Apfeltraum mit Schuss - Mathilda Grace - E-Book

Apfeltraum mit Schuss E-Book

Mathilda Grace

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Beschreibung

Auf ältere Männer zu stehen, wenn man selbst erst in den Zwanzigern und noch dazu Polizist ist – nein, einfach hatte ich es nie, einen Freund zu finden. Daher beschränkte ich mich lange Zeit auf Affären mit heißen Bären, um wenigstens regelmäßig Sex zu haben. Doch seit ich vor zwei Jahren den damals 15-jährigen Neffen meines besten Freundes kennengelernt habe, frage ich mich, ob mein Faible für ältere Männer nur Einbildung war, weil Julian Baum auf mich eine Anziehungskraft ausübt, die mir nicht geheuer ist. Und dass er davon weiß, macht es nicht leichter, denn Julian ist fest entschlossen, mich in sein Bett zu bekommen, und zwar mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln.

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Seitenzahl: 430

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Mathilda Grace

APFELTRAUM MIT SCHUSS

 

 

Apfeltraum mit Schuss

1. Auflage, November 2021

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

© 2021 Mathilda Grace

Am Chursbusch 12, 44879 Bochum

Text: Mathilda Grace 2020

Foto: Anyt_Havaub; Pixabay

Coverdesign: Mathilda Grace

Korrektorat: Corina Ponta

 

Web: www.mathilda-grace.de

 

Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.

 

Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden.

 

Apfeltraum mit Schuss enthält homoerotische Szenen.

 

 

 

 

 

Mathilda Grace

 

 

 

 

 

 

Humorvoller Liebesroman

 

 

Liebe Leserin, Lieber Leser,

 

ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.

 

Mit deinem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.

 

Dankeschön.

 

Liebe Grüße

Mathilda Grace

 

 

Vorwort

 

Dieser Roman enthält folgende Dinge: (wieder) jede Menge schrägen Humor und verschrobene Charaktere. Dazu kommen ein zerbeulter Polizist mit Schmerzen, peinliche Sexgespräche, Äpfel in allen Variationen und (erneut) einiges an Schmuddelkram.

 

Absolut nicht ernst zu nehmen.

Könnte sogar einen Zuckerschock auslösen.

 

Ach ja, die Autorin übernimmt keine Haftung für vom Lachen schmerzende Bauchmuskeln oder beim Lesen über Reader & Taschenbücher gespuckte Getränke.

 

 

Auf ältere Männer zu stehen, wenn man selbst erst in den Zwanzigern und noch dazu Polizist ist – nein, einfach hatte ich es nie, einen Freund zu finden. Daher beschränkte ich mich lange Zeit auf Affären mit heißen Bären, um wenigstens regelmäßig Sex zu haben. Doch seit ich vor zwei Jahren den damals 15-jährigen Neffen meines besten Freundes kennengelernt habe, frage ich mich, ob mein Faible für ältere Männer nur Einbildung war, weil Julian Baum auf mich eine Anziehungskraft ausübt, die mir nicht geheuer ist. Und dass er davon weiß, macht es nicht leichter, denn Julian ist fest entschlossen, mich in sein Bett zu bekommen, und zwar mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln.

 

 

Prolog

 

 

 

 

»Falls Matthias das jemals herausfindet, fesselt er mich mit meinen eigenen Handschellen ans Bett, versohlt mir den Arsch, dass ich eine Woche lang nicht mehr sitzen kann, und jagt mich anschließend mit einem Tritt aus dem Haus.«

»Du musst es ihm ja nicht verraten.«

Ich stöhne laut auf und schnaube, weil die einzige Antwort neben mir Gelächter ist. Typisch. Und zugleich herrlich, denn nur seine Stimme reicht aus, um mich wieder zu erregen, was nach den drei atemberaubenden Orgasmen in den letzten zwei Stunden eigentlich völlig unmöglich sein sollte. Aber mit ihm ist absolut nichts unmöglich, wie mir scheint.

»Das ist nicht lustig«, grolle ich, in dem kläglichen Versuch, wenigstens einmal der Erwachsene von uns zwei zu sein, und scheitere – wie so oft in den vergangenen Monaten, seit er das erste Mal an meinem freien Tag unten vor der Tür stand und mir mit sehr deutlichen Worten zu verstehen gegeben hat, dass ich mir das mit uns und einer gemeinsamen Zukunft knicken kann, wenn ich ihn nicht endlich küssen würde.

Tja, geküsst haben wir uns an dem Tag dann ziemlich oft. Allerdings dauerte es einige Zeit, bis wir dabei auch endlich bei unseren Lippen ankamen.

Mir hat noch zwei Tage später der Schwanz wehgetan, weil Quantität eben nicht Qualität ist, aber mittlerweile hat er in der Beziehung einiges dazugelernt. Schließlich wollte ich mir nicht nachsagen lassen, ein mieser Lehrer zu sein, wenn ich schon der mit der Erfahrung bin.

Seither nutzen wir jeden meiner freien Tage und natürlich jede sturmfreie Bude – von denen uns Matthias und Hannes so einige bieten, seit sie ganz offiziell Pflegeväter für drei quirlige Teenager sind, die sehr viel Beschäftigung brauchen, damit sie keinen Unsinn anstellen – für heimliche Stelldicheins, und statt mich langsam an ihn und seine Nähe zu gewöhnen, werde ich mit jedem Mal nur süchtiger nach mehr.

»Für mich schon«, murmelt er frech und kneift mir danach in die rechte Brustwarze. Ich zucke zusammen. »Weichei. Wer hat mir das denn beigebracht?«

Oh, dieser verflixte Bengel. »Julian!«

»Außerdem kann er dich überhaupt nicht rauswerfen, das Haus gehört zu einem Drittel dir, schon vergessen?«

»Wie könnte ich das vergessen?«, kontere ich und reibe mir übertrieben jammernd die arme, malträtierte Brustwarze. »Wer hatte letztes Jahr noch mal die irre Idee, das Haus kurzerhand unter Matthias, Hannes und mir aufzuteilen, um die Kosten ab sofort gerechter zu verteilen?«

»Du?«

Ich stöhne erneut. »Und wieso habe ich das getan?«

»Weil Onkel Matti ein ganz gemeiner Knochen war und die Miete, die du und Hannes ihm gegeben habt, lieber heimlich in den halben Zoo von behinderten Haustieren investiert hat, den ihr alten, weichherzigen Männer mittlerweile euer Eigen nennt, anstatt für ihren angedachten Zweck? Was übrigens richtig toll ist, obwohl ich bis heute nicht verstehe, warum ihr unbedingt dieses Minischwein nehmen musstet.«

»Alte, weichherzige Männer?« Ich sehe ihn finster an, als er wieder lacht. »Du bist gerade mal siebzehn Jahre alt. Hör auf, so vernünftig zu argumentieren. Und das Minischwein hat nur drei Beine und heißt Fred. Also ...«

»Ich weiß.« Julian grinst und beugt sich über mich. »Du bist so ein Weichei geworden, sobald es um kranke Tiere geht. Und was das argumentieren angeht: Irgendeiner muss es ja tun, ihr drei kriegt das schließlich nie auf die Reihe, wenn ihr euch mal wieder wegen der Unterhaltskosten zankt. Wüsste ich es nicht besser, würde ich glatt denken, ihr hättet eine wilde, heiße und unglaublich schmutzige Dreiecksbeziehung. Du weißt schon … Es waren einmal drei sexy Bären, die ...«

»Julian!«

Er kichert und küsst mich dann sanft. »Wenn man euch so zusieht, ist es kein Wunder, dass ich der Erwachsene in unserer Beziehung bin.«

Ich werde ihm auf gar keinen Fall zustimmen, obwohl er da leider Gottes recht hat, denn Matthias, Hannes und ich streiten uns wirklich wie ein altes Ehepaar. »Himmel, ich muss völlig verrückt gewesen sein, dazu Ja zu sagen.«

»Ich bin eben unwiderstehlich«, murmelt Julian und erhebt sich, um seinen schlanken, jugendlichen Körper in Kleidung zu hüllen, die ich als sehr störend empfinde, und das weiß er ganz genau, seinem schelmischen Grinsen nach zu urteilen. Na gut, er weiß es vor allem daher, weil ich allein von seinem Anblick schon wieder hart werde. »Sehr lecker«, kommentiert er mein pochendes Geschlechtsteil und leckt sich hinterher in einer Art und Weise über die Lippen, die mich gequält aufkeuchen lässt. »Tja«, meint er dazu überheblich und schlüpft in seine Schuhe. »Ich würde mich ja liebend gerne darum kümmern, immerhin habe ich in den letzten Wochen ausführlich an Bananen, einer Gurke und dir geübt ...«

Er hat mit einer Gurke …? Ich ächze fassungslos.

