Anwalt mit Herz - Mathilda Grace - E-Book

Anwalt mit Herz E-Book

Mathilda Grace

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Beschreibung

Beruflich in die Fußstapfen seines übergroßen Ziehvaters zu treten, war vielleicht keine gute Idee, aber Paul Jones liebt seinen Job und er möchte seine Väter stolz machen, die seine Arbeitswut eher mit Sorge betrachten. Gleichzeitig muss sich Paul mit seinem Boss, Jameson von Brahms, und dem ehemaligen US-Marine Deacon Gregory herumschlagen, die ein Auge auf ihn, aber vor allem aufeinander geworfen haben, was seine Laune nicht gerade hebt, denn obwohl er in beide verliebt ist, hat Paul definitiv nicht vor, zum Spielball für zwei umwerfende Männer zu werden, die scheinbar nur auf der Suche nach ein bisschen Spaß sind.

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Mathilda Grace

ANWALT MIT HERZ

 

 

Anwalt mit Herz

1. Auflage, Februar 2023

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

© 2023 Mathilda Grace

Am Chursbusch 12, 44879 Bochum

Text: Mathilda Grace 2021

Fotos: GDJ, ractapoulous, geralt; Pixabay

Coverdesign: Mathilda Grace

Korrektorat: Corina Ponta

 

Web: www.mathilda-grace.de 

 

Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.

 

Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden. Diese Geschichte handelt von einem fiktiven LGBT-Zentrum in Boston.

 

Anwalt mit Herz enthält homoerotischen Inhalt.

 

 

 

 

 

Mathilda Grace

 

 

 

 

 

 

Liebesroman

 

 

Liebe Leserin, Lieber Leser,

 

ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.

 

Mit deinem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.

 

Dankeschön.

 

Liebe Grüße

Mathilda Grace

 

 

Das »Boston Hearts« ist ein privat geführtes LGBT-Zentrum für obdachlose und anderweitig gefährdete Jugendliche in Boston, eröffnet von dem Anwalt Maximilian Endercott vor über fünfundzwanzig Jahren. Heute betreiben er und sein Ehemann Elias, der gleichzeitig Arzt des Zentrums ist, das »Bostons Hearts« gemeinsam und haben seit der Gründung nach und nach acht teils schwer missbrauchte und traumatisierte Jugendliche als Ziehkinder angenommen und sie mit viel Liebe und Geduld großgezogen.

 

Diese Männer erzählen in der »Boston Hearts Reihe« ihre Geschichten.

 

 

Beruflich in die Fußstapfen seines übergroßen Ziehvaters zu treten, war vielleicht keine gute Idee, aber Paul Jones liebt seinen Job und er möchte seine Väter stolz machen, die seine Arbeitswut eher mit Sorge betrachten. Gleichzeitig muss sich Paul mit seinem Boss, Jameson von Brahms, und dem ehemaligen US-Marine Deacon Gregory herumschlagen, die ein Auge auf ihn, aber vor allem aufeinander geworfen haben, was seine Laune nicht gerade hebt, denn obwohl er in beide verliebt ist, hat Paul definitiv nicht vor, zum Spielball für zwei umwerfende Männer zu werden, die scheinbar nur auf der Suche nach ein bisschen Spaß sind.

 

 

Prolog

 

 

 

 

Mit acht Jahren starb Paul Jones zum ersten Mal an einer Alkoholvergiftung.

Er war drei Minuten tot, bis die Ärzte ihn zurück ins Leben holten, um ein Jahr später erneut um selbiges zu kämpfen, weil er ohne Alkohol nicht zurechtkam und es weder seine Eltern noch den Sachbearbeiter vom Jugendamt kümmerte, ob er sich zu Tode trank oder nicht.

Mit zehn schafften das schließlich seine Eltern, aber da sich niemand darum scherte, was aus dem Sohn einer kubanischen Schlampe und eines arbeitslosen Säufers wurde, Hauptsache, er verschwand aus der Bruchbude, in der sie gehaust hatten, damit die neu vermietet werden konnte, landete Paul auf der Straße, wo er sehr schnell lernte, sich durchzuschlagen und vor allem, sich Tag für Tag genügend Bier, Wein oder Schnaps zu klauen, um das heftige Zittern in seinen Händen lange genug unter Kontrolle zu halten, weil man süß und hübsch aussehen musste, um von reichen Weibern mit teuren Handtaschen ein paar mickrige Dollar zu erbetteln. Oder ihnen die Handtaschen kurzerhand zu klauen, falls sie kein Geld rausrückten.

Mit zwölf gelang es Paul im allerletzten Augenblick einem aufdringlichen Zuhälter zu entwischen, der auf das Vermitteln kleiner Jungs an Pädophile spezialisiert war, nur um auf seiner kopflosen Flucht quer über die Straße direkt vor eine silberne Limousine zu laufen.

Dieser Unfall rettete Paul das Leben.

Als Besitzer des Wagens sah es Maximilian Endercott, ein stinkreicher Anwalt, als seine bürgerliche Pflicht an, ihn in ein Krankenhaus zu schaffen, und da Paul mit einem gebrochenen Bein nicht flüchten konnte, ließ er die milde Tat einfach über sich ergehen.

Fest entschlossen, so schnell wie möglich wieder aus dem Krankenhaus abzuhauen, hatte er diesen Plan allerdings ohne Endercott und seine Entzugserscheinungen gemacht, die Pauls ersten Fluchtversuch vereitelten, da hatte er es mit der lästigen Stützschiene, die man ihm statt eines Gipsbeins verpasst hatte, gerade mal ins Treppenhaus geschafft.

Zitternd, schwitzend, unfähig sich auf den Beinen zu halten und mit schlimmen Schmerzen in allen Gliedmaßen, fand ihn Endercott einige Zeit später weinend auf der Treppe, doch statt zu schimpfen oder ihm Vorwürfe zu machen, tat dieser Mann etwas, das bisher niemand in seinem Leben je getan hatte – er zog Paul einfach in seine Arme und ließ ihn weinen.

Und während Paul weinte, erzählte Maximilian Endercott ihm eine Geschichte über viele andere Jungen und Mädchen in seinem Alter, alle mit Problemen, für die sein Ehemann Elias und er ein Zuhause, das »Boston Hearts«, geschaffen hatten, in dem diese Kinder in Sicherheit leben konnten. Und er erzählte ihm von fünf weiteren Jungs, die sie aufgenommen und in den vergangenen Jahren zu ihren Söhnen gemacht hatten, und er fragte ihn tatsächlich, ob Paul nicht ebenfalls einer dieser Jungs werden wollte. Dem sturen Anwalt war vollkommen egal, dass er ein Säufer, Dieb und zum Teil dunkelhäutig war – letzteres führte sogar zu einem Streit zwischen ihnen, als Paul Endercott fragte, ob der tatsächlich sicher war, einen dreckigen Kubaner in seinem Haus haben zu wollen.

