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Der Abschluss der mitreißenden Saga der New-York-Times-Bestseller-Autorin!
1916: James Falconer - ein Tycoon und Selfmademan - ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt. Doch dann zieht er in den Krieg. Die Kämpfe sind blutig und brutal. Und als der Krieg vorüber ist, kehrt James als veränderter Mann in eine Welt zurück, die nicht mehr die Gleiche ist.
James leidet unter dem schrecklichen Verlust seiner geliebten Frau. Hoffnung gibt ihm jedoch die langsam wachsende Nähe zu seiner Tochter Leonie, auch wenn er spürt, dass er für die Jahre, in denen sie keinen Kontakt hatten, Wiedergutmachung leisten sollte. Und irgendwann muss James sich entscheiden, ob er in seinem Leben wieder Platz für die Liebe schaffen kann ...
Von London bis zu den pulsierenden Hafenstädten Englands und Frankreichs, von anmutigen Herrenhäusern in Gloucestershire bis zur Dekadenz von Paris - »Der Glanz des Glücks« ist der Abschluss einer neuen unvergesslichen historischen Saga der Autorin der Emma-Harte-Saga.
»Bradfords Geschichte wird durch lebendige Charaktere bereichert, vor allem durch James, der sich heldenhaft bemüht, sein Leben neu zu gestalten. Der Glanz des Glücks ist ein befriedigender Abschluss einer wunderbar detailliert erzählten historischen Saga.« Publishers Weekly
»Ein extravaganter, fesselnder Roman über Liebe, Mut, Ehrgeiz, Krieg, Tod und Leidenschaft.« New York Times
»Eine mächtige Saga. Seit ›Vom Winde verweht‹ war kaum etwas so fesselnd.« Evening News
»Ein langer, befriedigender Roman über Geld, Macht, Leidenschaft und Rache, der vor dem Hintergrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts spielt.« Los Angeles Times
»Nur wenige Romanautoren verstehen es so perfekt wie Barbara Taylor Bradford, die Leser zum Umblättern zu verleiten. Sie ist eine der weltbesten Erzählerinnen.« The Guardian
»Eine klassische Saga über Loyalität, Geheimnisse, Leidenschaft und Intrigen ... Wenn Sie unter Entzugserscheinungen von Downton Abbey leiden, ist dieses Buch genau das Richtige für Sie.« Daily Mail
»Bradfords Unmengen von Fans werden diese romantische Saga verschlingen.« Booklist
»Der Auftakt einer neuen Bestseller-Reihe.« Kirkus Reviews
»Bradfords Fans werden eine Fülle an spannenden und nahbaren Charakteren finden, mit denen sie sich identifizieren können.« Publisher's Weekly
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Seitenzahl: 463
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Widmung
Personenverzeichnis
Teil 1
1
Teil 2
2
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Teil 3
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Teil 4
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Teil 5
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Teil 6
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Danksagung
Über die Autorin
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Impressum
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Inhaltsverzeichnis
Titelseite
Inhaltsbeginn
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Der Abschluss der neuen mitreißenden Saga der New-York-Times-Bestseller-Autorin!
Frankreich, 1916: James Falconer – ein Tycoon und Selfmademan – ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Doch er leidet immer noch unter dem schrecklichen Verlust seiner Frau. Der Erste Weltkrieg droht, und James beschließt, für König und Land zu kämpfen. Die Kämpfe sind blutig und brutal, und James kehrt als veränderter Mann zurück. Und auch die Welt, in der er lebt, ist nicht mehr die Gleiche.
Georgiana Ward hielt James einst in ihrem Bann. Obwohl viele Jahre vergangen sind, ist die Anziehungskraft immer noch stark, und James ist entschlossen, sowohl an Georgiana als auch an seiner Tochter Leonie Wiedergutmachung zu leisten. Er hat Leonie, die jetzt eine junge Frau ist, seit Jahrzehnten nicht gesehen. Während James darum kämpft, wieder der Mann zu werden, der er einmal war, muss er entscheiden, ob er in seinem Leben Platz für die Liebe schaffen kann.
Von London bis zu den pulsierenden Hafenstädten Englands und Frankreichs, von anmutigen Herrenhäusern in Gloucestershire bis zur Dekadenz von Paris – »Der Glanz des Glücks« ist der Abschluss einer neuen unvergesslichen historischen Saga der Autorin der Emma-Harte-Saga.
Barbara Taylor Bradford
The House of Falconer
Der Glanz des Glücks
Aus dem Englischen von Michael Krug
Dieses Buch ist von Herzen meinen lieben Freunden gewidmet, Geoffrey Bradfield, Vicki Downey und Connie und Randy Jones.
DIE FALCONERS
James Lionel Falconer, ein ehrgeiziger Geschäftsmann
Alexis Malvern Falconer (verstorben), James’ verschiedene Ehefrau und Tochter seines Geschäftspartners Henry Malvern
Rosalind Randolph, geborene Falconer, bekannt als Rossi, Ladenbesitzerin
Edward Albert Falconer, bekannt als Eddie, Anwalt
Charles Randolph, Rossis Ehemann, Bankier
Christina Falconer, Eddies Ehefrau
Ihre Kinder:
Lavinia Randolph, Rossis Tochter
Ian und Andrew Falconer, Eddies Zwillingssöhne
DIE WARDS
Georgiana Ward, Witwe. Vormals James’ Geliebte
Lionel Georgiana Ward, bekannt als Leonie. James’ (entfremdete) Tochter
Richard Rhodes, Leonies Ehemann
DIE VENABLES
William Venables, Cousin von James Falconer, Erbe der Schifffahrtsgesellschaft der Familie, tätig im Betrieb in Hull und in der Londoner Niederlassung
Natalaja Parkinson Venables, bekannt als Natalie, Williams Ehefrau und ehemalige Assistentin von Alexis Malvern
Ihr Sohn:
Clarence Venables
DIE TREVALIANS
Claudia Trevalian Glendenning, älteste Tochter und Erbin des verstorbenen Sebastian Trevalian, beste Freundin von Alexis Malvern
Cornelius Glendenning, Claudias Ehemann, Bankier, leitet mittlerweile die Trevalian Privatbank in London
DIE CARPENTERS
Lord Reginald Carpenter, Verlagsmagnat und Inhaber des Chronicle
Lady Jane Cadwalander Carpenter, seine Ehefrau
Ihre Kinder:
Jasmine
Lilah
Sebastian und Keir
Die Schlacht an der Somme
Picardie, Frankreich
Juni – Juli 1916
Als Deutschland im August 1914 Frankreich den Krieg erklärte, stand Großbritannien seinem Verbündeten bei und erklärte seinerseits Deutschland den Krieg.
Damals meinte David Lloyd George, britischer Schatzkanzler und späterer Premierminister: »Ich kam mir wie auf einem von Dämonen aus der Umlaufbahn gerissenen Planeten vor, der wild ins Ungewisse trudelte.« Eine treffende Beschreibung. Das Ausmaß der brutalen, gnadenlosen Zerstörungswut des Ersten Weltkriegs sollte jede Vorstellungskraft übersteigen.
James Falconer diente stolz in der 4. Armee. Am Abend des 30. Juni 1916 saß er in einem Winkel seines Schützengrabens und dachte nach. Sein Sitz bestand aus einer Kiste voller Pökelfleischkonserven der Marke Fray Bentos. Bei der Vorstellung musste er lächeln. In den Schützengräben musste man aus allem das Beste machen. Das wusste er.
Sein Blick wanderte zum Himmel. Sterne übersäten das pechschwarze Firmament, und es herrschte Vollmond. Eine wunderschöne Nacht in einer schrecklichen, gespenstisch stillen Welt. Keinerlei Lärm von explodierenden Bomben oder abgefeuerten Schusswaffen. Was ihm eigenartig vorkam. Er stand auf.
In dem Moment stiegen zwei seiner Offiziere, Lieutenant Stead und Captain Lister, die Leiter herunter und kamen den Graben entlang auf ihn zu.
»Wie ist es da draußen?«, erkundigte sich Major James Falconer, als die beiden Männer vor ihm stehen blieben und salutierten.
»Alles ruhig an der Westfront, Sir«, antwortete Stead.
»Mucksmäuschenstill«, ergänzte Lister.
»Von wegen Mäuse«, erwiderte James. »Ich werde misstrauisch, wenn man nichts hört. Aber egal – haben Sie es erledigt?«
»Haben wir«, bestätigte Stead. »Perfekt.«
»Wie ist Ihnen das gelungen?«, hakte James nach und wirkte zufrieden.
»Sehr vorsichtig.« Lister grinste. »Wir haben den an den Eisenpfählen angebrachten Stacheldrahtzaun mit unseren besten Drahtscheren aufgeschnitten. Dann haben wir eine Kette durch die Stacheldrahtteile gefädelt. Zusammen haben wir daran gezogen, bis wir eine Lücke geschaffen haben, groß genug für zehn Soldaten gleichzeitig. Mehr war nicht möglich, Major.«
»Das haben Sie gut gemacht. Damit sind wir für morgen früh bereit.«
»Die Stunde null«, murmelte Lister, bevor er hinzufügte: »Ich bin gleich zurück.« Mit diesen Worten eilte er davon und bog nach links in einen der Verbindungsgräben dieses wahren Labyrinths.