»... aber du hast ja vorhin beschlossen, dass wir erst wieder Sex haben, wenn ich achtzehn bin und das ist nun mal erst in«, er sieht mich überheblich an, »fünf Monaten!«

Bevor ich irgendwie reagieren kann, hockt er über meinen Oberschenkeln und betrachtet meinen schmerzenden Schwanz aus nächster Nähe.

»Guck ihn dir an, er weint. Ich schätze, er vermisst meine warmen, feuchten und weichen Lippen jetzt schon.«

Er rückt mit seinem Gesicht noch etwas näher heran, bis ich seinen heißen Atem auf meiner Haut spüre und die Hände ins Bettlaken krallen muss, weil ich sonst etwas wirklich sehr, sehr Dummes tue. Und das sollte ich tunlichst vermeiden, denn wir sind in Matthias' Haus und in spätestens einer Stunde stehen der und Hannes mit Torben, Niklas und Jonas wieder hier auf der Matte. Bis dahin muss Julian weg sein und ich sollte besser wieder in meine enge Jeans passen, sonst braucht Matthias nur einen Blick, um eins und eins zusammenzuzählen, was mich und seinen Neffen angeht. Es ist schlimm genug, dass Hannes uns erst letztens unter der Dusche erwischt, aber um des lieben Hausfriedenswillen beschlossen hat, so zu tun, als wüsste er von nichts.

»Nächstes Mal treffen wir uns bei dir.« Ich wimmere, als er kühlere Luft über meine Eichel pustet. »Himmel, Julian ...«

»Vergiss es. In mein Bett lasse ich dich erst, wenn du auch vorhast, mich darin zu vernaschen.« Er richtet sich auf, grinst und packt dann abrupt mit der Hand zu. Sein Daumen landet auf meiner Eichel und drückt zu. Ich krümme mich förmlich auf dem Bett zusammen und japse erschrocken nach Luft, aber da hat er mich schon wieder losgelassen und ist aufgestanden. »Fünf Monate«, erklärt er hoheitsvoll, wirft mir eine Kusshand zu und macht kehrt.

Kurz darauf knallt unten die Haustür zu, während ich noch darum kämpfe, nicht allein von der Erinnerung an diese geilen Finger um meinen noch geileren Schwanz zu kommen. Gott, wo lernt dieser Bengel solche Sachen nur? Und bei Gott, werde ich es überhaupt überleben, wenn die fünf Monate endlich um sind? Wahrscheinlich nicht. Und warum, in Dreiteufelsnamen, habe ich vorhin noch mal beschlossen, dass wir jetzt anständig sein müssen, nachdem wir schon jeden Millimeter vom Körper des anderen mit den Händen und dem Mund erkundet haben, und die kommenden Wochen und Monate abstinent abwarten? Ich lasse mich frustriert stöhnend zurück aufs Laken sinken. Ja, ich bin eindeutig verrückt geworden, denn wie soll ich bitte für zwanzig elend lange Wochen die Finger von ihm lassen?

»Wuff.«

Mein Blick wandert zum Fenster, wo unter der Heizung ein dickes Kissen liegt, auf dem ein süßer, sehr frecher Terrier sitzt, der mich genauso sehr liebt, wie seine anderen zwei Herrchen. »Was?« Ich sehe von meinem immer noch pochenden Schwanz zu Ripley und verdrehe amüsiert die Augen. »Gefällt er dir in dem Zustand etwa nicht? Also mir schon. Oder vergibst du seit Neuestem Haltungsnoten?«

»Wuff.«

 

 

1

 

 

 

 

»Ich würde dich am liebsten umbringen.«

Sagt er das jetzt zum dritten oder vierten Mal in der letzten halben Stunde? Sicher bin ich mir nicht, weil er schon leise vor sich hin grummelt, seit wir das Krankenhaus verlassen haben, und langsam fange ich an, mir Sorgen zu machen, denn er soll sich nicht so aufregen. Sein Herzinfarkt mag Jahre her sein und es geht ihm längst wieder gut, dennoch achten wir alle darauf, dass Matthias es im Alltag, mit der Arbeit in seinem Café und allem anderen nicht übertreibt.

»Matti ...«

»Nenn mich nicht Matti!«, schimpft er sofort und schmiert weiter behutsam meine Prellungen mit der Salbe ein, die man mir dafür verschrieben hat.

»Reg dich doch nicht so auf.«

»Wenn mein bester Freund beinahe ermordet wird, rege ich mich auf, soviel ich will, du Superkommissar.«

So schlimm war es nun auch wieder nicht, aber das sage ich ihm besser nicht, weil er mir sonst vermutlich auch das andere Auge blau haut und dann wäre ich erst mal blind, was sich als Polizist nicht gerade gut macht, obwohl ich ohnehin vorläufig krankgeschrieben bin. Mit meinen Verletzungen ist arbeiten bis auf Weiteres auch gar nicht möglich.

»Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass es eine blöde Idee ist, diese Demonstration zu begleiten, nachdem die Linken von Anfang an mit Gewalt gedroht haben, aber hörst du auf mich? Nein! Man kann keine Kundgebung der AfD bewachen, ohne dass dabei irgendetwas schiefgeht. Und wieso, zum Teufel, hat die Stadt es überhaupt erlaubt, dass diese Idioten heute auf die Straße gehen? Lernt in diesem Land eigentlich keiner je dazu? Tja, offensichtlich nicht, sonst würdest du jetzt nicht aussehen wie Quasimodo.«

Oh je, ich ahne, wohin das führt. »Matti ...«

»Nichts Matti!«, flucht er, sieht kurz auf meine Wange, holt tief Luft und nimmt sich dann die nächste Prellung vor. »Es hat sich ausgemattit, und zwar für immer.«

»Das Wort gibt es nicht«, murmelt Hannes an der Tür, hält aber klugerweise den Mund, als Matthias ihm einen finsteren Blick zuwirft, der eindeutig besagt, dass unser Doktor Dolittle die Nacht auf der Couch verbringen darf, falls er es wagt, noch einen schlauen Kommentar von sich zu geben.

Deswegen beschränkt sich Hannes darauf, mir lieber einen mitleidigen Blick zuzuwerfen und die Schultern zu zucken, als ich ihn bettelnd ansehe, damit er mich vor Matthias' Fürsorge rettet. Von der Seite ist also eindeutig keine Hilfe zu erwarten. Was mich allerdings nicht sonderlich überrascht, denn Hannes ist keinen Deut besser als Matthias, wenn es um verletzte Tiere geht, und seit die beiden verheiratet sind, drei Jungs aufziehen und sich im Haus und draußen im Garten jede Menge tierische Findelkinder tummeln, ist ihr Beschützerinstinkt noch größer geworden, als er es ohnehin bereits war.

