Reise.