Die Gänge beherbergten weitere Soldaten, wurden als Küchen, Latrinen und Lazarette zum Verarzten von kleineren Wunden und Blasen an den Füßen genutzt. Das Marschieren in schweren Stiefeln bereitete Falconers Leuten einige Probleme. Beim Gedanken daran, welches Gewicht seine Soldaten mit sich herumschleppten, wenn sie ins Gefecht gegen den Feind zogen, seufzte er leise. Sie trugen dabei nicht nur eine große Tasche über einer Schulter, sondern auch eine Wasserflasche, ein Lee-Enfield-Gewehr, einen Tornister und Munition. Insgesamt fast dreißig Kilogramm. Keine einfache Aufgabe, aber sie bewältigten sie stoisch und kämpften mit Präzision.
Stead lehnte sich an die Seite des Grabens, räusperte sich und sagte: »Ich bin schon froh, wenn es morgen wird und wir loslegen. Damit wir es hinter uns haben, Sir.«
James nickte. »Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es ganz so schnell vorbei sein wird, Lieutenant.«
Jack verzog das Gesicht. »Ich weiß.« Er verstummte, holte ein Päckchen Zigaretten hervor und bot Falconer eine an.
»Danke, aber jetzt nicht, Stead.«
Schweigen trat ein, und James begutachtete die Uniform seines Untergebenen. Sie trug sich bequem, und die khakifarbene Wolle bot auf dem Schlachtfeld eine ideale Tarnung. Die vier Taschen der Jacke konnten etliche persönliche Gegenstände sowie ein Soldbuch aufnehmen, eine Innentasche enthielt zudem Sanitätszeug.
Wir haben die besten Uniformen der Welt, entschied er. Seine eigene maßgeschneiderte, khakifarbene Jacke, die zweireihige Reithose und die polierten braunen Stiefel fand er sowohl elegant als auch praktisch.
Wie die anderen trug er eine große Tasche und eine Wasserflasche sowie zusätzlich einen Kommandostab. Sein Webley-Revolver, der Mk VI, steckte in einem Holster an der linken Hüfte. Es handelte sich um die Standard-Handfeuerwaffe für britische Truppen. Seine Rangabzeichen als Major prangten an jedem Ärmel und auf dem Brodie-Stahlhelm.
Die plötzliche Rückkehr von Captain Lister mit einem braunen Korb riss James aus seinen Grübeleien. »Was ist in dem Korb?«, fragte er unüberhörbar überrascht.
»Brot, Käse und Wurst, Sir. Eine der Frauen aus dem Dorf hat ihn uns gebracht. Ein Leckerbissen für uns alle. Sergeant Cox hat ihn mir gerade übergeben. Die Frau war noch da und hat erklärt, was das für Sachen sind.«
James nickte. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Wie ausgesprochen nett die Frauen aus dem Dorf schon seit Wochen zu uns sind. Ich hoffe, Sie haben ihr in unser aller Namen hinlänglich gedankt.«
»Das habe ich, Major. Noch dazu auf Französisch«, antwortete Lister.
Grinsend murmelte Jack Stead: »Sie prahlen wieder, Captain!«
Lister ignorierte den scherzhaften Kommentar, zog das Baumwolltuch von dem Korb und zeigte den Inhalt. »Das reicht locker auch für die anderen. Suchen wir ein paar.«
Aus James Falconers Sicht war die British Expeditionary Force von 1916, ein Expeditionskorps, die bemerkenswerteste militärische Formation, die man je geschaffen hatte. Vor allem die 4. und die 3. Armee, die bereits dieses Feld erobert hatten.
Als die 4. Armee von Amiens angerückt war, hatte sie beide Seiten der Somme besetzt. Ein großer, flacher Landstrich am rechten Flussufer, im Wesentlichen ein riesiges Feld, beherbergte einen beträchtlichen Teil der britischen Truppen. Sobald sie das Gebiet gesichert und sich gesammelt hatten, war James die Aufgabe zugefallen, das Ausheben der Schützengräben zu organisieren.
Die Royal Engineers, die Territorial Force und erfahrene gewöhnliche Truppen halfen beim Schaffen des komplizierten Netzwerks, in dem die Soldaten lebten, sich ausruhten, aßen, schliefen und kämpften.
An der Somme waren die Gräben gut ausgebaut. Lebensmittel kamen aus den umliegenden Dörfern. Der Kaplan spendete jenen Trost, die ihn brauchten. Militärärzte standen für Verwundete bereit. Und zwischen den sogenannten Tommys – den einfachen Soldaten – und ihren Offizieren herrschte ausgeprägte Kameradschaft.
Die französischen Truppen lebten in der Nähe in ihren Gräben. Die feindlichen Deutschen hatten drei Verteidigungslinien gegenüber den Briten.
Zu Beginn des Monats wussten James Falconer und die anderen Offiziere, dass ein Großangriff bevorstand. Pläne wurden geschmiedet. Mitteilungen von General Haig trafen ein, und die Infanterie begann, unablässig zu üben. Einzelkämpfe kamen für die von über zwei Jahren Krieg erschöpften, zermürbten Männer nicht mehr infrage. Auf dem Schlachtfeld an der Somme gab es nur drei Arten von Begegnungen – Artillerie gegen Artillerie, Artillerie gegen Infanterie und Infanterie gegen Infanterie.
James war seinen Vorgesetzten bereits nach kurzer Zeit als Führungspersönlichkeit ins Auge gesprungen – intelligent, effizient, gebildet. Offiziersmaterial.
Er wurde ein außergewöhnlicher Soldat, der seine Männer kompetent leitete. Ihm lag etwas an ihnen. Umgekehrt bewunderten sie ihn und sorgten sich um ihn und sein Wohlergehen.
Tief in seinem Innersten scherte James nicht, ob er überleben oder sterben würde.
Um 7.30 Uhr am Morgen des 1. Juli 1916 stieg Major James Falconer in Begleitung von Lieutenant Jack Stead und Captain Allan Lister die Leiter hinauf aus seinem Graben. Die beiden erfahrenen Soldaten, seit 1914 bei ihm, entfernten sich nie weit von ihm, allzeit bereit, ihm auf jede erdenkliche Weise zu helfen.
Verblüfft marschierte James auf den Stacheldrahtzaun zu. Tausende britische Soldaten hatten sich bereits versammelt, alle leicht vorgebeugt, wie immer vor dem Aufbruch in die Schlacht. Bajonette prangten an den Gewehren.
Seine Kameraden zeigten sich genauso überrascht. James erinnerte sie daran, dass auf General Haigs Geheiß hunderttausend Tommys der Picardie, Amiens, der Champagne und den Gebieten dahinter zugeteilt worden waren. Viele waren in den örtlichen Dörfern untergebracht und wurden von französischen Zivilisten versorgt.
Falconer holte tief Luft, bevor er den zuvor aufgeschnittenen Stacheldrahtzaun durchquerte, gefolgt von dem Lieutenant und dem Captain. Unmittelbar hinter ihnen strömten die Bataillone hinterher.
Hunderte und Aberhunderte stürzten sich mit ihrem Major an der Spitze ins Gefecht. Um James und seine Männer herum ratterten unaufhörlich die neuen Lewis-Maschinengewehre. Kanonen dröhnten. Panzer rollten. Durch die Luft trieb dichter Qualm von den Rauchbomben, von den Royal Engineers ins Niemandsland geworfen, um die in den Bereich vorrückenden Soldaten zu tarnen. Eine Geruchsmischung aus Kordit, Blut und menschlichen Ausscheidungen umwehte sie. Doch vor lauter Entschlossenheit zu siegen, nahm niemand etwas davon wahr. Das Wort »Niederlage« kam in ihrem Vokabular nicht vor.
Viele der Männer starben auf der Stelle. Zwei Stunden nach Beginn der Schlacht wurde James von Maschinengewehrfeuer in beide Beine getroffen. Mit dem Kommandostab noch in der Hand ging er zu Boden. Er hatte die Einschläge der Projektile gespürt. Die darauffolgenden Schmerzen empfand er als schier unerträglich. Er wollte seine Beine berühren, stellte jedoch fest, dass er sich nicht aufsetzen konnte. Ein Stöhnen entrang sich ihm, und in jenem Moment wusste er, dass er sterben würde. Was für eine Art, das Zeitliche zu segnen, dachte er. Auf einem Schlachtfeld im Ausland in einem sinnlosen Krieg. Als eine Welle höllischer Qualen über ihn hinwegschwappte, schloss er die Augen.