Trotzdem lehnte Paul ab, weil er dem Braten nicht traute, aber Maximilian Endercotts Dickschädel war härter als seiner. Der Mann unterlief seine innere Verteidigungsmauer, indem er seinen Ehemann und ihre mittlerweile fünf Söhne mitbrachte, allesamt weiß und vorlaut, und ihn dann feixend fragte, ob er zu viel Schiss hätte, sich mit den Endercotts abzugeben oder ob er glaubte, nicht mithalten zu können.

Ein Jahr später war Paul trocken und gab seinen Einstand im Endercott-Haushalt, indem er seinem ältesten Bruder Cole dessen Auto klaute, um damit eine Spritztour durch das Viertel zu machen.

Ein weiteres Jahr später ließ Cole ihn seinen Wagen dann heimlich fahren, um damit hübsche Mädchen und süße Jungs zu beeindrucken. Dreimal ging es gut, dann wurden sie leider von Maximilian erwischt, was dazu führte, dass weder Cole noch er in den kommenden Monaten ein Auto zur Verfügung hatten. Sehr zur Belustigung ihrer übrigen Brüder.

Mit siebzehn stieß Paul sich die Hörner endgültig ab und beendete als einer der besten seiner Schule die Highschool.

Mit achtzehn machte er ein Praktikum in der Kanzlei seines Vaters, weil er alles, was mit Gesetzen, Anwälten, Richtern und Anklagen zu tun hatte, verdammt faszinierend fand und mehr darüber wissen wollte.

Zwei Monate später nahm ihn Maximilian als Besucher mit zu einer Gerichtsverhandlung.

Am nächsten Tag entschloss sich Paul, eines Tages der beste und schlaueste Anwalt von Boston zu werden und seine Väter stolz zu machen.

 

 

Kapitel 1

Paul

 

 

 

 

»Du siehst gut aus.«

»Wie oft hast du das jetzt schon zu ihm gesagt, Finn? Hör lieber damit auf, sonst fängt er an zu hyperventilieren und fällt tot um, ehe er das Ja-Wort keuchen und Derrick sein Vermögen überschreiben kann.«

»Joe!«

Seine Brüder und Schwäger brüllten vor Lachen, während Paul mit dem Hintern am ehemaligen Schreibtisch von Cole in dessen altem Kinderzimmer lehnte, das sie für Coles Hochzeit zum Umkleidezimmer und Warteraum umfunktioniert hatten, und sich der Hoffnung hingab, möglichst unsichtbar zu sein. Was bisher ganz gut klappte, denn er wurde in Ruhe gelassen, seit er heute früh aus seinem Zimmer getreten war, und wenn es nach ihm ging, durfte das ruhig für den Rest des Tages, gern auch für das gesamte Wochenende, so bleiben.

»Meine Güte, du führst dich auf, als würdest du gleich zum Schafott schreiten. Dabei ist es bloß deine Hochzeit.«

»Bloß? Bloß? Was heißt hier bloß? Ich heirate heute, weil du ein hinterhältiger Verräter bist, Finn Endercott, und als wäre das nicht schon schlimm genug, heirate ich Derrick in einem Haus, das mal meinen Vätern gehört hat und jetzt aussieht wie die Werbung für einen demnächst erscheinenden Horrorfilm. Wer hatte eigentlich die Idee, die Halloweendekoration gleich als Hochzeitsdekoration beizubehalten? Was im Übrigen auch für unsere Hochzeitstorte gilt.« Cole sah entrüstet zu Kade, der für die dreistöckige Torte der beiden verantwortlich war und jetzt gönnerhaft grinste. »Totenschädel? Ernsthaft?«

»Wäre dir die regenbogenfarbene mit pinkem Überzug, wie Grandpa sie wollte, um dich zu ärgern, etwa lieber gewesen?«, konterte sein Bruder ungerührt und wieder lachten alle – außer Paul –, während Cole erbost nach Luft schnappte.

»Außerdem ist der Totenschädel immer noch besser als die Spinnen auf den Häppchen«, warf ihr Bruder Marc trocken ein und prustete los, als Blake und Dare Cole daraufhin festhalten mussten, um zu verhindern, dass der sich auf Marc stürzte.

»Wenn du an Halloween heiratest, darfst du dich wirklich nicht über die Dekoration beschweren. Sei lieber froh, dass dein Kerl sich durchgesetzt hat, als es um die Frage nach einer kostümierten Hochzeit ging, sonst würdest du heute zwischen Skeletten und Geistern heiraten«, warf Leon amüsiert ein und runzelte im nächsten Augenblick die Stirn, als sich ihre Blicke durch den Raum hinweg trafen, weil Paul dem Geplänkel zwar zuhörte, aber mit den Gedanken meilenweit weg war, seit er vor vier Tagen zufällig seinen Mann – nun ja, zumindest hatte Paul bisher gedacht, dass dieser ehemalige US-Marine das mal werden könnte – beim Rumknutschen mit einem anderen Kerl überrascht hatte, der sich dann auch noch als sein eigener Boss entpuppte.

Als war es nicht schon grausam genug, auf diese Weise zu erfahren, dass Deacon offenbar mehrere Eisen gleichzeitig im Feuer hatte, musste es ausgerechnet sein Boss sein? Der immer so bieder wirkende Jameson von Brahms, dem seine Anzüge ganz ausgezeichnet standen, knutschte mit dem Kerl herum, in den Paul verliebt war. Tja, und um der Wahrheit die Ehre zu geben, galt das gleiche auch für seinen Boss, was diese ganze Situation nur noch verworrener machte und aus ihm leider den gehörnten Deppen.

Paul fühlte sich doppelt betrogen, wozu er im Grunde nicht mal das Recht hatte, denn Deacon und er hatten von Anfang an keine Exklusivität vereinbart. Eine Entscheidung, der er sofort zugestimmt hatte, weil er schon ewig heimlich in Jameson von Brahms verliebt war. Paul hatte seit Wochen überlegt, wie das funktionieren könnte, ohne einen der beiden Männer aufgeben zu müssen, doch anstatt eine Lösung zu finden, hatte er beide verloren. Zumindest fühlte es sich für ihn seit Tagen so an, und wäre heute nicht Coles Hochzeit, hätte er sich für den Rest des Wochenendes in seinem Zimmer verkrochen und still vor sich hin gelitten, damit er am Montagmorgen sein bestes Pokerface aufsetzen und weitermachen konnte, denn er betreute derzeit sieben Fälle gleichzeitig und durfte sich weder Liebeskummer noch einen Fehler leisten.

Ist alles okay?, fragte Leon lautlos und Paul nickte, bevor er wegschaute, weil er keine Lust auf neugierige Fragen hatte, die kommen würden, sobald der Rest seiner Familie begriff, wie es um seine aktuelle Laune bestellt war.