»Statt also diese Intelligenzsuchenden mit einem mächtigen Tritt ins nächste Grubenloch zu befördern, lässt man sie gegen das eigene Land demonstrieren und schickt junge Polizisten an die Front, die dann von Linksextremen auf offener Straße mal eben zusammengetreten werden. Wir haben dich alle gewarnt, dass das passieren wird, aber du hast dich trotzdem freiwillig zum Dienst gemeldet.«

»Matthias, bitte ...«, versuche ich es zum x-ten Mal, obwohl mir klar ist, dass ich keine Chance habe.

Das Thema ist bereits seit Wochen ein Streitpunkt zwischen uns und so wie ich jetzt aussehe, habe ich leider kein einziges Argument mehr, um ihn möglicherweise doch noch davon zu überzeugen, dass Demokratie eben nicht darin besteht, andere Meinungen einfach als Fake zu betiteln, sobald sie einem nicht in den Kram passen. Wir sind hier immer noch in Deutschland und nicht in den USA.

»Nein!«, grollt er und schnaubt hinterher. »Wenn du nicht schon so zerbeult wärst, würde ich dir gleich mal kräftig in den Arsch treten, weil du es verdient hast. Und komm mir ja nicht damit, dass du Polizist bist und es dein Job ist. Es ist nicht dein Job, dich umbringen zu lassen. Das darf nur ich, klar?«

»Julian hat Vorrecht«, widerspreche ich prompt und blinzle Matthias von unten herauf betont unschuldig an, als mich sein drohender Blick trifft. »Außerdem hat das mit dem Umbringen schon dieser linke Raufbold versucht und ist gescheitert. Kein Wunder. Wer beim Steine werfen so dusselig über die eigenen Füße stolpert wie der, braucht sich danach auch nicht über ein paar ausgeschlagene Zähne zu wundern.« Ich grinse Matthias selig an. »Keine Sorge, er kann es nicht noch mal versuchen, er sitzt schon im Knast. Ohne Zähne wohlgemerkt.«

»Findest du das etwa komisch?«

Ein bisschen schon. Immerhin hat der Asphalt bei dem Kerl für eine ziemlich zahnlose Futterluke gesorgt, und der Anblick hatte so einiges für sich. Auch wenn ich ihn wegen meines total zugeschwollenen Auges nicht mal richtig genießen konnte. Da wird man schon im Dienst verprügelt und hat hinterher nicht mal die Gelegenheit für ein wenig Schadenfreude. Pah.

»Ein bisschen?«

»Samuel!«

Eine flache Hand trifft tadelnd meinen Hinterkopf und ich heule auf, allerdings mehr vor Schreck als vor Schmerzen, weil Matthias mir nie absichtlich wehtun würde. Nun ja, eigentlich nicht. Uneigentlich ist er stinksauer auf mich. Und wieso? Weil mein eigener Bruder und Micha mich an ihn verpetzt haben, denn ich wollte Matthias gar nicht von der Schlägerei erzählen, in die ich während der Demonstration geraten bin.

Zumindest nicht gleich heute.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich allerdings noch keinen Blick in den Spiegel geworfen. Tja, wenigstens habe ich noch alle meine Zähne, obwohl ich sie derzeit nicht mal spüren kann, aber egal. Reden fühlt sich im Übrigen auch ziemlich seltsam an.

Die Betäubung wirkt wirklich tadellos.

Genauso tadellos sind dem Arzt die sieben Stiche gelungen, mit denen er meine Wange wieder zusammengeflickt hat. Das gleichmäßige Muster lenkt ein wenig von meiner gebrochenen Nase und dem zugeschwollenen rechten Auge ab, und der Doc meinte außerdem, dass ich die Arschkarte gezogen habe, denn die drei Rippen sind nicht komplett durchgebrochen, sondern nur zur Hälfte angeknackst, was beim Heilungsprozess gleich mal doppelt so lange dauern wird.

Meine verdutzte Frage nach dem Warum hat er mit einem Lachen und dem Fingerzeig auf meine Uniform beantwortet, was mir zwar auch nichts erklärte, aber so wichtig war mir das Ganze dann nicht, um nachzuhaken. Vor allem da langsam das Schmerzmittel Wirkung zeigte und ich mich so herrlich leicht und flauschig fühlte, während sie mich in eine Röhre schoben, um sicherzugehen, dass mein Kopf in Ordnung ist.

Als ich endlich wieder im Behandlungszimmer ankam, war Heiko da, der mittlerweile als zweiter Notfallkontakt in meiner Krankenakte steht, schüttelte seufzend den Kopf und machte dann eilig etwas Platz, als die Kavallerie in Form von Matthias und Hannes eintraf.

Mein Blick schweift erneut zur Tür, wo Heiko und Hannes immer noch stehen und milde amüsiert zusehen, wie Matthias mir behutsam aus den Schuhen und der Hose hilft, damit ich mich für eine Weile hinlegen kann. Anweisung des Arztes, der mich eigentlich im Krankenhaus behalten wollte, aber ich habe so lange gebettelt, geflucht und am Ende gedroht, einfach aus dem Fenster zu hüpfen, um aus der Klinik rauszukommen, bis er mich genervt gehen ließ.

Unten knallt die Haustür zu und das folgende Gewirr von Stimmen, eine Mischung aus Sorge und Empörung, lässt mich leise aufstöhnen, denn ich weiß genau, wer das ist.

Bin ich eigentlich nur von Verrätern umgeben?

»Was hast du erwartet? Dass wir ihn nicht anrufen?«, fragt mein Bruder und verschränkt seine Arme vor der Brust, als ich gerade Luft hole, um ihm die Meinung zu geigen. Und weil er sich diese warnende Geste leider perfekt von Viktor abgeguckt hat, klappe ich meinen Mund lieber wieder zu.

Gerade rechtzeitig, denn Viktor taucht hinter Hannes und Heiko auf, die daraufhin den Platz an der Tür für ihn räumen und sich auf den Weg nach unten machen, wo Monika, Jürgen und Dirk für Kaffee und etwas zu essen sorgen wollten. Mein Bruder bleibt an der Tür stehen, starrt mich ein paar Sekunden fassungslos an und schließt dann kurz die Augen, bevor er die Hände zu Fäusten ballt und hörbar durchatmet.

»Matthias?«, fragt Viktor und ich schnaube beleidigt.

»Prellungen, drei angebrochene Rippen, eine Schnittwunde von einer Glasscherbe im Gesicht. Keine Gehirnerschütterung und keine inneren Verletzungen. Keine Sorge, dann hätten sie ihn nicht entlassen.«

Was für eine Frechheit. Sie ignorieren mich. Das machen sie jedes Mal, wenn sie sich gegen mich verbünden, was in letzter Zeit öfters vorkommt, denn meine Arbeit ist durch den stetig anwachsenden Egoismus der Menschen und die rechtsradikale Stimmung im Land riskanter geworden und das gefällt keinem Mitglied in meiner bunt zusammengewürfelten Familie, zu der längst auch Heiko wieder zählt.