Eine halbe Stunde später fand ihn Lieutenant Stead und schleifte ihn so weit wie möglich von den Kampfhandlungen weg. James war bewusstlos, seine Haut klamm. Der Lieutenant tastete nach seinem Puls. Erleichtert stellte er fest, dass der Major noch einen Herzschlag hatte, so schwach er auch sein mochte. Wenige Sekunden später traf Captain Allan Lister mit zwei Sanitätern und einer Trage ein.
Zusammen beförderten sie James zwischen den Heerscharen kämpfender Soldaten hindurch zum Feldlazarett, einem großen Zelt. Dort übernahm ihn sofort ein Team von Armeeärzten. Allerdings konnten sie dem Lieutenant und dem Captain nicht zusichern, dass ihr Major durchkommen würde.
James hatte schwerste Verletzungen erlitten. Da er nach Einschätzung der Ärzte an Blutverlust zu sterben oder beide Beine zu verlieren drohte, wenn er nicht großes Glück hätte, wurde umgehend angeordnet, ihn in ein britisches Feldkrankenhaus in der nördlichen Picardie zu bringen. Nachdem er das Bewusstsein zurückerlangt hatte, blieb er benommen vor lauter Schmerzen und bekam wenig von der Wartezeit oder vom Transport mit. Bilder aus der Vergangenheit suchten ihn heim, Erinnerungen an seine Eltern und seine geliebte verstorbene Frau Alexis.
James war der Armee aus zwei Gründen beigetreten – aus aufrichtiger Vaterlandsliebe und überwältigendem Kummer. Alexis hatte mehrere Fehlgeburten erlitten und war vor sechzehn Jahren bei einer weiteren gestorben. Genau wie das Kind, ein Sohn.
Im Feldkrankenhaus entfernte man einige Projektile, bevor entschieden wurde, dass Major Falconer von einem britischen Lazarettschiff über den Ärmelkanal nach Southampton gebracht werden sollte. Von dort ging es mit einem Krankenwagen zu einem anderen Militärkrankenhaus in London für weitere Operationen an seinen Beinen.
James verlor immer wieder das Bewusstsein. Dazwischen dachte er an seine Männer. So viele hatten ihr Leben auf jenem Feld an der Somme gelassen. Zu Hunderten waren sie um ihn herum gefallen. Etliche waren auf der Stelle tot gewesen, andere hatten grauenhafte Wunden erlitten und auf dem Schlachtfeld oder im Niemandsland festgesessen.
Kaum war die Kriegserklärung verlautbart worden, war James Lionel Falconer losgestürmt und hatte sich zum Dienst gemeldet. Viele der für ihn arbeitenden Männer hatten sich ihm angeschlossen. Tausende in ganz England jeden Alters und aus allen Gesellschaftsschichten hatten dasselbe getan.
James empfand es als beispielloses, ja geradezu mystisches Aufflammen von fanatischem Patriotismus.
Ganze Gruppen von Arbeitskollegen traten dem Heer zusammen bei, nannten sich »Pals« und fügten den Begriff an die Namen ihrer Regimente an. So gab es beispielsweise die 1st Barnsley Pals – 13th York und Lancaster, 31st Division – und die 10th West Yorks Pals, denen sich Falconer anschloss.
Und das, obwohl er mit Mitte vierzig älter als die meisten war. Er war rasch befördert und nach zwei Jahren harter Kämpfe in Frankreich zum Major geworden. 1916 leitete er sein eigenes Bataillon. Während er nachts vor Schmerzen schwitzend wach lag, fragte er sich, was daraus geworden war, wer noch übrig sein mochte, um es anzuführen.
James wurde so schnell wie möglich transportiert, damit seine Wunden nicht zu schwären begannen. Im Londoner Krankenhaus entfernten die Chirurgen weitere der zahlreichen Kugeln sowie Splitter aus seinen Beinen.
James ertrug die heiklen Eingriffe, so gut er konnte, arbeitete stets mit den medizinischen Mannschaften zusammen, dankbar für deren Hilfe. Allerdings erwies es sich als gewaltige Prüfung. Die Schmerzen waren grauenhaft, und er wusste, dass ihm angesichts der Schwere seiner Wunden vielleicht ein Bein oder gar beide Beine amputiert werden müssten. Die Vorstellung, dass er womöglich nie wieder würde gehen können, beherrschte seine Gedanken. Sorgen und fürchterliche Erinnerungen an den Krieg verdarben ihm mit Nacht für Nacht wiederkehrenden Albträumen den Schlaf.
Wie mochte seine Zukunft nun aussehen?
Und noch etwas ließ seinem Geist keine Ruhe – eine junge Frau.
Seine Tochter.
Sanatorium
Kent, England
Juni 1917
Ein Jahr später saß James an einem Nachmittag im Juni 1917 im Garten eines Militärkrankenhauses in Kent, wo er den Sonnenschein und das Rauschen der Bäume in einer leichten Brise genoss. Er hatte die gesamte Umgebung für sich allein, sah sich um und ließ die Idylle auf sich wirken. So konnte es nirgendwo sonst auf der Welt sein. Einen solchen Garten gab es nur in England. Wunderschön, beschaulich, friedlich, so beruhigend. Zuhause. Das Heimatland.
Einige Zeilen aus einem Gedicht gingen ihm durch den Kopf.Und sterbe ich, dann denkt von mir nur das:
Es gibt jetzt einen Fleck auf einem fremden Feld,
Der ewig England sein wird, dessen Maß
An reicher Erde reicheren Staub enthält.
Ein Staub, den England formte und gebar,
Dem es die Blumen und die Wege schenkte.
Ein Leib aus England, dessen Luft ihm Atem war,
Den seine Flüsse wiegten, den die Heimatsonne wärmte.
Der Rest war ihm entfallen. Er konnte sich nicht genau daran erinnern. Rupert Brooke hatte schon recht, dachte James. Was für ein großer Poet er doch war.
Monatelang hatte er unter Schmerzen kleiner Verbesserungen harren müssen, aber inzwischen konnte er sich mit einem Paar Krücken aus eigener Kraft fortbewegen. Mittlerweile war er zuversichtlich, dass man ihm die Beine nicht würde abnehmen müssen. Irgendwann würde er wieder normal laufen können.
Die Ärzte hatten ihm erklärt, dass er eine ausgeprägte Regenerationsfähigkeit besaß, und er glaubte ihnen. Die Strapazen des blutigen, brutalen Kriegs waren bereits größtenteils abgeklungen. Er fühlte sich mit jedem verstreichenden Tag besser. Ihm fiel es schwer zu glauben, dass er mittlerweile siebenundvierzig Jahre alt war.
Man hatte ihn in eine militärische Rehabilitationsklinik in Kent verlegt, eine Grafschaft, die er kannte und trotz der bittersüßen Erinnerungen an die dort mit Alexis verbrachte Zeit liebte.
Der Komfort der Einrichtung, die ständige Pflege durch kompetente Ärzte und die Freundlichkeit der bezaubernden englischen Krankenpflegerinnen hatten wahre Wunder bei ihm bewirkt. Er fühlte sich im Sanatorium, wie jemand die Klinik genannt hatte, wohlig geborgen. Die treffende Bezeichnung hatte sich in seinem Kopf festgesetzt.
Plötzlich unterbrachen Geräusche die Stille. Schwester Jackson kam herausgeeilt. Sie lächelte, während sie ihm den Weg entlang geradezu entgegenrannte.
James straffte im Rollstuhl die Schultern. Bevor er einen Ton herausbrachte, teilte sie ihm mit, dass er Besuch hatte. »Eine Dame, Major Falconer. Eine Mrs Ward. Soll ich sie heraus in den Garten führen?«
So verblüfft James war, er brachte die Bitte hervor, sie zu ihm zu bringen. Dann lehnte er sich im Rollstuhl zurück und starrte der davoneilenden Pflegerin Jackson hinterher.
Unerwartet breitete sich ein kleiner Anflug von Freude in ihm aus. Georgiana Ward. Nach all der Zeit. Vor Jahren war sie ein ganz besonderer Mensch für ihn gewesen. Und die Mutter seines einzigen Kinds. Bei der Erinnerung an Leonie und daran, wie er sie vernachlässigt hatte, schrumpfte James innerlich. Er verdrängte den Gedanken.
Dann erblickte er sie, seine Mrs Ward, als sie so wunderschön wie eh und je in Begleitung von Schwester Jackson den Weg entlangkam. Die Pflegerin holte einen Stuhl für seine Besucherin, bevor sie lächelnd von dannen zog.
Eine Weile saßen sie einander schweigend gegenüber und sahen sich gegenseitig an. James beeindruckte ihr Liebreiz, an dem sich nichts geändert hatte, obwohl sie zehn Jahre älter war als er. Durch das volle, so elegant wie immer frisierte rabenschwarze Haar zogen sich silbrige Strähnen, die tiefblauen Augen funkelten vor Leben und Intelligenz. Unverhofft erinnerte er sich an ihre erste echte Begegnung. Damals war er siebzehn gewesen, sie siebenundzwanzig. Verzaubert – das war er von ihr gewesen und in diesem Moment war er es erneut.