»Halloween ist erst übermorgen«, knurrte Cole und zog an seiner Krawatte, bis Dare die Augen verdrehte und ihm auf die Finger schlug. »Aua!«

»Hör auf damit. Derrick fällt in Ohnmacht, wenn wir nicht dafür sorgen, dass du vor dem Altar perfekt aussiehst, von Grandpa gar nicht zu reden, der ...«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. »Seid ihr so weit?«, rief ein hörbar amüsierter Corey draußen, der für den Zeitplan zuständig war, und als Dare »Komm rein.« sagte, steckte Finns Verlobter den Kopf ins Zimmer, um zu grinsen, als sein Blick auf Cole fiel, der jetzt vornübergebeugt auf der Bettkante saß. »Dreht er durch?«

Dare nickte feixend. »Seit etwa zehn Minuten. Sag unseren Vätern, sie können mit Derrick schon mal vorgehen. Wir tragen ihn gleich runter.«

Paul musste unwillkürlich grinsen, denn das hätte er gerne gesehen, wie Dare versuchte, Cole die Treppe runterzutragen, und zwar ohne blaue Flecken oder gebrochene Knochen, denn Cole würde sich das nie und nimmer gefallen lassen. Am Ende fand dann wahrscheinlich ein Boxkampf auf der Treppe statt, über den weder ihre Väter noch Adrian sonderlich begeistert wären, von Derrick gar nicht zu reden.

Leon zwinkerte ihm lächelnd zu und dann brach die ganze Bande auch schon auf, um den ältesten Endercott-Sohn endlich zu verheiraten, oder, um es in den Worten ihres Großvaters zu sagen, den lahmsten seiner Burschen in den sicheren Hafen der Ehe einlaufen zu lassen. Paul lachte in sich hinein, während er sich an Adrians Worte dazu erinnerte.

»Dass ich das noch erleben darf. Herrgott, Bursche, wenn du Finn nicht hättest, hättet Derrick und du euren Walzer am Ende auf meinem Grab tanzen müssen.«

Und es war nicht der einzige freche Spruch gewesen, der in den letzten paar Wochen von Adrian gekommen war, während die Hochzeit und Halloween immer näher rückten, und sie alle in die Vorbereitungen involviert gewesen waren, weil Cole und Derrick eine Traumhochzeit verdienten, so wie sie ihre Brüder bereits gehabt hatten. Maximilians Worte und denen hatte von seinen Brüdern natürlich niemand widersprochen.

Es wäre so schön gewesen, für seine eigene Hochzeit eines Tages auch seine Familie als Helfershelfer zu engagieren, doch die war ja nun leider in weite Ferne gerückt.

Mit einem Seufzen zog Paul ein letztes Mal seine Krawatte gerade, ehe er den Jungs in den Garten folgte. Es brachte nichts mehr, sich über Deacon zu ärgern, der Zug war sprichwörtlich abgefahren. Außerdem würde er garantiert nicht die Hochzeit seines ältesten Bruders mit seiner schlechten Laune verderben. Das hatten weder Cole noch Derrick verdient.

Nein, heute würde er feiern, so gut es ihm möglich war.

Später würde er sich betrinken, um zu vergessen.

Nun ja, zumindest in Gedanken, denn seine Väter und vor allem Adrian würden ihn ohne jedes Zögern übers Knie legen, wenn sie ihn mit einer Flasche Alkohol erwischten.

Morgen würde er sich dann eine Million Tränen und einen gedanklichen Katzenjammer gönnen, sich dabei die Bettdecke über den Kopf ziehen und später den Kühlschrank plündern, wie er es als Teenager oft getan hatte.

Und am Montag würde das Leben weitergehen.

So wie es das immer tat.

 

Es wurde eine wunderschöne Trauung.

Derrick und Cole sprachen selbst geschriebene Gelübde aus, ihre Jungs brachten ihnen hinterher die Ringe und wann hatte man schon mal die Gelegenheit, ein großes Stück Totenschädel in Tortenform zu essen.

Paul schaffte es, ein paar Stunden nicht an die zwei Männer zu denken, die er jetzt nie mehr haben würde, während er mit einem süßen Mädchen auf dem Arm – er hatte keine Ahnung, ob Dare ihm Tabea oder Teresa in die Hand gedrückt hatte, als er grinsend auf dem Weg zum Buffet gewesen war – durch den Garten seiner Väter spazierte. Fast ein Jahr waren die Zwillinge jetzt alt und beide erzählen beinahe ununterbrochen, obwohl Paul kaum ein Wort verstand. Aber das war auch nicht nötig, denn die kleine Dame zeigte ihm immer sehr eindringlich, wo sie hinwollte, und natürlich war er ein guter Onkel und brachte sie zu all den Büschen und Bäumen, die selbst im hintersten Teil des Gartens halloweentechnisch geschmückt waren, und er lachte mit ihr, als der Bewegungsmelder ansprang und das am Baum hängende Skelett mit Hut anfing zu kichern.

Aber als der Tag in einen schönen Abend überging und es dunkel war, gelang es selbst der leuchtenden Dekoration nicht mehr, seine Gedanken von Jameson und Deacon fernzuhalten, und Paul nutzte die erste Gelegenheit, als er kein Kind im Arm hatte und auch niemand auf ihn achtete, sich wieder tiefer in den Garten zurückzuziehen. Seine Väter hatten am hinteren Ende erst vor Kurzem einen neuen Baum gepflanzt, nachdem sie seinen Vorgänger hatten fällen lassen müssen, und vor dem Kirschbaum standen jetzt eine Bank, ein kleiner Tisch und zwei Stühle. Auf dem Tisch stand ein ausgehöhlter Kürbis, in dem ein Teelicht flackerte, und gleich daneben lag eines von Lillys Kuscheltieren – ein alter, schon ziemlich zerfledderter Bär, den Dare ihr an ihrem ersten Weihnachtsfest als Familie geschenkt hatte und den sie seither überall mit hinnahm.

Er setzte sich auf die Bank, lehnte sich zurück und seufzte in die Stille hinein, die hier hinten herrschte. Sein Blick lag auf dem Bär und er schürzte die Lippen, weil der Gedanke, dass er das vielleicht auch hätte haben können, wehtat. Mehr als er je erwartet hatte. Natürlich war es ein Wunschtraum, der sich nie erfüllt hätte. In zwei Männer verliebt zu sein, war ja schon fast ein Ding der Unmöglichkeit. Mit eben diesen beiden Männern dann Kinder zu haben – ach, was soll´s.

Das würde niemals passieren.

Und er würde mit Sicherheit nicht der naive Lückenbüßer sein, wenn Deacon in naher Zukunft – oder wann auch immer – wieder Lust auf einen anderen Kerl hatte.