Ich kann ihre Sorge um mich grundsätzlich verstehen, nur wird sie nichts daran ändern, dass ich meinen Job als Polizist liebe, und wenn ich mich nicht so komplett zerschlagen fühlen würde, dann würde ich …

Unten knallt erneut die Tür zu. »Wo ist er?«

»Oh nein«, murmle ich und sehe Matthias entsetzt an. »Das hättest du nicht tun dürfen. Er hat doch Schule.«

Matthias verdreht stöhnend die Augen. »Du bist manchmal wirklich ein Idiot, Sam.«

»Aber ...«

»Sam! Er liebt dich. Wie würdest du es finden, wenn er in der Schule verprügelt wird und keiner erzählt dir davon, bloß um deine Schicht nicht zu stören?«

»Mist«, seufze ich und zucke zusammen, weil Julian unten einen wüsten Fluch ausstößt und Monika, die sich daran nicht die Bohne stört, laut lacht. Kurz darauf höre ich seine Schritte auf der Treppe und dann stürmt Julian auch schon ins Zimmer und prallt dabei gegen Viktor, der ihn an den Armen packt, um zu verhindern, dass er sich auf mich stürzt.

Matthias tritt vor Julian. »Beruhige dich erst mal.«

»Onkel Matti ...«

»Nein! Sein Gesicht sieht schlimmer aus als es ist, er ist bis oben hin zugedröhnt mit Medikamenten und macht schon die ganze Zeit dumme Witze, was aber nicht heißt, dass ihm nichts wehtut. Drei Rippen sind hinüber, also sei vorsichtig, wenn du ihn umarmst, okay?«

Umarmen? Ja, klar. Über das Stadium des Umarmens sind wir längst hinaus, aber das darf Matthias nicht wissen, darum presse ich die Lippen so fest ich kann zusammen, um nicht aus Versehen damit rauszuplatzen, dass sein angeblich noch völlig unschuldiger Neffe mich erst neulich mit dem Mund so fertig gemacht hat, dass ich eine halbe Stunde brauchte, um wieder alleine stehen zu können.

Und davor hatte ich die absolut beknackte Idee, erst wieder Sex mit ihm zu haben, wenn er achtzehn Jahre alt ist.

Verdammt.

Abgetragene Sneaker treten in mein Blickfeld und ich sehe überrascht auf, nachdem mir auffällt, dass ich mittlerweile auf den Fußboden starre. Ein Gähnen entschlüpft meinem Mund, dicht gefolgt von einem schmerzhaften Keuchen, weil meiner zerschnittenen Wange diese Bewegung leider gar nicht gefällt, doch bevor ich nach der Wunde greifen kann, hat Julian schon meine Hand gepackt und hält mich mit einem sehr resoluten »Nein!« davon ab.

»Sei nicht so gemein, ich habe Aua.«

Julian schnaubt. »Das sehe ich. Erwarte bloß kein Mitgefühl von mir, du Idiot.«

Irgendwie sind heute alle nur am Schimpfen. Zuerst Micha, nachdem er mich aus dem Pulk Randalierer rausgezogen hatte und dabei so wüst fluchte, wie ich es nie zuvor von ihm gehört hatte, anschließend mein Vorgesetzter, gefolgt von dem süßen Sanitäter, der mir am Ende sogar eine Backpfeife verpasst hat, weil ich mir ständig ins Gesicht gefasst habe, um zu gucken, ob ich noch eins habe. Im Krankenhaus haben dann die Ärzte mit mir gemeckert und als sie damit fertig waren, hat Matthias den Job übernommen.

Ich seufze leise. »Sei nicht sauer.«

»Ich bin nicht sauer«, widerspricht Julian mir prompt. »Im Moment sterbe ich noch vor Angst, sauer werde ich erst später sein, verlass dich drauf … Ich meine, da sitze ich in Mathe und langweile mich zu Tode, und dann ruft mein Vater an und sagt, ich soll mich nicht aufregen, was ich natürlich doch tue, solche Sprüche schreien schließlich förmlich danach, sich aufzuregen. Während ich also damit rechne, dass Onkel Matti einen neuen Herzinfarkt oder irgendwer einen Unfall hatte, erzählt er mir, dass du auf dieser eskalierten Demo, die schon überall in den Nachrichten ist, weil eine Gruppe Polizisten überrannt wurde, verletzt worden bist. Aber nein, ich soll mich immer noch nicht aufregen, es wäre ja alles halb so wild.«

Während er redet, bringt er mich behutsam, aber zugleich auch bestimmt dazu mich hinzulegen und setzt sich dann über meine Hüfte, um mit einer Mischung aus Sorge und Ärger auf mich hinunterzusehen. Seine Fingerspitzen streichen zart über die schillernde Prellung auf meiner Brust und eigentlich sollte ich viel zu bedröhnt sein, um davon erregt zu werden, aber es passiert trotzdem und es sorgt bei Julian für ein kurzes Grinsen als er es bemerkt, bevor er den Kopf schüttelt.

»Nicht vor August.«

»Julian ...«, bettle ich, ohne Erfolg.

»Du wolltest es so, also leb damit. Wo war ich? Ah ja.« Sein Blick wird wieder finsterer. »Ich packe also eilig meinen Kram zusammen und stürme aus der Schule, wofür ich morgen mit Sicherheit Ärger kriege, muss dann ewig auf den nächsten Bus warten, und komme hierher, um was zu sehen? Meinen Kerl, was er offiziell noch nicht einmal ist, grün und blau geschlagen von Linksextremen. Und was habe ich dir dazu erst vorgestern gesagt, Samuel Henning?«

»Dass es genau so passieren wird?«, erinnere ich mich.

»Richtig. Und was hast du darauf geantwortet?«

»Dass es mein Job ist und ich ihn liebe.«

Julian atmet hörbar durch, dann nickt er. »Ebenfalls richtig, und das ist auch der einzige Grund, warum ich dir jetzt keine Vorhaltungen mache, von wegen, wir haben dich gewarnt und du hättest es in deinem Alter und mit deiner Erfahrung besser wissen müssen, und dich dabei anschreie. Ich möchte nämlich nicht, dass du eines Tages das gleiche mit mir machst, weil du meinen Job für zu gefährlich hältst.«

»Du willst ein IT-Genie werden und Bill Gates vom Thron des Reichtums stoßen. Was kann dir dabei schon passieren?«

Julian grinst. »Mein Laptop könnte explodieren.«

Stimmt. Möglich ist das, habe ich mal gelesen. Ich schürze die Lippen. »Was hältst du von Kindergärtner?« Seine Antwort ist ein träges Lächeln, das mehr sagt, als Worte es könnten. Ich würde ihm ohnehin niemals in seine Berufswahl hineinreden. Stattdessen seufze ich leise. »Dir ist übrigens klar, dass du dich gerade erwachsener benimmst, als der Rest unserer verrückten Familie, oder?«

Julian verdreht zwar die Augen, lacht aber leise. »Das muss ich auch sein, solange ihr euch hier immerzu aufführt, als wärt ihr im Kindergarten. Manchmal glaube ich, dass Heiko und ich die einzigen Erwachsenen in dieser Familie sind.«

»Also das ist gemein«, schmolle ich und würde ihn zu gern zu mir runterziehen, küssen und dabei umarmen, aber das ist mit den kaputten Rippen nicht drin, also werde ich mich wohl fürs Erste auf schmachtende Blicke beschränken müssen.