Georgiana Ward ihrerseits fand, dass James so gezeichnet, so müde aussah. Groß und schlank war er immer gewesen, doch in seinem Pyjama und Morgenrock wirkte er deutlich dünner, regelrecht abgemagert. Grau tünchte das helle Haar seiner Jugend, die stechenden blauen Augen hingegen hatten sich nicht verändert. Und sie musterten Georgiana gerade eindringlich.
Sie ergriff zuerst das Wort. »Hallo, James. Während du in den vergangenen Jahren in Frankreich gekämpft hast, war ich zutiefst besorgt um dich. Also habe ich mich mit deiner Schwester Rossi angefreundet. So konnte ich auf dem Laufenden über dich bleiben, vor allem seit deiner Verwundung. Ich musste mich vergewissern, dass du noch am Leben bist.«
Merkwürdigerweise freute ihn, dass sie sich um ihn gesorgt hatte. Dieses Geständnis von ihr überraschte ihn. Sie hatten einander seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, und er wusste, dass sie es ihm anlastete. Zu Recht.
Mit einem verschmitzten Lächeln sagte er: »Ich vermute, du warst in ihrem Laden in der Malvern Einkaufspassage und hast ein, zwei Tücher gekauft ...« Plötzlich grinste er. »So musst du mit Rossi ins Gespräch gekommen sein.«
Georgiana nickte. »Richtig, James. Ich habe in der Tat einige erworben.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ihre Kreationen eignen sich hervorragend als Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke. Und die Kosten waren mir meinen Seelenfrieden wert.«
»Es war nett von dir, dass du dir Sorgen um mich gemacht hast, Georgiana. Danke.«
»Natürlich liegt mir etwas an dir!«, rutschte ihr heraus, wofür sie sich am liebsten die Zunge abgebissen hätte. Sie spürte, wie sie errötete.
Während er sie ansah, fühlte sich seine Brust plötzlich beengt an, und er verspürte den Wunsch, sie in die Arme zu nehmen. Allerdings schaffte er es ohne Hilfe noch nicht aus dem Rollstuhl. Verflixt und zugenäht, dachte er und räusperte sich.
Als Georgiana die Fassung zurückerlangte, bedachte sie ihn mit einem eindringlichen Blick. »Zwischen uns hat immer diese Verbindung bestanden, James. Schon seit unserer ersten Begegnung. Ich denke oft daran, wie erstaunlich es war, dass wir einfach ... nun ja, aufeinander zugerannt und uns in die Arme gefallen sind.«
James nickte. »Noch dazu in einem tosenden Sturm.« Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest, als wollte er sie nie wieder loslassen. »Zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag hast du mich gebeten, nach Ascot zu kommen. Du meintest, du hättest etwas Wichtiges zu besprechen. Und dabei habe ich meine Tochter Leonie kennengelernt. Erinnerst du dich an den Tag?«
»Natürlich«, antwortete sie, den Blick der violett-blauen Augen auf ihn gerichtet. »Wie kommst du jetzt darauf?«
»Weil du an dem Tag gesagt hast, du wärst ein Teil meiner Vergangenheit, nicht meiner Zukunft ... Weißt du auch das noch?«
Sie nickte nur, saß ihm nach wie vor aufrecht gegenüber.
»Im letzten Jahr habe ich viel nachgedacht«, sagte er. »Ich habe mich verändert. Leonie geht mir nicht mehr aus dem Sinn. Deshalb möchte ich wissen, ob du nur ein Teil meiner Vergangenheit bist, oder ob ihr beide vielleicht ein Teil meiner Zukunft werden könntet. Was meinst du? Würde sie mich gern sehen?«
Sie ließ den Blick über die Gärten wandern und erwiderte unverbindlich: »Warten wir ab, wie es sich zwischen uns entwickelt, wenn es dir besser geht. Es wäre wunderbar, wenn wir eine Freundschaft der einen oder anderen Art wiederaufleben lassen könnten.«
James betrachtete sie. Sie trug ein tiefblaues Kleid, das die Farbe ihrer Augen betonte. »Saphire«, sagte er. »Daran erinnern mich deine Augen immer.«
Sie lächelte. »Und ich ...« Abrupt verstummte sie, als Schwester Jackson mit einem Tablett voller Tee und Sandwiches auf sie zusteuerte.
Die Ankunft der Krankenpflegerin unterbrach den intimen Moment. Sie unterhielten sich stattdessen über James’ Zeit in der Armee, die schrecklichen Neuigkeiten aus Europa und den Kriegseintritt der Amerikaner. Beide wollten die zerbrechliche, frisch wiederhergestellte Freundschaft nicht dadurch gefährden, dass sie allzu viel über Leonie sprachen. Später an jenem Nachmittag jedoch beschloss Georgiana kurz vor dem Aufbruch aus dem Krankenhaus, James eine kritische Frage zu stellen.
Sie schaute ihn unverwandt an. »Ich möchte dir einen Vorschlag unterbreiten, James. Mir ist der Gedanke gekommen, dass du wohl noch eine Zeit lang Pflege brauchen wirst, wenn man dich letztlich von hier entlässt. Wäre es für dich denkbar, als mein Gast zu mir nach Ascot zu kommen? Ich habe reichlich Personal, und auf dem Land wäre es besser für dich als im dunstigen Qualm von London. Soweit ich von Rossi weiß, lebst du abgesehen von deiner Dienerschaft allein.«
Er antwortete nicht sofort, musterte sie nur mit den so lebhaften blauen Augen, die in jenem Moment funkelten.
Georgiana versuchte zu entscheiden, ob sie darin lediglich ein Zögern oder Zweifel sah.
Nach mehreren Herzschlägen sagte er: »Ich würde gern nach Ascot kommen. Dein Haus ist wunderschön. Aber ich werde tatsächlich Hilfe brauchen und eine Zeit lang betreut werden müssen. Würdest du eine Pflegerin einstellen?«
Im ersten Moment schwieg sie verblüfft. Dann erwiderte sie mit fester Stimme: »Ich werde mich selbst um dich kümmern, James. Meine kompetenten Hände werden dich umsorgen, so lange es nötig ist. Falls du trotzdem das Gefühl hast, eine Pflegerin zu brauchen, lässt sich das auch einrichten.«
Wieder bedachte James sie mit einem anhaltenden Blick. »Wenn das so ist, würde ich mit Freude bei dir bleiben.« Noch während er die Worte aussprach, fragte er sich unwillkürlich, wie gut es funktionieren würde. Vielleicht würde sich so unmittelbare Nähe nicht als Feld der Träume für sie erweisen. Aber könnte es ihn zurück in das Leben seiner Tochter bringen? Er hatte keine Ahnung, dafür hatte er Leonie zu viele Jahre vernachlässigt. Abwarten, ermahnte er sich streng.
Am nächsten Morgen grübelte er über Georgianas Besuch, als er sah, wie sich ihm Schwester Jackson mit flinken Schritten die Terrasse entlang näherte. Als sie anhielt, schenkte sie ihm ihr übliches breites Lächeln. Sie reichte ihm einen Umschlag. »Ein Brief für Sie, Major.«
James nahm ihn entgegen, erwiderte ihr Lächeln und dankte ihr. Sie nickte, bevor sie davonwieselte.
Als er den Umschlag öffnete und einen Blick auf die Unterschrift warf, stellte er erfreut fest, dass es sich um einen Brief von seinem guten Freund Peter Keller handelte, der zu Kriegsbeginn in die Royal Navy eingetreten war. Seither hatten sie einander nicht mehr gesehen. Ihre Fronturlaube waren nie zusammengefallen. Peter befand sich vorübergehend zu Hause in London und beabsichtigte, mit seiner Frau Irina bei ihm vorbeizuschauen.
Nachdem James das Schreiben ein weiteres Mal gelesen hatte, steckte er es in die Jackentasche, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und freute sich auf den für Ende der Woche angekündigten Besuch.
Das Leben ist schon seltsam, dachte er unverhofft. So seltsam und komplex wie die Menschen. Zwei alte Freunde in einer Woche. Peter und er hatten zusammen gearbeitet und Freizeit verbracht. Erinnerungen an die Vergangenheit umfingen ihn. Völlig unerwartet fiel ihm jene Nacht ein, in der Peter und er in einer dunklen Seitenstraße Londons von zwei Verbrechern überfallen worden waren. Damals hatten sie nach dem Abendessen eine Abkürzung genommen. Dort war der Angriff erfolgt. Allerdings hatten sie sich gewehrt und die beiden Knochenbrecher überwältigt. James nickte bei sich. Sie waren ein gutes Team gewesen.
Wenn dieser höllische Krieg irgendwann endete, könnten sie vielleicht wieder eines werden.
»Was glaubst du, wann dieser blutige, grauenhafte Krieg endlich vorbei sein wird?«, fragte James, den Blick der strahlend blauen Augen eindringlich auf Peter Keller gerichtet.