Jetzt stellte sich für Paul nur noch die Frage, ob er Jameson von Brahms warnen sollte, bevor es seinem Boss genauso ging wie ihm und er Deacon mit dem nächsten Typen beim Küssen erwischte. Hatte er das Recht, etwas zu sagen? Oder war es das Beste, wenn er sich nicht einmischte, sondern einfach Deacons Nummer in seinem Telefon blockierte und ihm vorher deutlich zu verstehen gab, dass er keinen Bock darauf hatte, sich von einem Betrüger verarschen zu lassen? Sein Problem dabei war nur, dass er für Jameson arbeitete und das konnte früher oder später gewaltig nach hinten losgehen.

Er könnte kündigen und sich eine andere Kanzlei suchen. Allerdings würde das umgehend für neugierige Fragen seitens seiner Väter sorgen, sobald sie davon erfuhren, und er wollte weder Maximilian noch Elias diese total vertrackte Geschichte erzählen müssen.

Jemand setzte sich auf einmal neben ihn und Paul schreckte zusammen, weil er gar nicht bemerkt hatte, dass er nicht länger allein war. Er grinste schief, als sein Blick auf seine Großmutter fiel, die in ihrem orangefarbenen Kleid mit weißer Jacke richtig schick aussah. Gut, das taten sie heute alle, aber irgendwie war Emma Endercott für ihn schon immer der Inbegriff von Würde und Eleganz, und gerade in schönen Kleidern kam das für Paul erst so richtig zum Ausdruck.

»Erzähl es mir.«

Oh je. Paul seufzte. »Ist es so offensichtlich?«

Emma nickte. »Ja, und sie lassen dich nur in Ruhe, weil ich ihnen mit Schimpf und Schande gedroht habe. Wir feiern heute eine Hochzeit und alle sind glücklich. Außer dir.« Eine warme Hand legte sich auf seine und umschloss seine Finger. »Hat es mit diesem Mann zu tun, von dem du mir erzählt hast?«

Seine Großmutter war die einzige, der er schon von Deacon erzählt hatte, nachdem sie ihm vor einer Weile auf den Kopf zu gesagt hatte, dass er verliebt wäre. Wie sie solche Dinge immer bemerkte, war ihm ein Rätsel, aber im Endeffekt war das auch egal, denn sie würde es für sich behalten, solange er das wollte, und jetzt gab es ohnehin keinen Grund mehr, den anderen von Deacon zu erzählen. Geschweige denn von Jameson, wobei er sich nicht sicher war, ob seine Väter und natürlich Adrian diese Schwärmerei nicht längst durchschaut hatten. Wundern würde es ihn jedenfalls nicht.

»Ja«, antwortete er schließlich leise und drehte seine Hand, um Emmas Finger mit seinen eigenen zu umschließen. »Er hat einen anderen Mann geküsst.«

»So ein Mistkerl. Du solltest ihn mit dem Spaten erschlagen und unter meinen Rosen vergraben.«

Paul lachte leise, doch seine Belustigung verging ihm sofort wieder, als er an Jameson dachte. Von dem zweiten Mann in seinem Herzen hatte er seiner Großmutter bisher nichts erzählt, aber vielleicht hatten seine Väter das übernommen. Oder eben sein Großvater. Tja, es wurde Zeit, genau das herauszufinden, entschied er und suchte den Blick seiner Großmutter.

»Er hat Jameson geküsst.«

Es dauerte nur einen Moment, dann weiteten sich Emmas Augen begreifend. »Weiß dein Boss Bescheid?« Paul schüttelte den Kopf. »Wissen beide, dass du sie gesehen hat?« Wieder ein Kopfschütteln und jetzt war es seine Großmutter, die seufzte. »Das ist eine sehr vertrackte Lage, Paul. Du bist in deinen Boss verliebt, praktisch, seit du dort arbeitest, und jetzt hast du dich in einen anderen Mann verliebt, der wiederum Jameson küsst.« Auf seinen verdutzten Blick hin lachte Emma leise. »Jeder weiß von Jameson, Paul, das sollte dir eigentlich klar sein, immerhin lebst du schon etwas länger in unserer Familie.« Sie zwinkerte ihm zu, wurde aber schnell wieder ernst. »Niemand weiß von dem anderen Mann. Jedenfalls habe ich es niemandem erzählt, nicht mal deinem Großvater. Und nein, ich finde es überhaupt nicht gut, dass dieser andere Mann ...«

»Deacon«, unterbrach Paul sie, denn wenn er hier schon die Karten auf den Tisch legte, dann konnte er es genauso gut auch richtig machen. »Sein Name ist Deacon Gregory.«

Seine Großmutter sah ihn einen Augenblick verblüfft an, im nächsten lächelte sie und boxte ihm gegen den Oberarm. Sein empörtes »Aua.« ignorierte sie. »Du solltest sie beide dafür zur Rede stellen.«

»Was? Wieso?«

Emma verdrehte leise glucksend die Augen. »Weil du seit sehr vielen Jahren ein erwachsener Mann bist und wenn du die Männer, die du liebst, dabei ertappst, wie sie sich küssen, hast du ja wohl einer Erklärung verdient, oder nicht? Und wenn dir Deacon keine geben kann, hast du außerdem jedes Recht, ihm dafür die Nase zu brechen.«

»Grandma!«

Seine Großmutter prustete los.

 

Eine Stunde später war Paul allerdings jede Belustigung für den Rest der Nacht vergangen.

Das hatte er nun davon, dass er sich aus der Küche für die Nacht noch etwas zu trinken hatte holen wollen, statt einfach das Wasser aus der Leitung im Badezimmer zu nehmen. Wäre er ins Bad gegangen, würde er jetzt nicht im Flur an der Wand stehen und lauschen, wie in ihrer Küche seine älteren Brüder Cole, Dare und Finn darüber diskutierten, ob sie ihn auf seinen Freund ansprechen sollten, beziehungsweise eher darauf, dass er erstens wohl auf Ältere stand und zweitens scheinbar gleich mit zwei Kerlen auf einmal ins Bett ging.

Dass Paul letzteres bislang weder mit seinem Boss noch mit Deacon getan hatte – geschenkt. Er war nicht so schnell wie ein Teil seiner Brüder, was Sex anging. Nicht, dass er keinen hatte, aber als Halbkubaner im Anzug und noch dazu mit seinem Job war es nicht gerade leicht, willige Männer für Sex zu finden. Noch komplizierter wurde es, wenn man den Sex sehr gern mit Gefühlen verband und keine Lust hatte, sich ständig mit One-Night-Stands oder kurzweiligen Affären zu begnügen.