»Wieso?«

»Hannes ist definitiv ein Erwachsener in diesem Haushalt, immerhin hat er keinem erzählt, dass er uns unter der Dusche erwischt hat, oder?«

»Er hat was?«, fragt Matthias abrupt von der Tür her, Julian und ich zucken ertappt zusammen, und dann sind auch schon eilige Schritte die Treppe runter zu hören, bis … »Hannes? Du hast Julian und Sam unter der Dusche erwischt und uns nichts davon gesagt?«

Ein paar Sekunden herrscht unten gespenstische Stille, bis wir Hannes stöhnen hören. »Danke sehr«, ruft er anschließend, was eindeutig an Julian und mich gerichtet ist, und dann reden alle durcheinander, während Julian sich lachend vorbeugt, um mich liebevoll zu küssen, bevor er mir ins Ohr murmelt: »Du bist so was von tot, das ist dir doch klar, oder?«

Oh ja, und wie klar mir das ist. Ich schnaube. »Wie schön, dass du dich über mein baldiges Ableben so amüsierst.«

»Das hast du nun davon, dass du einfach beschlossen hast, dass wir abstinent leben müssen. Jetzt werde ich vermutlich als arme Jungfrau in die Annalen der Wissenschaft eingehen und dabei hätten wir längst so guten Sex haben können. Immerhin habe ich mir schon eine Menge Pornos angeguckt, von denen die meisten übrigens echt nicht schön anzusehen sind. Dieses falsche Gestöhne der Kerle ist so abtörnend. Am Ende habe ich lieber deinen Bruder angerufen, um ihn zu fragen, worauf ich achten muss, sobald du das erste Mal unten liegst.«

Ich soll also bei unserem ersten Mal unten liegen? Wie gut, dass wir darüber gesprochen haben. Ja, okay, ich hätte es Julian ohnehin vorgeschlagen, weil die Taktik bei Matthias schließlich auch am besten funktioniert hat, aber trotzdem fühle ich mich davon dezent überfahren. Julian entscheidet das einfach so, als wäre er bei uns der Boss im Haus. Nach kurzem Nachdenken ziehe ich eine Grimasse, denn irgendwie ist er das von Anfang an gewesen. Es hat mich nie gestört, ihm die Führung bei uns zu überlassen. Eigentlich war es mir sogar lieber so, denn noch nie war ich in jemand verliebt, der so jung ist, und das macht mich in manchen Momenten doch ziemlich nervös.

Plötzlich kommt in meinem benebelten Verstand an, was er zuvor außerdem noch gesagt hat, und ich stöhne fassungslos. »Sekunde, du hast bitte was getan?«

Julian grinst mich frech an. »Viktor angerufen. Immerhin hat er von der Thematik die meiste Ahnung. Er hat mir Plugs in verschiedenen Größen empfohlen, um zu üben. Also an mir, nicht an dir. Er denkt nämlich, dass man, bevor man oben liegt, ruhig wissen sollte, wie es sich anfühlt, unten zu sein. Ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll, wenn ich ehrlich bin.« Er schürzt die Lippen. »Es fühlt sich komisch an, aber noch hat in der Schule keiner bemerkt, dass ich einen Plug trage.«

Ich bin gestorben, ganz sicher. Julian kann mir unmöglich gerade gesagt haben, dass er … »Du hast …? Jetzt?«

Er nickt. »Einen kleinen. Weitaus kleiner als dein Schwanz, soviel ist sicher. Wusstest du übrigens, dass es Analduschen in bunten Farben gibt? Sehr faszinierend. Auch wenn ich anfangs dachte, dein Bruder ist vollkommen verrückt geworden, mir so ein Ding zu empfehlen.«

»Viktor hat was?«, ächze ich entgeistert.

»Dein Bruder hat dafür gesorgt, dass unser Sexleben schon bald sehr erfüllend sein wird. Du solltest ihm danken.« Auf der Treppe sind erneut Schritte zu hören, doch dieses Mal kommen sie eindeutig zu uns hoch. Julians Grinsen wird breiter. »Sofern du noch dazu kommst. Dabei hatte ich eigentlich nicht vor, mir so schnell einen neuen, zukünftigen Ehemann zu suchen, weil meiner von meinem eigenen Onkel umgelegt worden ist. Und das alles nur, weil du deine schmutzigen Finger nicht von mir lassen konntest. Mein Leben ist wie eine griechische Tragödie, findest du nicht?«

»Julian!«

 

 

2

 

 

 

 

Matthias prügelt auf den armen, unschuldigen Brotteig ein, als hätte der ihm den baldigen, drohenden Untergang der Welt verkündet und müsse dafür jetzt bestraft werden.

Wir sind allein in der Küche, nachdem Hannes in die Praxis und unsere Jungs zur Schule aufgebrochen sind. Ja, okay, ihre Jungs, zumindest offiziell, aber ich sehe das Unheil stiftende Trio längst auch als meine Jungs an, obwohl ich mehr der tolle Onkel bin, bei dem sie alles dürfen, als ein strenger Vater, was Matthias und Hannes manchmal sein müssen, selbst wenn sie es nicht wollen. Aber wer drei Teenager im Haus hat, hat keine andere Wahl, sonst tanzen sie einem auf der Nase herum.

Im Großen und Ganzen können wir aber nicht klagen, denn Torben, Niklas und Jonas haben zwar gerne mal den Schalk im Nacken zu sitzen, sind aber sonst klasse Jungs. Nur wenn es in ihrem Zimmer ruhig wird, muss man auf der Hut sein. So wie zu Weihnachten, als sie das Doppelstockbett kurzerhand zur Absprungrampe umfunktioniert haben, um durch das Fenster auf den Baum zu hüpfen und danach runter in den Garten. Am Ende hatte Jonas einen gebrochenen Arm und war wochenlang megastolz auf seinen Gips. Teenager eben.

Für die nächsten Stunden haben wir aber erst mal Ruhe vor ihnen und die sollten wir auch genießen, denn bald stehen die Osterferien an und dann ist es mit der Ruhe tagsüber fürs Erste vorbei. Wobei, ruhig ist es im Moment auch nicht wirklich und völlig allein sind wir ebenfalls nicht, korrigiere ich mich, als Ripley drüben im Wohnzimmer empört bellt, dicht gefolgt von dem üblichen Fauchen unserer beiden Stubentiger. Fred wird draußen sein, um die armen Hühner verrückt zu machen. Oder die Hasen im anderen Stall. Das kann er nämlich großartig und sein fehlendes Bein stört ihn dabei nicht im Geringsten.

Was mich im Moment aber mächtig stört, ist die Stille, die mich umgibt, denn Matthias ignoriert mich, seit Julian ihn mit viel Gelächter gestern Nachmittag davon abgehalten hat, mich zu erwürgen. Danach haben sich die zwei eine Weile ruhig und gesittet in Matthias' Schlafzimmer unterhalten, ehe Julian sich seinen Vater geschnappt hat, um auch mit ihm zu reden.

Wobei Jürgen wundersamerweise weit weniger Probleme damit hatte, dass Julian und ich schon mehr als keusche Küsse getauscht haben, als Matthias. Er ist da pragmatischer, aber ich kenne ihn auch nicht anders, und ich werde niemals vergessen, wie er mir im letzten Jahr zu Silvester erklärt hat, dass er mich zwar eigentlich für zu alt für seinen Sohn hält, aber lieber mich als Schwiegersohn kriegt, als einen von diesen jungen Kerlen, die den ganzen Tag mit der Nase am Smartphone kleben, aber nicht in der Lage sind, drei und drei zusammenzuzählen.

Zu Jürgens Verteidigung sei gesagt, er hatte an dem Abend schon mehrere Punsch intus. Andererseits hat er nicht unrecht, ich sehe in meinem Job genug solcher Kids und die meisten halten sich für mächtig stark, vor allem in der Gruppe. Sobald man sie dann allein auf der Straße trifft, sind sie so klein wie ein Fingerhut und kriegen kaum ihren Namen buchstabiert.

Julian ist da ganz anders, das war er schon immer. Genauso wie seine Cousins. Matthias und Monika haben tolle Söhne in die Welt gesetzt und mit unseren drei kommen weitere, klasse Bengel dazu, die eines Tages anständige Männer sein werden. Dafür sorgen wir schon.