»Das weiß nur Gott, und der verrät es nicht«, erwiderte Peter kopfschüttelnd. Er war genau vier Tage nach seinem Brief eingetroffen. Allein.
»Es tut mir so leid, dass Irina nicht kommen konnte«, sagte er. »Und ihr auch. Aber sie arbeitet für Commander Walton bei der Admiralität, und er konnte ihr den Tag nicht freigeben. Dafür kommt sie nächste Woche mit Natalie, versprochen.«
»Ich verstehe das schon«, antwortete Falconer und verlagerte auf dem Stuhl leicht das Gewicht. Dabei stieß er mit der Schulter seine Krücken um. »Ich würde gern erfahren, wie es ihr geht, aber erzähl mir zuerst von dir und deinen Kriegserfahrungen.«
Peter Keller war im Nu auf den Beinen, hob die Krücken auf und lehnte sie an die Wand. Die beiden Freunde saßen an einem Ende des Gemeinschaftsraums des Sanatoriums in der Nähe des Fensters. Für September war es noch warm, obwohl es den ganzen Nachmittag genieselt hatte.
»Hat mich nicht überrascht, als du in die Royal Navy eingetreten bist«, merkte James an, den Blick auf einen seiner engsten Freunde gerichtet. »Ich weiß, wie sehr du das Meer immer geliebt hast. Das war offensichtlich, als du in Hull gewesen bist. An Bord eines Schlachtschiffs dürfte der Krieg wohl etwas anders sein als in den Schützengräben, oder?«
»Ja. Weil wir mit Geschützen und Kanonen von einem Schiff aus angreifen, nicht im Nahkampf wie die Artillerie und die Kavallerie. Aber desaströs ist der Krieg überall, ganz gleich, in welchem Zweig des Militärs man ist.«
»Ich weiß. Übrigens« – James zog die Augenbrauen hoch – »siehst du in deiner Marineuniform ungemein schneidig aus. Ich wette, etliche Frauen werfen einen zweiten Blick auf dich und schenken dir ein gewinnendes Lächeln.«
Peter grinste. »So etwas bemerke ich gar nicht. Aber genug von mir – wie war es in den Schützengräben? Wie gut haben sie funktioniert? Und wichtiger noch, wie seid ihr dort zurechtgekommen? Ihr habt ja buchstäblich in den Gräben gelebt.«
»Wir haben gelernt, sie ausgesprochen gut zu nutzen. Es hat einen sehr langen vorderen, von Stacheldraht geschützten Graben gegeben. Er war den Verteidigungslinien der Deutschen zugewandt. Von dort aus haben wir gekämpft. Aber hinter der Front hatten wir zahlreiche weitere, sich nach hinten verzweigende Gräben.«
»Was? Wofür?« Peter klang verwirrt.
»Wir haben tatsächlich darin gelebt. Andere Offiziere und all die wunderbaren Tommys. Und sie waren so jung. Der Anblick ihrer Gesichter hat mir beinahe das Herz gebrochen, wenn sie mich so hingebungsvoll, so vertrauensvoll angesehen haben. Sie haben uns Offizieren vertraut, zu uns aufgeschaut. Jedenfalls hatten wir hinter der Angriffs- und Verteidigungslinie an der Front ... nun ja, ein wahres Labyrinth von Gräben. Du weißt schon, wie ein Irrgarten aus gestutzten Hecken. Besser kann ich es nicht beschreiben. Verstehst du, was ich meine?«
»Natürlich. Ich sehe es vor meinem geistigen Auge. Also habt ihr dort geschlafen, wenn ihr konntet?«, fragte Peter nach.
»Ja, wann immer wir die Gelegenheit dazu hatten. Ein Graben war eine Latrine voller Eimer. In einem weiteren, der sich in eine andere Richtung erstreckt hat, ist unser Essen zubereitet worden – richtiges Essen aus Lebensmitteln, die Frauen aus den nahen Dörfern gebracht haben. In wieder einem anderen Graben wurden kleinere Verletzungen und Wehwehchen behandelt. Dort haben wir uns auch gegenseitig mit den Füßen geholfen. Die Stiefel beim Militär sind zwar großartig, aber schwer. Die Männer haben haufenweise Blasen davon bekommen.« James seufzte. »Gott segne meine Jungs. Ich kann nicht aufhören, mich um sie zu sorgen. Ständig.«
»Ich weiß, was für ein Mensch du bist, James. Und ich bin sicher, du warst – bist ein hingebungsvoller Befehlshaber. Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst.«
Kurz schwieg James. Dann sagte er: »Diese jungen Burschen, meine Soldaten, waren die Blüte der englischen Jugend. Und die an der Front sind es nach wie vor ...« Abrupt verstummte er, als seine Stimme vor Emotionen brüchig wurde.
Einige Herzschläge lang ließ er den Blick durch den Garten wandern, ehe er fortfahren konnte. »Ich fürchte, nicht viele werden nach Hause zurückkehren. So traurig es ist, wir werden ein Land voller Frauen und alter Männer sein.«
»Ich weiß«, erwiderte Peter. »Darüber habe ich mit vielen meiner Matrosen geredet. Obwohl es uns bei der Marine etwas besser ergehen könnte. Millionen Engländer sind im Kampf umgekommen, ganz zu schweigen von den Zivilisten. Wir werden nicht mehr dasselbe Land sein ...«
»Verdammt richtig!«, entfuhr es James. »England ist mittlerweile pleite. Davon bin ich überzeugt.«
»Da inzwischen alle Armeen erschöpft sind, die der Deutschen und der Franzosen ebenso wie unsere, muss der Krieg bald enden.« Peter hob die Hände und zuckte mit den Schultern. »Eher früher als später. Das glaube, das hoffe ich. Dafür bete ich.«
»Sehe ich genauso.« James nahm die ihm von Peter angebotene Zigarette entgegen, bevor er fortfuhr. »Um zwei meiner Männer sorge ich mich besonders. Wir haben uns sehr nahegestanden. Lieutenant Jack Stead und Captain Allan Lister. Nach meiner Verwundung hat man mir erzählt, dass Stead mich gefunden hat und Lister mit Sanitätern gekommen ist. Die beiden haben mich aus der erbitterten Schlacht an der Somme geholt und mir so das Leben gerettet. Ich wünschte, ich wüsste, wo sie sind. Und hoffentlich lebendig.«
Er drehte sich Peter zu und beugte sich vor, damit sein Freund die Zigarette anzünden konnte. »Lass uns das Thema wechseln. Ich würde gern über Malverns reden. Meine Firma. Sie hält zwar ohne unsere Leitung durch ... aber ich habe gehört, es ist schwierig. Da ich wieder in der Heimat bin und bald von hier entlassen werde, muss ich anfangen, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich das Unternehmen in diesem Chaos über Wasser halten kann.«
»Sobald ich die Marine nach dem Krieg verlasse, komme ich zurück, das verspreche ich dir, James.«
»Ich weiß, Peter. Aber vorerst brauche ich ... von irgendwoher Geld und muss wie besessen daran arbeiten, Malverns wiederzubeleben ...«
»Das schaffst du!«, warf Peter ein. »Daran besteht für mich kein Zweifel.«
James Lionel Falconer besaß eine offene, umgängliche Persönlichkeit und eine Menge natürlichen Charme. Durch diese Eigenschaften sowie seine Größe, sein gutes Aussehen und seine stechenden blauen Augen wirkte er geradezu unwiderstehlich auf die Damenwelt.
So gern er Frauen mochte und so gut er mit ihnen auskam, er war kein Weiberheld, alles andere als ein Schürzenjäger. Tatsächlich bevorzugte er den Umgang mit anderen Männern, wie es in seinem Umfeld üblich war.
Er lebte eindeutig in einer Männerwelt – Männer aßen zusammen in Restaurants und privaten Herrenclubs, besuchten miteinander das Theater, Varietés und Pferderennen. Andauernd. Die Ehefrauen wurden zwar freundlich und liebevoll behandelt, blieben aber zu Hause. Ihnen gehörten die Wochenenden.
James hatte vier enge Freunde. Seinen Bruder Eddie; seinen Cousin William Venables in Hull, bei dem er in seiner Jugend viel Zeit verbracht hatte; Cornelius Glendenning, Ehemann von Claudia Trevalian, der liebsten Freundin seiner verstorbenen Gemahlin; und natürlich Peter Keller, sein engster Arbeitskollege.
An diesem herrlichen Septembermorgen kreisten seine Gedanken um William. Sein Cousin wollte ihn im Sanatorium besuchen und einen Picknickkorb zum Mittagessen mitbringen. Als er Schwester Jackson davon erzählt hatte, war sie nicht nur verblüfft, sondern auch recht angetan von der Idee gewesen. »Das hat noch niemand gemacht«, hatte sie am Vortag gesagt und hinzugefügt: »Das finde ich sehr nett und piekfein. Gefällt mir.«
James hatte über ihre Antwort gelacht, und sie hatte darin eingestimmt. Er saß auf einem Stuhl auf der zu den Gärten der Klinik weisenden Terrasse, während er auf William wartete.