»Sprechen wir ihn jetzt darauf an oder nicht?«, fragte Dare auf einmal und bekam nur Schweigen zur Antwort. »Jetzt seht mich nicht an, als hätte ich vorgeschlagen, Grandpa davon zu erzählen. Ich bin doch nicht verrückt. Wenn er in zwei Männer verliebt ist, ist er eben in zwei Männer verliebt, na und?«

»Du weißt, dass Grandpa das dezent anders sehen wird«, warf Finn ein und das war ein Einwand, den Paul ebenfalls im Auge behalten musste, denn sein Bruder hatte das Ganze dank seiner extravaganten, erotischen Interessen schließlich erst vor ein paar Monaten am eigenen Leib erlebt. Mittlerweile war sein Großvater, wohl auch dank ihrer Väter, lockerer geworden und hatte akzeptiert, dass Finn in der Hinsicht etwas anders tickte, aber das bedeutete noch lange nicht, dass er nichts dazu sagen würde, dass Paul in zwei Männer gleichzeitig verliebt war. Die er jetzt ohnehin in den Wind schießen konnte.

»Mag sein, aber das geht ihn im Endeffekt nichts an. Wenn Paul glücklich ist, hat er das zu akzeptieren, und mal ehrlich, hast du vergessen, wie Leon diesen Deacon beschrieben hat?« Cole lachte leise. »Hätte ich nicht Derrick, würde ich ...«

Paul war so schnell in der Küche, dass seine Brüder allesamt zusammenzuckten und ihn ertappt ansahen. »Wag es ja nicht. Du hast vor Derrick die Typen gewechselt, wie andere Leute ihre Hemden, aber von Deacon lässt du genauso deine gierigen Finger wie von Jameson, ist das klar?«

Cole blinzelte überrascht. »Äh, dir ist bewusst, dass ich erst vor ein paar Stunden geheiratet habe?«

Oh. Ähm, ja. Das hatte er gerade irgendwie vergessen. Paul ärgerte sich über sich selbst und weil er gleichzeitig bockig und sauer war, verschränkte er die Arme vor der Brust und presste nur ein überhebliches »Und?« hervor, was Cole gegenüber sehr unfair war, aber das ging ihm erst auf, als sein Bruder ihn böse ansah und die Hände zu Fäusten ballte. Trotzdem brachte er es nicht über sich, seinen Trotzkopf zurückzuschrauben und sich zu entschuldigen.

»Keine Schlägerei mit dem Bräutigam«, murmelte Finn und stellte sich vor Cole, womit er ihren Blickkontakt unterbrach. »Vor allem nicht, weil der Garten immer noch voller Leute ist, von denen jederzeit einer in die Küche kommen und uns hier erwischen kann.« Finns Blick wurde tadelnd. »Paul, wir haben absolut keine Ahnung, welche Laus dir schon vor Tagen über die Leber gelaufen ist, weil du nicht darüber reden willst, aber normalerweise kannst du einen Scherz als solchen erkennen. Du weißt genau, dass Cole weder Derrick betrügen noch sich an deine Freunde heranmachen würde.«

»Ex-Freunde«, platzte aus Paul heraus, dann machte er auf dem Fuße kehrt, nur um in Blake und Corey zu laufen, die auf dem Weg zu ihnen waren und unverkennbar einiges mitgehört hatten, ihren mitfühlenden Blicken nach zu urteilen, die Pauls Laune noch weiter in den Keller trieb. »Vergesst es. Was habe ich auch erwartet? Außerdem erwischt man ja schließlich nicht jeden Tag seinen tollen Boss und seinen eigenen Freund beim Rumknutschen vor einem Italiener.« Paul winkte ruppig ab, als Blake etwas sagen wollte. »Lasst es. Ich gehe ins Bett.« Ihm fiel Cole wieder ein und Paul seufzte beschämt, bevor er zu seinem Bruder zurückschaute. »Es tut mir leid.«

Cole nickte. »Mir auch. Wegen Deacon und Jameson.«

Paul zuckte die Schultern, weil er nicht wusste, was er dazu noch hätte sagen sollen oder können. Es gab nichts mehr zu sagen. Und es würde auch nichts bringen, die beiden zur Rede zu stellen. Das machte es nicht besser und half ihm am Ende auch nicht über seinen Liebeskummer hinweg. Er hatte Deacon und Jameson aneinander verloren und das Beste, was Paul jetzt tun konnte, war, darüber hinwegzukommen und ihnen alles Gute zu wünschen.

Allerdings würde er sich ernst gemeinte Glückwünsche für die nächste Zeit doch besser sparen, denn noch war die Gefahr zu groß, dass er ausholte und sowohl Deacon als auch Jameson die Faust ins Gesicht schlug.

Paul stöhnte resigniert, als er kurz darauf mit einem Glas Wasser – weil er in der Küche nicht mehr daran gedacht hatte – aus dem Badezimmer in sein Zimmer trat und Leon auf seinem Bett liegend entdeckte. »Wer hat dich hergeschickt?«

»Cole.«

Na klar, der Älteste hielt sie zusammen – zumindest immer dann, wenn es um Sachen ging, die ihre Väter möglichst nicht oder zumindest noch nicht erfahren sollten. Paul verdrehte die Augen, stellte das Glas auf den Nachttisch und ließ sich so wie er war, samt Anzug und Schuhen, auf seine Tagesdecke fallen, und zwar bäuchlings, was Leon lachen ließ.

»Sie wissen Bescheid, oder?«, nuschelte er in die Decke und hörte seinen Bruder erneut lachen. »Ich schätze, ich will es gar nicht wissen.«

Leon stupste ihm neckend gegen den Oberarm. »Sofern du damit auf die Tatsache anspielst, dass du dir im Moment wohl zwei Männer gleichzeitig warm hältst, dann ja, das weiß jeder unserer Brüder. Aber ich habe keinen Aushang am Schwarzen Brett gemacht, bevor ich herkam, also gilt das nicht für jeden in unserer riesigen Familie.«

Paul drehte sich auf die Seite. »Hat Cole dir erzählt, was in der Küche vorgefallen ist?«

Leon drehte sich ihm zugewandt ebenfalls auf die Seite und sah ihn an. »Ja. Jeder weiß längst von Jameson, auch Grandpa. Was bislang keiner wusste, war, dass es Deacon gibt. Ich habe euch vor ein paar Monaten zufällig in der Stadt gesehen, als ich einkaufen war, und meine Schlüsse gezogen.«

Boston war offensichtlich ein Dorf – zumindest wenn es um Geheimnisse ging, von denen Mann, also in dem Fall er selbst, nicht wollte, dass sie demnächst ans Licht kamen. Tja, da sich das nun erledigt hatte, konnte er auch offen mit Leon reden. Es wäre schließlich nicht das erste Mal. Leon und er teilten einige Geheimnisse, gerade aus ihren jüngeren Jahren, von denen ihre Familie nicht das Geringste wusste.

»Warum hast du nichts gesagt?«, fragte er.