Aber zurück zu Matthias, der den Teig jetzt in eine Schüssel packt und mit einem Tuch abdeckt, damit er eine Weile gehen kann. Als nächstes sucht er sich Mehl, Joghurt, Zucker, Öl und Eier zusammen, um seine neueste Kuchenkreation für das Café zu backen. Ein Joghurtkuchen. Der ist so leicht zu machen, das habe sogar ich schon hinbekommen. Zwar nur unter Matthias' Anleitung, aber egal. Ich werde nie so ein Genie in der Küche sein wie er, dafür habe ich andere Qualitäten.

»Matti«, nörgle ich lang gezogen, woraufhin er kurz grinst, mich aber sonst weiterhin stoisch ignoriert. Tze, als wenn mich das aufhält. »Matthias ...«, jammere ich erneut und dieses Mal habe ich Erfolg, denn er stöhnt leise, was mich sehr zufrieden grinsen lässt. »Ha! Ich wusste, du liebst mich noch.«

»Du kannst manchmal so nervig sein.«

»Eine meiner besten Qualitäten, sagt Viktor immer. Kannst du den Kuchen mal kurz sein lassen und herkommen? Mir tut nämlich alles weh und ich will nicht aufstehen.«

Sofort sieht er mich besorgt an. »Wirken die Tabletten nicht mehr? Brauchst du eine neue?«

Ich könnte schon eine vertragen, aber es ist zu früh dafür. Wäre ich im Bett geblieben, wie vom Arzt empfohlen, hätte ich auch keine Schmerzen, aber ich will nicht die nächsten Wochen nur faul herumliegen. Schlimm genug, dass ich nicht arbeiten gehen kann, andererseits bin ich auch nicht sonderlich scharf auf den Papierkram, den der gestrige Schlamassel nach sich ziehen wird und um den sich jetzt Micha und der Rest unserer Truppe auf dem Revier alleine kümmern dürfen. Um einen Bericht aus meiner Sicht werde ich zwar nicht herumkommen, aber durch die Krankschreibung kann das vorerst warten.

Sprich, ich habe ab sofort sehr viel Freizeit und was andere wahrscheinlich toll finden würden, langweilt mich jetzt schon zu Tode. Ich bin nicht für Urlaub gemacht. So schön es ist, mal auszuschlafen oder ein Wochenende zu Hause zu verbringen und mich von Matthias' Küchenkünsten verwöhnen zu lassen, die Vorstellung, dass das jetzt für vier bis sechs Wochen mein täglich Brot ist, bringt mich innerlich zum Schaudern.

Er lacht leise und kommt um den Tisch herum zu mir. »Du stirbst gerade vor Langeweile, oder?«

Mist. Ich bin durchschaubar wie eine Glasscherbe.

Zumindest für meinen besten Freund und unsere grandiose Familie, die in der ersten Zeit, nachdem Hannes endlich hier eingezogen, ich aber nicht ausgezogen war, für Naserümpfen und Stirnrunzeln in der näheren Nachbarschaft gesorgt hat. Es dauerte eine Weile, bis die alten Herrschaften aufhörten, sich zu fragen, ob wir hier ein Bordell für Schwule eröffnen wollen. Richtig interessant wurde es, als Torben und die anderen zwei Jungs in Matthias' früheres Arbeitszimmer einzogen.

Wir kamen aus dem Lachen gar nicht mehr heraus, was die Spekulationen um uns herum anging, denn Frau Schultze und Frau Weiß waren ein ewig sprudelnder Quell an Neuigkeiten, wenn es um den Klatsch und Tratsch ging, mit dem sie uns Tag für Tag mit wachsender Begeisterung versorgt haben.

Natürlich haben wir ein Kinderheim aufgemacht.

Sicher verkaufen wir die armen Jungs früher oder später an kinderlose Ehepaare nach Osteuropa.

Das dämlichste Gerücht war jedoch, dass die Jungen illegal von uns ins Land geholte, billige Arbeitskräfte sind, die unsere ganzen Tiere versorgen sollen.

Selbst Frau Hufenbecker und Frau Sommer im Jugendamt haben sich ausgeschüttet vor Lachen, weil wir sie natürlich auf dem Laufenden gehalten haben, um anonymen Anzeigen und falschen Beschuldigungen gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen, denn selbige gab es natürlich auch.

Ruhe kehrte erst ein, als Hannes und Matthias geheiratet haben, und seit sie hochoffiziell, mit allen nötigen Papieren, die Pflegeväter von Torben, Niklas und Jonas sind, gelten wir nur noch als riesige, verschrobene Familie, bestehend aus Paaren, Singles, sechs Kindern, gefühlt tausend Haustieren und süßen Polizisten, die auch irgendwie dazugehören.

Die Mehrzahl kommt daher, weil Micha mittlerweile auch hier ein- und ausgeht, was angeblich nur an Matthias liegt, der für ihn immer Erdbeertörtchen oder Ähnliches bereit hält. Ich tippe allerdings eher darauf, dass es an Viktor liegt, für den es in Matthias' Küche komischerweise immer Schokoladenkekse zu finden gibt, sobald sich mein Bruder ankündigt.

Ich könnte jetzt etwas über Kuppler vom Dienst sagen, aber ich kann es genauso gut sein lassen. Außerdem tun mir meine Rippen immer noch ziemlich weh und ich habe Hunger.

»Ich habe niemals Langeweile«, erkläre ich daher endlich auf Matthias' Frage und blinzle ihn von unten herauf an, als er sich vor mir aufbaut. »Apfelkuchen mit Zimt?«

»Hast du dir den denn verdient?«

Ich ziehe einen Flunsch. »Ich habe Aua.«

Matthias' Gesicht verdüstert sich, aber bevor ich ihm sagen kann, dass er sich keine Sorgen machen soll, schüttelt er bereits den Kopf. »Solange du so aussiehst, wie du aktuell aussiehst, werde ich mir Sorgen machen und ich werde mir nicht zu fein sein, das zu sagen oder zu zeigen, verstanden?« Ich beschränke mich auf ein Nicken, weil er so ernst guckt. »Gut«, ist Matthias' Kommentar dazu, dann drückt er mir einen Kuss auf die Stirn und verlässt die Küche, um wenig später mit einem Korb Äpfel aus der Kammer zu kommen, die er feixend vor mir auf den Tisch stellt. »Da. Schälen. Du willst Kuchen, ich habe zu tun und keine Lust, mir die nächsten Stunden dein gelangweiltes Gejammer anzuhören. Und nein, die Ausrede, dass du das gar nicht kannst, gilt nicht. Noch mal Nein, du wirst dich nicht bei Julian über mich beschweren, sonst könnte mir nämlich ganz schnell wieder einfallen, dass ich stinksauer auf dich bin, weil du dein Wort gebrochen hast, was diverse sexuelle Aktivitäten mit meinem unschuldigen Neffen angeht.«

Von wegen unschuldig. Ich verkneife mir jeden Kommentar dazu, tue stattdessen betont harmlos und fixiere hinterher mit misstrauischem Blick den Obstschäler, den Matthias mir samt einem amüsierten Grinsen reicht. Ob das eine gute Idee ist, mir so ein tödliches Werkzeug in die Hände zu geben? Vielleicht hätte ich mir gestern lieber einen Finger brechen lassen sollen, statt drei Rippen. Aber darüber mache ich Matthias gegenüber vorerst besser keine Scherze.

Ich kann das, entscheide ich mit finsterem Blick und nehme mir den ersten Apfel vor. Ich meine, so schwer kann es ja wohl nicht sein, einen Apfel zu schälen, oder?