Mittlerweile hatte er sechs Monate im Sanatorium verbracht und hatte sich gut erholt. Die Ärzte hofften, ihn bis zum Jahresende entlassen zu können. James freute sich darauf. Neuerdings war er davon überzeugt, bald sein früheres Leben zurückzubekommen – er würde arbeiten, sein Unternehmen wieder auf die Erfolgsspur führen, ein paar Freuden genießen und sich vor allem mit alten Freunden treffen. Eine Rückkehr in die Normalität.
Plötzlich hörte er Williams Stimme und erkannte Schwester Jacksons Lachen, als sie seinen liebsten Freund auf die Terrasse führte.
William lächelte, als er sich mit einem Weidenkorb von Fortnum & Mason näherte. »Hier bin ich, James, pünktlich auf die Minute. Mit Köstlichkeiten aus deinem Lieblingsladen.«
»Das sehe ich«, erwiderte James. »Und es ist vor allem großartig, dich zu sehen, alter Junge.«
»Den Korb können Sie auf den Tisch hier stellen, Mr Venables«, sagte Schwester Jackson. »Geben Sie mir einfach Bescheid, falls Sie Geschirr oder Besteck brauchen.«
»Danke, Schwester Jackson«, antwortete William. »Aber ich denke, wir haben alles Nötige im Korb. Etwas später wäre eine Kanne englischer Frühstückstee fein.«
»Gern. Ich kümmere mich darum, wann immer Sie wollen.«
»Danke«, erwiderte William und schenkte ihr ein breites Lächeln.
Sobald sie unter sich waren, lehnte sich James auf dem Stuhl zurück und musterte William, der ihm gegenüber neben dem runden Tisch saß, eine Hand an dem Korb. »Ich war hocherfreut, als du angekündigt hast, Essen mitzubringen, aber dass es das Krankenhaus erlaubt, hat mich etwas überrascht.«
»Für dich schon, Jimmy, mein Junge. Du giltst als großer Kriegsheld. Und von der Schwester habe ich gehört, dass du zudem der Liebling aller ihrer Kolleginnen bist.«
»Ich weiß nicht recht, ob ich das so glauben soll, William. Jedenfalls freue ich mich über deine Gesellschaft. Du hast mir gefehlt.«
»Du mir auch. Tut mir leid, dass ich nicht schon im Sommer herkommen konnte. Aber da habe ich bis über beide Ohren in Arbeit gesteckt. Also, wann willst du essen?« Während William sprach, öffnete er den Deckel des Korbs. »Zu trinken habe ich auch etwas dabei. Sag’s der Schwester nicht, aber es ist ein guter Rotwein. Wie wär’s mit einem Schlückchen? Hier drin sind zwei Gläser und alles andere, was wir zum Essen brauchen.«
»Du hast recht, ich denke, von Alkohol würden die Ärzte wenig halten. Weißt du, mit meinen Fortschritten sind sie sehr zufrieden. Allmählich lerne ich wieder laufen, manchmal mit nur einer Krücke. Es geht jeden Tag besser.«
»Du wirst wieder ganz der Alte«, meinte William zuversichtlich und reichte James ein Glas Wein. »Daran besteht kein Zweifel.«
Nach kurzer Stille sagte William leise: »Ich muss mit dir über die Malvern Company reden. Aber auch über Georgiana Ward.«
»Du klingst eigenartig. Stimmt etwas nicht? Es geht ihr doch gut, oder?« James klang bange.
»Soweit ich weiß, ja. Aber ich habe viel nachgedacht, seit du mir in deinem Brief mitgeteilt hast, dass du zu ihr nach Ascot willst. Und das kannst du nicht. Wirklich nicht.«
James setzte sich aufrechter hin und sah seinen engsten Vertrauten mit verwirrter Miene an. »Wieso um alles in der Welt nicht? Die Umgebung dort wäre großartig für meine endgültige Genesung. Und zwischen uns ist nichts mehr, jedenfalls derzeit nicht.«
»Mag sein. Nur vergiss dabei nicht, wie es aussehen würde! Die Leute würden denken, ihr lebt zusammen ...«
»Aber sie hat dort eine Menge Personal«, argumentierte James enttäuscht.
»Und wenn schon. Die Dienerschaft ist völlig bedeutungslos. Die Menschen gehen immer vom Schlimmsten aus, das weißt du. Für Außenstehende wäre es ein gefundenes Fressen für Klatsch ...«
»Ist mir egal, was sie sagen«, gab James hitzig zurück.
»Man würde glauben, du lebst in Sünde. Und du kannst es dir nicht leisten, dass solches Gerede über dich in London kursiert. Du bist ein berühmter Geschäftsmann, ein angesehener Magnat, um Himmels willen. Viele Menschen betrachten dich als Ikone. Sie schauen zu dir auf. Und während du dich darauf vorbereitest, ins Geschäftsleben zurückzukehren, musst du dafür sorgen, dass nichts diesen Ruf schädigt.« Kurz verstummte William, ehe er hinzufügte: »Du musst an Malverns denken, deine Firma. Tu nichts, was sie gefährden könnte.«
James sah William stirnrunzelnd und mit einem schmerzlichen Ausdruck in den Augen an.
William holte tief Luft und fuhr in milderem Ton fort. »Ich weiß, dass du sie gern um dich hast, ihre Gesellschaft genießt. Aber du musst es objektiv und so betrachten, wie es die Leute sehen und wie sie darüber reden würden. Obwohl wir 1917 haben, leben wir bis zu einem gewissen Grad immer noch in der Ära von Queen Victoria. Die altmodischen Regeln bestehen fort.«
»Lauter Frömmler und Heuchler«, murmelte James. Er seufzte gedehnt. »Ich dachte, dieser vermaledeite Krieg hätte vielleicht etwas geändert. Aber du hast wohl recht, Will. Ich kann mir den Klatsch nur zu gut vorstellen.« Ein weiteres tiefes Seufzen. »Ich gebe nach. Du passt immer auf mich auf, deckst mir den Rücken. Wenn ich im Dezember hier entlassen werde, kehre ich in mein Haus in der South Audley Street zurück. Vielleicht kann Georgiana ja hinkommen und sich dort um mich kümmern – und ich rede von Besuchen, nicht davon, bei mir einzuziehen. Deine Botschaft ist klar und deutlich bei mir angekommen.«
Unwillkürlich lachte William. »Ich habe schon verstanden, was du gemeint hast, du hättest es nicht klarstellen müssen. Und ich weiß, dass du sie sehen willst. Immerhin seid ihr mit Unterbrechungen über Jahre hinweg Geliebte gewesen.«
James lachte ebenfalls. »Seit ich siebzehn war.«
»In Hull. Still und heimlich. Vergiss nicht, dass ich dabei war. Anfangs war ich wie einige andere verwirrt, weil sie älter ist als du. So manch einer meint, sie passt nicht gut zu dir. Aber sie ist durchaus eine wunderschöne Frau. Und auch deine reizende Gattin Alexis war acht Jahre älter als du.«
»Ich habe offenbar ein Faible für ältere Damen. Vielleicht finde ich irgendwann heraus, warum.«
»Da wäre ich ganz Ohr. Trotzdem denke ich, du solltest vorsichtig damit sein, dich wieder mit ihr einzulassen. Jetzt lass uns essen.« William holte die Aufstellung über den Inhalt des Korbs hervor und las sie laut vor. »Schweinefleischpastete mit Chutney, Eiersalat-Sandwiches, Räucherlachs auf Schwarzbrot. Essiggurken. Aufgeschnittene Tomaten und Gewürzgurken. Und zu guter Letzt noch Biskuitrolle mit Marmelade. Wie klingt das?«
»Großartig. Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen. So was Feines hatte ich seit der Rückkehr ins gute alte England nicht mehr.«
»Ich kann es auch kaum erwarten loszulegen.« William stellte den Korb auf den Boden. Im Nu hatte er das Essen auf Tellern auf dem Tisch angerichtet.
James hatte die Zeit mit William genossen. Bereits Minuten, nachdem sein bester Freund gegangen war, fehlte er ihm. Obwohl William wegen seines beeinträchtigten Sehvermögens untauglich für den Dienst beim Militär war, hatte er seinen Beitrag für das Land geleistet, indem er den Schifffahrtsbetrieb seiner Familie am Laufen hielt. Deshalb hatte er James nicht so oft besuchen können, wie er es gern getan hätte. Es schien sehr lange zurückzuliegen, dass sie zuletzt zusammen gegessen hatten. Williams frühere Besuche waren kurz und von James’ Schmerzen getrübt gewesen.