Sein Bruder zuckte die Schultern. »Warum hätte ich das tun sollen? Wenn du dazu bereit gewesen wärst, hättest du ihn uns schon vorgestellt. Ich war anfangs ein bisschen verwundert, da schließlich Jameson von Brahms der Favorit unserer Väter und auch von Grandpa ist«, Paul stöhnte erneut und Leon gluckste, »und ich wette Stein und Bein, dass er gerade dabei ist, einen Plan zu schmieden, um euch zu verkuppeln.«

Paul gestand sich ein, dass er, auch wenn er immer wieder und überall das Gegenteil behauptete, insgeheim nicht einmal etwas dagegen gehabt hätte, schließlich hatte ihr Großvater in den letzten dreieinhalb Jahren bereits fünfmal eine verdammt gute Nase dafür bewiesen, welche Art von Männern zu seinen Brüdern passten. Und Jameson hätte mit Sicherheit gut zu ihm gepasst, allein schon da sie dasselbe Faible für teure Kleidung und gut sitzende Anzüge teilten. Ja, okay, das war kein echter Grund, vor allem da Deacon keinen Anzug zu besitzen schien und die meiste Zeit in seiner Ausbilderkluft herumlief, aber es war dieser krasse Gegensatz, der Paul so heftig zu diesen zwei Männern hingezogen hatte – und beide zueinander.

»Tja, der Zug ist nun sprichwörtlich abgefahren«, murmelte er und drehte sich enttäuscht seufzend auf den Rücken, wobei er dennoch weiter zu Leon sah, der jetzt nickte.

»Ich weiß. Cole ist stinksauer deswegen und überlegt, dem Kerl eine reinzuhauen.«

Paul schmunzelte. »Das mache ich lieber selbst, danke. Dad fände es bestimmt nicht lustig, seinen frisch verheirateten Sohn aus dem Knast holen zu müssen. Und ich möchte lieber nicht wissen, was Derrick mit Cole anstellt, wenn er davon erfährt. Du weißt, unser Schwager ist bei Gewalt etwas eigen und sieht sich gerne als Pazifist.«

»Ich richte Cole deine Bedenken natürlich sehr gerne aus«, erklärte Leon hoheitsvoll und Paul schnaubte. »Was? Glaubst du mir etwa nicht?«

»Leon!«

Sein Bruder kicherte und zwinkerte ihm zu. »Keine Sorge, Derrick wird ihn davon abhalten, weil er der Meinung ist, dass Cole den Jungs ein gutes Vorbild sein muss. Auch wenn sie am Ende trotzdem nackt auf seinen Tischen tanzen werden.«

Oh Gott, nicht das Endlosthema wieder. Paul winkte hastig ab, sein Bruder fing an zu grinsen und im nächsten Moment lagen sie beide lachend auf dem Bett, weil es einfach zu lustig war, zu beobachten, wie Cole sich sträubte und sträubte, dabei hatten Logan und Matt ihn längst in der Hand. Die zwei waren tolle Jungs und sie wollten schon so lange in Coles Bars tanzen, dass Paul sicher war, sie eines Tages auf der Bühne zu sehen. In seinen Augen war das nur noch eine Frage der Zeit.

Leon setzte sich neben ihm auf und in einen Schneidersitz. »Also? Was wirst du unternehmen? Kämpfst du um Jameson und schießt diesen Deacon in den Wind? Oder kämpfst du um beide Männer? Denn offensichtlich magst du ja beide.«

Und dazu würde er sich hier und jetzt mit Sicherheit nicht äußern. Nicht einmal vor seinem Bruder. Stattdessen schürzte Paul die Lippen. »Wer sagt denn, dass ich kämpfen werde?«

Jetzt war es an Leon aufzustöhnen. »Warum wusste ich nur, dass du das sagen würdest?«

»Weil wir zwei uns in der Hinsicht recht ähnlich sind.« Paul rieb sich die müden Augen. »Ich bin ein Mischling, den keiner will, und du ein Schokoladenkeks mit demselben Schicksal.«

Leon zog eine Grimasse. »Lass das ja nie Maximilian oder Elias hören. Ich frage mich immer noch, ob wir ihnen damals nicht davon hätten erzählen sollen. Maximilian hätte ihn ohne zu zögern rausgeworfen, bevor er … Du weißt schon.«

Ja, das wusste Paul nur zu gut, aber sie hatten beide nichts gesagt. Bis heute nicht. Niemand wusste, dass der ehemalige Bibliothekar des Zentrums sie einmal hinter den Bücherregalen mit billigem Fusel und Joints erwischt hatte, doch anstatt sie zu verraten, hatte er ihnen beides abgenommen, sie wegen ihrer Hautfarben beleidigt und war einige Monate später von ihrem Vater Maximilian mit den Fäusten und einer riesigen Menge Wut im Bauch aus dem »Boston Hearts« getrieben worden, als sich herausstellte, dass der Mistkerl den verletzlichen Kids im Zentrum nachstellte.

Paul erinnerte sich noch sehr gut daran, dass anschließend die Sicherheitsvorkehrungen im Zentrum für lange Zeit massiv verstärkt worden waren, vor allem wenn es um Einstellungen für Lehrer und überhaupt für Mitarbeiter ging, und er wusste, dass seine Väter sich in den folgenden Wochen um das Opfer gekümmert hatten, das heute irgendwo unter anderem Namen ein glückliches Leben führte.

Etwas, das Paul sich für sich selbst, aber vor allem auch für Leon und Luca wünschte, der so sehr in seiner Musik und dem Traum, eines Tages ein erfolgreicher Musiker zu sein, aufging, dass Paul manchmal Angst davor hatte, dass Luca irgendwann den Blick für die alltägliche Realität verlor.

Aber selbst wenn das tatsächlich geschah, würde Luca sich nie mit Leons oder seinen Problemen herumschlagen müssen, denn ihr jüngster Bruder war ein schlanker, blonder Sonnyboy mit tiefblauen Augen, den er in Gedanken schon öfter mit dem jungen Jared Leto verglichen hatte, und das nicht nur weil Leto ebenfalls ein Musiker war. Luca hatte eine tolle Stimme und er würde irgendwann groß rauskommen, daran glaubte Paul fest. Wenn er doch nur in sich selbst denselben unerschütterlichen Glauben gehabt hätte.

Doch Leon als schwarzer Mensch aus Nigeria und er selbst als Halbkubaner – sie würden immer mit Vorurteilen kämpfen müssen, ganz gleich, wer ihre Väter waren. Dieses Land hatte sich durch ihren letzten Präsidenten wieder einen gewaltigen Schritt zurückentwickelt, was Rassismus und Homophobie in all seinen Formen anging, und es war mehr als fraglich, ob ihr derzeitiger Präsident es schaffen konnte, die vielen, tiefen Risse zu kitten, die diese orangefarbene Bowlingkugel in vier Jahren auf so unfassbare Weise vergrößert hatte.