»Und? Seid ihr schon über Blowjobs raus?«

Der Schneider saust an der Schale vorbei, einmal quer über meinen Finger und schlittert danach in einem Affenzahn über den Küchentisch, während ich vor Schmerzen laut fluche und mir meinen zerschnittenen Finger in den Mund stecke, um das Blut abzulecken, damit es weder mich noch die Küche einsaut, immerhin backt Matthias hier für sein Café. Und offensichtlich amüsiert er sich gerade köstlich über mich, denn er schwankt unübersehbar zwischen schimpfen und lachen. Leider ist mein verärgerter Blick nicht sehr einschüchternd, denn während ich an meinem Finger lutsche, prustet er plötzlich los.

»Das ist nicht komisch.«

»Für mich schon.«

»Matthias!«

Er kramt kichernd in der Schublade für alles Mögliche, in der neben einem Flaschenöffner, einer Tüte mit Kabelbindern, Schraubenziehern in verschiedenen Größen und einer kleinen Schere vor allem Pflaster lagern. Kurz darauf ziert ein großes Bärchenpflaster meinen armen Finger und Matthias schält die Äpfel lieber selbst, während ich dazu verdonnert werde, Fred und die Hühner zu füttern und im Anschluss mit Ripley eine Runde spazieren zu gehen.

Letzteres sehr vorsichtig und auch nur, weil ich Matthias zu viel herum hibble. Am liebsten würde er mich ins Bett stecken, das sehe ich ihm an, aber er kennt mich zu gut, um es zu tun. Langweilig ist mir trotzdem. Daran kann nicht mal das sonnige Märzwetter etwas ändern. Es ist ein herrlicher Frühlingstag mit warmen Temperaturen, ich könnte ihn einfach genießen und es mir richtig gut gehen lassen. Na ja, wenn ich die Schmerzen bei jedem Schritt vergesse und nicht mehr daran denke, dass mein Gesicht momentan aussieht wie ein abgetragenes Gebirge nach einer Gerölllawine.

»Nanu? Kommissar Henning? Was treiben Sie denn um die Uhrzeit hier? Und so leger gekleidet. Wo ist Ihre Uniform, in der Sie immer so gut aussehen?« Hinter mir kichert es heiter. »Guten Morgen übrigens. Ist es nicht herrliches Wett...? Ach du lieber Gott, wie sehen Sie denn aus? Was ist passiert?«

Frau Weiß. Sie hat einen Korb mit Blumen dabei und trägt Gartenhandschuhe. Wahrscheinlich ist sie mit ihrem Vorgarten beschäftigt, aber der ist vergessen, als sie sich vor mir aufbaut, noch mal »Du lieber Gott.« murmelt und dann kurzerhand ihr Handy zückt, um Irma anzurufen. Wer immer das auch ist. Ich erfahre es keine fünf Minuten später, als sich uns Frau Schultze in einer uralten Schürze anschließt, ein Geschirrtuch über einer Schulter, und ehe ich mich versehe, werde ich genötigt, mich auf die am Wegrand stehende Parkbank zu setzen, Ripley wird mit eilig herbeigeholten Leckerli und Wasser versorgt und ich bekomme eine Tasse Kaffee gereicht, bevor die Frauen von mir wissen wollen, was passiert ist. Also erzähle ich es ihnen.

»Diese Rabauken«, grollt Frau Schultze und wirft mir einen mitfühlenden Blick zu. »Ich hoffe, man hat die Täter verhaftet.« Als ich nicke, ist sie unübersehbar zufrieden. »Sehr gut. Es ist eine wahre Schande, wie man Polizisten heutzutage behandelt. Früher hätten wir uns so etwas niemals erlaubt. Da wurde die Polizei noch als Freund und Helfer angesehen und mit Respekt behandelt. Aber heute? Die Welt ist völlig verrückt geworden. Überall gibt es Mord- und Totschlag.«

»Weißt du noch, Irma?«, mischt sich Frau Weiß ein. »Dieser Banker, der letzten Monat ermordet worden ist? Zuerst betrügt er seine Frau, dann raubt seine Geliebte ihn mit ihrem Kerl aus und am Ende erschlagen die beiden ihn. Und als wäre das alles für die Ehefrau nicht schon furchtbar genug, kommt hinterher raus, dass ihr Mann auch noch seine Bank betrogen hat und sie jetzt vielleicht das Haus verliert, um seine Schulden irgendwie damit auszugleichen. Die arme Frau. Und das alles nur, weil er seinen, Sie wissen schon, nicht in der Hose lassen konnte.« Die alte Dame schnaubt abfällig. »Wirklich schändlich. Zu meiner Zeit wäre uns so etwas nicht im Traum eingefallen. Wir haben geheiratet und sind für immer zusammengeblieben.«

Ich schweife gedanklich ab.

Für immer klingt gut.

Und so wie Julian über mich als den zukünftigen Ehemann an seiner Seite spricht, ist er einer Ehe definitiv nicht abgeneigt. Etwas anderes kommt für mich ohnehin nicht mehr infrage. Es mag ja sein, dass ich früher einen Haufen Affären mit älteren, superheißen Bären hatte, aber keiner von denen hat mein Herz auch nur ansatzweise so in Aufruhr gebracht wie dieser freche Kerl, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn ihm etwas, das ich sage oder tue, nicht in den Kram passt.

»Na holla, Sie lächeln aber sehr verdächtig. Wie heißt denn der junge Mann, der Ihnen den Kopf verdreht hat?«, fragt Frau Weiß auf einmal und ehe ich mich zusammenreißen kann, bin ich schon rot angelaufen und verrate mich damit natürlich. Die Frauen fangen an zu lachen. »Ich wusste es. Und? Raus damit. Wir erzählen es auch bestimmt niemandem weiter.«

Und das würde ich nicht mal glauben, wenn sie mich dafür bezahlten. Die zwei sind und bleiben die größten Klatschbasen, die es in dieser Straße gibt, das weiß schließlich jeder. Darum schüttle ich auch den Kopf und grinse verlegen.

»Ein Gentleman genießt und schweigt.«

Vor allem weil Julian mich umbringt, wenn ich ihn an die zwei verpetze. Er macht zwar kein Geheimnis daraus, dass es jemanden in seinem Leben gibt, aber wir haben von Anfang an entschieden, außerhalb der Familie keinen Namen zu nennen, um es Julian in seiner Schule, aber vor allem mir wegen meines Jobs nicht unnötig schwerzumachen. Ein schwuler Polizist mag heutzutage kein Problem mehr sein, aber ein 25-jähriger Bulle, der eine Beziehung mit einem 15-jährigen anfängt?

Ich wäre meinen Job schneller los gewesen, als ich meinem Boss hätte erklären können, dass unsere Beziehung auf echten Gefühlen beruht und einvernehmlich ist.

Nein, was das angeht, wollten wir nichts riskieren. Darum haben wir bislang nur eine heimliche Affäre, aber sobald Julian im August volljährig wird, ist auch das endlich vorbei. Und ich kann mir nichts Schöneres vorstellen. Natürlich wird man uns schief ansehen. Ich bin kein Dummkopf, der die Realität nicht erkennt, schließlich bin ich immer noch zehn Jahre älter als er, aber davon lasse ich mich nicht aufhalten. Ich will ein Leben mit Julian Baum, mitsamt einem Zuhause, einem gemeinsamen Namen und vielleicht einem Hund oder einer Katze. Auf jeden Fall ein Haustier. Und in ein paar Jahren, wenn er ein bisschen älter ist, werden wir über Kinder reden. Ich kann mir nämlich definitiv vorstellen, welche mit ihm zu haben.