Ein Freund fürs Leben, dachte er. Und auch eine Familie fürs Leben, selbst nach all den Jahren. James wollte unbedingt eine eigene. Nach Möglichkeit eine Großfamilie. Er war in einer solchen aufgewachsen und wusste, wie wichtig es war, Menschen um sich zu haben, die einen liebten und sich darum kümmerten, dass es einem gut ging. Dass er allein dastand, empfand er als bittere Ironie.
Früher hatte es seine Falconer-Großeltern Philip und Esther gegeben, beide Bedienstete. Seine Großmutter hatte den größten Einfluss auf sein Leben gehabt. Und natürlich hatte er seine Eltern Matthew und Maude gehabt, die trotz knapper Kasse stets dafür gesorgt hatten, dass ihr kleines Haus in Camden voller Liebe geblieben war. Dann waren da noch seine Schwester Rossi, sein Bruder Eddie sowie seine Onkel George und Harry gewesen. Eine liebevolle, gemütliche Gruppe, die eng miteinander verwoben gewesen war.
Mittlerweile lebten davon nur noch Eddie und Rossi, die sich sehr nahestanden. Sie sahen einander so oft wie möglich. Eddie war fünf Jahre jünger. Er hatte den militärmedizinischen Test wegen einer Lungenschwäche nicht bestanden und war somit nicht im Krieg gewesen. Mit seiner reizenden jungen Ehefrau Christina hatte er die Zwillingssöhne Ian und Andrew, beide vierzehn Jahre alt.
Eddie, der als Kind immer Bilder gemalt hatte und künstlerisch veranlagt gewesen war, hatte sie alle überrascht, als er angekündigt hatte, er wollte Rechtsanwalt werden. James hatte ihm die Ausbildung bezahlt, und Eddie hatte sich sowohl im Studium als auch im Beruf ausgezeichnet.
Rossi hatte schon als Jugendliche genäht und mittlerweile einen eigenen Laden in der Malvern-Einkaufspassage an der Piccadilly in der Nähe des Trafalgar Square. Ihr Verkaufsschlager waren die von ihr angefertigten, einzigartigen Umhängetücher, für die sie regelrecht berühmt geworden waren. Mit ihrem Ehemann Charles Randolph, einem Bankier, hatte sie die achtzehnjährige Tochter Lavinia. Die beiden führten eine genauso gute Ehe wie Eddie und Christina.
James’ Gedanken kehrten zu William zurück. Er erinnerte sich noch, wie enttäuscht sein Cousin darüber gewesen war, dass sie nicht zusammen den Pals hatten beitreten können.
William hatte James’ frühere Assistentin Natalie Parkinson geheiratet, und sie passten hervorragend zueinander. Aus ihrer Liebe war ein Sohn namens Clarence hervorgegangen, benannt nach Williams verstorbenem Vater. William hatte die Leitung der Schifffahrtsgesellschaft der Venables in Hull übernommen, doch den Großteil ihrer Zeit verbrachten Natalie und er in London. Als kluger Geschäftsmann hatte er das Unternehmen ausgebaut und eine Niederlassung in der Hauptstadt des Landes eröffnet. Vor dem Krieg hatte sich James ebenfalls meist in London aufgehalten und war nur selten nach Hull gereist.
Plötzlich lächelte er, als ihm klar wurde, dass er sehr wohl eine recht große Familie hatte, wenn auch nicht ausschließlich aus Blutsverwandten. Er mochte keine Frau mehr haben und nicht die ersehnten Kinder, aber er hatte eine Heerschar wunderbarer Menschen, die wussten, dass sie zu ihm gehörten und sich so sehr auf ihn verließen. Ihrerseits gaben sie ihm endlos viel zurück. Und wenn er sich dem Leben abseits des Militärs stellte, während das Land noch in diesem schrecklichen Krieg feststeckte, würde er sie alle brauchen.
Neubeginn
Mayfair, London, England
Januar – Dezember 1918
»Auf Wiedersehen!« James Falconer schüttelte den Ärzten und dem Pflegepersonal die Hand, die von Schwester Jackson besonders herzlich. Er war so dankbar für alles, was das Krankenhaus – zu Recht als Sanatorium bekannt – für ihn getan hatte. Dennoch war er froh, endlich abzureisen. Freiheit! Ja, ab sofort stand es ihm frei zu tun, was er wollte.
Im Januar 1918 wurde Major James Lionel Falconer vollständig sowohl aus dem Militärkrankenhaus in Kent als auch aus der Armee entlassen. Die grauenhaften Wunden in seinen Beinen waren letztlich verheilt, und er hatte gelernt, wieder aus eigener Kraft zu gehen. Obwohl er einen Stock brauchte, weil das linke Bein schwächer war als das rechte, konnte er gut das Gleichgewicht halten und sich mit sicheren Schritten fortbewegen. Voller Selbstvertrauen nahm er sich vor, irgendwann auch noch den Stock loszuwerden. Und er würde Malverns zu altem Glanz zurückführen.
Georgiana Ward kam ihn mit ihrem Automobil abholen, um ihn nach London zu bringen. Mittlerweile war James froh, auf Williams Rat gehört zu haben und zu seinem Haus in der South Audley Street in Mayfair zurückzukehren, statt Georgiana zu ihrem Landsitz zu begleiten. Sein Personal hatte es während seiner Zeit bei der Armee und im Krankenhaus in Schuss gehalten. Laut Georgiana konnten es seine Bediensteten kaum erwarten, ihn in Empfang zu nehmen.
Unterwegs dachte James schweigend über die Zukunft nach. Er war überzeugt, dass der Krieg in diesem Sommer enden würde. Die Armeen waren erschöpft, Millionen Soldaten wie auch Zivilisten umgekommen. Das große British Empire war gefallen und steckte zweifellos bis zum Hals in Schulden. Durch den Eintritt der Amerikaner schien der Sieg mittlerweile möglich zu sein, doch die Welt hatte bereits einen hohen Preis bezahlt.
Allein in seinem Krankenhausbett hatte er im vergangenen Jahr viel nachgedacht und sich etwas gelobt. Er würde von vorn anfangen, sein Geschäftsimperium anständig in die Hand nehmen und einige Dispute ausräumen. Dann war da noch seine Tochter, sein einziges Kind, das ihm Georgiana geboren hatte. Er musste sie für sich gewinnen und wiedergutmachen, wie abscheulich er sie vernachlässigt hatte. Georgiana Lionel Ward, bekannt als Leonie.
Nach Georgianas erstem Besuch hatte er ihr einen Brief geschrieben und sich nach Leonie erkundigt. Sie war mittlerweile achtundzwanzig Jahre alt und laut ihrer Mutter eine kluge Geschäftsfrau, verlobt mit einem auf den ersten Blick durchaus geeigneten Mann namens Richard Rhodes. Allerdings konnte Georgiana ihn nicht leiden. Sie wollte James’ Meinung über Mr Rhodes – und auch über ihre gemeinsame Tochter. Während er durch das Fenster die winterliche Landschaft von Kent betrachtete, regte sich Ungeduld in ihm. Er konnte es kaum erwarten, beide zu treffen.
Georgiana hatte ihn gewarnt, dass ihm ein Kampf bevorstand, weil sich Leonie nicht leicht vereinnahmen lassen würde. Offenbar hegte sie einen Groll gegen ihn, wollte ihn nicht kennen und gab nichts darauf, dass sie die Erbin seines riesigen Geschäftsimperiums war.
Sein einziges Kind, seine Tochter, hatte ihrer Mutter erklärt, sie könne ihm nie verzeihen, dass er sie in den Jahren ihrer Jugend im Stich gelassen und es ihn nicht interessiert habe, sie zu einer jungen Frau heranwachsen zu sehen. Leonie meinte, sie habe sich damals verloren gefühlt, manchmal beinahe so, als existiere sie gar nicht, zumindest nicht für ihren Vater.
James hatte Georgiana gefragt, wie er es angehen sollte. Sie hatte den Kopf geschüttelt und geflüstert: »Ich habe keine Ahnung.«
Später jedoch hatte sie ihm anvertraut, er müsste alles in seiner Macht Stehende tun, um Wiedergutmachung zu leisten. Nur so könnte er sie dazu bringen, bereitwillig in sein Leben zurückzukehren. Er müsste Leonie das Gefühl vermitteln, seine Tochter zu sein, ihr irgendwie beweisen, dass er sie liebte.
Und er hatte es Georgiana versprochen, mochte es kosten, was es wollte. Und James meinte es aufrichtig.
Die Monate nach seiner Heimkehr vergingen schnell. Im November 1918 war der Krieg endlich vorbei, und Frieden wurde ausgerufen. James hoffte, er würde von Dauer sein. Seine Erinnerungen an die Kämpfe, das Sterben und das Chaos der vergangenen Jahre ließen ihn nie los, sosehr er sie auch abzuschütteln versuchte. Er stürzte sich wieder in die Leitung seines Geschäftsimperiums, um sich davon abzulenken.