Pauls Hoffnung war jetzt, dass man es irgendwie schaffte, zu verhindern, dass dieser Verrückte ein zweites Mal zur Wahl antrat, denn sonst sah er schwarz für die USA und außerdem für seine Karrierepläne. Ein kubanischer Oberstaatsanwalt war im Augenblick genauso unwahrscheinlich wie eine weibliche und zudem dunkelhäutige Präsidentin, die es bereits zur Vize gebracht hatte, obwohl Paul ihr den Job durchaus zutraute.

»Wir könnten es ihnen jetzt sagen«, schlug Leon leise vor, was Paul nicht mal mehr ein müdes Kopfschütteln entlockte, da sie darüber nicht zum ersten und wahrscheinlich auch nicht zum letzten Mal diskutierten.

»Und was würde es ändern? Das Ganze ist viele Jahre her. Sie wären im Höchstfall enttäuscht, dass wir nicht gleich etwas gesagt haben.« Paul kam ein Gedanke und er warf Leon einen warnenden Blick zu. »Mach das ja nicht. Wir sind nicht schuld daran, was der Mistkerl getan hat, das weißt du. Wir wussten überhaupt nichts davon. Woher auch?«

»Wenn Maximilian ihn damals rausgeworfen hätte, weil er ein Rassist war ...«

»Hätte er woanders ein Kind missbraucht und wäre damit vielleicht sogar davongekommen«, unterbrach er Leon, weil er keine Lust hatte, schon wieder dieses Gespräch zu führen, das am Ende ohnehin zu nichts führte, da sie nicht den Mut hatten, reinen Tisch zu machen. »Im Zentrum hat man ihn wenigstens erwischt und er darf nie wieder mit Kindern arbeiten.«

»War es das wert?«, wollte Leon daraufhin wissen und Paul schnaubte.

»Fragst du mich das gerade ernsthaft? Ich bin Anwalt für Strafrecht, Leon, und unsere Väter haben dafür gesorgt, dass sein Opfer alle Hilfe bekommt, die es nötig hatte. Ihm geht es heute gut. Wenn du mich also wirklich ernsthaft fragst, ob ein einzelnes Opfer besser gewesen ist als zehn oder zwanzig oder sogar noch mehr, dann ja, war es das wert.«

»Und was ist mit den vielen Opfern, von denen wir nichts wissen?«, hielt Leon dagegen und Paul schüttelte den Kopf.

»Denk an ihren Aufruf. Sie haben öffentlich nach weiteren Opfern gesucht, es meldete sich niemand. Auch wenn das erst mal nichts heißen muss, ist es leider alles, was Dad tun konnte. Ich weiß nur eines, nämlich, dass unser Schweigen wegen dem Schnaps und den Joints weitere Opfer verhindert hat, da er im Zentrum erwischt worden ist. Das mag keine perfekte Lösung sein, aber die gibt es ohnehin nicht. Wenn ich eines als Anwalt gelernt habe, dann das.«

Daraufhin sagte Leon nichts mehr, sondern schaute sich in seinem Zimmer um, wobei es da nicht viel zu sehen gab. Paul hatte es vor ein paar Jahren das letzte Mal gestrichen und sich im Zuge dessen ein neues Bett gekauft und seinen Schreibtisch entsorgt, da er ohnehin lieber unten im Wohnzimmer arbeitete, wenn er sich Akten mit nach Hause nahm. In der freien Ecke stand heute ein Regal voller Bücher und den alten Star Wars – Figuren, die er mal gesammelt hatte. Sonst gab es nur das Bett,  Nachttische zu beiden Seiten, einen großen Einbauschrank und zwei Kommoden, in denen er jede Menge Kram aufbewahrte. Dazu kamen ein paar Grünpflanzen, die er ständig vergaß zu gießen, und Bilder an den Wänden. Paul sah sie gar nicht, weil es für ihn einfach ein Zimmer war. Es war das ganze Haus, das er als sein Zuhause ansah, und eines Tages würde er ebenfalls ein Haus besitzen.

Es musste nicht groß sein, es musste nur ausreichend Platz für einen Ehemann und zwei bis drei Kinder haben. Und einen Garten. Wo er eine Schaukel aufhängen würde, wie seine Väter es letztes Jahr für Lilly getan hatten. Und wo er viele Beete mit bunten Blumen und ein paar Obstbäume haben würde. Ach ja, und er wollte unbedingt Haustiere haben. Vielleicht ein Hund oder zwei, drei Katzen. Hasen wären bestimmt faszinierend zu halten. Oder lieber ein paar freche Hühner?

Sein Bruder Finn liebte das Federvieh und gegen gekochte Eier am Frühstückstisch hatte schließlich kaum jemand etwas einzuwenden, vor allem nicht, wenn sie aus eigener Haltung kamen. Oh ja, einen Stall mit gackernden Hühnern – er würde auf jeden Fall ernsthaft darüber nachdenken, sobald es einen neuen Kandidaten gab, der als Ehemann für ihn infrage kam.

»Es bringt nichts, zurückzuschauen, Leon«, murmelte Paul und gähnte. »Wir haben nichts Falsches getan, im Gegenteil.«

Sein Bruder seufzte leise. »Ich weiß ja, das du grundsätzlich recht hast, aber …« Leon schwieg für einen Augenblick. »Weißt du, ich wünsche mir manchmal, ich wäre genauso pragmatisch oder wohl eher realistisch wie du. Das würde mein Leben um einiges einfacher machen.«

Er sah zu Leon auf. »Ist ja komisch, denn ich wünsche mir immer wieder, ich wäre etwas gefühlsbetonter. Das würde mir die Arbeit mit meinen oft sehr nervösen Klienten mit Sicherheit um einiges erleichtern.«

 

 

Kapitel 2

Jameson

 

 

 

 

»Wir müssen reden.«

Das war Jameson von Brahms bereits bewusst gewesen, als er Deacons Wagen nach Feierabend vor seiner Kanzlei entdeckt hatte, und als sein Mann, statt mit ihm zu fahren, ihm mit dem eigenen Wagen nach Hause gefolgt war, wusste er, dass sie ein Problem hatten. Deacon Gregory hielt nur Abstand, wenn ihm etwas die Laune verhagelt hatte oder er irgendeinen Gedanken im Kopf wälzte – heute schien es Letzteres zu sein.

Nicht, dass Jameson davon wirklich überrascht war. Seiner Meinung nach, war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sein Plan ihnen auf die Füße fallen würde, aber ihm war leider kein besserer eingefallen, um Paul Jones für sie zu gewinnen, also würde er jetzt auch für das Chaos geradestehen, das er damit auf den Weg gebracht hatte. Denn er wollte Paul noch immer und wenn ihn seine Menschenkenntnis nicht vollends im Stich gelassen hatte, wollte der ihn ebenfalls. Das Problem war nur, dass er auch Deacon wollte, also in zwei Männer gleichzeitig verliebt war, und damit nicht gut klarkam.