»Sie sind so ein netter Mann, Herr Kommissar. Obwohl Sie derzeit aussehen, als hätte man Sie gleich dreimal mit dem Bus überfahren. Ah, sieh mal an, wer da kommt.«

Frau Weiß gluckst und ich sehe nach vorne. Ripley bellt los und läuft so schnell er kann zu Matthias, der ihn auf die Arme nimmt und schmunzelnd auf uns zukommt. »Hier bist du also. Kaum dreht man dir den Rücken zu, flirtest du schon wieder mit den Damen. Schäm dich.«

Ich stöhne auf, die Ladys neben mir fangen schallend an zu lachen, und nachdem Matthias ihnen sein Wort gegeben hat, demnächst wieder seine tollen, beschwipsten Berliner im Café anzubieten, dürfen wir von dannen ziehen. Was auch ganz gut ist, denn ich brauche dringend eine neue Schmerztablette und Matthias weiß das. Glasscherbe, wie schon gesagt. Darum sagt er auch nichts, sondern verfrachtet mich in der Küche, weil ich nicht ins Bett, sondern in seiner Nähe bleiben will, behutsam auf einen Stuhl, holt mir Wasser und die Tablette, und fängt im Anschluss mit seinen geplanten Kirschmuffins an, die morgen früh mit dem Joghurtkuchen ins Café gehen werden, der zum Abkühlen bereits auf der Arbeitsplatte steht.

»Also?«, fragt er nach einiger Zeit, die wir in angenehmen Schweigen in der Küche verbracht haben.

Längst zieht ein weiterer, köstlicher Duft durchs Haus und wenn mich die Scheibe am Backofen nicht täuscht, dürfte der Apfelkuchen beinahe fertig sein. Hoffentlich kann ich Matthias gleich ein warmes Stück abschwatzen. Wenn ich leidend genug gucke, klappt es bestimmt. Aber vorher …

»Was also?«

»Du schuldest mir immer noch eine Antwort.«

Ich brauche einen Augenblick, bis der Groschen fällt, und danach starre ich ihn erst mal baff an. Das meint er doch wohl nicht ernst. »Matthias!«

Er gluckst. »Was denn? Wirst du im Alter etwa schüchtern? Sag schon. Oh, brauchst du Kondome oder Gleitgel? Wir haben gestern neuen Vorrat gekauft. Bedien dich ruhig.«

»Nein!«

Matthias runzelt die Stirn. »Ich hoffe für dich, das heißt, du hast selbst schon für einen ausreichenden Vorrat gesorgt, und nicht, dass ihr euch nicht schützt.«

Ich muss träumen. Unser Gespräch kann nicht real sein, auf gar keinen Fall. Und wieso habe ich auf einmal das Gefühl, den Platz mit Matthias getauscht zu haben? Als wir damals unsere Affäre anfingen, war ich immer derjenige, der peinliche Fragen gestellt und ihm damit regelmäßig rote Ohren beschert hat. Zu der Zeit fand ich das lustig. Heute jedoch … Äh, schweigen wir lieber drüber. Genauso wie ich über Julians und mein Sexleben zu schweigen gedenke.

»Ich werde nicht mit dir über Julian und mich reden.«

»Warum nicht? Ist euer Sexleben exotischer, als es unseres damals war? Falls ja, keine Sorge, ich kann das ab. Hannes hat da diesen Trick mit der Zunge drauf, wenn er mich ...«

»Matthias!«

»Ja, das ist mein wundervoller Name. Also?«

»Das ist dein Neffe, von dem wir hier reden«, schimpfe ich und bin zu Tode verlegen, was komplett unsinnig ist, wenn ich mich daran zurückerinnere, was ich mit Matthias alles im Bett und sonst wo angestellt habe, bevor er sein Glück mit Hannes gefunden hat. Trotzdem. Sobald es um Julian geht, bin ich total anders. Warum auch immer. »Ich werde ganz sicher nicht mit dir über mein Sexleben mit Julian reden.«

Matthias grinst. »Hast du das mit ihm abgesprochen? Falls nicht, solltest du es schnellstens tun, immerhin hat er schon vor einiger Zeit Viktor angerufen, um sich kleine Plugs und bunte Analduschen empfehlen zu lassen.«

Ich stöhne auf und Matthias fängt an zu lachen. »Das hat er dir erzählt? Ich fass es nicht.«

»Und ich fass es nicht, dass du schüchtern bist, wenn es um Julian geht.« Matthias zwinkert mir zu, bevor er sich umdreht und zum Backofen geht, um den Apfelkuchen rauszuholen. Er dreht sich mit den Worten »Sofern du von dieser Köstlichkeit auch nur einen Krümel abhaben willst, beichtest du lieber, und zwar flott.« wieder um und sieht mich so frech an, dass ich mit einem resignierenden Seufzen nachgebe.

»Was tue ich nicht alles für deinen Apfelkuchen … Ja, du furchtbar neugieriger Kerl. Es gab schon Blowjobs. Aber nein, wir hatten noch keinen richtigen Sex. Ich möchte warten. Das findet Julian natürlich käse, weil wir bereits jeden Millimeter Haut voneinander kennen, und glaub mir, wenn ich dir sage, dass er genau weiß, wie er meinen Schwanz rannehmen muss, und das kannst du wörtlich verstehen. Aber ich will trotzdem mit dem letzten Schritt warten, bis er erwachsen ist, auch wenn das in deinen Augen vielleicht albe... Was ist?« Matthias gafft mich mit offenem Mund an, was nun wiederum mich grinsen lässt. »Jetzt beschwer dich nicht über zu viele Details, du hast schließlich gefragt.«

»Ja, nach möglichen Blowjobs. Nicht nach deinem Schwanz und was Julian mit dem Ding schon alles angestellt hat.«

»Jetzt ist er plötzlich ein Ding?« Ich schnaube empört. »Na besten Dank. Soweit ich mich erinnere, fandest du dieses Ding vor ein paar Jahren noch verdammt geil oder hast du mir deine circa eintausend Orgasmen etwa alle nur vorgespielt? Falls ja, grandiose Leistung.«

»Sam! Matthias!«

Wir sehen gemeinsam zur Tür, wo Julian und Jürgen stehen und letzterer starrt uns sprachlos an, während mein Kerl leise vor sich hin lacht und danach zu seinem Vater sieht. »Und jetzt frag du dich bitte noch mal, warum ich mich für den einzigen Erwachsenen in dieser Familie halte.«

»Julian!«

 

 

3

 

 

 

 

Zwei Wochen.

Die sich hingezogen haben wie Kaugummi, und ich wette, ich war der schlechteste Patient ever, so oft wie Matthias sich in den letzten paar Tagen mit seinem Nudelholz in der Hand vor mir aufgebaut und mich drohend angesehen hat.

Gott sei Dank funktioniert mein unschuldiger Blick immer noch tadellos. Nun ja, meine ehrlich gemeinte Entschuldigung dürfte wohl eher zu seiner Besänftigung beigetragen haben, ich weiß schließlich selbst, was für eine Nervensäge ich sein kann, sobald ich krank bin. Das war leider schon immer so und am Ende hat er sich bei meiner Familie über mich beschwert und ihnen gepetzt, was mir im Dienst passiert ist.

Hinterhältiger Verräter.

Ich möchte gar nicht wissen, was er ihnen im Detail erzählt hat, aber zumindest hat es für Beschäftigung gesorgt, denn auf einmal klingelte ständig mein Handy.

Elke und Ruben, meine Zieheltern, haben sich am Telefon vor Lachen vermutlich fast in die Hose gemacht, als Matthias ihnen sein Leid mit mir klagte, denn mittlerweile hat er sie bei einem ihrer seltenen Besuche in Deutschland kennengelernt und mit ihnen Telefonnummern getauscht.

---ENDE DER LESEPROBE---