Nach Alexis’ Tod hatte er das Unternehmen ihres verstorbenen Vaters geerbt, die Malvern Company, die er seit jungen Jahren für Henry Malvern geführt hatte. Auch das Haus in der South Audley Street war in seinen Besitz übergegangen.
An diesem Novembermorgen saß er am Schreibtisch in der Bibliothek und ertappte sich dabei, auf das Foto von Alexis zu starren. Wie sorglos und glücklich sie aussieht, dachte er mit einem verhaltenen Lächeln auf den Lippen. Und so wunderschön. Dann welkte das Lächeln. Was hatte sie doch gelitten. Wegen ihm und seinem Verlangen nach ihr, seiner Lust. Worauf sie sehr emotional reagiert hatte.
Ihre erste Fehlgeburt hatte sie 1892 zu Beginn ihrer Ehe erlitten. Damals war sie dreißig gewesen. Eine weitere Fehlgeburt war im Alter von vierunddreißig gefolgt. 1900 war sie bei der Geburt zusammen mit ihrem Baby gestorben, einem Sohn. James hatte beide verloren. Eine Tragödie, die ihn nach wie vor heimsuchte.
Seine geliebte Gemahlin war mit achtunddreißig Jahren viel zu jung aus dem Leben geschieden. Schuldgefühle überkamen ihn. Er versank in sich selbst und seinen aufgewühlten Gedanken. Sogar die Malvern Company hatte ihr Vater gegründet. Dort waren sie sich zum ersten Mal begegnet.
Nach einer Weile hob er den Kopf und schaute zur Tür, als sein Butler Brompton anklopfte und eintrat.
»Tut mir leid, Sie zu stören, Sir, aber die Köchin möchte, dass Sie sich die Speisefolge für das Abendessen am Freitag ansehen und ihr Bescheid geben, ob Sie damit einverstanden sind.«
Brompton kam zum Schreibtisch und reichte James die Aufstellung. »Danke«, sagte er, überflog sie und nickte. James gab den Zettel zurück und meinte, es klinge alles wie gewohnt köstlich. Er veranstaltete eine Abendgesellschaft zur Feier des Kriegsendes.
Als James wieder allein war, kehrte sein Blick zum Foto seiner verstorbenen Ehefrau zurück. Seit mittlerweile so vielen Jahren fristete er ein Dasein als Witwer. Bei Alexis’ Tod war er dreißig gewesen. Inzwischen war er achtundvierzig. Und doch schien es ihm, als wäre sie noch am Vortag die Herrin des Hauses gewesen und hätte es wie üblich effizient und stilvoll geleitet. Im Kopf konnte er ihr Lachen, ihre liebliche Stimme hören. Sie hatten angenommen, sie würden ihr Zuhause mit Kindern füllen und zusammen ein glückliches Leben führen.
James hatte nie wieder eine Frau getroffen, die er heiraten wollte, sich nie mehr verliebt. Im Lauf der Jahre hatte er einige Beziehungen gehabt, immerhin war er ein gewöhnlicher heterosexueller Mann. Er brauchte die tröstliche Gesellschaft von Frauen. Allerdings waren jene Bekanntschaften flüchtig geblieben und hatten schließlich geendet.
Andererseits hatte er mit Georgiana Ward eine wahre, gute Freundin. Seit er das Militärkrankenhaus in Kent verlassen hatte, verließ er sich auf ihre Fürsorge und Freundlichkeit. Ihr verdankte er seinen verbesserten Zustand – und in gewisser Weise auch seine geistige Gesundheit. Er war siebzehn Jahre alt gewesen, als sie seine Geliebte geworden war, und einundzwanzig, als sie ihm ihre damals zweijährige Tochter Leonie vorgestellt hatte. War das eine Überraschung gewesen!
Seit seiner Rückkehr weigerte sich seine Tochter, ihn zu sehen. Wenn sie zu Besuch bei ihrer Mutter weilte, ließ sie ihn nicht zu sich, und sie antwortete nie auf seine Briefe.
Seine Gedanken richteten sich auf Georgiana. Sie hatten sich seit sechs Wochen nicht gesehen, weil er geschäftlich in Hull gewesen war. Dass sie zehn Jahre älter war als er, sah man ihr nicht an. Tatsächlich wirkte sie eher jünger als James. Das Gleiche hatte für die acht Jahre ältere Alexis gegolten. Er lächelte bei sich. Schon komisch, seine Vorliebe. Sein bester Freund und Cousin William Venables flüsterte ihm oft zu, dass er immer die Augen nach einer ansehnlichen älteren Frau für ihn offen hielt.
James fiel ein, dass er beim letzten Mal darauf erwidert hatte, er habe bereits eine im Leben, bevor er abrupt verstummt war und William mit großen Augen angestarrt hatte. Sein Freund hatte sofort nachgehakt, ob er sich wieder auf eine romantische Beziehung mit Georgiana eingelassen habe. Das hatte James wahrheitsgetreu verneint, allerdings gestanden, dass er sie in gewisser Weise liebe. Als William ihn damit bedrängt hatte, in welcher Weise, hatte James nicht darauf geantwortet. Mehr hatte er nicht preisgeben wollen.
Nach einer Weile intensiver Grübelei stand James auf, stellte sich vor den Spiegel und betrachtete abwägend sein Erscheinungsbild. Für einen Achtundvierzigjährigen sah er nicht übel aus. Ein paar Linien um die Augen, die selbst jedoch immer noch stechend blau und klar waren. Gute Ernährung und die Annehmlichkeiten seines Zuhauses hatten die Anspannung geglättet, die der Krieg so lange in sein Gesicht gezeichnet hatte. Und er war nach wie vor 1,88 Meter groß und so schlank wie mit dreißig.
Ja, alles andere als übel, entschied er, bevor er sich vom Spiegel abwandte. Ich könnte ihr immer noch gefallen.
Mit ihr meinte er natürlich Georgiana Ward. Wen sonst? Welche andere Frau ging ihm ständig durch den Kopf? Welche andere Frau könnte er wollen? Aber wollte er sie auch wieder intim? Er wusste es nicht. Und falls ja, was, wenn er sie enttäuschte? Er wollte Leonie in sein Leben holen. Wie würde sich eine neuerliche Liebesbeziehung mit ihrer Mutter darauf auswirken? Solche Fragen spukten ihm durch den Kopf, bis William eintraf und ihn zum Essen abholte. Vertrau dich ihm diesmal nicht an, warnte sich James, als sie zusammen aufbrachen. Und er tat es nicht.
Brompton öffnete die Tür und ging in den Salon von James Falconers Haus in der South Audley Street voraus. Am Eingang verkündete er ihren Namen.
Georgiana Ward murmelte dem Butler einen Dank zu und trat allein vor.
James öffnete auf der anderen Seite des Raums gerade eine Flasche Champagner. Der Korken knallte. Er drehte sich um, lächelte sie an und durchquerte den Salon. Das Lächeln behielt er bei.
Ihr Herz zog sich zusammen, und sie verspürte einen Anflug von Erregung. So war es immer, wenn sie ihn zum ersten Mal nach längerer Abwesenheit seinerseits wiedersah.
Sechs Wochen lang hatte er in Hull hart gearbeitet, und er sah wunderbar aus. Groß – deutlich größer als die meisten Männer in ihrem Bekanntenkreis. 1,88 Meter, sehr schlank und ausgesprochen gut aussehend, nicht zuletzt dank dieser stechenden blauen Augen. Als er sich ihr näherte, bemerkte sie, dass sein Gesicht ein wenig voller wirkte, was an diesem Abend zu seiner jugendlichen Ausstrahlung beitrug.
Er nahm sie am Arm, zog sie an sich, bückte sich und küsste sie auf die Wange, bevor er sie mit einem eindringlichen Blick bedachte. »Sie sehen wunderschön aus, meine liebe Mrs Ward. Schöner als je zuvor, finde ich.« Sein Gesichtsausdruck zeugte von Bewunderung.
»Und Sie, mein lieber Mr Falconer, sehen aus, als hätten Sie einen langen Urlaub genossen.«
Er grinste. »Ich weiß, dass ich zugenommen habe. Es zeigt sich in meinem Gesicht. Liegt an all dem Yorkshire-Pudding und Roastbeef, das man mir ständig vorgesetzt hat. Aber komm, trinken wir ein Gläschen Schampus und stoßen wir auf den Frieden an.« Er wandte sich ab und kehrte zu dem Tisch zurück, auf dem der Champagner in einem silbrigen Eimer stand.
Langsam folgte sie ihm und verzog leicht das Gesicht, als ihr auffiel, wie krampfhaft – und vergeblich – er sich bemühte, nicht zu hinken. Was natürlich auf seinen Stolz zurückging. Sie wünschte, er würde den Stock benutzen. Aber in ihrer Gegenwart versuchte er in der Regel, darauf zu verzichten. Was spielte das lahme Bein schon für eine Rolle? Immerhin lebte er. Nur darauf kam es an. Obendrein erfreute er sich guter Gesundheit, Gott sei Dank.