Nun, für Jameson war das kein Problem, immerhin war er mit Deacon schon mehr als zehn Jahre verheiratet. Leider hatte Paul von diesem klitzekleinen Detail keine Ahnung, da sie vor ein paar Monaten entschieden hatten, es ihm vorerst nicht zu erzählen, um ihn nicht zu erschrecken. Eine Dreierbeziehung war schließlich nichts Alltägliches und Deacon und er suchten schon lange nach einem dauerhaften dritten Partner. Doch sie hatten bereits so viele enttäuschende Erfahrungen durchstehen müssen, dass sie beide Angst gehabt hatten, mit Paul würde es genauso laufen.

Deswegen hatten sie, jeder für sich allein, seit dem Frühjahr um Paul geworben, und der hatte sich in letzter Zeit merklich Deacon zugewandt, war damit aber unübersehbar nicht gerade glücklich. Jameson hätte seinen besten und teuersten Anzug im Schrank darauf gewettet, dass Deacon genau aus dem Grund jetzt hinter ihm herfuhr, anstatt auf dem Beifahrersitz zu sitzen und ihn mit seinen unanständigen Händen völlig verrückt zu machen, so wie er es immer tat, sobald sie gemeinsam ein Auto benutzten.

Jameson öffnete das Tor vor ihrem Grundstück mit einem Klick auf der Fernbedienung, gab dann den Sicherheitscode ein und wartete hinter dem Tor, bis Deacon an ihm vorbeigefahren war, bevor er es sofort wieder schloss.

Als er Deacon die lange Zufahrt folgte und dann ihr Haus in sein Blickfeld kam, musste er unwillkürlich lächeln. Es war schon längst offiziell ihrer beider Haus – laut Deacon eine viel zu große Protzvilla – und trotzdem amüsierte er sich jedes Mal aufs Neue über die unglaubliche Dickköpfigkeit seines Mannes und ihre tagelangen Streits, nachdem er einfach die Papiere für das Haus geändert hatte, ohne Deacon das vorher zu erzählen. Oh ja, sein Ehemann hatte lästerlich geflucht, ihn sogar einen Idioten genannt, und ihn anschließend mehrere Wochen allein in dem großen Schlafzimmer mit angeschlossenem Bad und einem Balkon übernachten lassen, bis er schließlich doch noch sein Apartment gekündigt hatte und zu ihm gezogen war.

Deacon warf ihm regelmäßig vor, zu oft Nägel mit Köpfen zu machen, statt Dinge vernünftig auszudiskutieren, und dem konnte er leider nicht widersprechen, weil er es einfach nicht anders kannte. So war er groß geworden und als Anwalt mit einer eigenen Kanzlei, die auf das Strafrecht spezialisiert war, leisteten ihm sein – jedenfalls laut Deacon – nerviger Sturkopf und sein unbändiges Durchsetzungsvermögen vor Gericht und in Verhandlungen mit dem Staatsanwalt in den meisten Fällen ganz wunderbare Dienste.

Dass es im Privatleben nicht ganz so einfach war und man manchmal besser Kompromisse schloss – nun ja, das würde er gleich wieder zu hören bekommen.

»Wir müssen es ihm endlich sagen.«

Deacon lehnte mit finsterem Blick und abwehrend vor der Brust verschränkten Armen an seinem SUV, als Jameson seinen Audi A8 neben ihm parkte und ausstieg. Seine dunklen Augen blickten noch finsterer drein, als er sich davon nicht stören ließ, sondern auf Deacon zutrat und ihn ruppig am Oberteil seiner schwarzen Kampfmontur packte, um ihn zu küssen. Er musste direkt vom Trainingsgelände gekommen sein, ohne vorher zu duschen oder sich umzuziehen. Jameson wäre am liebsten hier und jetzt über ihn hergefallen, und warum tat er es eigentlich nicht? Das ganze Grundstück war mit einer Alarmanlage und Überwachungskameras gesichert, und zusätzlich durch Zäune und dichten Bewuchs vor fremden Blicken geschützt.

Außerdem gab es kein Personal mehr, das neugierig hätte zusehen können, seit Deacon ihm kurz nach ihrer Hochzeit gestanden hatte, dass er sich unwohl damit fühlte, dass fremde Menschen für sie kochten und putzten. Also hatte Jameson am nächsten Tag dafür gesorgt, dass ihre Köchin und die Putzfrau neue Jobs bekamen und den beiden zusätzlich eine anständige Abfindung bezahlt. Den einzigen Luxus, den er ihnen immer noch gönnte, war eine professionelle Reinigungsfirma, die das gesamte Haus jeden Monat vom Keller bis auf den Dachboden säuberte. Ach ja, und ein Gärtner kam auch regelmäßig vorbei, weil sein Grundstück schlichtweg zu groß war, als dass Deacon und er sich vernünftig darum hätten kümmern können.

Dass Deacon und er nicht mal ein Ei hatten kochen können, nachdem sie keine Köchin mehr hatten – nun ja, ein Jahr und einige Kochkurse später waren sie dazu in der Lage gewesen, für sich selbst zu sorgen und mit der Zeit hatten dann auch die Verfärbungen seiner weißen Hemden durch Deacons zumeist bunte Socken nachgelassen.

Gott, er liebte sein ruhiges Leben mit diesem manchmal so bockigen Ex-Marine, der heute Polizisten in Selbstverteidigung ausbildete, während er selbst Menschen verteidigte, die wegen ihrer Herkunft und Hautfarbe für schuldig gehalten wurden, obwohl sie es in den wenigsten Fällen waren. Nicht, dass seine Klienten immer unschuldig waren, im Gegenteil. Er hatte vom Drogendealer bis hin zum Schläger alle verteidigt, und er hatte genauso oft Fälle verloren wie gewonnen. Dennoch kamen sie immer wieder zu ihm, weil er sich mit seiner Kanzlei in den letzten Jahren den Ruf erarbeitet hatte, ehrlich, hart und fair zu sein, und für seine Klienten das beste rauszuholen, selbst wenn das am Ende eine Haftstrafe bedeutete.

»J., ich muss wirklich erst duschen«, murmelte Deacon und schien zu überlegen, ob er weitermachen oder lieber erst seine Debatte wegen Paul beenden wollte.

Jameson nahm ihm die Entscheidung ab. »Für mich riechst du gut genug. Zieh dich aus, Deacon. Ich werde dir zuerst den Hintern lecken und dich danach so tief in meinen Mund stoßen lassen, wie du es willst und brauchst.«

Die dunklen Augen weiteten sich begehrlich. »Hier?«

»Oh ja«, flüsterte er, legte seinen Aktenkoffer auf das Dach des SUV und stützte sich hinterher mit den Händen links und rechts von Deacon am Wagen ab.

---ENDE DER LESEPROBE---